"Hasen halten ihr Wort." Reihaneh Youzbashi Dizaji: Hasenland 1 D 1 H (Doppelbesetzungen), Klassenzimmerstück ab 7 Jahren, UA: Comedia, Köln, 2012 Sara trödelt nach der Schule. Sie hat keine Lust, nach Hause zu gehen. Denn ihre Eltern sind entweder weg, streiten sich oder essen scheußlich gesunde Sachen aus dem Bioladen. Sara hasst die braunen Bioladentüten und sie liebt Chips! Auch Ayhan hat es nicht eilig, denn zuhause muss er auf seine Geschwister aufpassen. Überhaupt ist ihm seine Familie hauptsächlich peinlich, denn die Frauen tragen ständig Kopftücher und sein Vater kann kein Deutsch. Ayhan hasst es, deswegen ständig aufzufallen. So nähern sich Sara und Ayhan einander vorsichtig an, machen sich ein Spiel aus dem, was sie lieben und was sie hassen. In der kurzen Zeit zwischen Schulschluss und Heimweg, entdecken sie Ähnlichkeiten und Unterschiede. Sie erfinden eine eigene Welt, in der sie nicht mehr Junge und Mädchen, Deutsche und Türke sind, sondern Hasenfreunde im Hasenland. Doch dann ziehen Saras Eltern mal wieder um, wie immer, wenn sie gerade Freunde gefunden hat - nach Berlin, weit weg. Und Ayhan ist allein in Hasenland - bis Hamid kommt. Während die knappen, schnellen Dialoge spontan und kindlich wirken, sind sie äußerst kunstvoll geformt und geführt. Sie sind prägnant und lassen doch genügend Raum für Phantasie und Spiel. Gerade dadurch eröffnet das Stück die Möglichkeit, über Integration und Kultur jenseits von deterministischen Bildern und Zuschreibungen nachzudenken. Vor allem anderen sind Sara, Hamid und Ayhan drei Kinder, die einander wahrnehmen wollen, die im anderen nicht per se nur das Eigene (oder dessen Negation) suchen, sondern einfach einen Freund, mit dem sie in die Zukunft schauen wollen. Reihaneh Youzbashi Dizaji wurde 1983 in Täbriz im Iran geboren. Mit acht Jahren floh sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Nach ihrem Schauspielstudium lebt und arbeitet sie nun in Berlin. Ihre Erfahrungen am Theater beschränken sich jedoch nicht nur auf das Schauspiel; auch die intensive, pädagogische Arbeit mit Jugendlichen prägte sie in den ersten Jahren in Berlin stark. Durch die Idee zum Dokumentarfilm "Mein Paradies" angeregt, reiste die Autorin nach langer Abwesenheit in den Iran. Die Reise wurde auch zum Auslöser ihres ersten Theaterstückes "Stuttgart.Teheran", das in den chronos theatertexten erscheint. Aufführungsrechte beim Verlag für Kindertheater Weitendorf GmbH, Max-Brauer-Allee 34, 22765 Hamburg, www.kindertheater.de Tel: 0049 (0)40 607909-916 / E-Mail: kindertheater@vgo-kindertheater.de
Szene 1 Ich hasse Alditüten. Ich hasse Joghurt. Ich hasse Kopftücher. Ich hasse schwimmen. Ich hasse Türkisch. Ich hasse meinen Geburtstag. Warum denn das? Du hast verloren. Ach Mann, ok jetzt mit... Liebe! Ich liebe meine Mama, obwohl sie mich zwingt schleimigen Joghurt zu essen, nur weil da Kulturen drin sind. Ich liebe meine Oma, obwohl sie draußen Kopftuch trägt. Ich liebe baden in der Badewannen, obwohl das zu viel Wasser kostet. Wir haben keine Badewanne! Du hast wieder verloren. Ok, du hast gewonnen, ich hab sowieso keine Lust mehr. Was spielen wir jetzt? Nix, ich muss nach Hause. Jetzt schon? Ja, wir essen gleich. Darf ich mit zu dir? Nein. Warum denn nicht? Bei uns gibt es gleich Joghurt. Nur Joghurt. Ja, wir essen immer nur Joghurt. Kann ich mit dir laufen? Warum gehst du nicht nach Hause? Keine Lust. Ich muss gleich nach der Schule nach Hause. Warum hasst du denn Kopftücher? Das sieht doch voll dumm aus. Du musst doch gar keins tragen. Trag du mal eins, dann weißt du warum! Versteh ich nicht. 2
