Der Predigttext für diesen Sonntag steht im 1. Johannesbrief im 4 Kapitel. Dort heißt es:

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Transkript:

Prof. Dr. Christoph Dinkel Pfarrer Predigt über 1. Johannes 4,7-12+16 29. August 2010, 13.n.Trin. Stuttgart-Gaisburg und Christuskirche Stuttgart Schriftlesung: Lukas 10,25-37, Der barmherzige Samariter Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? 26 Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du? 27 Er antwortete und sprach:»du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst«(5.mose 6,5; 3.Mose 19,18). 28 Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben. 29 Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster? 30 Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halb tot liegen. 31 Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. 32 Desgleichen auch ein Levit: Als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber. 33 Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte er ihn; 34 und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. 35 Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir's bezahlen, wenn ich wiederkomme. 36 Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war? 37 Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen! Predigt über 1. Johannes 4,7-12+16 Der Predigttext für diesen Sonntag steht im 1. Johannesbrief im 4 Kapitel. Dort heißt es: Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen. [ ] Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.

Liebe Gemeinde! Es gibt Worte, die sind so groß, dass man ihren Bedeutungshorizont kaum erfassen kann. Das Wort Gott gehört dazu: 99 Namen Gottes kennt der Islam und auch die Bibel findet für Gott eine große Fülle anderer Namen: Licht, Quelle, Leben, Wahrheit, Weg, Anfang, Vater, Mutter, Erlöser um nur einige zu nennen. Ein anderes großes Wort ist das Wort Schmerz: Wie viele Lebenssituationen könnte man aufzählen, in denen Mensch oder Tier Schmerzen leiden? Krieg und Krankheit, Hunger und Eingeschlossensein wie die Bergleute in Chile, die Schmerzen einer Mutter bei der Geburt, Abschiedsschmerz. Wieviel Verzweiflung, wieviel Leid und wieviel Hoffnung klingt im Wort Schmerz an. Noch solch ein großes Wort: Liebe. Welch ein Horizont öffnet sich da: Große Gefühle des Verlangens und der Hingabe. Lust, Begehren und Leidenschaft. Große Gefühle der Zuwendung, der Fürsorge, des Helfenwollens. Erinnerungen werden wach an die Liebe der Eltern, an die Liebe der Freundin, des Freunds, der Frau, des Mannes, die oder den man liebt und die oder der einen wiederliebt. Große Gefühle gegenüber den eigenen Kindern, gegenüber anderen Menschen, gegenüber der Kreatur, Tieren und Pflanzen. Ich staune immer wieder, welch große Worte wir Menschen sagen können und welch ungeheuren Horizonte diese Worte eröffnen. Dabei hat jede Zeit ihre eigenen großen Worte, die sie bewegen. Friedrich Schiller zählt in seinem Gedicht Die Worte des Glaubens drei große Worte auf: Freiheit, Tugend und Gott. Diese Worte, so Schiller, sind dem Menschen nicht äußerlich, sie kommen aus seinem Inneren, sie verbürgen den Wert des Menschen. Die Zeit Schillers nennt man die Zeit des Idealismus. Gott, Freiheit, Tugend sind idealistische Worte. Welche Worte würde unsere Zeit wählen? Idealistisch gesonnen sind wohl nur noch wenige unter uns. War zu Schillers Zeit die Philosophie eine führende Macht, so ist es heute eher die Wirtschaft oder die allgegenwärtige Unterhaltungskultur. Welche Worte würden also unser Zeitalter charakterisieren? Spaß, Geld, Leistung wären das die passenden Worte? Kommt das aus unserem Innersten, wenn wir tief in uns hineinhören? Ich meine das gar nicht so kulturkritisch wie es sich anhört. Das Gegenteil von Spaß, Geld und Leistung wäre jedenfalls nicht wünschenswert. Wer wünscht sich schon Langeweile, Armut und Versagen? Das Gegenteil der Leistungsgesellschaft ist die Gesellschaft, die die Lebenschancen nach Herkunft und Stand zuteilt. Adelskulturen und Vetternwirtschaft sind das Gegenteil der Leistungsgesellschaft. Seien wir froh, dass diese Zeiten vorbei sind. Und traurig und steif ging es in diesem Land lange genug zu. Dass die deutsche Gesellschaft den Humor und den Spaß entdeckt hat und allmählich zur Kultur entwickelt, ist schon ein großer Gewinn. Mir jedenfalls ist Comedy lieber als preußischer Militarismus. Und ohne Geldwirtschaft, das liegt auf der Hand, könnten niemals sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten ernährt werden. Nur weil durch Geld der Warenaustausch schnell möglich ist, werden die meisten Menschen satt. 2

