Über die Wichtigkeit der Anerkennung der non-formalen und informellen Kompetenzen

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Transkript:

Kompetenzen, aber kein Diplom Über die Wichtigkeit der Anerkennung der non-formalen und informellen Kompetenzen Ruedi Winkler, Personal- und Organisationsentwicklung und Präsident von Valida, Referat an der SAG Fachtagung, Arbeitsintegration vom Donnerstag 29.03.2012 1. Einleitung Mein Bezug zur Anerkennung non-formal oder informell erworbener Kompetenzen und der Validierung hat zwei Quellen. Eine ist die Art, wie ich aufgewachsen bin. Ich wuchs auf einem Bauernhof auf und hatte jeweils absolut kein Verständnis, wenn meine Schulkameraden sagten, wenn sie nach Hause kämen, müssten sie immer zuerst die Schulaufgaben machen. Für mich war das unvorstellbar. Denn dann wollte ich aus den Schulkleidern hinaus und auf dem Hof mithelfen. Die Schulaufgaben konnten warten. Ich ging gerne zur Schule, aber ich hätte mir nie vorstellen können, die Schule als den zentralen Teil meiner Jugend anzuschauen. Das war die Familie und das war der Bauernhof. Deshalb sage ich wie viele andere, wenn ich gefragt werde, wo ich am meisten gelernt habe: Sicher nicht in der Schule, das war auch nützlich, aber Wichtiges habe ich in der Familie und auf dem Hof gelernt. Also das Wichtigste habe ich non-formal und informell gelernt. Nach einer Zeit des Bauerseins übernahm mein jüngerer Bruder den Hof und ich machte die Matura, dann studierte ich Ökonomie an der Universität Zürich und arbeitete einige Jahre auf einer Bank. Mitte der 80-er Jahre kam ich zum Arbeitsamt und in den 90-er Jahren war ich dessen Direktor. Seit elf Jahren führe ich ein eigenes Büro für Personal- und Organisationsentwicklung. Beim Arbeitsamt kam dann der zweite Anstoss, im Zusammenhang mit der Anerkennung der non-formalen und informellen Kompetenzen aktiv zu werden: Immer wieder kamen erwerbslose Menschen auch zu mir, die sehr viel konnten, aber keine Papiere für einen formalen Abschluss hatten. Das schien mir total widersinnig. 2. Definition der Begriffe formal, non-formal und informell Die folgende Abbildung zeigt die Definition dieser Begriffe gemäss Abbildung 1 SAG-Fachtagung Kompetenzen, aber kein Diplom Bern, 29.03.12 Definitionen Formale Lernleistungen Non formale Lernleistungen Informelle Lernleistungen Findet in Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen statt Führt zu anerkannten Abschlüssen und Qualifikationen Verläuft organisiert und folgt einem Lehrplan Führt aufgrund einer definierten Methode zu einem definierten Lernziel Findet ausserhalb der organisierten formalen Bildung statt Führt i.d.r. nicht zum Erwerb eines formalen Abschlusses. Die Lernenden wollen sich jedoch gezielt Wissen bzw. Kompetenzen aneignen. Findet in organisierten Kontexten mit definierten Inhalten statt (Seminare, Kurse, Fernstudien usw.) Erfolgt in der Regel ausserhalb der pädagogischen Einrichtungen am Arbeitsplatz, in der Familie, Freizeit, Hobbys usw. Es folgt keinem bestimmten Lernplan und wird üblicherweise nicht zertifiziert. Es geschieht meist im Zusammenhang mit der Lösung eines Problems z.b. abschauen, on-the-job Lernen, Fachliteratur lesen, jemanden fragen usw. Ruedi Winkler - Präsident Valida - www.valida.ch - www.ruediwinkler.ch

