Das Reafferenzprinzip*). (Wedlselwirkungen zwischen Zentrainervensystem und Peripherie.)



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Transkript:

464 ERICH VON HOLST und I-IORST MITTELSTAEDT: Da, S Reafferenzprinzip. Die Naturwissenschaften der Ablenkung des Kathodenstrahlbfindels Ifir die Anfachung 1) richtig war, w~re der Elektronenstrom der damals durch Influenzmaschinen betriebenen Ionenr6hren zu gering gewesen, um die Verluste des Schwingungskreises in den damals gebrauchten Spulen zu decken. ~) Wenn man den Strum im Kondensatorkreis um-nittelbar dureh die Spulen Sp~ und Sp~ hindurchsehickt, wird die Phase der Ablenkung des Kathodenstrahlbiindels zur Anfaehung ungeeignet. Die Absicht dieser Mitteilung ist durchaus nicht, dem erfolgreichen Erfinder der Rfickkoppelung die Priorit~it streitig zu machen. Vielleieht kann sie aber einen bescheidenen Beitrag liefern zur Charakterisierung yon FERDINAND BRAUN als Physiker und zur Erinnerung an ihn in diesem Jahr, in dem sich sein Geburtstag zum t00. Male j~thrt. Mitteilung aus dem Deutschen Museum M~inchen. Eingegangen am 21. Juni t950. Das Reafferenzprinzip*). (Wedlselwirkungen zwischen Zentrainervensystem und Peripherie.) Von ERICH VON HOLST und HORST MITTELSTAEDT. 1. Einleitung. Seit es eine Physiologie des Zentralnervensystems (ZNS) gibt, steht die Frage in ihrem Mittelpunkt: welche gesetzm~ibige Beziehung besteht zwischen den Imputsen, die, dutch Reize veranlabt, ins ZNS hineingelangen, und denen, die dann- direkt oder auf Umwegen -- von dort wieder herauskommen, also zwischen der Afferenz und der Efferenz? Das ZNS erscheint unter dem Bilde eines Automaten, der ffir ein bestimmtes Geldstiick,,reflektorisch" eine bestimmte Fahrkarte liefert. Ffir einfache Schutzreflexe -- wie Niesen, Wegzucken auf einen Schmerzreiz -- leuchtet diese Vorstellung ein; ffir kompliziertere Reaktionen -- wie etwa Gleichgewichts- und Orientierungsbewegungen -- hat sie sich ebenfalls durchgesetzt. Und auch die rhythmische Lokomotion l~gt sich nach diesem Rezept verstehen, wenn man annimmt, dab jede Einzelbewegung reflektorisch ihre Gegenbewegang und jedes Glied das zeitlich ihm folgende Glied in Gang setzt (Reflexkettentheorie). Die hsheren, durch Erfahrung modifizierten Verhaltensweisen schlieblich werden als,,bedingte" Reflexe dem Bilde eingeordnet. Diese klassische Reflextheorie beherrscht weithin das Feld, obschon Tatsachen genug bekannt sind, die sich ihr nicht ftigen. Wir wissen, dab das Atemzentrum auch ohne rhythmische Reizanst6Be in Gang bleibt, dab die zentrale Lokomotionsrhythmik mancher Wirbelloser (v. HOLST 1932, 1933, 1938) ohne Afferenz weiterliiuft, dab bei Fischen (v. HOLST t935, LlSSMANN t946), Amphibien (PAUL WEISS t941, J. GRAY 1946, t950) ein ganz geringer Rest yon afferenten Nerven genfigt, damit alle Teile sich geordnet weiterbewegen. Die Reflexkettentheorie h~ilt hier nicht stand. Und die Analyse der relativen Koordination (v. HOLST t935 bis 1943) bei Arthropoden, Fischen, S~iugern und dem Menschen hat uns zentrale Ordnungskr~ifte kennen gelehrt -- Koppelungs- und l~berlagerungspmnomene --, deren Zusammenspiel zu Regeln ffihrt, wie sie formal ganz ~ihnlich die Gestaltpsychologie far die vorbewugte Ordnung der Sinneswahrnehmungen aufdeckte (v. HOLST 1939, 1948). Diese neueren Ergebnisse widersetzen sich einer Beschreibung mit Hilfe der Reflexterminologie, und so ist es verst~indlich, dab sie zwar auf die vergleichende Verhaltensforschung (K. LORENZ, TINBERGEN U.a.) *) Vortrag, gehalten am I. Juni t950 beim,,symposium fiber Verhaltensphysiologie" im Max-Planek-Institut in Wilhelmshaven. Erg/inzende Diskussionsbemerkungen yon H. B6ma, K. LORENZ und W. M~TZGER sind bier mitverarbeitet. und die Humanpsych~176 e (W. 5IETzGER ) nicht ohne EinfluB blieben, aber vonder eigentlichenphysiologie deszns nicht assimiliert wurden. Auch neuere Lehrbiicher sind noch ganz auf dem klassischen Reflexbegriff aufgebautl). DaB das intakte ZNS ein aktiv t~itiges Gebilde ist, in dem auch ohne Reizanst6Be st~tndig Geordnetes geschieht, dab auch Ruhe und Schlaf nur besondere Aktivit~ttsformen des ZNS darstellen, scheint vielen Physi01ogen ein unwissenschaftlicher Gedanke; denn die,,ursac he" jedes zentralen Vorgangs k6nne, so nleint man, doch immer nur,,der Reiz" sein2). Diese Einstellung ist immerhin verst~tndlich; denn niemand wird gem eine einfache Theorie -- zumal wenn sie infolge hohen Alters ffir eine,,tatsache" gilt -- aufgeben, bevor er eine bessere hat. Diese mub die alten und neuen Ergebnisse in sich aufnehmen und Voraussagen iiber den bisher verstehbaren Bereich hinaus gestatten. Neue Experimente haben uns zu einer Vorstellung geleitet, der wir -- innerhalb aufzeigbarer Grenzen -- diese Rolle zutrauen. Sie sei im folgenden an Beispielen erl~iutert und ihre Anwendbarkeit auf bekannte, aber bisher unerkl~trte Erscheinungen geprtift. Das kennzeichnende Merkmal dieser neuen Denkart ist eine Blickwendung um 180 ~ Wir fragen nicht nach der Beziehung zwischen einer gegebenen Afferenz und der durch sie bewirkten Efferenz, also nach dem,,reflex", sondern gehen umgekehrl von der Efferenz aus und fragen: was geschieht im ZNS mit der yon dieser Efferenz fiber die Effektoren und Rezeptoren verursachten Afferenz, die wir die,,reafferenz" nennen wollen? 2. Einfiihrendes Beispiel. Beginnen wir mit einem Beispiel. Wenn man um ein ruhig dasitzendes Insekt, etwa die Fliege Eristalis, einen aufrechten, innen senkrecht schwarzweib gestreiften Zylinder herumdreht, dann dreht das Tier sich im gleichen Sinne mit, ds,,versucht, sein Blickfeld 1) Das gilt z.b. ffir das inhaltreiche Lehrbuch yon FULTON,,Physiology of the nervous System" (t943), das dem Leser yon den einfachen Rfickenmarkreflexen bis zur Leistnng des Gesamtnervensystems, denl bedingten Reflex, ftihrt, ohne dab die spontane Eigentfitigkeit und die autonomen Ordnungskrfifte des ZNS irgendeine Rol]e spielen. ~) Dieses Mfl3verstfindnis hat wohl auch psychische Motive: es befriedigt das naive kausale Erklfirungsbedtirfnis welt mehr, einen sichtbaren Bewegungsakt des KSrpers auf eine sichtbare Verfinderung seiner Umwelt beziehen zu k6naen, als auf unsiehtbaren Energieumsatz ira Inneren des ZNS. Letzterer wird wohl als quasipsychisch empfunden.

Heft20 ERICH VON HOLST und t:[orst MITTELSTAEDT: Das Reafferenzprinzip. 465 ~950 (Jg. 37) festzuhalten" (Fig. t a). Dieser allbekannte,,optomotorische Reflex" l~igt sich jederzeit prompt ausl6sen. Sobald das Tier jedoch sich selbst in Bewegung setzt, sieht man es beliebige Wendungen ausffihren, im (ruhenden) Streifenzyliuder ebenso wie in optisch ungegliederter Umgebung. Es entsteht die Frage, warum der,,optomotorische Reflex" das Tier nicht bei jeder beginnenden Wendung in die alte Lage zurtickzieht, da die Verschiebung des Bildes auf der Retina j a die gleiche ist wie vorhin bei rotierendem Zylinder. Die Reflextheorie antwortet: weil w~ihrend der,,spontanen" Lokomotion die optomotorischen Reflexe,,gehemmt" werden. Diese Antwort ist jedoch unrichtig! Dreht man dem Tier, das einen diinnen beweglichen Hals hat, den Kopf t80 ~ die L~ingsachse und legt ihn mit einem Leimtropfen am Thorax fest, so dab beide Augen ihre Lage vertauschen (Fig, t b; s. auch MITTELSTAEDT t949), SO wird erreicht, dab eine Drehung des Streifenzylinders im Uhrzeigersinn eine solche Wanderung des Bildes fiber die Retina bewirkt wie beim normalen Tier eine Zylinderdrehung im Gegensinn. Dementsprechend beantwortet das ruhende Tier eine Zylinderdrehung nach rechts prompt mit einer Eigendrehung nach links. Beginnt das Tier im ruhenden Zylinder zu laufen, dann mfil3te, wenn die,,optomotorischen Reflexe" jetzt gehemmt w~tren, die Lokomotion ungehindert wie beim intakten Tier erfolgen. Das ist jedoch nur in optisch homogener Umgebung der Fall. Im Streifenzylinder findet kein normaler Lau/ mehr statt: Erislalis dreht sich st~ndig nach rechts oder links in engem Kreise, oder es erfolgen kfirzere heftige Rechts-links-Wendungen, bis das Tier,,wie erstarrt" in atypischer Stellung stehen bleibt. Nach Rfickdrehung des Kopfes ist das Verhalten wieder normal. Dieses Ergebnis widerspricht der,,reflexhemmungs"hypothese; es zeigt, dab -- wie bei Zylinderdrehung so such beim,,spontanen" Lauf -- die retinale Verschiebung EinfluB auf die Bewegung nimmt. Wir k6nnen es ffirs erste so fornmlieren: das laufende Tier,,erwartet" eine ganz bestimmte retinale Bildverschiebung, die, sofern sie eintrifft, irgendwie neutralisiert wird. Trifft aber nach Vertauschung beider Augen eine retinale Bildverschiebung entgegen der erwarteten Richtung ein, so 16st diese sofort eine optomotorische Wendung aus. Diese Wendung aber vergrsbert die nichterwartete Bildverschiebung, und so schaukelt der Vorgang sich auf. Das Tier wird bei jeder begonnenen Wendung im gleichen Drehsinn optiseh herumgerissen. Versucht es eine Gegenwendung, so entsteht das gleiche Dilemma. Das Ende ist offenbar eine zentrale Katastrophe! Wenn diese vorl~ufige Deutung zutrifft, mfissen wir fragen: woher,,weig" das ZNS, welche Bildverschiebung es beim Laufen gerade zu erwarten hat? Dieses Wissen k6nnte zwei Ursachen haben: entweder hfilt das ZNS gewisse Daten der in die Beine ausgesandten Efferenz noch eine Zeitlang fest, als einen zentralen Rfickstand, dermit der retinalen Bildwanderung verglichen wird; oder, wenn es diese einfachere F~higkeit nieht besitzt: es ist auf die Reafferenz aus den Rezeptoren der bewegten Beine angewiesen, aus der es Laufrichtung und -geschwindigkeit,,errechnet", um das Ergebnis mit der retinalen Reafferenz zu vergleichen. Beide M6glichkeiten schlieben sich nicht aus. Wir lassen die Alternative hier often und wenden uns einem anderen Beispiel zu, das die Situation deutlicher zu erkennen gestattet. 3. Schfirfere Fassung des Problems. Im Labyrinth der Wirbeltiere sitzt jederseits ein bei Normallage des Kopfes horizontal gelegener flacher Stein, der Utriculusstatolith, auf einer Sinnesfl~tche. Dieses Organ spricht auf die Erdschwere an. Versuche an Fischen, fiber die kfirzlich an dieser Stelle berichtet wurde (v. HOLST 19'19, t950), zeigen, dab eine Kraft parallel zur Auflagefl~tche den ad~iquaten Reiz darstellt. Diese Scherkraft nimmt, wenn der Kopf aus der Normallage geneigt wird, sinusf6rmig zu und verursacht im Lagezentrum ein ebenfalls sinusf6rmig zunehmendes Aktivit~itsungleichgewicht, eine,,zentrale Fig. t a u. b. Verhalten eines Insekts (Eristalis), um das eine Streifenwand SW nach rechts bewegt wird. a normales Tier; b nach Drehung des Kopfes um die Achse A--A um 180 ~ R, L rechtes, linkes Auge (die Ommatidien sind numeriert). Der Pfeil im Tier zeigt dessert aktive Drehreaktion an. Drehtendenz", welche die motorischen Bewegungen in Gang setzt, die das Tier in die Normallage zurfickbringen. Dieser Apparat arbeitet,'ohne zu ermfiden, mit hoher Pr~izision. Mit den Worten der Reflexlehre : der Organismus wird durch seine,,lagereflexe" genau in der Normallage festgehalten. Nun kann man bei allen Tieren und beim Mensehen h~iufig beobachten, dab sie fiber kurze oder l~ngere Zeit andere als die Normallagen einnehmen. Fische z.b. stellen sich fast senkrecht nach oben oder unten, legen sich auf die Seite usw., bei Futtersuche, beim Verfolgen der Beute, im Kampf und bei der Balz. Wie sind angesichts der stets sicher ausl6sbaren,,lagereflexe" diese abweiehenden Einstellungen m6glich? Die Reflexlehre antwortet wie vorhin: dadurch, dab die,,gleichgewichtsreflexe" ganz oder teilweise gehemmt werden. Es l~tbt sieh jedoch leicht zeigen, dab diese Meinung nicht zutrifft. Auch die von der Norm abweichenden,,soll-lagen" werden n~imlich, wenn ein AnstoB yon auben sie st6rt, dutch die gleichen Korrekturbewegungen wiederhergestellt wie sonst die Normallage! Man k6nnte sich nun denken, dab die Reflexe nicht aufgehoben, sondern nur durch einen fibergeordneten Schaltmechanismus in andere Bahnen gelenkt werden. Das h6here Zentrum stellt nur die Weichen, welche den Weg vonder Afferenz zur Efferenz bestimmen (,,gelenkte Reftexe" nach W. R. HEss). Aus dieser Vorstellung ergibt sich eine experimentell prfifbare Konsequenz : ein Weichensteller leistet dieselbe Arbeit, gleichgfiltig, ob vide oder wenige Zfige seine Strecke passieren. Mit anderen Worten: die Wirkung dieser Reflexlenkung mfibte vonder Gr613e der Afferenz unbeeinflul3t sein. Das trifft jedoch wiederum nicht zu. b d

