Markus Sehlmeyer. Römische Geschichte in der Barockoper

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Transkript:

Markus Sehlmeyer Römische Geschichte in der Barockoper (2002/2014) * Abstract: The importance of antiquity for baroque opera is obvious. More than the half of Handels Operas has ancient themes historical and mythological. But the influence of the ancient sources on the libretti was quite different: Opera has never intended to narrate ancient or medieval history. It was legitimate to invent a story that had only the starting point in Virgil, Plutarch or Tacitus. The following operas are in the focus of interest: Wolfgang A. Mozart: Ascanio in Alba (1771) George Frederic Handel: Giulio Cesare in Egitto (1724) Heinrich Ignaz Franz Biber: Arminio (1690/92) George Frederic Handel: Arminio (1737) The libretti for the Arminius-Operas used ancient sources as well as recent literary works. Drama and Happy End were more important than historicity. Die Bedeutung antiker Stoffe für die Barockoper ist offensichtlich. Man findet beispielsweise in mehr als der Hälfte der Opern Händels 1 antike Themen, wobei die historischen Stoffe gegenüber den mythologischen überwiegen. Diese althistorischen Themen umspannen die orientalische und griechische Geschichte wie beispielsweise die Oper Xerxes, vielfach die späte Republik und frühe Kaiserzeit, aber auch die Spätantike. Insgesamt 23 von 49 Opern betreffen die Alte Geschichte. Zehn weitere Opern beziehen sich auf die antike Mythologie. Nach kurzen Vorbemerkungen zur Barockoper und ihren Konventionen sollen ein paar Beispiele daraufhin untersucht werden, wie intensiv die antiken Darstellungen der römischen Geschichte gewirkt haben oder auch nicht. * Diese Ausarbeitung geht auf einen Vortrag zurück, den ich im Wintersemester 2002/3 an der Universität Rostock gehalten habe. 1 Hogwood 2000, 558f. (Werkregister). Zu einzelnen Opern der Jahre 1704-1726 vgl. Dean / Knapp 1987, Pipers Enzyklopädie und Grove Opera.

2 Markus Sehlmeyer 1. Die Barockoper und ihre Konventionen Um das Jahr 1600 hatte sich die Oper in Italien entwickelt. Sie entstand aus dem Bestreben der Florentiner Camerata, 2 das griechische Drama mit Musik wiederzubeleben. Dieser Kreis von Musikern, Gelehrten und Aristokraten hat in den 1570er- und 1580er-Jahren versucht, im Musiktheater Affekte zum Ausdruck zu bringen, die bisher auf die gesprochene Tragödie beschränkt waren. Iacopo Peri ist einer der namhaftesten Vertreter dieser Gruppe. Maßgeblich für die musikalische Gestaltung der Barockoper wurde Claudio Monteverdi, der in Mantua und Venedig tätig war. 3 Der gesungene Text war im allgemeinen Italienisch und wurde nicht vom Komponisten verfasst. Dafür gab es einen anderen Beruf, den des Librettisten. 4 In Absprache mit den Auftraggebern suchte der Librettist einen zum Anlass passenden Stoff und schlug diesen vor. Fand er Zustimmung, so verfasste er die entsprechenden Dialoge, wobei prosaische und poetische Vorlagen einfließen konnten. Gut geeignet waren insbesondere Dramen, die aber nicht unbedingt italienisch sein mussten. Dramen wie auch Operntexte, die sogenannten Libretti, griffen bei antiken Themen unter Umständen auch direkt auf griechische und vor allem lateinische Vorlagen zurück. 5 Der Komponist schrieb dann die Musik zum Libretto, wobei aber unter Umständen größere Eingriffe, z.b. Kürzungen oder Umstellungen des Textes, möglich waren. In der musikalischen Gestaltung konnten auch frühere Werke desselben Komponisten aufgegriffen werden. Mitunter standen für die Komposition nur wenige Wochen zur Verfügung, z.b. wenn die laufende Oper wenig Zustimmung fand ein Problem, mit dem Händel in seinen späten Jahren des Öfteren zu ringen hatte. 6 Die musikalischen Elemente der Oper waren vorgegeben: An besonders dramatischen Stellen wurden Arien gesungen, die zur Charakteristik der Person dienten und ihre Gefühle ausdrückten. Die Handlung wurde hingegen in den Rezitativen dargelegt, die musikalisch einfacher gestaltet waren. 2 Als einführende musikhistorische Literatur können R. Strohm: Die italienische Oper im 18. Jahrhundert, Wilhelmshaven 1979 oder U. Schreiber: Opernführer für Fortgeschrittene 1. Von den Anfängen bis zur Frz. Revolution, Kassel ²2000 dienen. 3 Die preisgünstigen Einspielungen von Peris Euridice (dir. Roberto de Caro, Arts Music 1995, 2 CDs) und Monteverdis L incoronazione di Poppea (dir. Nikolaus Harnoncourt, TELDEC 1995, 2 CDs) können einen ersten Eindruck vermitteln. Letztere Oper gibt es in der Einspielung von R. Jacobs auch auf DVD Video (Arthaus 2000). 4 Allgemeines zum Libretto Gier 1998. Zu den einzelnen Librettisten dürfte die Enzyklopädie MGG (Musik in Geschichte und Gegenwart) einschlägig sein, deren Personenteil in der 2. Auflage derzeit beim Buchstaben M angelangt ist. 5 Hier ist Questa 1998 (u.a. zu Monteverdis L incoronazione di Poppea und Händels Giulio Cesare in Egitto ) einschlägig. 6 Hogwood 2000, 163-242. Händel wandte sich danach dem Oratorium zu.

