Pastorin Ina Brinkmann Meldorfer Dom Miserikordias Domini 19. April 2015 Predigt zu Genesis 16, 1-16 Sarai, Abrams Frau, gebar ihm kein Kind. Sie hatte aber eine ägyptische Magd, die hieß Hagar. Und Sarai sprach zu Abram: Siehe, der HERR hat mich verschlossen, dass ich nicht gebären kann. Geh doch zu meiner Magd, ob ich vielleicht durch sie zu einem Sohn komme. Und Abram gehorchte der Stimme Sarais. Da nahm Sarai, Abrams Frau, ihre ägyptische Magd Hagar und gab sie Abram, ihrem Mann, zur Frau, nachdem sie zehn Jahre im Lande Kanaan gewohnt hatten. Und er ging zu Hagar, die ward schwanger. Als sie nun sah, dass sie schwanger war, achtete sie ihre Herrin gering. Da sprach Sarai zu Abram: Das Unrecht, das mir geschieht, komme über dich! Ich habe meine Magd dir in die Arme gegeben; nun sie aber sieht, dass sie schwanger geworden ist, bin ich gering geachtet in ihren Augen. Der HERR sei Richter zwischen mir und dir. Abram aber sprach zu Sarai: Siehe, deine Magd ist unter deiner Gewalt; tu mit ihr, wie dir, s gefällt. Als nun Sarai sie demütigen wollte, floh sie von ihr. Aber der Engel des HERRN fand sie bei einer Wasserquelle in der Wüste, nämlich bei der Quelle am Wege nach Schur. Der sprach zu ihr: Hagar, Sarais Magd, wo kommst du her und wo willst du hin? Sie sprach: Ich bin von Sarai, meiner Herrin, geflohen. Und der Engel des HERRN sprach zu ihr: Kehre wieder um zu deiner Herrin und demütige dich unter ihre Hand. Und der Engel des HERRN sprach zu ihr: Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können. Weiter sprach der Engel des HERRN zu ihr: Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der HERR hat dein Elend erhört. Er wird ein wilder Mensch sein; seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn, und er wird wohnen all seinen Brüdern zum Trotz. Und sie nannte den Namen des HERRN, der mit ihr redete: Du bist ein Gott, der mich sieht. Denn sie sprach: Gewiss hab ich hier hinter dem hergesehen, der mich angesehen hat. Darum nannte man den Brunnen»Brunnen des Lebendigen, der mich sieht«. Er liegt zwischen Kadesch und Bered. Und Hagar gebar Abram einen Sohn, und Abram nannte den Sohn, den ihm Hagar gebar, Ismael. Gnade sei mit Euch und Frieden von Gott, der uns Vater und Mutter ist, und von Jesus Christus, unserem Bruder und Heiland. Liebe Gemeinde, heute geht es um zwei Frauen und einen Mann. Und um einen Sohn, der unbedingt her muss. Damit das Erbe gesichert ist. Davon erzählt uns die Bibel im ersten Buch Mose. Es ist eine Geschichte zwischen Zoff und Zärtlichkeit. Sie erzählt von den Spaltungen zwischen Frauen. Von der Macht zwischen Frauen und Männern. Und von den Brüchen, die entstehen, wenn Menschen zwanghaft ein perfektes Leben anstreben. Und wie wir Menschen innerlich aufgerichtet werden, wenn wir wirklich gesehen werden, so wie wir sind. Es ist eine 1
Geschichte davon, wie Gott uns Menschen öffnen und befreien kann, Kraft gibt und Zuversicht schenkt. Die Sache ist folgende, man könnte sie so überschreiben: Von einer Leihmutterschaft und ihren Folgen Sarai ist unfruchtbar, und das ist ein Problem. Gott hat Sarai und Abram schon vor langen Jahren die Verheißung von großer Nachkommenschaft gegeben. Aber noch ist kein einziges Kind geboren. Die Zukunft steht auf dem Spiel. Sarai ersinnt einen Plan. Der ist nicht abwegig, ist durchaus üblich zu ihrer Zeit. Hagar, ihre Sklavin soll das ersehnte Kind für sie austragen. Leihmutterschaft, das ist ein brandaktuelles Thema. Wie viele Frauen wünschen sich Kinder und können nicht schwanger werden. Die Gründe sind vielfältig. Die Sorgen darüber auch. Die Lösung, die unsere Sarai aus biblischer Zeit anstrebt, ist bei uns in Deutschland jetzt aus ethischen Gründen nicht zulässig. Eine Sarai heute, was würde sie wohl denken in einer stillen Stunde? Hören wir ihr doch einmal zu: Warum kann ich mich nicht trösten, ganz normal, wie andere Frauen das auch können. Mit Schoppengehen oder so, bis meine Seele wieder lacht. Mich ablenken mit schönen Dingen. Kinder sind doch nun wirklich nicht alles im Leben. Warum