466 ERICH YON HOLST und HORST MITTELSTAEI)T: Das Reafferenzprinzip. Die Naturwissenschaften Man kann die mechanische Kraft, die der Statolith auf die Sinnesfl~tche ausfibt, dutch ein konstantes Zentrifugalfeld vermehren. Wird auf diese Weise das Statolithengewicht verdoppelt, so verdoppelt sich auch der bei jeder Abweichung aus der NormaUage auftretende Scherungsreiz. Registriert man nun die h~tufigen, spontanen Lageabweichullgen (Nase nach oben oder unten) eines frei schwimmellden Fisches, so zeigt sich, dab sie um so geringer werden, j e schwerer man den Statolithen macht. Die,,Willki;rbewegung" erweist sicb als abmingig vom a][erenten Ri;ckstrom, den sie Verursacht! Ein anderes Beispiel: Fische stellen ihre L~ngsachse in die Richtung eifies Wasserstromes, indem sie sich optisch an der ruhenden Umgebung,,festhalten". einstellt, nicht ein Weichenstell- oder Lenkmechanismus ist, denn die durch sein Kommando mittelbar verursachte Reafferenz wirkt quantitativ auf die tats~chlich erfolgende Einstellung ein. Unbeschadet unserer Ablehnung des Begriffs des,,gelenkten Reflexes" haben die folgenden Ausftihrungen in Problemstellung und Denkweise die n~tchsten Beziehungen zu Arbeiten von W. R. HESS (obschoi1 die Methodik eine ganz andere ist). Dieser Umlenker mug um so mehr Arbeit leisten, je mehr Zi~ge die Strecke passierent Wie l~bt sich das deuten? Wit erhalten ein ganz einfaches Bild, wenn wir zwei gut gesicherte physiologische Tatsachen zugrunde legen: 1. Die Sinneszellen des Labyrinths besitzen, ebenso wie Viele (vielleicht die meisten) sonstigen Rezeptoren, schon ungereizt einen st~ndigen Eigenrhythmus, sie sind,,dauerliiu]er". Der Scherungsreiz der Statolithell verst~rkt oder verringert -- je llach der Scherungsrichtung -- llur die Ruhefrequenz. Diese Automatie der Rezeptoren ist durch unsere eigenen Versuche _ o r=,,2j / /iiio! a 9 or~,,~"... ~...... o... "-o I I 1 1 I 0~ 0 o 30 ~ 50 ~ 70 ~ go ~ Abweichuny des ~laeseestroms yen dee, lcaagerecmen ~ Fig. 2. Einstellung des frei in einem K~fig gegen konstanten Wasserstrom schwimmenden Fisehes; Anderung der Stromrichtung yon waagerecht bis lotrecht bei Erh~hung der mechanisehen Feldst~rke F (dureh ein Zentrifugalfeld) yon t gauf 2,2 g. (,,Lotr.echt" ist die Resultierende yon Schwer- und Zentrifugalkraft.) * und intakter Fisch, O Fisch nach operativer Entfernung der Statolithen. Die weiben Fischskizzen erl~utern das Verhalten des intakten Fisches bei F = i g, die schwarzen bei F =2,2g. W Wasserstrom. (Stromgeschwindigkeit etwa eine Fischl~nge je see.) Der hydrostatische Druck wurde konstant gehalten. Mittelwerte aus 5 Versuchsreihen yon 3 Fischen (Gymnocorymbus und Hypessobrycon). Das gilt auch weitgehend, wenn die Str6mung schfitg oder senkrecht von oben (oder unten) kommt; je mehr es ihnen gelingt, die Nase gegen den Strom zu stellen, um so mfiheloser verhindern sie das Abgetriebenwerden (v. HOLST 1949). Untersucht man nun alas Verhalten eines in einem K~fig gegen eine konstante Str6mung freischwimmenden Fisches, so zeigt sich, dal3 es dem Fisch, wenn mall die str6mungsrichtung der,,lotrechten" n~hert, immer weniger gelingt, die L~ngsachse parallel der Str6mung einzustellen, je schwerer man den Statolithen macht (Fig. 2). Der Fisch bemtiht sich zwar jetzt, dorsatw~rts gegen die Str6mung anzukommen, doch gelingt das viel schlechter; er ermfidet schnell. Dieser Unterschied schwindet nach Entfernung der Statolithen; nun nimmt er bei jeder mechanischen Feldst~rke die Nase genau gegen den Strom. Wir sehen also, dab die h6here zentrale Instanz, welche die vonder Normallage abweichende Soll-Lage e Fig. 3a--d. Schema zur ErlAuterung des Zusammenwirkens von h6heren Zentren (Zn) mit dem niederen Lagezentrum (Z1) und dem statischen Apparat (St) bei der Lageorientierung eines Fisches (urn die L~ingsaehse). Die Pfefle deuten durch ihre Dicke die St~rke des Impulsstromes (Zahl der Entladungen je Zeiteinheit) an, der von einem~tefl zum andern fliel3t, die Sehattierung der Halbzentren yon Z1 die H6he der jeweiligen Aufladungen (Aktivitfit). St Statolith, die dariiber befindliehelx Pfeile in b und d bezeiehnen die Richtung der Scherung; der grobe mittlere Pfeil in b undc die Richtung der Drehtendenz. a Normalsituation; b Drehtendenz zur Rfickkehr in die Normallag e nach passiver Neigung des Tieres; c aktive (spontane) Drehtendenz nach links; d deren Ergebnis, die geneigte SoU-Lage. an Fischen ebenso wie durch direkte elektrische Ableitung von afferenten Fasern (O. LOWENSTEIN 1950 U. a.) und voln Vestibulariskern (ADRIAN t943) sichergestellt. 2. Ein stiindiger Impulsstrom verbindet auch bei ~tuberer motorischer Ruhe schon h6here mit niederen Zentren. Auch dieser Tatbestand ist durch elektrophysiologische Untersuchungen ffir verschiedene zentrale Stationen erwiesen und ergibt sich indirekt aus der,,schock"artigen Aktivit~tsverminderung bei Durchtrennung bestimmter absteigender interzentraler Bahnen. Der,,spinale Schock" niederer motorischer Zentren nach Zerst6rullg etwa des Tractus vestibulospinalis entspricht dem,,schock", den der linke Vestibulariskern nach Zerst6rung des linken Labyrinths erleidet. In beiden F~llen wird ein st~ndiger, aktivierender Zustrom unterbrochen. d

- - EK Heft 20 ERICH VON I-IOLST und t{orsi" )/IITT/~LSTAEDT: Das Reafferenzprinzip. 467 1950 (Jg, 37) Diese beiden Voraussetzungen brauchen wir ffir die Deutung, die das Schema Fig. 3 erl/iutern soll. Das,,Lagezentrum", ein Komplex von Ganglienzellen, deren fiiumliche Verteilung uns hier nicht interessiert, besteht aus zwei H~ilften, die je einen Impulsstrom vom Statolithenepithel und yon h6heren Zentralstellen empfangen. Sind beide H:ilften gleich hoch aufgeladen (im gleichen AktivitStszustand), dann senden sie einen beiderseits gleich groben Impulsstrom zu den niederen motorischen Zentren des Rtickenmarks, der auch hier nur aufladend wirkt (Fig. 3 a) : die allgemein bekannte,,tonus"wirkung des Labyrinths (EWAI.D; s. V. HOLSr 1949). Wird das Tier passiv nach rechts gekippt (Fig. 3 b), so erzeugt, wie durch Versuche sichergestellt ist (v. HOLST), die Scherung des rechten Statolithen eine Zunahme, die des linken eine Abnahme der Dauerafferenz. Der entstehende Niveafiunterschied des rechten und linken Lagezentrums bewirkt einen ungleichen Impulsstrom ins Rfickenmark, der dort die motorischen Apparate in Gang setzt, die insgesamt ein Drehmoment nach links erzeugen. Dieser Vorgang heigt in der klassischen Terminologie,,Lagereflex". Ein entsprechender Niveauunterschied in den Lagezentren kann aber auch durch ungleichen Zustrom aus h6heren Zentren entstehen (Fig. 3 c, d) ; der Erfolg ist diesdbe motorische Aktion wie vorhin:). Diesen Vorgang nennt der Physiologe eine,,willki~rbewegung". Es leuchtet ein, dab nun die geneigte Soll-Lage durch die Afferenz vom Statoapparat genau so gegen passive StSrungen gesichert ist wie vorhin die Normallage; denn jede passive Lage~nderung wird zu einer Niveaudifferenz der Lagezentren fiihren und damit, ohne dab h6her,e, Instanzen bemfiht werden, zu einem,,lagereflex'. Betrachten wit nachprfifbare Konsequenzen dieser Modellvorstellung: 1. Zerst6rung des linkeil Statoapparats mub infolge gleichseitiger Niveausenkung des Lagezentrums eine ailhaltende Drehtendenz naeh links bewirken. Und zwar mub diese eiil Maximum bei rechter Seitenlage (st/irkste aufladeilde Afferenz von reehts) und ein "Minimum in linker Seitenlage haben. Das trifft ffir alle Wirbeltiere zu und ist bei Fischen quantitativ gesiehert (v. I-IOLST 1949)~ Das gleiche gilt, wie ebenfalls bekannt, ffir die Verletzung oder Zerst/Srung des Lagezentrums selbst (Vestibulariskern; SPIEGEL und SATO t927). 2. Wenn das linke Lagezentrum sieh voil dem Schock der gleiehseitigen Entstatung erholt hat und wieder bis zur Norm aufgeladen ist 2), dann dfirfeil die bei jeder Lage/inderung auftretenden Drehtendenzen nut noch den halben Wert haben, da das linke Niveau konstant bleibt Ilnd nur das reehte lageabh/ingig ist. Das ist ffir Fische quantitativ gesichert (v. HOLST). 3. ErhShung der mechanischen Feldst~irke und damit der Afferenz mub in gesetzm/ibiger Weise den Ailteil des Statoapparats an der Gleiehgewichtsorientieruilg gegenfiber anderen Gleichgewichtsorganen, z. B. dem Auge (Fisehe) erh6hen. Aueh dieses ist quantitativ sichergestellt (v. HOLST). Verdoppelung der mechanischen Feldst/irke ersetzt z.b. genau einen fehlenden Statolitheil.(Punkt 1). 4. Nach Aussehaltuilg der h6heren Zentreil sollteil keine aktiven Abweichungen aus der Normallage mehr auftreten. Auch dieses ist bekannt (MAcN~S t924 u. a.). 5. Spontane oder dureh andere Afferenzen fiber hghere Zentren veranlagte Ulnstellungen der Soll-Lage sollten eine uml so geringere Lagefindernng bewirken, je groper die mechanisehe Feldst/irke und damit der Scherungsreiz der Statolithen ist. Auch in diesem wich- x) Der Gedanke, dab hshere Instanzen die Funktion haben, das~erregungsgleichgewieht in niederen antagonistisch zu verschieben, wurde zuerst bei der Analyse der relativen KoordinatioI1 flit die rhythmische Lokomotionsbeweguilg entwickelt (v. HoLsT 1936 usf.). Er ist hier neuerdiilgs aueh durch Aktionsstromuiltersuchungen welter gesichert worden (BERNHARI) und Mitarbeiter 1947). 2) Diesen zentralen Kompeilsationsvorgang hat Ilnsere Mitarbeiteriil L. SCHOEN (~949) quantitativ verfolgt; niiher sei hier darauf nicht eingegangen. tigen Punkt bestfitigt sich, wie wir sahen, die Erwartung: der Ausgleich der Lagezentren wird bei etwa derselben Scherung, also bei schwererem Statolitheil schon mit entspreehend geringerem Neigungswinkel des Tieres erreieht. 