EINÜBUNG UND WEISUNG. Gespräche mit dem Einsiedler. Anstelle eines Vorwortes

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Transkript:

EINÜBUNG UND WEISUNG Gespräche mit dem Einsiedler Anstelle eines Vorwortes Hast Du das Manuskript gelesen, das ich Dir zukommen ließ?", fragte die Schriftstellerin den Einsiedler bei einem Besuch. - Ja", antwortete er. Und was denkst Du darüber?", fragte sie. - Daß ich ein gänzlich ungeeigneter Kritiker bin", sagte der Einsiedler. Bitte, sag mir, was Du denkst", bat die Schriftstellerin. - Der Einsiedler, über den Du schreibst, ist ein Klischee", sagte der Einsiedler. Er hat mit wirklichen Einsiedlern nicht viel gemein." Du hast recht", sagte die Schriftstellerin. Auch wenn ich das Klischee eine Urgestalt nennen würde." - Urgestalten sind im Mythos zuhause", sagte der Einsiedler. Auch damit hast Du recht", erwiderte die Schriftstellerin. - Warum schreibst Du nicht über die Wirklichkeit?", fragte der Einsiedler. In der Wirklichkeit nehmen die Menschen oft nur die Oberfläche des Lebens wahr", antwortete die Schriftstellerin. Im Mythos aber sehen sie auf den Grund des Lebens und schauen dort ihr Herz." - Was Du schreibst, gerät auf diese Weise vereinfacht", sagte der Einsiedler. Dein Einsiedler gleicht einer Schablone, und manches von dem, was er sagt, widerspricht sich sogar." In der Tiefe unserer Herzen gelten nicht die Gesetze der Logik", sagte die Schriftstellerin. Du müßtest das doch wissen." - Gewiß", erwiderte der Einsiedler, ich frage mich nur, ob die Menschen bereit sind, der Sprache des Herzens zu folgen." Du weißt, wie sehr die Menschen auch heute nach Gott suchen", sagte die Schriftstellerin. - Glaubst Du, Dein Buch wird ihnen helfen, Ihn zu finden?", fragte der Einsiedler. Glaubst Du es?", fragte die Schriftstellerin. - So Gott will", antwortete der Einsiedler. Allein so Gott will."

Einübung und Weisung 380 Über das Beten Ich meditiere und bete und frage bei allem, was ich tue, nach Gottes Willen", sagte der junge Mann, während er dem Einsiedler beim Holzhacken zusah, aber ich habe das Gefühl, das alles genügt noch nicht. Es ist, als fehle meinem Leben die Lebendigkeit und meinem Glauben Gott." - Da richtete sich der Einsiedler auf und sagte: So hat sich schon einmal ein junger Mann gefühlt. Er hatte das große Glück, Jesus selbst fragen zu können und nicht mit einem Einsiedler vorliebnehmen zu müssen." Ich weiß", entgegnete der junge Mann, aber die Antwort, die Jesus damals gegeben hat, bringt mich nicht weiter. Du weißt doch, ich habe keinen Besitz, kann also nichts verkaufen, nichts verschenken. Das Wenige, was ich habe, brauche ich zum Leben." - Wenn Dir trotz all Deiner Mühen Gott fehlt, warum betest Du dann noch?", fragte der Einsiedler und begann von neuem, auf das Holz einzuschlagen. Das kannst Du doch nicht ernst meinen", rief der junge Mann empört. Das Beten ist mir wichtiger als anderen Menschen ihr ganzes Vermögen. Die Meditation ist mir ein kostbares Gut. Und nach Gottes Willen zu fragen, ist mir mehr wert, als alle Anerkennung und gesellschaftliche Achtung." - Na also", sagte der Einsiedler da zwischen zwei Schlägen. Als sie ins Haus gingen, war der junge Mann nachdenklich geworden. Meinst Du wirklich, ich soll all das aufgeben, was mich zu Gott tragen sollte?" - Ja, gib alles auf, was Dich zu Gott tragen soll. Es trägt Dich nämlich nicht. - Er allein trägt. " Ich soll also ab heute abend nicht mehr beten - sprich es ganz deutlich aus", drang der junge Mann auf den Einsiedler ein. - Ja, Du sollst ab heute abend nicht mehr beten. Setz Dich hin wie gewohnt. Aber laß Gott in Dir beten, laß Ihn in Dir zur Ruhe kommen, wenn Du meditierst." Und wo liegt der Unterschied?", begehrte der junge Mann noch einmal auf. - Den Unterschied wirst Du nur im Tun verstehn", antwortete der Einsiedler. Geh und versuch's." Und wenn ich es nicht kann", fragte der junge Mann noch einmal zurück. - Du mußt es nicht können", sagte der Einsiedler. Denk daran: Gott allein trägt."

