PREDIGT ÜBER LK 2,22-35

Ähnliche Dokumente
Predigt zu Lk 2,25-32: Kanzelgruß: Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Predigt für das Ende der Epiphaniaszeit (Tag der Darstellung des Herrn Mariae Lichtmess / 2.Februar)

Singe-Gottesdienst zum Sonntag nach Weihnachten 27. Dezember 2015

Und als Zacharias ihn sah, erschrak er und er fürchtete sich. Aber der Engel sprach zu ihm: Fürchte dich nicht, Zacharias, denn dein Gebet ist

Lk 2, Maria und Josef nahmen noch 4 Tauben mit. Maria und Josef wollten die 4 Tauben Gott im Tempel schenken.

GEDENKTAG. 2. Februar - Darstellung Jesu im Tempel

Jesus kommt zur Welt

Predigt am Extra für mich Lukas 2, Szene: Der Evangelist Lukas

Liturgievorschlag für Maria Empfängnis. Beginn Jeder Mensch, der in diese Welt hineingeboren wird, ist ein Hoffnungszeichen!

TAUFE VON MARKUS ENGFER GreifBar plus 307 am 15. April 2012 LIED: IN CHRIST ALONE BEGRÜßUNG WARUM TAUFEN WIR: MT 28,16-20

ERSTE LESUNG Mal 3, 1-4

»Warum feiern wir eigentlich Weihnachten, Papa?Das hat etwas mit dem Leben von Jesus zu tun. Ich erzähl es dir. Als Jesus ungefähr dreißig Jahre alt

Bibel für Kinder zeigt: Geschichte 36 von 60.

Hochfest HL. JOSEF, BRÄUTIGAM DER GOTTESMUTTER MARIA

Zwischen Himmel und Erde Predigt zu Apg 1, (Himmelfahrt 2016)

2. Weihnachtsfeiertag 26. Dezember 2015 Hebräer 1, 1-3. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wortgottesdienst für Dezember 2012 Advent

Predigt zu Johannes 14, 12-31

Predigt am 1. Sonntag nach dem Christfest, 27. Dezember 2015 in Calw-Heumaden Lukas 2,22-38 / Pfarrer Albrecht Fetzer Weihnachten für Senioren

Predigt über Johannes 4,46-54 am in Altdorf (Pfr. Bernd Rexer)

Predigt über 1. Johannes Dezemer 2009, Christfest I, Text: 1. nach Christfest Christuskirche Stuttgart

Bibel für Kinder zeigt: Die Geburt Jesu

Weinfelder. Predigt. Von Gott eingesetzt. Oktober 2013 Nr Jeremia 1,4-8

Jesus kam für dich! - Echt krass!

WORTGOTTESDIENST IM JULI 2016 Fest Mariä Heimsuchung ( 2. Juli )

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Nach dem Tod das Leben Predigt zu Joh 5,24-29 (Ewigkeitssonntag 2015)

Bibel für Kinder. zeigt: Die Geburt Jesu

Auf Jesus warten. Eine Predigt über Lukas 2, Matthias Srednik

Hintergrundinformationen zu Lukas 2,22-40 Simeon und Hanna

SCHAUEN BETEN DANKEN. Ein kleines Gebetbuch. Unser Leben hat ein Ende. Gott, wir möchten verstehen: Unser Leben hat ein Ende.

Es geht um mehr! Predigt zu Joh 11,1-45 (16. So n Trin, )

Weihnachten Das Wort wird Fleisch oder: Gottes Zärtlichkeit. der soll mal ein klares Wort sprechen, so heißt es immer mal.

Liturgievorschlag für Fest Maria Lichtmess Darstellung des Herrn

Bibelgeschichten im Quadrat: Weihnachten

Predigt. Wird Christus tausendmal // zu Bethlehem geboren // und nicht in dir: du bleibst // noch ewiglich

Lektion Von welchem Stammbaum stammte Jesus ab? - Von dem Stammbaum Abrahams, Isaaks und Jakobs.

