Interkristalline Korrosion an Faltenbälgen aus CrNi-Stahl beim Beizen Martin Möser, 02.05.2010 Durch den Bau eines großen Kernkraftwerkes bei Stendal/Elbe sollte die Stromversorgung der DDR langfristig gesichert werden. Geplant waren vier Blöcke mit Druckwasserreaktoren, welche eine Leistung von je 1000 MW aufwiesen. Die Reaktoren sollten aus der Sowjetunion bezogen werden (WWER 1000 = Wasser-Wasser-Energie-Reaktor). Wesentliche Teile der Ausrüstung wollte die DDR stellen. Erwärmt man Bauteile aus Metall, so dehnen sich aus. In das Rohrsystem eines Wärmekraftwerks sind deshalb spezielle Bauteile einzufügen, welche die Dehnung ausgleichen. Bei Kernkraftwerken sind die Temperaturen des Wassers nur mäßig hoch. Allerdings wird austenitischer Chrom-Nickel-Stahl eingesetzt, der sich relativ stark dehnt. Der Dehnungsausgleich erfolgt vorzugsweise über Faltenbälge, auch als Wellrohrkompensatoren bezeichnet. Wegen der beachtlichen Drücke im Kernkraftwerk wird solch ein Faltenbalg aus mehreren Lagen aufgebaut. Im vorliegenden Fall wurden drei dünnwandige Rohre aus Stahl X10CrNi18-9 ineinander gesteckt. Die Falten wurden kalt eingewalzt (gerollt). Da sich der Werkstoff dabei verfestigte, kamen die Teile in den Ofen, um die Spannungen heraus zu glühen. Dann wurde weiter gewalzt und wieder geglüht usw. Die Bälge wurde einer anderen Firma übergeben. Diese schweißte Flansche an und beizte dann die Anlauffarben ab. Das Beizen sollte mit einer Mischung aus 12-15% Salpetersäure, 1-3% Flusssäure, Rest Wasser erfolgen. Es zeigt sich, dass sich die Bälge mehr oder weniger zerlegten. Untersucht wurden zwei Proben (A und B), welche aus dem normalen Beizbetrieb stammten.
Fall A Die Faltenwand ist stellenweise von einer Kruste bedeckt (Bild 1). In dieser Kruste finden sich Kalzium, Schwefel und Chlor. Da die Kruste relativ dünn ist, wird sie von der Röntgen- Nachweiskeule durchschlagen (Bild 2). Bild 1: Kruste auf der Wand einer Balgfalte Bild 2: Analyse (EDX) der Kruste von Bild 1: Kalzium, Schwefel und Chlor neben den Elementen der Unterlage (Chrom, Eisen und Nickel) 2
Die Kruste wurde abgelöst. Zum Vorschein kommt ein Rissfeld (Bild 3). Die Oberfläche erscheint körnig aufgelockert (Bild 4). Das gilt auch für die Rissflanken (Bild 5). Bild 3: Kruste weitgehend abgelöst, Rissfeld (Zentrum des in Bild 1 dargestellten Bereiches) Bild 4: Oberfläche körnig aufgelockert Bild 3) Bild 5 Kornrelief auch im Riss frei gelegt Bild 4) 3
Der Balg wurde nun gewaltsam in die Länge gezogen, um tiefer gehende Risse aufzuspüren. Ein solches Rissfeld ist in Bild 6 zu sehen. Die Bruchfläche ist rein körnig ausgebildet, das heißt, der Riss ist den Korngrenzen gefolgt (Bild 7 und Bild 8). Bild 6 Rissfeld nahe dem Grund der Falte, weitere Krusten Bild 7 Blick auf die Bruchfläche; rein körnige Ausbildung Bild 6) Bild 8 ausschließlich interkristalliner Rissverlauf Bild 7) 4
Fall B Schon im Anlieferungszustand war ein größerer Riss zu sehen. Dieser wurde vollends geöffnet. Der Blick fällt auf die Innenwand unterhalb des Risses. Dort finden sich Ablagerungen (Bild 9). Die Analyse dieser Ablagerungen ergab das massive Vorliegen von Chlor (Bild 10). Mangels anderer Kationen (Kalzium) muss man davon ausgehen, dass das Chlor chemisch an die Legierungselemente gebunden ist. Bild 9 Riss aufgebrochen, Ablagerung auf der Innenwand des Balges Bild 10 Analyse der Ablagerung von Bild 9: Chlor plus Chrom, Eisen und Nickel 5
Die Probe wurde nun so aufgerichtet, dass auch die Bruchfläche zu sehen ist. Der Bruch ist wiederum voll interkristallin erfolgt (Bild 11 und Bild 12). Bild 11 Probe angehoben, Bruchfläche sichtbar Bild 12 rein interkristalliner Bruchverlauf Bild 11, links) 6
Auf der Innenwand findet sich weiterhin Lochfraß. Die Flanken des Loches sind transkristallin, der Grund interkristallin ausgebildet (Bild 13). Bild 13 Lochfraß Flanke des Loches transkristallin, Grund interkristallin Bild 11, rechts) Diskussion Der Schaden war durch einen interkristallinen Angriff geprägt, der sowohl flächig als auch rissartig ausgebildet war. Dies folgt im Allgemeinen daraus, dass sich Chromkarbide an den Korngrenzen ausgeschieden haben; man spricht von einer Sensibilisierung. Üblicherweise ist dies ein Problem des Schweißens, weil die Wärmeeinflusszone beim Abkühlen eine sogenannte Ausscheidungsnase durchfährt. Im vorliegenden Fall dachte man an eine Aufkohlung während des Spannungsarmglühens. Der Balghersteller geriet also unter Verdacht, dass es bei ihm an der notwendigen Sauberkeit mangelt. Beispielsweise fassten die Arbeiter die Bälge mit den bloßen Händen an. Die menschliche Haut hinterlässt auf den Metallflächen eine Fettspur. Weiterhin nahm man an, dass sich Ölreste im Waschmittel angereichert haben. Man prüfte entsprechend behandelte Bälge im sogenannten Strauß-Test und fand erwartungsgemäß einen interkristallinen Angriff. Anderseits begünstigen Chloride jede Art von Angriff auf Chrom-Nickel-Stahl. Die Beizbäder wurden überprüft und wiesen Chloridgehalte auf, die sich mit der verschwundenen Metallmasse (ganze Bälge) korrelieren ließen. Beide Seiten wurden aufgefordert, sich an die Regeln zu halten, welche für Verarbeitung von Chrom-Nickel-Stählen gelten. Irgendwelche Probleme wurden dann nicht mehr gemeldet. Allerdings wurde der Bau des Kernkraftwerkes Stendal nach einigen Jahren abgebrochen (1991). Insofern bleibt unbekannt, ob sich die Faltenbälge im Einsatz bewährt hätten. 7