Manuskript radiowissen SENDUNG: 01.12.2017 09.05 Uhr / B2 AUFNAHME: STUDIO: NaTe, Biologie Ab 9. Schuljahr TITEL: Der Kanarienvogel Kleiner Vogel Große Stimme AUTORIN: Christina Teuthorn-Mohr REDAKTION: Bernhard Kastner REGIE: Irene Schuck TECHNIK: Monika Gsaenger PERSONEN: Sprecherin: Katja Amberger Zitator: Christian Baumann Overvoice: Carsten Fabian O-TÖNE von: Musik, Atmo Dr. Hans Claßen, Zoologe und Vizepräsident des Deutschen Kanarien- und Vogelzüchter-Bundes; Jochen Klähn, Direktor des Kanarienvogel-Museums in Sankt Andreasberg; Manuel Suárez Jaimez, Kanarienvogel-Händler, Las Palmas de Gran Canaria; Juan José Ramos Melo, Ornithologe, Birding Canarias, Teneriffa.
2 ATMO Vogel-Exkursion Der Ornithologe Juan José Ramos Melo bringt den Exkursionsteilnehmern auf der kleinsten Kanareninsel El Hierro erst einmal bei, richtig zu lauschen. Sie stehen an einem Vulkanhang im dichten Lorbeerwald mit geschlossenen Augen. Nur wer gut hört, sieht später das gefiederte Leben im Wald. Eine Vogelart macht es den Beobachtern dabei besonders leicht: der Kanarengirlitz die Urform des Kanarienvogels und das Natursymbol der Kanarischen Inseln: O-TON Juan José Ramos Melo/OVERVOICE Der Kanarengirlitz ist eine Vogelart, die man sehr leicht erkennt, wenn man etwas Erfahrung dabei hat, in Europa Vögel zu beobachten. Er ist dem Serin, dem Girlitz, sehr ähnlich: sehr klein, grün-gelblich. Die Männchen haben während der Brutzeit eine auffällige, gelbe Brust und Kehle. Vor allem aber singen sie sehr melodisch. Deshalb wurden die Menschen auch schon immer auf sie aufmerksam und haben sie gefangen. Wer im Wald gut hinhören kann, sieht die Männchen sofort auf den hohen Ästen der Bäume sitzen. Der Gesang wiederholt sich und man kann leicht lernen, ihn zu erkennen. ATMO Kanarengirlitz Serinus Canaria ist der wissenschaftliche Name des wilden Kanarienvogels, auf Spanisch heißt er schlicht canario. Er ist eine Art aus der Familie der Finken und Juan José Ramos beobachtet ihn sehr oft in seinen Feldbeobachtungen: In den Lorbeerwäldern, in deren Astgabeln er nistet, aber auch auf den mittleren Höhenlagen der Inseln, wo Bauern Obst und Gemüse anbauen.
3 O-TON Juan José Ramos Melo/OVERVOICE Es ist völlig normal für uns, in diesen Zonen wilde Kanarienvogelschwärme zu sehen. Aber etwas ist neu: Früher war es üblich, die Vögel zu fangen und in Käfige zu stecken und dann weiter zu züchten. Heute ist das streng geregelt. Und davon haben die Wildvogel-Populationen stark profitiert. Meist muss der Ornithologe erst einmal Aufklärungsarbeit leisten. Denn der Name legt zwar, dass der Vogel nur auf den Kanarischen Inseln vorkommt. Doch es ist ein makaronesischer Vogel: Makaronesien ist ein Inselgebiet, das neben den Kanaren auch die Azoren, Kapverden und Madeira umfasst. O-TON Juan José Ramos Melo Estaríamos hablando de un endemismo mácaronésico Der wilde Kanarienvogel kommt etwa zu einem Drittel auf Madeira vor. Schätzungsweise zwei Drittel leben auf den Kanarischen Inseln, mit Ausnahme von Lanzarote und Fuerteventura, erklärt Ramos. Genaue Zahlen, wie viele Wildvögel es insgesamt sind, gibt es nicht. Genauso wenig wie Zahlen der domestizierten Kanarienvögel, die aus den wilden Kanarengirlitzen gezüchtet wurden. O-TON Hans Claßen Zucht Wir haben heute drei große Zuchtbereiche: Das eine ist der Bereich der Gesangskanarien, da gibt es dann wieder mehrere Rassen. Dann ist es der Bereich der Farbenkanarien, mittlerweile ich weiß nicht 400 oder 500 unterschiedliche Farbvariationen und dann diese Gruppe, die man 'Positurkanarien' allgemein nennt, die durch Größe, durch Figur, auch durch Federkleid vom normalen, vom Wildvogel etwas abweichen.
