Lebendig! Kirchgemeinde Basel West Pauluskirche, am 20. September 2015

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Prä dikänt Gü nther Dreisbäch Meditätion äm Voräbend zü Reminiscere 24. Feb Altersheim Wolfhägen Text: EG 83,4

Transkript:

Kirchgemeinde Basel West Pauluskirche, am 20. September 2015 Benedict Schubert Predigttext: Johannes 11, 1.3.17 27 Gottesdienst zur Einsetzung des Kirchenvorstands Lebendig! 1 Es war aber einer krank, Lazarus aus Betanien, aus dem Dorf der Maria und ihrer Schwester Marta. 3 Da sandten die Schwestern zu ihm und liessen sagen: Herr, der, den du lieb hast, ist krank. 17 Als Jesus dort eintraf, fand er ihn schon vier Tage im Grab. 18 Betanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien entfernt. 19 Viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, um sie wegen ihres Bruders zu trösten. 20 Marta nun, als sie hörte, dass Jesus komme, ging ihm entgegen. Maria aber sass zu Hause. 21 Da sagte Marta zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, so wäre mein Bruder nicht gestorben. 22 Aber auch jetzt weiss ich: Alles, was du von Gott erbitten 1

wirst, wird Gott dir geben. 23 Jesus sagt zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. 24 Marta sagt zu ihm: Ich weiss, dass er auferstehen wird in der Auferstehung am Jüngsten Tag. 25 Jesus sagte zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, 26 und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben. Glaubst du das? 27 Sie sagt zu ihm: Ja, Herr, jetzt glaube ich, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt. JOHANNES 11 Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder, Ja, Herr, jetzt glaube ich!, bekennt Marta mit bewundernswerter Festigkeit und wir staunen. Scheinbar ohne zu zögern sagt sie Ja! auf die Frage von Jesus, ob sie das glaube, nämlich was er eben behauptet hatte: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben. Hat Marta verstanden, was Jesus sagt? Verstehen wir es? Können wir die Proklamation von Jesus und Martas Antwort nachvollziehen? Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben. Der Evangelist setzt diesen grossartigen Vers in Zentrum einer im Ganzen eher verstörenden Geschichte. Wir haben heute nur einen Ausschnitt gehört doch die meisten werden die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus in ihren Grundlinien kennen: Der Freund ist auf den Tod krank. Seine Schwestern lassen Jesus holen. Doch der beeilt sich nicht, sondern behauptet, die Krankheit des Lazarus führe nicht zum Tod. Schliesslich bricht Jesus zum Krankenbesuch auf, obwohl die Jünger befürchten, er werde damit direkt denen in die Arme laufen, die ihn umbringen wollen. Doch dann führt die Krankheit doch zum Tod. Lazarus stirbt. Irgendwie bekommt Jesus das mit, doch das scheint ihn nicht zu irritieren; er behauptet, Lazarus schlafe. Als die Jünger erleichtert vermuten, der Kranke schlafe sich gesund, stellt Jesus richtig, nein, der Freund sei tot. Aus dieser Nachricht kann der Jünger Thomas nichts anderes ableiten als: Lasst uns auch hingehen, um mit ihm zu sterben. 2

