8. Beschaffung leitungsgebundener Energien 8.1 Inhalt, Zielsetzung und Schlussfolgerungen Ziel dieses Kapitels ist es, einen Überblick über die Energiebeschaffungsmöglichkeiten von leitungsgebundenen Energien im liberalisierten Energiemarkt zu verschaffen. Vor diesem Hintergrund werden zuerst die Grundsätze und Merkmale des liberalisierten Energiemarktes behandelt. Ein Schwerpunktthema ist die Funktionsweise der Energiebörse EEX, deren Marktplätze und der dort gehandelten Produkte. Beschrieben wird u.a. der Spotmarkt mit seinen Handelsplattformen "auktions- und kontinuierlicher Handel", wie dort angeboten wird und wie der Preis (MCP Market Clearing Price) Zustandekommt. Anschließend wird der EEX- Terminmarkt und seine Produkte "Futures" und "Optionen" beschrieben und mit zwei Beispielen hinterlegt. Es wird ferner der Handel mit Gasprodukten und Emissionszertifikaten eingehend behandelt. Neben der Energiebörse findet die Beschaffung von Energien weiterhin auch durch bilaterale OTC-Verträge (Over the Counter) im Rahmen von "Portfolio-Management" statt. Es werden auch die Strukturen der klassischen Energielieferungsverträge behandelt, um ein besseres Verständnis für die Prinzipien der Preisgestaltung unter Berücksichtigung der Kostenstrukturen von leitungsgebundenen Energien zu vermitteln. Diese finden übrigens in vielen Ländern (z.b. mit "Single Buyer" Markt-Modellen) weiterhin und eingeschränkt auch in liberalisierten Märkten innerhalb der EU Anwendung. Als letztes Thema wird auch die Fernwärme behandelt, die in Deutschland und vorwiegend in den meisten östlichen Nachbarländern eine der wichtigsten Endenergieformen im Wärmemarkt bleiben wird. Bedingt durch die Thematik ist eigentlich Englisch die Fachsprache in diesem Bereich und viele der Fachausdrücke gibt es praktisch nur in Englisch.
434 8 Beschaffung leitungsgebundener Energien u.a. Fahrpläne für ihre Entnahme und Einspeisestellen im ¼-Stundentakt an den Bilanzkoordinator der entsprechenden Regelzone liefern. Energiebörse: Im liberalisierten Markt sind Strom und Erdgas zur Handelsware (Commodity) geworden und werden, ähnlich wie Wertpapiere und andere Commodities, auch an Energiebörsen gehandelt. Aufgabe der Energiebörse ist es, einen finanziell, rechtlich und technisch sicheren Marktplatz für alle zugelassenen Handelsteilnehmer bereitzustellen. In Deutschland ist die European Energy Exchange AG (EEX) mit Sitz in Leipzig die etablierte Energiebörse. Sonstige Akteure sind z.b. Makler, Broker und Portfoliomanager, die Stromhandelsgeschäfte im Auftrag ihrer Kunden abwickeln. 8.2.3 Börsenhandel, Funktionsweise und Produkte In einem liberalisierten Markt hat der Kunde nicht nur die freie Wahl seines oder seiner Lieferanten, er kann auch aus einer Vielzahl von Produkten mit unterschiedlichen Preiskonditionen und Laufzeiten auswählen, die über die Strombörse (Power Exchange) oder in bilateralen (over the counter OTC) Geschäften gehandelt werden. Nachstehende Abb. 8.1 zeigt eine Übersicht dieser Möglichkeiten. SPOTMARKT: Vertragsabschluss und -erfüllung fallen fast zusammen Physisch Stromlieferung TERMINMARKT: Vertragsabschluss und -erfüllung liegen mindestens eine Woche auseinander Finanzielle Absicherungsgeschäfte Bedingte Termingeschäfte: Käufer hat ein Ausübungsrecht, Verkäufer zur Erfüllung verpflichtet. Unbedingte Termingeschäfte: Sowohl Käufer als auch Verkäufer sind zur Erfüllung verpflichtet Strombörse Standardprodukte Base-Produkte Peak-Produkte Stunden-Produkte (alle Geschäfte) Optionen Caps Floors Forwards Futures Swaps Börsenhandel (Optionen) (alle Geschäfte) Börsenhandel (Futures) (Forwards, Swaps) Abb. 8.1: Arten von Geschäften und Produkten Wesentliche Aufgabe einer Strombörse ist es, allen Marktteilnehmern einen transparenten, finanziell, rechtlich und technisch sicheren Marktplatz für den Handel mit Energieprodukten fair und gleichberechtigt zur Verfügung zu stellen.
