DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR HANDCHIRURGIE Herrn Prof. Dr.med. Wilhelm Schwartz Vorsitzender des Sachverständigenrates f. die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen c/o Bundesministerium für Gesundheit Am Propsthof 78 a 53121 Bonn Präsident: Dr. Rüdiger NEUMANN Hohe Weide 17 20259 Hamburg Sekretär: Prof. Dr. Peter HAUSSMANN Lilienmattstr. 5 76530 Baden-Baden Kassenführer: Prof. Dr. Klaus WILHELM Harlachinger Str. 51 81547 München Beirat: Prof. Dr. G. GERMANN, Ludwigshafen Prof. Dr. B.-D. PARTECKE, Hamburg Dr. H.-D. PASCHMEYER, Bremen Dr. Margot C. WÜSTNER-HOFMANN, Ulm Ehrenpräsident: Prof. Dr. D. BUCK-GRAMCKO, Hamburg Vorheriger Präsident: Dr. H.-J. POLLACK, Zittau/Sachsen Hamburg, 22.05.2000 Sehr geehrter Herr Prof. Schwartz, die Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie wurde von der AWMF aufgefordert, zu der bedarfsgerechten Versorgung in diesem Fachgebiet Stellung zu nehmen. Bitte erlauben Sie uns, dass wir zunächst einige kurze allgemeine Ausführungen zur Handchirurgie machen. Die Bereichsbezeichnung Handchirurgie gibt es seit dem Jahre 1992 auf Beschluss des 95. Deutschen Ärztetages als zusätzliche Qualifikation für Fachärzte für Chirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie. Sie wurde danach in die Weiterbildungsordnungen der einzelnen Bundesländer aufgenommen und ist jetzt überall in Deutschland etabliert. Bei den Ärzten, die diese Bereichsbezeichnung erworben haben, handelt es sich um hochqualifizierte Spezialisten, die nach ihrer Weiterbildung zum Facharzt für Chirurgie, Orthopädie oder Plastische Chirurgie noch eine zusätzliche dreijährige ganztägige Weiterbildung absolviert haben. Ihre operativen Fähigkeiten haben sie durch den Nachweis von ca. 350 speziellen handchirurgischen Operationen, die selbständig durchgeführt werden müssen, und ihre besonderen Kenntnisse durch das Bestehen einer Prüfung, unter Beweis gestellt.
- 2 - Bis Ende 1999 haben in Deutschland 575 Ärzte diese Bereichsbezeichnung erworben. Davon sind 172 als niedergelassene Ärzte tätig, 415 arbeiten als Handchirurgen in Krankenhäusern und 8 üben sonstige Tätigkeiten aus. Das bedeutet, dass von den etwa bei 290.000 Ärzten in Deutschland ca. 0,2% diese zusätzlich qualifizierende Bereichsbezeichnung führen. Im Bereich Handchirurgie können auch schon kleinere Verletzungen nicht nur verhältnismäßig hohe Kosten verursachen, sondern können auch große Auswirkungen auf die weitere Lebensqualität und Berufs- und Erwerbsfähigkeit der Patienten haben. So führen Handverletzungen häufig zu teuren Umschulungsmaßnahmen oder lebenslangen Rentenzahlungen, besonders in handwerklich ausgerichteten Berufen. Die Berufsgenossenschaften in Deutschland haben diesen hohen Kostenaufwand bei handchirurgischen Verletzungen schon frühzeitig erkannt. Dies hat, da die Berufsgenossenschaften die Gesamtkosten (ärztliche Behandlung und Rentenzahlung) zu tragen haben, zur Bildung handchirurgischer Zentren an den BG-Kliniken geführt. Bei den anderen Kostenträgern ist dieser Situation bisher nicht Rechnung getragen worden. Für den Bereich Handchirurgie können wir für die Befragung keine besonderen Haupt- und Nebenindikationen angeben, da die Indikation alle Verletzungen und alle Erkrankungen der Hand betrifft. Es existieren für den Bereich Handchirurgie wenige verläßliche Zahlen. Lediglich für die gewerblichen Berufsgenossenschaften gibt es Zahlen über Häufigkeit der Handunfälle. Weiterhin existieren Angaben über die Inzidenz des Karpaltunnelsyndromes und das Auftreten der Dupuytren-Erkrankung. Indikationsbezogene Befragung Nach Angaben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften ereigneten sich im Jahr 1993 1.469.000 meldepflichtige Arbeitsunfälle. 609.000 haben davon die Hand betroffen. D.h. nach dieser Statistik betreffen 41% der Unfälle die Hand.