Gebetsfolge, um die Liebe und Harmonie in den Familien zu bewahren und um Gott zu ehren

Samuel, Gottes Kindlicher Diener

Choräle. aus dem Evangelischen Gesangbuch und dem Gotteslob. Seite 1 von 6

Heiliger Abend Wir feiern Weihnachten

Lesung aus dem Alten Testament

Ein Engel besucht Maria

Weihnachtsgeschichte. Die. Jesus Christus wurde geboren, um für DICH zu sterben!

Ein Mann Von Gott Gesandt

Gottesdienst im Januar 2018 Taufe Jesu (7.1.)

Es ist ein Ros entsprungen

Maria, Mutter des Lebens

Und der Friede Gottes, der größer ist als all unsere Vernunft, bewahre deine Hoffnung, festige deinen Glauben und mach uns in der Liebe stark.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Weinfelder. Predigt. Das Wichtigste gesehen. Januar 2014 Nr Lukas 2, 25-32

Predigt zu allein die Schrift und allein aus Gnade am Reformationstag 2017

Predigt am 2. Sonntag nach Weihnachten 4. Januar 2015 Textgrundlage: Lukas 2,41-52 Der 12jährige Jesus im Tempel

Predigt am 1. Sonntag nach Weihnachten Lukas 2, Andreas Klein,

Rosenkranzandacht. Gestaltet für Kinder. Pfarreiengemeinschaft Dirmstein, Laumersheim mit Obersülzen und Großkarlbach

Einen Menschen verlieren. Lebenskunst Trauern

Wo Himmel und Erde sich berühren

Heilige Nacht Nur ein Strohhalm. unter den ersten Kartengrüßen, die mich zum Weihnachtsfest erreichten, war der

Predigt des Erzbischofs Friedrich Kardinal Wetter beim Pontifikalgottesdienst zum Weihnachtsfest 2007

31 Durch Dein Wort 66 Durch Glauben können wir verstehn 32 Ehre sei Gott für immer 33 Ein feste Burg 34 Ein für alle Mal 35 Ein Gott, der redet 106

Krippenspiele. für die Kindermette

Krankensegen. Duitstalige ziekenzegening

Liturgievorschlag für Weihnachten 2010

Predigt zum Vaterunser

Gnade sei mit euch und Friede, von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

Predigt des Erzbischofs em. Friedrich Kardinal Wetter zum Weihnachtsfest 2013 im Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern in München

Predigt zum Totensonntag am 24. November 2013 in Rümlingen

Eröffnung 249 Stille Nacht JGL 466 In dieser einen Nacht 751 Auf Christen singt festliche Lieder JGL 469 Diese Nacht hat ein Geheimnis Kyrie Gloria

A: Gut ist der Herr zu dem, der auf ihn hofft, * zur Seele, die ihn sucht.

ARBEITSHILFE FUR DEN TAG DES GOTT GEWEIHTEN LEBENS 2015

P i l g e r s e g e n

Liturgievorschlag für Neujahr Hochfest der Gottesmutter Maria

Galater 4,4-7 Christvesper mit Kindermusical Das Flötenmädchen St. Markus 1. Liebe Gemeinde!

ISBN Best.-Nr.: Auflage 2011 CMV, Bielefeld

HGM Hubert Grass Ministries

Predigt zum Weihnachtsspiel der Kinderkirche, Heiligabend, , Uhr Die Sterndeuter Suchet, so werdet ihr finden

2. Sonntag im Advent Predigt über Jesaja 63,15-64, Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Kinderkrippenfeier am Heiligen Abend 2007 Die Krippe erzählt

Andacht auf der Gemeinschaftsgrabstätte Begrüßung. Lied: Wach auf mein Herz, Namen aller Beigesetzten. Gebet:

Predigt über Johannes 16, Mai 2015, Kreuzkirche Reutlingen, Pfarrerin Carolin Braun

Heiligabend 24. Dezember Christvesper 16 Uhr. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

(Maria & Josef kommen von hinten durch den Mittelgang; sie fragen mehrere Leute, ob sie noch ein Zimmer frei haben)

Predigt für den Tag der Beschneidung und Namengebung Jesu (Neujahr)

Der Neue Bund ist Frieden mit Gott

HGM Hubert Grass Ministries

Predigt: Jesaja 9,1-6 Ein Kind schreit. Es ist dunkel. Plötzlich geht die Tür auf. Sie schiebt sich sanft über den Teppich. Ein Licht scheint in den

Du bist ein Mensch und hast viele Fragen.

