URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer) 26. September 2000 (1)

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Seite 1 von 7 WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS: Für die Angaben auf dieser Website besteht Haftungsausschluss und Urheberrechtsschutz. URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer) 26. September 2000 (1) Sozialpolitik - Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen - Zugang zur Beschäftigung und Arbeitsbedingungen - Gleichbehandlung - Entlassungsbedingungen In der Rechtssache C-322/98 betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Landesarbeitsgericht Hamburg (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit Bärbel Kachelmann Bankhaus Hermann Lampe KG gegen vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) erlässt DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer) unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. A. O. Edward sowie der Richter L. Sevón, P. J. G. Kapteyn (Berichterstatter), H. Ragnemalm und M. Wathelet, Generalanwalt: A. Saggio Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen - von Frau Kachelmann, vertreten durch Rechtsanwalt K. Bertelsmann, Hamburg, - der Bankhaus Hermann Lampe KG, vertreten durch Rechtsanwalt I. Heydasch, Hamburg, - der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat W.-D. Plessing und Regierungsdirektor C.- D. Quassowski, Bundesministerium für Finanzen, als Bevollmächtigte, - der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. Hillenkamp und A. Aresu, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte C. Jacobs und R. Karpenstein, Hamburg, aufgrund des Sitzungsberichts,

Seite 2 von 7 nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Frau Kachelmann, der Bankhaus Hermann Lampe KG und der Kommission in der Sitzung vom 20. Januar 2000, nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. März 2000, folgendes Urteil 1. Das Landesarbeitsgericht Hamburg hat mit Beschluss vom 24. Juli 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 20. August 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung des Artikels 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40; im Folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt. 2. Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Bärbel Kachelmann (im Folgenden: Klägerin) und ihrer früheren Arbeitgeberin, der Bankhaus Hermann Lampe KG (im Folgenden: Beklagte), wegen der betriebsbedingten Kündigung der Klägerin. Rechtlicher Rahmen Gemeinschaftsrecht 3. Gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie beinhaltet der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der Bestimmungen der Richtlinie, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts - insbesondere unter Bezugnahme auf den Eheoder Familienstand - erfolgen darf. 4. Artikel 5 der Richtlinie lautet: (1) Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen beinhaltet, dass Männern und Frauen dieselben Bedingungen ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gewährt werden. (2) Zu diesem Zweck treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, a) dass die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz unvereinbaren Rechts- und Verwaltungsvorschriften beseitigt werden; b) dass die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Bestimmungen in Tarifverträgen oder Einzelarbeitsverträgen, in Betriebsordnungen sowie in den Statuten der freien Berufe nichtig sind, für nichtig erklärt oder geändert werden können; c) dass die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Rechts- und Verwaltungsvorschriften, bei denen der Schutzgedanke, aus dem heraus sie ursprünglich entstanden sind, nicht mehr begründet ist, revidiert werden; dass hinsichtlich der Tarifbestimmungen gleicher Art die Sozialpartner zu den wünschenswerten Revisionen aufgefordert werden.

Seite 3 von 7 Deutsches Recht 5. 1 Absätze 1 bis 3 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG, BGBl. 1969 I S. 1317) in der für das Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung bestimmt: (1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist. (2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.... (3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. Satz 1 gilt nicht, wenn betriebstechnische, wirtschaftliche oder sonstige berechtigte betriebliche Bedürfnisse die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer bestimmter Arbeitnehmer bedingen und damit der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten entgegenstehen. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen. 6. Gemäß 611a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme, insbesondere auch bei einer Kündigung, nicht wegen seines Geschlechts benachteiligen. 7. Nach 2 Absatz 1 des Beschäftigungsförderungsgesetzes darf der Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Der Ausgangsrechtsstreit 8. Die Klägerin, die bei der Beklagten seit dem 1. April 1991 als gelernte Bankkauffrau und examinierte Fremdsprachenkorrespondentin fürdeutsch/englisch beschäftigt war, war in der Zweigniederlassung in Hamburg im Rahmen des Dokumentengeschäfts mit der Bearbeitung des Inkassogeschäfts betraut. Sie arbeitete als Teilzeitbeschäftigte 30 Stunden pro Woche (76,92 %); die tarifvertragliche Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte betrug 38 Stunden pro Woche. 9. Aufgrund einer Reduzierung des Volumens ihres Auslandsgeschäfts legte die Beklagte das Inkassogeschäft mit dem bislang getrennt bearbeiteten übrigen Dokumentengeschäft zusammen. Dies war mit einer teilweisen Neuverteilung der jeweiligen Aufgabenbereiche verbunden. Wegen des damit verbundenen Personalabbaus sprach die Beklagte mit Schreiben vom 21. Juni 1996 gegenüber der Klägerin eine betriebsbedingte Kündigung zum 30. September 1996 aus. 10. Die Klägerin erhob dagegen Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Hamburg. Sie machte geltend, die Beklagte habe im Vorfeld der betriebsbedingten Kündigung keine soziale Auswahl zwischen den Beschäftigten vorgenommen, die die gleiche Tätigkeit verrichteten. So habe sie die mit 30 Stunden pro Woche beschäftigte Klägerin nicht mit den Arbeitnehmern