Die Definition der Begriffe formal, non-formal und informell werden nach wie vor immer noch etwas unterschiedlich definiert. Abbildung 1 definiert sie etwas ausführlicher und entspricht dem, was sowohl die Schweiz wie auch die EU in ihren Definitionen festhält. Dabei ist klar, dass die formale Bildung in einer dafür geeigneten Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung stattfinden, die Methoden definiert sind, wie auch das Lernziel und die Abschlüsse anerkannt sind. Die non-formale Bildung findet ausserhalb dieser formalen Bildungswege statt, ist aber ebenfalls organisiert und die Inhalte sind definiert. Die gängigen Formen kennen wir alle. Es sind Seminare, Kurse, Fernstudien usw. Die informelle Bildung geschieht sozusagen unbemerkt. Sie geschieht und ist eigentlich nicht vorgesehen, d.h. sie geschieht im Zusammenhang mit der Lösung eines Problems oder der Ausführung einer Arbeit sowohl beim Arbeiten wie in der Nicht-Arbeitszeit und geschieht durch Abschauen bei jemand anderen, Lernen on the job, Fachliteratur lesen oder ganz einfach jemanden fragen. Eine immer wichtiger werdende Form der informellen Lernleistungen ist die Nutzung des Internets. Man sucht etwas Bestimmtes und bis man das Gesuchte gefunden hat, erfährt man noch andere Dinge, die eigentlich gar nicht vorgesehen waren. Das Internet wird in Zukunft im Zusammenhang mit dem non-formalen Lernen eine noch wachsende Bedeutung erhalten. Nebenbei gesagt: Das Internet ist auch dabei, unsere Beziehung zu Wissen wahrscheinlich grundlegend zu verändern. Während ältere Generationen noch stark geprägt sind von Wissen ist Macht und Jeder soll selbst schauen, wie er zum gewünschten Wissen kommt., ist dies für die Internet-Generationen wesentlich anders. Sie sind sich gewohnt, dass man leicht zu Wissen gelangt und entsprechend leicht auch weitergibt. Entsprechend ist Wissen teilen und Wissen weitergeben zur Selbstverständlichkeit geworden und prägt immer mehr den Umgang mit Wissen bei der jüngeren Generation. 3. Warum ist die Anerkennung der Kompetenzen so wichtig? Die Arbeitswelt unterliegt Veränderungen, die wir zum Teil, vor allem bezüglich ihrer Folgen, noch nicht absehen können. In den meisten Berufen verändern sich in kürzeren oder längeren Abständen bestimmte Anforderungen, es kommen neue dazu und andere fallen weg. Bedingt ist das einerseits durch die technologischen Veränderungen, andere Produktionsverfahren und Dienstleistungsangebote und nicht zuletzt auch durch die Unruhe in den Betrieben, die durch häufige organisatorische Umstellungen verursacht werden. Jede Änderung bringt aber auch einen Lernanteil mit sich und meist fehlt die Zeit, um dies in einem klassischen Verfahren der Wissensvermittlung, des Wissenstransfers und dann Umsetzung in die Praxis abwickeln zu können. Immer mehr Firmen bilden sehr gezielt genau das aus, was sie brauchen und dies möglichst nahe an der Arbeit. Dafür gibt es aber kein Zertifikat und kein Diplom. Solange jemand in der gleichen Firma bleibt, ist es kein Problem. Geht jemand jedoch weg, hat sie oder er keinen Nachweis dafür und das ganze Wissen ist stark entwertet. Deshalb ist der Bedarf, die auf diesem Weg, also non-formal oder informell erworbene Kompetenzen, auch anerkannt werden und sichtbar gemacht werden. In einer wissensbasierten Wirtschaft ist die Transparenz über das Wissen in der Unternehmung überlebenswichtg. Es gab vor Jahren schon den Spruch: Wenn die Firma X wüsste, was die Firma X weiss, der sagen will, dass vielfach die Firmen selbst nicht wissen, welches Know-How und welche Kompetenzen in den Reihen ihrer Mitarbeitenden vorhanden ist. Noch gravierender wird es dann, wenn jemand die Stelle wechseln will und für seine non-formal und informell erworbenen Kompetenzen keinerlei konkrete Nachweise hat, ausser die allgemeine Beschreibung im Arbeitszeugnis. Und letztlich kommt noch dazu, dass es etwas paradox ist, wenn überall von Fachkräftemangel gesprochen wird und weder die Firmen noch die Beschäftigten über einen wesentlichen Teil ihrer Kompetenzen wirklich Auskunft wissen.

