Saskia Erbring. Einführung in die inklusive Schulentwicklung

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Transkript:

Saskia Erbring Einführung in die inklusive Schulentwicklung 2016

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags: Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern) Prof. Dr. Dirk Baecker (Friedrichshafen) Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg) Prof. Dr. Jörg Fengler (Alfter bei Bonn) Dr. Barbara Heitger (Wien) Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg) Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena) Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg) Prof. Dr. Heiko Kleve (Potsdam) Dr. Roswita Königswieser (Wien) Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück) Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg) Tom Levold (Köln) Dr. Kurt Ludewig (Münster) Dr. Burkhard Peter (München) Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen) Prof. Dr. Kersten Reich (Köln) Reihengestaltung: Uwe Göbel Umschlag: Heiner Eiermann Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach Printed in the Czech Republic Druck und Bindung: FINIDR, s. r. o. Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen) Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln) Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/ Herdecke) Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg) Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster) Jakob R. Schneider (München) Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg) Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin) Dr. Therese Steiner (Embrach) Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin (Heidelberg) Karsten Trebesch (Berlin) Bernhard Trenkle (Rottweil) Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln) Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz) Dr. Gunthard Weber (Wiesloch) Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien) Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg) Erste Auflage, 2016 ISBN 978-3-8497-0095-9 2016 Carl-Auer-Systeme Verlag und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg Alle Rechte vorbehalten Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren Autoren und zum Verlag finden Sie unter: www.carl-auer.de. Wenn Sie Interesse an unseren monatlichen Nachrichten aus der Vangerowstraße haben, können Sie unter http://www.carl-auer.de/newsletter den Newsletter abonnieren. Carl-Auer Verlag GmbH Vangerowstraße 14 69115 Heidelberg Tel. +49 6221 6438-0 Fax +49 6221 6438-22 info@carl-auer.de

1 Einleitung Schulische Inklusion ist ein Thema, das aktuell und deutschlandweit kontroverse Diskussionen entfacht. Unter Handlungsdruck sehen sich nicht nur Lehrkräfte und Schulleitungen, betroffen sind insbesondere auch diejenigen, welche für das fachliche und das organisationale Lernen an Schulen zuständig sind: Referenten 1 in der Lehrerfortbildung, Schulentwicklungsberater und -begleiter, Mitarbeiter in Fortbildungsinstituten und der schulbezogenen Administration, Lehrende und Forschende an den Universitäten und in den Ausbildungsseminaren für das Lehramt in der zweiten Ausbildungsphase. Zwar gibt es mittlerweile einen großen Fundus an unterrichtspezifischem Material und diverse Informationsmöglichkeiten zu sonderpädagogischen Konzepten. Der Zusammenhang von Unterrichts-, Personal- und Organisationsentwicklung bleibt in den Materialien und Konzepten jedoch meist unberücksichtigt. Es fehlen Handlungsempfehlungen oder Leitfäden, mithilfe derer inklusive Schulentwicklungsprozesse (mit) gesteuert werden können. Diese Leerstelle bearbeitet das vorliegende Buch. Es sorgt für eine wissenschaftlich fundierte, jedoch in erster Linie praxistaugliche Orientierungshilfe für inklusive Schulentwicklung. Das Buch richtet sich an Anbieter schulinterner Fortbildungen und pädagogischer Tage, an Organisations entwickler und Organisationsberater im Schulbereich, an Schulleitungen aller Schulformen, Schulämter und schulbezogene Administration sowie an schulbezogene Ausbildungsinstitute. Darüber hinaus bietet dieses Buch eine wichtige Grundlage für alle, die schulische Inklusion besser verstehen wollen und an der erfolgreichen Umsetzung von Inklusion interessiert sind. 1 Nach Möglichkeit wird die neutrale Form mit Partizip verwendet. Bei Nutzung der maskulinen Form sind Männer und Frauen gemeint. 9