Römische Geschichte in der Barockoper 3 Die folgenden Beispiele stammen aus Opern von Biber, Händel und Mozart. Händel und Biber datieren in den Spätbarock, Mozart schon fast in die Klassik, aber seine frühen Opern 7 lassen sich noch gut in einen Vergleich einbeziehen. Dabei haben wir uns in jedem Fall zu fragen, wie nahe der Operntext den Quellen der römischen Geschichte steht. Musikalische Vorbilder und Einflüsse moderner Dichtungen werden einzubeziehen sein. Das erste Beispiel ist die Hochzeit des Ascanius, die in die mythische Vorgeschichte Roms gehört; dann wird es um Julius Caesar in Ägypten gehen; für den Arminius-Stoff wollen wir zwei Opern vergleichen. 2. Mozart: Ascanio in Alba (1771) Im Alter von 15 Jahren wurde Mozart beauftragt, eine Serenata, d.h. eine kurze Oper, anlässlich der Hochzeit des Erzherzogs Ferdinand von Österreich und der Prinzessin Maria Beatrice von Este 8 zu komponieren. Gleichzeitig erhielt Giuseppe Parini den Auftrag, das Libretto anzufertigen. Parini 9 war Rhetorik-Professor in Mailand und vom österreichischen Hof sehr geschätzt. Er nahm Ascanius, Aeneas' Sohn und Gründer von Alba Longa, als Stoffvorlage, die Mozart gemäß den Konventionen der Barockoper musikalisch ausgestaltete; Neuerungen wie in seinem Don Giovanni waren noch nicht in Sicht. Der Titel Ascanio in Alba weist schon darauf hin, dass wir es hierbei mit der mythischen Frühgeschichte Roms zu tun haben. 10 Ascanius war der Sohn des Aeneas 11 und der Kreousa. Er hatte mit seinem Vater aus Troja fliehen müssen, die Mutter konnte nicht folgen. Nach diversen Irrfahrten landete Aeneas an der Küste Italiens, wo er aufgrund mehrerer göttlicher Orakel und vor allem nach dem Willen der göttlichen Mutter Venus ein neues Troja begründen sollte, die Keimzelle des späteren Rom. Aeneas schloss ein Bündnis mit Euander, der ihm seine Tochter Lavinia zur Frau gab. Nach dem Tode des Aeneas wurde Ascanius sein Nachfolger, der die Stadt Alba Longa gründete. Das alles erfahren wir zum Beispiel aus Vergils Aeneis. Über die Herrschaft des Ascanius - geschweige denn seine Hochzeit erfahren wir aber nicht viel in der antiken Literatur, darauf ist noch zurückzukommen. 7 Mitridate, re in Ponto (1770), Ascanio in Alba (1771) und Lucio Silla (1772, vgl. Robbins Landon 1990, 42-45) gehören durch die Besetzung wichtiger Rollen mit Kastraten noch in die Tradition der Barockoper. Zu ihrer Sozialgeschichte vgl. Hubert Ortkemper: Engel wider Willen. Die Welt der Kastraten, Berlin 1993. 8 Wir befinden uns in der späten Zeit der Maria Theresa (1717-80), die zusammen mit ihrem Sohn Joseph (II., Kg. 1765-90) regierte. 9 Der Dichter und Gelehrte (1729-1799) verbrachte seine letzten Lebensjahre in Salzburg. 10 Jetzt einleitend H.J. Hillen: Von Aeneas zu Romulus, Düsseldorf/ Zürich 2003. 11 Die Aeneas-Rezeption ist umfassend dokumentiert bei Davidson Reid 1993, 61-67.

4 Markus Sehlmeyer Parinis Libretto 12 setzt offenbar den Tod des Aeneas voraus, denn er tritt in der Handlung nicht auf. Parini macht Venus zur Mutter des Ascanius. Im ersten Akt bestimmt Sie ihm voraus, dass er die Nymphe Silvia heiraten werde. Ein solcher Dialog Mensch - Gottheit ist recht typisch für die Barockoper. Der Götterapparat war aus der antiken Epik und Dramatik gut bekannt, Neuschöpfungen deshalb leicht möglich. Silvia erfährt dann später vom Priester Aceste, sie werde einen Fremden heiraten, womit der Trojaner Ascanius gemeint ist. Nach etlichen Wirrnissen kommt es dann im 2. Akt zu der Hochzeit. Die ganze Handlung spielt sich im pastoralen Milieu ab, d.h. Hirten und der bocksgestaltige Gott Faunus dominieren die Rahmenhandlung. Selbst die ausführlichsten antiken Quellen über Ascanius - das sind die Origo Gentis Romanae 13 und die Antiquitates des Dionysios von Halikarnassos 14 - verraten nichts über seine Hochzeit. Seine Linie starb aus. Vielmehr stellten die Silvier, Söhne des Silvius postumus, die späteren Könige von Alba Longa. Die Figur der Ehefrau Silvia ist aus der antiken Literatur überhaupt nicht bekannt. Hierbei handelt es sich offenbar um eine Neuschöpfung Parinis, die von dem Anlass, der Hochzeit von Ferdinand und Maria Beatrice, angeregt war. Der Handlungsverlauf erinnert insgesamt viel stärker an Aeneas und Lavinia bei Vergil denn an Ascanius. In der Aeneis wird Lavinia vorhergesagt, sie werde einen Fremden heiraten (Verg. Aen. 7,94-101). Nach dem Tod des ursprünglich vorgesehenen Gatten ist Lavinia frei. Auch in der Aeneis ist Venus die treibende Kraft, dort allerdings agiert sie für ihren Sohn Aeneas. Der Name Silvia kommt in der antiken lateinischen Literatur überhaupt nur einmal vor, und das für Rhea Silvia, die Mutter des Romulus. Doch könnte Parini eine Anleihe bei Giuseppe Bernabei genommen haben, der 1686 eine Oper gleichen Titels in München 15 aufgeführt hatte. Auch dort heiratet Ascanio eine Silvia, die dort Königin der Rutuler und Witwe des Euandro ist. 16 Es bleibt schwer zu erklären, warum Parini nicht die Hochzeitsgeschichte von Aeneas und Lavinia in seinem Libretto erzählt hat, wo doch die typologischen Bezüge so auffallend sind. Möglicherweise hat die Mutter des Bräutigams, Maria Theresia, das Thema 12 Die Oper ist in einer preisgünstigen Einspielung erhältlich (W.A. Mozart: Ascanio in Alba, dir. J. Grimbert, Naxos 1990, auf 2 CDs). 13 [Aur. Vict.] or. gent. 14,5-17,3. Dieser Text, von dem nur noch zwei Handschriften existieren, wurde zuerst von A. Schott im Jahre 1577 ediert. Eine kommentierte Ausgabe von M. Sehlmeyer ist gerade erschienen (Origo Gentis Romanae. Die Ursprünge des römischen Volkes [Texte zur Forschung], Darmstadt 2004). 14 Dion. Hal. ant. 1,65-69 (am einfachsten in der Reihe Loeb Classical Library greifbar: The Roman Antiquities, ed. E. Cary, 7 Vols., Cambridge/ London 1937-50). 15 Zum Komponisten vgl. Alexander Heinzel, MGG Pers. 2 (1999) 1361-67; zur Oper Hans- Joachim Bauer, Pipers Enzyklopädie 1 (1986) 316f. 16 Es muss nicht betont werden, dass hier Namen der römischen Frühgeschichte in ganz eigentümlicher Weise umgestaltet werden: Lavinias Gemahl war bei Vergil König der Rutuler; Euander hielt man für einen der Urkönige Latiums.