Gegen Spaß, Geld, Leistung ist also nicht wirklich etwas einzuwenden. Man kann allerdings hoffen, dass von unserem Zeitalter mehr als diese drei Worte in Erinnerung bleiben und dass uns heutige Menschen mehr erfüllt und bewegt als allein diese drei. Liebe um dieses große Wort geht es heute in unserem Predigttext. Der Apostel Paulus hat zu diesem Wort ein ganzes Lied in seinen 1. Korintherbrief eingefügt: Das 13. Kapitel dort, das Hohelied der Liebe. Es beginnt so: Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Ohne Liebe ist alles nichts. Jeder Wert, jedes noch so gute Bemühen ist ohne Liebe als Kraft dahinter hohl und leer. Erst die Liebe macht das Leben zu etwas Wunderbarem, von Gott Begnadetem, zu etwas Kostbarem. Das Hohelied des Paulus endet mit dem Satz: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Drei große Worte auch hier: Glaube, Hoffnung, Liebe aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Darin ist sich der Apostel sicher und darin ist er einig mit dem Verfasser des 1. Johannesbriefes: Die Liebe ist unter all den besonderen Worten noch einmal herausgehoben. Von keinem der anderen großen Worte würde man das sagen können, was es im Predigttext heißt: Gott ist die Liebe. Gott ist die Liebe der christliche Glaube lehrt mit diesem Satz eine nahe, eine erfahrbare Gottheit. Ein Gott, der Liebe ist, bleibt nicht fern und abstrakt. Er thront nicht unberührt über den Himmeln. Er geht vielmehr ein in die Welt, nimmt Teil an ihrem Leiden, ihrem Schmerz, wirkt mit an der Veränderung der Erde und ist gegenwärtig in jeder guten Tat der Menschen. Wo wir es heute mit den Dreierzahlen haben, will ich auf drei Formen hinweisen, in denen wir Gott als Liebe erfahren. Man könnte mehr nennen, aber heute sollen es drei sein: 1. Als erstes und am umfassendsten erfahren wir die göttliche Liebe in der Schöpfung als dem einen großen Lebensraum. Dass nicht Nichts ist, sondern dass die Welt da ist, dass sie eine Struktur und Ordnung hat, die Leben ermöglicht, das ist der kosmologische Aspekt der göttlichen Liebe. Die alten Schöpfungsmythen erzählen, dass Gott erst den Chaosdrachen besiegen musste, damit Leben überhaupt möglich wurde. Auch in der Bibel klingt dieser Mythos an. Denn im Anfang war das Tohuwabohu, das große Durcheinander, Luther übersetzt: die Erde war wüst und leer. Erst das göttliche Schöpferwort schafft aus dem Durcheinander Licht und Finsternis, Tag und Nacht, eine Welt, in der Leben möglich ist. Gott als der Schöpfer ist ein Liebhaber des Lebens und aller seiner Kreaturen. Gott der Schöpfer liebt jedes seiner Geschöpfe und zeigt das in seiner täglichen Fürsorge für unser Leben. Martin Luther beschreibt den Schöpfergott, der die Liebe ist, in seiner Erklärung zum ersten Artikels des Apostolischen Bekenntnisses so: 3

Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält, dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter; Mit aller Notdurft und Nahrung dieses Leibes und Lebens mich reichlich und täglich versorget, wieder alle Fährlichkeit beschirmet und vor allem Übel behütet und bewahret, und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit [ ]. An jede Einzelheit denkt Gott. Alles, was man zum Leben braucht, ist da in der Welt. Sie ist ein umfassender Lebensraum, voller Vielfalt und Lebendigkeit und darin Zeichen göttlicher Liebe. 2. Den Gott, der die Liebe ist, erfahren wir als Zweites auch in unserem Gefühl. Und dabei ist die Spannbreite an Gefühlen groß: Denn Liebe ist ein vielfältiges Gefühl. Liebe gibt es als Freundschaft, so wie Jesus mit seinen Jüngern befreundet ist, so wie Menschen mit anderen Menschen befreundet sind. Man ist einander vertraut, verbunden und zugewandt, weil man ähnlich empfindet, weil man eine Geschichte teilt, weil man dieselben Ideale verfolgt oder eine ähnliche Sicht auf die Welt hat. Freundschaft ist eine Form der Gegenwart göttlicher Liebe. Ehepaare, die miteinander in Liebe alt geworden sind, sind durch solch eine Freundschaft verbunden. Sie strahlen etwas wunderbar Vertrautes, Sonniges und Warmes aus. Aber auch die junge, stürmische, leidenschaftliche Liebe kann Ort der Gegenwart Gottes sein. Friedrich Schleiermacher schrieb 1799 in seinen Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern über solch einen Moment der Gotteserfahrung von Liebenden im Stil der Romantik: Flüchtig ist er [der Moment der Gotteserfahrung] und durchsichtig wie der erste Duft, womit der Tau die erwachten Blumen anhaucht, schamhaft und zart wie ein jungfräulicher Kuss, heilig und fruchtbar wie eine bräutliche Umarmung; ja nicht wie dies, sondern er ist alles dies selbst. (2. Rede, 89, Studienausgabe, KGA 221) Etwas schamhaft spricht Schleiermacher von der bräutlichen Umarmung. Er meint damit die menschliche Sexualität, die Freude am Körper und der Liebe des anderen, die gemeinsame Lust. Auch sie kann eine Form der Gotteserfahrung sein, eine Form der Gegenwart göttlicher Liebe. Welch Jammer, dass katholischen Priestern diese Form der Gotteserfahrung vorenthalten bleibt. 3. Eine dritte Form, in der wir Gott als Liebe erfahren, ist die Tat der Nächstenliebe. Jesus hat davon wieder und wieder geredet, er hat selbst Menschen geheilt und andere zum Helfen aufgefordert. Seine berühmteste Hilfegeschichte haben wir als Schriftlesung gehört: Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, der den unter die Räuber Gefallenen sieht und rettet. Geh hin und tue desgleichen, heißt die lapidare Schlussfolgerung Jesu: Wer tut, was der Samariter tut, in dem wirkt Gott. Und wer Hilfe erfährt, wie der, der unter die Räuber gefallen ist, der erfährt Gott. Gott ist in dieser Geschichte gar kein merkwürdiges Dahinter oder Darüber, jenseitig und fremd. Gott ist in dieser Geschichte einfach mittendrin als die Liebe, die zur Hilfe treibt, weil sie den Schmerz des Opfers sieht und mitempfindet. Die Augen des Samariters sind Gottes Augen und seine Hände sind Gottes Hände. Und wer dasselbe tut wie der Samariter, ist schon im Reich Gottes, der ist in Gott und Gott in ihm. 4

Denn darum geht es im Christentum am Ende doch, wenn Johannes in seinem Brief schreibt: Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. [ ] Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Amen. Pfarramt Christuskirche Gänsheidestraße 29 D-70184 Stuttgart Fon: 0049 (0) 711 / 240 715 Fax: 0049 (0) 711 / 232 740 E-Mail: pfarramt.stuttgart.christuskirche@elk-wue.de http://www.christuskirche-stuttgart.de 5