Von den Forderungen der Freiheit Mascherode, 16.8.2015 Und siehe, einer trat zu Jesus und fragte: Meister, was soll ich Gutes tun, damit ich das ewige Leben habe? 17 Er aber sprach zu ihm: Was fragst du mich nach dem, was gut ist? Gut ist nur Einer. Willst du aber zum Leben eingehen, so halte die Gebote. 18 Da fragte er ihn: Welche? Jesus aber sprach:»du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis geben; 19 ehre Vater und Mutter«; und:»du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«. 20 Da sprach der Jüngling zu ihm: Das habe ich alles gehalten; was fehlt mir noch? 21 Jesus antwortete ihm: Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach! 22 Als der Jüngling das Wort hörte, ging er betrübt davon; denn er hatte viele Güter. Liebe Schwestern und Brüder, wodurch wird man ein guter Mensch? Oder, religiös gefragt: Wie schaffe ich es, dass ich vor Gott bestehe? Denn am Ende ist es ja Gott, der unser Leben bewertet, der uns vielleicht auch belohnt oder bestraft.
Rabbi, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen? fragt der reiche Jüngling. Und Jesus gibt ihm die Antwort, die in dieser Zeit in Israel gilt und die von den meisten Religionen vertreten wird: Willst du das Leben erlangen, so halte die Gebote. Also: Wenn du vor Gottes Augen bestehen willst, wenn du gerecht sein willst vor Gott, dann halte dich an Gottes Gesetze und lebe danach. Ein guter Mensch wird man, indem man Gutes tut. Dieser Gedanke ist naheliegend und wird in den meisten Religionen so vertreten, allerdings was vielen Christen gar nicht bewusst ist nicht im Christentum. Paulus schreibt jedenfalls im Römerbrief etwas völlig Anderes. Römer 3, Vers 28: So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke allein durch den Glauben. Also: nicht die Taten zählen vor Gott, sondern allein der Glaube. Das ist die zentrale Aussage der Rechtfertigungslehre, die nicht nur für uns Lutheraner große Bedeutung hat, sondern zentral im Neuen Testament steht. Wie kommt Paulus darauf? Ich will mal versuchen, das an einem Beispiel deutlich zu machen. Wodurch wird ein Kind gut? Das ist ja im Allgemeinen doch der Wunsch der Eltern, dass ihr Kind ein anständiger Mensch wird, dass es Charakter entwickelt und mit seinen Mitmenschen verantwortlich umgeht. Nur: wie bewirkt
man das? Gibt man ihm zuerst Regeln: Das darfst du tun und das darfst du nicht tun? Und wenn du dich richtig verhältst, wirst du belohnt, und sonst bestraft? Ich denke, Eltern wissen, dass das so nicht funktioniert. Sondern wenn ich meinem Kind helfen will, zu einem anständigen Menschen zu werden, dann muss ich zunächst einmal selbst anständig sein. Wenn ich ihm helfen will, ein liebevoller Mensch zu werden, dann muss ich ihm zunächst einmal Liebe geben. Bevor ein Mensch Gutes tun kann, muss es Gutes erfahren und einen guten Charakter entwickeln. Das Sein kommt vor dem Tun. Gute fromme Werke machen nimmermehr einen guten, frommen Menschen. Sondern ein guter frommer Mensch macht gute fromme Werke. So hat es Luther ausgedrückt. Und an der Stelle kommt der Glaube ins Spiel. Denn Glauben heißt, dass ich mich von Gott getragen fühle. Dass ich zunächst Gottes Liebe erfahre und dann lieben kann. Das ist die Freiheit des Christenmenschen. Ich muss mir die Liebe Gottes nicht verdienen. Er liebt mich auch so. Ungefähr so, wie Eltern ihre Kinder lieben, auch wenn sie nicht perfekt sind und immer wieder Fehler machen. So liebt uns Gott. Er erwartet von uns keine Perfektion, er erwartet von uns nur, dass wir ihn auch lieben und uns an ihn halten. Dann ist es auch nicht nötig, dass Gott uns ständig
ermahnt oder sogar mit Bestrafung droht. Dann werden wir auch so aus eigenem Willen versuchen, anständig zu leben, weil wir ihn nicht enttäuschen wollen. Dann brauchen wir auch keine Gesetze mehr. Dann sind wir erwachsen genug, um selbst herauszufinden, was gut ist und was schlecht. Das Christentum ist eine erwachsene Religion, denn sie geht von der Mündigkeit des Menschen aus, dem man nicht immer wieder sagen muss, wie man sich richtig verhält. Dann reicht es, ihm die große Richtung zu weisen, so wie Jesus das getan hat: Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst. Wie das im Einzelnen aussieht, findest du selbst raus. Das ist die berühmte Freiheit des Christenmenschen. Der sich auch nicht fürchten muss, wenn er Fehler macht. Weil Gott ein liebender Gott ist, der Fehler vergibt. Nun entsteht aber an dieser Stelle ein Missverständnis, das besonders in unserer lutherischen Kirche weit verbreitet ist. Der Gedankengang ist ungefähr so: wir werden also nicht durch gute Werke gerecht. Sondern wir sind es schon, weil Gott unsere Sünden vergibt. Wie schön! Dann kommt es ja auf unser Verhalten gar nicht an. Dann können wir ja machen, was wir wollen. Wir sollten es also nicht übertreiben mit den guten Werken!
