5. Das Splittingverfahren in der AHV bei Ehescheidung Ausgangslage: Nicht nur in der beruflichen Vorsorge, sondern ebenso im Bereich der ersten Säule (AHV/IV) wirkt sich eine Ehescheidung auf die zukünftigen Rentenleistungen aus. Im Gegensatz zum Vorsorgeausgleich der zweiten Säule sind die Scheidungsfolgen hinsichtlich der AHV/IV nicht im ZGB geregelt. Einschlägig sind allein die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen des AHVG und der AHVV. Die Scheidung wirkt sich hier in Form des sog. Splittingverfahrens aus. Dr. iur. Marc Hürzeler 1
Massgebende Grössen: Für die Berechnung der AHV/IV-Renten werden Beitragsjahre, Erwerbseinkommen sowie Erziehungs- oder Betreuungsgutschriften der rentenberechtigten Person zwischen dem 1. Januar nach Vollendung des 20. Altersjahres und dem 31. Dezember vor Eintritt des Versicherungsfalles berücksichtigt (Art. 29 bis Abs. 1 AHVG). Entscheidend für die Rentenhöhe sind somit: Beitragsjahre Erwerbseinkommen Erziehungsgutschriften Betreuungsgutschriften Dr. iur. Marc Hürzeler 2
Beitragsjahre: Als Beitragsjahre gelten Zeiten, In welchen eine Person Beiträge geleistet hat; In welchen der Ehegatte gemäss Art. 3 Abs. 3 AHVG mindestens den doppelten Mindestbetrag entrichtet hat; Für die Erziehungs- oder Betreuungsgutschriften angerechnet werden können. Die Beitragsdauer ist vollständig, wenn eine Person gleiche viele Beitragsjahre aufweist wie ihr Jahrgang (Art. 29 ter AHVG). Durchschnittliches Jahreseinkommen: Die AHV/IV-Rente wird nach Massgabe des durchschnittlichen Jahreseinkommen berechnet (Art. 29 quater AHVG). Dieses setzt sich zusammen aus: Den Erwerbseinkommen; Den Erziehungsgutschriften; Den Betreuungsgutschriften. Dr. iur. Marc Hürzeler 3
Erwerbseinkommen: Bei erwerbstätigen Personen werden diejenigen Einkommen berücksichtigt, auf denen Beiträge entrichtet wurden (Art. 29 quinquies Abs. 1 AHVG). Bei nicht erwerbstätigen Personen werden die Beiträge mit 100 vervielfacht, durch den doppelten Beitragssatz gemäss Art. 5 Abs. 1 AHVG geteilt und als Erwerbseinkommen angerechnet (Art. 29 quinquies Abs. 2 AHVG). Die Summe der Erwerbseinkommen wird mittels eines sog. Aufwertungsfaktors auf den Zeitpunkt des Rentenfalls aufgewertet (Art. 30 Abs. 1 AHVG; Art. 51 bis AHVV). Erziehungsgutschriften: Versicherten wird für diejenigen Jahre eine Erziehungsgutschrift angerechnet, in welchen ihnen die elterliche Sorge für eines oder mehrere Kinder zusteht, die das 16. Altersjahr noch nicht erreicht haben (Art. 29 sexies Abs. 1 AHVG). Ein Anspruch auf Anrechnung von Erziehungsgutschriften besteht auch für Jahre, in denen die Eltern Kinder unter Obhut hatten, ohne dass ihnen die elterliche Sorge zustand (Art. 52e AHVV). Dr. iur. Marc Hürzeler 4
Erziehungsgutschriften (Fortsetzung): Erziehungsgutschriften werden immer für ganze Kalenderjahre angerechnet. Während des Jahres, in dem der Anspruch entsteht, werden keine Gutschriften angerechnet, dafür werden im Jahr, in dem der Anspruch erlischt, Gutschriften angerechnet (Art. 52f Abs. 1AHVV). Die Erziehungsgutschrift entspricht dem Betrag der dreifachen minimalen jährlichen Altersrente im Zeitpunkt der Entstehung des Rentenanspruchs (Art. 29 sexies Abs. 2 AHVG). Haben Eltern die gemeinsame elterliche Sorge inne, so werden nicht zwei Gutschriften kumulativ gewährt! Bei verheirateten Personen werden die Erziehungsgutschriften während der Kalenderjahre der Ehe hälftig aufgeteilt. Geschiedene oder unverheiratete Eltern können schriftlich vereinbaren, welchem Elternteil die ganze Erziehungsgutschrift angerechnet werden soll. Ohne Vereinbarung wird die Erziehungsgutschrift hälftig geteilt (Art. 52f Abs. 2 bis AHVV). Dr. iur. Marc Hürzeler 5