4 Hans Claßen ist promovierter Zoologe, mit Spezialgebiet Ornithologie und als Vizepräsident des Deutschen Kanarien- und Vogelzüchter-Bundes selbst ein begeisterter Züchter. Da der Kanarienvogel seit rund 500 Jahren domestiziert wird, hat er ein sehr weites, vom Menschen ausgewähltes Spektrum an Farben, Formen und Tönen entwickelt. O-TON Hans Claßen Domestikation ist im Prinzip nichts anderes als sagen wir Darwinismus in kurzer und in verkürzter Form. Es überlebten nur die Vögel, die sich den Wünschen des Menschen am besten anpassten: Denn nur sie durften Nachfahren bekommen. Von knallbunt, laut und komplex trällernd, bis hin zu einer krummen, bogenförmigen Körperhaltung: Gezüchtete Haustiere, die in der Wildbahn nur kurzfristig überlebensfähig wären, deren Ziel es ist, ihre Besitzer zu erfreuen. Die bauen oft eine enge Bindung zu den Tieren auf (MUSIK: CD224180 510 [00 38 ]). Der Komponist Georg Philipp Telemann schrieb im 18. Jahrhundert sogar eine Kantate für einen (leider verstorbenen) Kanarienvogel. Etwa 5.500 Kanarienzüchter gibt es in Deutschland, sie ziehen jedes Jahr etwa 50 bis 60.000 Vögel auf (MUSIK ENDE). Auf knapp zwei Millionen schätzt der Deutsche Kanarien- und Vogelzüchterbund die Zahl der Kanarien in Deutschland. Schon Hans Claßens Großvater widmete sich der Zucht. Mit fünf Jahren schenkte ihm sein Onkel sein erstes Kanarienweibchen, mit 16 begann er dann selbst, aktiv und begeistert die Tiere nach seinen Vorstellungen zu vermehren: O-TON Hans Claßen Sie sehen, der Kanarienvogel klar verpaart sich, baut ein Nest, legt Eier, aus den Eiern kommen ganz winzige kleine Vögelchen. Und die werden dann innerhalb von vier Wochen so groß, wie die Eltern sind, und nehmen relativ früh dann
5 Kontakt mit der Pflege auf. Und das ist irgendwo eine Emotion, die man nicht erklären kann, rational erst recht nicht. Der promovierte Zoologe züchtet sogenannte Yorkshire Positur-Kanarien, die besonders groß und aufrecht sind. Die Männchen singen auch, aber der Gesang steht nicht im Vordergrund: O-TON Hans Claßen Die strahlen eine Würde, eine Gelassenheit aus, die fasziniert. ATMO Kanarienvogel im Vogelgeschäft Die Altstadt La Vegueta von Las Palmas auf Gran Canaria. In einem historischen Gebäude, unweit der ältesten Kathedrale der Kanarischen Inseln, hat Manuel Suárez Jaimez die massiven antiken Holz-Flügeltüren seiner Pajarería geöffnet. Innen an den Wänden sind Käfige in sieben Reihen übereinandergestapelt. 90 Paare Kanarienvögel in den buntesten Farben, mit den verschiedensten Größen und Haltungen züchtet er nun schon in der dritten Generation. O-TON Manuel Suárez Jaimez/OVERVOICE Ich mache das schon mein ganzes Leben und bin jetzt 88 Jahre alt. Als den Kanarienzüchter kennen sie ihn hier, den Canaricultor. 1954 eröffnete er sein Geschäft im Herzen grancanarischen Hauptstadt. Und immer noch steht Don Manuel mit leuchtenden Augen in seiner Tierhandlung und kennt jeden seiner 180 Vögel.
