Medizinische Behandlungsfehler Was hilft Patienten und Ärzten? Zum Umgang mit Behandlungsfehlern Eine Bestandsaufnahme Berichte aus der Praxis Zum Umgang mit Behandlungsfehlern werde ich aus meiner praktischen Erfahrung als Ärztin bei der Alexandra-Lang-Stiftung für Patientenrechte im Umgang mit geschädigten Patienten berichten. Die Alexandra-Lang-Stiftung ist eine gemeinnützige Stiftung. Sie hilft Opfern von schwerwiegenden Behandlungsfehlern. Sie nimmt grundsätzlich die Interessen geschädigter Patientinnen und Patienten in medizinischer und juristischer Hinsicht wahr. Neben der Bearbeitung von Einzelfällen, setzt sich insbesondere der Vorstand für die grundlegende Verbesserung der Patientenrechte und des Patientenschutzes ein. 1 1. Definition des medizinischen Behandlungsfehlers (früher: Kunstfehler) Jede ärztliche Maßnahme, die gegen die Regeln der medizinischen Wissenschaft und Erfahrung verstößt und die gebotene Sorgfalt vermissen lässt, wird gemeinhin als medizinischer Behandlungsfehler definiert. Auch medizinisch nicht indizierte Maßnahmen im Rahmen einer Behandlung sowie Unterlassungen eines gebotenen medizinischen Eingriffs werden unter dem Begriff Behandlungsfehler zusammengefasst. An dieser Stelle soll aber auch betont werden, dass der Patient grundsätzlich keinen Anspruch auf einen Heilungserfolg gegenüber dem behandelnden Arzt hat. Vielmehr haftet der behandelnde Arzt bei richtiger Behandlung nicht für einen etwa ausbleibenden Erfolg. Denn bei einer medizinischen Behandlung können unvermeidbare Komplikationen auftreten, die sich aus der Natur des einzelnen Patienten ergeben. Dies können zum Beispiel Vorerkrankungen des Patienten sein oder sie können sich aus der individuellen Konstitution des einzelnen Patienten ergeben. Wenn sich das Risiko solch einer Komplikation verwirklicht hat, dann liegt allein darin kein Behandlungsfehler. Übrigens, selbst wenn dem Arzt ein Behandlungsfehler unterlaufen ist, besteht noch nicht automatisch die Voraussetzung für Schadensersatz- bzw. Schmerzensgeldansprüche. Zum vermeidbaren Verstoß gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht muss ein Schaden eingetreten sein. Und dieser Schaden muss Folge der fehlerhaften Behandlung sein (Kausalität). 1 Frau Ilse Lang gründete die Stiftung im Jahr 2004. Die Stiftung trägt den Namen ihrer Tochter Alexandra, die 2000 an den Folgen einer Sepsis durch Citrobacter nach einer Infusionsbehandlung beim Hausarzt starb. Die Todesursache war nach Meinung verschiedener Gutachter eine massive Verunreinigung der Infusion mit dem Bakterium Citrobacter. Das Zivilverfahren befindet sich bis heute, fast neun Jahre nach ihrem Tod, immer noch in der 1. Instanz - 1 -
Aus medizinischer Sicht kann man Behandlungsfehler wie folgt einteilen: 2 Nichtbehandlung und verzögerte Behandlung Hierunter versteht man die Nichtbehandlung eines Patienten etwa bei einem Unglück wie zum Beispiel einem Verkehrsunfall. Desweiteren ist aber bereits die Verzögerung notwendiger ärztlicher Maßnahmen fehlerhaft. Wird etwa die Untersuchung eines Patienten mit starken Bauchbeschwerden hinausgeschoben und wird dadurch die weitere medizinische Versorgung verspätet begonnen, liegt ein Behandlungsfehler vor. Fehlende medizinische Indikation Wird ein diagnostischer oder therapeutischer Eingriff vorgenommen, der medizinisch nicht indiziert oder sogar kontraindiziert ist, ist dies ebenfalls als Behandlungsfehler zu werten. Beispiel: Einer 17-jährigen Patientin wird bei einem ersten Tumorverdacht die Brust grundlos abgenommen ohne vorher die Bösartigkeit des Knotens feingeweblich zu sichern. Diagnosefehler Von einem Diagnosefehler spricht man, wenn