6. Umgekehrt mfissen nach beidsr Ausschaltung der Afferenz geringe Uilgleichh~iten des Eiustroms aus h5hsren Zentren zu i~bertriebene~ Bewegungsausschli~gen f~ihren, da b~i Fehlen der Reafferenz -- mechaniseh gesprocheil --- der,,ansehlag" zerstsrt ist, der die begonnene Bewegung im richtigen Augenblick zum Stillstaild l~ringt. Aueh dieses Ph:inomen 1/igt sieh jederzeit an freischwimmenden Fiseheil und Amphibien beobachten uild ist vielfach beschriebeil worden. Beiderseits labyrinthlose Tiere iibertreiben jede intendierte Stellungs:iilderung so stark, dab oft ein augemeiiles Taumelil resultiert 8). Bei Lamttiereil tritt dieses Verhalten infolge der Atoilie naeh Labyrinthverlust und wegeil der starkeil Beteiligung von Muskelrezeptoren all der Bewegung (s. Abschnitt 5, B, C) weiliger hervor. Immerhin ist es bei Verlust nur eines Tells der Gleichgewichtsrezeptoreil zu beobaehteil: nach ZerstSrung z.b. beider horizontaler Bogeng/inge tritt leicht iilstabiles Hin- und Herschwingen des Kopfes in der Horizoiltalebene bei intendierten Bewegungen auf (besonders bei VSgeln). Aus unserem Gedankenmodell lassen sich also eine Reihe zutreffender Folgerungen ableiten, welche die Reflexlehre zum Tell nicht verst:indlich machen kann. 4. Allgemeinere Fassung des Reafferenzprinzips. Das Wesentliche im erl~tuterten Beispiel ist die Rolle der durch die aktive Bewegang verursachten Reafferenz. Sie hebt die Zustands- /inderung, die ein Bewegungskommando des h6heren Zentrums im niederen erzeugt, auf, so dab hier i wieder das alte Gleichgewicht herrscht. F/illt unter experimentellen Bedingungen diese Afferenz aus, ist sie zu klein oder zu grog oder ~tndert sich ihr Vorzeichen (verdrehtk6pfige Erista!.is), so k6nnen voraussagbare Anderungen des Bewegungsvorgangs eintreten. Wit wollen diesem Prinzip zun:ichst eine allgemeine Fassung geben und seine Gfiltigkeit dann an Beispielen verschiedener neuro- A + E + ElF Fig. 4. Allgemeines Schema zur Erl/iuteruilg des Reafferenzprinzips ; Erkl~irung im Text. motorischer Apparate erl:iutern. Wir betrachten (Fig. 4) irgendein Zentrum Z1, das einen Effektor EFF motorisch und sensorisch versorgt. Dieser Effektor kann ein Muskel, ein Glied oder der ganze KSrper sein. Dem ZentrumZ 1 sind ein oder mehrere Zentren Z 2 bis Z, fibergeordnet. Irgendein Kommando K von Z, -- d.h. eine bestimmte Anderung des nach Z~ absteigenden Impulsstroms 2_ veranlabt hier eine efferente Impulsfolge E, die eine ihr streng zugeordnete, mit bestimmter zeitlicher Verz6gerung in der benachbarten Ganglienmasse sich ausbreitende Aktivit/its~nderung verursacht, die E//e- renzkopieek. Der in die Peripherie abfliegende Efferenzstrom E 16st fiber den Effektor die zugeh6rige Reafferenz A aus, die mit der Efferenzkopie in Wechselwirkung tritt. Wir wollen die Efferenz und ihre Kopie hier willktmich mit Plus (+), die Reafferenz mit Minus (--) bezeichnen. Die Efferenzkopie und die 8) Uber ganz analoge Beobachtungen a:: Insektenlarven hat jfingst SCI~6NE (1950) berichtet. Die normaliter dell Rficken zum Licht einstellende Dytiscuslarve schl/igt z. B., wenn sie nach Bleildung voil vorw/trts und riickw/irts gerichteten Augeil init dem Kopf voran aufw~irts schwimmt, Purzelbfiume fiber den Rficken -- oftenbar well der reafferente,,ailschlag" (st~irkere Beliehtung der vorderen, geringere der hinteren Augen) fehlt, der die Korrekturbewegilng zu bremseil hat. (SCH6NES eigene Deutung geht in fihnliche Richtung.)

~ ERICH VON HOLST und HoRsT MITTELSTAEDT: Das Reafferenzprinzip. Die Naturwissenschaften Reafferenz heben sich in Z 1 gegenseitig genau auf: das von Z,, absteigende Kommando flielgt unbehindert als Efferenz heraus. Sobald infolge irgendeiner ~u/3eren Einwirkung am E//ektor die gesamte Afferenz zu grol3 oder zu klein ist, so bleibt in Z~ entweder ein +- oder ein ---Rest /2lbrig. Dieser Rest ~ird aufw~trts -- wie wir sehen werden, manchmal bis zu-den h6chsten Zentren -- weitergeleitet; wit wollen ihn eine MeldungM nennen. Die aufsteigende Meldung kann -- aber mu~ nicht! -- auf ihrem Wege in Z2 eine Abzweigung haben und dort noch einmal mit dem absteigenden Kommando K eine Summe bilden. In diesem Falle wird das System von Ze abw~irts sich selbst im Gleichgewicht halten; es wird zu einem Regdsystem im Sinne der Technikerl). Nehmen wit etwa an, eine Einwirkung auf den Effektor EFF verursache eine Zunahme der ---Afferenz inz 1, so wird jetzt die aufsteigende ---Meldurg in Z~ das +-Kommando verringern, bis wieder Gleichgewicht herrscht. Und umgekehrt wird eine yon aucen verursachte Abnahme der ---Afferenz in Z 1 einen +-Rest ergeben, und dieser wird fiber Z2 das +-Kommando verst&ken. Es wird also beide Male die E//erem so large ge~ndert, bis keine Mddung mehr yon Z 1 weitergeht2). Am Beispiel der Lageorientierung haben wir ein solches Regelsystem schon kennengelernt. Wit wollen nun noch jede Anderung der Afferenz, die nicht direkte Folge einer Efferenz ist, sondern durch ~ufiere Einwirkungen -- fiber Proprio- oder fiber Exterorezeptoren -- entsteht, eine Exa//erenz nennen. Die Exafferenz ist also in unserem Schema der +- oder ---Rest in Z~, der als Meldung weiterl~iuft. Das erlfiuterte Schema macht zwei physiologisehe Allnahmen: t. Verschiedelle Impulsfolgen k6nnell sich gegenseitig (additiv) verst~rkell oder ausl~sschen. Hierffir gibt es versehiedene Belege: ein Beispiel im Bereich der Motorik ist die f0berlagerung lokomotoriseher Rhythmen verschiedener Frequenz bei der relativen Koordination (v. HOLST 1939), WO je naeh der Phasenbeziehung beide Rhythmen sieh sulnmieren oder aufheben k6nnell. Ein Beispiel im Bereieh der Koordinierung yon Sinnesdaten ist die exakte lineare Snperposition statisch nnd optiseh verursaehter zentrater Al~tivitStsuntersehiede und die ebenfalls rein additive positive oder negative Mitwirkung operationsbedingter Aktivit/itsdifferenzen im Lagezentrum der Fische (v. I-IOLST 1949). 2. Die Efferellz aus dem unteren Zelltrum hinterl~ilgt bier als,,kopie" eine bestimmte Zustandsfinderung. Diese Annahme ist ffir h~ghere Zentren a priori plausibei und darf heute selbst far niederste Zentren als begriindet gelten. Neuere Aktiollsstromuntersuehungen am Riickenmark mit Hilfe alltidromer (rtieklfiufiger) Impulse in motorischetl Fasern haben wahrseheinlich gemaeht, dab die normaie Elltladung einer motorischen Gangliellzelle aulger fiber den efferenten Neuriten aneh fiber die kleinen, in die Naehbarsehaft fiihrellden Dendriten sich ausbreitet und dort eine Zustands~illderullg in den benaehbarten Zwisehenneuronen bewirkt. T6NmES (1949) bezeichnet diesell Vorgang als,,zentrale Rtiekmeldllng" nnd mibt ibm grobe Bedeutung ffir die Erregullgsteuerung im Riickenmark zu. Uns geniigt bier die Feststellung, dab unsere Allnahme physiologisch plausibel ist. 5. Anwendung des Reafferenzprinzips auf verschiedene neuromotorische Systeme. A. A ugenbewegungen. Wir wollen nun prfifen, welche yon der Reflexlehre nicht erkl~rten Erscheinungen das Reafferenzprinzip ~) Die Bekanntschaft mit der technischen Regelkullde danken wir Herrn Dr. l~6mu (s. aneh E6~ t950). 2) Es sei betont, dab diese,,negative Rfiekkoppelung" ("Negative feed l~ack" der angels/ichsischen Literatur) kein nolwendiger Bestalldtell des Reafferenzprinzips ist und mit <liesem llieh~ verwechselt werden darf! I)as Entscheidende ffir unser Prinzip ist der Mechanismlls, der ReMferenz und Exafferellz unterseheidet. In tier Regeltechnik spielt diese Unterscheidung keille Rolle. richtig voraussagt. Wir beginnen -- um uns der Wahrnehmung als Aussagequelle bedienen zn k6nhen -- beim Mensehen und betrachten zuerst das optische System. Denn hier d/irfen wir einfaehe Verh~iltnisse vermuten, weil das Auge als im Kopf geschiitzt Iiegende Kugel auf mechanische StSrung der Bewegung nicbt eingerichtet sein wird. Eine Reafferenz des aktiv bewegten Auges kann zwei Quellen haben: t. die retinale Bildverschiebung und 2. Impulse aus den Rezeptoren der Augenmuskeln. Nur die erste Quelle ist der bewulgten Wahrnehmung zug~tnglich, die Beteiligung der zweiten kann h6chstens erschlossen werden. Beginnen wir mit einer kritischen, weil a priori unwahrscheinlichen Vorhersage: wenn das Auge unbeweglich gemacht wird und die Muskelrezeptoren ansgeschaltet sind (Fig. 5 a), dann mul3 auf das Komma"ndo: Blickwendung (Bulbusdrehung) nach rechtst (alle Richtungsbezeichnurgen auf die Vp. bezogen) mangels jeder Reafferenz aus der Retina oder den Muskeln die Efferenzkopie vom untersten Zentrum in voller Gr6lge als Meldung wieder aufsteigen. Und zwar mu[3 diese Meldung ebenso lauten wie diejenige, die normaliter bei ruhendem Auge eine gleichgerichtete und gleich grolge Umweltbewegung bewirkt (Fig. 5 b) 8).,,Die gesamte Umwelt hat einen Sprung (vonder Gr6lge der intendierten Blickbewegung) nach rechts getan." Diese Voraussage trifff zu! Man weil3 seit largem von Augenmuskelgel~ihmten, und KORN- MtFLLER (I 931) hat es im Selbstversuch mit bet~iubten Augenmuskeln genauer best~itigt, dab jede intendierte Bewegung die Wahrnehmung einer offenbar quantitativen Umweltverlagerung in der gleichen Richtung bewirkt. Diese,,Scheinbewegung" ist yon einer,,obiektiven" Bewegungswahrnehmung nicht zu unterseheiden -- verst~ndlicherweise, denn nach der Reafferenzhypothese trifft ja beide Male die gleiche Meldung ein. In diesem Versuch wird also sozusagen die Efferenzkopie selbst unmittelbar zu Gesicht gebracht. Man deutet dieses Ph~inomen seit HEI~ING (vgl. TRENDELENBURG 1943, S. 240 u.i.) mit der,,verlagerung der Aufrnerksamkeit" bei Blickbewegungen. Eine plausible physiologische Deutung fehlt bisher. Wir werden gleich sehen, dab die,,aufmerksamkeit" damit nichts zu tun hat, denn dasselbe Iindet sich bei nichtbewulgten Augenbewegungen. Die Wahrnehmung ist uns nur ein bequemer Indikator ffir einen sonst schwer Ialgbaren physiologischen Proze[3. Man erh~lt nun die gleiche Bewegungswahrnehmung wie oben, blol3 im Gegensinne, nach links, wenn der Augenbulbus mittels einer Pinzette passiv nach rechts gedreht wird (Fig. 5 c). In diesem Falle fehlt das Bewegungskommando und die retinale Exafferenz steigt unbehindert als Meldung nach oben, wieder eine,,scheinwahrnehmung" erzeugend:,,die Landschaft springt nach links." Wenn wir nun den ersten Fall mit dem zweiten kombinieren, also ein gel~ihmtes Auge im Moment des Bewegungskommandos passiv nach rechts drehen oder, was nati~rlich einfaeher ist, mit dem in~akten Auge eine Blickbewegung nach rechts machen, dann entstehen tats~chlich zwei einander komplement~ire Impuls- 3) Das ist ~u fordern, well bei dieser Umweltbewegung die entgegengesetzte retinale Bildversehiebung stattfindet, als sie bei ausgeftihrter Blickbewegung naeh reehts stattfinden wfirde. Die Richtungsumkehr bedeutet in unsereln Schema eine Vorzeiehenumkehr der Afferenz aus -- in +, so dab eine mit der +-Efferenzkopie gleiehlautende +-Meldung aufsteigen mul3.

