Weimarer Klassik. 12 Goethe: Gedichte. Helmut Galle

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Transkript:

Weimarer Klassik 12 Goethe: Gedichte Helmut Galle hgalle@usp.br

Wichtige Daten aus Goethes Leben 1749 geboren in Frankfurt a.m.: wohlhabende Bürgerfamilie 1768-70 Jurastudium in Leipzig 1770-71 Jurastudium in Straßburg (Sturm und Drang) Bekanntschaft mit Herder, Shakespeare, Ossian, Volkspoesie Liebe zu Friederike Brion 1772 Praktikant in Wetzlar, Bekanntschaft mit Charlotte Buff Beginn der Arbeit am Urfaust 1774 Werther, Prometheus 1775 Frankfurt, Liebe zu Lili Schönemann 1775 Einladung nach Weimar durch den Kronprinzen Carl August

Johann Conrad Seekatz: Familie Goethe im Schäferkostüm 1760

Goethe in Straßburg: Herder, Volkslieder, Erlebnislyrik, erste Liebe, Gotik, Shakespeare

Frühe Goethebilder: Goethe und Lotte, Originalgenie, der Empfindsame (A. Kauffmann)

Herder

Aufgaben zu Willkomm und Abschied : Wie kann man die Geschichte zusammenfassen, die hier erzählt wird? Vergleichen Sie die Szenerie und Metaphorik der zweiten mit der dritten Strophe welche Funktion hat der Kontrast? Warum hat die ältere Forschung in diesem Falle von Erlebnisgedicht gesprochen? Was spricht gegen diese Interpretation?

Willkommen und Abschied Mir schlug das Herz, geschwind zu Pferde! Und fort! wild, wie ein Held zur Schlacht. Der Abend wiegte schon die Erde, Und an den Bergen hing die Nacht; Schon stund im Nebelkleid die Eiche Ein aufgetürmter Riese da, Wo Finsternis aus dem Gesträuche Mit hundert schwarzen Augen sah. Der Mond von seinem Wolkenhügel Schien kläglich aus dem Duft hervor, Die Winde schwangen leise Flügel, Umsausten schauerlich mein Ohr; Die Nacht schuf tausend Ungeheuer; Doch tausendfacher war mein Mut: Mein Geist war ein verzehrend Feuer,

Ich sah dich, und die milde Freude Floß aus dem süßen Blick auf mich; Ganz war mein Herz an deiner Seite Und jeder Atemzug für dich. Ein rosenfarbes Frühlingswetter Lag auf dem lieblichen Gesicht, Und Zärtlichkeit für mich ihr Götter! Ich hofft es, ich verdient es nicht! Der Abschied, wie bedrängt, wie trübe! Aus deinen Blicken sprach dein Herz. In deinen Küssen welche Liebe! O welche Wonne, welcher Schmerz! Du gingst, ich stund und sah zur Erden Und sah dir nach mit nassem Blick; Und doch, welch Glück! geliebt zu werden, Und lieben, Götter, welch ein Glück! 1771 / 1775 Goethe - Berliner Ausgabe Bd. 2, S. 566-56

Aufgaben zu Prometheus: Welcher Mythos ist mit Prometheus verbunden? Welche Unterschiede bestehen zwischen den altgriechischen Versionen des Mythos und dem Gedicht? Wie wird die Beziehung zwischen Prometheus und Zeus dargestellt? Wenn wir Prometheus als einen paradigmatischen Menschen verstehen, worin besteht sein Charakter? Welche Beziehung besteht zwischen den freirhythmischen Versen und dem Inhalt des Gedichts?

Prometheus Bedecke deinen Himmel, Zeus, Mit Wolkendunst, Und übe, dem Knaben gleich, Der Disteln köpft, An Eichen dich und Bergeshöhn; Mußt mir meine Erde Doch lassen stehn Und meine Hütte, die du nicht gebaut, Und meinen Herd, Um dessen Glut Du mich beneidest. Ich kenne nichts Ärmeres Unter der Sonn als euch, Götter! Ihr nähret kümmerlich Von Opfersteuern Und Gebetshauch Eure Majestät Und darbtet, wären Nicht Kinder und Bettler Hoffnungsvolle Toren. Da ich ein Kind war, Nicht wußte, wo aus noch ein, Kehrt ich mein verirrtes Auge Zur Sonne, als wenn drüber wär Ein Ohr, zu hören meine Klage, Ein Herz wie meins, Sich des Bedrängten zu erbarmen.

