Gottesdienst am Ostermontag, Stiftskirche Tübingen Pfarrer Michael Seibt

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Transkript:

Gottesdienst am Ostermontag, 6.4.2015 Stiftskirche Tübingen Pfarrer Michael Seibt EG 110, 1-6 die ganze Welt Wochenspruch: Christus spricht: Ich war tot und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle. Seien Sie herzlich gegrüßt zu diesem Ostergottesdienst. Die Ostergeschichte, die heute im Mittelpunkt steht, handelt von Trauer und Enttäuschung und wie daraus am Ende etwas Neues entsteht. Psalm 146, EG 757 Gebet: Wir preisen dich, Quelle des Lebens. Du lässt das österliche Licht aufgehen in den Dunkelheiten unserer leidvollen Gedanken. Schaffe du Licht in unseren Herzen, dass wir leben in dir. Wir preisen dich, Christus, du bist der Mensch, in dem Gottes Geist wirkt. So hast du auch für uns Leben und ewige Freude ans Licht gebracht. Wir preisen dich, heiliger Geist, du bist die Lebensenergie, die immer wieder in den Geschöpfen zur Welt kommt und Gestalt annimmt. Wir danken dir, Licht aus ewigem Licht, Sonne dieser und aller kommenden Welten. Lasst uns angesichts des österlichen Geheimnisses schweigen. Lobe den Herrn, meine Seele. Lesung: Jesaja 25, 6-9 NL 66, 1-3 Leben aus der Quelle Predigt Lk 24, 13-35 Liebe Gemeinde, es gibt Begegnungen, die prägen. Sie verändern die Sicht. Von einer solchen Begegnung erzählt das heutige Osterevangelium. Es handelt von zwei Menschen, die miteinander einen Weg gehen. Im Gehen kommen sie ins Gespräch. Die beiden stecken in einer tiefen Krise. Sie waren Zeugen einer Tragödie, die sich in Jerusalem ereignet hatte. Die Kreuzigung Jesu. Davon reden sie auf dem Weg. In Jerusalem halten sie es nicht mehr aus. Die Hauptstadt der Religion, in der alle mit ihren Meinungen Recht behalten wollen und sich dafür auf Gott berufen, ist Schauplatz einer völlig uninspirierten, religiös und politisch motivierten Gewaltorgie gewesen. Die beiden verlassen die Stadt der Theologen, Schriftgelehrten und Priester und machen sich auf den Weg in ein abgeschiedenes Dorf namens Emmaus. Sie gehen in die Stille, sie suchen die äußere und innere Abgeschiedenheit. Mir scheint, der Weg dieser beiden ist auch der Weg vieler Menschen heute, die sich von den Religionen enttäuscht abwenden. Lukas 24, 13-16: Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa zwei Wegstunden entfernt; dessen Name ist Emmaus. Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten. Und es geschah, als sie so redeten und sich miteinander besprachen, da nahte sich Jesus selbst und 1

ging mit ihnen. Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten. Während sie also gingen und sich von der Seele redeten, was sie bedrückte, geschah etwas, was Lukas nur in der sprachlichen Form einer Vision oder einer Offenbarung beschreiben kann. Es geht nicht um tatsächliche Ereignisse, wenn er erzählt: Da nahte sich Jesus und ging mit ihnen. Es ist vielmehr so, dass sich in diesen beiden Menschen eine Veränderung ihrer Sichtweise anbahnt. Doch ihre Augen waren gehalten, das bedeutet, sie nehmen das noch nicht wahr. Sie stehen noch ganz am Anfang ihrer Wandlung. Ihre Gedanken sind noch von den furchtbaren Ereignissen in Jerusalem in Beschlag genommen. Auf dem Weg nach Emmaus bekommt die Wirklichkeit wieder eine Chance, zu erscheinen. Sie wird nicht mehr verdeckt durch die Brutalität der Fakten und durch das angestrengte Nachdenken, wie denn das alles zu verstehen sei. Das Ergebnis solcher theologischer Grübeleien sind rationale Erklärungen, warum es geschehen musste und welch tieferer Sinn darin stecken könnte. Wem hilft das? Den beiden Trauernden sicher nicht. Es gibt keine Erklärung für die brutale Gewalt, außer vielleicht der, dass der Geist der Täter völlig verwirrt war, als sie sich auf Gott beriefen und zugleich folterten und töteten. Indem die beiden so gehen auf ihrem einsamen Weg nach Emmaus, tritt die göttliche Wirklichkeit an sie heran. Sie trägt in dieser Geschichte den Namen Jesus. Lukas 24, 17: Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. Die behutsame Frage, was es denn ist, was die beiden beschäftigt, ist die Einladung, mit ihrer Trauer einfach da zu sein. Sie reagieren sogar körperlich auf diese Einladung: Sie bleiben stehen, traurig, aber immerhin, das Stehen signalisiert: Sie können sich jetzt erlauben, einfach nur zu dazustehen mit ihrer ganzen Traurigkeit ohne irgendeinen Gedanken dazu. Jetzt ist gerade tiefe, tiefe Traurigkeit. Manchen Menschen geht es auch so. Sie haben das Gefühl, nicht mehr weitergehen zu können. Bestimmte Ereignisse in ihrem Leben und die Trauer haben sie so überrannt, dass der Weg nicht mehr weiter zu führen scheint. Sie fühlen sich am Ende. Also stehen sie. Spüren sich selbst und lassen zu, was ist. Dieses Zulassen ist aber etwas anderes, als den Dingen einfach nur ausgeliefert zu sein. Sie sind ganz präsent, ganz da, sie schieben nichts beiseite. Sie lassen die Erfahrung zu, nicht mehr weiter zu wissen. Dabei merken sie, dass das möglich ist. Fast staunend erfahren sie, dass man leben kann, ohne zu wissen, wie es weitergeht; ohne etwas tun zu können; mit aller Theologie am Ende zu sein. Das geht. Also sind sie einfach ganz das, was jetzt ist. Das ist Meditation. In der Stille kreisen die Gedanken und im nun folgenden Krisengespräch und platzt es aus ihnen heraus: 2