Krankheitssymptome verkannt oder unzureichend ausgewertet, Verdachtsdiagnosen nicht abgeklärt und gebotene Befunde nicht erhoben werden. Ein solcher Diagnosefehler liegt zum Beispiel vor, wenn eindeutige Symptome einer Blinddarmentzündung nicht wahrgenommen werden und der Patient nicht ins Krankenhaus eingewiesen wird. Aber auch die Stellung der Verdachtsdiagnose Blinddarmentzündung ohne Einweisung zur weiteren Diagnostik und Therapie stellt einen Fehler dar. Unzureichende Befunderhebung Zu einer ordnungsgemäßen medizinischen Behandlung gehört zunächst die Feststellung des detaillierten Krankheitsbildes, also des Befundes. Werden medizinisch gebotene Befunde trotz bestimmter Krankheitssymptome nicht erhoben, kann keine richtige Diagnose gestellt werden. Eine mangelnde Befunderhebung liegt zum Beispiel vor, wenn bei einem Patienten trotz eindeutiger Herzinfarktsymptome kein EKG durchgeführt und somit mangels klarer Diagnose keine adäquate Therapie eingeleitet wurde. Therapiefehler Man unterscheidet zwischen einer technisch unzureichende Behandlung besonders in den operativen Fächern (Anwendung einer falschen Operationstechnik oder eines falschen Implantats) und den sogenannten Medikationsfehlern. Letztere liegen vor, wenn Arzneimittel falsch dosiert verabreicht werden oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten nicht beachtet werden. Beispiele für Therapiefehler: Ein Oberschenkeltrümmerbruch wird mit einer zu kurzen Metallplatte operativ versorgt, der Knochenbruch ist dadurch nicht ausreichend stabilisiert, eine Infektion im Bereich der Metallplatte wird dadurch begünstigt. Nach einer Thrombose der Beinvenen mit nachfolgender Lungenembolie wird eine Marcumarisierung (Blutverdünnung) durchgeführt. Die gebotene Kontrolle des Quickwertes (Wert über die Blutverdünnung) wird unterlassen, die Dosierung wird nicht reduziert und es kommt durch die Überdosierung zu einer Hirnblutung mit Halbseitenlähmung. 2 Quelle: H.-D. Laum, Smentkowski U.: Ärztliche Behandlungsfehler, 2. Auflage, Deutscher Ärzte-Verlag Köln, 2006-2 -
Übernahmeverschulden Hierunter versteht man die Übernahme einer Behandlung, obwohl der Arzt nicht über die ausreichende Fachkompetenz, nicht über das für die konkrete Behandlung notwendige Fachpersonal und nicht über die notwendige technische Ausstattung verfügt. Nur bei einem Notfall, der sofortiges medizinisches Eingreifen erfordert, kommt es hierauf nicht an. Zum Beispiel hätte der im Geburtshaus tätige Arzt die vaginale Beckenendlagegeburt nicht übernehmen dürfen, weil ihm die für die Behandlung potentieller Komplikationen erforderlichen personellen und apparativen Voraussetzungen nicht zur Verfügung standen. Organisationsverschulden Ein Organisationsfehler besteht in der Verletzung der Pflicht, zur rechten Zeit erforderliches Personal oder sachliche Mittel verfügbar zu halten. Dies liegt zum Beispiel vor, wenn der leitende Arzt eine schwierige Operation einem am Anfang seiner Facharztausbildung stehenden Assistenzarzt ohne Beaufsichtigung überlässt. Aufklärungsmängel Aufklärungsmängel spielen in vielen Arzthaftungsprozessen eine große Rolle. Man unterscheidet zwischen verschiedenen Aufklärungspflichten, die den behandelnden Arzt treffen: Sicherungsaufklärung Hierbei handelt es sich um die gebotene Aufklärung zur Gefahrenabwehr, also zur Vermeidung von Risiken für den Patienten. Der Arzt hat die Pflicht, den Patienten zu einer seinem Gesundheitszustand entsprechenden Lebensweise zu veranlassen oder den Patienten zumindest darauf hinzuweisen. Auch hat der Arzt dem Patienten über mögliche begleitende Auswirkungen der Behandlung zu unterrichten. Zum Beispiel muss der Arzt von sich