Seite 4 von 7 verglichen, die in Vollzeit mit 38 Stunden pro Woche tätig gewesen seien. Hinzu komme, dass sich die Klägerin vor dem Ausspruch der Kündigung bereit erklärt habe, statt in Teilzeit auch in Vollzeit zu arbeiten. 11. Mit Urteil vom 18. Februar 1997 wies das Arbeitsgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dass der Klägerin eine Vollzeitstelle nicht ohne Änderung ihres Arbeitsvertrags zugewiesen und dass deshalb das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht mit dem der Vollzeitbeschäftigten verglichen werden könne. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, das Arbeitsvolumen der Klägerin durch Änderung ihres Arbeitsvertrags zu erhöhen, um sie lediglich zur Vermeidung ihrer Kündigung auf einem Vollzeitarbeitsplatz einsetzen zu können. 12. Da die Nichteinbeziehung von Teilzeitbeschäftigten in den Kreis der Arbeitnehmer, unter denen der Arbeitgeber bei einer betriebsbedingten Kündigung die soziale Auswahl vorzunehmen hat, nach Ansicht der Klägerin eine mittelbare Diskriminierung darstellt und aus diesem Grund gegen die Richtlinie 76/207 verstößt, legte sie Berufung beim Landesarbeitsgericht Hamburg ein. 13. Nach dem Vorlagebeschluss beschäftigt die Beklagte weiterhin eine Vollzeitmitarbeiterin, deren Tätigkeit mit der der Klägerin vergleichbar sei; dabei sei die Klägerin nach ihrer sozialen Lage als schutzbedürftiger zu betrachten. Sehe man die fragliche Arbeitnehmerin deswegen nicht als mit der Klägerin vergleichbar an, weil sie vollzeitbeschäftigt, die Klägerin hingegen teilzeitbeschäftigt gewesen sei, so könne darin eine mittelbare Diskriminierung liegen. Die Vorlagefrage 14. Das Landesarbeitsgericht Hamburg hat dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ist Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG dahin auszulegen, dass teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnen bei Anwendung des 1 Absatz 3 KSchG - hier in der bis zum 30. September 1996 geltenden Fassung - im Rahmen der sozialen Auswahl als mit vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen vergleichbar anzusehen sind, wenn in einer Branche wesentlich mehr Frauen als Männer teilzeitbeschäftigt sind? Zur Zulässigkeit 15. Nach Auffassung der deutschen Regierung ist die Vorlagefrage unzulässig. Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie sei im Ausgangsrechtsstreit nicht entscheidungserheblich, da die soziale Auswahl gemäß 1 Absatz 3 KSchG im Ausgangssachverhalt zwei Arbeitnehmer gleichen Geschlechts, nämlich zwei Arbeitnehmerinnen, betreffe. Außerdem mache das Landesarbeitsgericht im Vorlagebeschluss nicht alle Angaben zum Sachverhalt, die zum Erlass einer sachdienlichen Entscheidung des Gerichtshofes erforderlich wären. 16. Nach ständiger Rechtsprechung ist es allein Sache des befassten nationalen Gerichts, das in dem Rechtsstreit zu entscheiden hat, im Hinblick auf den jeweiligen Einzelfall sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der von ihnen dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen (vgl. u. a. Urteil vom 14. Dezember 1995 in der Rechtssache C-387/93, Banchero, Slg. 1995, I-4663, Randnr. 15). Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffen (vgl. insbesondere Urteil vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 59).