Heft 20 ERICH VON I-IOLsT und HORST MITTtgLSTAEDT; Das Reafferenzprinzip. ~69 195o (Jg. 37) str6me (Fig. 5 d): eine Efferenzkopie, die uns die Umwelt nach rechts, und eine Exafferenz, die sie nach links bewegt sehen l~ibt. Da diese beiden sich aber schon auf tiefer Stufe (Z1) gegenseitig annullieren, so kommt leeine Meldung nach oben, wit nehmen weder das eine noch das andere wahr: die Umwelt steht, wie jedermann weib, still. Was sie in diesem Fall auch,,objektiv" tut. Die,,richtige" Wahrnehmung erweist sich als die Summe zweier entgegengesetzter,,falscher" Wahrnehmungen. Dieser zentrale Apparat hat nun -- wie a11e technisehen Gebilde -- merkbare Genauigkeitsgrenzen. Er arbeitet nur im mittleren Blickbereich und bei magvoller Bewegungsgesehwindigkeit zuverlfissig. Blickt man z. B. mit dem Auge stark naeh rechts und wandert nun mit dem Bliek an einer senkreehten Zimmerkante sehnell auf und ab, so ftihrt diese eine deutliche,,seheindrehung" arts (F. B. HOFFMANN 1924). Das rfihrt (naeh unserer Deutung) daher, dab die Efferenzkopie des bei dieser Bewegung (entsprechend der LIsTl~cschen Regel) eine Rotation ausffihreiideii Auges seine AIferenz nur teilweise annulliert, so dab eine Meldung naeh oben geht. Auch bei schnellem Hin- und Herblieken mit den Augen naeh rechts und links seheint die Laiidschaft im Gegensiiin deutlich zu springen; hier bildet sich die Effereiizkopie offenbar zu langsam aus, so dab im ersten Moment eiiie kleine Meldung nach oben geht. Die Tatsache, dab man dutch passive Bewegung eines sonst intakten Auges und ebenso durch intendierte Blickbewegung mit dem mechanisch fixierten Bulbus -- wie schon HEI~MI~OLTZ bekannt war -- kr~iftige Scheinbewegungen der Umwelt erzeugen kann, zeigt, dab die Afferenz der Muskelrezeptoren ftir unsere Frage, wenn tiberhaupt, so nur von untergeordneter Bedeutung sein kann. Wtirden sie immer die Stellung des Bulbus anzeigen k6nnen, so wie Rezeptoren an den Gliedmal3en das verm6gen (s. Abschnitt 5 C), dann diirften tiberhaupt erst nach ihrer Ausschaltung (KoRNM/dLLERs Versuch) Scheinbewegungen auftreten. Man hat die Rolle dieser Muskelrezeptoren -- wie wir auch weiterhin noch sehen werden -- offenbar deshalb so stark iibersch~tzt, weil die Reflextheorie keinen Gedanken an einen intrazentralen RtickmeldeprozeB aufkommen lgl3t. Das Reafferenzprinzip gilt nun nicht allein ftir sog.,,willktirliche", sondern auch ft~r jene unwillktirlichen Bewegungen, bei denen das Auge fiber das Blickfeld,,schreitet", indem es abwechselnd eine Stelle fixiert, sich abhebt und zur n~chsten eilt, diese fixiert usf. Dieses,,Schreiten" findet start sowohl, wenn wir die Augen aktiv bewegen, etwa ein Buch lesen (wobei jede Zeile vier bis ftinf Schritte erfordert), als auch bei Drehung von Kopf und K6rper (tabyrinth~trer Nystagmus) oder wenn die Landschaft an uns vorbeizieht (optomotorischer Nystagmus). In all diesen F~illen gewahren wir gew6hnlich nichts vonder ruckweisen Bildverschie-. bung auf der Retina, sondern sehen die Umwelt gleichm~ibig in einer Richtung wandern bzw. (beim Lesen) stillstehen. Die reflexphysiologische Deutung des Ph~inomens lautet: wenn etwa die Landschaft an unserem Auge vorbeizieht (Blick aus dem Eisenbahnfenster), wird das Auge zun~ichst,,reflektorisch" mitgezogen. Die dabei entstehende Bewegung der Augenmuskeln zeigt -- fiber Muskelrezeptoren -- Geschwindigkeit und Richtung der Umweltbewegung an; denn eine retinale Verschiebung, die sie vielleicht auch anzeigen k6nnte, findet ja nicht (oder in zu geringem Mage) statt. Wenn die Muskelspannung ein Maximum erreicht hat, erfolgt wieder,,reflektorisch" ein Bewegungsimpuls in der Gegenrichtung: die schnelle Ny- stagmusphase. Die Afferenz der dabei entstehenden entgegengesetzten Bildverschiebung auf der Retina wird,,gehemmt" oder kommt wegen ihrer Geschwindigkeit nicht zum Bewugtsein. /'-T\,g ) _ 4,! _.4.~2/~ / ] A By ~ C Fig. 5a--d. Erlfiuterung der Bewegungswahrnehmung durch das Auge unter normalen und experimentellen Bedingungen mit Hilfe des Reafferenzprinzips. Au Auge (Prim~irstellung; in Ansicht yon obeii), Z 1 niederes, Z n hsheres optisches Zentrum. Die zur Augenmuskulatur gehende Efferenz E und die durch Bildverschiebung auf der Retina bewirkte ihr zugeordiiete Afferenz A sind analog dem Schema Fig. 4 gezeiehiiet. In a erhfilt das motoriseh unbeweglich gemaehte Auge den Kommandomlpuls, nach rechts zu blieken (Drehimpnls Dr zur Rechtswendung) ; in b bewegt sich der gesehene Gegenstand objektiv ( nach reehts, er wandert auf der Retina von I naeh 2; in c wird das Auge passiv (meehanisch), wie der Pfeil p andeutet, gedreht, das ruhende wandert auf der Retina yon t nach 2; in d ffihrt das Auge eiiie aktive (kommandierte) Blickwendung naeh rechts aus (Drehimpuls Dr wie in a), wobei das ruhende auf der Retina voii I nach 2 wandert. N/ihere Erlfiuterung im Text. Dieser Deutung widerspricht unter anderem die Tatsache, dab man sich durch Fixieren eines hellen Kreuzes ein Nachbild auf der Retina entwerfen kann, Fig. 6. Kurzes Sttick eines Arthropodeii (Geophilus), der dutch ein vorne befestigtes Hfikchen fiber den Boden geftihrt wird. Die vom Boden abgehobeneii Beine schwingen aktiv naeh vorn (~) und zwar so, dab jedes Bein geiiau ill die Fugtapfen seines Vordermannes tritt; es entsteht im gaiizen die Laufspur eines Zweibeiners. welches im Dunkeln weiterbesteht und das man nun, z.b. bei Ausl6sung eines labyrinth~iren Nystagmus (bei gefibter Selbstbeobachtung), abwechselnd langsam in einer und schnell in der anderen Richtung wandern sieht; es wird in der schnellen Phase also nicht aus- gel6scht (M. H. FlSCI~ER t926). Auf der Basis des Reafferenzprinzips ist dieses Verhalten, wie gleich gezeigt wird, zu fordern. Man kann den viel diskutierten Nystagmusapparat am besten verstehen, wenn man unsere Bezeichnung,,optischer Sehreitapparat" ganz w6rtlieh nimmt. Betraehten wit zum Vergleich den Iokomotorischen Apparat etwa eines Arthropoden (Geophilus; v. HOLST 1933) naeh Abtrennung h/sherer Zentren (Fig. 6). Durch kontinuier- b

Die Natur- 470 ERICH VON HOLST und HORST MITTELSTAEDT: Das Reafferenzprinzip. wissenschaften liche (z. B. elektrische) Erregung des Bauchmarks kann er aktiviert werden, dann sehreiten die Beine geordnet aus -- so wie ein gleichm/ibiger Impulsstrom aus hsheren Zelltren den Nystagmus in Gang setzt. Er kann abet -- wie der Nystagmus ---- auch dureh Wegziehell der,,fixierten Landschaft" aktiviert werden, indem man das Tiersttick mit wechselnder Gesehwindigkeit tiber den Boden zieht. Die Beine gehen dabei aktiv mk: aueh die gerade in Sehwingphase wieder nach vorn bewegten Beine machen jede den am Boden befindliehen Beinen aufgezwungene Gesehwindigkeits/inderung genan mit. Der Stemnlphase entsprieht die langsame Nystagmusphase: Beine und Auge fixieren, dureh Exafferenz gestellert, das Substrat. Der Sehwingphase entspricht die sehnelle Nystagmusphase: Beine and Ange lgsen die Fixierung und maehen einen Schritt in der Gegenriehtung. Hier wie dort brauchen h6here Zentren nichts yon den Einzelsehritten zu erfahren; kontinuieriieh wie der Einstrom yen oben ist der Rtickstrom nach oben, der die relative langsam das Schreitzentrum SZ aufgeladen, bis es schlieblich als ein,,kippsystem''1) sich auf einmal entl~dt und das Auge wieder in die Ausgangslage bringt (Fig. 7d): die schnelle Phase. Hierbei 16schen Efferenzkopie und Afferenz sich arts, bis auf den kleihen, durch die Bewegang der Landschaft bedingten exafferenten Rest, der weiterhin als vom Phasenwechsel unabmngige Meldung nach oben steigt. Und nun wiederholt sich das gleiche Spiel. Man sieht, dab dieser ganze Apparat kein,,reflexmechanismus" ist, denn er mug bei geniigender Selbsterregung oder Anregung yon oben her auch nach A u/hebung aller Afferenz (vgl. Fig. 7 c!) in Antorhythmie iibergehen; was unter experimentellen und pathologischen Bedingungen in der Tat beobachtet wird. I + dl ~LJ, + I + I A'- a b e d Fig. 7a--d. Erl/iuterung der Schreitbewegung des AugesAu am Beispiel der optomotorischen,,nystagmischen" Mitbewegung bei bewegter Umgebung U. Das Schema sctfliegt sich an Fig. 4 und 5 an. Z 1 und Z2 niedere Bewegtmgszentren, Sz Schreitzentrum, das ftir den Rhythmus verantwortlieh ist, Zn h6heres optisches Zentrum. In a ruht das Auge, die Umwelt versehiebt sieh um ein Sttiek, ein (beliebig ausgew/ihltes) Element des Sehbildes wandert auf der Retina yon I naeh 2. In b ist die aktive Mitbewegung in Gang gekommen, das betreffende Bfldelement ist an seine alte SteUe auf der Retina zurtiekgewalldert. In c bewegt das Auge sich mit gleieher Winkelgesehwindigkeit wie die Umwelt, das Bild bleibt auf der Retina unbewegt. In d entl/idt sich das Sehreitzentrum Sz und bewirkt eill kr/iftiges Bewegungskommalldo K im Gegensinne; w/ihrelld der Zeit dieser schnellei1 Bewegungsphase bewegt sich die Umwelt weiter; ein beliebiges Bfldelement wandert somit allf der Retina yon I naeh 2. Die Dieke der Pfeile deutet die St/irke der Impulsstr61ne an. N/ihere Erl/iuterung im Text. Geschwindigkeit zwischen Subjekt und Umgebung meldet. Der Schreitapparat versagt, wenn das bewegte Substrat ungegliedert ist (Geophilus: Queeksilberfl/iche, Auge: homogenes Blickfeld) oder wenn die relative Bewegung zu sehnell wird:,dann bleiben Beine und Augen in Extremstellung naeh hinten,,festgeklemmt". Versuchen wir nun diesen zentralen optischen Schreitapparat genauer zu verstehen: die Landschaft beginnt, sich am Auge vorbeizubewegen; es entsteht eine