6 O-TON Manuel Suárez Jaimez Mit dem cardenalillo fing alles an, sagt Don Manuel und zeigt auf einen kleinen roten Kanarienhahn in einem der Käfige: Dieser hier, sei der entfernte Nachfahre einer Kreuzung aus einem roten venezolanischen Kapuzenzeisig und einer einheimischen Kanarienvogel-Dame. 87 verschiedene Arten an Kanarienvögeln habe er gezüchtet, aber es gebe noch viel mehr. Sein am Besten singender Vogel sei gerade dieses San Mateo -Männchen, die 5. Generation des entfernten Nachfahren des cardenalillos. Um diese weiter zu verbessern, kreuzte er sie erneut mit einem reinen Kapuzenzeisig. Gran Canaria die Wiege der Kanarienzucht. Angeblich hielten bereits die kanarischen Ureinwohner die ersten Vögel in Holzkäfigen, begeistert von deren Gesang und ihrer Farbe. Die spanischen Eroberer nahmen sie dann mit aufs Festland, züchteten sie in Klöstern und verkauften sie teuer als Luxusartikel (MUSIK: priv. CD A piece without title aus Göran Söllscher: The Renaissance Album [00 45 ]). Im 16. Jahrhundert beschreibt der Arzt und Naturforscher Conrad Gessner, einer der Begründer der modernen Zoologie, den Kanarienvogel als : ZITATOR (Conrad Gessner) Kleinen Zuckervogel. In seiner Geschichte der Tiere beschreibt er dessen Reise von den Kanaren bis nach England und Deutschland: ZITATOR (Conrad Gessner) Das Vögelchen canaria wurde von Kaufleuten von den Kanaren herbeigebracht und es wird im allgemeinen avicula saccharia, Zuckervögele genannt. Goldvögelchen, uccello d oro, wird er von den Italienern genannt. Vögelchen, an der Brust goldfarben. Sie werden in Käfigen ernährt wegen des Gesangs.
7 MUSIK: NC02157 008 (00 55 ) Schon 1485 begannen spanische Mönche, auf Gran Canaria den Vogel zu züchten. Sie verkauften nur die singenden Männchen und behielten so lange ihr Monopol auf die Kanarienzucht. Europäische Fürstenhöfe setzten zum Teil hohe Belohnungen aus, um an Weibchen zu kommen jedoch ohne Erfolg. Die Klöster der spanischen Mönche wurden umlagert, in der Hoffnung, an ein entflogenes Weibchen zu kommen. Der Abt eines österreichischen Kapuzinerklosters in Imst beschloss schließlich, zu anderen Methoden zu greifen: Ende des 17. Jahrhunderts schickte er fünf junge Burschen los, die in geheimer Mission in ein spanisches Kloster eintraten und einige Kanarien nach Imst entführten (MUSIK ENDE). Auch die Engländer hatten über ihre Handelsschiffe inzwischen geheim Kanarien aus Spanien importiert Elisabeth I. verschenkte Nachkommen der Tiere an ihre Untertanen. Doch gerade in Imst florierte die Kanarienvogelzucht bis ins 18. Jahrhundert hinein. Vor allem Bergleute, die Silber förderten, verdienten sich mit den Vögeln ein Zusatzeinkommen. Vogelhändler brachten die gezüchteten Kanarienvögel in alle Welt sie wanderten schwer bepackt durch Europa, mit Tragegestellen auf dem Rücken, in die bis zu 200 Vögel passten. Die Vogelhändler wurden sehnsüchtig erwartet und gefeiert, wenn sie kamen (MUSIK: M0005880 016 [00 30 ]). Der Vogelhändler Adam aus Tirol ist die Hauptrolle in Carl Zellers Operette Der Vogelhändler, uraufgeführt 1891. Sie gilt als Inbegriff der deutsch-österreichischen Heimatoperette und erzählt aus der Zeit der Tiroler Kanarienvogelzucht im 18. Jahrhundert (MUSIK: MR000580 205 [00 20 ]). Der einfache Vogelhändler singt hier mit der Kurfürstin. In kaum einem europäischen Adelshaus durften Kanarien fehlen. Auch der russische Zar Alexander II. war ein Fan der Vögel, erklärt Jochen Klähn, Direktor des Kanarienvogel-Museums im Harzer Sankt Andreasberg:
