5 Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung... 11 Einführung... 13 Privatrecht Öffentliches Recht... 13 Europäische Privatrechtsgeschichte... 13 Heimisches und Deutsches Recht, Römisches und Gemeines Recht, Kanonisches Recht, Naturrecht... 15 1 Das Mittelalter... 17 1.1 Die heimischen Rechte... 17 1.1.1 Gewohnheitsrecht... 17 1.1.2 Rechtskreise... 18 1.1.2.1 Arten... 18 1.1.2.2 Formale Abgrenzung, materielle Übereinstimmung... 20 1.1.3 Europäische Rechtsgebiete... 21 1.2 Das Deutsche Recht... 22 1.2.1 Erscheinungsformen... 22 1.2.2 Typisierung und Begrifflichkeit... 24 1.2.3 Grundsätze... 24 1.2.3.1 Publizität... 24 1.2.3.2 Funktionalität... 25 1.2.3.3 Gemeinschaftsbezug... 27 1.2.3.4 Sachbezug... 28 1.2.4 Dogmatische Beispiele... 28 1.2.4.1 Sachenrecht... 28 1.2.4.2 Lebensgemeinschaften... 30 1.2.4.3 Ehegüterrecht... 32 1.2.4.4 Erbrecht... 34 1.3 Die gelehrten Rechte... 35 1.3.1 Der Anknüpfungspunkt: Das justinianische Recht... 36
6 Inhaltsverzeichnis 1.3.2 Oströmisches Reich: Byzantinisches Recht... 36 1.3.3 Weströmisches Reich und Nachfolgestaaten: Vulgarrecht, Volksrechte, Langobardische Rechtsschule... 37 1.3.4 Die Entstehung der mittelalterlichen Rechtswissenschaft... 38 1.3.4.1 Geistesgeschichtliche Bedingungen... 38 1.3.4.2 Politische Bedingungen... 39 1.3.5 Die Lehre vom Gemeinen Recht: Die Legistik... 40 1.3.5.1 Glossatoren und Kommentatoren... 41 1.3.5.2 Rechtsschöpfung der Legisten: Dogmatische Beispiele... 42 1.3.6 Die Lehre vom Kanonischen Recht: Die Kanonistik... 44 1.3.6.1 Das Corpus Iuris Canonici... 45 1.3.6.2 Dekretisten und Dekretalisten... 46 1.3.6.3 Rechtsschöpfung der Kanonisten: Dogmatische Beispiele 47 1.3.7 Wege und Mittel der Ausbreitung... 49 1.3.8 Die deutsche rechtswissenschaftliche Produktion... 52 1.3.9 Die Gelehrten Rechte und das Rechtsleben... 53 1.4 Rechtsbücher, Weistümer und frühe Gesetze... 54 1.4.1 Die Rechtsbücher... 54 1.4.1.1 Wesen... 54 1.4.1.2 Außerdeutsche Rechtsbücher... 55 1.4.1.3 Deutsche Rechtsbücher... 55 1.4.1.4 Bedeutung und Umfeld... 57 1.4.2 Die Weistümer... 58 1.4.3 Die Anfänge des Gesetzesrechts... 59 1.5 Regionale Rechtsfamilien... 61 2 Das Common Law... 63 2.1 Entstehung... 63 2.2 Wesen... 64 2.3 Dogmatische Beispiele... 66 2.3.1 Liegenschaftsrechte... 66 2.3.2 Miteignerschaften (co-ownerships)... 67 2.3.3 Trust (uses)... 67 2.3.4 Sicherungsrechte... 70 2.3.5 Ehegüterrecht... 70 2.3.6 Erbrecht... 71 2.4 Ausbreitung... 71
Inhaltsverzeichnis 7 3 Die Frühe Neuzeit... 73 3.1 Der juristische Humanismus... 73 3.2 Die sogenannte Rezeption... 75 3.2.1 Bedingungen... 75 3.2.2 Wesen... 75 3.2.3 Juristenstand... 77 3.2.4 Folgen... 78 3.3 Die Nationalisierung des Gemeinen Rechts... 79 3.3.1 Die Dominanz des nationalen Anteils... 79 3.3.2 Der wissenschaftliche Rechtsdualismus im Römisch-Deutschen Reich... 80 3.4 Kanonisches Privatrecht: Eherecht... 81 3.4.1 Katholische Gebiete... 81 3.4.2 Evangelische Gebiete... 81 3.4.3 Unterschiedliches Eherecht... 82 4 Das Ius Romano Germanicum... 83 4.1 Geltungsregeln... 83 4.1.1 Die subsidiäre Geltung des Gemeinen Rechts... 83 4.1.2 Die punktuelle Geltung des Gemeinen Rechts... 84 4.2 Rechtswissenschaft... 