Einübung und Weisung 381 Über den Hochmut Ich habe mich entschlossen", sagte der Mönch, mein Kloster zu verlassen und wie Du als Einsiedler zu leben." - So hast Du also festgestellt", erwiderte der Einsiedler, daß Du die Brüder im Kloster mehr liebst als Gott und daß Du ihre Nähe mehr suchst als Die Nähe Gottes." Aber im Gegenteil", fiel ihm der Mönch ins Wort. Ich habe festgestellt, daß die Brüder mich hindern auf meinem Weg zu Gott. Deshalb will ich ohne sie weitergehen." - Da schaute der Einsiedler ihn lange an und sagte dann: Wenn die Menschen Dich auf deinem Weg zu Gott behindern, werden sie auch in der Einsamkeit Deinen Weg verstellen." Das verstehe ich nicht", sagte der Mönch. Wenn ich einsam lebe und mich von keinem Menschen mehr abhalten lassen muß, Gott zu suchen, dann werde ich doch schneller zu Gott gelangen als in der Gemeinschaft der Brüder." - Der Einsiedler dachte eine Weile nach. Sag mir", sprach er dann, wodurch hindern die Brüder Dich auf Deinem Weg?" So manches könnte ich Dir aufzählen", sagte der Mönch. Vor allem aber quält mich ihr Hochmut. Er ist es, der mich in meinem Innern so erzürnt, daß ich Gott in ihrer Gemeinschaft nicht begegnen kann." - Da sagte der Einsiedler: Glaub mir, Bruder, der Feind des Hochmuts, der Dir die Sicht auf Gott versperrt, wohnt nicht in den anderen, sondern in Dir selbst." In mir selbst?", fragte der Mönch bestürzt. Aber ich will doch nur frei sein für Gott." - Der Weg zu Gott", sagte der Einsiedler, führt mitten durch uns selbst. Solange Du Ärger und Zorn verspürst gegen Deine Brüder, ist der Weg in dir jedoch versperrt. Der Hochmut der Brüder, dem Du entfliehen willst, ist dein eigener. Du fühlst Dich besser als sie. - Ich gebe Dir einen Rat, Du magst selbst sehen, ob Du ihn annehmen kannst: Kehr zurück zu der Gemeinschaft der Brüder, und versuche, den Feind in Deinem Innern zu erkennen." Und wenn ich ihn erkannt habe?", fragte der Mönch. - Dann wirst Du Deine Brüder lieben", sagte der Einsiedler. Aber wenn ich sie liebe, werde ich sie nicht mehr verlassen wollen." - So wird es sein. - Es sei denn", fuhr der Einsiedler fort, Deine Liebe zu Gott wäre größer als deine Liebe zu den Menschen und Du wolltest für Ihn auf ihre Nähe verzichten." Dann verstehe ich nicht", sagte der Mönch nach einigem Nachdenken,