Römische Geschichte in der Barockoper 5 vorgegeben - das war bei Auftragsarbeiten nicht unüblich. Die pädagogisch-moralische Funktion ist im Libretto zu erkennen, doch ist diese nicht sehr spektakulär: Es lohne sich für eine Braut (Silvia), auf den Ehemann (Ascanius) notfalls auch längere Zeit zu warten. Ob Parini sich auf zeitgenössische Literatur bezogen hat, ist schwer zu sagen. Eine Oper unter demselben Titel hatte es bereits 1686 im München gegeben (Anm. 15). Tragödien, die Ascanius behandeln, sind mir nicht bekannt geworden. Wir können zusammenfassen, dass Parini eine unverfängliche Handlung für Mozarts kurze Oper geschaffen hat, die mit der römischen Geschichte allenfalls den Namen des Hauptakteurs Ascanius gemein hat. 3. Händel: Giulio Cesare in Egitto (1724) Händels Oper kommt den historischen Ereignissen sehr nah, die Berührungen mit Plutarch (Caes. 48-49) sind sehr deutlich. Dargestellt ist Caesars Aufenthalt in Alexandria 48/47 vor Chr., wo er mit Ptolemaios XIII. und Kleopatra zu tun bekam. Nachdem Caesar den Rubicon überschritten hatte, floh Pompeius mit den republikanisch gesinnten Senatoren nach Griechenland, wo er von Caesar bei Pharsalos in Thessalien besiegt wurde. Pompeius floh weiter nach Ägypten, wohin Caesar ihm Ende des Jahres 48 v. Chr. folgte. Aber als Caesar in Alexandrien eintraf, war Pompeius schon mit Wissen des Ptolemaios ermordet worden (Caes. 48,2; Pomp. 79f.). Das traf, so Plutarch, bei Caesar wider Erwarten nicht auf Zustimmung. Caesar bezog in Alexandria mit seinen Truppen Lager. Er selbst war Gast des Ptolemaios im Palast. Offenbar fürchtete Ptolemaios, dass Caesar die Bezahlung der hohen Schulden seines Vaters, Ptolemaios XII., einfordern würde. Das primäre Interesse Caesars bestand aber zunächst darin, in der Linie römischer Ägyptenpolitik eine stabile Regierung zu schaffen, d.h. die verbannte Kleopatra nach Alexandria zurückzuholen. Bei einem Bankett im Königspalast kam es zum Eklat, die Handlanger des Ptolemaios versuchten, Caesar zu vergiften. Er konnte fliehen, aber seine Truppen, v.a. die Flotte, wurden von ägyptischen Soldaten angegriffen. Infolge dieser Angriffe kam es zu einem Feuer, dem die Bibliothek von Alexandria zum Opfer fiel. 17 Die Kämpfe in der Stadt zogen sich bis zum Frühjahr 47 hin, als Ptolemaios XIII. auf der Flucht im Nil ertrank und Caesar zum Herrn in Alexandria wurde. Er setzte Kleopatra und Ptolemaios XIV. als Herrscher ein. Caesar und Kleopatra waren sich in dieser Zeit nähergekommen, was natürlich ein interessanter Stoff für Tragödie und Oper wurde. 17 Vgl. W. Huß: Ägypten in hellenistischer Zeit, München 2001, S. 715.

6 Markus Sehlmeyer Hayms Libretto, 18 das Händel vertonte, folgt diesem Grundmuster, doch sind einige für die Oper typische Handlungsmuster 19 eingeflochten: Neben der Beziehung von Caesar und Kleopatra spielt das Verlangen des Generals Achillas nach Cornelia, der Witwe des Pompeius, eine wichtige Rolle. Verwechslungsspiele wie das folgende kommen hinzu: Kleopatra gibt sich als ihre eigene Hofdame Lidia aus. Wenn wir die Rolle Caesars einmal ansehen, so erkennen wir schnell die großen Freiheiten, die sich Librettist und Komponist nahmen. Drei Stücke Caesars vom Anfang der Händel-Oper dienen der Illustration: Alma del gran Pompeo, che al cener suo d intorno invisibil t aggiri, fur ombra i tuoi trofei, ombra la tua grandezza, e un ombra sei. Cosi termina alfine il fasto umano. Ieri chi vivo occupò un mondo in guerra, oggi risolto in polve un urna serra. O Seele des großen Pompeius, die du hier seine Asche unsichtbar umschwebst. Schatten waren nur dein Trophäen, Schatten Deine Größe, und du bist ein Schatten. So schwindet endlich des Menschen Herrlichkeit. Der gestern lebend eine Welt eroberte, ist heute Staub, den eine Urne umschließt. Tal di ciascuno, ahi lasso, il principio è di terra e il fine è un sasso. Misera vita, oh quanto è fral tuo stato! Ti forma un soffio, e ti distrugge un fiato. So ist denn, ach, eines jeden Anfang aus Erde, und das Ende ist ein Stein. Elendes Leben! O, wie zerbrechlich bist du! Dich schuf ein Odem, und dich zerstört ein Hauch. Nachdem die Urne mit der Asche des Pompeius im römischen Lager aufgestellt worden war, stimmte Caesar dieses nachdenkliche Rezitativ an (1. Akt, 7. Szene), das die Vergänglichkeit menschlicher Erfolge zum Inhalt hat. Er weiß die Leistung des Pompeius durchaus zu würdigen. Ob diese Situation historisch ist, kann man nur schwer entscheiden. Plutarch berichtet nicht davon. Der Feldherr und Politiker Caesar wird in der Arie non è sì vago e bello zum Poeten ganz das, was das Publikum erwartete. Auch gegenüber Kleopatra zeigt Caesar sich als wahrer Kavalier, er schwärmt, sie sei schöner als die Blumen, ja ein ganzes Blumenmeer (1. Akt, 7. Szene): 18 Zu Nicola Haym vgl. Rainer Hayink, MGG Pers. 8 (2002) 1121f.; der im Folgenden zitierte Text stammt aus dem Beiheft der Einspielung von René Jacobs (Harmonia Mundi 1991, 4 CDs); die Übersetzung ins Dt. stammt von Liesel B. Sayre. 19 Dazu M. Meier: Oper, DNP 15/1 (2001) 1179-86.

