Predigt zum Sonntag Trinitatis 2015, Pfedelbach

Ähnliche Dokumente
Bibelgesprächskreis. Neugeboren Leben in einer neuen Dimension Joh Ablauf

Glaube kann man nicht erklären!

Gedanken zur eigenen (Un)Endlichkeit - ein nachdenklicher Pfarrer

Lesung aus dem Alten Testament

Predigt über Johannes 3,1-8: Neu geboren Pfarrer Florian Kunz

Predigt über Joh 3, 1-21, von Pfr. Franz Winzeler

Neu geboren III Eine Reise durch das Johannesevangelium. BnP

Lektion Wie alt war Jesus, als Er begann, die Juden zu unterrichten? - Jesus war 30 Jahre alt.

Neu anfangen? Schrecken oder Chance Fragen bewegen

Wasser Taufkerze Wiedergeburt

Lesen der Predigttextes Apg. 2, und 22-33

Johannes 18,1-19,2. Leichte Sprache

Predigt über Mt 1,18-21: Kanzelgruß: Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Es geht um mehr! Predigt zu Joh 11,1-45 (16. So n Trin, )

Die Auferstehung Jesu

EVANGELIUM Joh 3, 1-8

eine entscheidende Voraussetzung

Gebete für das Kirchenjahr, aus: Leicht gesagt! (Gidion/Arnold/Martinsen)

Anspiel zu Pfingsten

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen

waren, die Türen aus Furcht vor den Juden verschlossen -, da kam Jesus und trat in ihre Mitte, und er sagt zu ihnen: Friede sei mit euch!

Lesung: Röm 10,9-17 (=Predigttext)

Predigt Invokavit 2019 Hebr 4,14-16

Predigt am 2. Sonntag nach Weihnachten 4. Januar 2015 Textgrundlage: Lukas 2,41-52 Der 12jährige Jesus im Tempel

Gottesdienst am (Trinitatis) in der Oberpfarr- und Domkirche

16 Jesus sprach zu ihnen:

Predigt Matthäus 5,8 Glückselig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen (Zeichnung von Vivien)

Gottesdienstpreis 2011 für die Bruderhaus-Diakonie in Reutlingen - eine Tauferinnerungsfeier mit behinderten Menschen wird ausgezeichnet

Predigt zum des drittletzten Sonntag im Kirchenjahr zum Evangelium (Lk. 17,20-24) das Reich Gottes ist mitten unter euch.

Predigt über Johannes 16, Mai 2015, Kreuzkirche Reutlingen, Pfarrerin Carolin Braun

Gottesdienst in der Stiftskirche Stuttgart am 31. Mai 2015

ERSTE LESUNG Jes 62, 1-5 Wie der Bräutigam sich freut über die Braut, so freut sich dein Gott über dich Lesung aus dem Buch Jesaja

2. Weihnachtsfeiertag 26. Dezember 2015 Hebräer 1, 1-3. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Osternachtsgottesdienst mit Abendmahl

Predigt zum 18. Sonntag nach Trinitatis 2011 über Markus 10, in St. Cosmae. Der Friede Gottes sei mit euch allen. Amen.

Geschenke zu Pfingsten Predigt zu 1 Kor 2,12-16 (Pfingsten 2018)

Kinderkrippenfeier am Heiligen Abend 2011

MARIA VON KANA. Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan habe, wie ich euch auf Adlerflügeln getragen und zu mir gebracht habe.

Johannes 21, Was steckt hinter dieser dreimaligen Frage? Manchmal eine Geschichte. Manchmal eine von Verrat und Enttäuschung.

Gnade sei mit euch und Friede, von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

PREDIGT am Sonntag 29. November, Uhr Universitätsgottesdienst in der Hauptkirche St. Katharinen Hamburg

Predigtmanuskript. Thema: Wer ist Jesus für dich?