5. Demografie Die Zunahme der Beschäftigten über 45 Jahren und Abnahme der Beschäftigten unter 45 Jahren, verursacht durch den kleineren Zustrom der Jungen in den Arbeitsmarkt macht die Transparenz über das Wissen der Mitarbeitenden noch einmal bedeutungsvoller. Die Firmen werden nicht darum herumkommen, mangels jüngerem Nachwuchs wieder mehr auf die Kompetenzen, Lernleistungen und Potenziale der älteren Beschäftigten zurückzugreifen. Das heisst unter anderem auch, dass sie Beschäftigte um die 50 und darüber nicht einfach bis zur Pensionierung auf gleichem Level halten können, sondern dass sie die Potenziale dieser Menschen mehr nutzen und ihnen die Chance zur Entfaltung geben müssen. Um dies zu tun, ist es notwendig, zu wissen, welche Kompetenzen jemand hat und welche Lernleistungen jemand schon erbracht hat. Das ist ein wichtiges Fundament, um weiter aufzubauen. Ein wichtiger Punkt, um die demografische Herausforderung gut bewältigen zu können. 6. Das Kennen der eigenen Kompetenzen motiviert und erhöht die Selbstsicherheit. Wer weiss, was sie oder er kann und dies auch präzis beschreiben kann, ist in einer ganz anderen Situation, sowohl am Arbeitsplatz, wie auch bei der Stellensuche, als jemand, die oder der unsicher ist, dazu neigt, seine Kompetenzen falsch einzuschätzen oder zu überoder unterschätzen. Das Sichtbarmachen der eigenen Kompetenzen über den Prozess einer Kompetenzenbilanzierung hat an sich schon einen grossen Stellenwert. Denn wer seine Kompetenzen kennt, kann diese einsetzen, erfährt mehr Befriedigung und hat eine solide Grundlage, diese Kompetenzen zu ergänzen, sei dies nun auf dem formalen oder auf dem nicht-formalen Weg. Die Ermutigung, auch zur formalen Weiterbildung ist ein wesentlicher Punkt, der ebenfalls für die Anerkennung der non-formal und informell erworbenen Kompetenzen spricht. 7. Ein Papier bleibt wichtig Sicher ist es zu bedauern, dass die Bedeutung eines Papiers als Beweis für das Vorhandensein von Kompetenzen so wichtig ist, aber es zeichnet sich keine Entwicklung ab, die auf eine Veränderung in diesem Bereich hinweisen würde. Praktisch jedes Unternehmen, wenn man es fragt, was bei ihm wichtig sei, nämlich, ob die Leute etwas können oder ob sie ein entsprechendes Papier hätten, wird es sagen, selbstverständlich sei das Können wichtig, nicht das Papier. Bei der Rekrutierung jedoch ist das dann anders. Und das wird auch nicht rasch ändern, insbesondere und vor allem bei jenen Betrieben, bei denen nicht die gleiche Person rekrutiert, die dann auch mit den Leuten zusammen arbeitet. Also bei all den Betrieben, bei denen es eine Arbeitsteilung gibt zwischen Personalabteilung und Produktion. Es ist selbstverständlich, dass, wer für jemand anderen rekrutiert, ein bestimmtes Absicherungsbedürfnis hat. Bewährt sich eine Arbeitskraft nach der Einstellung nicht, dann kann die rekrutierende Person darauf hinweisen, dass diese die entsprechenden Diplome und Zertifikate vorgewiesen habe, hat sie dies nicht, dann wird sie aus der Produktion den Vorwurf hören, dass man doch nicht jemanden einstellt, der nötigen Qualifikationen nicht schwarz auf weiss nachweisen kann. 8. Unterscheiden: Anerkennen und Validieren In den letzten Jahren hat die Validierung die Diskussion um die Anerkennung und Validierung nicht formal und informell erworbener Kompetenzen beherrscht. Es besteht auch klar die Tendenz, wenn zu Beginn schon die Validierung das Ziel ist, dass dann vor allem die Kompetenzen beschrieben werden, die für diesen Abschluss nötig sind. Dabei geht zum Teil die Qualität des Prozesses verloren, die darin besteht, dass bei der Beschreibung der