84 4.2.1 Wesen... 84 4.2.2 Einzelne Zweige und ihre Vertreter... 85 4.3 Gesetzgebung... 87 4.3.1 Reichsgesetzgebung... 88 4.3.2 Landesgesetzgebung... 88 4.3.3 Städtische Gesetzgebung... 89 4.4 Wissenschaftliche Ergebnisse: Dogmatische Beispiele... 89 4.4.1 Gemeinrechtliche Institute... 89 4.4.2 Mischformen... 91 4.4.3 Neukonstruktionen... 91 4.5 Vertrags- und Gerichtspraxis... 92 4.5.1 Rasche Aufnahme... 92 4.5.2 Zögernde oder teilweise Aufnahme... 93 4.5.3 Modifikation... 94 4.5.4 Ablehnung... 94
8 Inhaltsverzeichnis 5 Das Skandinavische Recht... 97 5.1 Entstehung und Entwicklung... 97 5.2 Wesen... 99 5.3 Dogmatische Beispiele... 100 6 Das Naturrecht... 103 6.1 Wesen... 103 6.2 Allgemeine Wirkungen... 104 6.3 Vertreter... 105 6.4 Rechtserneuerung: Dogmantische Beispiele... 106 6.4.1 Rationale Systematisierung... 106 6.4.2 Inhaltlicher Einfluss... 106 7 Die naturrechtlichen Kodifikationen... 109 7.1 Allgemeines... 109 7.2 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR)... 110 7.3 Der Code Civil Frankreichs... 112 7.3.1 Entstehung und Charakteristik... 112 7.3.2 Geltungsgebiet, Ausstrahlungen... 113 7.4 Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch Österreichs (ABGB)... 114 7.4.1 Umfeld... 114 7.4.2 Entwicklung... 115 7.4.3 Bedeutung... 117 7.4.4 Gliederung, Inhalt, Charakter... 117 7.4.5 Geltungsgebiet, Ausstrahlungen... 119 7.4.6 Rechtserneuerung: Dogmatische Beispiele... 120 7.4.7 Offene Rechtsfortbildung: Authentische Interpretationen... 120 7.4.8 Wirkungen in der Praxis... 121 8 Die europäischen Privatrechtsfamilien um 1800... 123 9 Kodifikationsgebundene Rechtswissenschaft... 127 9.1 Die Exegetische Schule des ABGB... 127 9.1.1 Begründung und Wesen... 127 9.1.2 Verdeckte Rechtsfortbildung: Dogmatische Beispiele... 129 9.2 Die italienisch-österreichische Jurisprudenz... 130 9.3 Die Exegetische Schule des Code Civil... 131
Inhaltsverzeichnis 9 10 Die Historische Rechtsschule... 133 10.1 Vorbemerkung... 133 10.2 Begründung und Wesen... 133 10.3 Die Pandektistik... 135 10.4 Die Germanistik... 136 10.5 Verbreitung... 137 10.5.1 Gebiete ohne moderne Kodifikation... 137 10.5.2 Kodifikationsgebiete: Österreich als Beispiel... 138 10.5.3 Europa und Übersee... 139 10.6 Ergebnisse... 139 10.6.1 Allgemeine Ergebnisse... 139 10.6.2 Dogmatische Veränderungen... 141 11 Die pandektistischen Kodifikationen... 143 11.1 Allgemeines... 143 11.2 Deutscher Bund Deutsches Reich... 143 11.2.1 Entwicklung... 143 11.2.2 Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich (BGB)... 144 11.2.3 Rechtsvereinheitlichung: Dogmatische Beispiele... 145 11.3 Schweiz... 147 11.3.1 Entwicklung... 147 11.3.2 Das Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB)... 147 11.3.3 Rechtsvereinheitlichung: Dogmatische Beispiele... 148 11.4 Österreich... 149 11.4.1 Entwicklung... 149 11.4.2 Die drei Teilnovellen 1914, 1915 und 1916... 150 11.4.3 Rechtserneuerung: Dogmatische Beispiele... 150 12 Reaktionen auf Pandektistik und Germanistik... 153 12.1 Interessen- und Wertungsjurisprudenza... 153 12.2 Naturalistische Strömungen... 154 12.3 Freie Rechtsschule... 154 12.4 Rechtstatsachenfoschung... 155 12.5 Korrekturen durch Einzelgesetze... 156