retinale Verschiebung, die sogleich als +-Meldung in h6here Stationen geht, dabei in Z 2 und ins Schreitzentrum SZ abzweigend (Fig. 7a). Diese +-Meldung steigt aus Z 2 sogleich als +-Kommando abw~irts und veranlabt eine Augenbewegung. Dadurch wird das Bild auf die alte Stelle der Retina zurtiekgeholt, es entsteht eine ---Afferenz, welche die +-Efferenzkopie in Z 1 neutralisiert, so dab die Augenbewegung wieder aufh6ren ~4irde (Fig. 7b), wenn nicht der Vorgang yon 6a sofort wieder einsetzte. So pendelt die Bewegung in einen Gleichgewichtszustand ein (Fig. 7c): das Auge bewegt sich so schnell, dab keine (oder fast keine) retinale Verschiebung mehr auftritt und der ganze Regelkreis sieh selbst in Gang h~ilt. Dabei wird B. Akkommodation. Wenden wir uns yon der Augenbewegung zu einem anderen Vorgang: der Akkommodation. Das einzelne Auge ist in der Ruhe auf Fernsicht eingestellt, da die elastische Linse durch Aufh~ingefasern abgeflacht ist. Die Nahakkommodation besorgt ein Ring- muskel, der dieser Spannung entgegenwirkt und der Linse gestattet, sich zn w61ben. Bekanntlich vermittelt -- neben anderen Kriterien -- dieser Apparat, gemeinsam mit der Retina, die Wahrnehmung der ungefiihren Entfernung und nngef~ihren Gr6Be eines gesehenen Gegenstandes. Das gleich scharfe Netzhantbild. wird, j e nach der Akkommodationseinstellung, fern und grob oder nah nnd klein wahrgenommen; oder, wie die iibliche Formulierung lautet: der,,subj ektive Gr6BenmaBstab" Mngt von der,,vorgestellten Entfernung" ab. Diese Tatsache kann die Reflexlehre nur mit der Annahme erkl~tren, dab Rezeptoren im Akkommodationsapparat,,reflektorisch" j e nach dessen Einstellung eine verkleinernde oder vergrsbernde Wirkung auf das nach oben gemeldete Bild haben. Indessen wird diese MSglichkeit durch die bekannte Erscheinung widerlegt, dab man bei ;L~hrnung des Akkommodationsmechanismus durchatropin im -- vergeblichen-- Bemiihen, auf N~ihe einzustellen, alle Dinge ganz klein werden sieht (Mikropie), obschon der nicht bewegungsf~hige periphere Mechanismus natfirlich auch keine,,reflexe" ausl6sen kann. Umgekehrt sieht man alles grog werden, wenn man beim Akkommodationskrampf durch Eserin in die Ferne zu sehen sucht (Macropie). Das Reafferenzprinzip er kl~irt diesen Zusammenhang. Wir gehen von einem einfachen Fall (a) aus und entwerfen auf der Retina das scharfe Nachbild eines nahen Kreuzes; danach blicken wir auf eine ferne Wand. Das Kommando zur Ferneinstellung verursacht im niedersten Zentrum die entsprechende Efferenz zur Muskulatur mit der ihr zugehsrigen Efferenzkopie. Da das Bild des Krenzes auf der Retina unver~ndert und scharf bleibt, fehlt jede Reafferenz; die Efferenzkopie geht als Meldung nach oben und vermittelt eine positive Wahrnehmsng, die bekanntlich lautet:,,das 1) (3bet physikalische Kippschwingungen als Modelle physiologischer Rhythmen hat besonders A. BETHE (1940) wichtige Versuche aagestellt.

Helt2o ERICH VON I{OLST und I-[ORST MITTI~LSTAEDT: Das Reafferenzprinzip. 471 1950 (Jg. 37) Kreuz ist (jetzt) viel gr613er." Nun gehen wir dazu fiber (b), zuerst ein grol3es Kreuz, danach ein kleines im gleichen Abstand vom Auge direkt zu betrachten. Hier fehlt also ein Akkommodationskommando; die Exafferenz geht mangels einer Efferenzkopie glatt als Meldung nach oben und vermittelt eine positive Wahrnehmung:,,Das (zweite) Kreuz ist kleiner." Darauf nehmen wir (c) das gr613ere Kreuz, betrachten es in der Nfihe und entfernen es dann so welt, dab sein Bild auf der Retina ebenso grol3 ist, wie vorhin (b) das Bild des kleinen Kreuzes. Nun gibt es erstens die schon yon (a) be.kannte Meldung, die ftir sich allein,,kreuz ist gr613er", zweitens die von (b) bekannte Meldung, die ffir sich allein,,kreuz ist kleiner" aussagt. Beide, die Efferenzkopie und die Exafferenz, heben sich schon in einem niederen Zentrum gegenseitig auf, es steigt keine Meldung nach oben. Die Wahrnehmung mug folglich konstatieren,,das Kreuz bleibt gleich grob" -- was sie bekanntlich auch tut! Wiederum geht die,,richtige" Wahrnehmung aus zwei sich kompensierenden,,falschen" Wahrnehmungen hervor. Mit dieser Deutung verstehen wir leicht auch die erw~ihnte Mikropie und Makropie. Denn wenn der periphere Muskelapparat der Efferenz nicht folgen kann, so mug die retinale Reafferenz ausbleiben und die Efferenzkopie, als Meldung wieder aufsteigend, die Wahrnehmung einer Gr6Ben/~nderung im vorauszusagenden Sinne vermitteln. Interessant ist nun aueh hier wieder, dab Reafferenz und Efferenzkopie sich nur in gewissen Grenzen genau aufheben. Wo die Akkommodation ilicht mehr mitmacht, in groger Ferne oder in grober Nfihe, sieht man die Dinge tats/iehlieh, wie zu erwarten, kleiner bzw. gr6ber werden. Auch vermag der Apparat sehnellen Entfernungsfinderungen nut tr~ge zu folgen, so dab eitt sehnell herangeffihrter Gegenstand zu wachsen scheint. Das hier f~r die Entfernungseinstellung des Einzelauges gesehilderte Prinzip lftl3t sieh ebenso auf den beid/iugigen aktiven Entfernungsmesser anwenden: auf die Kollvergenz der Augen, die Init N/ihe des Iixierten Objekts zunimmt. Das sei bier nieht n/iher ausgef~hrt, da wir noch nicht sieher angeben ksnnen, ob tiberhaupt (und in welchem Ausmag) Reafferenz aus dell Augenmuskeln an dem Vorgang beteiligt ist. C. Gliedbewegungen. Wir betrachten einen anderen Apparat: die bewegte Extremit~it. Hier sind kompliziertere Verh~iltnisse zu erwarten, da im Gegensatz zum geschfitzten Auge passive (mechanische) ~nderung der Stellung allenthalben in Frage kommt, fiber die das ZNS genaue Meldungen erhalten mug, um sinnvoll t~itig zu sein. Die Wahrnehmung unterscheidet bereits mindestens vier verschiedene Qualit~ten mechanischer Einwirkung: Berfihrung, Druck, Spannung (,,Kraft"), Stellung. Die ersten beiden sind jedem gel~iufig, sie gehen ineinander fiber. DaB Spannung und Gliedstellung klar unterschieden werden, kann man deutlich erleben, wenn die mechanische Feldst~irke im Zentrifugalfeld zunimmt. Erh6ht man auf diese Weise sein Gewicht auf fiber das Doppelte, so erfordert z.b. das Heben des Arms -- obsehon von augen kein Drnck auf ihn ausgefibt wird -- ein erstaunliches Mai3 an wahrgenommener Kraft; gleichwohl ist man fiber die i e- weilige Stellung oder Bewegung richtig informiert und erlebt beim nachtr/iglichen Hinschauen auf den in eine gewfinschte Lage gebrachten Arm keine f3berraschungl). Diese Stetlungsanzeige besorgen haupts~chlich Rezeptoren im Bindegewebe auberhalb des x) Selbstbeobaehtung in einem naeh Art einer Zentrifuge bewegten, rings abgeschlossenen Versuehsraum. Muskels; ffir die Spannungsmessung sind weitere sowohl in Muskelfasern selbst als aueh in den Sehnen verffigbar. Zusammen vermitteln sie die sog.,,tiefensensibilit~t". Beginnen wir sogleich mit einer konkreten Frage: Wie wird sich ein Muskel bei ~ul3erer Belastung verhalten, in dessen Zentren Efferenz und Afferenz der Spannungsmesser in den Sehnen so geschaltet sind, wie wir es bei der Lageeinstellung der Fische kennenlernten? Der leicht angespannte Muskel werde gedehnt, so dag die Spannung zunimmt (Fig. 8 a). Die vermehrte ---Afferenz (Exafferenz) steigt nach Z 2 auf und vermindert hier die Gr613e der vorherigen Efferenz: der Muskel gibt aktiv nach. Bei Entlastung wird das z, ",,x4fl//t J (--)\1~ M b Fig. 8. Fig. 9. Fig. 8a u. b. Erlfiuterung des Verhaltens eines belasteten Muskels, dessen zentraler Apparat so eingerichtet ist, dab er sieh -- analog Fig. 4 -- an zus~itzliche passive Dehnung (a) und Verktirzung (b) aktiv anpal3t, wfihrelld der dutch h~sheres Kommando (K) bedingte Tonus gleiehbleibt. Erl/iuterung im Text. Fig. 9. Verhalten eines dutch h6heres Kommando K leicht angespannten Muskels M, dessert zentraler Apparat so eingestellt ist, dab er sich einer zus/itzliehen fiui3eren Belastung (~,) aktiv widersetzt. MSp MuskeIspindel (Spannungsrezeptor); KE dureh h6heres Kommando verursaehte, zum Muskel und zur Spindelfaser gebende Efferenz; EE zus/itzliche Muskelefferenz, die direkt dutch die Aflerenz tier gedehnten Spindel bewirkt wird; SSp Spannungsrezeptor in der Sehne (,,Sehnenspindel") mit h/sherer ReizsehweIle, die zum in Fig. 8 gezeichneten zentralen Apparat ffihrt. umgekehrte stattfinden; die yon Z 1 nach Z 2 aufsteigende +-Efferenzkopie wird die Gesamtefferenz erh6hen: der Muskel verkfirzt sich aktiv (Fig. 8b). Das Glied, gleiehgfiltig wie stark der Muskeltonus sein mag, wird,,spastisch" der von auben aufgezwungenen Bewegung folgen. Mechanismen solcher Art sind welt verbreitet und treten in pathologischen F~tllen bisweilen ganz rein hervor. Ein Beispiel in dieser Richtung ist auch dermit aufgezwungener Geschwindigkeit aktiv sich mitbewegende Geophilus (Abschnitt 5 A) ; ganz das gleiche kann man an Wirbeltieren (Hund, Kr6te) sehen, bei denen nach Brustmarkdurchtrennung die Hinterbeine zu wandern beginnen, wenn die Unterlage nach hinten weggezogen wird 2). Beim aktiv innervierten Muskel des intakten Warmblfiters ist die Reaktion auf Belastung freilich gew6hnlich gerade entgegengesetzt: er kontrahiert sich so stark, dab der Belastung das Gleichgewicht gehalten wird. Dieser vieluntersuehte Eigenre/lex (P. HOFFMANN U. a.) geht vom sensiblen direkt zum motorischen Neuron, funktioniert also ohne Teilnahme einer Efferenzkopie und ohne eine,,verrechnung" an h6herer Stelle. Seine Rezeptoren sind die Muskelspindeln, feine motorisch und sensorisch versorgte 3) Allerdings mub zur Vorw/irtsbewegung (Schwingphase) der Beine lokomotorische Aktivit~t dazukommen.