8 O-TON Jochen Klähn Denn der Zar war ein großer Liebhaber. Der Zar selbst hatte vor seinem Peterhof zwei Käfige gehabt, die einen Durchmesser 10 Mal10 Meter sind, die heute noch dort stehen, die früher voller Harzer Roller waren. Der hat Käufer nach Andreasberg geschickt, um die Vögel hier bei uns zu kaufen. Die Reichen, die sich ihre Singvögelchen in goldenen Käfigen hielten und die Armen, die sie fingen oder züchteten dieser Standesunterschied inspirierte auch Wolfgang Amadeus Mozart. 1791, also schon 100 Jahre vor Zellers Operette, inszenierte er seine Oper Die Zauberflöte mit der schillernden Figur des Vogelfängers Papageno (MUSIK: SC008250 010 [00 20 ]). Mozart war in der Salzburger Getreidegasse mit Singvögeln und Kanarienvögeln aufgewachsen. Die Kanarien aus Tirol und Italien kaufte man beim Vogelhändler, die heimischen Singvögel beim Vogelfänger. Mozart hielt sich als Erwachsener selbst Kanarienvögel als Haustiere (MUSIK ENDE). Davon inspiriert widmete er diesem Vogel in den Deutschen Tänzen auch noch ein eigenes Trio (MUSIK: M0041467 105 [00 20 ]). Doch kurz vor seinem Tod ging ihm der Gesang derart auf die Nerven, dass er den Kanarienvogel aus dem Sterbezimmer bringen ließ (MUSIK ENDE). Von der goldenen Zeit der Kanarienvögel profitierte ganz besonders eine deutsche Region: Sankt Andreasberg im Harz. Der Ort hat diesen Vögeln ein eigenes Museum gewidmet. Es zeigt deren Geschichte und Haltung. Und auch, wie sie von Imst in Tirol in den Harz kamen. Museumsdirektor Jochen Klähn: O-TON Jochen Klähn Die haben 1730 einen großen Brand gehabt, dort ist fast der ganze Ort abgebrannt. Die Bergleute sind abgewandert und haben ähnliche Orte gesucht, das war Andreasberg und haben damals den Vogel mitgebracht, als fast grünen Vogel. Und die Bergleute in Andreasberg haben da Gefallen dran gefunden und haben den Vogel gezüchtet, und durch Kreuzung haben sie daraus erst den richtigen gelben Vogel gezüchtet. Dann haben wir einen Züchter gehabt, das war
9 Wilhelm Trute, der hat dem Vogel einen neuen Gesang, einen rollenden Gesang beigebracht. Deshalb heißt der Vogel Harzer Roller. ATMO Harzer Roller Zu hören ist hier ein Harzer Edelroller mit einem - wie man das in der Fachsprache nennt - sehr guten Hohl, sowie einem deutlichen Hohlklingeln und schön abgesetztem Pfeifen. Der Kanarienzüchter Norbert König hat diese Hörprobe aufgenommen. Für den Laien ist es schwer, den Gesang zu beurteilen. 