kann ich nicht einfach glücklich sein? Wenn ich sie sitzen sehe bei ihren Kindern und ihnen zusehe, wie sie spielen. Das Mädchen da mit seinen pummeligen kleinen Fingern ist höchstens drei und nagt so friedlich an seiner Reiswaffel. Und der Junge daneben. Wie alt mag der wohl sein? Mit welcher Hingabe er seine Sandkuchen produziert. Warum stecke ich mich nicht mit Hoffnung an, wenn ich alle diese Kinder sehe? Warum ist das so? Dieses wunderbare junge Leben. Sie sorgen doch letztlich auch für meine Zukunft. Auch wenn es nicht meine eigenen Kinder sind. Alle diese Mütter auf den Bänken am Spielplatzrand mit den Buggys und Schnullern und Trinkflaschen, mit den Einkäufen im Netz und dem Kaffeebecher in der Hand. Sie sehen so genervt aus. Oder müde. Hin und wieder entdecke ich sogar Langeweile in ihren Gesichtern. Warum ist das so? Die müssten doch froh sein. Sie haben doch Kinder. Kinderwunsch wird aus vielerlei Gründen gespeist. Heute wie damals. Und die Lösungen dazu werden der Zeit entsprechend gehandhabt. Nach altorientalischem Brauch ist es Sarais gutes Recht, sich von der Leibeigenen ein Kind austragen zu lassen. Und dazu werden weder Hagar noch der Mann, Abram gefragt. Letztlich steckt darin das Übel des Konflikts. Oder ich könnte auch sagen: 2
Wir reden hier von der Forderung nach Respekt. Hagar wird wie erwünscht schwanger und aufsässig gegen Sarai. Sie sieht, dass sie mit einem Kind im Bauch ebensoviel, wenn nicht sogar mehr wert ist als ihre Herrin. Sie wünscht sich als Frau anerkannt zu werden und nicht funktionalisiert. Bei einer Hagar von heute könnte es sich dann so anhören, wenn sie zu Sarai spräche: Du bist eine Närrin. Du machst dir was vor. Was bildest du dir denn ein? Deinen Titel kannst du dir in die Haare schmieren: Stammmutter,... Ahnfrau... Dass ich nicht lache. Alles gemacht. Alles gekauft. Bade dich ruhig im Glanz des Erfolgs, wenn du deinen Sohn dann eines Tages in den Armen wiegst. Vergiss es ja nicht. Ich bin es doch, die dir und deiner Sippe ein festes Haus baut. Teure Schlösser und teure Türen sind das, die du da anbringst. Aber glaube mir, ich bin diejenige, die jetzt die Fäden in der Hand hat. Ich gebe dir, was dein Leben so sicher macht. Meine Jugend ist dein Glück. So ist das. Und Abram, letztlich will er doch mich. Sein Herz gehört mir. Glaube mir. Und die Sarai von heute könnte dies erwidern: So, meine Süße, glaub mir, in mir drin ist wirklich noch alles rot. Und das ist unbedingt das Gegenteil von tot. Mein Herz schlägt sich auch noch ganz gut, auch wenn du meinst, mein Gesicht ist inzwischen aus der Mode gekommen. Diese ältliche Frau, denkst du. Dein Blick. Dein Gang, sie verraten es. Auch wenn du halb so alt bist wie ich, und ER sich mit deiner Jugend rühmt und denkt, er könnte sie dir abluchsen. Mein Mann, er ist doch ein Idiot. Soll es ihn doch zerreißen vor Lust. Dass dir das gefällt, wenn er sich berauscht an deinem süßen Blut, ist mir schon klar. Aber soll er doch ertrinken in deinem ganzen Frust. Was bist du denn schon, sag es mir? Du hast ihn nur geliehen bekommen von mir. Weil ICH das wollte. Dass du das nur weißt. Mit Liebe hat das rein gar nichts zu tun. Die Sarai aus biblischen Tagen beruft sich in dieser Situation gegenüber ihrem Mann auf Gott. Wenn man so will, instrumentalisiert sie auch Gott. Benutzt ihn und seine Verheißung als Druckmittel, um ihren eigenen Vorteil zu stärken. Beruft sich auf die höhere Macht. Um zu retten, was in ihren Augen gefährdet ist. Der hohe Auftrag an sie und Abram. Eigentlich aber meint sie ihren eigenen Ruf. Abram bleibt loyal gegenüber seiner Frau Sarai. Damit ist das Besitz- und Herrinnenrecht Sarais bestätigt. Erst einmal, so scheint es. Und Hagar wird in ihre Schranken gewiesen. Denn sie muss wissen, wem sie gehört und vor allem, wem das Kind in ihrem Leib gehört. 3
