Bis zu siebenmal?! (Mt 18,21) Vergeltung oder Vergebung (Evangelium nach Matthäus 18,21 35)

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Transkript:

Evang. Gottesdienst am Eidg. Dank-, Buss- und Bettag Linden Beat Weber 21.IX.2008 18.IX.2016 rev. Bis zu siebenmal?! (Mt 18,21) Vergeltung oder Vergebung (Evangelium nach Matthäus 18,21 35) Schriftwort Mt 18,21 Petrus trat hinzu und fragte Jesus: Herr, wie oft soll ich meinem Bruder vergeben, wenn er an mir gesündigt hat? Bis zu siebenmal?! 22 Jesus antwortete ihm: Ich sage dir: Nicht bis zu siebenmal, sondern bis zu siebzigmal siebenmal! 23 Darum verhält es sich beim Himmelreich wie mit einem menschlichen König, der mit seinen Knechten Abrechnung halten wollte. 24 Als er anfing abzurechnen, wurde ihm ein Schuldner herbeigeführt, der zehntausend Talente schuldig war. 25 Da er aber nicht zurückzahlen konnte, befahl der Herr, ihn und seine Frau und seine Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen und so die Zahlung zu leisten. 26 Nun fiel der Knecht auf die Knie und flehte: Habe Geduld mit mir, und ich werde dir alles zurückzahlen! 27 Da ergriff der Herr jenes Knechtes Erbarmen: Er liess ihn frei und auch das Darlehen erliess er ihm. 28 Als jener Knecht aber hinausging, fand er einen seiner Mitknechte, der ihm hundert Denare schuldig war. Da ergriff er ihn, würgte ihn und sprach: Gib alles zurück, was du schuldest! 29 Nun fiel sein Mitknecht auf die Knie, inständig bittend: Habe Geduld mit mir, und ich werde es dir zurückzahlen! 30 Er aber wollte nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er das Geschuldete zurückgezahlt habe. 31 Da seine Mitknechte das Geschehene sahen, wurden sie sehr traurig und zornig und gingen und meldeten ihrem Herrn alles Vorgefallene. 32 Da liess sein Herr ihn herbeirufen und sprach zu ihm: Du böser Knecht! Jene ganze Schuld habe ich dir erlassen, als du mich gebeten hast. 33 Hättest nicht auch du dich deines Mitknechtes erbarmen müssen, so wie ich dir gegenüber barmherzig war?! 34 Und erzürnt übergab ihn sein Herr den Peinigern bis er die ganze Schuld zurückbezahlt habe. 35 Ebenso wird auch mein himmlischer Vater euch tun, wenn ihr nicht von Herzen die Schuld erlasst, ein jeder seinem Bruder.

Predigtwort 2 Wie viele Male muss ich ertragen, was der mir zuleide tut? Wie oft muss ich vergeben, wenn sie an mir schuldig wird? Wir Menschen werden aneinander schuldig: verletzen durch ein unbedachtes Wort, haben Erwartungen, die nicht erfüllt werden, halten Versprechen nicht ein vielfältig ist die Realität. Einmal sind wir die Täter, ein anderes Mal die Opfer. Herr, wie oft soll ich meinem Bruder vergeben, wenn er an mir gesündigt hat? Petrus hat diese Frage gehabt und sie vor Jesus ausgesprochen. Und wie Petrus so ist, hat er die Antwort nicht abgewartet, sondern ist sogleich mit einem Vorschlag zur Stelle: bis zu siebenmal?! Siebenmal möglicherweise in der gleichen Sache zu vergeben, ist selbst innerhalb der Christengemeinschaft viel, findet Petrus und wir auch. Nun gibt Jesus seine Antwort auf die Frage nach der Vergebungsbereitschaft. Er nennt auch eine Zahl: 70mal 7mal. Sie ist derart hoch, dass beim Zählen der Vergehen weder die Finger an den Händen ausreichen noch das Gedächtnis, um alles im Kopf zu behalten. 70mal 7mal meint immer, bedeutet aufzuhören mit Rechnen und Rechten. Petrus und den andern Jüngern hat es bei dieser Antwort die Sprache verschlagen. Ist das nicht unmöglich? Funktioniert Gemeinschaft, die auf gerechtes Handeln und Vergelten aufgebaut ist, so überhaupt? Gewiss, man kann einmal ein Auge zudrücken, aber doch nicht unbeschränkt!? Jesus weiss um solche Fragen und Einwände; darum lässt er es bei seiner Antwort nicht bewenden, sondern erzählt eine Gleichnisgeschichte. Szene I Das Gleichnis führt uns im Alten Orient an den Hof eines Königs. Eine grosse Menschenmenge hat sich eingefunden. Es ist der jährliche Zinstag, an dem die Pächter, die vom König Darlehen an Land oder Geld erhalten haben, sich vor ihm zu verantworten und die geschuldeten Abgaben zu begleichen haben Plötzlich, mitten im geschäftigen Treiben wird es still. Ein Raunen geht durch die Menge, denn eben wurde die Schuldsumme eines Pächters ausgerufen, die alles bisher Genannte weit übersteigt: 100 Mio Franken! Alle Augen richten sich auf den betreffenden Schuldner, der aus der Menge heraus vor den König tritt. Was jedermann dachte, aber niemand laut zu sagen wagte, tritt ein: Der Mann ist bankrott und kann die Schuldsumme nie und nimmer zurückzahlen.