Wer half mir Wider der Titanen Übermut? Wer rettete vom Tode mich, Von Sklaverei? Hast du nicht alles selbst vollendet, Heilig glühend Herz? Und glühtest jung und gut, Betrogen, Rettungsdank Dem Schlafenden da droben? Ich dich ehren? Wofür? Hast du die Schmerzen gelindert Je des Beladenen? Hast du die Tränen gestillet Je des Geängsteten? Hat nicht mich zum Manne geschmiedet Die allmächtige Zeit Und das ewige Schicksal, Meine Herrn und deine? Wähntest du etwa, Ich sollte das Leben hassen, In Wüsten fliehen, Weil nicht alle Blütenträume reiften? Hier sitz ich, forme Menschen Nach meinem Bilde, Ein Geschlecht, das mir gleich sei, Zu leiden, zu weinen, Zu genießen und zu freuen sich, Und dein nicht zu achten, Wie ich! 1774? / 1778 / 1789 Goethe-BA Bd. 1, S. 327-328

Prometeu Encobre o teu céu, ó Zeus, Com vapores de nuvens, E, qual menino que decepa A flor dos cardos, Exercita-te em robles e cristas de montes; Mas a minha Terra Hás-de-ma deixar, E a minha cabana, que não construíste, E o meu lar, Cujo braseiro Me invejas. Nada mais pobre conheço Sob o sol do que vós, ó Deuses! Mesquinhamente nutris De tributos de sacrifícios E hálitos de preces A vossa majestade; E morreríeis de fome, se não fossem Crianças e mendigos Loucos cheios de esperança. Quando era menino e não sabia Pra onde havia de virar-me, Voltava os olhos desgarrados Para o sol, como se lá houvesse Ouvido pra o meu queixume, Coração como o meu Que se compadecesse da minha angústia. Quem me ajudou Contra a insolência dos Titãs? Quem me livrou da morte, Da escravidão? Pois não foste tu que tudo acabaste, Meu coração em fogo sagrado? E jovem e bom enganado Ardias ao Deus que lá no céu dormia Tuas graças de salvação?!

Eu venerar-te? E por quê? Suavizaste tu jamais as dores Do oprimido? Enxugaste jamais as lágrimas Do angustiado? Pois não me forjaram Homem O Tempo todo-poderoso E o Destino eterno, Meus senhores e teus? Pensavas tu talvez Que eu havia de odiar a Vida E fugir para os desertos, Lá porque nem todos Os sonhos em flor frutificaram? Pois aqui estou! Formo Homens À minha imagem, Uma estirpe que a mim se assemelhe: Para sofrer, para chorar, Para gozar e se alegrar, E pra não te respeitar, como eu! GOETHE, J.W. Poemas. Antologia, versão portuguesa, notas e comentários de Paulo Quintela. Coimbra: Centelha, 1979.

1775 Einladung nach Weimar durch den Kronprinzen Carl August: Übergangszeit ab 1776 Staatsdienst in Weimar (1. Weimarer Jahrzehnt) Freundschaft mit Wieland, Herder Generalintendent in Weimar Bekanntschaft mit Charlotte von Stein 1779 Leiter der Kriegs- und Wegekommission, Geheimer Rat 1782 Umzug ins Haus am Frauenplan, Adelspatent durch Joseph II. 1783 Aufnahme in Illuminatenorden 1784-86 Entdeckung des Zwischenkieferknochens, Botanikstudien 1786-88 Italienische Reise: bewusste Wendung zum Klassizismus

Großherzogtum Sachsen Weimar Eisenach: eines von 314 autonomen Territorien

Residenz fürstliche Verwaltung 6500 Einwohner 2 Unternehmer 2 Hotels 2 Banken und Dorf Weimar um 1780

Die herzogliche Familie in Weimar

Charlotte von Stein

Goethes Haus am Frauenplan in Weimar und das Gartenhäuschen

Goethe als Orest in einer Aufführung der Iphigenie (1779)

Zwangsrekrutierung in Ilmenau (Zeichnung Goethes 1779)

