Jeanett, das erste Orkantief des Herbstes Ch. Lefebvre, G. Müller- Westermeier

Ähnliche Dokumente
Orkantief CHRISTIAN am 28. Oktober 2013

Orkantief CHRISTIAN am 28. Oktober 2013 Stand: 31. Oktober 2013

Orkantief NIKLAS wütet am 31.März 2015 über Deutschland

Orkantief sorgt für den zweiten Herbststurm

Aktuelles zum Wettergeschehen

Die Winterstürme im Jahr R. Franke, C. Lefebvre, G. Rosenhagen

Historie von 1703 bis Winterstürme in Europa

Der Orkan Lothar ( ) Zehn Jahre danach

Zeitlich-räumliche Verteilung der Gebietsniederschläge in Europa. B. Rudolf


Extreme Wetter- und Witterungsereignisse im 20. Jahrhundert. P. Bissolli, L. Göring, Ch. Lefebvre

Wolfgang Raab, Versicherungskammer Bayern Risk-Management. Wolfgang Raab, Versicherungskammer Bayern

SEEWETTER - BROSCHÜRE. weil unser Wetter lebt


Pressemitteilung. Tübingen und Linz, 6. Februar 2013

Die Bundesrepublik Deutschland

Winterstürme in Europa (II)

"Zeitlicher Zusammenhang von Schadenshäufigkeit und Windgeschwindigkeit"

5. Bildung und Humankapital

Allgemeine Schadenentwicklung - Sturm und Naturkatastrophen

Februar Klimabulletin Februar MeteoSchweiz. Ein anhaltend milder Wintermonat. Grosse Schneehöhen... Stand 27.

Belgien. Karten für die Setzleiste folieren und auseinander schneiden. Mischen und die Karten gruppieren lassen.

Der Klimawandel in Bayern. Dipl.-Met. Gudrun Mühlbacher, Leiterin des Regionalen Klimabüros München

Wann ist es wirklich Mittag bei mir vor Ort?...

Windpotentialanalyse Region 18

Elternabend 2. Sek P. Schuljahr 2015/16

507 Aesch Basel Bahnhof SBB St-Louis Grenze (BLT-Linie 11) û

Automarkt Sonderveröffentlichungen 2013

Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten

Mistral Eine Wetterreise nach Marseille

Mistral Eine Wetterreise nach Marseille

Spamchek-Report 2. Quartal 2008 April Juni

Eine Fehlprognose des GME aber eine besondere!

Spannend wie plötzlich der Hubi von der Bundeswehr ankam und vor dem Hangar 5 landete, den ganzen Tag hieß es anschauen, fragen, staunen,

Teilnahme am Niederrheinpokal-Turnier in Mönchengladbach mit dem U14 Regiokader Ost vom 31. Mai bis 2. Juni 2013

Messestadt West - Riem Dornach - Aschheim - Kirchheim - Heimstetten - Feldkirchen

Datum Wochen Band DVD Band eingelegt Protokoll kontr. Recovery kontr. Tag Nr. RW Sign. Sign. Sign.

Jahr 2015 STATUS DES OFFSHORE- WINDENERGIEAUSBAUS IN DEUTSCHLAND. Im Auftrag von:

Gewußt...? Kap. 1: Sonnenstand. ... wieviel Handspannen die Sonne im Winter mittags über dem Horizont steht?

24. UNTERNEHMERSTAMMTISCH Leipziger Westen 02. Juni , 18:30 Uhr bis 21:30 Uhr

April Klimabulletin April MeteoSchweiz. Nasskalter Monatsbeginn. Mit Bise zunehmend sonnig, aber kalt. Hochdruck-Rekord. 08.

'Schleißheimer Advent', Tag 1 Stimmungsvoll in neuem Ambiente

Soziale Sicherung auf dem Prüfstand Stimmt die Balance zwischen Fördern F Fordern?