Lukas 24, 18-24: Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist? Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Taten und Worten vor Gott und allem Volk; wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist. Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. Und einige von uns gingen hin zum Grab und fanden's so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht. Ich verstehe dieses Gespräch mit Jesus als Dialog mit der inneren Wirklichkeit in diesen beiden Menschen. Der Name Jesus ist hier Platzhalter für etwas, das immer da ist und immer mitgeht. Kleopas fängt an, mit dieser göttlichen Präsenz in ihm selber ein Gespräch zu führen. Das wird mit Einfühlung und feiner Ironie erzählt. Kleopas fragt voll trauriger Empörung, ob denn die göttliche Wirklichkeit namens Jesus nichts mitbekommen hat von den Ereignissen in der theologischen Hauptstadt, in Jerusalem. Jesus gibt sich uninformiert und fragt: Was denn? Und nun erzählen die beiden die ganze Geschichte dem Jesus in ihnen, der alles aus eigener Erfahrung kennt: die Kreuzigung, das Unrecht, die enttäuschten Hoffnungen auf endgültige Erlösung. Und nun sei bereits der dritte Tag und dann gebe es da auch noch ein paar Frauen, die davon sprechen, dass sein Leib nicht mehr im Grab sei und Engel seien ihnen erschienen, die sagen, er lebe. Und einige hätten das überprüfen wollen, seien zum Grab gegangen, fanden es leer, aber von ihm selbst sei weit und breit nichts zu sehen gewesen. Hier sieht man, wie der Glaube an bestimmte erlösende Ereignisse in der Zeit in die Krise gerät. Die brutale Kreuzigung bedeutet das Ende aller religiösen Hoffnungen und Illusionen. Es hat gut angefangen, aber das Ende ist bitter und enttäuschend. Es ist hart, in der Wirklichkeit anzukommen. Aber nun begegnen die beiden Trauernden einer Wirklichkeit ohne Raum und ohne Zeit. Dafür steht das leere Grab. Der verstorbene Jesus hat keinen Ort mehr in der Welt. Er hat keinen Körper und auch den Leichnam gibt es nicht mehr. Er nimmt den Weg aller Dinge und zerfällt zu Staub. Jesus lebt kein verlängertes Leben nach dem Tod. Es ist wirklich ein Ende. Und zugleich ist dieses Ende auch ein Anfang. Nun wird die Stimme der göttlichen Wirklichkeit in den beiden Trauernden deutlicher: Lukas 24, 25-27: Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war. 3