Seite 5 von 7 17. In Ausnahmefällen kann der Gerichtshof allerdings zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit erforderlichenfalls die Umstände untersuchen, unter denen er von dem innerstaatlichen Gericht angerufen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 1981 in der Rechtssache 244/80, Foglia, Slg. 1981, 3045, Randnr. 21). Die Entscheidung über die Vorabentscheidungsfrage eines nationalen Gerichts kann er dabei nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteile Bosman, Randnr. 61, und vom 13. Juli 2000 in der Rechtssache C-36/99, Idéal Tourisme, Slg. 2000, I-0000, Randnr. 20). 18. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Gemäß ihrem Artikel 1 der Richtlinie ist es unstreitig deren Ziel, dass in den Mitgliedstaaten der Grundsatz dergleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschließlich der Kündigungsbedingungen verwirklicht wird. 19. Nach dem Vorlagebeschluss und den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen ist die Vorlagefrage aber darauf gerichtet, ob die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes auf eine betriebsbedingte Kündigung allgemein diskriminierende Auswirkungen haben kann. 20. Trotz der knappen Fassung des Vorlagebeschlusses verfügt der Gerichtshof auch über ausreichende tatsächliche und rechtliche Angaben, um die ihm gestellte Frage sachdienlich zu beantworten. 21. Die Vorlagefrage ist deshalb zulässig. Zur Beantwortung der Frage 22. Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie der Auslegung einer nationalen Bestimmung wie 1 Absatz 3 KSchG entgegenstehen, nach der teilzeit- und vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer bei der sozialen Auswahl, die der Arbeitgeber bei der betriebsbedingten Streichung eines Teilzeitarbeitsplatzes vorzunehmen hat, nicht vergleichbar sind. 23. Nach ständiger Rechtsprechung enthält eine neutral gefasste innerstaatliche Regelung dann eine mittelbare Diskriminierung von Arbeitnehmerinnen, wenn sie tatsächlich einen wesentlich höheren Anteil von Frauen als von Männern benachteiligt, sofern diese unterschiedliche Behandlung nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (vgl. u. a. Urteil vom 6. April 2000 in der Rechtssache C-226/98, Jørgensen, Slg. 2000, I-0000, Randnr. 29). 24. In Deutschland gibt es unstreitig erheblich mehr teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnen als Arbeitnehmer. 25. Um die Vorlagefrage sachdienlich zu beantworten, ist deshalb zu prüfen, ob die Anwendung einer nationalen Bestimmung wie der im Ausgangsverfahren in Frage stehenden eine Ungleichbehandlung von teilzeit- gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern bewirkt. Sollte dies der Fall sein, wäre weiter zu prüfen, ob diese unterschiedliche Behandlung durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. 26. Zunächst bedeutet die fehlende Vergleichbarkeit vollzeit- und teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer im Rahmen der in 1 Absatz 3 KSchG vorgeschriebenen sozialen Auswahl für