aus auf durch die Medikation herbeigeführte Fahrunsicherheit hinweisen. Diagnose- und Verlaufsaufklärung Diese umfasst die Information des Patienten über den medizinischen Befund, über Art, Umfang und Durchführung der geplanten Behandlung, über den zu erwartenden Zustand nach deren Abschluss und den voraussichtlichen weiteren Verlauf der Krankheit im Falle der Nichtbehandlung. Eingriffs- und Risikoaufklärung Zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten bedarf die ärztliche Behandlung der wirksamen Einwilligung des vom Arzt pflichtgemäß aufgeklärten Patienten. Die Einwilligung ist grundsätzlich nur wirksam, wenn der Patient durch den Arzt rechtzeitig, umfassend und verständlich über die Diagnose seiner Erkrankung, Art, Dringlichkeit, Tragweite und Risiken der Behandlung sowie über denkbare Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist. 2. Häufigkeit von medizinischen Behandlungsfehlern Wir kennen alle die Schlagzeilen aus der Presse, dass die Gesundheitsversorgung nicht mehr sicher sei. Viele Daten und Fakten werden veröffentlicht. Um ein etwas klareres Bild über die tatsächliche Häufigkeit von medizinischen Behandlungsfehlern zu gewinnen, habe ich - 3 -
versucht, verschiedene Statistiken zusammenzustellen, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln erstellt worden sind. 3 Behandlungsfehlerstatistik der Bundesärztekammer 2007 Im Jahr 2007 wurden bei den Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen für ärztliche Behandlungsfehler der Ärztekammern 4 10432 Anträge gestellt, zur Überprüfung, ob ein vermuteter Behandlungsfehler tatsächlich vorliegt. Von diesen Anträgen wurden 7049 durch Gutachter entschieden. In 71 % konnte kein Behandlungsfehler nachgewiesen werden, in 24 % der Fälle lag ein Behandlungsfehler oder mangelnde Risikoaufklärung mit Gesundheitsschaden und in 5 % ohne Gesundheitsschaden vor. Mehr als 25 % der Behandlungsfehlervorwürfe erstrecken sich auf die operative Therapie, hier waren besonders die Fachgebiete Unfallchirurgie, Orthopädie und Allgemeine Chirurgie betroffen. 5 Aktionsbündnis Patientensicherheit (2007): Das Aktionsbündnis Patientensicherheit veröffentlichte in der Agenda 2007 6, dass 5-10 % der Krankenhauspatienten ein unerwünschtes Ereignis, 2-4 % ein vermeidbares unerwünschtes Ereignis und 1% einen Behandlungsfehler erleiden. Die Sterblichkeit von Krankenhauspatienten im Zusammenhang mit einem vermeidbaren unerwünschten Ereignis liege in einer Größenordnung von 0,1 % aller Patienten. Bei jährlich 17 Millionen Krankenhauspatienten bedeutet dies hochgerechnet etwa 17.000 Todesfälle pro Jahr in deutschen Krankenhäusern aufgrund unerwünschter bzw. vermeidbarer unerwünschter Ereignisse. Datenmaterial aus den Medizinischen Diensten der Krankenversicherungen (MDK Gemeinschaft, Konferenz der leitenden Ärzte Mai 2008) In der Konferenz der leitenden Ärzte im Mai 2008 wurden für das Jahr 2007 folgende Zahlen veröffentlicht: Die Gesamtzahl der Auftragseingänge bei den Medizinischen Diensten der Krankenversicherungen (MDK) betreffend vermuteter Behandlungsfehler (2007) lag bei 3 Das Datenmaterial aus unserer Arbeit ist zu gering, um verlässliche statistische Aussagen machen zu können. 