Führst du ein Tagebuch? Es könnte sein, dass

Heißer und kalter Dank Predigt am zu Lk 17,11-19 Pfr. z.a. David Dengler

Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr Predigt über Hiob 14, November Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

2. Der irische Schriftsteller Samuel Beckett ( ) hat aber vor vielen Jahren etwas geschrieben, was auch sehr wahr ist und sehr tröstlich:

Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

HGM Hubert Grass Ministries

Predigt für einen Sonntag in der Passionszeit (Judika) Die Gnade des Heiligen Geistes erleuchte unsere Herzen und Sinne.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herren Jesus Christus.

Predigt am 6. Sonntag nach Trinitatis (Reihe IVneu: Röm 6,3-11)

Predigt zu Johannes 14, 12-31

Joh. 11,1-44 i.a. Predigt am 16. Sonntag nach Trinitatis, Samstag, 8. Oktober 2011 in Landau

Predigt-Poetry für den

Lektion [43] Johannes Evangelien. Überblick : Lektion 14 / 1. Bibelkunde

Gedanken zur Unendlichkeit

Predigt zum Thema Sag die Wahrheit : Kanzelgruß: Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liturgievorschlag für Maria Empfängnis

Alles gegeben Predigt zu Mk 12,41-44 (Okuli, ) Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Predigt zum Israelsonntag Am 10. Sonntag nach dem Trinitatisfest (31. Juli 2016) Predigttext: Johannes 4,19-25

APOSTOLICUM DAS GLAUBE ICH. 12teilige Gottesdienstserie zum Apostolischen Glaubensbekenntnis vom 5. Februar April 2017

Predigt zum Thema Wann ist ein Christ ein Christ?

Wir beten den Rosenkranz

Predigt (Joh 16,16-23a): Kanzelgruß: Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Predigt für den Buß- und Bettag

Du bist ein Mensch und hast viele Fragen.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Gottesdienst am Sonntag Trinitatis, in der Kreuzkirche in Reutlingen, Predigt: Pfarrer Stephan Sigloch Predigttext Johannes 3,1-8

Gottesdienst 06.November 2016

+ die Kirche. Eine Einführung. M.E., September Alle Bilder selbst produziert oder Gemeingut/Public Domain.

Predigt zu Offenbarung 21, 1-5 Ewigkeitssonntag

Um die tiefere Weihnachtsbotschaft neu zu entdecken, machen wir uns doch einmal auf den Weg mit den Hirten.

Gute Gedanken, nicht nur für Trauernde Impulse in Bild und Wort zum täglichen Evangelium 3- Woche nach Ostern

Predigt über Römer 14,7-9 am in Oggenhausen und Nattheim (2 Taufen)

Mit Adolph Kolping den Kreuzweg beten Gebete

Gottesdienst am

Nach dem Tod das Leben Predigt zu Joh 5,24-29 (Ewigkeitssonntag 2015)

Kommt mein Hund in den Himmel?

Offenbarung hat Folgen Predigt zu Mt 16,13-19 (Pfingsten 2015)

Predigt mit Jeremia 31, von Catharina Bluhm

Offenbarung 1, 4-8. Kanzelsegen: Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Ostern Gottes Traum. zerbrochene Träume ist es das, was uns Menschen immer wieder bevorsteht: dass

Sehen und Glauben ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH. Predigt von Pfarrerin Ursina Sonderegger gehalten am 12. Oktober 2014

Osternacht. Auferstanden

Witzeerzähler: Leute kennt ihr schon den: Sitzt ein Hase am Rand einer Klippe

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Predigt (Joh 6,47-51): Kanzelsegen: Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Jesus kommt zur Welt

3. Sonntag im Advent Predigt über Röm 15, Dezember Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Weihnachten Das Wort wird Fleisch oder: Gottes Zärtlichkeit. der soll mal ein klares Wort sprechen, so heißt es immer mal.

Bistum Münster und Bistum Aachen Wortgottesdienst für Januar 2013 Die Hochzeit in Kana (vom 2. Sonntag im Jahreskreis C auch an anderen Tagen möglich)

3. Fastenzeitfrühschicht am

Jesus Christus spricht: Ihr seid das Salz der Erde ihr seid das Licht der Welt.