Seite 6 von 7 die letztgenannte Arbeitnehmergruppe keinen unmittelbaren Nachteil. Die Vollzeit- und die Teilzeitbeschäftigten werden nämlich je nachdem, ob imkonkreten Fall in einem Unternehmen ein Vollzeit- oder ein Teilzeitarbeitsplatz gestrichen wird, in gleicher Weise bevorzugt oder benachteiligt. 27. Allerdings gibt es - worauf die Kommission hingewiesen hat - in Deutschland, und vermutlich in der ganzen Gemeinschaft, in allen Branchen deutlich mehr vollzeit- als teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer. Bei der Streichung von Arbeitsplätzen sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer somit im Allgemeinen benachteiligt, da sie nur schwerer einen anderen, vergleichbaren Arbeitsplatz finden können. 28. Die fehlende Vergleichbarkeit vollzeit- und teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer im Rahmen der nach 1 Absatz 3 KSchG erforderlichen sozialen Auswahl kann deshalb zu einer unterschiedlichen Behandlung zu Lasten teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer führen und für sie einen mittelbaren Nachteil bedeuten. 29. Es ist daher weiter zu prüfen, ob eine solche unterschiedliche Behandlung durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. 30. Hierbei ist von Belang, dass die Sozialpolitik beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, die hinsichtlich der Art der sozialen Schutzmaßnahmen und der konkreten Einzelheiten ihrer Durchführung über einen sachgerechten Gestaltungsspielraum verfügen. Derartige Maßnahmen verstoßen nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn sie einem legitimen sozialpolitischen Ziel dienen, für die Erreichung dieses Zieles geeignet und erforderlich sind und deshalb aus Gründen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt sind (Urteil Jørgensen, Randnr. 41). 31. Wie aus den Akten hervorgeht, dienen die fraglichen deutschen Rechtsvorschriften dem Schutz der Arbeitnehmer im Kündigungsfall, sollen aber gleichzeitig den zwingenden funktionalen und wirtschaftlichen Erfordernissen des Unternehmens Rechnung tragen. 32. Nach den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen richtet sich die Vergleichbarkeit von Arbeitsplätzen nach dem materiellen Inhalt der jeweiligen Arbeitsverträge; dabei wird geprüft, ob der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz aus betrieblichen Gründen gestrichen wird, nach seinen beruflichen Qualifikationen und den von ihm bisher im Unternehmen ausgeübten Tätigkeiten die anders geartete, aber gleichwertige Arbeit anderer Arbeitnehmer verrichten könnte. 33. Die Anwendung dieser Kriterien kann zwar teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mittelbar dadurch benachteiligen, dass die Vergleichbarkeit ihrer Arbeitsplätze mit denen vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer ausgeschlossen ist. Wie die deutsche Regierung ausgeführt hat, würde indessen die Bejahung einer Vergleichbarkeit vollzeit- mit teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern im Rahmen der in 1 Absatz 3 KSchG vorgeschriebenen sozialen Auswahl zu einer Bevorzugungteilzeitbeschäftigter und damit zu einer Benachteiligung vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer führen. Teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern wäre dann nämlich bei Streichung ihres Arbeitsplatzes die Umsetzung auf einen Vollzeitarbeitsplatz anzubieten, obgleich sie nach ihrem Arbeitsvertrag auf eine solche Umsetzung keinen Anspruch hätten. 34. Die Frage, ob teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer derart bevorzugt werden sollen, ist vom nationalen Gesetzgeber zu entscheiden, dem es allein obliegt, im Arbeitsrecht zwischen den verschiedenen beteiligten Interessen einen billigen Ausgleich zu finden; diese Entscheidung

Seite 7 von 7 beruht im vorliegenden Fall auf Erwägungen, die nichts mit dem Geschlecht der Arbeitnehmer zu tun haben. 35. Nach alledem ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie nicht einer Auslegung einer nationalen Bestimmung wie 1 Absatz 3 KSchG entgegenstehen, nach der teilzeit- und vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer bei der sozialen Auswahl, die der Arbeitgeber bei der betriebsbedingten Streichung eines Teilzeitarbeitsplatzes vorzunehmen hat, generell nicht vergleichbar sind. Kosten 36. Die Auslagen der deutschen Regierung und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Aus diesen Gründen hat DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer) auf die ihm vom Landesarbeitsgericht Hamburg mit Beschluss vom 24. Juli 1998 vorgelegte Frage für Recht erkannt: Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen stehen einer Auslegung einer nationalen Bestimmung wie 1 Absatz 3 des Kündigungsschutzgesetzes in der bis zum 30. September 1996geltenden Fassung nicht entgegen, nach der teilzeit- und vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer bei der sozialen Auswahl, die der Arbeitgeber bei der betriebsbedingten Streichung eines Teilzeitarbeitsplatzes vorzunehmen hat, generell nicht vergleichbar sind. Edward Sevón Kapteyn Ragnemalm Wathelet Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 26. September 2000. Der Kanzler R. Grass Der Präsident der Fünften Kammer D. A. O. Edward 1: Verfahrenssprache: Deutsch.