Teilstrecke 1: Messestadt West - Riem Dornach - Aschheim - Kirchheim - Heimstetten

Schattenwurf von Windkraftanlagen: Erläuterung zur Simulation

2. Geburtenentwicklung und Lebensformen

Basics of Electrical Power Generation Windenergie

Anhaltend positive Entwicklung auf den Immobilienmärkten

Von Schulden die man sieht und solchen, die man nicht sieht: Eine Generationenbilanz

Trenduntersuchungen der Temperatur in 500 und 50 hpa für verschiedene Zeiträume ab H. Nitsche

Generated by Foxit PDF Creator Foxit Software

Terminliste B-JUNIOREN-BUNDESLIGA Staffel West Spieljahr 2015/ 2016

Pressemitteilung Nr. 31 vom 18. Februar 2015 Seite 1 von 8

Sturmdokumentation 2006 Deutschland

Diagnose: Wie hoch ist das Fieber wirklich?

Montag, 14.3 Dienstag, 15.3 Mittwoch, 16.3 Donnerstag, 17.3 Freitag, 18.3 Samstag, 19.3 Sonntag, Programmiertes Entwerfen 1 KG1 Götte

Überfahrt nach Korsika ab Südfrankreich bis Sardinien St Teresa di Gallura (oder zurück)

Eisvorhersage für Schifffahrtskanäle

Globaler Tourismus. Was ist ein Tourist? grenzüberschreitende Reisen (in Mio.)

Heute am Himmel: Sonntag, 5. Juli 2015

Wintersaison 2014/2015 bis März: Ankünfte +4% und Nächtigungen +2%

Bordwetterwarte FS Polarstern

DIE FILES DÜRFEN NUR FÜR DEN EIGENEN GEBRAUCH BENUTZT WERDEN. DAS COPYRIGHT LIEGT BEIM JEWEILIGEN AUTOR.

Klimawandel und Wetterschadentrends aus der Perspektive eines Rückversicherers

Veranstaltungsprogramm. Januar bis Juni 2016

Stadt, Land und Fluss

Teil 9: Neoklima. Extremereignisse

DIE ERDGAS- VERDICHTERSTATION OLBERNHAU

Analyse meteorologischer Probleme im Aufbau und Betrieb von Offshore-Windkraftanlagen

Hochwasser im Rheingebiet - August 2007

Sturmdokumentation 2009 Deutschland

7. Analyse der Großwetterlagen 7.1 Definition

Gesetzliche Änderungen. Im Überblick

Dobrindt: Unwetterwarnungen kommen direkt aufs Smartphone oder Tablet Kostenlos und werbefrei: Neue App des DWD warnt vor Wettergefahren

DOWNLOAD. Ein Fragespiel. Jens Eggert Fragend durch Europa. Downloadauszug aus dem Originaltitel:

Rückgang der Feinstaubbelastung am Bollwerk in Bern während der Sperrung für den Privatverkehr. Kurzbericht

Sturmflutvorhersage für Hamburg 1962 und heute

BLV"Regionalkonferenz!am!28.!März!2009!in!München "Perspektiven!der!Leichtathletik!in!Bayern

Kongresse in Deutschland & Dresden

Die Nordatlantische Oszillation und ihr Einfluss auf die europäischen Lufttemperaturen. B. Tinz

Steuerreform Grafische Darstellungen und internationale Vergleiche

Kundennähe und Kundenvertrauen als Erfolgsfaktoren in der Immobilienfinanzierung. München, 18. Mai 2010

Hotel-Ticker. Performance Analyse ausgewählter deutscher Städte Januar Ausgabe Februar INFINITY - fotolia.com

DOWNLOAD. Geografisches Grundwissen 10. Unterwegs in der Welt. Zeitzonen. Friedhelm Heitmann. Downloadauszug aus dem Originaltitel: Friedhelm Heitmann

Das Klima des Jahres 2011 im globalen Maßstab

Deutsche Biographie Onlinefassung

Preis: kostenfrei Buchungsnummer: VA_21469 Anmeldeschluss: Freitag, Zielgruppen: Beschäftigte der Vertragspartner

Reinhard Busse, Prof. Dr. med. MPH

Nationales Forum Alter und Migration vom 30. November 2010

Zweites Halbjahr 2013 verglichen mit zweitem Halbjahr 2012 Strompreise für Haushalte in der EU28 stiegen um 2,8% und Gaspreise um 1,0%

Musterlösung zu Übung 2: Thermodynamik

DIE ERDGAS- VERDICHTERSTATION REHDEN

Das Profil der Proximus Versicherung AG

Michelson-Interferometer. Jannik Ehlert, Marko Nonho

Statistisches Bundesamt (Hrsg.)