10 Inhaltsverzeichnis 13 Privatrecht totalitärer Staaten... 159 13.1 Allgmeines... 159 13.2 Nationalsozialismus und Privatrecht... 160 13.2.1 Theoretische Grundlagen, Institutionen... 160 13.2.2 Praktische Umsetzung... 161 13.2.3 Dogmatische Beispiele... 163 13.3 Sozialistischer Rechtskreis: DDR und Privatrecht... 164 13.3.1 Theoretische Grundlagen... 164 13.3.2 Praktische Umsetzung... 165 13.3.3 Dogmatische Beispiele... 165 14 Dekodifikation und Rekodifikation... 167 14.1 Allgemeine Entwicklung... 167 14.2 Die Reformmaterien... 168 14.3 Dogmatische Beispiele... 170 15 Die europäischen Privatrechtsfamilien um 2000... 171 15.1 Kontinentaleuropa... 171 15.2 Skandinavischer Rechtskreis... 172 15.3 Sozialistischer Rechtskreis... 172 15.4 Common Law... 173 Quellenteil... 175 Quellenübersicht... 175 Literatur... 257 Abkürzungen... 265 Abbildungsverzeichnis... 267 Sach- und Personenregister... 269
17 1 Das Mittelalter 1.1 Die heimischen Rechte 1.1.1 Gewohnheitsrecht Das soziale Leben des Mittelalters lief in überschaubaren Gemeinschaften ab und war daher nur selten anonym. Der Bauer in der dörflichen Gemeinschaft und der Bürger in der Stadt lebten auf engstem Raum. Die Bauern einer Grundherrschaft, selbst wenn sich diese in Streulage befand, vereinigte die jährliche Zusammenkunft als Gerichtsgemeinde (Thing, Taiding). Fernkaufleute begegneten einander auf den entsprechenden Märkten und Messen. Den Adel verbanden verwandtschaftliche Verbindungen zwar oft über weite Strecken; Heiraten, Hoftage und Kriegszüge führten aber die adelige Verwandtschaft zusammen. Sieht man von Fernkaufleuten und Adel ab, waren alle Gemeinschaften kleinräumig, die Mobilität der Menschen zudem gering; man kannte einander oder sah die Tätigkeit der Mitmenschen. So lebte man sich gegenseitig vor, was Recht ist. Rechtsfolgen waren aus erlebtem oder mitverfolgtem Beispiel bekannt, auch von erfahrenen Mitmenschen zu erfragen. Dazu kam die Statik der weitaus überwiegenden Naturalwirtschaft: Das Recht änderte sich wenig und es ergab sich ein nur geringer Bedarf an eher einfachen Rechtsinstitutionen. Der gesamte rechtliche Erfahrungsschatz blieb im Wesentlichen überschaubar. Das mittelalterliche Recht, vor allem das Privatrecht, war grundsätzlich ein weitestgehend gelebtes Recht, seinem Wesen nach also Gewohnheitsrecht: Es war nicht das Produkt einer Obrigkeit, sondern der Gemeinschaft für sich selbst. Es prägten die Gewohnheiten das Recht, dieses die Gewohnheiten; das Handeln und sein Einstufen als Recht standen zueinander in Wechselwirkung aufgrund des Herkommens, der Überlieferung, der Erfahrung. Als derart immer wieder vorgelebtes Recht aller läuft ihm die soziale Wirklichkeit nicht davon, das Recht ist mit ihr prinzipiell identisch. Dieses Gewohnheitsrecht bedurfte nicht unbedingt der Aufzeichnung; umso mehr aber verlangte der einzelne Rechtsakt nach einer plastischen Form: Was als Recht geschah, musste sichtbar, weil erfahrbar sein sowohl um seiner selbst willen wie auch als immer wiederkehrende Dokumentation der Verwirklichung der Rechtsordnung zum Zwecke ihrer Bewahrung und Weitergabe.
