Rundbrief: Äthiopien Ausgabe 1/2011 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, seit dem letzten Rundbrief ist einige Zeit vergangen. Seither hat sich vieles getan in Äthiopien. So fanden im Mai 2010 Wahlen statt, die die Regierungspartei für sich entscheiden konnte. Außerdem wurde im Oktober Birtukan Mideska, für die sich AI in vielen Aktionen eingesetzt hat aus der Haft entlassen. Diese und weitere Themen also in diesem Rundbrief. Viele Grüße, Hannah Lehleiter Die Wahlen 2010 In den Wahlen im Mai 2010 gewann die EPRDF zusammen mit einer kleinen Koalition 99,6% der Sitze im Parlament. Eine Koalition von Oppositionsparteien klagte sie deshalb wegen Wahlbetrugs an, aber das National Electoral Board und das Supreme Court wiesen die Anklage zurück. Zwar seien die Wahlen selbst im Großen und Ganzen korrekt abgelaufen, jedoch kritisierten Wahlbeobachter der EU Ereignisse im Vorlauf der Wahlen u.a. Verletzungen der Rede-, Versammlungs- und Bewegungsfreiheit für Mitglieder der Oppositionsparteien, Missbrauch von Staatsressourcen durch die Regierungspartei und Mangel an unabhängiger Berichterstattung in den Medien. Der Premierminister wies diese Vorwürfe zurück und der Bericht der Wahlbeobachter der EU durfte in Äthiopien nicht präsentiert werden. Außerdem hatte es weitere Berichte über Unterdrückung der Oppositionsparteien gegeben. So waren Bildungschancen, Stellen im öffentlichen Dienst und Lebensmittelunterstützung an die Mitgliedschaft in der Regierungspartei gekoppelt. Außerdem wurde Wählern in Addis Abeba mit Entzug ihrer Unterstützung durch den Staat gedroht, sollten sie nicht die EPRDF wählen. Wie bereits im letzten Rundbrief berichtet, kam es zudem zu Todesfällen, so kam Aregawi Gebreyohannes, ein Kandidat für Arena-Tigray, drei weitere Oppositionelle und ein Polizist ums Leben. Nach Aussagen von Oppositionsparteien wurden ihre Mitglieder schikaniert, geschlagen und verhaftet, außerdem wurden in der Oromia Region hunderte Menschen verhaftet. Nach Aussagen von Dr. Merera Gudina, Vorsitzender der Partei Oromo People s Congress, wurden innerhalb von fünf Monaten mindestens 150 Funktionäre der Oromo Opposition verhaftet. (Amnesty International Annual Report 2011) 1
Freilassung von Britukan Mideska Am 6.10.10 wurde die Oppositionsführerin und politische Gefangene Birtukan Mideska, für die sich Amnesty International seit langem eingesetzt hat, nach 21 Monaten von der äthiopischen Regierung aus dem Gefängnis entlassen. Sie war am im Dezember 2008 zum zweiten Mal verhaftet worden. Sie war bereits im Rahmen der Demonstrationen gegen die Wahlergebnisse der Wahlen 2005 verhaftet worden und zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. 2007 wurde sie begnadigt, aber nach einem Aufenthalt in Schweden, bei dem sie über die Umstände ihrer Haft gesprochen hatte, im Dezember 2008 wieder verhaftet. AI hatte sich ihrem Fall angenommen, da sie nur wegen der friedlichen Ausübung ihrer Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit inhaftiert worden war. In zahlreichen Ländern wurden Aktionen, Aufklärungskampagnen, sowie Briefappelle und Petitionen durchgeführt, um ihre Freilassung zu erreichen. Deshalb möchte sich AI bei allen bedanken, die mit ihrer Mithilfe dazu beigetragen haben, dass Mideska wieder freigelassen wurde. Vielen Dank für Ihre Unterstützung! (AI Press Release 6.10.10) Missbrauch internationaler Entwicklungshilfe durch äthiopische Regierung In einem Bericht vom 19. Oktober 2010 beschuldigte Human Rights Watch die äthiopische Regierung Mittel aus der Entwicklungshilfe zum Ausbau der Regierungspartei EPRDF zu verwenden. Indem der Empfang von Hilfsleistungen von Linientreue mit der EPRDF abhängig gemacht wird, werden diese zur Kontrolle der Menschen und Schwächung der Opposition genutzt. Örtliche Beamte verweigerten Unterstützern der Oppositionsparteien und civil society- Aktivisten solche Hilfsmaßnahmen einschließlich Leuten in ländlichen Gegenden, die verzweifelt Nahrungsmittelhilfe benötigten. Von den ausländischen Gebern finanzierte capacity-building-programme, die für Ausbildungsprogramme mit dem Ziel der Entwicklung des Landes gedacht seien, würden von Regierungsseite dazu benutzt, Schulkinder in Pateiideologie zu indoktrinieren, Lehrer einzuschüchtern und den öffentlichen Dienst von Leuten mit unabhängiger politischer Meinung zu säubern. Äthiopien sei mit mehr als 3 Milliarden US- Dollar Entwicklungshilfe allein in 2008 einer der größten Entwicklungshilfeempfänger in der Welt, die wichtigsten Geberländer sind die EU, USA, Großbritannien und Deutschland. Die äthiopische Regierung wies diese Behauptungen zurück, ebenso die Development Assistance Group (DAG), der internationale Geber wie Weltbank, IWF und GTZ angehören. Nach einem früheren Vorwurf des HRW hatten sie bereits Anfang 2010 eine Studie in Äthiopien über die Verwendung der Hilfszahlungen gemacht und konnten keine Anhaltspunkte für den vom HRW beschriebenen Missbrauch finden. (Seven Days 27.9. bis 25.10.10) 2