eigenen Kompetenzen den Personen bewusst wird, wie breit diese sind und wo sie noch überall Kompetenzen haben, die ihnen zum Teil nicht bewusst sind. Diese Arbeit kann auch dazu führen, dass jemand von seinem ursprünglichen Ziel wegkommt und sich beruflich neu orientiert. Bei einer auf die Validierung ausgerichteten Beschreibung der Kompetenzen läuft dieser Aspekt Gefahr, verloren zu gehen. Es scheint mir deshalb wichtig, dass man klar unterscheidet zwischen dem Prozess der zu einer Anerkennung, d.h. zu einer Beschreibung und Sichtbarmachen der Kompetenzen führt und einer Validierung, die das alleinige und konkrete Zielt hat, einen bestimmten Abschluss zu erwerben. Wer sich so sicher ist, dass der angestrebte Abschluss das klare Ziel ist, der oder die kann sich getrost auf den Prozess mit Ziel Validierung einlassen, ohne auch all jene Kompetenzen aufzuführen und genauer anzuschauen, die für diese Validierung nicht gefragt sind. Wer jedoch ein Gesamtbild erhalten möchte und allenfalls über die Kompetenzenbilanzierung auch sich klar werden möchte, wo sie oder er beruflich steht und wie es nachher weitergehen soll, bzw. wo sie oder er noch Potenziale haben, die sollten den Prozess der Kompetenzenbilanzierung mit Sorgfalt und in der ganzen Breite machen. So kommen auch die Kompetenzen zum Zug, die jemand z.b. bei freiwilliger Tätigkeit, in der Familie, bei der Unterstützung von Verwandten usw. erworben hat. Aus diesem Grunde plädiere ich, dass zu Beginn des Prozesses die Betroffenen mit dieser Frage sich klar beschäftigen. 9. Stand der Validierung in der Schweiz Definieren wir das Bildungssystem als Gesamtes als die Summe aller Lernorte und Lernleistungen, die in einer Gesellschaft existieren, bzw. erbracht werden, dann wird sofort klar, dass in unserem Verständnis des Bildungssystems Schweiz der Teil mit der formalen Bildung und den formalen Lernleistungen massiv ausgebaut und dominant ist und die Lernorte und Lernleistungen des non-formalen und informellen Bereichs ein ziemlich jämmerliches Dasein fristen bezüglich ihrer Anerkennung als Teil des Bildungssystems. Das ist insofern fatal als Untersuchungen zeigen, dass der Anteil erbrachter Lernleistungen im non-formalen und informellen Bereich grösser ist als jener im formalen Bereich. Es muss klar das Ziel sein, dass das Verständnis für das Bildungssystem im Gesamten sich verändert und wir alles daran setzen, damit diese das formale und das non-formale und informelle Bein sich einander in der Wahrnehmung grössenmässig anpassen. Unser Ziel muss ein Bildungssystem auf zwei kräftigen Beinen sein, nicht eines mit einem sehr starken und sehr dünnen. 