An diesem Punkt hat unsere Lesung wieder eingesetzt; sie gipfelt in Martas Bekenntnis. Weiter im Text geht es so: Marta holt ihre Schwester Maria. Maria wirft sich Jesus zu Füssen. Auch sie wirft ihm vor, ihr Bruder wäre nicht gestorben, wenn er früher gekommen wäre. In dem Moment heisst es von Jesus, er sei im Innersten empört und erschüttert gewesen, und er bricht in Tränen aus. Es ist etwas anderes, theologisch über Tod und Leben zu sinnieren, oder mit dem zu frühen Tod des Freundes konfrontiert zu sein. Die ganze Szene hat keinen festen Ort, sie spielt sich in einem nicht definierten Dazwischen ab: nicht dort, wo Jesus herkam, nicht in Betanien, nicht am Grab. Dorthin gehen sie erst jetzt und Jesus wird den Toten aus seiner Grube herausrufen. Lazarus kommt nicht als vor Kraft strotzender Mann heraus. Johannes beschreibt etwas, was eher grausig gewesen sein muss: der eingewickelte Leichnam, der aus dem Dunkel ins Licht wankt und erst noch ausgewickelt, entwickelt werden muss auf den Befehl von Jesus, der die Geschichte abschliesst: Befreit ihn und lasst ihn gehen! Ja, jetzt glaube ich! Im Herzen der ganzen Erzählung das Bekenntnis der Marta. Können wir es am Ende nachsagen? Wir sind als Kirche eine Glaubensgemeinschaft. Wir sind gewiss auch eine Gemeinschaft von Fragenden und Suchenden. Wir zweifeln und sind verunsichert. Wir sind uns in vielem nicht einig, vieles lassen wir ungesagt, weil wir keine Worte dafür finden. Doch in allem und trotz allem sind wir eine Glaubensgemeinschaft. Der Begriff beschreibt und bestimmt nicht nur von aussen, was wir sind. Er dient nicht bloss dazu, uns zu unterscheiden von einem Sportverein, einer Musikgesellschaft, einem Kulturclub oder einer politischen Partei. Der Begriff Glaubensgemeinschaft stellt auch eine Behauptung auf, erhebt einen Anspruch: wir kommen zusammen, wissen uns untereinander verbunden und für einander verpflichtet, weil wir glauben. Marta fasst ihren Glauben ins Bekenntnis: Ja, Herr, jetzt glaube ich, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt. Sie verwendet eine formelhafte Sprache, um zum Ausdruck zu bringen, dass sie aufnimmt und annimmt, was Jesus ihr zusagt. Die Bekenntnisformel besteht aus lauter Begriffen, die nach einer ausführlicheren Deutung verlangen: Glauben. Christus Messias. Sohn Gottes. Welt. Kommen. Martas Bekenntnis ist das Gefäss, in dem sie die Fülle des Lichts aufzufangen sucht, das ihr aus dem Wort von Jesus entgegenströmt: Ich bin die 3

Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben. Es kann einem berechtigterweise vorkommen, als sei Martas Gefäss zu klein, zu formal, zu trocken. Das wäre eines der Argumente, die für die Bekenntnisfreiheit unseres Schweizer Reformierten Protestantismus sprechen: Bekenntnisformeln sind nie dem angemessen, was sie fassen sollen. Worauf allerdings die Gegenfrage zu stellen wäre, ob der Strom des Lichts nicht in trüber Beliebigkeit versickert, wenn wir gar nichts haben, um ihn zu fassen und sei es eine ungenügende Formel. Doch das nur als Seitenbemerkung. Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben. Klar ist an diesem hell dunklen Wort sicher eines: sterben heisst nicht sterben. Das physische, biologische, medizinische Leben endet für jede und jeden einmal. Das Herz hört auf zu schlagen, die Hirnströme fliessen nicht mehr, Zellen teilen und vermehren sich nicht mehr auch wer glaubt, stirbt einmal so. Hoffentlich nicht zu früh. Und das muss man heute ja beifügen hoffentlich nicht zu spät. Also: wer glaubt, muss nicht befürchten, er werde 156 oder 737 Jahre alt. Jesus selbst starb wenige Tage, nachdem er das gesagt hatte im Alter von nur ungefähr 33 Jahren. Auch seine Jünger starben alle. Die meisten von ihnen übrigens nicht alt und lebenssatt. Viele mussten ihr Kreuz auf sich nehmen, wurden geführt, wohin sie nicht wollten, und früher zu Tode gebracht, als sie selbst, und als ihre Familien und Freunde es gewünscht hatten. Es muss also um eine andere Art von Tod gehen, vor der wir bewahrt werden, um eine andere Art von Leben, in das wir im Glauben eintreten. Denn auch das Leben in Ewigkeit ist nicht ein Leben, das nach dem Tod irgendwie unendlich weitergeht; womöglich werden wir dabei zurückversetzt in einen Stand unveränderter jugendlicher Schönheit. So etwas hatte Marta sich vorgestellt. Der Tod ist nicht ein Ende das will ich heute hier nur gerade betonen, aber nicht näher ausführen. Der Tod bedroht das Leben nicht mehr. Das ewige Leben wird durch den Tod nicht an sein Ende gebracht, sondern vollendet sich in Gottes geheimnisvoller Gegenwart. Jesus geht es offenbar nicht so sehr um die Dauer des Lebens. Ihn interessiert nicht so sehr, ob und wie es über den Tod hinaus weitergeht. Ihm ist wichtig, dass das 4