Tatsächlich seien die Ergebnisse der Studie der DAG aber nicht so eindeutig wie in ihrer Pressemitteilung behauptet, sondern unterstützen zum Teil die Zweifel an der Verwendung der Gelder und empfahlen eine weitere Analyse. Auch der Vorsitzende einer der großen äthiopischen Oppositionsparteien, ehemaliger Weltbankdirektor und langjähriger führender Mitarbeiter der United Nations Development Agency, ist der Meinung, dass die von der EPRDF im Rahmen der Wahlen genutzten großen Summen Bargelds, die Geber stutzig machen sollte. (Seven Days vom 1. bis 29.11.) Meinungsfreiheit Presse Die unabhängige Presse in Äthiopien ist nach wie vor Unterdrückung und Verfolgung ausgesetzt. 2009 und 2010 hat die Regierung ihre Bemühungen, unabhängige Stimmen und Organisationen zu unterdrücken weiter intensiviert und so haben bis zu den Wahlen im Mai 2010 schon viele Journalisten und Menschenrechtsaktivisten das Land verlassen. So berichtete das Committee to Protect Journalists, das bis zu diesem Zeitpunkt 15 Journalisten das Land verlassen hatten. Die wenigen unabhängigen Zeitungen, die weiter existieren, üben aus Furcht Selbstzensierung. (Human Rights Watch World Report 2011) Das Committee to Protect Journalists forderte im November äthiopische Behörden auf, den 17jährigen Journalisten Akram Ezedin freizulassen, der seit 11.September 2010 ohne Anklage in Asaita inhaftiert ist. (Seven Days vom 1. bis 29.11. 10) Er war am Tag der Freilassung seines Vaters, ebenfalls eines Journalisten, der Äußerungen des Premierministers kritisiert hatte, gefangen genommen worden. Er wurde einige Zeit später wieder freigelassen. (AI Annual Report Ethiopia 2011) Insgesamt spricht CPJ von 5 inhaftierten Journalisten in Äthiopien, womit Äthiopien nach Eritrea an zweiter Stelle in Afrika ist. (Seven Days vom 1. bis 29.11. 10) Das Internet ist staatlicher Zensur unterworfen und einige Webseiten werden blockiert. Außerdem schränkte das National Electoral Board die Tätigkeit der Journalisten im Rahmen der Wahlen ein, so untersagte es Interviews mit Wählern, Kandidaten oder Wahlbeobachtern. Auch die Mass Media and Freedom of Information Proclamation blieb in Kraft, die der Regierung Kontrolle über die Medien ermöglicht. (AI Annual Report 2011) Menschenrechtsaktivisten Die in 2009 erlassene Charities and Societies Proclamation ist in Kraft getreten. Sie ermöglicht die Kontrolle von Organisationen der Zivilgesellschaft und Strafen wie Geldbußen und Gefängnisstrafen. NGOs, die zu mehr als 10% aus dem Ausland finanziert werden, wurden verboten. Diese Gesetzgebung führte zur Einschüchterung von Aktivisten und mehrere Menschenrechtsaktivisten verließen Äthiopien. 3
Einige NGOs führten ihre Arbeit zu Menschenrechten und Demokratie trotzdem weiter, etwa der Ethiopian Human Rights Council oder die Ethiopian Women Lawyers Association. Sie waren aber durch die neue Regelung zu den Geldeinnahmen gezwungen, Mitarbeiter zu entlassen und Büros zu schließen. Seit Ende 2009 sind die Bankkonten der beiden Organisationen eingefroren. (AI Annual Report 2011) Politische Gefangene Schätzungen nationaler und internationaler NGOs zufolge befanden sich Ende 2010 zwischen 200 und 300 politische Gefangene in Äthiopien in Haft. Im August 2010 berichteten mehrere Oppositionsparteivorsitzende über Verhaftungen von Unterstützern der Opposition. So wurden im Zusammenhang mit den Wahlen im Mai 2010 etwa 1 200 Anhänger des Oromo Federalists' Congress (OFC) inhaftiert. Viele wurden nach vier oder fünf Monaten wieder entlassen, aber viele befinden sich weiter in Haft. (U.S. Departement of State: country report 2010) Des Weiteren kam es im März 2011 zu mehreren Wellen von Massenverhaftungen von über 200 Oromo, die anscheinend politisch motiviert waren. 121 von ihnen werden ohne Anklage festgehalten. Angeblich seien sie Mitglieder der Oromo Liberation Front (OLF), einer verbotenen und bewaffneten Rebellengruppe und sollen in Haft bleiben, solange Beweise gegen sie gesammelt werden. 