18. Sonntag nach Trinitatis Mk 10, 17-27

Heiligabend 24. Dezember Christvesper 16 Uhr. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Das war die eine Seite in mir. So selbstbewusst konnte sie sprechen. Aber da gab es auch noch eine andere Seite. Erinnert ihr euch? Ich hatte Angst.

Glauben lernen oder: Was heißt werden wie ein Kind? BnP

Nachbarschaftsgebet zum Totengedenken

Trinitatis-Christentum: Diskret, distanziert, aber nicht gleichgültig! - Predigt zu Johannes 3,1-8 von Ruth Conrad

Transkript:

Predigt zum Sonntag Trinitatis 205, Pfedelbach Pfarrerin Claudia Kook Liebe Gemeinde, In einem Gespräch mit einer Frau aus meiner vorherigen Gemeinde möchte ich berichten, weil sie einen so schönen Satz gesagt hat. Ich hatte sie gefragt, wie es ihr gehe, und sie erzählte vom vorherigen Abend. Sie sagte: Da dachte ich wieder: ohje, ich fall in eine Depression. Aber dann kam ein Anruf von einer Bekannten, die hat viel erzählt, und ich habe zugehört, und dann habe ich mich ganz vergessen. Dieser Satz hat mir so sehr gefallen: Dann habe ich mich ganz vergessen. Schön, wenn man das so sagen kann, wenn einem das gelingt, wenn man sich ganz vergessen kann. Wenn man nicht mehr an das schwere denkt, nicht mehr die Sorgen um und umwälzt und nicht mehr die Schmerzen am eigenen Körper spürt. Sondern zumindest für ein paar Momente alles abstreifen kann, sich ganz vergessen kann. Sich tragen lassen kann. Von der Sehnsucht, ein anderer zu werden, davon handelt unser heutiger Predigttext. Könnte ich nicht ein ganz anderes Leben führen? Aber wir alle haben ja unsere Erfahrungen, unsere Erinnerungen. Auch unseren Körper können wir nicht so einfach austauschen. Vieles ist eingefahren. Wie kann für mich etwas Neues anfangen? Eine neue Welt, ein neues Leben, wie das, von dem Jesus erzählt und das in seinen Taten aufleuchtet? Mit dieser Frage kommt ein Mensch zu Jesus. Hören Sie den Predigttext aus dem Johannesevangelium, Kap 3: Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, einer von den Oberen der Juden. 2 Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. 3 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. 4 Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? 5 Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. 6 Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist. 7 Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren werden. 8 Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen

wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist. Liebe Gemeinde, Nikodemus, ein Pharisäer, der hohes Ansehen genießt und der als Mitglied im Hohen Rat durchaus eine Autorität darstellt. Nikodemus ist Teil einer festgefügten Ordnung. Zugleich aber ist er von dem Neuen angezogen, das in Jesus aufleuchtet. Die Zeichen, die Jesus tut, berühren ihn. Am Tag ist Nikodemus voller Selbstbewusstsein. Am Tag trägt er seine Robe und sitzt auf seinem Richterstuhl und tut seine Arbeit mit großer Gewissenhaftigkeit. Und er kann dabei aus einem umfangreichen Wissen und aus einer reichen Erfahrung schöpfen. In der Stille der Nacht aber fragt er sich, ob er nicht das Leben aus den Augen verloren hat. In der Nacht spürt er, dass in ihm Ungeborenes schlummert, das nur darauf wartet, zum Leben erweckt zu werden. Nikodemus geht zu Jesus, dem Mann aus Galiläa, der die Unruhe in seinem Herzen noch verstärkt. Er geht in der Nacht. Vielleicht weil er lieber nicht gesehen werden möchte. Vielleicht aber, weil da seine Unruhe am größten ist und ihn in hinaus auf die Straße treibt. Jesus führt ihn mit seinen Worten genau zu dieser Unruhe zurück. Er sagt: ja, du hast recht. Wahrlich, ich sage dir: Es muss jemand aufs neue geboren werden, wenn er das Reich Gottes sehen will. Mit diesen Worten fegt Jesus alles hinweg, was dem Nikodemus bisher heilig war, was sein Leben ausgemacht hat, woran er sich gehalten hat. Nikodemus soll ganz von vorne beginnen. Sozusagen bei der Geburt. Verzweifelt sieht er Jesus an. Wie kann denn ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in den Leib seiner Mutter gehen und nochmals, aufs Neue geboren werden? Das ist natürlich ein Missverständnis. Nikodemus hat zwar ein ausgesprochen umfassendes Wissen, aber er weiß eben nur von solchen Geburten aus Fleisch und Blut. Gibt es ein anderes Leben als das Leben, das, was ihm von seinen Eltern geschenkt wurde? Vielleicht stellt er sich aber auch absichtlich etwas dumm. Vielleicht ahnt er die Wahrheit, die in diesen Worten enthalten ist, und reagiert darauf mit spöttischer Ironie, nur um abzulenken von seiner Angst, die in ihm aufsteigt. Soll ich alles loslassen, was ich mir erarbeitet habe? Was ich mühsam erreicht habe? Was ich mir an Lebenserfahrung zum Teil schmerzhaft erworben habe? Ich kann Nikodemus an dieser Stelle gut verstehen. Gewohnheiten geben eben auch Halt, selbst wenn ich sie manchmal als einengend und bedrückend Siehe auch: Nico ter Linden, De mooiste bijbelverhalen, Amsterdam 2006 2

empfinde. Soll ich das alles loslassen? Soll ich mich selbst loslassen? Mich selbst vergessen? Jesus antwortet: Wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, nur dann kann er in das Reich Gottes kommen. 6 Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist. 7 Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren werden. Von neuem geboren werden. Also mich nicht mehr festhalten. Sondern alles loslassen. Das steckt in dem Bild vom Geboren werden drin: das Geboren werden hat sehr viel Passives an sich. Ungeheure Kräfte wirken da, die das Kind, das da geboren werden soll, über sich ergehen lassen muss. Das Kind lässt sich darauf ein, lässt sich tragen, lässt sich von diesen Kräften mitnehmen, vielmehr mitreißen, um in Leben hinein zu kommen. So ist das auch, wenn ich vom Geist neu geboren werde: Von den Kräften des Lebens mich tragen lassen. Von der Kraft Gottes mich mitnehmen, ja mitreißen lasse, ins Leben hinein. Nikodemus bleibt etwas ratlos zurück und weiß nicht so recht, was er mit dieser Antwort jetzt anfangen soll. Der Wind bläst, wo er will, sagt Jesus noch, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist. Geheimnisvolle Worte. Und hier ist der geeignete Zeitpunkt, um einen kleinen Ausflug zur Trinität zu machen, heute am Sonntag Trinitatis: Es gibt keine einfache Sprache von Gott. Auch die Erfahrungen, die Menschen mit Gott machen, lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Und deswegen die Rede von der Dreieinigkeit als ein Versuch, sich Gott zu nähern. Ein Versuch, das Geheimnis zu benennen und zugleich zu bewahren. Gott, der allmächtige Schöpfer, der Neues schafft aus dem Nichts. Aber auch Gott, der uns in Jesus Christus begegnet, eben gar nicht allmächtig sondern ohnmächtig und auf Hilfe angewiesen, wie wir. Gott der Heilige Geist, der in Bewegung setzt, der Veränderung bringt, unberechenbar, wir wissen nicht woher und wohin er geht. Kein Gottesbild, das ich einfach in die Tasche packen kann, an dem ich mich dann immer fest halten kann, sondern auch hier muss ich mich tragen lassen und schauen: Wie begegnet mir Gott in dieser Situation, in meinem Leben, im Hier und Jetzt? Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist. Ich weiß nicht, ob das Nikodemus weiterhilft oder ob es seine Verwirrung und seine Angst nicht eher verstärkt. 3

