Grundlagen der Sprachmittlung: Textvergleich und Transfer

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1 Kopiervorlagen. KV 2 a: Hello. KV 2 b: What s the number? Greenwich. mouse. school. name. one. how. . My. Hello. I m a. . Thomas Tallis is my new

Transkript:

Prof. Dr. Heidrun Gerzymisch Grundlagen der Sprachmittlung: Textvergleich und Transfer ZHAW/FRÜHJAHR 2017 07. April 2017 Prof. Dr. H. Gerzymisch Textvergleich und Transfer 1 HG1

Folie 1 HG1 Heidrun Gerzymisch; 20.02.2016

Vergleichen Die zunehmende Fokussierung auf die 'Welt' als Vergleichsmaßstab für Prozesse der Modernisierung und der Historisierung, aber auch für die Selbstbeschreibungen moderner Gesellschaften, brachte immer neue Vergleiche zwischen unterschiedlichen Ländern, zwischen politischen Systemen sowie zwischen verschiedenen Wissensbereichen auf. Textvergleich und Transfer 22. April 2016 Prof. Dr. H. Gerzymisch Textvergleich und Transfer 2

Textvergleich und Transfer ARTE Karambolage : https://www.youtube.com/watch?v=b9m0oepe0z8 3

Inhalt 1. Textvergleich und Transfer 1.1 Lexik und Syntax: Wörter im Kontext 1.2 Wortketten: Isotopien im Text 1.3 Sinn(kontinuität) und Kohärenz 2. Kultur im Textvergleich 2.1 Text vs Systemvergleich 2.2 Vergleichsstandards 2.3 Wörter Isotopien -Informationsgliederung 3. Zur Äquivalenzproblematik 3.1 Pauschale und relative Äquivalenz 3.2 bezogen auf Wörter und Wortketten 3.3 bezogen auf eine Sinngebung 22. April 2016 Prof. Dr. H. Gerzymisch Textvergleich und Transfer 4

HG4 HG5 Textvergleichsparameter (zum Zweck der Translation) textextern-textintern-transphrastisch-nonverbal 1. Alle Verstehenshilfen (textextern) zur Einordnung des Textes in den Situationskontext: AS und ZS-Texttyp, (interkulturelle) Textsortenkonventionen) Mit der Frage: Invariant bei der Sprachmittlung? 2. Alle Verstehenshilfen (textintern): Lexik (umgangssprachlich, gehoben, floskelhaft etc.) und Syntax (Hypotaxen und Parataxen u.a.) Mit der Frage: Invariant bei der Sprachmittlung? 3. Alle Verstehenshilfen (textintern und transphrastisch): Textaufbau (TRG, Informationsgliederung), Textinhalt (Isotopie, der rote Faden im Text ) Mit der Frage: Invariant bei der Sprachmittlung? 5

Folie 5 HG4 Heidrun Gerzymisch; 21.02.2016 HG5 Heidrun Gerzymisch; 21.02.2016

Textvergleichsparameter: Lexik &Textexternes Free vs. gratis first floor vs. 1. Stock (faux amis) cereal vs. corn-flakes (general name vs. brand name) Public schools vs.?, Gemütlichkeit vs.? 6

Textvergleichsparameter: Lexik &Textexternes Vergleichswissen auf unterschiedlichen Sprachebenen: Phonetische Ebene Cock-a-doodle-doo vs. Kikeriki, Bah vs. Mäh Morphologische Ebene X-Rays vs. Röntgenstrahlen (zusammengesetzte Namen) 7

Textvergleichsparameter: Nonverbales Nationalstereotypen Himmel ist dort,wo die Polizisten Engländer sind, die Köche Franzosen, die Mechaniker Deutsche, die Liebhaber Italiener und alles wird von den Schweizern organisiert. Hölle ist dort,wo die Köche Engländer sind, die Mechaniker Franzosen, die Liebhaber Schweizer, die Polizisten Deutsche und alles wird von den Italienern organisiert. 8

Textvergleichsparameter: Lexik &Textexternes Wenn Amerikaner erstmals ein deutsches Restaurant betreten, wundern sich viele: Erstens geht der Mann zuerst in das Restaurant, um einen Tisch zu suchen, während die Amerikaner nach dem Prinzip ladies first verfahren. Man trifft auch nicht auf den Besitzer oder eine Dame am Eingang, die einem einen Tisch zuteilt, den man vorher reserviert hat, sondern man setzt sich einfach irgendwo hin, wo man Platz findet. 9