Und Abram? Er wird die Kehrseiten dieses Debakels, wer denn die rechtmäßige Mutter sei, zu spüren bekommen haben. Wie sieht es in ihm aus? Vielleicht so: Wie nur breche ich das Schweigen zwischen Sarai und mir? Wie füge ich uns wieder zusammen? Wie kann ich uns beschützen? Wie fange ich das bloß an? Wir sind zu zweit. Ja. Aber wir sind zu zweit alleine. Wie oft wir uns streiten. Wählen absichtlich Worte, die verletzen. Es ist als ob wir uns selbst nicht genug sind. Immer geht es nur um Kinder wollen, Kinder haben. Kinder kriegen. Und dass es nicht klappt. Bleibe ich still, ändert es nichts. Und will ich mit ihr reden, ist das auch falsch. Aber eigentlich will ich ihr doch nur zeigen, dass ich nichts an ihr ändern will. Ich kann wirklich alles gut an ihr leiden. Ich mag vor allem, wie sie lacht. Ihre Zweifel darüber geben mir einen Stich ins Herz. Ich will sie nicht verletzen und verstehe nicht, warum sie doch verletzt ist. Ich will doch so gern zeigen, dass ich sie liebe. Wir haben uns doch schon vor so langer Zeit gefunden. Ich will doch mit ihr weiter. Bis zum Schluss. Hagar, die Sklavin, flieht unter dem Druck in die Wüste. Das ist ihre Form der Macht. Denn damit werden Sarai und Abram jetzt die Hoffnung auf einen Sohn aufgeben müssen. Aber auch Hagar hat überhaupt keine Chance mehr. Eine schwangere, alleinstehende Ausländerin auf der Flucht vor der herrschenden Rechtsordnung - die hat keine Chance. Hören wir Hagar in der Einsamkeit ihren Selbstgesprächen doch einmal zu: Habe ich eigentlich eine Wahl? Ich muss tun, was sie sagt. Immer wenn sie so freundlich tut, will sie etwas von mir. Was hat sie mir nicht schon alles versprochen? Also willige ich ein und mache mir das Leben nicht noch schwerer. Flüchtlinge wie ich, Ausländerinnen müssen froh sein, dass sie Brot und Arbeit haben und ein Dach über dem Kopf. Wie oft hat sie mir das schon vorgehalten. Wir sind und bleiben doch unfrei. Sage ich Nein, wird sie mich zwingen. Oder mich weiter in die Wüste schicken. Es ist ihr Recht. Ich weiß es. Und Abram? Er wird zu ihr halten. Und nicht zu mir. Das Bett teilt er gern mit mir. Das ja. Aber mein Herz und meine Seele stehen auf Alarm. Ich habe das Gefühl, ich falle ins Bodenlose. Wo bleibt die Achtung vor mir? Vor meinem Leben? Bin ich nicht genauso ein Mensch wie sie? Eine Frau? Bin ich nur eine Brutmaschine? Ein Bote Gottes begegnet Hagar in der Wüste. Er schickt sie, wie das Gesetz es vorsieht, prompt zurück. Damit ist vermutlich zumindest ihr Leben gerettet. 4
Und für Sarai kann ein Kind geboren werden. Flucht ist eben keine Lösung. Jedenfalls in dieser Situation nicht. Aber was vor allem wesentlich ist: Hagar wird von Gott angesprochen und angesehen. Der Bote Gottes nennt sie mit Namen: Hagar, Sklavin Sarais, woher kommst du und wohin willst du?" Hagar kann nur auf die Frage nach der Vergangenheit antworten. Als Flüchtlingsfrau hat sie keine Zukunft, meint sie. Dann aber passiert etwas ganz Erstaunliches: Gott gibt ihr eine Verheißung so wie vorher Abram: Ich will deine Nachkommen so zahlreich machen. Man wird sie nicht zählen können, so viele." Hagar wird ihren eigenen Sohn zur Welt bringen, keinen Sohn für Sarai. Und der Name wird schon verheißen: Ismael, das heißt übersetzt: Gott hört. Diese überwältigende Erfahrung bringt Hagar dazu, Gott den Namen El Ro i Du Gott, der mich sieht." zu geben. Sie nennt ihn so, weil sie weiß, was es bedeutet, nicht gesehen zu werden, als Frau, als Mensch nicht beachtet zu werden. Gesehen zu werden, also wahrgenommen zu werden, mit allem was sie ist und hat und auch nicht ist und nicht hat, macht Hagar stabil. Macht sie stark. Öffnet sie und befreit sie aus der Aussichtslosigkeit ihres Lebens. Damit bekommt Hagar die Zukunft in ihr Bewusstsein, die sie vorher nicht gesehen hat. Sie kehrt zurück zu Sarai und Abram. Und sie gebiert Ismael, wie es ihr verheißen wird. Auch dieser Weg ist natürlich nicht einfach. Wir ahnen es. Er kostet Kraft. Sarai und Hagar, sie liegen sich fortan nicht in dem Armen. Die Konkurrenz bleibt. Aber nun ist sie echt. Sie geschieht auf Augenhöhe. Und mit der Kraft Gottes im Herzen. Amen Literatur: Silly, Alles rot, 2010; Silly, Findelkinder, 2010 IBri. Es gilt das gesprochene Wort. www.kirche-meldorf.de www.inabrinkmann.com 5