Römische Geschichte in der Barockoper 7 Non è si vago e bello Il fior nel prato, Quant è vago e gentile Il tuo bel volto. Keine Blume auf der Wiese ist so lieblich und schön wie Dein Antlitz hold und sanft. D un fiore il pregio a quello Solo vien dato, Ma tutto un vago aprile È in te raccolto. Sie ist nur eine einzige Blume wert, wo in dir vereint ist ein ganzer schöner Monat April. Die Arie Va tacito e nascosto aus der 9. Szene des 1. Akts zeigt die Vorsicht des Politikers Caesar, sie dient also der Personencharakteristik. In dieser Szene stehen sich Caesar und Ptolemaios gegenüber, der für die Ermordung des Pompeius verantwortlich ist. Caesar misstraut ihm. Er zieht einen Vergleich zum Jäger, dessen Gier nach Beute ihn zwinge, sich an das Opfer anzuschleichen. Va tacito e nascosto, Quand avido è di preda. L astuto cacciator. E chi è a mal far disposto, Non brama, che si veda L inganno del suo cor. Schweigend und versteckt schleicht der schlaue Jäger, wenn er auf Beute gierig. Und wer Übles im Sinn hat, verbirgt vor den Augen aller seines Herzens Niederträchtigkeit. Diese drei Gesangspartien illustrieren die inhaltlichen Notwendigkeiten der Barockoper ebenso wie die musikalische Ausgestaltung. 20 Das, was die antiken Autoren an Details verschwiegen haben, bietet den Librettisten große Möglichkeiten zur Entwicklung dramatischer und amouröser Szenen. Der weitere Verlauf der Handlung ist denn auch davon bestimmt. Kleopatra nimmt in Gestalt der Dienerin Lidia den Imperator Caesar ganz für sich ein. Schließlich gesteht sie ihre Liebe zu ihm, und in dem Augenblick, da sich Mordkommandos des Königs nähern, gibt sie sich zu erkennen. Durch einen Sprung ins Meer kann sich Caesar in Sicherheit bringen. Eine Nebenhandlung wird hier eingebunden: Cornelia, die Witwe des Pompeius, weist die Annäherungsversuche des Generals Achillas zurück, auch die des Ptolemaios. Achillas verkündet dann triumphierend, Caesar sei ertrunken, und verlangt seinen Lohn: die gefangene Cornelia. Weil Ptolemaios sich weigert, lässt Achillas voll Wut Sextus Pompeius, den Sohn des Ermordeten, frei und wechselt ins Lager der Römer. 20 Neben der in Anm. 18 genannten Aufnahme ist auch auf die Auswahl hinzuweisen, bei der Drew Minter (Countertenor) den Caesar singt: Arias for Senesino (Harmonia Mundi 1996).

8 Markus Sehlmeyer Der 3. Akt. beginnt mit einem Sieg des Ptolemaios über römische Truppen. Kleopatra ist währenddessen von ihm gefangengenommen worden. Aber Caesar konnte sich aus dem Meer retten. Kleopatra, die bereits vom Leben Abschied genommen hat, wird von Caesar befreit. Curio, Caesars Kriegstribun, meldet den vollständigen Sieg der Römer. Nun vollzieht Caesar die Krönung der Kleopatra zur Königin von Ägypten. Die Liebenden singen am Ende im Duett Caro più amabile beltà. Diese Oper aus der besten Zeit Händels zeigt erfreuliche, ja überraschende Nähe zu den antiken Ereignissen, wenn auch die typischen Elemente der Barockoper, wie die Beispiele zeigen, beachtet wurden. Doch weisen einige der Antike ganz unbekannte Szenen daraufhin, dass auch zeitgenössische Einflüsse eine Rolle gespielt haben müssen, so die Bemühungen diverser Personen in der Oper um die Witwe Cornelia. Hier ist der Einfluss des zeitgenössischen französischen Dramas unverkennbar, vor allem der von Pierre Corneille, 21 der eine Tragödie über den Tod des Pompeius, La mort de Pompée, 22 1643/44 auf die Bühne gebracht hatte. Der Inhalt ist wie folgt: Ptolemaios, der junge König von Ägypten, lässt auf den Rat des Photinos hin den nach Ägypten geflüchteten Pompeius töten. Photinos hatte davor gewarnt, Caesars Gegner zu unterstützen. Ptolemaios hofft, mit dem Mord an Pompeius die Gunst Caesars zu gewinnen und die Thronansprüche seiner älteren Schwester Kleopatra zu entkräften. Ptolemaios' Pläne scheitern jedoch, als der in Alexandrien eingetroffene Caesar die Ermordung des Pompeius missbilligt. Kleopatra, die Thronprätendentin, wird von Caesar, der sie liebt, in ihren Ansprüchen unterstützt. Die zweite wichtige Frauengestalt bei Corneille ist die Witwe des Pompeius, Cornelia, der Caesar die Freiheit schenkt. Sie warnt Caesar vor den Plänen des Ptolemaios. Letztendlich muss der ägyptische König seine Intrigen mit dem Tode büßen. Pompeius wird feierlich bestattet; Caesar kündigt die Krönung Kleopatras an. Dieses Historiendrama geht ähnlich wie die Libretti der Barockoper sehr frei mit der historischen Wirklichkeit um. Einige Parallelen können sehr leicht erweisen, dass es Haym bekannt gewesen sein dürfte bzw. dass Haym andere Libretti verwendet hat, die Corneille voraussetzen. Das offensichtlichste Beispiel ist die Cornelia-Handlung, die wir aus der römischen Geschichte nicht kennen. Somit ist die wesentliche Gemeinsamkeit, dass wie bei Haym zwei Liebesgeschichten in den Mittelpunkt gestellt werden, für die der alexandrinische Krieg nur eine Folie abgibt. Es wäre noch zu überlegen, wie Haym und Händel auf die Idee gekommen sind, gerade diesen Stoff für eine Barockoper zu verwenden. Gewiss, sie könnten Corneilles 21 Highet 1957, 293f. Vgl. den illustrativen Artikel von Alison Stonehouse, Grove Opera 1 (1992) 953f. 22 Der Druck von 1644 ist im Internet abgelegt: http://gallica.bnf.fr/scripts/consultationtout.exe?e=0&o=n070392.