18 Das Mittelalter 1.1.2 Rechtskreise 1.1.2.1 Arten Rechtserzeugende bzw. rechtsbewahrende Gemeinschaften bestanden in überaus großer Zahl und auch in sehr unterschiedlicher Ausformung. Es gab vor allem die zahlreichen Dorfgemeinschaften und die selteneren Stadtgemeinschaften. Dörfer und Einzelgehöfte verband zudem die Grundherrschaft. Zwischen diesen Gemeinschaften verstreut lagen die Herrschaftssitze des Adels, die Burgen, die mit Gefolgschaft und Gesinde gleichfalls eigene Gemeinschaften bildeten. Unabhängig hievon existierten die kirchlichen Gemeinden, die Klöster vor allem, und der weltliche Klerus. Jede dieser Gemeinschaften bildete ihren eigenen Gewohnheits-Rechtskreis, sodass einzelne Rechtskreise zu unterscheiden sind. Landrecht war das Recht eines bestimmten Landes (im verfassungsrechtlichen Sinne) wie z. B. das Landrecht von Österreich oder einer bestimmten Region wie z. B. in Frankreich der Normandie, in Dänemark von Jütland. Im Sinne des Territorialitätsprinzips handelte es sich um ein flächenmäßig orientiertes Recht und löste als solches das ältere, dem Personalitätsprinzip verbundene Stammesrecht ab, wie etwa das der Bayern, festgehalten in der Lex Baiuvariorum 743/44. Landrecht war die grundsätzliche Rechtsordnung des Landes bzw. der Region. Da ihm manche der folgenden Rechtskreise vorgingen, galt es oft nur subsidiär nach diesen. So wurde es reduziert vom Hofrecht vielfach auf die freie und vom Stadtrecht auf die nicht-städtische Bevölkerung, somit auf das Recht vor allem des Adels. Wo es allerdings keine Grundherrschaften und somit kein Hofrecht gab, wie in skandinavischen Gebieten, war das Landrecht schlechthin der außerstädtische Rechtskreis. Hofrecht war das Recht in der Grundherrschaft. Vor allem im Römisch-Deutschen Reich bestanden mit den zahlreichen Grundherrschaften unzählige Hofrechte. Nach Hofrecht lebte überwiegend die unfreie Bevölkerung, nämlich die grunduntertänigen Bauern. Es konnte aber auch das Recht der freien Bauern sein wie in Tirol (z. B. Kitzbühel) und Vorarlberg (z. B. Blumenegg). Es war damit vielfach der quantitativ wichtigste Rechtskreis. Jedenfalls war Hofrecht zum Teil auch das Recht des (adeligen und daher freien) Grundherrn. Stadtrecht galt im Bereich der Stadt und war somit das Recht der freien, d. h. der nicht grunduntertänigen, städtischen Bevölkerung. Wie die einzelne Grundherrschaft besaß auch jede Stadt ihr Recht. So existierten beispielsweise Stadtrechte der Reichsstädte wie Nürnberg, der königlichen Städte wie Stockholm, der landesfürstlichen Städte wie München, der oberitalienischen Stadtstaaten, auch von grundherrlichen Städten wie dem oberösterreichischen Eferding.