3 Der König, ein gerechter Mann, ordnet an, was nach damaligem Brauch in einem solchen Fall zu geschehen hat: Der Knecht soll samt Frau und Kindern und der ganzen Habe verkauft werden, um dadurch wenigstens einen kleinen Teil des geschuldeten Geldes zurückzugewinnen. Als der Pächter dies hört, weiss er, dass seine letzte Stunde der Freiheit geschlagen hat. In einem verzweifelten Appell sucht er seine Hoffnung in der Barmherzigkeit des Königs. Er wirft sich vor ihm nieder und fleht: Habe Geduld mit mir, und ich werde es dir zurückzahlen! Alle wissen, auch der König: Bei dieser Riesenschuld wird der Pächter nie mehr im Stande sein, seine Schuld zu begleichen sein Bankrott ist total! Doch jetzt geschieht das Überraschende: Der König wird von Barmherzigkeit ergriffen über den elend vor ihm liegenden Knecht und sagt zu ihm: Ich erlasse dir deine Schuld vollständig; gehe zu deiner Familie und auf deinen Hof du bist ein freier Mann! Die Erleichterung der Jünger, die mit dem Knecht mitgefiebert haben und nun dankbar aufatmen, ist förmlich zu spüren. Sie haben verstanden, dass Jesus mit dem König den Vater im Himmel meint. Und jeder hat auch gemerkt, dass er selber in der Geschichte vorkommt: Ich bin jener Knecht, der bei Gott in riesengrosser Schuld steht und dem unendliche Barmherzigkeit zuteil wurde! Wer dies glaubend bekennt, der ist ein Christ. Weil Jesus Christus aus Liebe für meine Schuld mit dem Gerichtstod am Kreuz bezahlte, darf ich aus Gottes Zuspruch der Vergebung leben. Gottes Barmherzigkeit wird freilich nur dem aufgehen, der einen Blick in die Abgründe des eigenen Herzens zu tun bereit ist. Das übliche Beschönigen und Verdrängen von Schuld trennt dagegen ab von Gottes Erbarmen. Schuld und Verantwortung wird heute meist auf die zwischenmenschliche Ebene reduziert. Wird Gott aber ausgeklammert, fehlt die Quelle der Barmherzigkeit: Zurück bleiben moralischen Forderungen. Sie greifen zu wenig tief, um Herz und Handeln von uns Menschen zu verändern. Wo die Verantwortlichkeit Gott gegenüber schwindet, nimmt die Hartherzigkeit überhand; der Alltag wird durch Egoismen bestimmt, und die Schwachen werden beiseite gedrängt. Das führt mich zu einem zweiten Aspekt: Ist euch aufgefallen wie materiell die Gleichnisgeschichte spricht? Da geht es um Schulden und Rückzahlung, kurz gesagt: um Geldangelegenheiten. Davon verstehen wir Schweizer einiges. Wo Geld auf dem Spiel steht, hört die Gemütlichkeit auf oft auch in der Kirche. In der Bibel liegen (wie in unserer Sprache) materielle Schulden und religiöse Schuld beieinander. Wir aber trennen oft zwischen dem Alltag,

