Ansprache / Gnade macht fröhlich Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? und Wie werde ich vor Gott gerecht? Das sind die Fragen, die Martin Luther lange Zeit sehr intensiv beschäftigten. Für ihn waren sie sehr persönlich und existentiell. Er stellte sie sich nicht nur aus rein theologischem Interesse sondern aus Angst. Aus Angst, vor Gott im Jüngsten Gericht nicht bestehen zu können und zur ewigen Verdammnis verurteilt zu werden. Aus Angst, dass alle seine guten Werke, seine Selbstkasteiungen, ja, selbst sein Leben als Mönch nicht ausreichen würden, Gott gnädig zu stimmen. Martin Luther teilte damit die Angst vieler Menschen der damaligen Zeit. In zahlreichen Predigten wurde die Angst vor der ewigen Verdammnis geschürt. Höllenszenen und die Qualen des Fegefeuers wurden in kleinen Theaterstücken plastisch dargestellt. Der Ablasshandel der Kirche blühte. Luther war jedoch zutiefst davon überzeugt, dass Gott sich nicht durch ein paar Münzen bestechen lässt. Aber wie konnte er Gott denn dann gnädig stimmen, wenn die eigenen guten Werke nie reichen würden und auch ein Ablassbrief keine Rettung bringen konnte? Luther studierte die Bibel, Wort für Wort. Dabei erkannte er etwas, was sein Leben und sein Gottvertrauen veränderte: Allein aus Gnade und durch
den Glauben wird der Mensch vor Gott gerecht und von der eigenen Schuld befreit. Gott schenkt seine Gnade nicht, weil der Mensch ihn gnädig stimmen kann, nicht, weil der Mensch versucht, gute Werke zu vollbringen, sondern weil Gott von sich aus gnädig ist. Gott hat sich entschieden, gnädig zu sein, und zwar nicht einem bestimmten Personenkreis, sondern allen Menschen. Das ist Teil des Wesens Gottes, das wir wahrscheinlich nie begreifen können. Für Luther war diese Entdeckung lebensweisend. Sie wurde ihm zur Gewissheit und brachte ihm Erleichterung, Gelassenheit und Lebensfreude. So konnte er sagen: Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade macht fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und alle Kreaturen. Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade : Zuversicht hat ihren Blick nach vorne gerichtet auf Gott. Er kommt uns in Jesus Christus entgegen. Zuversicht blickt vertrauensvoll in die Zukunft. Wir können das Leben mit allem, was es bringt, und so, wie es ist, aus Gottes Hand nehmen und voller Vertrauen der Zukunft entgegengehen; denn es ist Zukunft mit Gott. Zur Zuversicht kommt die Erkenntnis göttlicher Gnade. Auch wenn wir so manches im Leben falsch machen, so
ist doch Gottes Gnade stärker. Wir brauchen nicht ständig danach zu forschen, ob wir wirklich in allem gottgefällig leben. Gott vergibt uns durch seine Gnade. Sündige tapfer, hat Luther gesagt, aber nicht als Aufforderung, ein besonders liederliches Leben zu führen nach dem Motto: Gott wird s schon richten. Gemeint ist vielmehr die Erkenntnis, dass wir beim besten Willen und mit größter Anstrengung Gott nicht in allem gerecht werden können, aber das braucht uns nicht mutlos zu machen. Wir sollen und dürfen trotzdem zuversichtlich tun, was nach unserer Vorstellung getan werden muss, und ganz auf Gott und seine Gnade vertrauen. Diese Einsicht hat Folgen. Wer die Gnade Gottes als Realität erkannt hat und damit auch die Botschaft von seiner Liebe und seinen Angeboten, das Leben in Liebe zu sich selbst, zu seinem Nächsten und zu Gott zu gestalten, dessen Leben wird sich verändern. Dann werden gute Werke folgen. Diese sind also nicht die Voraussetzung, sondern die Konsequenz aus Gottes Gnadenzusage an den Menschen. Und dieses Geschenk macht fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und alle Kreaturen, wie Luther es ausgedrückt hat. Als ich vor vielen Jahren kurz vor meiner Konfirmation stand, ging es u.a. auch um einen Konfirmationsspruch für jeden einzelnen Konfirmanden. Wir hatten damals