1 Einleitung Schulentwicklung wird im Verständnis systemischer Organisationsentwicklung als ein Entwicklungsprozess angesehen, der sich im Sinne der Selbstorganisation vollzieht. Die in diesem Buch gegebenen Anregungen sind darauf ausgerichtet, Prozesse inklusiver Schulentwicklung mithilfe systemischer Ansätze zu verstehen. Darüber hinaus liefert das Buch eine Vielzahl von systemischen Arbeitsmethoden, mithilfe derer sich Prozesse inklusiver Schulentwicklung begleiten und gestalten lassen. Der Schwerpunkt dieses Buches liegt auf dem Aufzeigen von Orientierungsmöglichkeiten und Ideen, um inklusive Schulentwicklung ressourcenorientiert zu gestalten. Weitgehend unbearbeitet bleibt hierbei die Ebene der Schulverwaltung, von deren Seite inklusive Schulentwicklung je nach Bundesland sehr unterschiedlich verantwortet und gestaltet wird. Die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind ein zentraler Kritikpunkt bei der Umsetzung schulischer Inklusion in Deutschland (Klemm 2015). Insbesondere gilt dies für die Schulformen der Sekundarstufe. Und eine weitere irritierende Entwicklung ist festzustellen: Zwar steigt der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen, jedoch verzeichnen die Förderschulen keinen entsprechenden Rückgang Erklärung dafür ist die angestiegene Quote der Gutachten zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfes (ebd., 6). Für das vorliegende Buch bleibt einschränkend anzumerken, dass es keine umfassende Zusammenstellung relevanter Literatur zu inklusiver Schul- und Unterrichtsentwicklung enthält. Die Konzentration liegt darauf, ein systemisches Konstrukt der Organisationsentwicklung für die inklusive Schulentwicklung zu skizzieren und Anhaltspunkte für die Umsetzung anzuzeigen. Umfassendere Werke zur schulischen Inklusion sind die Kompendien von Reich (2012, 2014) sowie von Wocken (2011, 2013). Beispiele zur Umsetzung von Inklusion finden Sie in Reich u. a. (2015) sowie bei Mittendrin e.v. (2012, 2013). Anregungen zur Entwicklung von inklusiven Bildungssystemen auf 10

1 Einleitung der Ebene politischer Entscheidungsträger sowie die Aktionspläne der Bundesländer sind in der Veröffentlichung der Deutschen UNESCO-Kommission in Kooperation mit der Aktion Mensch (2014) dargestellt. Folgende Aspekte wurden im inhaltlichen und methodischen Aufbau des Buches besonders berücksichtigt: Die Unterscheidung zwischen der sachlichen, der sozialen und der zeitlichen Dimension inklusiver Schulentwicklung stellt eine Systematisierungshilfe dar. In den entsprechenden Gliederungspunkten kann man sich einen Überblick zu Grundlagen inklusiver Schulentwicklung verschaffen. Methodische Impulse geben zu jeder der Dimensionen Anstöße zu organisationalem Lernen. Aus den Überschriften der Unterkapitel lassen sich Hinweise zum möglichen Einsatz der Methoden entnehmen. Aus systemischen Grundlagen der Organisationsentwicklung werden Leitfragen für inklusive Schulentwicklung abgeleitet. Anhand kurzer Fallbeispiele wird die Arbeit mit Leitfragen und Leitsätzen zur inklusiven Schulentwicklung konkretisiert. In einem Modell für Schulentwicklung und Schulentwicklungsberatung sind die Dimensionen und Ansatzpunkte für inklusive Schulentwicklung kompakt dargestellt. 11

2 Inklusive Schulentwicklung als Thema systemischer Organisationsentwicklung Zweifellos handelt es sich bei der Einführung und Umsetzung schulischer Inklusion um einen Organisationsentwicklungsprozess. Dies wird im international geführten Diskurs deutlich betont, bleibt in Deutschland jedoch an vielen Stellen noch weitgehend unberücksichtigt. So macht eine deutschlandweite Analyse der Inhalte schulischer Fortbildungen zur Inklusion deutlich, dass sich aktuell nur 9 % der Inklusionsfortbildungen auf inklusive Schulentwicklung beziehen, 24 % dagegen auf Unterrichtsgestaltung und 45 % auf die Vermittlung von Fachwissen zu sonderpädagogischer Förderung (Amrhein u. Badstieber 2013). Insbesondere die damit verzeichnete Konzentration auf sonderpädagogisches Fachwissen birgt die Gefahr, das System sonderpädagogischer Förderung lediglich in die Regelschule zu verlagern. Dies wird als Desegregation und nicht als Inklusion bezeichnet: Zwar wird die segregierende Beschulung aufgehoben, indem Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf aufgenommen werden (s. dazu auch Budde u. Hummrich 2014). Inklusion ist jedoch an die Veränderung im Selbstverständnis der Schule gekoppelt. 2 Der Paradigmenwechsel hin zur Inklusion ist an den meisten Schulen noch nicht vollzogen. Von Schulen wird der Auftrag, sich zu inklusiven Schulen zu entwickeln als ein Auftrag angesehen, der»von außen«an 2 Schulische Inklusion bezieht sich auf den wertschätzenden Umgang mit Hete rogenität und den Abbau von Barrieren der Teilhabe (zur Definition und Begriffsdebatte: Hinz 2013). In diesem Buch steht das gemeinsame Lernen von Schülern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf im Fokus, gleichwohl sich Inklusion auf unterschiedliche Konstruktionen von Heterogenität bezieht. 12