Römische Geschichte in der Barockoper 9 Tragödie gekannt haben, aber sein Werk war schon 80 Jahre alt und hatte möglicherweise nur indirekt gewirkt. In der Tat finden wir noch ältere Opern, die sich mit Caesar und Kleopatra befasst haben. 1677 hatte Bussani ein Libretto für den Komponisten Sartorio verfasst, 23 an das sich Haym eng angelehnt hat. 24 Nichtsdestoweniger hat Haym umfangreiche Änderungen und Umgestaltungen vorgenommen. Bei den Proben ergab sich weiterer Änderungsbedarf, so dass Händels Partitur und das Libretto der Aufführung auch noch Unterschiede aufweisen. 25 Wir können so zusammenfassen: Händels Oper mit dem Text von Haym kommt der Darstellung antiker Autoren wie Plutarch recht nahe. Das lässt sich damit erklären, dass dieser Biograph eine Privatisierung 26 des historischen Stoffes vorgenommen hatte, die eine Verarbeitung als Oper möglich werden ließ. Ob Haym Plutarch aus eigener Lektüre kannte, ist kaum zu ergründen. Vermutlich rezipierte er diesen Autor durch ältere Dramen und Libretti. D.h. die römische Geschichte wurde an Haym eher indirekt durch französische und italienische Texte vermittelt. Die Cornelia-Handlung wäre sonst nicht erklärbar. 4. Arminius-Opern von Biber (1690/92) und Händel (1737) Sehr fern von den historischen Geschehnissen sind die Handlungen der Opern, die sich mit Arminius, dem Cherusker, befassen. Dieser war dem gebildeten Publikum aus den Darstellungen des Tacitus und Velleius Paterculus bekannt, aber auch schon durch humanistische Werke wie den Dialog Huttens (s. Tabelle unten S. 15). Die römischen Autoren geben folgendes Bild: Der vornehme Cherusker Arminius war Anführer germanischer Verbände im römischen Heer und erlernte dort die lateinische Sprache (Tac. ann. 2,10). 27 Die Cherusker waren in ihrer Haltung gegenüber den Römern gespalten. Arminius plante anscheinend einen Aufstand, der dann zum Sieg über Varus führte. Das lässt sich daraus erschließen, dass sein Schwiegervater Segestes Varus vor Verschwörern 23 Das Libretto ist von Monson 1991, XXXss. ediert worden. 24 Wolff 1937, 53 Anm. 83; Ludwig Finscher, Pipers Enzyklopädie 2 (1987) 676-79. Nach meinem Eindruck hat Haym am Anfang des Textes von Bussani viel gestrichen (Vgl. Monson 1991, XXX-XXXIII). So fehlt die Amme Rodisbe völlig. 25 Eine tabellarische Übersicht hat Monson 1985, 324. 26 So bezeichnet es Ludwig Finscher, Pipers Enzyklopädie 2 (1987) 678. Dieses Phänomen liegt natürlich in der Natur der Sache: Eine biographische Darstellung wird den Handlungsträgern immer näher kommen als eine chronologische Geschichtsdarstellung. 27 Velleius Paterculus bezeichnet ihn als adsiduus militiae nostrae prioris comes (2,118) - eine nicht ganz unumstrittene Bezeichnung, über die zwischen dem Rostocker Althistoriker Ernst Hohl und dem Philologen Ernst Bickel eine größere wissenschaftliche Kontroverse entstand, die sich von 1943-51 hinzog. Vgl. als Beispiel Ernst Bickel: Arminiusbiographie und Sagensigfrid, Bonn 1949, dort 17ff. Polemik auf Hohl.

10 Markus Sehlmeyer gewarnt haben soll (Tac. ann. 1,55,2). 28 Unter Führung des Arminius lockten die Germanen dann Varus mit drei Legionen in einen Hinterhalt, als er von der Elbe zurückkam, um die Winterlager am Rhein zu beziehen. Der Hinterhalt des Arminius ist von Tacitus in Teutoburgiensi saltu lokalisiert worden (ann. 1,60,3). Er ist der einzige, der diese Bezeichnung gewählt hat. Im 18. Jahrhundert meinte man, dass der Osning der Ort des Geschehens war, so dass man diesen seitdem als Teutoburger Wald bezeichnet und dort bei Detmold auch das Hermannsdenkmal (1875) errichtet hat. Archäologische Funde seit Mitte der achtziger Jahre beweisen aber, dass ca. 80 km nordwestlich die Schlacht stattgefunden hat. Dort liegt Kalkriese in der Nähe von Bramsche, nördlich von Osnabrück. In einem Engpass zwischen dem Kalkrieser Berg und einem sumpfigen Gebiet gibt es ein Vielzahl von Funden, 29 die auf eine längere militärische Auseinandersetzung zurückgehen müssen - das kann in der genannten Region nur die Varus-Schlacht sein. Noch Augustus entsandte Tiberius an den Rhein, um eine befürchtete germanische Invasion zu verhindern (10-12 n.chr.). Germanicus führte dann nach dem Tod des Augustus, unter Tiberius, eine größere Offensive im nördlichen Germanien aus. Deshalb wurde ihm im Jahre 17 sogar ein Triumphzug in Rom gestattet. Unter den Kriegsgefangenen war auch die Frau des Arminius, Thusnelda. Bei Tacitus ist sie nie namentlich genannt (ann. 1,57,4; 58,6; 59,1), jedoch bei Strabon. 30 Später ist Arminius dann bei Streitigkeiten unter Cheruskern getötet worden. (Tac. ann. 2,88 zum Jahre 19 n. Chr.) Dieser historische Stoff der wahrlich nicht sehr ausführlich überliefert ist bot nun große Spielräume in der inhaltlichen Ausgestaltung. Dutzende von Opern befassen sich mit der Thematik, gehen aber nur auf wenige italienische Libretti zurück. Zwei Beispiele sollen zeigen, wie frei die Librettisten im Umgang mit der römischen Geschichte waren, nämlich Raffaelini 31 (den Biber mutmaßlich vertonte) und Salvi (den Händel vertonte). 28 Die Hintergründe der Empörung liegen möglicherweise in Plänen des Varus, Germanien vom Militärbezirk zur Provinz zu machen (vgl. Jochen Bleicken: Augustus, Berlin 1998, 598-605, 760-62). 29 Dazu Wolfgang Schlüter/ Rainer Wiegels (Hrsg.): Rom, Germanien und die Ausgrabungen in Kalkriese, Osnabrück 1999. 30 Strab. 7,1,4 = p. 291s.: καὶ ἀδελφὴ αὐτοῦ, γυνὴ δ' Ἀρμενίου τοῦ πολεμαρχήσαντος ἐν τοῖς Χηρούσκοις ἐν τῇ πρὸς Ὀυᾶρον Κουιντίλλιον παρασπονδήσει καὶ νῦν ἔτι συνέχοντος τὸν πόλεμον, ὄνομα Θουσνέλδα. 31 Francesco Maria Raffaelini war 1685-92 in Salzburg tätig; Schneider 1928, 294ff. hat sich dafür ausgesprochen, dass er das Libretto verfasst hat, obwohl sein Name in der Originalpartitur nicht genannt ist, ebenso Sibylle Dahms, Pipers Enzyklopädie 1 (1986) 341f.