zwei Möglichkeiten: Wir durften uns entweder einen Spruch aussuchen oder die Auswahl unserem Pfarrer überlassen. Ich entschied mich für das zweite Angebot; denn ich war neugierig und gespannt, was mein Pfarrer für mich als geeignet ansehen würde. Ein starkes Wort sollte es sein etwa... Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben... Aber ich sollte enttäuscht werden zunächst jedenfalls! Mein Spruch war der einfachste und unscheinbarste von allen. Er ist in der Bibel nicht einmal fett gedruckt. Im 5. Buch Mose (12,12) ist zu lesen: Ihr sollt fröhlich sein vor dem Herrn, eurem Gott. Ich kann nur sagen, mein damaliger Pfarrer wusste, was ich damals in der Nachkriegszeit und auch später am meisten brauchte. Dieses Wort hat mich schon oft aufgerichtet und wieder in die Spur gebracht. Wir haben als Christen wahrlich Grund zum Fröhlich-Sein! Der Autor und Kabarettist Hanns Dieter Hüsch hat einmal ein Gedicht geschrieben mit dem Titel Psalm, in dem er diese Fröhlichkeit eines Christen ausdrückt. (Ich lese den Text leicht gekürzt.) Ich bin vergnügt, erlöst, befreit Gott nahm in seine Hände meine Zeit Mein Fühlen Denken Hören Sagen Mein Triumphieren und Verzagen
Das Elend und die Zärtlichkeit Was macht dass ich so fröhlich bin in meinem kleinen Reich Ich sing und tanze her und hin vom Kindbett bis zur Leich Was macht, dass ich so unbeschwert und mich kein Trübsinn hält Weil mich mein Gott das Lachen lehrt wohl über alle Welt Trotzig sein ist in unserem heutigen Sprachgebrauch eher negativ besetzt. Trotzig sein heißt: jetzt erst recht! Wir sprechen bei Kindern von Trotzkopf und Trotzphase, einem Entwicklungsabschnitt, in dem das Kind seinen eigenen Willen entdeckt und sich den Erwachsenen widersetzt. Zu Luthers Zeit war die Bedeutung von trotzig nicht negativ. Es meinte eher: mutig, zielstrebig, selbstbehauptend. In der alten Redewendung zum Schutz und Trutz klingt es noch an: einerseits die helfende und andererseits die standhafte, ja kämpferische Seite, z.b. in einem Bündnis. Die Haltung, die Luther in seinem Spruch mit trotzig und lustig gegen Gott beschreibt, ist vielleicht vergleichbar mit der Haltung eines Kindes, das sich der Liebe und der Verlässlichkeit seiner Eltern absolut sicher sein kann, so sicher, dass es angstfrei auch Fehler
machen darf. Es muss nicht befürchten, in Ungnade zu fallen oder mit Liebesentzug bestraft zu werden. Es kann seinen Eltern gegenüber selbstbewusst, offen und unbekümmert sein fröhlich und lustig, wobei lustig bei Luther zugleich auch meint: mit Lust, also bereitwillig, motiviert. Ebenso dürfen wir mit Gott umgehen: frei, ungezwungen und selbstbewusst. Und dieser Stand, den wir bei Gott haben, die Tatsache, dass wir uns Gottes sicher sein dürfen, macht uns zugleich frei und mutig gegenüber allen Kreaturen, also im Blick auf die Welt und unsere Mitmenschen. All das hat seinen Grund in der Zuversicht, in der Hoffnung und in der Gewissheit, dass Gott uns gnädig ist, es gut mit uns meint und seine Hand über uns hält. AMEN