30 Preisrichter in Deutschland können es. Im Gegensatz zu den anderen beiden Rassen der singenden Kanarienvögel den Wasserschlägern und den Timbrados, singt der Harzer Edelroller leiser und raffinierter. Er ist sozusagen der Opernstar unter den Vögeln. Und nur ihn ertrage man auch in der Wohnung, sagt Museumsdirektor Jochen Klähn: O-TON Jochen Klähn Ja, er singt erstmal mit geschlossenem Schnabel. Wenn ein Vogel, also ein Harzer Roller mit offenem Schnabel singt, ist das ein minderwertiger Gesang. Sein Gesang selbst ist leise, tief und sehr angenehm zu hören. Im Gesang selbst sind acht verschiedene Gesangsarten vertreten: Das ist die Hohlrolle, die Knorre, die Wasserrolle, die Schocke, die Hohlklingel, die Glucke, Pfeife und die Klingeltouren. Das muss alles in einem Gesang drin sein. ATMO Harzer Roller 20 lebende gelbe Harzer Roller singen auch im Kanarienvogel-Museum. Und natürlich sind einige Dokumente dem Gesangslehrer ihrer Vorfahren, Wilhelm Trute, gewidmet. Beispielsweise die Beschreibung eines Zeitgenossen von dessen Zucht:
10 ZITATOR Vom Hausflur aus trat man links in eine größere Stube. Hier hatte der alte Trute sein eigenes Material, von welchem nur höchstselten ein Vogel verkauft wurde. Wer aus dieser Stube einen Vogel bekam, hatte viel Glück. In der Stube rechts vom Hausflur hatten die Trutes in Regalen die Verkaufsvögel; im Übrigen wurde sie als Abhörzimmer benutzt. Eine Treppe hoch, also im Dachstuhl, war ein Zimmer ebenfalls mit Hecke eingerichtet, sonst diente es zur Überwinterung der Weibchen. Nachdem Trute seinen eigenen Bedarf an Weibchen gewählt hatte, konnten die Käufer unter den anderen wählen. Jochen Klähns Vater hat ein Grubengebäude der Andreasberger Grube Samson in ein Bergwerks-Museum verwandelt. Inzwischen leitet er es und hat es um ein Kanarienvogel-Museum ergänzt hat: zwölf Räume in drei Stockwerken sind dem Harzer Roller und seinen Vorfahren gewidmet und erzählen unter anderem, dass sie im Bergwerk Lebensretter waren. In Andreasberg nahmen Bergleute sie mit hinab in 800 Meter Tiefe, denn auch im Dunkeln sangen sie. Wenn sie aufhörten und unruhig wurden, wussten die Arbeiter, der Sauerstoff wurde knapp und sie mussten raus. Doch die Vögel warnten nicht nur vor Sauerstoffmangel, sondern auch vor Kohlenmonoxid-Vergiftungen: Im Ruhrgebiet etwa wurden die Kanarien eingesetzt, um giftige Grubengase festzustellen, denn sie reagieren 16 Mal empfindlicher als Menschen (MUSIK: priv. CD Variation über einen Walzer von A. Diabelli c-moll, D 718 aus Franz Schubert: Tänze des Biedermeier [00 50 ]). Über 350 Familien lebten zur Blütezeit in Andreasberg von der Kanarienzucht. Großhändler exportierten in die USA. Alleine 1896 schickten sie 120.000 Vögel über den Atlantik. Tischlereien fertigten Vogelkäfige an etwa 10 Pfennig bekamen die Handwerke für die 60 Einzelteile. Ende des 19. Jahrhunderts beschreibt der Komponist und Schriftsteller Richard Metzdorf die Blütezeit der Zucht des Harzer Rollers:
11 ZITATOR (Richard Metzdorf, 1886) Es gibt wohl keinen Platz der Erde, wo auf so kleinem Raum so viele und so verschiedene Kanarienvögel gezüchtet werden als in Sankt Andreasberg. Dieser liebliche Sänger, dessen züchterische Entwicklung sich unwiderruflich an das Harzer Bergstädtchen knüpft. MUSIK ENDE Der Erste Weltkrieg beendete die goldene Ära der Zucht des Harzer Rollers in Andreasberg. Das Futter konnte nicht mehr aus Nordafrika importiert werden und Eier, die man für die Zucht der gelben Farbe brauchte, wurden knapp. Der Bergbau in Andreasberg kam 1910 zum Erliegen, die Armut in der Region wuchs. Versuche, die Zucht später wiederzubeleben, scheiterten. Heute gibt