472 ERICH VON HOLST und I-IORST MITTELSTAEDT: Das ReMferenzprinzip. Die Naturwissenschaften kontraktile Fasern (die etwa 1% vom Querschnitt des fibrigen, nur motorisch versorgten Muskels ausmachen). Wenn wir uns die Afferenz aus den Muskelspindeln direkt auf die zur fibrigen Mnskelmasse ffihrenden Motoneurone iibergeleitet denken, k6nnen wir das Verhalten des Eigenreflexes verstehen (Fig. 9). Kontrahiert sich oder erschlafft der unbelastete ganze Muskel, so bleiben die Spindeln stumm, solange sie und die anderen Muskelfasern ihre L~inge iibereinstimmend ~tndern. Wird der ruhende oder der sich verkiirzende Muskel belastet, so werden die Spindeln mitgedehnt und,,feuern" solange, bis sie wieder durch Kontraktion der fibrigen Muskelfasern entlastet sindl). Das ZNS gibt also die Soll-Lage oder Sollbewegnng vor, und die Eigenreflexe setzen sie gegen ~ugere Widerst~inde durch. Den Spannungsrezeptoren in den Sehnen, die eine h6here Reizschwelle haben, diirfen wir die Aufgabe zusehreiben, bei iiberm~ibiger Belastung diesen Reflexmechanismus aus- und den oben erw/ihnten Anpassungsmechanismus einzuschalten, damit der Muskel nicht reil3t. Mit diesem genialen Trick erreicht die Natur, dab der Organismus sich schon durch muskul/ire Selbstregelung im Gleichgewicht h~ilt. Erfolgt im ruhigen Stehen ein StoB yon links, und das Tier schwankt nach rechts, so werden -- noch ehe das Labyrinth Zeit hat, einzugreifen -- die Strecker der reehten Beine infolge st/irkerer ]3elastung sich versteifen. Das ungest6rt wie in weicher Federung stehende und gehende Tier bekommt -- allein im Moment der St6rung und nur an der beanspruchten Stelle -- eine feste Stfitze. Welch enorme Ersparnis an h6heren Kommandoimpulsen und an Muskelenergie das bedeutet, kann man sich ausmalen. Wir sehen also, dab das Reafferenzprinzip bei den Eigenreflexen anscheinend durch einen anders arbeitenden peripheren Mechanismus ersetzt ist, sonst aber auch bei Gliedbewegungen eine Rolle spielt. Nehmen wir nun, wie schon beim Auge, wieder die Wahrnehmung zur Hilfe, um dieser Frage welter nachzugehen. Auf den ersten Blick erscheint die bekannte Tatsache, dab Unterbrechung der afferenten Bahnen (Dorsalwurzeln) bei aktiven Bewegungen etwa des Armes trotz fehlender Reafferenz nicht zu Scheinwahrnehmungen Iiihrt, als Beweis gegen unser Prinzip. Doch das Argument h~tlt nicht stand. Denn jede m6gliche Wahrnehmung der Scheinbewegung eines Objekts setzt ein wahrgenommenes Objekt voraus, sie wird also hier an Tast- und Druckafferenzen gebunden sein, die aber ebenfalls fehlen. So ffihrt auch- ganz analog -- die Rfickmeldung der Efferenzkopie des im Dunkeln aktiv bewegten Auges nattirlich nicht zu optischen,, Scheinbewegungen nicht wahrgenommener Gegenst~inde". Hier wie dort fehlt eben das Wahrnehmungssubstrat fiberhaupt. Der Mensch mit amputiertem Arm verffigt zwar noch lange Zeit fiber dessert zentrale Repr/isentation, er kann die nicht vorhandene,,phantomhand" 6ffnen und schliel3en und er kann angeben, wohin er sie bewegt2). Doch findet all dieses, wie viele Aussagen bezeugen, in einem gleichsam,,imagin~ren" Raume statt, der den,,wirklichen", 1) Wertvolle Daten fiber Propriozeptorenfunktion aus mls nicht zug~inglieher Literatur danken wit Herrn Dr. LlSSMANN, Cambridge (mfindlich), wiehtige Literatur Herrn Prof. P. HOFFMANn, Freiburg. 2) Leider scheint di~ wiehtige Frage, ob dabei aueh motorische Impulse bis in den Armstumpf laufen, noeh nicht geprtift zu sein. d.h. afferenzbedingten Raum buchst~iblich durchdringt. Prtifen wir unsere Frage also lieber an Hand der konkreten Voraussagen, welche das Reafferenzprinzip ffir die Wahrnehmung macht. Ist die Tiefensensibilit~it eines Gliedes herabgesetzt, so mub, (abgesehen voln Efl6schen der Eigenreflexe und der damit verbundenen Muskelschw~iche), bei aktiver Bewegung auf festem Substrat eine positive Wahrnehmlmg auftreten: infolge zu geringer Reafferenz aus den Spannungsrezeptoren mub bei jeder das Glied belastenden Bewegung die Efferenzkopie als Meldung nach oben gehen:,,der berfihrte Gegenstand bewegt sich weg." Diese Voraussage trifft zu! Ist z.b. bei Polyneuritis die Tiefensensibilit~tt der Beinstrecker stark reduziert, dann nimmt man, etwa beim Absteigen yore Stuhl auf den Boden, wahr, dab dieser Boden,,elastiseh nach unten ausweicht"3). Die analogen Angaben bei Tabes dorsalis, dab der Boden,,wie Gummi" sei, sind wohl ebenso zu deuten. Als motorisches Gegenstfiek hierzu sollte man bei aktiven B ewegungen eine zu weite Exkursion fordern. Wie schon bei der Lageorientierung erl~utert, fehlt bei herabges etzter Reafferenz das, was wit mit einem technischen Bilde als den,,peripheren Ansehlag" bezeichnet haben. Im niedersten Zentrum wird der normale Gleichgewichtszustand nicht erreicht, die Efferenz geht weiter, die Bewegungsexkursion wird zn grol3. Die fibertrieben ausfahrende Bewegung des ataktischen Tabikers zeigt dies in der Tat sehr deutlich. Ein anderes Beispiel: Nach dem Reafferenzprinzip sollte es fiir die Wahrnehmung einen grogen Unterschied ausmachen, ob etwa Druckdifferenzen an der Fugsohle durch aktive 13ewegung oder durch eine passiv an die Sohle herangeprebte Fl~iche bewirkt sind. Im ersten Falle sollte man keine, im zweiten deutliche Druckdifferenzen wahrnehmen. Auch dieses trifft sehr weitgehend zu. So hat D. KATZ (t948) gefunden, dab, wenn man steht und aktiv die Ful3sohle durch Gewichtsverlagerung, durch Aufstfitzen der Arme, Kniebeugen usw. sehr unterschiedlich belastet, die wahrgenommene Unterschiedsschwdle 2omal hsher ist, als wenn man anf dem Rticken liegt und entsprechende Drucke auf die Sohle ausgefibt werden4). Wiederum bezeugt uns also auch die Wahrnehmung die Gfiltigkeit des Reafferenzprinzips. Der Mechanismus wird im letzten Falle an ziemlich hoher zentraler Stelle zu suchen sein, da er das Verhalten der vier GliedmaBen gemeinsam berficksiehtigt. D. Reafferenz und Lokomotion. Wir k6 nnen das Ausmag yon Reafferenz, das in einem neuromotorischen Apparat als integrierender Bestandteil eingebaut ist, somit daran ermessen, nm wie viel welter ausholend und zugleich ungenauer die Bewegung nach Zerst6rung der sensiblen Bahnen ausgeffihrt wird. In dieser Hinsicht zeigen sich nun interessante Unterschiede: Bei niederen schwimmenden und kriechenden Formen (Fische, Amphibien) ist die Lokomotion nach Deafferentierung noeh durchaus normal; bei schreitenden S~ugern ist sie sehr ataktisch, und die komplizierteren Bewegungsfolgen der menschlichen Hand sind nur noeh in einzelnen, weit s/ Selbstbeobaehtung yon K. LORENZ (mfindlichl u.a. ~) Der Autor selbst sucht diesen Tatbestand iln Rahmen einer,,gestaltauffassung des gesamten K6rpererlebmsses " " zu verstehen.

Heft 20 ERICH VON HOLST und HORST MITI"ELSTAEDT: Das Reafferenzprinzip. 473 195o (Jg. 37) tibertriebenen und ungeordneten Bruchstficken m6glich (O. FOE~STEI~ t936). Daraus folgt, dab bei den einfachen, monotonen Bewegungsformen das ZNS im Prinzip alles selbst~indig leistet, also,,automatischen" Charakter hat (v. HOLST, P. WEISS), w~ihrend h6here Bewegungsformen zwar keineswegs,,rdlexreize", wohl aber eine Rea//erenz benb'tigen! In der Reihenfolge: Scbwimmen, Kriechen, Laufen, Klettern, Greifen, Tasten (Hand, Zunge) stehen am Beginn Bewegungen, die auf keine Afferenz, in der Mitte solche, die auf Reafferenz und daneben auch Exafferenz, und am Ende solche, die fiberwiegend auf Exafferenz gemtinzt sindl). Die aite Streitfrage: ist die Extremit~tenbewegung,,reflektorisch oder automatisch"? k6nnen wir unter diesem Aspekt ad acta legen: die Alternative war falschl Um es bildlich auszudrficken: die Bewegung des schwimmenden Fisches geschieht blindlings ins Dunkel hinaus, die bewegte Hand abet braucht beleuchtete Umgebung. Die deafferentierte Hand gleicht einem Blinden, der seinen Weg nicht gehen kann, weil er nicht weib, wo er sich gerade befindet. Sein zentraler Bewegungsantrieb ist deshalb nicht geringer als der des schwimmenden Fisches! Und wie dem Blinden der Tastsinn, so hilft umgekehrt der sensorisch gel~ihmten Hand das Auge: beide bewegen sich mit solcher Hilfsafferenz um vieles besser. E. Zusammenspid mehrerer A[[erenzen. Die Situation im ZNS wird dort etwas verwickelter, wo Afferenzen aus verschiedenen, gegeneinander beweglichen Teilen des K6rpers an der Stellung und Bewegung des ganzen Tieres beteiligt sind. Ein einfaches Beispiel: Bei Arthropoden wird die Laufrichtung durch Ganglien im Kopf gesteuert. Durchtrennt man die rechte Schlundkommissur und schaltet damit die Wirkung des rechten Sinneszentrums (Oberschlundganglions) aus, so entsteht- analog wie bei der Lageorientierung nach einseitiger Ausscbaltung des Vestibulariskerns -- eine Drehtendenz und zwar in diesem Falle nach links: das vorw~rtslaufende Tier krfimmt sich nach links, das rfickw~rtslaufende nach rechts, beide Male werden also beim Laufen Linkskreise beschrieben (v. HOLST t934). Wenn wir die begrtindete Annahme machen, das den Tonus in den Segmenten verschiebende Kommando k/ime aus einem tibergeordneten Zentrum (Unterschlundganglion), so ist nach dem Reafferenzprinzip zu erwarten, dab bei Verringerung der Segmentzahl die Kriimmung in den restlichen Segmenten sich verstfirkt. Denn die ausfallende Reafferenz k6nnte nur durch entsprechend gr6geren Bewegungsausschlag