4 Praktisch jede Landesärztekammer in Deutschland unterhält eine Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen. Die Patienten haben die Möglichkeit bei vermuteten Behandlungsfehlern und Kunstfehlern, vor oder anstelle einer Klage die für das jeweilige Bundesland zuständige Gutachter- oder Schlichtungsstelle anzurufen. Gutachterstellen prüfen, ob ein Behandlungsfehler vorliegt oder nicht. Sie sind mit Ärzten des entsprechenden Fachgebietes und einem Vorsitzenden, regelmäßig ein Jurist, besetzt. Schlichtungsstellen bemühen sich darüber hinaus um eine Schlichtung des geltend gemachten Anspruches. Deshalb wirken bei diesen Stellen auch Vertreter der Haftpflichtversicherungen mit. Die Verfahren sind für alle Beteiligten freiwillig und im Ergebnis nicht verbindlich. Das Verfahren vor den Gutachterkommissionen ist für die Beteiligten gebührenfrei. Durch die Einschaltung einer Gutachter- oder Schlichtungsstelle wird die Verjährung nicht unterbrochen. Sie wird jedoch dann gehemmt, wenn sich der Arzt an dem Verfahren beteiligt. Dann wird die Dauer des Verfahrens bei der Berechnung der Verjährungsfrist nicht eingerechnet. 5 Bundesärztekammer: Statistische Erhebung der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen für das Statistikjahr 2007, Pressekonferenz Berlin 2008 6 Aktionsbündnis Patientensicherheit: Agenda Patientensicherheit 2007, Witten 2007-4 -
35.301. Davon wurden 19.083 in medizinisch-juristischen Fallberatungen erläutert, in 16.218 Fällen kam es zu gutachterlichen Stellungnahmen. In 55 % wurde kein Behandlungsfehler, in 25 % wurde ein Behandlungsfehler nachgewiesen, 20 % der Fälle waren nicht zu entscheiden. Ein Großteil der Aufträge, über 45 % entfallen auch hier auf die Fachgebiete Chirurgie und Orthopädie. 7 Übersicht über Behandlungsfehler durch im Gesundheitswesen tätige Haftpflichtversicherer Die Ecclesia-Versicherungsgruppe, ein Versicherungsmakler, der besonders im Gesundheitswesen tätig ist, stellt im Jahr 2009 folgende Auswertung bzw. Hochrechnung für das Jahr 1997 vor: Für das Jahr 1997 geht die Versicherungsgruppe von 15,6 Mill. Behandlungsfälle aus. In ca. 14.500 der Fälle wurden gegenüber der Versicherung Behandlungsfehlervorwürfe erhoben. Das mache ca. 0,09 % der Behandlungsfälle aus. Davon seien nur die Hälfte, also ca. 7.800 (dies entspricht 0,05 %) berechtigte Vorwürfe. Neuere Daten diesbezüglich werden von der Ecclesia-Gruppe nicht vorgelegt, da die Prüfung der Behandlungsfehlervorwürfe aus späteren Jahren noch nicht abgeschlossen sei. Gleichwohl gehen die Haftpflichtversicherer nach neueren Erkenntnissen davon aus, dass sich die Häufigkeit der Behandlungsfehlervorwürfe deutlich erhöht habe (2005/2006 um +10%). Die Versicherer meinen aber, dass sich damit nicht unbedingt die Anzahl der nachgewiesenen Behandlungsfehler erhöhen werde. Aus der Sicht der Ecclesia-Versicherungsgruppe wird die Bedeutung von Behandlungsfehlern mit dem folgenden Zitat wohl etwas heruntergespielt: Ein Patient muss 100 Jahre zehn Krankenhausbehandlungen pro Jahr erleiden, bis er einen Anspruch stellt. 8 3. Auswirkungen medizinischer Behandlungsfehler Auch wenn die tatsächliche Höhe der medizinischen Behandlungsfehler, die pro Jahr auftreten, letztlich nicht klar ist, wie die unterschiedlichen Statistiken zeigen, kann ein solches Ereignis jedenfalls für den jeweiligen Betroffenen schwerwiegende Folgen haben. Für den Patienten führt jeder durch einen medizinischen Behandlungsfehler verursachter Schaden zu zusätzlichen Beschwerden, zu körperlichen Schmerzen und zu verlängerten Krankenhausaufenthalten. Neben dieses persönliche Leid kommen oft weitere Probleme hinzu, wenn es als Folge der falschen medizinischen Behandlung z.b. zu Erwerbsunfähigkeit kommt, der Patient nun von Sozialleistung abhängig wird. Folgen können auch psychische Probleme wegen der mangelnden Krankheitsbewältigung sein. Das kann im Einzelfall soweit 7 PD Dr. H.P. Buszello: Ergebnisse der Bearbeitung von Aufträgen zu vermuteten Behandlungsfehlern, Konferenz der Ltd. Ärzte, MDK Gemeinschaft 2007 8 Quelle: Johannes Jaklin: Heilwesenschäden in Das Krankenhaus, 2.2009, Seite 158-159 - 5 -