40 Mitglieder des Oromo People s Congress wurden Mitte März verhaftet, sowie 68 Mitglieder des Oromo Federalist Democratic Movement, darunter Parteifunktionäre, Kandidaten der Wahlen 2010, ehemalige Parlamentarier, Beamte, Lehrer und Studenten. Mindestens zwei wurden bei der Verhaftung geschlagen und viele sind in Gefahr gefoltert zu werden. Schon in der Vergangenheit hat die äthiopische Regierung die Bekämpfung des Terrorismus im Land als Vorwand genommen, um politische Gegner zu unterdrücken. So wurde im Jahr 2009 auch ein Anti-Terrorismus-Gesetz erlassen, dass u.a. die Meinungsfreiheit einschränkt und es möglich macht, des Terrorismus Verdächtige vier Monate ohne Anklage festzuhalten. (HRW 6. April 2011) Haftbedingungen und Folter Die Haftbedingungen in äthiopischen Gefängnissen sind nach wie vor besorgniserregend bis lebensgefährlich. Ein großes Problem ist die Überfüllung der Gefängnisse, zudem ist die Gesundheitsversorgung für Gefangene in den Bundesgefängnissen schlecht, in den regionalen Gefängnisse kaum vorhanden. Auch die Hygienebedingungen sind, teilweise durch Wassermangel verursacht, mangelhaft. 4
Ende 2010 waren etwa 86 000 Menschen in Haft, davon 2 474 Frauen und 546 Kinder, die mit ihren Müttern eingesprerrt waren. Weiterhin gibt es Berichte über Folter in äthiopischen Gefängnissen, so berichteten Oppositionsführer von wiederholten, systematischen Misshandlungen und Einschüchterungen durch Polizei und local militias. Auch das UN Committee Against Torture hat im November die zahlreichen Berichte über die Verwendung von Folter gegen politische Dissidenten, Oppositionelle, Studenten und vermeintliche Terroristen als besorgniserregend bezeichnet. Immer wieder gab es Berichte über Folterungen in Maekelawi, der Ermittlungszentrale der Polizei in Addis Ababa, um Geständnisse zu erzwingen.es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Praktiken nicht mehr durchgeführt werden. Zu den Foltermethoden gehören Auspeitschungen mit Kabeln, Schläge auf Kopf und Fußinnenseiten, Drohung mit Injektion von HIV-infizierten Blut und weitere Arten der Gewalt und Erniedrigung. (U.S. Department of State: country report 2010) Todesstrafe Es kam zu Todesurteilen, jedoch keiner Vollstreckung. So wurde im Juni ein ehemaliger Beamter im Juni 2010 wegen Mord und Unterstützung einer von Eritrea unterstützten bewaffneten Gruppe zum Tode verurteilt. (AI Annual Report 2011) Im November wurden in einem Verfahren Melaku Tefera zum Tode und 24 weitere zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Sie waren der Verschwörung zur Aufhebung der Verfassung und der verfassungsmäßigen Ordnung angeklagt worden..(seven Days vom 1. bis 29.11.10) Flüchtlinge in Äthiopien Lob der UNHCR: Der Äthiopienvertreter des United Nations High Commissioner for Refugees lobte Mitte November Äthiopiens enorme Anstrengungen im Bereich der Respektierung von Flüchtlingsrechten und der Erfüllung der Grundbedürfnisse von Flüchtlingen. Insgesamt spricht er von 147.775 Flüchtlinge in 14 Lagern in Äthiopien, davon 78.000 Somalis, 42.000 Eritreer, 25.000 Sudanesen, 3.000 Kenianer und so wie aus der Demokratischen Republik Kongo, Rwanda, Burundi und Djibouti. Da diese Flüchtlinge nicht mehr in ihre Heimatländer zurückkehren können, sei Neuansiedlung in einem Drittland von größter Wichtigkeit. Dazu hätten bereits Kanada, Norwegen Australien, USA, Dänemark, die Schweiz, Äthiopien und Schweden ihre Hilfe angeboten. (Seven Days vom 1. bis 29.11.10) 5
Jahresberichte zu Äthiopien: - AI Annual Report: http://amnesty.org/en/region/ethiopia/report-2011 - Human Rights Watch (HRW): http://www.hrw.org/en/world-report-2011/world-report-2011- ethiopia - U.S. Departement of State: http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2010/af/154346.htm Redaktionsschluss: 15.5.11 Nur mit amnesty international gekennzeichnete Artikel geben die Meinung der Organisation wieder. Rundbrief herausgegeben von der Äthiopien und Eritrea-Kogruppe Postanschrift: amnesty international Äthiopien-Kogruppe, 53108 Bonn Email:aethiopien@amnesty-stuttgart.de Liebe Leser, Menschenrechtsarbeit kostet Geld. Daher würden wir uns über eine Spende auf das Konto-Nr. 8090100 bei der BfS Köln 370 205 00 unter Angabe des Verwendungszwecks: 2025// und Ihres Namens oder Ihrer Mitgliedsnummer freuen. Vielen Dank! 6