2 Inklusive Schulentwicklung Schulen herangetragen wurde. Inklusion wurde demnach weder durch interne Organisationsprozesse angebahnt, noch hat sie sich aus dem pädagogischen Grundverständnis von Lehrkräften entwickelt. Vielmehr wurden im Nachgang zur Ratifizierung der UN-Menschenrechtskonvention diverse schulpolitische und schulrechtliche Veränderungen notwendig, die schließlich bis auf Schulebene umgesetzt werden mussten. Die damit verbundene Umstellung des Schulsystems wird an vielen Schulen als unzumutbar und kaum zu bewältigen erlebt. Als Strategie zur Einführung von schulischen Neuerungen haben dienstliche Anweisungen deutliche Nachteile gegenüber der gemeinsamen Erarbeitung neuer Leitbilder (Horster 2004; Buhren u. Rolff 2012). Innovationsbereitschaft im Kollegium und aktive Mitarbeit an Schulentwicklungsthemen stellen insgesamt wichtige Gelingensbedingungen für Schulentwicklungsprozesse dar. Ist diese Ausgangssituation nicht vorhanden, so besteht die Gefahr, dass Lernangebote aus Lehrerfortbildungen nicht im schulischen Alltag wirksam werden (Lipowsky u. Rzejak 2012). Der Zeitdruck, unter dem die Veränderungen stattfinden sollen, behindert die Entwicklungsmöglichkeiten zusätzlich. Nachteilig für die Gestaltung inklusiver Schulentwicklung ist auch, dass an Schulen die Gestaltungsmöglichkeiten der Einzelschule häufig unterschätzt werden die Schule wird vielmehr als»unselbstständige Einrichtung einer staatlichen Kultusbürokratie«(Zech 2009, S. 1) wahrgenommen. Zahlreiche Beispiele machen allerdings deutlich, dass inklusive Schulentwicklung auf der Ebene der Einzelschule gedacht und erfolgreich umgesetzt werden kann (Stähling u. Wenders 2009). Eine weitere Problematik führt dazu, dass noch wenig Schulentwicklung im Sinne der Inklusion stattfindet: Viele Fortbildungsanbieter stellen Inklusion nicht als Thema von Organisationsentwicklung dar, sondern arbeiten einzelfall- und anfragebezogen. Bezieht sich beispielsweise die Fortbildungsanfrage einer Schule auf die Unterstützung in der sonderpädago- 13

