Leitartikel. Ausgrabungen und Funde

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Transkript:

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Leitartikel INHALT Michael M. Rind 7 Rückblick auf das archäologische Jahr 2013 in Westfalen-Lippe Dimitrij Davydov, Michael M. Rind 19 Im Zweifel für den Veranlasser? Das alte und neue Recht der Bodendenkmalplege in Nordrhein-Westfalen Ausgrabungen und Funde Klaus-Peter Lanser 31 Nachweise von Flugsauriern aus einer Verkarstung im Bereich des Hönnetals bei Balve Klaus-Peter Lanser 33 Die Reste planzenfressender Dinosaurier aus der Unterkreide des Hönnetals Wilfried Rosendahl, Jörg Orschiedt, Michael Baales 36 Wiederentdeckt! Die»jungpaläolithischen«Menschenreste der Honert-Höhle bei Balve Michael Baales 40 Ein neuer Fundplatz der spätpaläolithischen Federmesser-Gruppen bei Fröndenberg Jörg Orschiedt, Ruth Bollongino, Olaf Nehlich, Joachim Burger 43 Parallelgesellschaften? Die letzten Jäger und Sammler Mitteleuropas aus der Blätterhöhle Bernhard Stapel, Manfred Schlösser 46 Zwei datierte mesolithische Knochenartefakte aus Greven Michael Baales, Ingrid Koch, Kathrin Nowak, Manuel Zeiler 49 Spur der Steine erste Bauern im Siegerland Michael Baales 53 Eine neue Jadeitbeilklinge aus Südwestfalen Fritz Jürgens, Hans-Otto Pollmann 56 Das Erdwerk von Borgentreich-Bühne in der Rotenbreite Kerstin Schierhold, Norbert Reuther 59 Frühe Bestattungsriten Abschluss der Grabungen in Erwitte-Schmerlecke Michael Baales, Heidelore Fertig-Möller, Jörg Orschiedt 62 Viel älter als erwartet eine neu datierte menschliche Schädelkalotte aus Werne Archäologie in Westfalen-Lippe 2013

Gemeinsam mit den T-förmigen Geweihäxten von derselben Fundstelle ist es vielmehr ein Indiz für einen südlichen Vorstoß endmesolithischer Jäger entlang der Ems. Ihr Rastplatz in Greven befand sich nur 30 km entfernt von Nottuln-Uphoven, wo zur gleichen Zeit Bauern der Rössener und Bischheimer Kultur siedelten. Einmal mehr steht also der überraschende Neufund für das enge Nebeneinander von endmesolithischen Gruppen und eingewanderten Bauern im nördlichen Westfalen. Summary Two Mesolithic bone artefacts were recovered from a sandpit in Greven-Bockholt in 2013 and subsequently radiocarbon dated. One was an Early Mesolithic»Duvensee point«, the other an aurochs scapula with cut-outs attesting to contact with the Final Mesolithic Ertebølle and Swifterbant Cultures. Samenvatting Uit een zandwinningsput in Greven Bockholt konden in 2013 twee mesolithische werktuigen van bot geborgen worden en aansluitend, met behulp van de C14 methode, gedateerd worden. Het gaat hierbij om een Neolithikum vroegmesolithische»duvensee-spits«en een bewerkt schouderblad van een oeros met uitsnijdingen, hetgeen op connecties wijst met de eindmesolithische ErtebØlle- en Swifterbantcultuur. Literatur Klaus Skupin u. a., Erläuterungen zu Blatt 4216 Mastholte. Geol. Kt. Nordrh.-Westf. 1: 25000, Erl., 4216 (Krefeld 1996). Lutz Klassen, Jade und Kupfer. Untersuchungen zum Neolithisierungsprozess im westlichen Ostseeraum unter besonderer Berücksichtigung der Kulturentwicklung Europas 5500 3500 BC (Moesgård 2004). Manfred Schlösser, Greven-Bockholt, Kreis Steinfurt (MKZ 3912, 66 a). Fundchronik 1991 1995. Ausgrabungen und Funde in Westfalen-Lippe 10, 2007, 259 270. Benedikt Knoche, Die Erdwerke von Soest (Kr. Soest) und Nottuln-Uphoven (Kr. Coesfeld). Studien zum Jungneolithikum in Westfalen. Münstersche Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte 3 (Rahden 2008). Bernhard Gramsch, Die mesolithischen Knochenspitzen von Friesack, Fundplatz 4, Lkr. Havelland. Teil 2: Die Knochenspitzen des späten Prä-, des Früh- und Spätboreals sowie des älteren Atlantikums. Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landesmuseums für Ur- und Frühgeschichte 43/44, 2009/2010, 7 84. Christian Groer, Neolithisierung im Münsterland: Neues zum Siedlungsplatz von Nottuln-Uphoven. Archäologie in Westfalen-Lippe 2009, 2010, 169 172. Spur der Steine erste Bauern im Siegerland Kreis Siegen-Wittgenstein, Regierungsbezirk Arnsberg Die Jungsteinzeit, das Neolithikum, beginnt in Westfalen um ca. 5300 v. Chr. Die Siedlungsplätze der ältesten Bauernkultur, der Linearbandkeramik, beinden sich fast ausschließlich auf den fruchtbaren Lössbörden am Hellweg und rund um Warburg. Während es Anzeichen dafür gibt, dass im nördlich gelegenen, sandigen Münsterland die mesolithischen Jäger- und Sammlergruppen fortlebten, zeigt sich das bergige Sauer- und Siegerland für diesen Zeitraum fundfrei. Zwischen 4900 und 4300 v. Chr., im Mittelneolithikum, verändert sich diese Situation nur langsam. Das Mittelneolithikum ist am besten durch die Rössener Kultur, ca. 4750 bis 4600 v. Chr., repräsentiert. Für diese Zeit sind erstmals neolithische Einzelfunde, vor allem Axt- und Beilklingen sowie Pfeilspitzen, im Sauer- und Siegerland nachgewiesen. Diese singulären Funde werden in der Forschung unterschiedlich interpretiert. Es besteht allerdings Einigkeit darüber, dass es sich bei ihnen nicht um Anzeiger für dauerhafte Siedlungsplätze handelt. Im folgenden Jungneolithikum werden dagegen neue Siedlungskammern erschlossen und auch im Mittelgebirgsraum ist eine Zunahme der Fundstellenanzahl zu verzeichnen, was auf seine verstärkte Nutzung deutet. Die ältesten Keramikreste aus dem Siegerland sind dagegen noch jünger; sie stammen vom Fundplatz Netphen-Unglinghausen und gehören bereits zu den endneoli- 49 Michael Baales, Ingrid Koch, Kathrin Nowak, Manuel Zeiler Archäologie in Westfalen-Lippe 2013 AUSGRABUNGEN UND FUNDE

AUSGRABUNGEN UND FUNDE Dank seiner unermüdlichen Arbeit kann hier nun das älteste neolithische Inventar des Siegerlandes vorgestellt werden, das unsere Kenntnisse über die Nutzung der Mittelgebirge zu dieser Zeit nachhaltig erweitert. Die Dechselklinge aus graugrünem Aktinolith-Hornblende-Schiefer (Abb. 2) war der erste Hinweis darauf, dass das jungsteinzeitliche Inventar in einen frühneolithischen oder mittelneolithischen Kontext zu datieren ist. Dechselklingen, in Holzholme geschäftet, dienten zum Fällen von Bäumen und der Holzbearbeitung. Neben diesem Stück sind vier Feuersteinpfeilspitzen bemerkenswert. Sie sind dreieckig und nur teilweise lächig retuschiert. Damit entsprechen sie Formen, die typischerweise in mittel- bis jungneolithischen Siedlungsplätzen z. B. des Rheinlandes vorkommen (Abb. 3). Pfeilspitzen sind relativ selten in Siedlungen zu inden, da sie zur Jagd verwendet und bei Beschädigung gleich vor Ort verworfen wurden. Eine der häuigsten neolithischen Werkzeugformen in Dreis-Tiefenbach sind Klingenkratzer. Sie weisen eine eher schwach ausgeprägte Kratzerkappe auf, datieren daher wohl in das Früh- bis Mittelneolithikum und waren Multifunktionsgeräte. Häuig dienten sie der Bearbeitung von Tierfellen. Unter den Werkzeugen beinden sich weiterhin auch zwei Spitzklingen und ein Bohrer. Einer der Kratzer und ein weiteres Klingenfragment tra- Archäologie in Westfalen-Lippe 2013 Abb. 1 Fundplan der von Helmut Baldsiefen in Dreis-Tiefenbach einzeln eingemessenen neolithischen Steinartefakte und Keramikscherben (Stand Ende 2013) sowie Lage der beiden Sondagelächen. Grau hinterlegt ist die spätmesolithische Fundkonzentration (Graik: LWL-Archäologie für Westfalen/M. Zeiler, A. Müller). Abb. 2 Mit dieser älterneolithischen Dechselklinge aus Amphibolit ing in Dreis-Tiefenbach alles an (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/H. Menne). thischen Becherkulturen. Sie datieren in die zweite Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr. Den spärlichen neolithischen Fundpunkten dieser Region