Römische Geschichte in der Barockoper 11 Bibers 32 Arminio-Oper hat den Originaltitel: Chi la dura, la vince Wer ausharrt, erringt den Sieg. Zunächst zu der dort geschilderten Handlung, also zum Sujet der Oper. Germanico, der siegreich nach Rom zurückgekehrt ist, begrüßt seinen Vater Tiberio. Es ist Germanico gestattet worden, den Sieg über die Germanen in einem prächtigen Triumph zu feiern. Im Triumphzug sollen auch Kriegsgefangene gezeigt werden, darunter die Frau des Arminius, die im Libretto Segesta heißt. Arminius selbst wurde nicht gefangengenommen, ist aber im Gefolge Calligolas nach Rom gekommen. Er verbirgt seinen wahren Namen und nennt sich Erastes. Im dritten Akt können Arminio und Segesta (also Thusnelda) fliehen, werden aber von Seiano gefasst. Diese letzte Szene soll hier näher betrachtet werden. 33 Seiano Mentre tra l ombr oscure gira, oh Cesare Invitto, ricamando di stelle il ciel la notte, un ardimento strano un vil schiavo intraprese e con frodi Segesta porre fuggendo in libertà pretese. Seianus Während im schattigen Dunkel die Nacht kreist, oh unbesiegbarer Caesar, mit sternenbesticktem Himmel, unternahm ein niedriger Sklave ein seltenes Wagnis, und mit Betrug suchte er Segesta fliehend zu befreien. Tiberio E sen fuggi? Sicuro? Tiberius Und er entkam? Sicher? Seiano No, no, che dalle guardie alle vigilie intente fu schiavo mal nato, e scoperto, inseguito e incatenato. Seianus Nein, nein, denn von den achtsamen Wächtern der nächtlichen Wache wurde der niedere Sklave entdeckt, verfolgt und in Ketten gelegt. Ein wahres Potpourri namhafter Gestalten der römischen Geschichte tritt hier und im folgenden Rezitativ des Arminio auf. Neben dem amtierenden Kaiser Tiberio ist es Seiano, die rechte Hand des Tiberio. Segesta und Arminio wurden bereits erwähnt. 32 Heinrich Ignaz Franz Biber (1644-1704), österreichischer Komponist und Violinist, von dem noch die Oper Alessandro in Pietra erhalten ist, ferner diverse Titel von Schuldramen (Schneider 1928, 283-85). Die Partitur nennt das Jahr 1687, aber Sibylle Dahms (vorige Anm.) vermutet wohl zu recht, dass die Aufführung zwischen Ende 1690 und Mitte 1692 stattfand. 33 Text und Übersetzung folgen der Einspielung von Wolfgang Brunner, cpo 1995.

12 Markus Sehlmeyer Tiberio! È la Fortuna sempre varia, incostante e spesso accade che quella destra istessa che reggere seppe il scettro sia da ferro servil cinta, e oppressa Ma giacchè il fato avverso a tal punto mi trasse voglio narrarti il tutto: Arminio io sono, È che dalle tue legioni la già rapita moglie sotto mentite spoglie, con pensier d'involarla fin a Roma seguii, e quivi appunto reso, pur di Segesta già Calligola amante. Con suoi fogli amorosi mi comandò che a quella spesse volte io n'andassi e l'obbedii. Ma con tale occasione io la fuga tramai. Me l'impediron i tuoi. Ora disponi di me, fà quel che vuoi. Tiberius! Das Glück ist immer wechselhaft, unbeständig, und oft geschieht es, dass selbst jene Rechte, die das Szepter zu führen wusste, von knechtischem Eisen umwunden, gebunden sein kann Doch, da das widrige Geschick mich bis hierher führte, will ich alles erzählen: Arminius bin ich, der seiner durch deine Legionen geraubten Gattin verkleidet und mit dem Plan, sie zu retten, bis noch Rom folgte. Und kaum hier, fand ich auch Caligula schon in Segesta verliebt. Mit seinen Liebesbriefen schickte er mich zu dieser, oftmals ging ich zu ihr und gehorchte ihm. Doch bei solcher Gelegenheit plante ich die Flucht. Die Deinen verhinderten sie. Nun verfüge über mich, mach was du willst. Dass ein solches Zusammentreffen niemals stattfand, ist klar, war aber für die Hörer der Barockoper kein Problem. Das Rezitativ des Arminio fasst die Handlung gut zusammen, dient aber auch der Verbreitung von Lebensweisheiten. Tiberio begnadigt daraufhin Arminio. Am Ende steht das Sextett, das die Moral des Stücks, das Titelthema, zu Gehör bringt Che chi la dura, la vince al fine. Zurück zum Text von Raffaelini. Wie ist er darauf gekommen, die recht kurzen Bemerkungen in den Annalen des Tacitus so auszugestalten? Zunächst einmal hat er die Gattungskonventionen in Rechnung gestellt; Liebesromanzen mit Happy End waren Pflichtbestandteil jeder Oper. Aber zudem hat er augenscheinlich neuzeitliche Thematisierungen des Arminius-Stoffes herangezogen. Im Jahre 1684, also 7 Jahre vor der Uraufführung der Oper Bibers, war in Paris die Tragödie Arminius von Jean Galbert de

Römische Geschichte in der Barockoper 13 Campistron 34 gezeigt worden. Entgegen dem Titel steht Varus im Mittelpunkt. Er ist in Liebe zu Isménie verfallen, die ihrerseits die Verlobte von Arminius ist. Somit wird die Auseinandersetzung zwischen den Römern und Germanenstämmen unter Führung des Arminius auf eine private Ebene verlagert. Aus der taciteischen Darstellung ist eine Tragödie geworden. 35 Ein weiteres Libretto ist stärker von Campistron abhängig: Das von Antonio Salvi aus dem Jahre 1703. Es wurde mehrfach vertont. 36 Als ein Beispiel soll hier das Spätwerk Händels dienen, sein Arminio von 1737 (Uraufführung 1738). Der Stoff war bereits 1714 in London gegeben worden, doch ist der Komponist nicht mehr zu ermitteln. 37 Die Verlobte des Arminius hat nun den Namen Thusnelda, d.h. die zweite Quelle Strabon ist neben Tacitus herangezogen worden. Folgende Übersicht zeigt signifikante Unterschiede gegenüber Biber: Zeitstellung Raffaelini (?;1690/92) für H.F.A. Bibers Chi la dura, la vince Triumph des Germanicus (17 n.chr.) Antonio Salvi (1737) für G.F. Händels Arminio vor der Varus-Niederlage (9 n.chr.) Ort Rom Germanien Personen Handlung Giulia, Arminio, Nerone, Segesta, Tiberio, Calligola, Vitellio, Germanico, Erchino, Claudia, Climmia, Seiano 1. Segesta wird nach Rom verschleppt und von Arminio befreit; 2. Tiberio hat sich im Palast diverser Intrigen zu erwehren Arminio, Tusnelda, Sigismondo, Ramise, Varo, Tullio, Segeste Arminio begibt sich in die Gefangenschaft des Varo, befreit sich dann aber und besiegt ihn; Segestes hat(te) seine Tochter Thusnelda dem Varo versprochen 34 Bei Highet 1957 nicht erwähnt. Vgl. aber Dorothy Jones: Jean de Campistron. A study of his life and work, University 1979. 35 Text online: http://gallica.bnf.fr/scripts/consultationtout.exe?e=0&o=n057473. Die Tragödie wurde 1712 in einer ital. Prosafassung in Rom und Bologna veröffentlicht (so Forchert 1975, 51 Anm. 32). 36 Neben Händel von Alessandro Scarlatti ( 1725) und Johann Adolf Hasse (1745). 37 Dieses Faktum erwähnt Ch. Burney in seiner General History of Music IV, London 1776, S. 805 (nach Forchert 1975, 52 Anm. 35).