An den Mond Füllest wieder Busch und Tal Still mit Nebelglanz, Lösest endlich auch einmal Meine Seele ganz; Breitest über mein Gefild Lindernd deinen Blick, Wie des Freundes Auge mild Über mein Geschick. Ich besaß es doch einmal, Was so köstlich ist! Daß man doch zu seiner Qual Nimmer es vergißt! Rausche, Fluß, das Tal entlang, Ohne Rast und Ruh, Rausche, flüstre meinem Sang Melodien zu, Was, von Menschen nicht gewußt Oder nicht bedacht, Durch das Labyrinth der Brust Wandelt in der Nacht. 1777/ 1789 Goethe-BA Bd. 1, S. 69-70 Jeden Nachklang fühlt mein Herz Froh' und trüber Zeit, Wandle zwischen Freud und Schmerz In der Einsamkeit. Fließe, fließe, lieber Fluß! Nimmer werd ich froh, So verrauschte Scherz und Kuß, Und die Treue so. Wenn du in der Winternacht Wütend überschwillst Oder um die Frühlingspracht Junger Knospen quillst. Selig, wer sich vor der Welt Ohne Haß verschließt, Einen Freund am Busen hält Und mit dem genießt,

Wandrers Nachtlied Der du von dem Himmel bist, Alles Leid und Schmerzen stillest, Den, der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung füllest, Ach, ich bin des Treibens müde! Was soll all der Schmerz und Lust? Süßer Friede, Komm, ach komm in meine Brust! 1776 / 1780 Goethe-BA Bd. 1, S. 68 (Ein gleiches) Über allen Gipfeln Ist Ruh, In allen Wipfeln Spürest du Kaum einen Hauch; Die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur, balde Ruhest du auch. 1780 / 1815 Goethe-BA Bd. 1, S. 68

Aufgaben Vergleichen Sie die drei vorangegangenen Gedichte mit denen der Sturm-und-Drang- Zeit! Welche Unterschiede im Stil ergeben sich? Welche Aspekte scheinen konstant? Das letzte Gedicht ist das bekannteste von Goethe überhaupt. Was ist das Thema? Gibt es eine Szene, die beschrieben wird? Welche Beziehung besteht zwischen dem Rhythmus und dem Inhalt?

1786-88 Italienische Reise in Weimar Lebensgemeinschaft mit Christiane Vulpius 1789 Geburt des Sohnes August, Freundsch. mit W. v. Humboldt 1790 naturwissensch. Studien: Faust. Ein Fragment 1791 Leitung des Weimarer Hoftheaters 1792 begleitet den Herzog bei der Campagne in Frankreich 1794-1805 Freundschaft und Zusammenarbeit mit Schiller 1795 ff. Bekanntschaft mit den Schlegels und Novalis 1794 Wiederaufnahme von Wilhelm Meisters Lehrjahre 1797 Balladenjahr 1805 Tod Schillers

Die Italienische Reise

Johann Heinrich Tischbein: Goethe in der Campagna 1796

Vorstellungen von antiker Kunst: Johann Joachim Winckelmann Apoll vom Belvedere

Winckelmann: Beschreibung des Apollo im Belvedere (1764) Die Statue des Apollo ist das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Altertums, welche der Zerstörung entgangen sind. Der Künstler derselben hat dieses Werk gänzlich auf das Ideal gebaut, und er hat nur eben so viel von der Materie dazu genommen, als nötig war, seine Absicht auszuführen und sichtbar zu machen. [ ] Ein ewiger Frühling, wie in dem glücklichen Elysien, bekleidet die reizende Männlichkeit vollkommener Jahre mit gefälliger Jugend und spielt mit sanften Zärtlichkeiten auf dem stolzen Gebäude seiner Glieder. Gehe mit deinem Geiste in das Reich unkörperlicher Schönheiten und versuche, ein Schöpfer einer himmlischen Natur zu werden, um den Geist mit Schönheiten, die sich über die Natur erheben, zu erfüllen; denn hier ist nichts Sterbliches, noch was die menschliche Dürftigkeit erfordert. Keine Adern noch Sehnen erhitzen und regen diesen Körper, sondern ein himmlischer Geist, der sich wie ein sanfter Strom ergossen, hat gleichsam die ganze Umschreibung dieser Figur erfüllt.