2 Inklusive Schulentwicklung gischen Förderung z. B. auf die Unterstützung des Kollegiums im Umgang mit Schülern mit»verhaltensauffälligkeiten«, so ist das Ergebnis einer solchen Fortbildung die Implementation eines entsprechenden Konzeptes. Die mit der Inklusion verfolgten Ziele werden damit häufig gar nicht tangiert. Kritische Stimmen verweisen hier auf eine Selbsterhaltungsstrategie der Sonderpä da gogik und ihrer Zuständigkeitsbereiche (Hinz 2013, Schumann 2015). Inwiefern können Schulen überhaupt ähnlich wie andere Orga ni sationen beraten werden? Immerhin bestehen doch wesentliche Unterschiede zwischen Schulen und anderen Organisationen beispielsweise hinsichtlich der Personalpolitik und der Personalverantwortung. Bundeslandübergreifend verstärkt sich jedoch in den letzten Jahren die Tendenz, Einzelschulen mehr Verantwortung für interne Organisationsentwicklung zu übertragen. Damit entstehen immer mehr Anschlussmöglichkeiten zwischen den Konzepten systemischer Organisationsentwicklung und organisationalem Lernen an Schulen (Lindemann 2010). Inwiefern ist ein systemisches Verständnis der Organisationsentwicklung für inklusive Schulentwicklung passend? Systemisches Denken in der Organisationsentwicklung gilt seit Senge (1996) als Kerndisziplin organisationalen Lernens, insbesondere auch im Rahmen von Schulentwicklung (Beucke-Galm 1999). Betont wird dabei die Notwendigkeit, im Rahmen organisationaler Lernprozesse zirkuläre Zusammenhänge zu thematisieren und das Wechseln von Perspektiven einzuüben. Relevante Ansatzpunkte für organisationales Lernen sind im systemischen Verständnis sowohl das Wissen, Fertigkeiten, Motivation und Einstellungen der Organisationsmitglieder als auch die Regeln, Strategien und Strukturen der Organisation (Grossmann u. a. 2015, S. 32). Man geht davon aus, dass systemische Ansätze besonders an Schulen geeignet sind, um die Suche nach Lösungen zu unterstützen, die jenseits der vom Problem her denkbaren Lösung stehen (Herrmann u. Hubrig 2007, S.18 ff.). 14

2 Inklusive Schulentwicklung Organisationales Lernen von Schulen wird in dem hier vorliegenden Buch entlang der drei Sinndimensionen systemischer Beratung entwickelt. Ausgehend von der luhmannschen Organisationstheorie stellen die drei Sinndimensionen für die systemische Beratung eine nützliche Arbeitshilfe dar. In Bezugnahme auf die Ausführungen von Simon (2014) werden die drei Sinndimensionen sachliche, soziale und zeitliche Dimension im 3. Kapitel zunächst erklärt und schließlich auf inklusive Schulentwicklung angewandt. Im 4. Kapitel wird Grundwissen zur inklusiven Schulentwicklung anhand der drei Sinndimensionen systematisiert und erläutert. Zu jeder Sinndimension werden in Unterkapiteln methodische Impulse angeboten, die sich in Veranstaltungen aufgreifen lassen oder als Reflexionsimpulse für den Leser dienen. Lernprozesse in Organisationen werden in der systemischen Organisationstheorie als Veränderung von Programmen, Strukturen, Personen und Organisationskulturen beschrieben. Auch hier wird als Referenz auf Simon (2014) Bezug genommen, das Verständnis systemischer Organisationsentwicklung zunächst im 3. Kapitel skizziert und schließlich auf inklusive Schulentwicklung angewandt (Kapitel 3.1.3 und 3.2.3). Im 5. Kapitel werden kurze Fallbeispiele beschrieben. Von diesen ausgehend werden Leitsätze und Leitfragen formuliert, die aus systemischer Sicht in inklusiven Schulentwicklungsprozessen anregend wirken können. Es wird hier davon ausgegangen, dass die Arbeit mit Leitfragen im Kontext inklusiver Schulentwicklung besonders hilfreich sein kann. Diese Arbeitsweise hat sich beispielsweise als Arbeit mit dem»index für Inklusion«(Booth 2011; Boban u. Hinz 2003) an vielen Schulen als erfolgreiche Strategie für inklusive Schulentwicklung erwiesen (Hinz 2004; Brokamp 2012; Schwager u. Pilger 2013). Während die Indexfragen allerdings als geschlossene Fragen formuliert sind, werden hier im Buch durchgehend offene Fragen genutzt. Geschlossene Fragen geben die Antwortmöglichkeiten»Ja«oder»Nein«vor. Ein auf Reflexion 15

2 Inklusive Schulentwicklung hin angelegter Lernprozess wird damit auf eine Entscheidung begrenzt. Offene Fragen lassen dagegen unterschiedliche Antwortmöglichkeiten zu, entsprechen dem Verständnis der Selbstorganisation in Lernprozessen und sind grundsätzlich auf die Anregung von Reflexion angelegt. Für inklusive Schulentwicklung im systemischen Verständnis wird dieser Fokus als passend angesehen. 16