Wann hast du denn Geburtstag? In den Pfingstferien. Ach so, weil du dann gar keine Kinder zum Einladen hast? Nein, weil ich immer Öko-Kacke kriege. Was ist das denn? Na, was Gesundes. Spielen wir morgen wieder? Mal gucken. Szene 2 Ich hasse streiten. Ich muss nach Hause. Jetzt schon? Ja, Joghurt. Ich hasse Lügner. Lass mich in Ruhe. Du willst doch nur nicht wieder verlieren. Du hast doch nur Glück gehabt. Gar nicht, ich bin halt schlau. Bist du nicht, ich hab 'ne 2 in Mathe, du? Angeber hass ich auch. Ich spiel nicht. Ich auch nicht. Weinst du? Ich hasse mein Zuhause. Ich mag auch nicht zuhause sein, aber in der Schule können wir auch nicht bleiben. Komm, ich hab noch zwei Euro, wir kaufen uns Pommes. Das ist zu weit weg. Ich muss nach Hause, ich bekomm Ärger. Sara weint Das machen Frauen immer so, sagt mein Papa, wenn sie was nicht kriegen, dann weinen sie. Sara gibt Ayhan eine Ohrfeige Spinnst du? Das macht deine Mama sicher auch. Nein, bei uns darf man nicht schlagen. 3
Bei uns schon. Und dann trinkt man Wein. Ich muss mithelfen einkaufen. Ich hasse das. Wo geht ihr einkaufen? Na wo wohl, im dummen Aldi. Wir kaufen nur im Bioladen ein. Da gibt es doch die Papiertüten, die mag ich. Szene 3 Ayhan lacht Das ist für dich. Danke. Da kannst du jetzt die Aldi-Tüte rein packen. Gehst du wieder nicht nach Hause? Ich geh später, ist niemand zu Hause jetzt. Bei mir ist immer jemand zu Hause, immer immer immer. Kennst du das, wenn du allein bist, und du hörst dann gar gar gar nichts und dann musst du kacken? Warum hasst du Türkisch? Ich will nicht, dass jeder weiß woher ich komme. Aber das ist doch gut, dann weiß man sofort, dass es bei euch die gefüllten Weinblätter gibt. Woher kennst du die? Auf dem Schulfest gab es den türkischen Stand, war deine Mama auch dabei? Ja. Die so aussah wie 'ne Türkin. Nur Sülis Mutter ist cool. Die hat kein Kopftuch. Meine Mutter kann gar nicht kochen, alles schmeckt immer gleich. Immer immer immer. Und dann weint sie, wenn es nicht schmeckt. Bei uns gibt es jeden Tag was anderes. Aber meine Mutter betrügt, weil sie ganz viel kocht und dann friert sie das Übriggebliebene ein und dann macht sie eine Woche später das dann wieder warm. Ha,ha, Joghurt. Warum magst du nicht schwimmen? Das Wasser ist kalt. Ich hab 'ne 1 in Tauchen. 4
Angeber! Mein Papa hat meiner älteren Schwester verboten, schwimmen zu gehen. Dann ist mein Papa in die Schule gegangen und hat mit ihrer Lehrerin geredet und ich hab so getan, als wär er nicht mein Papa. Geht deine Schwester auf die Real? Ja, und dann hat er mir auf dem Schulhof was auf Türkisch zugerufen und ich bin rein gerannt. Der kann kein Deutsch. Ja, Deutsch muss man können, wenn man hier lebt. Ich muss gehen. 5