Das wäre ja Werkgerechtigkeit, das wäre ja gesetzlich, und gesetzlich wollen wir nicht sein. Das ist schon eine bequeme Religion, nicht? Das Dumme ist nur: so ist es nicht gemeint, weder bei Jesus noch bei Paulus. Da stecken gleich zwei Missverständnisse drin. Das eine Missverständnis betrifft das Wort Glauben. Wer s glaubt, wird selig, wird so etwas flapsig gesagt. Das klingt so, als ob der Glaube ein vorgegebener Text wär, ein Dogma, das man unterschreiben muss, und dann ist man Christ. In Wirklichkeit muss es heißen: Wer glaubt, wird selig. Glaube ist keine Zustimmungserklärung zu einer Lehre, sondern eine Lebenshaltung. Ein Vertrauensverhältnis zu Gott, das mich trägt und richtig führt. Das zweite Missverständnis liegt in der Formulierung: Gott spricht uns gerecht. Das klingt nach einem juristischen Prozess: Am Ende wird uns Gott freisprechen, egal wie wir gelebt haben, trotz aller Schuld. Und das hoffe ich auch: dass mir die vergeben wird, dass sie mich nicht von Gott trennt. Aber eigentlich geht es nicht um Rechtsprechung, sondern um Rechtfertigung. Und das heißt: da soll etwas gefertigt werden, da soll etwas passieren mit dem Sünder, mit mir. Gott sieht in mir schon den gerechten, den guten Menschen, und darum soll ich auch nach diesem
Menschen in mir suchen. Ich strecke mich nach dem, was vorn ist, nach dem neuen Menschen. Ohne diese Spannung zwischen der Zusage Du bist gerecht vor Gott, du bist gut in den Augen Gottes, und der Aufforderung Nun lebe auch entsprechend, sei gut geht das Wesentliche verloren. Da wird das Leben beliebig, verliert auch das Wort Christ seine Bedeutung. Ein Christ ist etwas Anderes als ein Taufscheinbesitzer. Jesus erwartet auch vom reichen Jüngling, dass er sich an die Gebote hält. Wenn er ihn einlädt, ihm nachzufolgen, dann ist das nicht weniger, sondern noch ein höherer Anspruch, eine größere Einladung, nämlich aus dem Glauben, in Gottes Nähe zu leben. Die ihn von innen heraus verändert und zum Leben führt. Im Urlaub auf der schönen Insel Amrum habe ich ein Schild gesehen, das stand da an einem Strandweg, und da stand drauf: Vernünftige Menschen fahren hier nicht mit dem Fahrrad. Allen anderen ist es verboten. Das ist eine gute Übersetzung der Rechtfertigungslehre. Wenn man das Wort Vernunft durch Glauben ersetzt: Glaubende wissen, was Gott von ihnen erwartet. Sie brauchen keine äußeren Vorschriften. Darum hat Jesus die Zehn Gebote auch in zweien zusammenfassen können: Liebe Gott von ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst. Alles Andere folgt daraus.
Liebe und tu, was du willst, sagt Augustin. Alle, die diesen Glauben nicht haben, sollen sich an die Gebote halten. Aber es ist nicht beliebig, was wir tun. Und an der Stelle würde ich mir von unserer Kirche mehr Klarheit erwarten. Wir reden sehr viel von Gottes Liebe und wir versprechen sehr vollmundig Gottes Segen, für Taufkinder, Brautpaare, Jubilare, für jede Gelegenheit. Aber Gott gibt seinen Segen nicht pauschal; er segnet nicht alles ab, was wir tun. Er verspricht nicht, uns überall nachzugehen und die Hand schützend über uns zu halten, was immer wir auch tun. Er verspricht, dass er mit uns geht, wenn wir mit ihm gehen. Amen.