Textvergleichsparameter: Lexik &Textexternes 10

Textvergleichsparameter: Lexik &Textexternes Phraseologische Ebene Don t put all your eggs in a basket vs. Setz nicht alles auf eine Karte. To carry coal to Newcastle vs. Eulen nach Athen tragen Sprichwörter/Schimpfwörter Er ist ein Kamel 11

Textvergleichsparameter: Lexik &Textexternes Metaphern/Gemischte Metaphern It s the early bird that catchs the tub (nur der frühe Vogel erwischt die Badewanne) vs. Wer zuerst kommt, badet zuerst Wortspiele President Clinton is asked about his opinion on foreign affairs.he replies: `Personally, I do not like foreign affairs. I feel that if you have to have an affair, you must have it right here, in America. Syntaktische Ebene It s John I like not Harry vs. Ich mag John, nicht Harry, oder What I really like is chocolate icecream. Stilistische Ebene 12

Textvergleichsparameter: Lexik &Textexternes Funktionswörter Gradpartikel selbst, sogar, ausgerechnet, u. a. (Beispiel: ausgerechnet ) Modalpartikel ja, eben, denn nur, halt, einfach, u. a. (Beispiel: halt ) Pränominaladverbien dadurch, damit, u. a. (Beispiel: damit ) Beispiel: Wo bleibt er denn vs. I wonder where he s been. 13

Textvergleichsparameter: Isotopie & Textexternes Zum Beispiel, in einem italienischen Roman heisst es, dass sich jemand einen Kaffee bestellt, ihn hinunterstürzt und dann die Bar verlässt. In einem US amerikanischen Roman sitzt jemand eine halbe Stunde über einem Kaffee und sinnt nach. Eco schreibt, dass wörtliche Übersetzungen hier den Lesern kein Äquivalent bieten können, denn im ersten Fall handelt es sich um einen italienischen Kaffee in einer italienischen Bar, da sich ein amerikanischer Kaffee wegen seiner Temperatur und seiner Menge nicht hinunterstürzen lässt. Gleichsam sinnen die Italiener nicht eine halbe Stunde lang über etwas nach, das kaum einen Fingerhut großist. 14

Textvergleichsparameter: Isotopie & Textexternes Verplemperte Werbemillionen: Kunden verstehen die englischen Werbebotschaften nicht. Verstehen Sie diese Werbung? Werbeprofis haben Ihre eigene Sprache. Das klingt dann etwa so: Englische claims (Werbesprüche) sind hip (modern). Die klingen einfach cooler (hören sich besser an). Ausserdem sorgen die global player (weltweit agierendere Konzerne) damit für eine bessere brand awareness (erhöhte Markenbekanntheit) und erschließen neue target groups (Kundengruppen)... Aha! So ist das also. Ist englische Werbung wirklich cool? 15

Textvergleichsparameter: Isotopie & Textexternes Die Kölner Agentur Endmarkkonfrontierte über 1.000 Verbraucher mit den zwölf bekanntesten englischen Werbesprüchen. Das Ergebnis lässt Marktingbosse und Werbeprofis wie fools (Dummköpfe) aussehen: Die meisten Kunden verstehen die Werbung nicht. Somit versickern die Marketing-Millionen wirkungslos, sorgen im schlimmsten Fall sogar für ein schlechteres Image. Zum Beispiel: Siemens Spruch: Be inspired 15 % der Verbraucher verstanden diesen Spruch. 19 % der Verbraucher glaubten, diesen Spruch zu verstehen. Diese Botschaft steckt hinter dem Spruch: Siemens-Mobiltelefone inspirieren den Benutzer. Die ungewöhnlichsten Übersetzungen der Verbraucher: Ich bin angeregt Inspiziert sein Verzaubert sein Bienen-Inspektion 16

Textvergleichsparameter: Nonverbales Sprachlose Betriebsanleitungen werden immer beliebter 17