Einübung und Weisung 382 warum Du zu Beginn fragtest, ob ich die Brüder mehr liebe als Gott und deshalb auf die Gemeinschaft mit ihnen verzichten möchte." - Man wird doch fragen dürfen", sagte der Einsiedler und lächelte. Über den Glauben Ich möchte, daß Du mich beten lehrst", sagte die junge Frau zum Einsiedler. Ich habe es lange allein versucht, doch es gelingt mir nicht." - Sag nur zu Gott: Ich möchte beten", erwiderte der Einsiedler, dann betest Du schon." Aber ich kann es Gott nicht sagen", begehrte die junge Frau auf. - Dann sage zu Gott: Ich möchte beten, aber ich kann es Dir nicht sagen", gab der Einsiedler zur Antwort. Auch das kann ich nicht", sagte die junge Frau. Ich kann nämlich nicht an Gott glauben." - Du möchtest beten und kannst nicht an Gott glauben", wiederholte der Einsiedler. Warum möchtest Du dann überhaupt beten?" Ich möchte an Gott glauben", sagte die junge Frau leise. - Sag also zu Gott: Ich möchte an Dich glauben, aber ich kann es nicht." Wie könnte ich zu Gott sprechen, wenn ich nicht an ihn glaube?" - Dein Herz", antwortete der Einsiedler, glaubt an Gott, denn aus ihm entspringt Dein Wunsch zu beten. Es gibt aber etwas in Dir, das Dein Herz bekämpft." Was könnte das sein?", fragte die junge Frau. - Unser Herz ist der Ort, da Gott in uns wohnt", sagte der Einsiedler. In Deinem Herzen bist Du mit Ihm eins. Was immer in Dir Gott entgegensteht, Du mußt den Weg zu Deinem Herzen finden." Den Weg zu meinem Herzen finden", murmelte die junge Frau. In meinem Herzen werde ich auch Böses finden", sagte sie dann. - Mag sein", antwortete der Einsiedler. Das Böse wird nicht wollen, daß ich zu Gott gelange." - Schon möglich", antwortete der Einsiedler. Da begann die junge Frau zu weinen. - Spürst Du jetzt, was Dich von Gott trennt?", fragte der Einsiedler. Nicht das Böse trennt Dich von Gott. Es ist Deine Angst vor dem Bösen in Dir. Gott aber ist stärker als das Böse." Woher weißt Du das?", fragte die junge Frau. - Weil Er noch immer meine Heimat ist", antwortete der Einsiedler. Und sprach noch einmal vor sich hin: Weil Er noch immer meine Heimat ist."

Einübung und Weisung 383 Über das Warten Warum kommst Du nicht am Morgen zu uns in die Kirche?", fragte der Priester den Einsiedler, wir würden uns freuen, Dich in unserer Mitte zu sehen." - Verzeih", erwiderte der Einsiedler, wenn ich Deiner Einladung nicht folge. Ich habe einen festen Lebensrhythmus, der ist wichtig in der Einsamkeit. Wenn Ihr am Morgen Schriftlesung haltet, sitze ich in der Kapelle und schweige." Du willst nicht kommen, Gottes Wort zu hören?", fragte der Priester ungläubig. - Schau", sagte der Einsiedler, ich will versuchen, Dir in einem Bild zu erklären, warum ich am Morgen schweigend in der Kapelle sitze, statt gemeinsam mit Euch das Wort Gottes zu hören und über es nachzudenken: Denk' Dir, ein Heiliger, den Du aus ganzem Herzen verehrtest und dessen Bücher Du gerade voll Eifer studiertest, stände plötzlich vor Deiner Tür. Würdest Du ihm wohl sagen : Lieber Mann, ich lese gerade deine Bücher und habe wirklich keine Zeit für Dich. Komm doch ein andermal wieder? Würdest Du nicht vielmehr die Bücher sofort verlassen, um dem Heiligen selber nahe zu sein?" Aber bist Du Gott im Schweigen denn wirklich so nahe?", fragte der Priester. - Es liegt nicht an mir, Gott nahe zu sein", antwortete der Einsiedler. Ich sitze nur da und lausche, damit ich auch nicht den leistesten Lufthauch überhören kann, der das Kommen des Herrn verriete." Und wenn er nun Jahre nicht käme?", fragte der Priester, wäre es dann nicht besser, wenigstens seine Worte zu hören?" - Die Worte des Herrn sind kostbar", sagte der Einsiedler. Er selbst aber ist herrlich! Wunderbar ist es, am Saum der Ewigkeit zu sitzen und auf Ihn zu warten." Und wenn er dann wirklich kommt?", fragte der Priester nachdenklich. - Dann wird es furchtbar sein", sagte der Einsiedler und atmete tief. Furchtbar und herrlich." Über die Schwachheit Hast Du das Klagen des Windes gehört in der Nacht?", fragte der Schäfer. - Ich habe den Wind gehört, wie er um meine Klause ging", antwortete der Einsiedler. Und das Klagen?", fragte der Schäfer, hast Du das nicht gehört?"