Goethe: Über Laokoon (1798) Um die Intention des Laokoon recht zu fassen, stelle man sich in gehöriger Entfernung mit geschlossenen Augen davor; man öffne sie und schließe sie sogleich wieder, so wird man den ganzen Marmor in Bewegung sehen, man wird fürchten, indem man die Augen wieder öffnet, die ganze Gruppe verändert zu finden. Ich möchte sagen, wie sie jetzt dasteht, ist sie ein fixierter Blitz, eine Welle, versteinert im Augenblicke, da sie gegen das Ufer anströmt. Dieselbe Wirkung entsteht, wenn man die Gruppe nachts bei der Fackel sieht.

Praxiteles Hermes und Dionysos Venus

Schiller: Die Götter Griechenlands (1788) [...] Bürger des Olymps konnt ich erreichen, Jenem Gotte, den sein Marmor preist, Konnte einst der hohe Bildner gleichen; Was ist neben dir der höchste Geist Derer, welche Sterbliche gebaren? Da die Götter menschlicher noch waren, Waren Menschen göttlicher.

Stücke aus Goethes Sammlung: Iuno Ludovisi, Gorgo Rondandini

Schiller über die Juno Ludovisi (Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 15. Brief) [ ] Indem der weibliche Gott unsere Anbetung heischt, entzündet das gottgleiche Weib unsere Liebe; aber indem wir uns der himmlischen Holdseligkeit aufgelöst hingeben, schreckt die himmlische Selbstgenügsamkeit uns zurück. In sich selbst ruhet und wohnt die ganze Gestalt, eine völlig in sich geschlossene Schöpfung, und als wenn sie jenseits des Raumes wäre, ohne Nachgeben, ohne Widerstand; da ist keine Kraft, die mit Kräften kämpfte, keine Blöße, wo die Zeitlichkeit einbrechen könnte. Durch jenes unwiderstehlich ergriffen und angezogen, durch dieses in der Ferne gehalten, befinden wir uns zugleich in dem Zustand der höchsten Ruhe und der höchsten Bewegung, und es entsteht jene wunderbare Rührung, für welche der Verstand keinen Begriff und die Sprache keinen Namen hat.

Revision von Winckelmanns Ästhetik der weißen Skulpturen Da nun die weiße Farbe diejenige ist, welche die mehresten Lichtstrahlen zurückschicket, folglich sich empfindlicher machet: so wird auch ein schöner Körper desto schöner sein, je weißer er ist.

Neue Häuslichkeit in Weimar mit Christiane Vulpius

Freundschaft Goethe / Schiller 1794-1805

Aufgaben zum Erlkönig Wie viele Stimmen sind hier hörbar? Welche? Wie unterscheiden sich die Wahrnehmungen von Vater und Sohn? Gibt es für den Leser eine Möglichkeit, hier über die Wahrheit in der Fiktion zu entscheiden? Welche Eigenschaften hat der Erlkönig in der Sicht des Kindes? Worin besteht das Unheimliche? Der Erlkönig ist eine Ballade, für Goethe und Schiller das Urei der Poesie, in dem Episches, Dramatisches und Lyrisches ungetrennt voneinander existieren: worin zeigt sich das in diesem Gedicht?

Erlkönig Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind; Er hat den Knaben wohl in dem Arm, Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.»mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig mit Kron und Schweif?Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.Du liebes Kind, komm, geh mit mir! Gar schöne Spiele spiel ich mit dir; Manch bunte Blumen sind an dem Strand; Meine Mutter hat manch gülden Gewand.Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht, Was Erlenkönig mir leise verspricht?sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; In dürren Blättern säuselt der Wind.Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn? Meine Töchter sollen dich warten schön; Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn Und wiegen und tanzen und singen dich ein.mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort Erlkönigs Töchter am düstern Ort?Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau: Es scheinen die alten Weiden so grau.ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an! Erlkönig hat mir ein Leids getan!«dem Vater grauset's, er reitet geschwind, Er hält in Armen das ächzende Kind, Erreicht den Hof mit Mühe und Not; In seinen Armen das Kind war tot. 1782 Goethe-BA Bd. 1, S. 115-116

Franz Schubert: Erlkönig (1815) http://www.youtube.com/watch?v=racdt1e1ewu Moritz von Schwind: Erlkönig (1830)

Franz Schubert: Der Erlkönig (1815 / 1821)