und damit grbl3ere Reafferenz in den verbliebenen Segmenten wieder den zu grogen Niveauunterschied im h6heren Kommandozentrum ausgleichen. Diese Erwartung trifft in der Tat zu: verktirzt man einen vielgliedrigen Arthropoden (z. B. Lithobius) yon hinten her, so nimmt die Kr/immung mit zunehmender Verkfirzung zu (Fig. 10 und tt), so dab das halbe Tier Kreise l~iuft, die kaum halb so grog sind wie die des ganzen Tiers -- ftir die Reflexlehre ein Kuriosum! (v. HOLST 1934). ~) Die Z~mge besitzt, /ihnlich der mimisehen Gesiehtsmuskulatur, keine Propriozeptoren; bei den Fingern sind gerade die Propriozeptoren die wiehtigsten Vermittler der Exafferenz. Natm-wfss. t950. Wir sollten ferner erwarten, dab beim intakten, geradeaus laufenden Tier eine passive Verbiegung etwa des Hinterendes (falls sonstige St6rungen ausbleiben) zu einer aktiven Gegen- ~ " ~ k 2 ~ L ~ biegung des Vorderendes fiihrt, da die Exafferenz "'\ yon hinten dutch eine --"\ Gegenafferenz an anderer Stelle kompensiert ~\ ~x)/} sein mug, damit in... -/ summa die richtige Ge- ~,' samtafferenz ins h6here Zentrum gelangt. Auch dieses Verhalten ist bei vielen Arthropoden unter dem Namen,,homostrophischer Reflex" wohlbekannt (Fig. 12). \ / \ / Fig. t0a u.b. Arthropode (Lithobius) naeh rechtsseitiger Durehtremmng der Sehlundkommissur in Kreisen yon bestimmtem mitt- Ierem Durcbmesser laufend; a Tier SOrlSt intakt, b Tier yon hinten verktirzt. Nun gehen wir zu einem weniger einfachen Fall fiber: zur Lageorientierung der hgheren Wirbeltiere MZ. v,4 a b c Fig. Ila u. b. Schema zur Erlfiuterung yon Fig. to. Z n h6heres Sinrteszentrum (Oberschlundganglioa); I(~ Kommandozeatrum (Unterschlundganglion); K Kommando zu den niederen motorischen Segmentzentren MZ (von denen nur zwei gezeiehnet sind); E Efferenz zum Muskel M; A Afferenz; RA Reafferenz VOrl Stellungsmessern in den K6rpergelenken. Die Dicke der Pfeile deutet die St~rke des hnpulsstroms an. Der reehte Zustrom yon Z n nach K z ist unterbrochen. In Fig. 11 a verursacht das asymmetrisch aufgeladene Kommandozentrum eine gleichsinnige Asymmetrie in den motorischen Zentren; deren Efferenz bewirkt eine Krfimmung (Tonusverschiebung) nach links (unterer Pfeil). Die Reafferenz dieser Krtimmung, Fig. tl b, l/idt das Kommandozentrum gegensinnig auf, es stellt sieh ein Gleichgewicht zwisehen erforderlicher Innervationsasymmetrie und Reafferenzasymmetrie elm Nach Ent- Iernung des zweiten motorisehen Zentrums ist die Reafferenz zu gering, es entsteht erneut Ungleichgewieht, die Tonusverschiebung mub folglieh zunehmen (unterer Pfeil). und des Menschen. Beim Fisch war die Lageorientierung iibersichtlich, denn das statische Sinnesorgan ist hier fest im Kgrper eingebaut; und auberdem hat die Motorik bei keiner Soll-Lage etwas Zus~itzliches zu leisten, denn das mechanische Gleichgewicht ist indifferent. Unsere aufrechte Haltung dagegen ist labil, jede Soll-Lage erfordert besondere Innervationsverh~iltnisse, und fiberdies sind Kopf, Leib und Extremititten gegeneinander beweglich. Das Labyrinth dar/ bei aktiver oder passiver Kopfneigung keinerlei,, Gliedreflexe" ausl6sen, denn diese wtirden die Balance des Leibes nur verhindern I Beobachten wir das tats~iehliche Verhalten (vgl. Fig. t3 a--d). Ein ruhendes Tier werde passiv, Kopf und Leib gemeinsam, naeh rechts geneigt: es macht eine / zl/z. Z 1 I~ tf /i / Fig. t 2. Ar thropode (Julus), dem das Hinterende passiv nach links gebogen wird und der daraufhin aktiv das Vorderende naeh reehts wendet (,,homostrophiseher Reflex"). 4O

474 ERICH VON HOLST und HORST 1V[ITTELSTAEDT; Das Reaiferenzprinzip. Die Naturwissenschaften aufriehtende Kompensationsbewegung mit den Extremit~iten (Fig. t 3 b). Halten wirden Kopfin seiner Ranmlage lest und kippen nur den Leib, so tritt die gleiehe Bewegung anf (Fig. t3 c). Neigen wir allein den Kopf, so versucht zwar dieser, sich aufzurichten, der Leib a b c d e (ohrte ZubvP/n/h) Fig. 13a--e. Skizze zur Erl/iuterung der Korrekturbewegungen der Glieder und der Augen eines Warmbliiters (S~inger, Vogel) bei passiven Stellungs/inderungen (Kippriehtung yore Tier aus bezeiehnet), a Normalhaltung, b Kopfund K6rper nach rechts geneigt, c nut der K6rper, d nur der KopI naeh reehts geneigt. In c das gleiehe wie in d, doeh naeh Entfernung der Labyrinthe (vg]. zu d lind e Fig. 14). aber bleibt in Ruhe (Fig. t 3 d). Diese Beobachtungen sind am leichtesten mit der Annahme zu verstehe~., dab die Lagerezeptoren im K6rper liegen, was auch 6fters vermutet wurde (TRENDELENBURG t916, t907, & Fig. 14a--c. Schemata (analog Fig. 3) zur ErI/iuterung des Verhaltens eines Warmblfiters mit Statolithenapparat (a, b) und ohne Statolithenapparat (c) bei (passivem) seitliehem Neigen des Kopfes (vgl. Fig. 13d, e.-- Fig. t4a und b gelten ebenso fiir aktive Kopfneigung). Lagezentrum L des Kgrpers, A der Augen, K des Kopfes. H Halsmuskeln. Das Kopfzentrum ist in a aus Grfinden tier f3bersiehtlichkeit herausgenommen undin b extra gezeichnet (in e ist es weggelassen). Die Afferenz aus den Statoapparaten und aus den Stellungsmessern der Halsmuskeln ist entsprechend ihrer GrSBe rein oder dick gezeiehnet. Die ungleiche Aufladung des Augenzentrmns (A in a undc), des Kopfzentrums (K in b) und des K6rperzentrums (L in c) bewirkt jeweils eine dutch den gebogenen Pfefl angedeutete Drehtendenz. N~ihere Erkl/irtmg ira Text. M. }{. FISCHER 1926). Doch dazu pal3t gar nicht das Verhalten der Augen. Diese n~imlich drehen sich im Kopfe in (b) leicht nach links, in (c) leicht nach rechts und in (d) kraftig nach links herum, so dal? sit hier wieder etwa die gleiehe Stellung zum Leib haben wie zuvor -- ganz analog der Einstellung yon Kopf und Hinterende beim,,homostrophischen Reflex". Die einfachste Erkl~rung des ganzen Verhaltens lautet: an der Stellung von Leib, Kopf und Augen sind (mindestens) zwei Afferenzen beteiligt: eine ans dem Statolithenapparat im Kopf, die andere aus Stellungsrezeptoren der Halsmuskeln. Diese beiden Impulsstr6me subtrahieren sich gegenseitig, soweit es die Stellung des Leibes, und sie addieren sich, soweit es die Stellung der Augen betrifft (Fig. 14@ Wenn diese Deutung stimmt, sollte man nach dem Reafferenzprinzip eine ganz bestimmte Fehlleistung erwarten, sobald die Afferenz aus dem Halse beiderseits kfinstlieh ungleich gemacht wird: das ZNS mfibte diesen Eingriff als,,schieflage des K6rpers bei geradestehendem Kopf" bewerten und eine entsprechende Kompensationsbewegung der Glieder in Gang setzen. Das ist auch tats~tchlich der Fall: wird links ein kaltes, rechts tin heil3es WasserI~ppchen an den Hals unterhalb des Felsenbeins angelegt (wodurch die Impulsfrequenz der linken Rezeptoren langsamer, der rechten schneller wird), so tritt die erwartete Stellungs~tnderung der Glieder ein:). Das Reafferenzprinzip fordert ferner genau die gleiche Mil3interpretation, wenn nach Ausschaltung beider Labyrinthe der Kopf aktiv oder passiv geneigt wird. Auch hier mub das ZNS, da keine Meldung einer Kopfschieflage mehr auftritt,,,glauben", der Kopf stfinde gerade und der Leib stfinde schief, und mul3 nun dessen vermeintliche Schieflage korrigieren. Auch dieses trifft in der Tat, wit man seit langem weib, zu (DusSER DE BARENNE, M)~GNUS t924; vgl. Fig. 13 e und t4@ Man hat, obschon derartige,,halsreflexe" seit langem bekannt sind, -- ihr Entdecker ist BARANY (t906) -- aus der Tatsache, dab wir unseren Kopf allseitig neigen k6nnen, ohne dab der Leib,,Reflexe" zeigt, geschlossen, dab uns solche Halsreflexe ffir gew6hnlich fehlen. Diese verbreitete Lehrmeinung geht wohl ebenfalls auf das Schuldkonto der Reflexlehre, die auf einen,,reiz" immer eine Bewegung fordert; und diese Bewegung fehlt ja hier gerade. Die dargelegte Annullierung yon Labyrinth- und Halsafferenz gilt nur ftir den in die Rumpfgliedmagen absteigenden Impulsstrom, nicht ffir das Auge. Hier addieren sich beide Komponenten. Neigung des Kopfes nach links Inaeht eine solche Gegenrollung des Auges nach rechts -- man kann sie im Spiegel leicht beobaehten -- wie Kippen des ganzen K6rpers bei unbewegteln Hals und Biegung des Halses bei gleichbleibender gerader Kopflage (also Drehen des K6rpers nach reehts) zusammengenommen=), was sehon MAG- ~IJS und seinen Mitarbeitern bekannt war. Durch diese Summierung wird erreicht, dab bei Kopfbewegungen die Augen ihre Stellung zur Lotrechten und damit ihr glickfeld einigermagen beibehalten. Was schlieblich den Kopf selbst betrifft, so ist sein Verhalten leicht zu verstehen: das Zentrum flit die Kopflage empf~ngt seine Afferenz lediglich aus dem Labyrinth und schickt seine Efferenz an die Halsmuskeln. Der Kopf mit den Halsmuskeln ist dem Fisch init seiner Gesamtmuskulatur vergleichbar (Fig. t4b). Er richtet sich bei passiver Neigung wieder auf, kann aber aueh aktiv (Kommando aus h6heren Zentren) geneigt werden. In beiden F~llen ist die Reafferenz, die aus deln Labyrinth und aus den Stell- :) Das Ph~nomen wurde zuerst beschrieben -con GRIES~IANN (1922), best/itigt yon FlSCI~ER und WODAK (1922) ; GOLDSTEIN (1925) benfitzt es als Argument fiir eine allgemeine Plastizit/itsauffassung. Eine physiologisehe Deutung fehlt unseres Wissens. 3) Die relativen Antefle beider Afferenzen, hier (Fig. 13) gleich grob gezeichnet, k6nnen ffir die Augen auch ungleich sein.