Die heimischen Rechte 19 Lehensrecht stellte einen Rechtskreis anderer Art als die bisherigen dar, da es keine primäre Lebensordnung einfing, sondern zusätzlich zu einem der anderen Rechtskreise hinzutrat. Es regelte das Lehensverhältnis zwischen Lehensherrn und Lehensmann. Dieses konnte ursprünglich nur zwischen Adeligen bestehen, späterhin auch städtische Patrizier miteinbeziehen: Beim Adel bildete es somit eine Ergänzung zum Landrecht, bei Bürgern zum Stadtrecht. Lehensrecht war aber primär Adelsrecht und hatte als solches im Mittelalter verfassungsrechtliche Bedeutung insoferne, als es die diversen Herrschaftsebenen miteinander feudal-hierarchisch verknüpfte oft auch außenpolitisch manche Königreiche. Da das Lehensgut ein besonderes Leiheobjekt darstellte, hatte Lehensrecht auch privatrechtsähnliche Bedeutung. Als in der Neuzeit die verfassungsrechtliche Funktion des Lehensrechts allmählich zurücktrat, wurde das Lehensrecht zu einem Sonderprivatrecht, bis es im 19. Jahrhundert schließlich verschwand. In England ging es im Common Law auf. Dienstrecht war dem Hofrecht insoferne verwandt, als es in ähnlicher Weise das Recht abhängiger Personen festlegte, allerdings nicht von Bauern, sondern der Dienstmannen (Ministerialen) der weltlichen oder geistlichen Fürsten, d. h. von bestimmten Funktionsträgern wie Verwaltern aller Art und insbesondere Rittern eben oft den Bewohnern von Burgen. Im 13. Jahrhundert gingen allerdings die Ministerialen im Adel auf, das Dienstrecht spielte hinfort keine Rolle mehr. Die einzelnen Rechtskreise umschlossen nicht nur das Privatrecht, sondern ebenso Straf-, Verwaltungs- und Steuerrecht; vor allem Land-, Lehen- und Stadtrecht enthielten auch Verfassungsrecht. Diese Teile sind zwar wenig voneinander abgehoben, allerdings in ihren Unterschieden erkennbar. Die maßgebenden Rechtskreise für die Entwicklung des Privatrechts sind die des Landrechts und des Stadtrechts, da sie in Rechtsbüchern umfassend aufgezeichnet wurden. Das geschah oft in vielen Handschriften, womit sie weite Verbreitung fanden (siehe unten S. 56, 58.). Die Masse der Bevölkerung lebte allerdings nach Hofrecht. Im Spätmittelalter wurde auch dieses, und zwar in Weistümern (siehe unten S. 58f.) schriftlich festgehalten, die allerdings nur lokale Bedeutung besaßen. Weitere Rechtskreise bildeten im Römisch-Deutschen Reich das Reichsrecht, welches jedoch mit seinen Privilegien und Königswahlordnungen vornehmlich das Verfassungsrecht und mit Landfrieden Straf- und Verwaltungsrecht, kaum aber Privatrecht betraf; ferner das Kanonische Recht, das freilich nicht zum Gewohnheitsrecht gehört (siehe daher unten S. 53), aber manche Privatrechtsbeziehung wie allen voran das Eherecht bestimmte.
20 Das Mittelalter 1.1.2.2 Formale Abgrenzung, materielle Übereinstimmung Land-, Hof- und Stadtrecht waren Rechtsordnungen wichtiger Herrschaften, nämlich der Landes-, Grund- und Stadtherrschaft. Sie sind somit in besonderer Weise auch deren Kennzeichen: Dem Lande Österreich gehörte an, wer nach österreichischem Landrecht, der Herrschaft Greifenstein, wer nach deren Hofrecht, der Stadt Padua, wer nach ihrem Stadtrecht lebte dies war in Urkunden über einzelne Rechtsgeschäfte festgehalten: wie es Recht des Landes Österreich ist. Ein Wandel derartiger Urkundsformeln lässt stets auf eine Veränderung von Herrschaftsverhältnissen schließen. Mit dem Auftreten der Formel wie es Recht des Landes ob der Enns ist anstelle wie es Recht im Machland ist wird sichtbar, dass dieses nun zum Land ob der Enns (Oberösterreich) gehört. Jedenfalls verdeutlichen derartige Formeln das Bewusstsein, rechtens zu handeln. Mit der Unterscheidung etwa in schwäbisches und bayerisches Landrecht oder in dieses und Münchener Stadtrecht ist aber keineswegs gesagt, es handle sich um inhaltlich (materiell) unterschiedliches Recht. Die einzelnen Herrschaften lagen in Nachbarschaft neben, ja oft in Gemengelage ineinander, zwischen ihnen gab es nachbarschaftliche Beziehungen. So erfolgte der Wandel der eben erwähnten Urkundsformeln ohne eine Änderung des Urkundeninhalts, was zeigt, dass der Scheidung in die einzelnen Rechtskreise gleicher, aber auch unterschiedlicher Art primär Formales anhaftete. Die Formen der Teilung mit bzw. ohne Verzicht sind nach österreichischem und steirischem Landrecht und Wiener Stadtrecht gleich, wie es deren sich ergänzende Regelungen zeigen (Q. 1, S. 177). Es war nicht nur der Ankauf eines Weingartens außerhalb der Stadt Wien durch einen hier ansässigen Bürger kein Problem kollidierender fremder Rechte man schloss ab, wie es Recht im Lande Österreich und der Stadt zu Wien ist, es konnten auch ohne Schwierigkeiten Verträge abgeschlossen werden nach dem Landrecht von Österreich, Steyer, Kärnten und Tirol oder nach dem Rechte von Wien und Nürnberg die eben alle so gut wie identisch waren. Überdies standen nahezu alle Herrschaften außer in nachbarschaftlichen auch in hierarchischen Beziehungen zueinander: Die Grund- und Stadtherrschaften waren zum Land, die Länder zum Römisch-Deutschen Reich, Landschaften zum Königreich Frankreich oder Schweden vereinigt, und zwar in der spezifischen Art des Feudalismus. Das bedeutet, dass diese Herrschaften über bestimmte Personen verknüpft waren. Schematisch besehen lässt sich die feudal-hierarchische Verknüpfung wie folgt charakterisieren: Die Bauern waren unter ihrem Grundherrn einem Adeligen oder einem Kloster in der Grundherrschaft verbunden; die Grundherren bildeten zusammen mit Vertretern der Städte und Märkte unter einem Fürsten die Landesherrschaft; sämtliche Fürsten und der jeweilige König verkörperten die Zentralgewalt.