Urworte. Orphisch DAIMON, Dämon Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen, Die Sonne stand zum Gruße der Planeten, Bist alsobald und fort und fort gediehen Nach dem Gesetz, wonach du angetreten. So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen, So sagten schon Sibyllen, so Propheten; Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt Geprägte Form, die lebend sich entwickelt. TYCHÊ, das Zufällige Die strenge Grenze doch umgeht gefällig Ein Wandelndes, das mit und um uns wandelt; Nicht einsam bleibst du, bildest dich gesellig, Und handelst wohl so, wie ein andrer handelt: Im Leben ist's bald hin-, bald widerfällig, Es ist ein Tand und wird so durchgetandelt. Schon hat sich still der Jahre Kreis geründet, Die Lampe harrt der Flamme, die entzündet. ERÔS, Liebe Die bleibt nicht aus! - Er stürzt vom Himmel nieder, Wohin er sich aus alter Öde schwang, Er schwebt heran auf luftigem Gefieder Um Stirn und Brust den Frühlingstag entlang, Scheint jetzt zu fliehn, vom Fliehen kehrt er wieder, Da wird ein Wohl im Weh, so süß und bang. Gar manches Herz verschwebt im Allgemeinen, Doch widmet sich das edelste dem Einen. ANANKÊ, Nötigung Da ist's denn wieder, wie die Sterne wollten: Bedingung und Gesetz; und aller Wille Ist nur ein Wollen, weil wir eben sollten, Und vor dem Willen schweigt die Willkür stille; Das Liebste wird vom Herzen weggescholten, Dem harten Muß bequemt sich Will und Grille. So sind wir scheinfrei denn nach manchen Jahren Nur enger dran, als wir am Anfang waren. ELPIS, Hoffnung Doch solcher Grenze, solcher ehrnen Mauer Höchst widerwärt'ge Pforte wird entriegelt, Sie stehe nur mit alter Felsendauer! Ein Wesen regt sich leicht und ungezügelt: Aus Wolkendecke, Nebel, Regenschauer Erhebt sie uns, mit ihr, durch sie beflügelt, Ihr kennt sie wohl, sie schwärmt durch alle Zonen; Ein Flügelschlag - und hinter uns Äonen! 1817 / 1827 Goethe-BA Bd. 1, S. 549-550

Aufgaben zu den Römischen Elegien Der Zyklus der römischen Elegien entstand während und nach der italienischen Reise und handelt von einer Liebeserfahrung. Worin besteht der Unterschied zu den jugendlichen Liebesgedichten Goethes? Das Gedicht hat nichts mit traurigen Gefühlen zu tun; was ist das Thema und das dominierende Gefühl? In welche (klassische) Tradition stellt sich das Gedicht? Worin besteht die Verbindung zwischen Liebe und Wahrnehmung, Wahrnehmung und poetischem Ausdruck? Was an dem Gedicht ist klassisch? Was ist vielleicht klassizistisch?

Römische Elegien V Froh empfind ich mich nun auf klassischem Boden begeistert; Vor- und Mitwelt spricht lauter und reizender mir. Hier befolg ich den Rat, durchblättre die Werke der Alten Mit geschäftiger Hand, täglich mit neuem Genuß. Aber die Nächte hindurch hält Amor mich anders beschäftigt; Werd ich auch halb nur gelehrt, bin ich doch doppelt beglückt. Und belehr ich mich nicht, indem ich des lieblichen Busens Formen spähe, die Hand leite die Hüften hinab? Dann versteh ich den Marmor erst recht; ich denk und vergleiche, Sehe mit fühlendem Aug, fühle mit sehender Hand. Raubt die Liebste denn gleich mir einige Stunden des Tages, Gibt sie Stunden der Nacht mir zur Entschädigung hin. Wird doch nicht immer geküßt, es wird vernünftig gesprochen; Überfällt sie der Schlaf, lieg ich und denke mir viel. Oftmals hab ich auch schon in ihren Armen gedichtet Und des Hexameters Maß leise mit fingernder Hand Ihr auf den Rücken gezählt. Sie atmet in lieblichem Schlummer, Und es durchglühet ihr Hauch mir bis ins Tiefste die Brust. Amor schüret die Lamp indes und denket der Zeiten, Da er den nämlichen Dienst seinen Triumvirn getan. 1795 Goethe-BA Bd. 1, S. 170

Die Französische Revolution Der Freiheitsbaum (Tuschzeichnung von Goethe) 1792 Die Kanonade von Valmy 1792