4 wo Leistung und Lohn zählt, und dem Sonntag, wo Religiöses noch einen beschränkten Platz hat. Eine solche Aufteilung des Lebens in zwei Welten kann sich freilich nicht auf Gott und sein Wort berufen das wird hier deutlich. Wem immer Gott Schuld(en)befreiung zuteil werden lässt, der wird in Pflicht genommen, diese Erfahrung selbst zu leben. Damit sind wir bei der zweiten Gleichnisszene. Szene II Der begnadigte Knecht macht sich im Kreise seiner Mitknechte fröhlich auf nach Hause. Da erkennt er unter den vorbeiziehenden Menschen ein bekanntes Gesicht. Er vergewissert sich und sagt: Tatsächlich! Das ist doch dieser Mitpächter, der mir seit langem 1000 Franken schuldig ist. Dem werd ich s zeigen, diesmal entgeht er mir nicht. Schnurstracks geht er auf den Mitknecht zu, packt ihn und schreit: Du bist mir 1000 Franken schuldig. Bezahle mir sofort deine Schuld! Der Mann sinkt erschrocken in sich zusammen; er ist arm und nicht im Stande, diesen Betrag zu berappen. Reumütig fleht er in den gleichen Worten wie zuvor sein Mitknecht: Habe Geduld mit mir, und ich werde es dir zurückzahlen! Doch der gerade eben vom König Begnadigte bleibt ungerührt und pocht auf sein Recht. Statt Barmherzigkeit zu gewähren, fordert er Vergeltung. Er packt den zahlungsunfähigen Mitknecht, würgt ihn und lässt diesen in Schuldhaft setzen bis er ihm alles, bis auf den letzten Rappen, zurückbezahlt habe Jesus wird unterbrochen, die Jünger gestikulieren wild allen voran der aufgebrachte Petrus. Die Empörung steht ihnen in s Gesicht geschrieben: So eine Gemeinheit und bodenlose Unbarmherzigkeit von diesem Knecht. Eine Riesensumme hat er erlassen bekommen und nun schlägt er angesichts einer viel geringeren Summe die gleiche Bitte um Barmherzigkeit aus, die ihm selber vorher gewährt wurde. Die Jünger geraten in ein seelisches Wechselbad: Vorhin hatten sie sich im verschuldeten Knecht wiedergefunden und verstanden, dass Gott ihnen grosse Schuld vergibt. Und nun sind sie über eben diesen Knecht, mit dem sie sich identifizierten, empört und distanzieren sich: Wie kann der nur so unbarmherzig sein? Empören sie sich nicht über sich selbst? Den Jüngern dämmert es: Auch in dieser Szene ist der unbarmherzige Knecht niemand anders als sie selber. Petrus erinnert sich an seine eingangs gestellte Frage nach der Häufigkeit der Vergebung. Mit seinem Vorschlag bis zu siebenmal?! war er sich besonders gnädig vorgekommen. Doch wie kleinlich war das