kann nun ein neu entdecktes, aussagekräftiges Fundensemble hinzugefügt werden. Diese wichtige Entdeckung verdanken wir einmal mehr Helmut Baldsiefen aus Netphen, der seit Jahrzehnten steinzeitliche Fundstellen in der Region aufspürt. Bei diesen handelt es sich hauptsächlich um Fundplätze der letzten mobilen Jäger- und Sammlergruppen aus dem Mesolithikum. Daher war er überrascht, als er auf einer sanft geneigten alten Terrassenläche oberhalb des Dreisbaches nördlich von Dreis-Tiefenbach (Stadt Netphen) ein charakteristisches neolithisches Steinartefakt, eine Dechselklinge, aulesen konnte. Bei den sich anschließenden zahlreichen Begehungen fand er sowohl weitere eindeutig jungsteinzeitliche als auch zahlreiche spätmesolithische Artefakte. Er kartierte die beiden zeitlich unterschiedlichen Fundstreuungen, die sich zum großen Teil überschneiden (Abb. 1). 50

gen typische Benutzungsspuren, wie sie Feuerschläger aufweisen. Andere Gebrauchsspuren, wie Aussplitterungen und feine Retuschen, treten an Klingen auf, die wahrscheinlich als Messereinsätze verwendet wurden. Es ist allerdings nur eine Klinge mit Spuren von Lackglanz, der durch das Schneiden von Getreide auf den Klingenkanten entsteht, vorhanden. In Siedlungen der Lössbörden ist der Anteil dieser Gebrauchsspuren an den Geräten immer deutlich höher. Dafür tritt an einem weiteren Stück aus Dreis-Tiefenbach ein feiner Glanzsaum auf, der durch das Schneiden von Wildgräsern entstanden sein könnte. Zusammenfassend lässt sich das Gerätespektrum gut in einen mittelneolithischen Kontext einordnen. Bisher wurden weder eindeutig neolithische Keramik noch Mahlsteine oder andere Anzeiger für eine permanente Siedlung gefunden. Zudem ist auffällig, dass unter den Steinartefakten kaum Abfälle, wie sie bei der Herstellung von Werkzeugen entstehen, vorliegen. Daher ist anzunehmen, dass die Werkzeuge und Klingen zum größten Teil nicht vor Ort produziert wurden. Auch das Rohmaterial der Geräte ist nicht regionaler Herkunft. Es können zwei Gruppen unterschieden werden. Eine Serie von Artefakten besteht aus Baltischem Geschiebefeuerstein. Er kommt in den Moränen der glazialen Vereisung vor, die von Norden her bis an die Ruhr reichen. Die Entfernung zu dem Fundplatz bei Netphen beträgt etwa 70 km. Die zweite Rohmaterialgruppe setzt sich aus einer Reihe von westeuropäischen Feuersteinvarietäten zusammen, die aus den Kreidelagerstätten im ostbelgischen und südniederländischen Limburg und dem belgischen Haspengau stammen. Sie liegen mindestens 130 km südwestlich von Netphen. Relativ viele Steinartefakte darunter eine große Kernkantenklinge (Abb. 3) bestehen aus dem honiggelben belgischen Rullen- Feuerstein. Diese Feuersteinvarietät wird während der Rössener Kultur im Rheinland bevorzugt verwendet und ihr Vorhandensein unterstützt die vermutete mittelneolithische Zeitstellung der Fundstelle nachdrücklich. Da es sich bei Dreis-Tiefenbach offenbar nicht um einen permanent genutzten Siedlungsplatz handelte, stellen sich zwei Fragen: Was machten die Ackerbauern und Viehzüchter während des Mittelneolithikums im Siegerland und woher kamen sie? Einen Hinweis auf ihre Herkunft geben am ehesten die Feuersteinrohmaterialien. In den mittelneolithischen Siedlungen des Rheinlandes kommen so gut wie keine Artefakte aus Baltischem Feuerstein vor. Es wurden die westischen Varietäten verwendet. Dagegen bestehen die Steinartefakte in den Siedlungen der Hellwegzone und der Warburger Börde sowohl aus dem dort lokalen Baltischen als auch aus den westeuropäischen Feuersteinen. Da beide Rohmaterialgruppen auch in Dreis-Tiefenbach zu inden sind, ist es wahrscheinlich, dass die Menschen, die Expeditionen in das Siegerland unternahmen, in den erwähnten Bördenlandschaften Westfalens lebten. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass aus der bekannten Rössener Siedlung von Deiringsen/Ruploh südlich von Soest einige Artefakte aus Kieselschiefer vorliegen (freundlicher Hinweis H. Baldsiefen), der aus dem südlich anschließenden westfälischen Mittelgebirge stammt. Was konnte diese Menschen veranlasst haben, das»raue«siegerland aufzusuchen? Die Feuersteingeräte geben bereits einige Hinweise auf die Aktivitäten, die an dem Fundplatz durchgeführt wurden. Zu nennen sind die Verarbeitung von Tierfellen nach erfolgreicher Jagd sowie der Holzeinschlag und die Holzbearbeitung. Zusätzlich kann in Betracht gezogen werden, dass Hirten durch das Schneiteln von Bäumen Viehfutter gewannen, wie dies pollenanalytische Befunde aus der Eifel für diese Zeit belegen. 51 Abb. 3 Einige typische mittelneolithische Steinartefakte. Links: große, kantenretuschierte Kernkantenklinge aus belgischem Rullen-Feuerstein; rechts unten: distales Fragment einer weiteren Kernkantenklinge aus Rullen- Feuerstein; rechts oben und Mitte: vier dreieckige, partiell lächig retuschierte Pfeilspitzen aus Baltischem Geschiebe- oder vielleicht hellgrau-belgischem Feuerstein (silex d Hesbaye, re. u.) (Fotos: LWL-Archäologie für Westfalen/H. Menne, A. Müller). Archäologie in Westfalen-Lippe 2013 AUSGRABUNGEN UND FUNDE

AUSGRABUNGEN UND FUNDE Abb. 4 Mittlerweile liegen aus Dreis-Tiefenbach vier Hämatitstücke mit deutlichen Abriebfacetten zur Farbpulvergewinnung vor (Fotos: LWL-Archäologie für Westfalen/H. Menne). Archäologie in Westfalen-Lippe 2013 Abb. 5 Im September 2013 konnten auf dem Fundplatz zwei kleine Sondagelächen angelegt werden (vgl. Abb. 1), die jedoch keinen verwertbaren archäologischen Befund ergaben (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/M. Zeiler). 52 Doch vielleicht gab es im Sauerland auch noch mehr»zu holen«. H. Baldsiefen fand neben den Steinartefakten mittlerweile vier Hämatitstücke, die alle deutliche Abriebspuren aufweisen (Abb. 4). Ähnliche Stücke sind auch aus anderen mittelneolithischen Inventaren gut bekannt. Hämatit ist ein rotes Eisenerz, durch dessen Abrieb Farbpulver gewonnen werden konnte, z. B. zur Körperbemalung. Das Siegerland besitzt reiche Eisenerz- und Hämatitvorkommen und so ist zu vermuten, dass die Neolithiker zur Gewinnung von Hämatit immer wieder Expeditionen dorthin unternahmen und dabei auch den oben beschriebenen Aktivitäten nachgingen. Möglicherweise ist der Fundplatz Dreis-Tiefenbach hierfür auch mehrmals aufgesucht worden. Abschließend seien auch noch die jüngsten Forschungen zu diesem Fundplatz erwähnt. Während der letzten beiden Jahre konnte H. Baldsiefen bei seinen Begehungen auch einzelne, kleine Keramikstücke aulesen. Die Wandscherben urgeschichtlicher Machart lassen sich jedoch noch nicht näher zeitlich einordnen. Der Ton wurde mittels der Röntgendiffraktometrie am deutschen Bergbau-Museum Bochum analysiert (Ingmar Luther, Dirk Kirchner und Michael Prange sei hierfür herzlich gedankt). Anhand dieser Methode konnte die Mineralzusammensetzung des Tons und somit seine Herkunft ermittelt werden. Er stammt am ehesten aus dem Siegerland selbst. Somit ist auszuschließen, dass die Keramik aus weiter Entfernung (z. B. der Hellwegzone) an den Fundplatz gelangte. Es gibt also wohl keine Verbindung zwischen der Keramik und dem neolithischen Steinmaterial; sie ist vermutlich jünger. Im Bereich der Keramikscherben konnten im Spätsommer 2012 dank tatkräftiger Unterstützung durch die Gemeinde Netphen und mit freundlicher Erlaubnis des Grundeigentümers zwei kleine Baggersondagen durchgeführt werden (Abb. 5). Dabei sind in dem steinigen Unterboden direkt unter dem Plughorizont keinerlei Gruben- oder Pfostenspuren