Quelle: UNWTO World Tourism Barometer August 2014, Ankünfte von ausländischen Gästen UNWTO,

Urlaub und Reisen. Quelle: AWA Vorfilter: Gesamt ( ungew. Fälle, gew. Fälle - 100,0% - 69,24 Mio)

Der Münchner Hitzesommer 2015 Zweitwärmster seit Messbeginn mit einem Rekord an heißen Tagen (> 30 C)

Wie alles begann. Kurzkonzept erstellt von:

Transkript:

Klimastatusbericht 2002 DWD 135 Jeanett, das erste Orkantief des Herbstes 2002 Ch. Lefebvre, G. Müller- Westermeier Deutlich stärkere Auswirkungen als Orkan Anna hatte das erste große Sturmtief der Herbstsaison 2002, das am Samstag, den 26. Oktober und am Sonntag, den 27. Oktober über West- und Mitteleuropa hinwegzog. Es brachte verbreitet orkanartige Winde, die nahezu 30 Menschenleben forderten und vor allem in Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland große Sachschäden in Höhe von insgesamt 2,5 bis 3 Mrd. (nach Angaben der Münchner Rück) verursachten. Das Tief, das den Namen Jeanett erhielt, entstand am Freitag, den 25.10.2002 über dem mittleren Atlantik an der wellenden Kaltfront eines Tiefs vor der norwegischen Küste, welches ebenfalls bereits starken Sturm in Deutschland verursacht hatte. Es zog unter rascher Verstärkung mit der kräftigen Höhenströmung zügig nach Osten und erreichte am Samstagnachmittag Irland. In der Nacht zum Sonntag überquerte Jeanett Nordengland und bewegte sich am Sonntagmorgen weiter in die Nordsee, wobei es seine maximale Ausprägung mit einem Kerndruck unter 980 hpa erreichte. Am Sonntagnachmittag lag es über Dänemark. Am Abend hatte es Südschweden erreicht und begann sich aufzufüllen (vgl. Abb.1). Abb. 1 Zugbahn des Orkantiefs 'Jeanett' mit dreistündlicher Position des Tiefkerns und des zugehörigen Kerndrucks in hpa zwischen dem 27.10.02, 01:00 MEZ und 28.10.02, 01:00 MEZ. Die Starkwinde waren auf den Warmsektor im Süden des Tiefs konzentriert. Sie betrafen daher zunächst Südengland, Nordfrankreich und die Beneluxländer. Gegen Sonntagmittag erreichte das Starkwindfeld Westdeutschland. Die maximalen Windgeschwindigkeiten wurden dort meist gegen 15 Uhr registriert. In Ostdeutschland traten die stärksten Böen erst am späten Abend oder in den frühen Morgenstunden des 28. auf. Die Abb. 2 stellt den Verlauf von Luftdruck, Luftdrucktendenz und Windgeschwindigkeit an der Station Düsseldorf dar. Dabei ist zu erkennen, dass die starken Winde erst

136 DWD Klimastatusbericht 2002 nach Ende des Druckfalls auftraten. Die maximale Windspitze mit 111 km/h wurde zwischen 14 und 15 Uhr Ortszeit, (13-14 UTC) gemessen. Abb. 2 Verlauf des Luftdrucks, der Luftdrucktendenz und der mittleren Windgeschwindigkeit am 27.10. an der Station Düsseldorf (von oben nach unten).

Klimastatusbericht 2002 DWD 137 Abb. 3 Verlauf der maximalen Windgeschwindigkeit in München-Riem vom 27. bis 28.10.2002. Abb. 4 Verlauf der maximalen Windgeschwindigkeit in List/Sylt vom 27. bis 28.10.2002. Abb. 5 Verlauf der maximalen Windgeschwindigkeit auf dem Fichtelberg vom 27. bis 28.10.2002.