5 angesichts der Unfassbarkeit der Vergebung Gottes, der er jeden Tag x- mal bedarf wie könnte er sonst leben?! Wie schnell hat die Vergebungsbereitschaft ein Ende; wie bald beginnt das Rechnen und Rechten Die Jünger merken, dass die Empörung über diesen Unbarmherzigen auf sie selber zurückfällt und schweigen stumm. Jesu Wort hat es in sich, beunruhigt und lässt Christen nicht aus der Pflicht. Ich ertappe mich, wie ich oft auf das Recht poche und unbarmherzig bin auch gerade in Angelegenheiten, wo ich von Gott und Mitmenschen Nachsicht beanspruche. Wie schnell vergesse ich wie der Pächter, dass ich angesichts meiner Schuld Barmherzigkeit nötig habe! Und wie nachtragend und gar nicht vergesslich bin dann, wo andere bei mir in der Kreide stehen! Erschrecken wir über unsere Unbarmherzigkeit und lassen uns zur Umkehr zurückrufen, kann uns neu Erbarmen zuteil werden. Ein Hilfsmittel gegen Unbarmherzigkeit ist die Dankbarkeit darüber, was mir von Gott her alles geschenkt wurde. Dankbarkeit befähigt zur Barmherzigkeit. So gehören Buss- und Danktag zusammen und ebenso der Bettag, denn beides geschieht nicht ohne Beten. Wir wollen als Christen dankbar aus der empfangenen Barmherzigkeit leben und uns so befähigen lassen, diese mit ungeteiltem Herzen weiter zu schenken. Unversöhnlichkeit, die das Leben bitter macht, kann dann gelöst werden, ebenso wie die verkrampften Finger um den Geldbeutel Wie es herauskommt, wenn wir trotz empfangener Barmherzigkeit unvermindert auf unser Recht pochen, schildert die letzte Szene. Szene III Das Geschehen ist nicht unerkannt geblieben. Die Mitpächter haben es voll Trauer und Bestürzung dem König rapportiert. Mit Ernst hört dieser ihren Bericht an. Daraufhin lässt er diesen Knecht unverzüglich herbeirufen und stellt ihn zur Rede: Du böser Knecht! Jene ganze Schuld habe ich dir erlassen, als du mich gebeten hast. Hättest nicht auch du dich deines Mitknechts erbarmen müssen, so wie ich dir gegenüber barmherzig war?! Dann übergibt der König ihn den Peinigern bis er alles, bis auf den letzten Rappen, bezahlt habe, was er ihm von seiner grossen Summe schuldig war.

6 Mit diesen Worten schliesst Jesus das Gleichnis und fügt ein Wort der Warnung hinzu: Ebenso wird auch mein Vater im Himmel euch tun, wenn ihr nicht von Herzen die Schuld erlasst, ein jeder seinem Bruder. Jesu Worte sind unmissverständlich: Wer nicht Barmherzigkeit weitergibt, verliert die empfangene Barmherzigkeit und verfällt dem Gericht. Wer es sich mit der Gnade Gottes billig macht, tut besser daran, noch hier auf dieser Welt aufzuwachen, bevor es zu spät ist. Schuld wird verurteilt, der Mensch als Schuldner aber wird von Gott mit Augen der Liebe angesehen und findet Erbarmen. Wehe aber, wenn uns die erfahrene Barmherzigkeit nicht in Pflicht nimmt. Als Kirche Jesu Christi haben wir das Vorrecht, täglich aus Gottes Barmherzigkeit leben zu dürfen. Wenn wir das dankbar tun, wird die Barmherzigkeit Gottes unser Herz gewinnen und im Leben sichtbar werden. Die Kirche wird dann attraktiv in einer Welt, die mit ihrem Kreisen um Leistung und Zwänge, Luxus und Schönheitsidealen hohl und hektisch ist und viele ängstigt. Wissen wir uns von göttlicher und gegenseitiger Vergebung getragen, können wir den Druck, immer genügen zu müssen, überwinden. Versagen verliert seine Bedrohlichkeit. Menschen finden in der Kirche Freiräume, wo man trotz Schuld angenommen ist und bleibt. Wo solches in unserer Welt nicht mehr erfahrbar ist, geht unsere Gesellschaft innerlich und dann auch äusserlich kaputt. Wo aber soll das erlebbar sein, wenn nicht in der christlicher Gemeinschaft? Jeder von uns steht immer wieder vor der Grundsatzentscheidung: Vergeltung oder Vergebung? Wir kennen das Unser-Vater und werden es auch in diesem Gottesdienst miteinander beten. Darin ist unser heutiger Bibeltext zusammengefasst: Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Die biblische Botschaft ist herausfordernd: Vergebung bekommen und weitergeben gehören zusammen. Man kann nur beides haben oder keines von beiden. Beides will Jesus Christus uns geben: Vergebung unserer Schuld auch für unsere Unbarmherzigkeit und die Bereitschaft, Schuld und Schmerz loszulassen und den anderen ebenfalls zu vergeben. Amen.