Betreuungsgutschriften: Versicherte, welche im gemeinsamen Haushalt Verwandte in auf- oder absteigender Linie oder Geschwister mit einem Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der AHV oder der IV für mindestens mittlere Hilflosigkeit betreuen, haben Anspruch auf Anrechnung einer Betreuungsgutschrift. Verwandten sind Ehegatten, Schwiegereltern und Stiefkinder gleichgestellt (Art. 29 septies Abs. 1 AHVG). Zum Begriff des gemeinsamen Haushalts vgl. Art. 52g AHVV sowie BGE 129 V 349. Keine Betreuungsgutschrift wird gewährt, wenn für die gleiche Zeit ein Anspruch auf Erziehungsgutschriften besteht (Art. 29 septies Abs. 2 AHVG). Wie die Erziehungsgutschriften entsprechen auch die Betreuungsgutschriften der dreifachen minimalen jährlichen Altersrente im Zeitpunkt der Entstehung des Rentenanspruchs (Art. 29 septies Abs. 4 AHVG). Dr. iur. Marc Hürzeler 6
Individuelles Konto (IK): Für jede versicherte Person werden individuelle Konten geführt, in welchen die für die Berechnung der ordentlichen Renten erforderlichen Angaben eingetragen werden (Art. 30 ter Abs. 1 AHVG; Art. 137 AHVV). Die Eintragung in das individuelle Konto erfolgt in der Regel einmal jährlich (Art. 139 AHVV). Die Eintragung umfasst insbesondere: Die Versichertennummer; Das Beitragsjahr und die Beitragsdauer in Monaten; Das Jahreseinkommen in Franken; Die für die Festsetzung der Betreuungsgutschriften notwendigen Angaben. Dr. iur. Marc Hürzeler 7
5.b. Durchführung des Splittings Konstellationen der Einkommensteilung: Die Einkommensteilung (Splitting) wird vorgenommen, (Art. 29 quinquies Abs. 3 AHVG): Wenn beide Ehegatten rentenberechtigt sind (sog. zweiter Versicherungsfall) Wenn eine verwitwete Person Anspruch auf eine Altersrente hat; Bei Auflösung der Ehe durch Scheidung. Verfahren der Einkommensteilung: Die Einkommen von Ehepaaren werden in jedem Jahr, in dem beide Ehegatten in der AHV versichert gewesen sind, hälftig geteilt (Art. 50b Abs. 1 AHVV). Nicht geteilt werden die Einkommen im Jahr der Eheschliessung und im Jahr der Auflösung der Ehe (Art. 50b Abs. 3 AHVV). Dr. iur. Marc Hürzeler 8
5.b. Durchführung des Splittings Verfahren der Einkommensteilung (Fortsetzung): Wurde eine Ehe durch Scheidung aufgelöst, so können die Ehegatten gemeinsam oder jeder für sich die Vornahme der Einkommensteilung verlangen. Das Gesuch kann bei jeder Ausgleichskasse eingereicht werden, die für einen der Ehegatten ein individuelles Konto führt (Art. 50c AHVV). Wird das Gesuch um Vornahme der Einkommensteilung nur durch einen Ehegatten eingereicht, so stellt die Ausgleichskasse dem andern Ehegatten eine Mitteilung über das Gesuch zu. Sie fordert diesen auf, am Verfahren teilzunehmen und weist ihn auf die Folgen der Nichtteilnahme hin. Verzichtet der andere Ehegatte auf eine Teilnahme oder kann ihm die Mitteilung nicht zugestellt werden, so erhält nur der Ehegatte, der den Antrag auf Einkommensteilung gestellt hat, die Übersicht über seine individuellen Konten (Art. 50f AHVV). Bezieht jedoch ein Ehegatte bereits eine Rente, so ist das Verfahren auf Einkommensteilung von Amtes wegen durch die Ausgleichskasse einzuleiten, welche die Rente ausrichtet (Art. 50g AHVV). Dr. iur. Marc Hürzeler 9
5.b. Die Durchführung des Splittings Verfahren der Einkommensteilung (Fortsetzung): Die Ausgleichskasse, welche das Gesuch um Vornahme der Einkommensteilung entgegennimmt (auftraggebende Ausgleichskasse), beauftragt sämtliche Ausgleichskassen, welche individuelle Konten der Ehegatten führen (beteiligte Ausgleichskassen), die Einkommen während der Ehejahre aufzuteilen. Sie teilt den beteiligten Ausgleichskassen mit, für welche Jahre die Einkommensteilung vorgenommen werden muss (Art. 50d Abs. 1 AHVV). Die beteiligten Ausgleichskassen haben folgende Aufgaben: Für den Ehegatten ihres Versicherten ein neues individuelles Konto eröffnen, sofern noch kein solches vorhanden ist. Die Einkommen ihres Versicherten während der Kalenderjahre der Ehe hälftig aufteilen. Die Hälfte der Einkommen des Versicherten im individuellen Konto seines Ehegatten eintragen. Die auftraggebenden Ausgleichskasse eine Übersicht über die individuellen Konten beider Ehegatten zustellen. Dr. iur. Marc Hürzeler 10
5.c. Die Wirkungen des Splittings Das aufgrund der Einkommensteilung im individuellen Konto eingetragene Erwerbseinkommen gilt bei der Berechnung von später entstehenden Renten der AHV oder IV als eigenes Einkommen (Art. 50h AHVV). Dr. iur. Marc Hürzeler 11