Manchmal geben uns die Leute einen Spitznamen.

Jesus Christus Geburt und erstes Wirken

(Pfarrer Dr. Kurt Reuber, 1943) für ein gutes Leben mit Gott. Tipps und Texte für Erwachsene Zusammengestellt von Helge Korell

HABAKUK UND SEINE SCHAFE (Kurzversion der Geschichte aus der Ich-Perspektive der Figuren)

Christvesper um DAZ

Materialsammlung Erster Weltkrieg

1. Weihnachtstag Das Wort Rede, damit ich Dich sehe. im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.

Januar Vaterunser Meditation. Das Vater Unser Ein Nachdenken. Vater unser im Himmel

Christus-Rosenkranz. zum Totengedenken

MARIA, MUTTER JESU. Ein Engel kommt zu Maria

Lektion Was sagte der Engel zu Zacharias? - Der Engel sagte, dass Gott Zacharias einen Sohn geben werde und, dass dieser Johannes heißen werde.

Transkript:

GreifBar Gemeinde & Werk im Pommerschen Evangelischen Kirchenkreis PREDIGT ÜBER LK 2,22-35 GreifBar plus 438 am 24. Dezember 2014 VON DER GROßEN KUNST DES WARTENS Lk 2,22 Und als die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz des Mose um waren, brachten sie ihn nach Jerusalem, um ihn dem Herrn darzustellen, 23 wie geschrieben steht im Gesetz des Herrn (2.Mose 13,2; 13,15):»Alles Männliche, das zuerst den Mutterschoß durchbricht, soll dem Herrn geheiligt heißen«, 24 und um das Opfer darzubringen, wie es gesagt ist im Gesetz des Herrn:»ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben«(3.Mose 12,6-8). 25 Und siehe, ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war mit ihm. 26 Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem Heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. 27 Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, 28 da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: 29 Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; 30 denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, 31 den du bereitet hast vor allen Völkern, 32 ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel. 33 Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde. 34 Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird 35 und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden. Liebe GreifBar-Gemeinde 1, gibt es hier noch jemanden, der nicht gerne wartet? Mich macht es wahnsinnig. Ich strebe nach jetzt und bekomme oft genug noch nicht : in der Schlange vor der Kasse, im Wartezimmer beim Arzt, vor der Bescherung am Weihnachtsabend, an der Ampel wobei ich eine private Theorie habe, dass in Greifswald die Ampelphasen aus lauter Bosheit besonders lang sind. Warten ist furchtbar: zum Beispiel wenn man ein Problem mit der Telekom hat und gefühlte Ewigkeiten in der Telefon-Warteschleife hängt. Bei 1 Diese Predigt verdankt wesentliche Gedanken der Predigt von John Ortberg vom 2. Dezember 2014 in MPPC, Menlo Park, California.

Youtube gibt es einen Clip: Da warten Gäste in einem Restaurant über eine Stunde auf ihre Mahlzeit, und dann waren Gäste so frustriert, dass sie sich mit dem Handy eine Pizza beim Pizzaservice bestellten und die wurde auch geliefert! Das Restaurant hieß übrigens Hell s Kitchen. Warten ist furchtbar. Auch in der Kirche, wenn eine Predigt einfach nicht enden will. Noch nie erlebt? Warten Sie s ab! - Warten ist furchtbar: Wir können nichts tun und wir haben keine Kontrolle. Und das gilt um so mehr, wenn es nicht nur um Kleinigkeiten geht. Wir könnten wohl alle Geschichten erzählen, vom Warten, Sehnen und Harren. Wann wird sich ein Problem endlich klären, wann das Konto ausgeglichen sein, wann der Konflikt mit jemandem zu Ende sein, den man eigentlich liebt, wann wird mein Kind seinen Weg endlich finden, wann wird ein Tag herandämmern, an dem man sagen kann, heute lebe ich gerne. Wann, wann endlich, wann? In einem Gebet im Alten Testament heißt es: Herr, wie lange willst du mich so ganz vergessen, wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir? Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele und mich täglich ängstigen in meinem Herzen? 2 Wie lange fragt, wer so lange schon vergeblich wartet. Und Gott scheint so selten zu antworten. Es gibt in der Weihnachtsgeschichte eine Figur, die ich gerne in unseren Krippen sähe. Kein Engel, kein Hirte, keiner der drei Sterndeuter, nicht Maria, nicht Josef, eher eine Figur am Rande. Es ist Simeon. Lukas, der Erzähler der Weihnachtsgeschichte, baut ihm am Rande der Ereignisse ein Denkmal: Denk an Simeon, den großen Wartenden. Er betritt die Bühne ein paar Tage nach der Geburt von Jesus, als Maria und Josef mit dem Neugeborenen nach Jerusalem reisen. Sie wollen dort im Tempel Gott für ihr Kind danken so war es üblich und so wurde es erwartet. Dort treffen sie auf einen alten Mann, auf Simeon. Und Simeon hält die eine große Rede seines Lebens, und die hören wir jetzt: 25 Und siehe, ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war mit ihm. 26 Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem Heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. 27 Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, 28 da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: 29 Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; 30 denn 2 Psalm 13,2-3a. Leicht angepasst. 2