gehen, dass wegen dieser Belastungen eine Ehe in die Brüche geht. Der geschädigte Patient verliert oft das Vertrauen zu seinem Arzt und in die allgemeine Gesundheitsversorgung. Auch für den Arzt, für den das Wohl der Patienten im Vordergrund steht und der jetzt feststellt, dass ihm ein Fehler unterlaufen ist, bedeutet ein Behandlungsfehler emotionale und finanzielle Belastung, die bis zur Bedrohung seiner beruflichen Existenz werden kann, insbesondere wenn gerechtfertigte und ungerechtfertigte Vorwürfe sich vermischen und öffentlich ausgetragen werden. Und schließlich nicht zu vergessen, wird die Allgemeinheit als Folge der medizinischen Behandlungsfehler durch zusätzliche Krankheitskosten und Rentenzahlungen bei Erwerbsunfähigkeit belastet. 4. Umgang der Alexandra-Lang-Stiftung mit Behandlungsfehlern Die Alexandra-Lang-Stiftung ist eine kleine Organisation. Sie kann sich deshalb auch nur um wirklich schwerwiegende Behandlungsfehler kümmern. Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, dass stark veränderte Lebensumstände und körperliche oder geistige Gebrechen als Folge schwerwiegender Behandlungsfehler es vielen geschädigten Patienten unmöglich macht, sich um die Durchsetzung der eigenen Interessen zu kümmern. Hier wird dann die Alexandra-Lang-Stiftung tätig. Unsere Arbeit soll an einem unserer Beispielfälle verdeutlicht werden. Eine 19-jährige Patientin steht kurz vor dem Abitur. An ihr ist ein Routine-Eingriff vorzunehmen. Eine akut geplatzte Eierstockzyste wird mit Bauchspiegelung im Sommer 2007 entfernt. Tatsächlich ist aber bei diesem Routineeingriff die innere Beckenarterie verletzt worden. Die Beckenarterie ist doppelt durchstochen worden. In der Nacht nach der Operation werden besonders starke Schmerzen, niedriger Blutdruck und hoher Puls nicht als Hinweis auf eine Komplikation gedeutet. Die Patientin und die Eltern werden beruhigt, die jungen Mädchen seien oft wehleidig. Am nächsten Morgen befindet sich die Patientin im Schock. Der Blutdruck ist kaum messbar, der Puls rast, die Patientin ist nicht ansprechbar und kollabiert. Sie muss notoperiert werden. Im Becken zeigt sich ein riesiger Bluterguss, weil aus der durchstochenen Beckenarterie sehr viel Blut in den unteren Bauchraum geflossen ist. Im Rahmen der Notoperation muss ein Eierstock entfernt werden. Aufgrund des hohen Blutverlustes müssen viele Bluttransfusionen gegeben werden, der Kreislauf ist kaum zu stabilisieren, noch am gleichen Tag erfolgt die Verlegung in die Uniklinik. Dort verbringt die Patientin 130 Tage auf der Intensivstation. Sie liegt im Koma und wird künstlich beatmet. Die Nieren versagen und sie muss an die Dialyse angeschlossen werden. Lange bangt man um das Leben der Patientin, da auch die Leber zu versagen droht. Noch mehrere Operationen werden erforderlich. Ein Großteil des Dünndarmes war durch die großen Blutmassen im Bauchraum komprimiert. Dadurch war die Durchblutung des Dünndarms stark vermindert, so dass Teile des Dünndarms abgestorben sind und operativ entfernt werden mussten. Durch den fehlenden Dünndarm, der für die Aufnahme der Ernährung zuständig ist, entstand ein Mangelsyndrom mit daraus folgendem Untergewicht. Es musste ein Port (ein dauerhafter künstlicher Zugang zum Venensystem) angelegt werden. Über diesen Port müssen bis heute noch Nacht für Nacht Infusionen direkt in die Blutbahn zum Ausgleich der Mangelernährung gegeben werden. - 6 -
Körperlich ist die junge Frau durch die vielen Bauch-Operationen entstellt: vor Operation nach Operation - 7 -