ewige Leben schon jetzt beginnt. Ihm geht es um die Qualität des ewigen Lebens. Es geht darum, was in einem Leben geschieht. Es geht darum, wie ein Leben angenommen und gestaltet wird. Ob wir das im Zeichen erkennen sollen, das Jesus dadurch setzt, dass er Lazarus aus dem Grab ruft? Als eingewickelter Leichnam tritt er aus der Höhle. Alle sehen: dieser Tod ist bloss aufgeschoben, nicht aufgehoben. Vielleicht stand Lazarus dann einmal am Grab einer seiner Schwestern anstatt umgekehrt doch das Entscheidende war nicht dies. Entscheidend ist die Pointe am Schluss, der Auftrag, den Jesus der Trauergemeinde gab. Es ist der Auftrag, der weitergeht an alle Gemeinden seither: Befreit ihn und lasst ihn gehen! Denjenigen, für die Johannes sein Evangelium schrieb, wird das möglicherweise unmittelbarer klar gewesen sein als uns. Es war eine Gemeinde, deren Mitglieder meist in prekären Umständen lebten. Das Bekenntnis zum Glauben bedeutete gesellschaftliche Ächtung, wirtschaftliche Nachteile, manche brachte es in Lebensgefahr. Ich vermute, dass es für sie erschreckend realitätsnahe war, wenn sie Thomas sagen hörten: Lasst uns auch hingehen, um mit ihm zu sterben. Jesus als den Messias zu anerkennen und zu bekennen, konnte einen das Leben kosten. Mit Marta und wie Marta taten sie es dennoch. Offenbar haben sie erfasst, was Jesus meinte, wenn er proklamiert: Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. Viele von ihnen gaben ihren Glauben nicht auf. Sie fanden den Preis nicht zu hoch für die Qualität des Lebens, die sie im Glauben und durch den Glauben fanden. Sie zogen es offenbar vor, kürzer zu leben als andere wenn sie denn dazu genötigt wurden dafür in einer Gemeinschaft, in der die einen die anderen höher achteten als sich selbst. Eine Gemeinschaft, in der Bindungen gelöst werden, Menschen frei gesetzt. Wo Menschen ausgewickelt werden aus Verstrickungen und Abhängigkeiten, wo Schuld vergeben wird, Wunden versorgt, Verletzungen geheilt, wo verborgene Talente freigelegt und zur Entfaltung gebracht werden da ist Leben in Ewigkeit. Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass es in den Gemeinden jener Zeit weniger Probleme und Konflikte gegeben hätte als in unserer Gemeinde heute. Ich bilde mir nicht ein, dass sie nicht auch in unauflösbare Dilemmata geraten seien. Die Paulusbriefe lassen uns ja leicht genug erkennen, dass die ersten Gemeinden sich mit vergleichbaren Kommunikationsproblemen herumschlugen wie wir heute. Sie litten unter knappen Ressourcen, kämpften gegen Animositäten und Rivalitäten. Es gab Menschen, die zu exaltiert und schwärmerisch waren, und solche, die allzu 5

bequeme Kompromisse machten mit den Regeln und Gewohnheiten der Welt um sie her. Doch in allem wussten sie sich bleibend von Gott gerufen, von Ihm angesprochen und ausgehalten. Sie verabschiedeten sich nicht aus dieser besonderen Kommunikation: sie liessen sich weiterhin von Jesus Dinge sagen, die sie vielleicht kaum verstanden. Doch erkannten seine Worte als Worte des ewigen Lebens und antworteten darauf mit einem Bekenntnis, das vielleicht ein wenig formelhaft klingen mochte. Doch es war gedeckt durch den immer neuen Versuch, das eigene Leben als ewiges Leben zu verstehen und zu gestalten. Sie liessen sich aus dunklen Höhlen rufen und aus Bindungen lösen, denen der Geruch von Tod anhaftete. Oder sie hatten keine Hemmungen, sich selbst die Finger schmutzig zu machen an dem, was schon nach Tod stank, wenn sie andere daraus heraus lösten. Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben. Jesus hat einen Ton in die Welt gesetzt, der seither nie mehr ganz verhallt ist. Der Klang vom Leben im Tod bleibt in der Luft. Manchmal so leise, dass Du nicht sicher bist, ob er überhaupt noch da ist, dann wieder voll tönend. Wir sind Gemeinde, weil wir ihn hören, auf ihn hören. Ermutigend und belebend ist es, wenn er uns hin und wieder voll tönend erreicht wie jetzt gleich achtstimmig in der Motette von Heinrich Schütz. Sie soll es uns leicht machen, mit Marta zu bekennen: Ja, Herr, jetzt glaube ich, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt. Und das wollen wir nicht bloss mit Worten bekennen. Mit dem Klang der Worte von Jesus im Herzen leben wir unser Leben als ewiges Leben! 6