meine Augen haben deinen Heiland gesehen, 31 den du bereitet hast vor allen Völkern, 32 ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel. 33 Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde. Vielleicht kann uns mehr oder weniger Geduldigen und mehr oder weniger Ungeduldigen Simeon ein bisschen helfen, wie es mit dem Warten ist. Einiges an ihm ist auffällig, vier Bilder vom alten Simeon will ich Euch zeigen: Das erste: Simeon wartet und wartet auf den Trost Israels. Das ist das erste, was wir von ihm erfahren. Sein Horizont ist weit. Er wartet nicht nur auf das, was er für sich persönlich erhofft, oder für seine Familie, seine Freunde, seinen Betrieb. Sein Blick ist viel weiter: Er wartet auf den Trost Israels. Davon sprach schon Jesaja: Tröstet, tröstet mein Volk, so hören wir, dass die schlimmen Tage ein Ende haben und es endlich gut wird. Simeon ist nicht so mit sich beschäftigt, dass er nicht sähe, was draußen los ist, und wie desolat die Verhältnisse sind, wie sehr sich Menschen nach Trost sehnen und danach, dass es endlich besser werde: die Menschen in Ferguson, Missouri, die Eltern der ermordeten Schulkinder in Pakistan, die vertriebenen Christen und Yesiden im Irak, die frierenden Menschen im Osten der Ukraine, die Vertriebenen und Flüchtigen, die Sex- und Arbeitssklaven weltweit, die Rumänen und Bulgaren in manchen industriellen Schlachthöfen unseres Landes, die ohne Bett und warmen Ofen in unseren Städten. An all das denken Menschen wie Simeon und fragen: Wann wird es endlich anders, wann wenden sich die Dinge endlich zum Guten? Größeres als sein privater Trost lag Simeon am Herzen, nach dem Trost Israels fragt er. Das ist das erste: Unser eigenes Leben ist ja wichtig, aber schau über den Tellerrand! Das zweite: Simeon wartet und wartet ein ganzes Leben lang. Ich habe versucht, mir das vorzustellen, wie er täglich in den Tempel geht und Gott fragt: Gott, ist es heute so weit? Sagst Du heute endlich: Jetzt! Und wieder und wieder hört er: nicht jetzt, noch nicht! Und wieder vergeht ein Jahr: nicht jetzt, noch nicht. Jahre, Jahrzehnte. Und Simeon hält durch. Er hat nur eine persönliche Zusage: Du wirst es noch erleben, Du wirst nicht sterben, bevor du es gesehen hast. Und daran hält er sich fest. Und geht in den Tempel: Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr um immer wieder zu hören: nicht jetzt, noch nicht! Es gibt ein, zwei, drei Dinge, auf die warte ich schon Jahre, teils Jahrzehnte. Und es fällt nie ein Zettel vom Himmel: Heute in drei Monaten wird alles 3

