Fotopraxis Aufgabe und Lösung 1 Makro Special Makro- Manie Makro-Schärfe-Dehnung. Image Stacking mit der Helicon Focus Software: Maximilian Weinzierl zeigt, wie Sie den Makro-Raum durchscannen, konsistente Aufnahmen mit unterschiedlichen Fokuspunkten herstellen und diese dann von der Software automatisch zu einem einzigen Bild mit einer riesigen Schärfedimension zusammenrechnen lassen. 64 ColorFoto 10/2010 Fotos: Maximillian Weinzierl www.colorfoto.de
Abb. 1: Die Fliege ist eine leblose Mumie, die mittels Pinsel vorher entstaubt wurde. Abb. 2: Das wandelnde Blatt befindet sich gerade in der Ruhephase, lediglich die Fühler bewegen sich unmerklich. 2 ColorFoto 10/2010 65
Fotopraxis Aufgabe und Lösung Bei Makroaufnahmen ist Schärfe immer das vordergründige Thema. Da aufgrund der physikalischen/optischen Gegebenheiten im Makrobereich auch bei Verwendung einer kleinsten Blendenöffnung und der daraus resultierenden größten Schärfentiefe nur jeweils ein Millimeterbereich scharf wiedergegeben werden kann, ist die Abbildung eines dreidimensionalen Objekts normalerweise mit Schärfekompromissen verbunden. Bei den Insektenbildern der vorhergehenden Doppelseite würde man bei der konventionellen Makrofotografie die Schärfe auf die Augen konzentrieren, bei den Blüten auf die Staubgefäße, den Stempel etc. in keinem Fall aber würde man das gesamte kleine Objekt mit Schärfe überall Abb. 3: Die Kamera wird in Mikroschritten auf dem Einstellschlitten verschoben und ausgelöst. Abb. 4: Der Junikäfer bewegt seine Vorderbeine und die Fühler, was jeweils den Neubeginn der Serie notwendig macht. darstellen können. Wenn wir kleine Objekte jedoch direkt betrachten, z. B. mit einer Lupe, dann haben wir den Eindruck, dass alles scharf ist. Wie kommt das? Unser Sehapparat (das Zusammenspiel von Auge und Gehirn) bedient sich eines Tricks: Das Auge, das zunächst ja schärfeunzulänglich wie eine Kamera funktioniert, springt von Punkt zu Punkt und stellt scharf, tastet also den Gegenstand in Schärfepunkten ab, das Gehirn lässt uns aufgrund dieser einzelnen Schärfeinformationen ein überall scharfes Bild empfinden. Image Stacking Beim Image Stacking oder auch Focus Stacking oder Extended Depth of Focus (extended DOF) wird aus mehreren Bildern, in denen jeweils die Schärfeebene verlagert wird, ein Gesamtbild errechnet, das alle Objektregionen gleichermaßen scharf abbildet. Damit kann im Makrobereich eine extreme Schärfedimension realisiert werden. Abb. 5: Millimetergroßer Blütenzweig des Heidekrauts; auf den zweiten Blick: Mini-Fangspinne. Abb. 6: Waldrebe durchgehend scharf aus 32 Einzelbildern zusammengesetzt. Abb. 7: Das Maul der Venus- Fliegenfalle: die drei Kontaktstifte im Innern, die bei Berührung den Schließmechanismus auslösen. Ablauf der Aufnahmeserie Unabdingbares Zubehör ist ein solider Einstellschlitten (Abb. 3) zur präzisen Schärfeverlagerung in Mikroschritten. Es gibt mehrere Möglichkeiten des Stackings, ich habe für mich folgende Arbeitsweise entwickelt: Zuerst stelle ich die Schärfe auf den entferntesten Punkt des Objekts ein (in Abb. 2, oben), diesen Punkt merke ich mir auf der Skala des Einstellschlittens (Kasten); dann wird der Nahpunkt (Abb. 2, unten) ermittelt. Von diesem Nahpunkt aus drehe ich den Schlitten in kleinsten Schritten zum Fernpunkt zurück. Die Schritte kontrolliere ich 3 4 66 ColorFoto 10/2010 www.colorfoto.de
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Fotopraxis Aufgabe und Lösung Abb. 8: Gegen Zittern: Blüten sollten vom Rest der Pflanze abgetrennt und stabilisiert werden; hier im umgeknickten, mit Wasser gefüllten Trinkhalm, von einer Federklammer gehalten; Blüte fixiert mit Hamaplast. Abb. 9: Doppelkonturen aufgrund der Fühlerbewegung werden leicht mit dem Stempelwerkzeug entfernt. Abb. 10: Das Einstellmenü der Helicon Focus Software, Versionen. Abb. 11: Hier war die Software überfordert. Problematische Konturen werden retuschiert. Abb. 12: Helicon Focus schrittweiser Aufbau der Schärfeebenen aus den Einzelbildern. Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 anhand der Skala, d.h. ich brauche während der Aufnahme der Bilderserie nicht durch den Sucher zu blicken und kann mich voll auf die Verstellung des Schlittens konzentrieren. Nach jedem Schritt erfolgt eine Aufnahme; automatisch, da ich die Kamera auf Intervallsteuerung stelle und diese im Abstand von einigen Sekunden je ein Bild macht. Im Zeitraum dazwischen drehe ich die Rädelschraube jeweils einen Schritt weiter. Es versteht sich von selbst, dass Ausschnitt, Blende und Blitzleistung während einer Serie konstant bleiben sollten; und auch das Motiv selbst darf sich möglichst nicht bewegen. Damit ist man beim Stacking eigentlich auf leblose Motive beschränkt. Insekten Insekten wirken ganz besonders unheimlich und fremdartig, wenn sie überdimensional groß und überall scharf abgebildet werden. Aber wie bringt man sie zum Stillhalten? Gut, man kann tote Insekten fotografieren, wie hier die Fliege (Abb. 1), die ich als vertrocknete Mumie am Fensterbrett gefunden habe. Ich meine aber, man sieht es den Fotos an, ob die Darsteller noch leben. Das Wandelnde Blatt (Abb. 2) befand sich, nachdem es ausgiebig gegessen hatte, gerade in der Ruhephase. Allerdings bewegte es ganz langsam und für den Betrachter nicht wahrnehmbar die Fühler (Abb. 9); kein Problem, die entstehenden Doppelkonturen lassen sich leicht mit dem Stempelwerkzeug beseitigen. Der Junikäfer (Abb. 4) lag zwar schon in seinen letzten Zügen, ich hatte ihn auf der Straße im Rinnstein gefunden, trotzdem zuckten manchmal die Vorderbeine und Fühler leicht auf. Da hilft nur eins: die Serie nochmal von vorne beginnen. Beim Junikäfer hatte die Software wahrscheinlich aufgrund der allzu vielen haarigen Details teilweise Probleme mit dem Übergang von den Beinkonturen zu den Borsten (Abb. 11); das eindrucksvolle Gesamtergebnis rechtfertigt aber den Aufwand der nachträglichen Pho- 68 ColorFoto 10/2010 www.colorfoto.de
toshop-retusche, z.b. mit einem der neuen dynamischen Pinselwerkzeuge in CS5. Pflanzen und Blüten Mit Pflanzen und Blüten geht s leichter; wenn sie ausreichend fixiert sind (Abb. 8), wie dieses Heidekraut (Abb. 5), dessen Blüten nur millimetergroß sind, gelingen überall scharfe Bilder meist auf Anhieb. Dass eine kleine Fangspinne unter den Blüten sitzt, habe ich erst im zusammengebauten vergrößerten Bild bemerkt. Um die Blüte der Waldrebe (Abb. 6) durchgehend scharf darzustellen, waren 32 Einzelbilder notwendig. Die in Wirklichkeit nur 4 cm große Blüte erscheint auf dem Bild wegen der durchgehenden Schärfe riesig groß, so etwa müsste eine Biene den Landeplatz sehen. Die fleischfressende Pflanze (Abb. 7) wird zur Riesenfalle; die drei Kontaktstifte, die bei entsprechender Berührung durch ein Insekt den Schließmechanismus auslösen, lassen sich gleichzeitig scharf darstellen. Die Software Helicon Focus Nachem die Helicon Focus Software gestartet wurde (Abb. 12), werden einfach die Bilder einer Serie auf das rechte Fenster gezogen. Nach dem Klick auf den Rendern -Button kann man im Grafikfenster zusehen, wie Schritt für Schritt die Schärfeebenen aus den Einzelbildern aufgebaut werden. Die Standardwerte liefern in der Regel bereits gute Ergebnisse; ist man nicht zufrieden, kann mit individuellen Einstellungen weiterexperimentiert werden, wobei das Programm die jeweils früheren Ergebnisse behält und in einem eigenen Fenster aufführt (Abb. 10), so dass man jederzeit zurückkehren kann. Maximilian Weinzierl Kommentar Maximilian Weinzierl Fotograf und Bildbearbeitungsexperte Eigentlich kann Makro Image Stacking nur bei Motiven funktionieren, die stillhalten; bei lebenden Objekten ist die Aufnahme der Bilderserie schon eine Herausforderung, und das errechnete Bild muss oft noch nachgebessert werden aber die resultierenden Ansichten sind sensationell. Zum Junikäfer-Bild gibt s ein Filmchen auf YouTube. Geben Sie in die Suche ein: Maximilian Weinzierl Junikäfer. Tipps Stabiles Stativ Verwenden Sie das stabilste Stativ, das Sie haben; möglichst ohne den Auszug der Stativbeine oder der Mittelsäule. Das ist umso wichtiger, je kleiner die in Serie zu fotografierenden Objekte sind. Einstellschlitten Der Einstellschlitten transportiert die Kamera in Mikroschritten weiter. Eine gut ablesbare Einstellskala erleichtert die Präzision der Einstellschritte und das Merken von Anfang und Ende der zu durchfahrenden Schärfedistanz. Konstantes Licht Schalten Sie die Blitzautomatik aus, und regeln Sie die Lichtmenge manuell. Beachten Sie die Ladezeiten der Blitzgeräte, so dass jedes Bild mit der absolut gleichen Lichtmenge belichtet wird und in der Serie keine Helligkeitsunterschiede auftreten. Auslösung Die Auslösung der Serienbilder geschieht am besten mit einer Intervallschaltung. Sollte Ihre Kamera über keine verfügen, so sollte zumindest ein Kabelfernauslöser verwendet werden, um Verstellungen zu vermeiden. Bodenbeschaffung Das beste Stativ nützt nichts, wenn es auf einem ungeeigneten Boden steht. Ein schwingender Parkettboden kann das ganze Vorhaben scheitern lassen. Besser ist ein Stein- oder Fliesenboden; noch besser: zusätzliches Beschweren mit Gewichten. ColorFoto 10/2010 69