14 Markus Sehlmeyer antike Quellen Tacitus, Annalen Tacitus, Annalen Strabon, Geographie moderne Quellen venezianische und frühdeutsche Opern? (Schneider 1928, 302-5) Campistron, Arminius (Tragödie von 1643/44) Händel beginnt mit der (historisch nicht belegten) Niederlage des Arminius gegen die Römer. Er steht vor der Entscheidung, ob er sich Varus stellen oder fliehen soll. Das Duett mit Thusnelda soll hier vorgestellt werden (1. Akt, 1. Szene): 38 Il fuggir, cara mia vita, non è tema né viltà, se alla fuga il piede invita casto amore e libertà. Zu fliehen, mein Leben, zeigt weder Angst noch Feigheit, der Fuß zur Flucht eingeladen durch reine Liebe und Freiheitsdrang. Der Text besagt, dass Flucht aus Liebe oder Freiheitsstreben nicht als Feigheit gedeutet werden kann. Am Ende steht die libertà, deren Erstreben Tacitus dem Arminius beigelegt hatte, ohne dass seine knappe Darstellung das rechtfertigen würde. Bereits Tacitus hatte Arminius als liberator hau<d> dubie Germaniae hingestellt (ann. 2,88,2). Wir können im weiteren Verlauf der Oper den Schlüsselbegriff Freiheit noch öfter finden, so dass das politische Motiv des Arminius bei Händel eine wichtige Rolle spielt, eine wichtigere als bei Biber, der ja auch einen späteren historischen Kontext gewählt hat, nämlich den Triumph des Germanicus im Jahre 17 n.chr. Bei Händel hingegen scheint es um die Zeit unmittelbar vor der Varus-Schlacht (9 n.chr.) zu gehen. Eine weitere wichtige Person bei Händel ist Segestes, der Vater Thusneldas. Er hatte sich, wie wir von Tacitus wissen, gegen Arminius gestellt und dessen Pläne sogar an Varus verraten. Bei Händel wird er nun zum Friedensvermittler stilisiert, wie sein Rezitativ in der Mitte des 1. Aktes zeigt: Se Arminio oggi non piega Wenn Arminius sich heute nicht überzeugen lässt, a ricever da Roma a legge e pace, Gesetze und Frieden aus Rom zu empfangen, colla sua testa pagherà l orgoglio; soll er mit seinem Kopf für seinen Stolz bezahlen, ché aver non può, mentre che Arminio vive, weil das Kapitol, während Arminius lebt, nicht pace con la Germania il Campidoglio. haben kann Frieden mit Germanien. 38 Italienischer Text nach dem Libretto in der CD-Einspielung von Alan Curtis, Veritas 2001.

Römische Geschichte in der Barockoper 15 Arminio begibt sich dann in die Haft des Varus. Am Ende der Handlung steht die Befreiung Arminios aus der Haft und seine Errettung vor der Todesstrafe. Er kann seinen Truppen zur Hilfe eilen und Varus endgültig besiegen. Und er ist natürlich wieder in Liebe mit Thusnelda vereint. In einem Rezitativ vom Ende der Oper begnadigt Arminio dann den Schwiegervater Segeste, der ihn bei Varus verraten hatte. Wie kam Händel nun auf die Idee, sich mit dem Arminius-Stoff zu befassen? Möglicherweise hatte er in Italien (1706/9) eine thematisch ähnliche Oper gesehen. Er könnte auch die Londoner Opernaufführung von 1714 gesehen haben. Dieser Stoff war so populär in der Barockoper, dass es eigentlich nahe lag, ihn zu wählen. Wenn wir Klassik und Romantik einbeziehen, dann sind bis zum Jahre 1910 bislang 76 Opern nachzuweisen, die sich mit dem Arminius-Stoff befassen. 39 Auch in anderen Gattungen war Arminius eine beliebte antike Gestalt, wie diese Liste einiger markanter Beispiele zeigt: 1529 Ulrich von Hutten: Arminius (lateinischer Dialog) 1684 J.G. de Campistron: Arminius (französische Tragödie) 1689/90 Lohenstein, Großmütiger Feldherr Arminius (Roman) 1690/92 Biber: Arminio (Libretto: Raffaelini?) 1703 Scarlatti: Arminio (Libretto: Antonio Salvi) 1706/9 Händel in Florenz, Rom und Venedig (vgl. 1705 Genua: Aufführung einer Arminius-Oper nach dem Text von Salvi) 1714 erste Oper mit Arminius-Stoff in Händels London 1737 Händel: Arminio (Libretto: Antonio Salvi) 1769 Klopstock: Die Hermannsschlacht (Drama) 1875 Enthüllung des Hermannsdenkmals bei Detmold Politische Motive für die Wahl des Stoffes in Händels Oper zu unterstellen, ist etwas problematisch. Ein Musikwissenschaftler 40 hat die Auffassung vertreten, der Konflikt Arminius-Varus würde für die Spannungen zwischen England und Frankreich bzw. dem Papst stehen. Eine solche allegorische Deutung ist mir nur schwer nachvollziehbar. Sie müsste anhand des Textes und ggf. seiner zeitgenössischen Rezeption bewiesen werden. 5. Was bleibt von der Römischen Geschichte in der Barockoper? Die Barockoper hatte nie die Absicht, antike oder auch mittelalterliche Geschichte nachzuerzählen. Es war völlig legitim, die Antike nur zum thematischen Ausgangspunkt 39 Liste bei Barbon/ Plachta 1995, 288-90. 40 Duncan Chisholm im Vorwort der CD-Aufnahme von Händels Giustino (N. McGegan, Harmonia mundi 1994, S. 15).