es in Andreasberg gerade mal zwei Züchter, die etwa 30 bis 40 Harzer Roller im Jahr verkaufen, sagt Klähn. Es sei heute schwer, die Vögel als Haustiere zu verkaufen. Erst vertrieb der beliebte Wellensittich den Kanarienvogel aus den heimischen Wohnzimmern und heute interessiere sich die Computer begeisterte Jugend gar nicht mehr für Vögel. Nur vereinzelt fragen ihn ältere Menschen, wo sie Kanarien bekommen. Der Museumsdirektor ist überzeugt: Die Zucht des berühmten Harzer Rollers und der singenden Kanarienvögel stirbt langsam aber sicher aus: O-TON Jochen Klähn Die geht dem Ende entgegen, ja. Wir sind merken das schon bei uns im Verein, das sind alles ältere Leute, da sind noch zwei, drei junge dabei, und jedes Jahr werden es weniger. Es gibt noch einen Weltverband, es gibt auch die Deutsche Meisterschaft, die wird in Bad Salzuflen wird die jedes Jahr durchgeführt Ende des Jahres, und dort werden immer so einige 100 Vögel eingeliefert, aber das wird auch von Jahr zu Jahr weniger. Es werden auch viel mehr andere Vögel gezüchtete, Positur-Kanarien, die aber nicht so schönen Gesang haben wie der
12 Harzer Roller, weil der Harzer Roller selbst ja viel Arbeit macht. Denn der Vogel selbst muss das Singen ja immer noch lernen. ATMO Kanarienvogel-Geschäft Für 120 Euro verkauft Manuel Suárez Jaimez auf Gran Canaria seine besonderen Züchtungen. Doch auch er merkt, dass das Interesse nachlässt. Seine Hauptkunden sind ältere Damen, die einen singenden, männlichen Vogel suchen, um etwas weniger einsam zu sein. Dabei ist die Zucht nach wie vor sehr aufwändig: O-TON Manuel Suárez Jaimez/OVERVOICE Man braucht einen Spezialkäfig mit Abtrennung: In den einen Teil setzt man das Männchen, in den anderen das Weibchen. Wenn wir sehen, dass sie sich zum Schlafen sehr nah aneinanderlegen, bringen wir sie zusammen. Nach etwa acht bis zehn Tagen gibt man ihnen ein Nest. Jedes ihrer vier-fünf Eier nimmt man ihnen weg, und gibt ihnen am Schluss alle zusammen, damit sie sie gleichzeitig ausbrüten. Nach 13 Tagen schlüpfen die Vögelchen, nach einem Monat sind sie erwachsen. Und sie können 15 Jahre alt werden. Aber man muss sie immer im Käfig halten, in Freiheit könnten sie nicht überleben. Die Singvögel kommen schließlich in eine Gesangsschule, um von CD oder sehr guten Artgenossen ihr Lied zu lernen. Wilde und gezüchtete Kanarienvögel erkenne man daher ganz leicht am unterschiedlichen Gesang, erklärt Don Manuel und macht sie beide vor: erst den Gezüchteten, dann den wilden der sehr viel monotoner klingt:
13 O-TON Manuel Suárez Jaimez Don Manuel in Las Palmas de Gran Canaria hat sich auch der Zucht von Positur- Kanarien verschrieben. Stolz zeigt er auf ein Plakat eines Wettbewerbs an der Wand hinter der Kasse, auf dem einer seiner Zuchtvögel abgebildet ist, mit sehr schräg gehaltenem Kopf. Für die Züchtungen aus Deutschland hat der Canaricultor nicht viel übrig: O-TON Manuel Suárez Jaimez/OVERVOICE In Deutschland gibt es keine Vögel, die uns gefallen, da kaufen wir auch keine zu. Ein richtiger Kanarienvogel muss so aussehen wie diese hier bei uns. Er hat vielleicht einen gelben Bauch. Aber ein durch und durch gelber Kanarienvogel, das ist kein Kanarienvogel mehr.