440 8 Beschaffung leitungsgebundener Energien zum Zuge Abb. 8.5. Zum zweiten: an windstarken und sonnenreichen Tagen wird viel Strom aus diesen Energien produziert, die Angebotskurve wandert nach rechts und der MCP nach unten. Umgekehrt: wenn wenig Windstrom produziert wird, wandert die Angebotskurve nach links und die MCP nach oben. Preis /MWh Nachfrage Kurve MCP 1 MCP 2 Angebote Angebote MCV 1 Abb. 8.5: Preisermittlung im Auktionshandel MCV 2 Volumen MWh In extremen Situationen können sogar negative MCP entstehen. Bei windstarken Tagen z.b. kann es vorkommen, dass die WKA-Betreiber sogar Stromabnehmer bezahlen, den Strom abzunehmen. Das heißt, sie bieten überschüssige Strommengen mit negativen Preisen an, so dass auch der MCP in den negativen Bereich wandern kann. Im kontinuierlichen ( Intraday) Handel der EPEX kaufen Börsenteilnehmer zusätzliche Strommengen mit Lieferung am selben Tag oder am folgenden Tag ein oder veräußern überschüssige Mengen. Auf diese Weise ist es möglich, Fahrplanabweichungen zu vermeiden und die Strombeschaffung kurzfristig zu optimieren. Im kontinuierlichen Handel werden Stromkontrakte gehandelt. Marktteilnehmer können ihre Kauf- oder Verkaufsangebote nach Menge und Preislimit in das offene elektronische Orderbuch eingeben. Darin werden alle Angebote nach Volumen und Preis gelistet und gegenübergestellt. Sobald eine Kauf- und eine Verkaufsorder sich als ausführbar erweisen (d.h. Verkaufspreis gleich oder kleiner als Kaufpreis), erfolgt unmittelbar der Geschäftsabschluss. Das ist auch der Fall, wenn ein Marktteilnehmer per Mausklick ein Angebot akzeptiert. Jeder
8.3 Die Energiebörse European Energy Exchange EEX 447 die Zukunft. Abb. 8.6 zeigt eine Übersicht PEGAS handelbaren Gasprodukte. Quelle: Powernext Homepage Abb. 8.6: Handelbare Future-Kontrakte auf PEGAS Lieferorte für Blockkontrakte auf Gas sind die virtuellen Handelspunkte der jeweiligen Marktgebiete der Übertragungsnetzbetreiber. Im 1. Quartal 2012 erweiterte die EEX ihr Produktportfolio um OTC- Clearing für Gas-Futures am britischen National Balancing Point (NBP). Damit gibt sie den Handelsteilnehmern die Möglichkeit, an den wichtigsten europäischen Gasmärkten zu agieren.
456 8 Beschaffung leitungsgebundener Energien 125 100 75 Kurzfristiges Ausgleichs- Energie Stundenprodukte, Börse Peakload-Produkt, Börse Spotmarkt Blocklieferung, langfristiger Vertrag Ausgleichs- Energie MW 50 Baseload-Produkt, Börse Spotmarkt 25 Grundlast-Bandlieferung, langfristiger Vertrag 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 Typischer Werktag Abb. 8.8: Bedarfsdeckung mit Portofoliomanagement 8.4.4 Strombezug mit Vollversorgungsvertrag Wegen des großen Aufwandes der Strombeschaffung über die Börse werden kleinere und mittelständische Kunden auch im liberalisierten Markt weiterhin einen Vollversorgungsvertrag oder nach neuer Definition All- Inclusive-Vertrag vorziehen. Der Vorteil für den Kunden ist, dass er keine genauen Kenntnisse über seinen Strombedarf braucht, es reicht lediglich eine relativ grobe Bedarfsprognose über seine voraussichtliche Höchstlast und seinen Jahresverbrauch. Der Wettbewerb funktioniert trotzdem, weil der Kunde die Möglichkeit hat, seinen Lieferanten zu wechseln, wenn er von einem anderen Lieferanten günstigere Konditionen bekommt. Die Optimierung der Beschaffung sowie die Risiken werden ausschließlich auf den Lieferanten verlagert. Vollversorgungsverträge sind auch im liberalisierten Markt weiterhin der Regelfall. Ein All-Inclusive-Vertrag deckt sowohl die Stromlieferung als auch die Netznutzung ab. Vertragspartner sind Lieferant und Kunde. Darin werden die technischen und kommerziellen Rahmenbedingungen für die Stromlieferung geregelt. Im Wesentlichen enthält der Vertrag folgende Regelungen: Art und Umfang der Lieferung Lieferstelle Preisregelung einschließlich Preisänderung Entgelt für Messung, Datenbereitstellung und Abrechnung