gut! Und es ist so schwer, die Hoffnung nicht aufzugeben. Warten, ohne passiv zu sein. Warten, dabei tun, was uns möglich ist, aber auf das Entscheidende nur warten können. Wir hören von Menschen, die es anders als Simeon nicht ertrugen. Abraham und Sara hatten auch ein Versprechen von Gott, sie sollten im hohen Alter noch einen Stammhalter bekommen, aber es geschah nichts. Sie warteten und warteten und nichts passierte. Da nahmen sie die Dinge selbst in die Hand: Sara schickte ihren Mann zu ihrer Haushaltshilfe, die sollte nun als eine Art Leihmutter einspringen. Wer die Geschichte nachliest, merkt schnell: Sie bezahlten ihre Ungeduld teuer, am Ende hatten sie nur noch mehr Probleme und viel Herzeleid! Das ist der Preis der Ungeduld: Wir hören auf zu warten, zu beten, Gott die Treue zu halten. Die einen werfen das Handtuch, die anderen meinen, sie können die Dinge nun selbst in die Hand nehmen. Nicht so Simeon! Simeon hielt durch. Er hielt fest, auch wenn es schwer war. Er wird sich das immer wieder selbst gesagt haben: Gott hat es versprochen. Ich werde nicht sterben, bevor ich gesehen habe, worauf ich warte. Und das ist das dritte: Simeon wartet und wartet und genau so formt Gott seinen Charakter. Es heißt von diesem alten Mann, er sei fromm und gottesfürchtig. Diese biblischen Worte weisen uns in zwei Richtungen. Die eine: Wenn jemand fromm genannt wird, meint das: Er war reif, er war weise, er war lebenstüchtig und er wurde geschätzt als integre Persönlichkeit. Und die andere: Wenn jemand gottesfürchtig genannt wird, meint das: Gott war für ihn keine bloße Idee, Gott war auch nicht eine Art Erste Hilfe für besonders schlimme Stunden. Simeon lebte mit Gott. Täglich. Hörte auf ihn. Forschte nach seinem Willen. Rief ihn an. Und er wusste: Gott ist zu mit Ehrfurcht und Demut zu begegnen, nur so stehe ich in einem rechten, angemessenen Verhältnis zu ihm. Wie wird man ein solcher Mensch, mit beiden Beinen auf dem Boden und mit einem offenen Herzen, das ganz auf Gott hin ausgerichtet ist. Simeon hätte wohl gesagt: Das Warten hat mich geformt. Beide Beine auf dem Boden, nein, keineswegs einverstanden mit dem Zustand der Welt, meiner kleinen und der großen da draußen, aktiv, wo ich aktiv sein muss, aber auch ausgestreckt und täglich harrend, täglich suchend: Gott, wann endlich ist es so weit? John Ortberg bringt es auf diesen Nenner: Manchmal ist das, was Gott an uns tut, während wir lernen zu warten, wichtiger als das, worauf wir warten. Manchmal baut Gott gerade, wenn wir warten müssen, an unserem Herzen, an unserem 4