Kultur im Textvergleich Zur Theorie 18

Kultur im Textvergleich Was ist Kultur? Die Kultur entspringt dem Wissen um den Tod und die Sterblichkeit. Sie stellt den Versuch dar, einen Raum und eine Zeit zu schaffen, indenen der Mensch über seinen begrenzten Lebenshorizont hinausdenken und die Linien seines Handelns, Erfahrens und Planens ausziehen kann. Ohne Phantasmen der Unsterblichkeit oder zumindest einer gewissen Fortdauer über unser allzu kurzes Erdendasein hinaus kann der Mensch nicht leben, sein Handeln nicht als sinnvoll erfahren (Assmann, Der Tod als Thema der Kulturtheorie 2000) Die Kultur einer Gemeinschaft ist die gemeinsame invariante Funktion aller Kultursysteme in einer Gemeinschaft hinsichtlich der Sinnbewährung und Sinneinheitlichkeit. Ein Kultursystem wird aufgefasst als ein holistisches System, das an einen Lebensraum gebunden ist. (Mudersbach, Kultur braucht Übersetzung, Übersetzung braucht Kultur, 2000) Kultur ist die Gesamtheit der Faktoren, die das Verhalten von Mitgliedern einer Gesellschaft regeln. (Witte 1987:111) 19

Kultur im Textvergleich Was ist Kultur? Kultur umfasst die erlernten, sozialisierten Traditionen und Lebensstile von Mitgliedern einer Gemeinschaft, einschließlich ihrer wiederholbaren Denk-, Empfindungs- und Handlungsmuster. (Harris, Cultural Anthropology 1983:5, Übersetzung HG) Der Mensch lebt im Rahmen von Kultursystemen. Unter einem System verstehen wir die Menge von Tatsachen und Ereignissen, die in wechselseitiger Beziehung zueinander ein integriertes Ganzes bilden (White, The Science of Culture, 1949:159, Übersetzung HG) Eine Kultur ist ein System von wechselseitig bedingten Verhaltensmustern (Willey, Emphasis on the Patterning or Organization of Culture, 1952:118f Übersetzung HG) 20

Kultur im Textvergleich Was ist Kultur? Eine Kultur ist ein historisch gewachsenes System von explizitenund impliziten Lebensplänen, die von allen oder einem großen Teil einer Gruppe getragen werden (Kluckhohn & Kelly 1945:98 in Kroeber & Kluckhohn 1952, Culture. A Critical Review of concepts and definitions, Übers. HG) In der Kulturanthropologie ist Kultur im Wesentlichen zu verstehen als ein System von Konzepten, Überzeugungen, Einstellungen, Wertorientierungen, die sowohl im Verhalten und Handeln der Menschen als auch in ihren geistigen und materiellen Produkten sichtbar werden. (Maletzke, Interkulturelle Kommunikation 1996:16) Von unmittelbarer praktischer Relevanz ist die Strukturierung des Kultursystems (Schmid, Systemische Kulturtheorie relevant für die Translation? 2000:62) 21

Der Kulturvergleich Jeder wissenschaftliche Vergleich von A und B erfordert mindestens sieben Vergleichsprozeduren: (1) Aufstellen des tertium comparationis (Bezugsgröße auf Systemebene), (2) Ermittlung der Realisierungen in A, (3) Ermittlung der Realisierungen in B, (4)(metasprachliche) Deskription der Realisierungen in A, (5)(metasprachliche) Deskription der Realisierungen in B, (6) expliziter Vergleich bezogen auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede, (7) Befund/Interpretation (Spillner, Methoden des Interkulturellen Sprachvergleichs 1997:111) 22

Kultur im Textvergleich System und Kultursystem System: Repräsentation einer Gesamtvorstellung, die als Wissensbasis im Text realisiert (aktualisiert, konkretisiert) ist, z. B. Sprachsysteme, Kultursysteme, (aktuelle) Wissenssysteme Kultursystem: Repräsentation von Gesamtvorstellungen im Sinne von generellem kulturspezifischem Wissen (..), das in bestimmten Textsegmenten aktualisiert (realisiert, konkretisiert) erscheint. 23

Individuelles in der Sprachmittlungstetrade(Tetradic Stage I) Reality The Communicative Situation M I Tetradic Stage I A I B A= Communicative Partner A B=Communicative Partner B I=Interpreter M= Message 24

Individuelles in der Sprachmittlungstetrade(Tetradic Stage Il) Reality The Communicative Situation M II Tetradic Stage II A I B A= Communicative Partner A B=Communicative Partner B I=Interpreter M= Message 25

Individuelles in der Sprachmittlungstetrade(Tetradic Stage III) Reality The Communicative Situation M III Tetradic Stage III A I B A= Communicative Partner A B=Communicative Partner B I=Interpreter M= Message 26

Individuelles in der Sprachmittlungstetrade(Tetradic Stage VI: Optional) Reality The Communicative Situation M IV Tetradic Stage IV (Optional) A I B A= Communicative Partner A B=Communicative Partner B I=Interpreter M= Message 27