Wie wir bei einem Verdacht auf Behandlungsfehler vorgehen 1. Schritt: Beiziehen der Unterlagen Auf den Verdacht eines Behandlungsfehlers werden wir häufig von den Krankenkassen hingewiesen, da wir mit diesen eng zusammenarbeiten. Viele Patienten wenden sich aber auch sofort an uns wie auch in unserem Beispiel die Mutter der geschädigten Patientin. Die Mutter hat bereits während der intensivmedizinischen Versorgung Kontakt mit uns aufgenommen und die Behandlungsunterlagen zur Verfügung gestellt. Die Beschaffung der Behandlungsunterlagen übernehmen ansonsten wir, oft hat die Krankenkasse im Vorfeld bereits alle Unterlagen angefordert. Leider vergeht oft viel Zeit bis endlich alle Unterlagen vom zuständigen Krankenhaus und vom behandelnden Arzt zur Verfügung gestellt werden. 2. Schritt: Ordnung und Durchsicht der Unterlagen Es benötigt oft mehrere Tage, die in derartigen Fällen sehr umfangreichen Behandlungsunterlagen zu sichten und diese auf deren Vollständigkeit zu überprüfen Diese Arbeit wird oft durch fast unleserliche Handschriften erschwert. 3. Schritt: Eigene medizinische und juristische Bewertung Eine erste medizinische und juristische Einschätzung des möglichen Behandlungsfehlerfalls nehmen wir zusammen mit beratenden Rechtsanwälten vor. Dabei zu beantwortende Fragen sind: - Gibt es aus medizinischer Sicht den Ansatz eines Behandlungsfehlers? - Sind Folgen aufgrund dieses Fehlers entstanden? - Gab es Vorschäden beim Patienten? - Steht der Schaden im Kausalzusammenhang mit dem möglichen Fehler? In dieser Phase ist der Kontakt zum Patienten und zu dessen Angehörigen sehr wichtig. So müssen vom Patienten und deren Angehörigen Gedächtnisprotokolle über den Ablauf der medizinischen Behandlungen erstellt werden. Auch dabei benötigen die Betroffenen Unterstützung. Unabhängig von einer späteren Mandatserteilung unterstützen uns Rechtsanwälte, die sich im Arzthaftungsrecht spezialisiert haben, um der Alexandra-Lang- Stiftung für Patientenrechte eine erste Einschätzung des Falles aus juristischer Sicht zu geben. Im oben vorgestellten Fall stellte sich heraus, dass bei der Bauchspiegelung die innere Beckenarterie durchstochen worden war. Dies ist eine seltene aber bei schlanken Patienten eine nicht untypische Komplikation. Die weitere postoperative Überwachung war aber wohl lückenhaft. Hinweise auf eine beginnende Schock-Symptomatik wurden zwar dokumentiert, aber sie zog keine medizinischen Konsequenzen nach sich. Nach unserer ersten Einschätzung wäre bei rechtzeitigem Erkennen und Handeln die Patientin nicht in diese lebensbedrohliche Situation geraten. - 8 -
4. Schritt: Einschaltung von Ärztenetzwerken Unterstützt wird die Alexandra-Lang-Stiftung für Patientenrechte mittlerweile von einer Reihe von Ärzten aus Berlin, Köln und Frankfurt, die uns ehrenamtlich behilflich sind. In regelmäßigen Fachkonferenzen werden neue mögliche Behandlungsfehler vorgestellt und medizinisch bewertet. Oft kommt man innerhalb dieser Runden noch nicht zu einem abschließenden Ergebnis. Dann nutzen die uns beratende Ärzte ihre eigenen Kontakte zu anderen Fachkollegen, um Antworten auf spezifische Fragen und somit eine medizinische Bewertung der Fälle möglicher Behandlungsfehler zu erhalten. Neben dieser Überprüfung von medizinischen Sachverhalten wird die Alexandra-Lang-Stiftung für Patientenrechte von diesen Ärzten auch unterstützt bei der Bewertung von Gerichts- und Parteigutachten und bei der Suche nach kompetenten und unabhängigen Gutachtern. 5. Schritt: Einbeziehung der Krankenkassen, Erstellung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) Spätestens nach unserer medizinischen Einschätzung beziehen wir die Krankenkasse ein, um ein entsprechendes medizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) zu bekommen. In unserem Beispielsfall hat die Krankenkasse zwei Gutachten vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) erstellen lassen, um den Sachverhalt zu prüfen. In beiden Gutachten wurde ein Behandlungsfehler mit daraus abzuleitendem Gesundheitsschaden festgestellt. 