10. Schattenbildungssystem ans Licht bringen Wenn wir in der Wirtschaft von Schattenwirtschaft sprechen, dann müssen wir eigentlich im Bildungssystem bezüglich des non-formalen und informellen Teils von einem Schattenbildungssystem sprechen. Und das soll endlich ans Licht kommen. Dazu gehört auch die Tatsache, dass wir generell dazu neigen, bei Dingen, mit denen wir vertraut sind, Schwächen zu übersehen, hingegen neue, uns unbekannte Verfahren viel kritischer beurteilen. Das ist zur Zeit auch bei der Validierung so. Die Angst, die Validierung könnte zu einem Abschluss light führen, trägt die Gefahr in sich, dass Verfahren so anspruchsvoll und kompliziert zu machen, dass die Vorteile der Validierung wegzufallen drohen. Dabei ist es grundsätzlich etwas befremdend, wenn real bewiesene Kompetenzen misstrauischer beurteilt werden als theoretisch Wiedergegebenes. Konkret wissen wir, dass das auf Prüfungen Gelernte nach kurzer Zeit auf weniger als die Hälfte schrumpft, d.h. auf eine Prüfung speichern wir sehr viel Wissen im Kopf, das nachher praktisch sofort wieder zu einem grossen Teil sich verflüchtigt. Wir leben mit diesem Wissen und halten an den Prüfungen in dieser Form fest, aber gegenüber dem Nachweis vorhandener Kompetenzen, die durch die Anerkennung in keiner Art und Weise zurückgehen, sind wir misstrauisch. Das entbehrt der Logik und sollte die Verantwortlichen davon abhalten, Verfahren aufzubauen,

die für die Validierung ganz andere Ansprüche stellen als der Nachweis formaler Lernleistungen. Die folgende Abbildung gibt Auskunft über den Stand der Validierung in der Schweiz Ende 2011. Abbildung 2 SAG-Fachtagung Kompetenzen, aber kein Diplom Bern, 29.03.12 Stand Validierung in der Schweiz Rund 490 EFZ über VA (= rund 0.8% aller EFZ) (2009: 240 EFZ) Alle Kantone haben eine zuständige Stelle (Eingangsportal) definiert 11 Kantone haben ihr Validierungsverfahren vom BBT anerkennen lassen (BE, FR, GE, ZH) oder sind provisorisch anerkannt: Zentralschweizer Berufsbildungsämter-Konferenz (LU, NW, OW, SZ, UR, ZG), VS. 8 Berufe haben ein vom BBT genehmigtes Qualifikationsprofil und Bestehensregeln Angaen gemäss SBBK CSFP, Sept. 2011 Ruedi Winkler - Präsident Valida - www.valida.ch - www.ruediwinkler.ch Fazit: 1. Es ist noch ein weiter Weg zu einem Bildungssystem, das auf zwei gleich starken Beinen steht. Unter den Akteuren, die für die Berufsbildung entscheidend sind, sind sowohl das BBT, die Kantone aber im ganz besonderem Masse die Organisationen der Arbeitswelt (Berufsverbände, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften usw.) ganz besonders gefordert. Ein Validierungsverfahren ist nur möglich, wenn der betreffende Berufsverband, bzw. ein sich als OdA sich formierender Zusammenschluss verschiedener die Voraussetzungen schaffen, damit eine Validierung möglich wird. Zur Zeit ist dies der schwächste Punkt im ganzen System. 2. Bei der starken Betonung der Validierung darf nicht vergessen gehen, dass einerseits der Prozess der Kompetenzenbilanzierung und andererseits auch die Anerkennung von einer Auswahl bestimmter Kompetenzen oder einzelner Kompetenzen für die betreffenden Personen von hohem Nutzen sein kann, sowohl bezüglich einer ins Auge gefassten Weiterbildung wie auch bezüglich der Stellensuche. 3. Das Validieren ist, um den Ausdruck von Max Weber zu wählen, bohren harter Bretter. Ein wichtiger Aspekt darin ist auch die Information. Ausserhalb der direkt beteiligten oder informierten ist das Wissen um die Möglichkeiten und Bedeutung der Anerkennung und Validierung der non-formalen und informellen Lernleistungen noch alles andere als Allgemeingut. Dieses Wissen und diese Bedeutung breiter zu kommunizieren und bewusst zu machen, ist ebenfalls ein wichtiger Schritt.