Charakter, an unserem Menschsein. Manchmal bildet er dann in uns eine gesunde Ungeduld, die anpackt, wo es nötig ist, aber auch eine stille Vorfreude, die sich ausmalt, wie es sein wird, wenn Gott kommt und seine Versprechungen wahr macht. Und das vierte: Simeon wartet und wartet und eines Tages hält er ein Baby im Arm. Und da kann man ja nur staunen. Es kamen ja täglich junge Familien in den Tempel, um für eine glückliche Geburt zu danken. Und Maria und Josef waren auch nicht äußerlich irgendwie besonders, normale Leute, ein bisschen schäbig gekleidet, ein bisschen scheu, noch verwirrt von jener Nacht, die wir die heilige nennen. Aber Simeon geht es durch und durch: Das ist es! Da ist er! Jetzt hat das Warten ein Ende. Jetzt darf ich aufhören zu harren und immer wieder enttäuscht zu werden. Jetzt darf es zu Ende sein. Er ist da! Das Licht der Welt. Der Heiland. Der Wieder-gut-Macher, der Schuld-Vergeber, der Frieden- Bringer, der Rat-Wisser, der König, der Retter, der Gott-bei-uns, Jesus. O.k., lieber Simeon, treten wir mal ein bisschen auf die Bremse: Was hat sich denn schon geändert? Du hältst ein Kind im Arm. O.k., wer schon einmal ein Neugeborenes im Arm hatte, der kennt diese Gefühle: Freude, die einem die Tränen die Augen treibt, Glück, Hoffnung, ein Versprechen auf Zukunft. Schon, aber mehr doch auch nicht. Du wirst sterben, Simeon, und die Verhältnisse in Deinem Land sind morgen keine anderen als gestern! Simeon war ein alter, frommer Mann, kein Träumer, kein unverbesserlicher Optimist, keiner, der alles einfach mit rosa Farbe übergießt. Denn so, genau so, führt uns Simeons Geschichte mitten in das Geheimnis von Weihnachten hinein, und damit mitten in das Geheimnis des Wartens. Simeon hält ja nicht ein Kind im Arm, er hält das Kind im Arm. Simeon weiß auch: Die Welt sieht noch nicht wirklich anders aus. Aber jetzt ist Jesus da. Was immer wir durchmachen, er ist bei uns. Auch in Trauer. Auch in schwierigen, gefährlichen Phasen der Gemeinde. Auch wenn uns die Not weltweit schwer auf der Seele liegt. Worauf immer wir warten, er wird uns nicht im Stich lassen. Und es ist mit dieser Geburt etwas in diese Welt hineingeboren, das nie wieder aus dieser Welt heraussterben wird. Es ist etwas in dieser Welt, das uns hoffen lässt: Alles wird gut. Wie es Hans-Dieter Hüsch dichtete: Jesus kommt. Alles wird gut. Jesus wird dafür einmal ein Bild gebrauchen: Das Bild eines Senf- 5

korns, klein, winzig, verletzlich, leicht zu übersehen. Aber in die Erde gepflanzt, wird es zu einem großen starken Baum. Alles muss klein beginnen, aber mit Jesus ist Gottes großes Versprechen in der Welt: Es wird gut mit Deinem Leben. Es wird alles neu mit dieser Welt. Und überall wo Jesus hinkommt und wo sich Menschen ihm anschließen, gibt es solche Simeon-Momente: Endlich darf ich in Frieden loslassen, es wird alles gut. Ich schließe mit zwei Hinweisen zum weihnachtlichen Warten und Feiern. Der erste Hinweis: Mit Simeon sehen wir das Besondere an Weihnachten! Simeon darf den Heiland in den Arm nehmen. Er kommt so nah, es ist eine äußerst intime Szene. Der der sich ein Leben lang in die Ehrfurcht vor Gott einübte, nimmt Gottes Sohn in den Arm und drückt ihn an sein Herz. Weihnachten ist Gott ganz nah, greifbar. Wir feiern in dieser Nacht Abendmahl: Gott ganz klein, ganz nah, wir dürfen es schmecken und dabei spüren: Wir drücken ihn selbst an unser Herz. Und alles, was wir erwarten und erhoffen könnten, ist schon da. Er ist da. Und darum wird es gut, auch wenn wir warten müssen, das Leben nicht leicht ist und wir so gerne vieles schon so viel klarer sehen könnten! Der zweite Hinweis ist eine kleine Übung: Wann immer Sie in den nächsten Tagen warten müssen, an der Ampel, im Supermarkt oder am Telefon, nehmen Sie es als eine kleine Glaubensübung. Ich habe nicht die Kontrolle. Ich trage nicht die Welt auf meiner Schulter. Ich warte. Ich warte auf den Herrn. Er ist ja schon da, und jetzt üben wir uns ins Warten. Wir werden nicht eigenmächtig und nicht faul. Wir tun, was wir tun sollen. Mehr aber auch nicht. Und unser Herz üben wir darin zu werden wie Simeon: voller Respekt für Gott, voller Zutrauen zu den Worten, mit denen er schon früher in unser Herz hinein sprach, so kommen wir wieder und wieder in den Tempel, also in seine Gemeinde und fragen: Herr, heute? Und so warten wir auf jene Momente, in denen wir etwas von dem sehen dürfen, was Gott versprochen hat, bis zu jenem Moment, an dem wir alles sehen werden. Bis dahin aber wissen wir: Auch im Warten wirkt Gott an uns und formt unser Leben. Warten ist schwer, aber Warten ist auch eine große Kunst. Und Gottes Volk stimmt ein und ruft: Amen. 6