16 Markus Sehlmeyer zu nehmen und die Handlung völlig frei zu erfinden, wie es in Mozarts Serenata Ascanio in Alba geschehen ist. Was dort erzählt wird, ist in der antiken Literatur nicht zu finden. Mitunter wird diese Diskrepanz sogar im argumento problematisiert, das vor Beginn den Zuschauern vorgetragen wurde, um ihnen Einblick in den historischen Kontext zu geben. 41 Ein und derselbe Stoff konnte durchaus mit verschiedener Nähe zu den historischen Geschehnissen wiedergegeben werden. So sind die Arminius-Opern von Biber und Händel inhaltlich recht verschieden. Von Tacitus übernehmen sie den Grundgedanken, dass Arminius als Befreier Germaniens anzusehen sei. Raffaelini hat sich in seinem Libretto für Biber vielleicht stärker von Tacitus anregen lassen, doch ist seine Handlung, die Befreiung Segestas durch Arminio, frei erfunden. Salvis Libretto für Händel hat Anregungen aus der französischen Tragödie Arminius von Campistron bezogen. Viele Übereinstimmungen mit historischen Details, die aus Plutarch und anderen antiken Autoren bekannt sind, findet man in Händels Giulio Cesare in Egitto. Ähnlich nah an antiken Texten (in diesem Fall der zweiten Hälfte von Vergils Aeneis) ist Giuseppe Sartis Oper Enea nel Lazio, die 1799 in St. Petersburg uraufgeführt wurde. Das lag daran, dass F. Morettis Libretto auf das sehr quellennahe Vorbild von Giovanni Moniglia (1670) zurückgreifen konnte. Händels Oper Radamisto (1720) lässt große Einflüsse von Tacitus Darstellung in seinen Annalen (12,44-51) erkennen. Auch spätantike Stoffe wie der Aufstieg Justins wurde in der Barockoper quellennah wiedergegeben: Zumindest Händel rezipierte vermutlich eher indirekt die Darstellung Prokops (Anec. 6,1-18) in seinem Giustino. Die Rezeption antiker Stoffe wurde begünstigt, wenn bereits moderne dramatische Umsetzungen zur Verfügung standen. Corneille wurde in Opernlibretti von Haym, Metastasio 42 und anderen 43 zum Vermittler römischer Geschichte. 44 Racine leistete ähnliches für griechische Mythologie und Geschichte. 45 Die Barockopern mit historischen Themen sind also häufig auch mit modernen Dramen (nicht nur antiker Historiographie und Epik) in Beziehung zu setzen, d.h. die Libretti sind als fiktionale Texte anzuspre- 41 Als Beispiel kann Bibers Chi la dura, la vince dienen. Das argumento gibt knapp die Darstellung des Tacitus wieder und nennt dann den ergänzten, ausdrücklich als fiktiv bezeichneten Handlungsablauf der Oper (Vgl. das Begleitbuch zur Einspielung von W. Brunner [Anm. 33] 8-9). 42 Z.B. in Mozarts klassischer Oper La Clemenza di Tito (1791, vgl. Questa 1998, 191-203). Pietro Metastasio schrieb auch Libretti für Johann Adolf Hasse und Christoph Willibald Gluck. 43 Antonio Salvi (oben S. 13), Aurelio Aureli, Niccolò Minato: Gier 1985, 83f. 44 Vgl. den Artikel von Stonehouse (Anm. 21). Aus dem Index von Davidson Reid 1993 ist seine große Bedeutung für die Antikenrezeption im Barock ebenfalls deutlich. 45 Vgl. Highet 1957, 294 und den Artikel in Grove Opera.

Römische Geschichte in der Barockoper 17 chen, die aber durchaus einen historischen Kern haben können. Dramatik und Happy End ( lieto fine ) sind ihnen wichtiger als Historizität. Literatur in Abkürzungen Barbon/ Plachta 1995 Barbon, Paola/ Plachta, Bodo: Chi la dura la vince - Wer ausharrt, siegt. Arminius auf der Opernbühne des 18. Jhds., in: Weigels, Rainer/ Woesler, Winfried (Hgg.): Arminius und die Varusschlacht, Paderborn 1995, 265-90 Dahms 1994 Dahms, Sibylle: Zu H.I.F. Bibers Oper Chi la dura la vince, Österreichische Musikzeitschrift 49/2 (1994) 107-12 Davidson Reid 1993 Davidson Reid, Jane: The Oxford Guide to Classical Mythologie in the Arts, 1300-1900s, Oxford 1993 Dean/ Knapp 1987 Dean, Winton/ Knapp, John Merrill: Handel's operas 1704-1726, Oxford 1987 Forchert 1975 Forchert, Arno: Arminius auf der Opernbühne, in: Günther Engelbert (Hg.): Ein Jahrhundert Hermannsdenkmal 1875-1975, Detmold 1975, 43-57 Gier 1998 Gier, Albert: Das Libretto, Darmstadt 1998 Grove Opera Highet 1957 Sadie, Stanley (ed.): The New Grove Dictionary of Opera, 4 Vols., New York 1992 Highet, Gilbert: The Classical Tradition. Greek and Roman Influences on Western Literature, Oxford 1957 u.ö. (paperback) Hogwood 2002 Hogwood, Christopher: Händel, Frankfurt/ Leipzig 2000 Monson 1985 Monson 1991 Monson, Greg: Giulio Cesare in Egitto : from Sartorio (1677) to Handel (1724), Music and Letters 66 (1985) 313-43 Monson, Greg (ed.): Antonio Sartorio: Giulio Cesare in Egitto. Libretto by G.F. Bussani, Madison 1991 Pipers Enzyklopädie Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, 7 Bde., Stuttgart 1986-97 Questa 1998 Questa, Cesare: I Romani sulla scena operistica, in: ders.: L aquila a due teste. Immagini di Roma e dei Romani, Urbino 1998, 173-227 Robbins Landon 1990 Robbins Landon, H.C.: The Mozart Compendium, London 1990 Schneider 1928 Wolff 1937 Schneider, Constantin: Franz Heinrich von Biber als Opernkomponist, Archiv für Musikwissenschaft 8 (1926) 281-347 Wolff, Hellmuth Christian: Die venezianische Oper in der zweiten Hälfte des 17. Jhds., Berlin 1937 ND Bologna 1975