6. Schritt: Privat-Gutachten Gelegentlich bei sehr komplizierten Sachverhalten benötigen wir im Anschluss ein zusätzliches Privat-Gutachten, um komplizierte medizinische Sachverhalte noch besser erklärt und geklärt zu bekommen. 7. Schritt: Juristische Geltendmachung Nach Abschluss der medizinischen Bewertung planen wir zusammen mit dem geschädigten Patienten und seinen Angehörigen das weitere Vorgehen. Im optimalen Fall hat der Patient eine Rechtsschutzversicherung, gemeinsam wird dann ein Fachanwalt eingeschaltet, der die weiteren Interessen vertritt. Fehlt eine solche Rechtsschutzversicherung und stehen dem Patienten nicht ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung, bemüht sich die Alexandra- Lang-Stiftung für Patientenrechte andere Wege zu finden, ungleich wohl die Durchführung eines Gerichtsverfahrens zu ermöglichen. Als kleine Stiftung ist die Alexandra-Lang-Stiftung für Patientenrechte aber im Regelfall nicht in der Lage, Anwaltskosten oder Gerichtskosten zu übernehmen. Wir hoffen auch in enger Zusammenarbeit mit den Krankenkassen immer wieder, dass die Krankenkassen selbst den gerichtlichen Weg einschlagen und der Patient sich dann dieser Klage anschließen kann. Auch im vorgenannten Fall wurde eine Fachanwältin eingeschaltet, die die Ansprüche der Patientin gegenüber der Haftpflichtversicherung des Krankenhauses geltend macht. Wir haben derzeit leider den Eindruck, dass die Haftpflichtversicherung die Patientin nun schon über ein Jahr hinhält. Seit einem Jahr passiert nichts! Bisher gibt es keine Stellungnahme, ob der Behandlungsfehler, wie zunächst in Aussicht gestellt, von der Versicherung anerkannt - 9 -
wird oder nicht. Was mag die Patientin ob dieses Verhaltens im Hinblick auf ihre körperliche Entstellung empfinden? Bei einer Nicht-Anerkennung des Gesundheitsschadens bleibt nur der Weg der zivilrechtlichen Klage. 8. Betreuung der Patienten und der Angehörigen Ganz wichtig ist uns die Betreuung der Patienten bis zum Abschluss des gesamten Verfahrens der Schadensabwicklung. Immer wieder gilt es, die betroffenen Patienten und deren Angehörigen aufzufangen, wenn Schriftsätze oder Gutachten der Gegenseite ankommen. Oft fühlen sich die Betroffenen persönlich angegriffen, durch eine manchmal schroffe und wenig einfühlsame Wortwahl der gegnerischen Seite. Auch hier sehen wir unsere Aufgabe, als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen. Was machen wir, wenn trotz eines Gesundheitsschadens kein Behandlungsfehler nachgewiesen werden kann? Auch in einem solchen Fall war die Arbeit der Alexandra-Lang-Stiftung nicht umsonst. Die Patienten sind oft erleichtert, wenn man ihnen den medizinischen Sachverhalt, wonach kein Behandlungsfehler vorliegt, in Ruhe erklärt. Die Wut über ihren Gesundheitsschaden kann dem Patienten oft genommen werden, wenn sich dieser als nicht vom behandelnden Arzt verschuldete Komplikation herausstellt. Viele akzeptieren dieses Ergebnis. 9 9 Genaue Informationen und Unterlagen finden Sie auf unserer Homepage oder können in unserem Büro erfragt werden Koordinationsbüro Medizinschäden, Kall Büro Berlin Dr. med. Ulrike Zunker RA Andreas Lang Postfach 0125 Reinhardtstraße 44 53925 Kall 10117 Berlin Fon 02441-775276 Fon 030-84712092 Fax 02441-775278 Fax 030-84712184 patientenrechte@alexandra-lang-stiftung.de www.alexandra-lang-stiftung.de Spendenkonto: Konto-Nr: 150 727 600 Commerzbank AG Kirn (BLZ: 562 400 50) - 10 -