- 3 - Diese Zahl beinhaltet aber nur die gemeldeten Unfälle der gewerblichen Berufsgenossenschaften. Hinzukommen noch die Unfälle, die z.b. bei den Landesunfallkassen und Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften versichert sind, und die Anzahl der nicht bglich versicherten Privatunfälle, so dass man unter Zugrundelegung des Patientenspektrum einer durchschnittlichen handchirurgischen Abteilung etwa auf 1,2 Millionen Handunfälle pro Jahr kommt. Da sich in einer solchen Abteilung Unfallverletzungen und elektive Handeingriffe in etwa die Waage halten, muss man noch von der gleichen Anzahl operativ zu versorgender Erkrankungen der Hand ausgehen, so dass im Jahr in Deutschland etwa 2,4 Millionen Patienten handchirurgisch zu versorgen sind. Bei einer qualitativ hochwertigen Versorgung durch Ärzte mit der Bereichsbezeichnung Handchirurgie würde das bedeuten, dass etwa 5.000 Patienten pro Jahr von einem Handchirurgen versorgt werden müßten. Aus dieser Zahl ergibt sich, dass bei einer erwünschten hochqualifizierten Versorgung dieser Erkrankungen und Verletzungen durch Handchirurgen eine Unterversorgung besteht. Das Ausmaß der Untervorsorgung ist sicherlich in Deutschland unterschiedlich ausgeprägt. In den Ballungszentren ist die Dichte der Handchirurgen deutlich größer, so dass hier eine bessere Versorgung der Bevölkerung gewährleistet ist. In Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte ist das Risiko der Unterversorgung aufgrund fehlender qualifizierter Handchirurgen größer. Das Einzugsgebiet der handchirurgischen Spezialabteilungen ist sehr groß, so dass häufig zur speziellen Versorgung längere Anfahrtswege in Kauf genommen werden müssen und so aus räumlichen Gründen eine ambulante qualifizierte handchirurgische Versorgung erschwert ist. Die gleichen Unterschiede gibt es in Bezug auf die technische Ausstattung mit Operations- Mikroskopen, als notwendiges Instrument für handchirurgischer Operationen sowie auf das Vorhandensein mikrochirurgischen Instrumentariums sowie intraoperativer bildgebender Verfahren. Diese technischen Ausstattungen sind unabdingbare Voraussetzungen für eine qualitativ hochwertige handchirurgische operative Behandlung und sind natürlich in den Ballungszentren häufiger vorhanden.