Die heimischen Rechte 21 Durch die nachbarschaftliche Gemengelage und die feudale Verknüpfung standen somit die einzelnen Rechtskreise meist in engsten Beziehungen, beeinflussten einander, auch ergänzte das Recht des einen oft das des anderen Rechtskreises. So standen vor allem die adeligen Grund- und Stadtherren einerseits im Land- und Lehenrechtskreis, aber auch im Hof- bzw. Stadtrechtskreis oder in diesen allen, falls sie, wie insbesondere die Fürsten, mehrfach Grund- und Stadtherren waren. Rechtsvorstellungen wurden aus einem in andere Rechtskreise weitergegeben, und zwar ganz besonders im rechtsgeschäftlich orientierten Privatrecht. So lässt sich nachweisen, dass die Bezeichnung Widerlegung für eine Heiratsgabe von hochadeligen über adelige in bürgerliche Eheverträge Wiens Eingang fand. Auch sind die spezifischen Miteigentumsformen des Mittelalters in den Grundbüchern Wiens (Q. 7, S. 189, Q. 12, S. 196), in ländlichen Rechtsquellen (Q. 14, S. 202) und im Lehensrecht zu finden. Die Vielzahl der Rechtskreise offenbart daher primär eine formale Vielfalt, nicht aber inhaltliche Abweichungen, kaum eine Zersplitterung. Es bestand eine grundsätzliche Rechtseinheit, vielfach auch eine solche im Detail. 1.1.3 Europäische Rechtsgebiete In den herrschaftlich-feudalen Verbänden der europäischen Monarchien verbanden sich die Rechtskreise allmählich zu Rechtsgebieten, in der Regel gefördert durch eine gemeinsame Sprache. Zufolge des Fortbestehens der Rechtskreise in diesen Rechtsgebieten handelte es sich dabei aber um keine festgefügten, einheitlichen Rechtsordnungen. Das französische Rechtsgebiet zerfiel zudem in zwei unterschiedliche Teile: in das Gebiet des Droit coutumier, das der Gewohnheitsrechte (coutumes), etwa nördlich der Linie Bordeaux Genf und in das somit kleinere, südliche Gebiet des Droit écrit, der schriftlich fixierten und bearbeiteten römischen Vulgarrechte und der Volksrechte (siehe unten S. 37). Gegen Ende des Mittelalters begann auf königliche Anordnung eine Aufzeichnung der verschiedenen coutumes, was deren Angleichung zu einem (nord)französischen droit commun coutumier in die Wege leitete. Vereinheitlichende Tendenzen durch die Wissenschaft und die Rechtsprechung des königlichen Gerichtes Parlément de Paris, bald erweitert zum Parlément de France, überwanden diese Teilung nicht. Das hispanische (iberische) Rechtsgebiet umfasste die einander ähnlichen Gewohnheitsrechte ( fueros ) der Königreiche der hispanischen (iberischen) Halbinsel wie insbesondere Kastilien und Portugal. Die Rechte der oberitalienischen Stadtstaaten verdankten ihre Ähnlichkeit nicht einem gemeinsamen Monarchen, sondern ihren nachbarschaftlichen Wirtschaftsund Kulturbeziehungen.