Heft 20 i'950 (Jg. 37} ERICH VON HOLST und HORST )/[ITTtgLSTAEDT: Das Reafferenzprmzip. 475 rezeptoren der Halsmuskeln in die Zentren ffir K6rperund Augenstellung fliel3t, die gleiche. So verstehen wir, dab ffir Leib und Augen aktive oder passive Bewegung des Kopfes keinen Unterschied macht. Dal3 der Leib und die Glieder ebenfalls aktiv in verschiedene Soll-Lagen gebracht werden k6nnen, wobei wiederum der Kopf unabh~ngig davon seine Raumlage beibeh~ilt, kann man sieh nun ebenfalls leicht plausibel machen. Mit diesem Zusammenspiel der neuromotorischen Apparate verstehen wir, wieso der Organismns sich so verh~ilt, als ob der,,lagesinn" normaliter im Leib sfibe und Ms ob er mit der Entfernung der Labyrinthe in den Hals hinaufwanderte, so dab nun pl6tzlich Halsbiegung,,Lagereflexe" verursacht -- ffir die Reflexlehre in der Tat ein R~ttsel[ 6. Schlug. Das hier Vorgelegte ist ein erster, roherentwurf. Vielleicht hat er abet doch deutlich gemacht, worin wir einen Vorteil des Reafferenzprinzips gegenfiber anderen Vorstellungen erblicken. Die Refiexlehre bezeichnet alles, was durch Reize bewirkt wird, mit dem gteichen Wort. Dagegen w~re nichts zu sagen -- wir brauchen j a such Sammelbegriffe --, wenn nicht hinter diesem Wort die verffihrerische Reflexbogenvorstellung stfinde, die uns eine fast immer falsche Erkl~irung vort/iuscht. Das Gegenstfick der Reflexlehre, die Plastizitdtslehre (BETHE), laut der alles mit allem verbunden ist und sich Erregungen im ZNS wie in einem Nervennetz allseitig ausbreiten, hat zwar sieher recht in ihrer Negation der Reflexauffassung, aber weder die eine noch die andere oder irgendeine sonstige Anschauung vom ZNS kann im konkreten Fall voraussagen, was tats~ichlich geschehen wird -- und es geschieht niemals Betiebigesl). Das Reafferenzprinzip macht konkrete Voraussagen, an denen sich priifen l~il3t, wound wie weit es gilt. Es ist ein Mechanismus neben anderen und pr~tjudiziert nichts fiber Automatie, Koordination und Spontaneit/it. Daher scheint es geeignet, entgegengesetzte Auffassungen miteinander zu verbinden. Da das Reafferenzprinzip quer durch die Physiologie des ZNS hindurch von niedersten Erscheinungen (passive und aktive Einstellung der Glieder, Beziehung der K6rperteile zueinander) bis zu sehr hohen (Orientierung im Raum, Wahrnehmungen, Sinnest/tuschungen) bestimmte Ph~tnomene einheitlich deutet, so schl~gt es such eine Brficke zwischen niederer Nervenphysiotogie und h6herer Verhaltenslehre. So hat man sich oft gefragt, ob Insekten ihre Eigenbewegungen yon einer Bewegung ihrer Umgebung unterscheiden k6nnen. MATItlLDE HERTZ (1934) bejahte mit sicherem Instinkt die Frage, konnte aber nicht plausibel machen, wie das zuginge. Die fibrigen Untersucher haben die Frage mit v. ]3UDDENBROCK (t937) verneint, weil ja die Relativbewegung zwischen Tier und Aul3enwelt beide Male gleich sei. Wir erkennen jetzt: das Auge unterscheidet eigene und Umweltbewegungen zwar nicht, aber das Tier -- das 1) BETHE selbst ist wohl der gleichen Auffassung; das zeigen seine verschiedenen Versuehe, dutch physikalisehe Modelte das tatsfichliche Gesehehen nfiher zu ert~iutern. Das yon ihm herangezogene Prinzip der mechanisehen,,gleitenden Koppelung" (193t) ist naeh unserer Ansieht ein gutes Modell; die Ausfiihrungen des Abschnitt 5 sind lediglich eine detailliertere Darstellung gleitender Koppelungen. immerhin noch ein ZNS besitzt, welches nicht nur aus Verbindungskabeln zwischen Rezeptoren und Muskeln besteht! -- unterscheidet sie wohl. Es gewinnt mit Hilfe des Reafferenzprinzips die Konstanz seiner obiektiven Umgebung. In der menschlichen Psychologie spielen nun solche Konstanzfhdnomene eine grol3e Rolle. DaB wir z. B. bei Augenbewegungen die Umgebung ruhend wahrnehmen (Raumkonstanz), oder daf3 uns ein Gegenstand unabh/ingig von seiner Entfernung gleich grol3 erscheint (Gr613enkonstanz), sind bekannte Beispiele. Das Reafferenzprinzip erid~rt, wie wir sahen, diese beiden Ph~tnomene. DaB es nicht auch andere Konstanzph~inomene erkliirt, z.b. die auf einer zentralen Umstimmung beruhende,,farbkonstanz der Sehdinge", ist nicht ein Fehler, sondern ein Vorteil des Prinzips, das wegen seiner konkreten Aussagen Scheinerkl/trungen heterogener Tatbest~inde nicht gestattet. Auch zur Frage der Ob/ehtivit~'t der Wahrnehmung schlieblich vermittelt das Reafferenzprinzip einen ganz bestimmten Aspekt: wir saben mehrfach, dab die,,richtige" Meldung lediglich die Resultierende yon zwei,,falschen" Meldungen ist, die -- im Experiment jederzeit aufzeigbar -- ffir sich alzein genommen den gleichen Charakter des,,richtigen" besitzen. Ftir ein niederes Zentrum, in das nur eine Afferenz eintritt, sind alle Meldungen in gleicher Weise,,richtig". Die Frage, ob eine Wahrnehmung auch,,objektiv" richtig oder ob sie,,schein" sei, kann fiberhaupt erst auftauchen, wo mehrere verschiedene Afferenzen zusammenkommen.,,objektiv richtig" heil3t dann nichts anderes als: Koinzidieren verschiedener Meldungen; als,,schein" wird eine Meldung bewertet, die zu den anderen nicht pal3t. Das niederste Zentrum ist in dieser Hinsicht unbedingt dumm -- aber wir sollten bedenken, dag auch das h6chste nie klfiger sein kann, als seine Afferenzen es zulassen, deren jede einzelne,,t/iuschbar" ist! M6gen diese Zeilen dazu beitragen, dab man es allm~thlich aufgibt, die Funktionen des h6chstentwickelten Organs mit einigen wenigen primitiven Ausdrficken zu beschreiben. Je eher wir erkennen, dab j ene komplizierten h~herenfunktionsgestalten, vor denen der Reflexphysiologe ratlos steht, mit ihren Wurzeln his in die ein/achsten Grund/unktionen des ZNS reichen, desto eher wird die bisher schon aus terminologischen Grtinden unfiberschreitbare Schranke zwischen niederer Nervenphysiologie und "h6herer Verhaltenslehre sich in nichts aufl~ssen. Literatur. ADRIAN, E. D.: J. 05 Physiol. I01, 389 (1943). -- BETHE, A.: Pflfigers Arch. 244, t (t940). -- BETHR, A., U. E. FISCHER: Handbuch der normalen pathologischen Physiologie, Bd. t5, S. 1175. --- BERNHARD U. THOMANN: Acta physiol, scand. (Stockh.) 14, Suppl. 3 (1947). -- BERNHARD II. ~TRYLUND : Acta physiol, scand. (Stockh.) 14, Suppl. 7 (1942). -- B6HM, H.: Stud. gener. 1950. -- BUDDEN~ BROCK, V. : GrundriB d. vergleiehenden Physiologie, Bd.I, S.22. 1937. -- FISCHER, M.H.: Handbuch der normalen pathologischen Physio- logie, Bd. XI. t926. -- F~SCHER, M. H., u. WODAK: Z. HMS- usw. 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Nachdem in letzter Zeit die Para-Aminosalizylsi~ure (PAS) als weiteres Derivat der PAB zug~nglich wurde, lag es nahe, auch diese Verbindung auf ihren Effekt gegenfiber Sulfonamideu und Sulfonen zu prfifen. Die experimentelle Untersuchung an Staphylo- und Streptokokken ergab nun in der Tat, dab die PAS eine der PAB qualitativ ganz gleichartige, quantitativ etwas sehwi~chore Wirkung gegeniiber Cibazol Ms Bakteriostaticum austibte. u wiederholte und variierte Versuche besti~tigten diese ~3eobachtung ffir viele, dutch Sulfanilamide gehemmte Mikroorgauismen, so dab an dem Bestehen eines PAS-Sulfanilamid-Antagonismus nicht mehr zu zweifeln war, obgieich J. Klrdm~2), 3) die im Benzolkern substituierten Para-AminobenzoesAuren, also auch PAS, als in dieser Hinsicht unwirksam beschrieben hatte. Aus der groben Fiille der zum Beweise dieses Effektes angestellten Versuche set hi~r nut eine wichtigste Versuchsreihe angeffihrt, die den Urn]aug der Enthemmung der Cihazolwirkuug durch verschiedene PAS-Konzentrationen aufzeigt. Durch/i2hrung. Reagenzglas-Testreihen mit abfmlenden Cibazol-Verdtinnungen yon t :4000 bis 1 : t00000 in: a) reinem, PAB- und PAS-freiem Fleischwasser, h) Eleischwasser, dem PAS-(Natrium) in verschiedenen Konzentrationen yon t0 -~ bis 10 -~ molar zugesetzt wurde. Teststamm: Staphylococcus aureus L2Ki. Impfdichte: 0,t BZ t0-1 = 10-4 C)se Schr~grohrkultur je 5 cm a N~hrmedium. Bebriitung: 40 Std bet 37 ~ C. Ablesung: Nephelometer. Pulfrich-Photometer Filter 3, Kiivette 5 cmk Die Figur zeigt, dab die Cibazol-Hemmkraft, die in reinem Fleischwasser his zu ether Verdiinnung yon 1:35000 totale Vermehrungshemmung ausiibt, durch die Gegenwart yon t0-2 bis t0 -a tool PAS vollstandig aufgehoben wird (Bakterienvermehrung in s~mtlichen Cibazol-Verdiinnungsstufen). In Fleischwasser mit geringerer PAS-Konzentration (10-4tool) Kurze Originalmitteilungen. ist die AuflIebung nicht mehr vollst~ndig (d. h. ~tie st~rkste Cibazolstufe i : 4000 zeigt wieder Hemmung), und bet weiterer Verkleinerung der PAS-Menge sinkt die enthemmende Kraft der PAS noch mehr, bis sie bet einer Verdtinnung yon 10 -~ tool PAS im Fleischwasser ganz verschwunden ist und das Cibazol wie in PAS-freiem Ni~hrmedium bet t : 35 000 seine Hemmgrenze einnimmt. Es ist also der Anti-Sulfanilamidcharakter der PAS deutlich ausgepri~gt, wenn auch die Kraft der Enthemmung geringer als die der PAB ist. Experimentell bedeutet dies, dab zur Aufhebung der Sulfanilamidhemmung in vitro sti~rkere Konzentrationen an PAS Ms an PAB erforderlich stud, doch erscheint der PAS-Sulfanilamid-Antagonismus praktisch stark genug, um bet den groben, in der Minischen Therapie benutzten PAS-Dosen die bakteriostatische Wirkung gleichzeitig angewandter SuKonamidderivate eventuell zu vermindern. 13ei in vivo-versuchen an der Aronson-Maus wurde die zuerst nur in vitro beobachtete Enthemmung ebenfalls gesehen, doch wurde bier die Heilwirkung des Diaminodiphenylsulfons durch PAS nur teilweise und in geringerem Grade als durch PAB aufgehoben. Die selbst bakteriostatisch wirkende PAS ist also auf der anderen Seite in der Lage, als Inhibitor eines Bakteriostaticums zu fungieren; bedenkt man, dab die Hemmkraft der PAS gegen Tuberkelbakterien dutch PA B wieder aufgehoben wird 4), andererseits abet die gleiche PAS bet der Enthemmung der Sulfanilamide die PA B vertreten kann, die PAS also als Hemmmittel den Antagonist, Ms enthemmendes Mittel abet den Stellvertreter der PAB darstellt, so wird man die Wichtigkeit der oben angefiihrten Beobachtung fiir die modernen theoretischen Grundlagen der Chemotherapie nicht leicht untersch~tzen k6nnen. Die Enthemmung anderer Sulfanilamide und Sulfone durch PAS und ihre Derivate sowie die quanfitativen Messungen an anderen Bakterienfamilien, auch in der WARBURG- Apparatur, sind in der demn~chst erscheinenden, ausfiihrlichen VerSffentlichung eingehend besprochen. Aus der Kinderklinik der medizinischen Akademie Diisseldoff (Direktor. Pro/. Dr. F. GOEBEL). A US tier Forschungsabteilung der Chemischen Werke,,Rheinpreu/3en" (Letter: Pro/. Dr. J. VONKENNEL). PAUL P. KOELZER und JOHANNES GIESEN. Eingegangen am 24. Juli t950. 1) WOODS, D.D.: Brit. J. exper. Path. 21, 74 (1940). S) KIMMIG, J.: Klin. Wschr. 1941, 235. a) KIMMIG, J.: Kiin. Wsehr. 1943, 31. 4) VONKEN~EL, J., P. P. KOELZER U. J. GmSEN: Med. Mschr. 1949, 499. Neue Bakterten mit vornehmlich fungostatischen Stoffwechselprodukten. ]3ei Durchsichf der riesigen ZahI yon Arbeiten, welche die yon Mikroben produzierten antibiotischen Stoffe zum Gegenstand haben, f~.llt auf, dab sich unter diesen unverhgltnismm3ig wenig Substanzen befinden, die sich in erster Linie gegen niedere Pilze richten. Im Gegensatz zu den vielen antibakteriellen Stoffen sind an fungostatischen Produkten erst wenige, wohl nur spezifisch gegen einige bestimmte phytopathogene Pilze gerichtete Stoffe -- meist selbst auch pilzlicher Herkunft -- bekanntgeworden [so z. B. 1)~)]. Neuerdings berichten jedoch TI-IAYstun und Mitarbeiter a) anch yon neuisolierten Bakterien aus tropischen B6den, deren Antibioticum, unwirksam gegen