Niemand hat versprochen, Gott kenne kein Leid. Das kann man auch nachlesen in der Schrift, wenn man das möchte. Interessant ist, dass die Stimme Jesu in den beiden Trauernden jetzt von der Trägheit spricht. Vielleicht wollen die beiden gar nicht wirklich raus aus ihrem Loch? Die Trauer kann auch so etwas wie eine Komfortzone sein. Man kann einen Gewinn davon haben, enttäuscht und traurig zu sein. Dann darf man sich ersparen, selber aufzustehen. Alles darf so deprimierend bleiben wie es ist. Nur: Ostern verpasst man dann leider. Lukas 24, 28-31: Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen. Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen. Der Jesus in den beiden schickt sich kurz vor dem Ziel an, die Enttäuschten zu verlassen. Doch die wachen jetzt auf. Bleibe bei uns. Das heißt, sie haben sich nun lange genug vergraben und versteckt. Nun reift die Erkenntnis, dass sie nicht länger an der Meinung festzuhalten brauchen, bestimmte Dinge hätten nicht passieren dürfen. Warum musste Jesus leiden? Weil er gelitten hat. Weil es einfach so war. Weil leidvolle Gedanken die Passion hervorbrachten. Weil Frustration, Angst und enttäuschte Hoffnungen die Gewalt eskalieren ließen. Es bleibt den Theologen in Jerusalem und anderswo vorbehalten, ein Gebäude aus Gedanken zu entwerfen, das diesen Tod als göttliche Notwendigkeit deuten wird. In Emmaus geschieht etwas anderes. Da erkennen zwei Menschen sich selbst. Und indem sie sich selbst erkennen, erkennen sie Gott. Ihre Einsicht kommt aus einer unmittelbaren Wahrnehmung Gottes im eigenen Herzen. Darum bitten sie Jesus, bei ihnen zu bleiben. Doch die göttliche Präsenz war nie weg. Sie sind jetzt nur offen und bereit dafür. Das macht am Ende des Wegs den Unterschied. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. Sie brechen das Brot. Sie verleiben sich Gott ein. Sie werden in ihn hinein verwandelt. Daraufhin verschwindet Jesus, bzw. die Vision ist zu Ende. Weg ist er nicht Das Kreuz bleibt enttäuschend. Aber muss man zum Trost nach Jerusalem zu den Religionen pilgern, die die Menschen spalten und dort eifersüchtig über ihre Pfründe wachen? Hatte Jesus nicht den Tempel- und Religionsbetrieb handfest kritisiert? Man kann Religion verabschieden und darf Spiritualität entdecken. Nicht in Jerusalem, in Emmaus gehen ihnen die Augen auf. Lukas 24, 32-35: Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete? Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig 4

auferstanden und Simon erschienen. Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, als er das Brot brach. Dieses Erwachen erfahren sie als ein Brennen im Herz. Also durchaus körperlich. Da ist plötzlich eine innere Glut. Die beiden sind nicht mehr dieselben. Sie stehen nun selbst auf, sagt unsere Geschichte. Sie kehren sogar nach Jerusalem zurück. Sie überlassen die Auferstehung nicht dem Leichnam Jesu. Ihr Bewusstsein, ihre Sichtweise haben sich verändert. Jerusalem ist und bleibt eine Brutstätte religiöser und politischer Gewalt. Emmaus, das Dorf, das kein Israeltourist kennt, wird zum Ort einer inneren Erleuchtung, die die Menschen mit der göttlichen Wirklichkeit, dem Grund ihres Seins, verbindet und eint. In Jerusalem erzählen sie, was auf dem Weg nach Emmaus geschehen ist. Ob sie es dort verstehen werden? Nicht ausgeschlossen, dass sich die Passion wiederholt. Aber nötig wäre das nicht. Amen. NL 30, 1-4 Durch das Dunkel hindurch Gebet: Du, der du dich finden lässt auf den Wegen abseits der fertigen Antworten, der aufleuchtet an Orten wie Emmaus, dich bitten wir: Nimm uns immer wieder beiseite, dass wir den einfachen Antworten, die Sicherheit versprechen nicht auf den Leim gehen. Nimm uns an mit der Trauer und Enttäuschung über so viel Leid und Ungerechtigkeit, die Menschen über Menschen bringen. Halte es mit uns aus, wenn wir ratlos sind. Geh mit uns den Weg. Leuchte du auf als das Licht, das die Nacht unserer leidvollen Gedanken vertreibt, die uns glauben machen wollen, die Welt sei so, wie wir denken. Unterbreche uns auf dem Weg der Traurigkeit, stelle deine Fragen, brich mit uns das Brot. Öffne uns das innere Auge dafür, dass du längst vor deiner Geburt, längst vor deinem Tod auferstanden bist und lebst als Gottes Gegenwart in allen Dingen. Lass uns das Grab immer wieder leer finden und in dieser Leere die Fülle deiner Möglichkeiten erkennen, wie sich das Leben entfalten kann. Lass uns teilnehmen an der Kreativität des Lebens mit dem, was unser Beitrag dazu sein kann. 5

Lass uns aufstehen, hier und jetzt. Vaterunser NL 11 Christus dein Licht (4x) Segensstrophe: EG 99, 1-3 Christ ist erstanden 6