Nicht festhalten sondern loslassen. Das kann Angst machen. Mich nur tragen lassen von Gott, sehen wohin es mich weht, welche Aufgaben sich mir in den Weg stellen, welche Menschen mir begegnen. So wie die Jünger ja auch alles aufgegeben haben, Beruf, Familie, und mit Jesus durchs Land gezogen sind Aber wer will das schon? Nikodemus ist mit seinem Zögern, so finde ich, eine gute Identifikationsfigur für uns. Aber vielleicht gelingt es doch manchmal im Kleinen: Und dann habe ich mich ganz vergessen nochmal der Satz vom Anfang. Manchmal gelingt es, dass ich mich tragen lassen kann, mich hineinnehmen lassen kann, in ein Gespräch oder in eine Erzählung eines anderen Menschen. dass ich mich von seinen Erfahrungen mitnehmen lassen kann und dann die eigenen Sorgen loslassen kann. Es ist ein Risiko darin verborgen. Ich weiß ja nicht, wohin führt mich dieses Gespräch? Wohin führen mich die Sorgen des anderen oder die Erlebnisse es anderen? Ich weiß nicht, wohin es mich treibt, aber und das ist das Wichtige es macht mich frei. Es befreit mich von mir selbst. Es macht mich frei für ein Leben mit anderen. Frei für ein Leben mit Gott. Zurück zu Nikodemus: Der steht da und wartet auf den Wind. Auf den Geist. Darauf, dass etwas passiert. Wahrscheinlich geht Nikodemus wieder nach Hause, und zu seiner inneren Unruhe ist nun auch noch die völlige Verwirrung gekommen. Aber einige Kapitel später ist nochmal ganz überraschend von ihm die Rede. Nur kurz. Nikodemus diskutiert im Hohen Rat mit den anderen Priestern und äußert sich zugunsten von Jesus. Sofort werden die anderen Priester hellhörig und fragen: Gehörst du etwa zu denen? Bist du auch einer von den Galiläern? Das heißt, irgendetwas ist geschehen. Die Veränderung vollzieht sich langsam, wie auch ein Kind langsam heranwächst. Nikodemus gibt nicht gleich seinen Beruf. Auch seinen sozialen Stand behält er. Er wird keiner der Jünger Jesu, die auf staubigen Füßen durch die Lande ziehen. Aber immerhin. Innerhalb der Position, die er innehat, sieht er nun neue Möglichkeiten und nutzt die auch, wenn es darauf ankommt. Vielleicht ist er selbst ganz überrascht darüber, welcher Mut da in ihm aufgetaucht ist. Und ganz am Ende des Johannesevangeliums taucht er ein drittes Mal auf. Jesus ist gekreuzigt und gestorben, die Argumente des Nikodemus haben also im Hohen Rat keinen Eindruck hinterlassen. Jesus wird vom Kreuz genommen und zu Grabe getragen. Und da erscheint Nikodemus ganz unerwartet. Nach wie vor ist er ein reicher Mann, er salbt den Leichnam mit einer Mischung aus Myrrhe und Aloe, ungefähr hundert Pfund heißt es, also unglaublich viel. Ein fürstliches Geschenk. Es ist, als begrabe Nikodemus den König der Welt. Der Mann, der einst suchend und ängstlich zugleich in der Nacht zu Jesus kam, tritt aus dem Dunkel heraus und wagt am helllichten Tag, sich auf die Seite der Verlierer zu stellen. 4

Der Wind bläst, wo er will, du hörst sein Sausen wohl, aber du weiß nicht, woher er kommt und wohin er fährt. Nikodemus erinnert sich an die Worte Jesu. Ich habe sein Sausen gehört. Und ich habe keine Ahnung, woher dieser Mut auf einmal gekommen ist. Und auch nicht, wohin das alles führen wird. Aber das macht nichts. Gottes Geist trägt. Das ist gewiss. Amen. 5