Das Gleiche gilt für die postoperative Nachbehandlung. Hier mangelt es an speziell handchirurgisch ausgebildeten Therapeutinnen oder Therapeuten und entsprechenden Behandlungsmöglichkeiten, besonders in Regionen mit geringerer Bevölkerungsdichte. - 4 - Die vorstehend gemachten Angaben bezüglich der Unterversorgung bei handchirurgischen Verletzungen lassen sich auch auf die Erkrankungen, wie z.b. der Dupuytren-Erkrankung übertragen. Für die Inzidenz des Auftretens der Dupuytren-Erkrankung führen wir eine Arbeit von Otto A. Mikkelsen an, der im Jahre 1971 eine Studie über die Prävalenz der Dupuytren- Erkrankung in Norwegen veröffentlichte. Diese dort gemachten Angaben sind auf Deutschland ohne weiteres zu übertragen, da die Dupuytren-Erkrankung nicht von äußeren Umständen abhängig ist. Unter Zugrundelegung der Ergebnisse dieser Arbeit tritt die Dupuytren-Erkrankung im Durchschnitt bei ca. 9% der männlichen und 2,8% der weiblichen Bevölkerung auf. Noch höher liegt die Inzidenz, wenn man das Lebensalter berücksichtigt. So liegt die Häufigkeit der Dupuytren-Erkrankung bei den 70- bis 85-jährigen Männern etwa bei 30% und bei 20% der Frauen. Angesichts der zunehmenden Lebenserwartung bedeutet das auch eine Zunahme der Dupuytren-Erkrankung und des Behandlungsbedarfes. Für die Inzidenz des Karpaltunnelsyndromes gibt Mumenthaler in seinem Lehrbuch "Laesion der peripheren Nerven" eine Inzidenz von 99 Fälle auf 100.000 Männer und Frauen an. Ein regionaler Bezug der vorstehenden Angaben oder besondere Zielgruppen lassen sich nicht feststellen. Als Leistungserbringer sind z.zt. Allgemeinchirurgen, Unfallchirurgen, Orthopäden, Plastische Chirurgen und Neurochirurgen tätig. Im Zuge der Qualitätssicherung sollten aber alle Erkrankungen und Verletzungen an der Hand von ausgebildeten Handchirurgen versorgt werden. Entsprechende Studien, die diese Notwendigkeit belegen, werden z.zt. von den gewerblichen Berufsgenossenschaften in Süddeutschland und im Hamburger Gebiet durchgeführt. Die Ergebnisse sind aber leider bisher noch nicht veröffentlicht. Wir empfehlen die Förderung handchirurgischer Zentren mit gesicherter, umfassender Weiterbildungsmöglichkeit sowohl zur Ausbildung qualifizierter Handchirurgen als auch zum Aufbau handtherapeutischer Nachbehandlungsmöglichkeiten. Für zukünftige Technologien
empfehlen wir die Förderung bildgebender Verfahren wie 3D-Sonographien und die Entwicklung der Laser-Technologie für die handchirurgische Versorgung. - 5 - Wir sehen eine Schnittstellenproblematik auch in Krankenhäusern der Maximalversorgung, da in den dortigen Notaufnahmen häufig kein handchirurgisch qualifizierter Arzt vorhanden ist und deswegen spezielle handchirurgische Versorgungsmaßnahmen nicht oder zu spät eingeleitet werden und somit einen schlechteren Heilungserfolg aufweisen. Häufig wird auch der gesundheitliche Schaden unterschätzt. Eine hochqualifizierte Erstversorgung erspart Kosten, da durch sie die Arbeitsunfähigkeitszeiten verkürzt und die Zahl der Nachoperationen verringert werden können. Die Honorierung handchirurgischer Operationen ist in der z.zt. gültigen GOÄ unbefriedigend geregelt, da häufig sehr zeitaufwendige Operationen, z.b. bei einer fortgeschrittenen Dupuytren-Kontraktur, bei komplexen Handverletzungen und Replantationen keine ausreichenden Punktwerte in der GOÄ haben und z.t. große Differenzen zu Nachbar- Fachgebieten bestehen. Als typisches Beispiel sei die Honorierung einer Replantation eines Fingers, einschl. Gefäß-, Muskel-, Sehnen- und Knochenversorgung mit 2.400 Punkten angeführt. Die Replantation verlangt eine Osteosynthese mit Naht von zwei Beugesehnen und einer Strecksehne, mindestens zwei Gefäßnähte und zwei Nervennähte in mikrochirurgischer Technik. Dagegen wird allein schon eine mikrochirurgische Nervennaht mit 2.100 Punkten bewertet. Die Unterbewertung der aufwendigen handchirurgischen Leistung ist eklatant. Wir sind gerne bereit, auf Nachfrage weitere Ausführungen zu einzelnen Punkten dieses Schreibens zu machen. Im Übrigen verweisen wir auf das von der AWMF vorgeschlagene Gespräch über diesen Thesenkomplex, an dem wir gerne teilnehmen werden. Mit freundlichen Grüßen Dr. med. R. NEUMANN Prof. Dr. P. HAUßMANN