zutage gekommen, die als Hinweise auf eine feste Behausung und damit auf eine längerfristige Ansiedlung hätten gewertet werden können. Es fanden sich aber auch keine eisenzeitlichen Nutzungsspuren die in der Region häuig sind, auf die vielleicht die Keramikreste zurückzuführen wären. Diese Frage muss vorerst noch offenbleiben. Abschließend sei nochmals betont, dass durch das persönliche Engagement von Helmut Baldsiefen ein außergewöhnliches Inventar zusammengetragen wurde, dessen Auswertung erstmals Informationen zur ältesten neolithischen Wirtschaftsweise im Siegerland liefert. Leider sind Nachahmer, die diese mühevolle Tätigkeit auf sich nehmen, derzeit kaum in Sicht. Summary A small assemblage of lithic artefacts from Dreis Tiefenbach is the earliest evidence of Neolithic settlers in the low mountain range of the Siegerland. Based on typological considerations the assemblage overall can be attributed to the Middle Neolithic period. Particular attention must be paid to lint artefacts of the Rullen type and to Baltic lint tools. The latter suggest that the settlers had come into the Siegerland from the north (Hellweg Börde region). Whilst this may have been for many reasons, some severely abraded fragments of haematite from Dreis Tiefenbach suggest that the exploitation of raw materials for use in the making of colouring agents may have been one of them. Neolithikum Samenvatting Een kleine hoeveelheid materiaal van stenen artefacten uit Dreis-Tiefenbach vormt de oudste aanwijzing voor neolithische nederzettingsactiviteiten in het middengebergte van het Siegerland. De artefacttypologie wijst, alles bij elkaar, op een datering in het middenneolithicum. Bijzondere aandacht verdienen het Rullenvuursteen en het Baltische gletsjervuursteen; laatstgenoemde suggereert dat er mensen uit meer noordelijk gelegen gebieden (Hellwegbörde) het Siegerland binnenkwamen. Er kunnen hiervoor verschillende redenen zijn, maar enkele sterk versleten stukken Hematiet uit Dreis-Tiefenbach kunnen wijzen op de winning van grondstoffen voor verffabricage. Literatur Klaus Günther, Die jungsteinzeitliche Siedlung Deiringsen/Ruploh in der Soester Börde. Ergebnisse der Grabungen bis 1970. Bodenaltertümer Westfalens 16 (Münster 1976) bes. 47 u. Taf. 20, 2. Thomas Frank, Die Steinzeiten. In: Führer zu archäologischen Denkmälern in Deutschland 25. Der Kreis Siegen-Wittgenstein (Stuttgart 1993) 41 48. Michael Baales/Ingrid Koch/Kathrin Nowak, Zur mittelneolithischen Landschaftsnutzung im Siegerland. Bonner Jahrbücher 212 (2012), 2013, 19 34. Michael Baales/Ingrid Koch, Notizen aus der Provinz... Mesolithische Neufunde aus dem Siegerland (südliches Westfalen). In: Sven Feldmann/Thorsten Uthmeier (Hrsg.), Gedankenschleifen. Gedenkschrift für Wolfgang Weißmüller. Erlanger Studien zur Prähistorischen Archäologie 1 (Büchenbach 2013) 14 41. Kathrin Nowak, Mittelneolithische Silexaustauschsysteme auf der Aldenhovener Platte und in ihrer Umgebung (Dissertation Universität zu Köln 2013). Eine neue Jadeitbeilklinge aus Südwestfalen Kreis Unna, Regierungsbezirk Arnsberg Zu den herausragenden Funden, die dem geschulten Auge von Michael Becker (s. Beitrag S. 40) im letzten Jahr nicht entgehen konnten, zählt auch eine besondere jungneolithische Steinbeilklinge aus Fröndenberg/Ruhr. Dass es sich aufgrund der grünlich-weißlichen, körnigen Struktur bei dem Fund nur um eine sogenannte Jadeitbeilklinge handeln konnte, hatte Becker sogleich erkannt. Dass es sich bei dem Rohmaterial der Steinbeilklinge tatsächlich um die Variante Jadeitit handelt, vermögen das u. a. durch einfache Wasserverdrängung ermittelte speziische Gewicht von (etwa) 3,1 g/m 3 sowie die hellgrünliche Färbung und die allgemein»zuckrige«struktur des Gesteins mehr als nur nahezulegen. Ihre Lagerstätten wurden jüngst von einer Arbeitsgruppe um den französischen Archäolo- 53 Michael Baales Archäologie in Westfalen-Lippe 2013 AUSGRABUNGEN UND FUNDE