La Bise.wmv 28

Kultur im Textvergleich Kultursysteme 29

Kultur im Textvergleich Kulturelle Konstellationen (Floros 2003) 30

Kultur im Textvergleich Kulturelle Konstellationen (Floros 2003) 31

) Kultur im Textvergleich: Kulturelle Konstellationen (Floros 2003) Abb. 1: Konkretisierung des Kultursystems im Text Abb. 2: Konkretisierung als Gefüge (Konstellation) 32

Kultur im Textvergleich jedem Text liegen mehr oder weniger vielfache kulturelle Gesamtvorstellungen zugrunde ( kulturelle Konstellationen nach Floros 2003) Kulturelle Konstellationen sind auf die Kultur bezogene Isotopien. diese manifestieren sich im einzelnen Ausdruck (atomistisch) und/oder im Textverlauf (hol-atomistisch, als Isotopie) bzw. wirken als Hypothese der LeserInnen/SprachmittlerInnen zusammenhangbildend (explizit vs. implizit) 33

Kultur im Textvergleich Die Umsetzung ganzheitlicher Zusammenhänge gestaltet sich problematisch bei Übersetzungen insbesondere von literarischen Werken oder filmischen Adaptationen Zusammenhangbildende Hypothesen sind nicht transparent und variieren bei Leser oder Leserin/SprachmittlerIn individuell Die Offenlegung (das transparent machen ) erfolgt über die Konstruktion von aus dem Text abstrahierten übergeordneten Strukturen, sog. Holons. Diese lassen sich visualisieren als thesaurusartige Gefüge. 34

Kultur im Textvergleich: Holon Informationsgliederung Text:Gerzymisch/Will Kulturtransfer oder Voice Over: Informationsstrukturen im gedolmetschten Diskurs 2005 35

Vergleichsstandards Kohärenz, T/R und Isotopie Zur Unterscheidung von Kohärenz, T/R und Isotopie (am Textbeispiel) 36

Vergleichsstandards Kohärenz, T/R und Isotopie Meine Damen und Herren ein Wirtschaftswissenschaftler ich glaube in der heutigen Welt Das bin macht... zu mich und Das Mikrofon ist etwas kurz geraten Ich einer gefährlichen Person 37

Vergleichsstandards Kohärenz, T/R und Isotopie here I think in this world a short microphone an economist that today have am makes me and We I a dangerous person 38

Vergleichsstandard T/R here I think in this world a short microphone an economist that today have am makes me and We I a dangerous person T/R 39

Vergleichsstandard Kohärenz here I think in this world a short microphone an economist that today have am makes me and We I a dangerous person Coherence 40

Vergleichsstandard Isotopie here I think in this world a short microphone an economist that today have am makes me and We I a dangerou s person Isotopy Baseline 1st Level 2nd Level 41

Ergebnis des Vergleichs bezogen auf die Informationsgliederung Für den Vergleich können folgende Aussagen (=Befund) gemacht werden: analoge Übernahme des Themenwechsels, aber unterschiedliches Thema der ersten Äußerung Rhemata in der dritten Aussage enthalten nicht mehr nur neue Informationskomponenten, sondern auch subsidiäre Rhemata Unterschiede auch bei Indikatoren 42

Vergleich bezogen auf die Informationsgliederung Ergebnisse Verdolmetschung: abweichendes Thema in 28 von 64 bzw. 65 Äußerungen häufigstes Thema im englischen Original: 12 x we (44 %) starker Hörer- bzw. Leserbezug häufigstes Thema in der deutschen Verdolmetschung: 9 x es (32 %) inklusives wir im Deutschen nur drei Mal thematisiert geringerer Adressatenbezug Häufigkeit der es -Thematisierung 43

Kulturvergleich und Vergleichsstandard (hier bezogen auf die Informationsgliederung) Zusammenfassung 1. Kultur manifestiert sich in Texten auf allen Ebenen der sprachlichen Betrachtung atomistisch, holistisch und hol-atomistisch. 2. Nur eine Berücksichtigung aller 3 Ebenen führt zu Gesamtaussagen hinsichtlich der Kulturgebundenheit eines Textes. 3. Zum Kulturvergleich in Texten bedarf es eines Vergleichsstandards, der zu formulieren und zu strukturieren ist (holistisch, atomistisch, hol-atomistisch, wobei sich die holistische Perspektive am stärksten auf die Textgestaltung auswirkt. 4. Die Übersetzung von Kultur in Texten erfasst lässt sich über die Phasen Rezeption, Transfer und Reproduktion darstellen 44