Goethe über die Möglichkeit einer klassischen Nationalliteratur: Wer mit den Worten, deren er sich im Sprechen oder schreiben bedient, bestimmte Begriffe zu verbinden für eine unerläßliche Pflicht hält, wird die Ausdrücke: klassischer Autor, klassisches Werk höchst selten gebrauchen. Wann und wo entsteht ein klassischer Nationalautor? Wenn er in der Geschichte seiner Nation große Begebenheiten und ihre Folgen in einer glücklichen und bedeutenden Einheit vorfindet; wenn er in den Gesinnungen seiner Landsleute Größe, in ihren Empfindungen Tiefe und in ihren Handlungen Stärke und Konsequenz nicht vermißt; wenn er selbst, vom Nationalgeiste durchdrungen, durch ein einwohnendes Genie sich fähig fühlt, mit dem Vergangnen wie mit dem Gegenwärtigen zu sympathisieren;

wenn er seine Nation auf einem hohen Grade der Kultur findet, so daß ihm seine eigene Bildung leicht wird; wenn er viele Materialien gesammelt, vollkommene oder unvollkommene Versuche seiner Vorgänger vor sich sieht und so viel äußere und innere Umstände zusammentreffen, daß er kein schweres Lehrgeld zu zahlen braucht, daß er in den besten Jahren seines Lebens ein großes Werk zu übersehen, zu ordnen und in einem Sinne auszuführen fähig ist. [...] Eine bedeutende Schrift ist, wie eine bedeutende Rede, nur Folge des Lebens; der Schriftsteller so wenig als der handelnde Mensch bildet die Umstände, unter denen er geboren wird und unter denen er wirkt. Jeder, auch das größte Genie, leidet von seinem Jahrhundert in einigen Stücken, wie er von andern Vorteil zieht, und einen vortrefflichen Nationalschriftsteller kann man nur von der Nation fordern.

Aber auch der deutschen Nation darf es nicht zum Vorwurfe gereichen, daß ihre geographische Lage sie eng zusammenhält, indem ihre politische sie zerstückelt. Wir wollen die Umwälzungen nicht wünschen, die in Deutschland klassische Werke vorbereiten könnten. Goethe: Literarischer Sansculottismus, 1795 Goethe-BA Bd. 17, S. 322-323

1806 Plünderung Weimars durch napoleonische Truppen Heirat mit Christiane Vulpius 1807 Beginn der Arbeit an Wilhelm Meisters Wanderjahre 1808 Druck Faust I 1809 Druck Die Wahlverwandtschaften 1811 1830 Arbeit an Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit 1814 Begegnung mit der 30-jährigen Marianne Willemer 1815-19 Arbeit am West-östlichen Divan 1816 Tod der Ehefrau Christiane 1821 Liebe zur 17-jährigen Ulrike v. Levetzow Marienbader Elegie 1825-1831 Arbeit am Faust II 1829 Druck Wilhelm Meisters Wanderjahre 1830 Tod des Sohnes August 1832 Tod am 22. März; posthum: Druck Faust II

Goethes letzte Musen: Marianne Willemer und Ulrike von Levetzow

Lied und Gebilde Aus dem West-östlichen Divan Mag der Grieche seinen Ton Zu Gestalten drücken, An der eignen Hände Sohn Steigern sein Entzücken; Aber uns ist wonnereich In den Euphrat greifen, Und im flüßgen Element Hin und wider schweifen. Löscht ich so der Seele Brand Lied es wird erschallen; Schöpft des Dichters reine Hand Wasser wird sich ballen.

Der Bräutigam (1824) Um Mitternacht, ich schlief, im Busen wachte Das liebevolle Herz, als wär es Tag; Der Tag erschien, mir war, als ob es nachte Was ist es mir, so viel er bringen mag? Sie fehlte ja! mein emsig Tun und Streben Für sie allein ertrug ichs durch die Glut Der heißen Stunde; welch erquicktes Leben Am kühlen Abend! lohnend wars und gut. Die Sonne sank, und Hand in Hand verpflichtet Begrüßten wir den letzten Segensblick, Und Auge sprach, ins Auge klar gerichtet: Von Osten, hoffe nur, sie kommt zurück. Um Mitternacht, der Sterne Glanz geleitet Im holden Traum zur Schwelle, wo sie ruht. O sei auch mir dort auszuruhn bereitet! Wie es auch sei, das Leben, es ist gut.

Goethes Lebendmaske (1818) Altersbild von Stieler (1828)