Einübung und Weisung 384 - Es ist das Klagen der Menschen, das sich im Wind geborgen hat", sagte der Einsiedler. Es ist ein großes Klagen in der Welt." Der Schmerz der Menschen steigt in den Nächten zum Himmel auf und sucht dort Trost", sagte der Schäfer. Du glaubst, daß Gott uns erhört, nicht wahr?" - In den Klagen der Menschen atmet die Klage Gottes", sagte der Einsiedler. Warum sollte Gott klagen?", fragte der Schäfer. - Solange Menschen leben, leidet Gott", sagte der Einsiedler. Leidet Gott?", wiederholte der Schäfer fragend. Woran leidet Gott?" - In dieser Nacht litt Er an meiner Schwachheit", sagte der Einsiedler. Was war Deine Schwachheit?", fragte der Schäfer. - Ich hatte Angst", antwortete der Einsiedler. In solchen Nächten sucht die Angst seit jeher Schutz in Menschenherzen", sagte der Schäfer. Sogar die Tiere waren unruhig. Es ist nur der Sturm, der uns furchtsam macht, glaub mir. Wenn erst die Nächte wieder stiller werden, vergeht die Furcht." - Mag sein", antwortete der Einsiedler. Du klagst Dich trotzdem Deiner Schwachheit an?", fragte der Schäfer. - Ich hörte das Klagen Gottes", sagte der Einsiedler leise, doch ich nahm Ihn nicht auf. Es war nicht die Angst vor dem Sturm, die mein Herz verschloß. Es war die Angst vor dem Leiden. - Wenn Gottes Klage in uns Zuflucht sucht, erfüllt uns Schmerz." Glaubst Du, Du hättest ihm helfen können?", fragte der Schäfer nachdenklich. - Ich hätte mit Ihm leiden können", sagte der Einsiedler. Eine Weile schwiegen sie. Dann sagte der Schäfer: Der Wind weht immer noch aus Süden." - Warum sagst Du das?", fragte der Einsiedler. Weil auch in dieser Nacht der Wind voll Klage sein wird", sagte der Schäfer. Über den Weg Ich habe Dich den Glauben an einen Gott gelehrt", sagte die Mutter, der ein Gott für die Menschen ist und der uns aufgetragen hat, den Menschen liebend zu begegnen. Du aber hast Dich von allen Menschen losgesagt und lebst hier in der Einsamkeit, als dächtest Du nur an Dich." - Fern der Menschen zu leben, muß nicht bedeuten, nur an sich selbst zu denken", sagte der Einsiedler. Niemand lebt für sich allein. Ich kann auch hier in der Einsamkeit den Menschen nahe sein."

Einübung und Weisung 385 Mag sein", sagte die Mutter, aber glaubst Du, diese Weise des Nahseins hilft ihnen?" - Welchen Weg auch immer wir gehen", sagte der Einsiedler, wir können auf dieser Welt nichts sein als Gefäße. Ob Gott die Gefäße füllt und wohin Er sie ausgießt, ist nicht mehr unsere Sache. Eines aber steht fest : Je leerer die Gefäße sind, desto reicher kann Er sie füllen. So verschieden die Wege auch sind, das Leerwerden für Gott ist wohl allen gemeinsam." Aber woran erkennst Du, daß Dein Weg Dich zu Gott führt?",fragte die Mutter. Menschen betrügen sich gern. Vielleicht sucht Gott das Gefäß Deines Lebens gerade nicht in der Einsamkeit." - Vor lauter Angst, den falschen Weg zu gehen, blieben wir am Ende auf der Strecke", sagte der Einsiedler nachdenklich. Da gilt es, mutig sein und glauben, daß in Gottes Erbarmen auch der falsche Weg der richtige sein kann." Wie soll ich das verstehen?", fragte die Mutter. - Eine Weile gehen wir Schritt für Schritt unseren Weg", sagte der Einsiedler, und glauben, wir kämen Gott mit jedem Schritt näher. Doch plötzlich stehen wir an einem Abgrund. So sehr wir uns auch mühen, die Spannweite unseres Schrittes reicht nicht aus, ihn zu überwinden. Da heißt es abspringen, wenn wir nicht umkehren wollen. - Es ist der Sprung in die Bereitschaft, fortan in Dunkelheit den Weg zu gehen. Ob wir wissen, daß der Weg zu Gott führt oder nicht: weitergehen! Ob wir Gottes Nähe fühlen oder nicht: weitergehen! Von hier ab ist Gott selbst der Weg. Der Sprung in die Dunkelheit ist der Sprung in Seine Umarmung. Es kommt nun nur noch darauf an zu gehen." Ist die Umarmung Gottes nicht das Ziel des Weges?", fragte die Mutter. - Gott ist die Ewigkeit," sagte der Einsiedler. Wir werden ewiglich in Seine Mitte strömen." Katharina Oost