138 DWD Klimastatusbericht 2002 Abb. 6 Verlauf der maximalen Windgeschwindigkeit auf dem Feldberg/Schwarzwald vom 25. bis 28.10.2002. In den Niederungen lagen die maximalen Windgeschwindigkeiten in großen Teilen Deutschlands um 115 km/h (vgl. 3), in den Küstengebieten um 120-130 km/h (vgl. Abb. 4) und hatten damit Orkanstärke. Auf den Bergen wurden noch erheblich höhere Geschwindigkeiten beobachtet. So registrierte der Feldberg/Schwarzwald maximale Böen von 156 km/h, der Wendelstein von 172 km/h, der Brocken von 176 km/h und der Fichtelberg/Erzgebirge von 183 km/h (Abb.5). Der Oktober ist im Mittel der Jahre - mit Ausnahme einiger Insel- und Küstenstationen der letzte Monat im Jahresverlauf, in dem die Windgeschwindigkeiten unter dem des Jahresmittels liegen, da er vielfach durch lang anhaltende Hochdrucklagen geprägt wird. Im letzten Monatsdrittel stellt sich meist aber die atmosphärische Zirkulation auf zyklonale Wetterlagen um, wodurch die Windgeschwindigkeiten deutlich ansteigen. Ein weiterer Anstieg vollzieht sich im November, der für kräftige Stürme bekannt ist. Orkane treten über Deutschland bevorzugt von November bis Februar auf (Christoffer, J. und Ulbricht-Eissing, M.,1989). So war die Entwicklung des Tiefs Jeanett zum ersten Orkantief dieses Herbstes zwar zeitlich früh, sie kam aber nicht unvermittelt, sondern war in eine Phase von Westwetterlagen eingebunden. Diese hatten schon in den Vortagen zu hohen Windgeschwindigkeiten geführt. In exponierten Lagen Süddeutschlands (vgl. Abb. 6 und 7) traten dabei sogar höhere Windgeschwindigkeiten auf, als durch Jeanett am 27. und 28. hervorgerufen wurden. Beachtenswert an diesem Orkan ist, dass die hohen Windgeschwindigkeiten, die ihn begleiteten, nicht auf die Küstenregion und exponierte Höhenlagen beschränkt blieben, sondern auch die tieferen Lagen Süddeutschlands erreichten.

Klimastatusbericht 2002 DWD 139 Abb. 7 Verlauf der maximalen Windgeschwindigkeit auf der Zugspitze vom 25. bis 28.10.2002. Abb. 8 Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten maximaler Windgeschwindigkeiten List/Sylt (Zeitraum 01. 01. 1950-28. 02. 2002). Abb. 9 Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten maximaler Windböen Düsseldorf (Zeitraum 01. 01. 1952-28.02.2002).

140 DWD Klimastatusbericht 2002 Im statistischen Mittel treten Windböen von Orkanstärke (Windgeschwindigkeiten ab 118 km/h) in den Insel- und Küstengebieten Norddeutschlands einmal im Oktober auf (vgl. Abb. 8), im Binnenland aber weit seltener. Hier liegt der Schwellenwert der stärksten Böen, die einmal im Oktober vorkommen, bei 75 km/h (vgl. Abb. 9), so dass die von Jeanett ausgelösten Windgeschwindigkeiten zu den höchsten der in den letzten 50 Jahren beobachteten zählen. In Süddeutschland überschritten die Windspitzen diejenigen eines Sturmereignisses vom 20. Oktober 1974, das in die Literatur einging (Ragette, G.,1976), während der sog. Skane-Orkan vom 17. Oktober 1967 (Kruhl, H. 1977) von den Küstengebieten bis in die Mittelgebirge hinein höhere Windgeschwindigkeiten mit sich brachte als Jeanett. Literatur Christoffer; J.; Ulbricht-Eissing, M.(1989): Die bodennahen Windverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland. Berichte des DWD 147, 51-55. Kruhl, H. (1973): Sturmflut-Wetterlagen der letzten Jahrzehnte. JB. d. Hafenbautechn. Gesellschaft 35 (1975/76), 337-349. Ragette, G. (1976): Der erste schwere Herbststurm des Jahres 1974 in Deutschland, Meteorol. Rdsch. 29, 19-29.