Zu schön, um. Eine Ausstellung in München feiert die Rückkehr

Transkript

1 Zu schön, um Eine Ausstellung in München feiert die Rückkehr 6 kultur SPIEGEL 2/2000

2 Einseitige Schönheiten wie bei Benetton: Beauty, von Rosemarie Trockel (1995) wahr zu sein der Schönheit. Darf man das wieder? VON FIONA EHLERS 2/2000 kultur SPIEGEL 7 FOTOS: ROSEMARIE TROCKEL / GALERIE MONIKA SPRÜTH KÖLN / MUSEUM IN PROGRESS WIEN

3 Subversive Attacke mit Plastikblume und Pumps: Ever is Over All, Videoinstallation von Pipilotti Rist (1997) Ist Schönheit korrupt? Schön ist sie, vor allem schön. Sie trägt ein blassblaues Chiffonkleid, hohe Pumps und hat Lippen so rot wie Schneewittchen. Sie tänzelt, liebliche Lieder summend, durch die Straßen der Stadt. In der Hand hält sie eine rote Fackellilie aus Plastik. Anmutig wie eine gute Fee mit Zauberstab pocht sie damit auf die Windschutzscheiben der parkenden Autos. Die bersten, und sie lächelt. Weil die vorbeieilende Polizei aber eine Polizistin ist, den gleichen Lippenstift trägt und ebenso schön lächeln kann, darf sie weitermachen, bis kein Auto mehr heil ist. Gewalt und Terror, ohne einen Tropfen Blut, ohne Lärm und Wut als sei es das Schönste auf der Welt. Ever is Over All nannte die Schweizer Videokünstlerin Pipilotti Rist, 37, ihre Installation, in der sie wie so oft ihre eigene Hauptdarstellerin ist. Bisher galt die Darstellung von Schönheit als korrupt, sagt sie. Mich aber interessiert das Subversive an ihr. Rists Arbeit von 1997 ist eine verschmitzte Konfrontation von Mobilitätswahn und Natur, ein aufmüpfiges Spiel mit Männerblicken und Frauenrollen. Aber vor allem ist sie sinnliche Auseinandersetzung mit Schönheit dem Hauptthema der Kunst, seit es Kunst gibt. Cindy Sherman: Untitled #209 (1989) 8 kultur SPIEGEL 2/2000

4 Gerasterte Landschaften, schöner als in Wirklichkeit: Sinking Sun, von Roy Lichtenstein (1964) FOTOS: PIPILOTTI RIST, CINDY SHERMAN, COURTESY JOSEPH HELMAN GALLERY / NEW YORK, GERHARD RICHTER Scheune, von Gerhard Richter (1984) Seitdem die Kunst aber modern geworden war, hatte es die Schönheit schwer. Mit dem Beginn der Avantgarde Ende des 19. Jahrhunderts war das Reine und Heile tabu. Auf einmal galt die Darstellung von Schönheit als vulgär, korrupt, oberflächlich und somit bedeutungslos. Ziel war es nicht mehr, das jeweilige Schönheitsideal Wirklichkeit werden zu lassen. Wichtig war, was etwas bedeutete, nicht mehr, wie es aussah. Die Triebkraft der modernen Kunst war das Verlangen, das Schöne zu zerstören, sagte Barnett Newman, Vertreter des Abstrakten Expressionismus. Wie vor ihm Pablo Picasso, dessen zerstückelte Körper von Krieg, Gewalt, Angst und Vergänglichkeit sprachen, oder Marcel Duchamp, der ein Urinal zur Kunst erklärte, wollte er sich befreien von künstlerischer Tradition und konservativen Erwartungshaltungen. Die Avantgarde war auf der Suche nach dem Wahren, Authentischen, nach politischer Korrektheit, nach Kritik und Veränderung. Dann aber sagte der amerikanische Kunstkritiker Dave Hickey der Kunst die Rückkehr zur Schönheit voraus: Die Devise der Neunziger wird Beauty sein, glaubte er Er sollte Recht behalten: Nach mehr als einem Jahr- 2/2000 kultur SPIEGEL 9

5 Adretter Alien, so schön, dass er Angst macht: Tea Ceremony III, von Mariko Mori (1995) Überall Sex, Verführung und Glamour hundert der Missbilligung haben die schönen Künste die Schönheit wiederentdeckt. Die Ästhetik des Hässlichen scheint zu Ende, und alles ist heiter. Neobarock und neuer Sensualismus nennen es die Theoretiker. Und der Betrachter? Den springen plötzlich wieder vollkommene Körper und dekorative Stillleben in prächtigen Farben und glatten Oberflächen an. Sex, Verführung und Glamour, wohin er schaut. Der schöne Schein vom Leben scheint die aktuelle Kunst wieder zu beherrschen. Alles ist Perfektion, oft an der Grenze zum Kitsch und nicht weit entfernt von der Blümchentapete. Den Siegeszug der Schönheit feiern jetzt auch die Museen. Beauty Now, eine gelungene Ausstellung in München, widmet sich im Februar dem neuen alten Thema. Im November legt das Kölner Museum Ludwig nach. Gezeigt werden unter anderem Arbeiten von Mariko Mori, Cindy Sherman und Matthew Barney. Auch diese jungen Medienkünstler haben die Scheu vor dem Schönen verloren, doch statt bedeutungsleerem Oberflächenrealismus geht es ihnen wieder um beides: um Schönheit und um die Wahrheiten, die sie hervorbringen soll. Ihre Werke wagen den kühnen Blick hinter die Bilder, die die Medien geschaffen haben. Jenseits des Gesichtsterrors und der Harmonie, die den Menschen heute durch Titelblätter und Anzeigen vorgegaukelt werden, blasen sie zum Angriff gegen Konsum und Marktmechanismen. Und das Do it Yourself (Flowers), von Andy Warhol (1962) 10 kultur SPIEGEL 2/2000

6 FOTOS: MARIKO MORI / COURTESY DEITCH PROJECTS NEW YORK, ANDY WARHOL / COURTESY SAMMLUNG DAROS, MATTHEW BARNEY Choreography of Goodyear, von Matthew Barney (1995) funktioniert am besten mit den Mitteln der Videoclips, der TV-Unterhaltung, der Modefotografie und der Werbung. So wirkt die Plakatwand Beauty der deutschen Künstlerin Rosemarie Trockel auf den ersten Blick wie eine Benetton-Kampagne. Auf den zweiten aber ist sie eine Parodie auf die Werbewelt: Trockel spiegelte im Computer immer nur eine Gesichtshälfte ihrer Models und schuf perfekt synchrone Gesichter. Und auch die amerikanische Fotokünstlerin Cindy Sherman treibt ihr Spiel mit der Schönheit, wenn sie sich wie eine moderne Mona Lisa inszeniert, deren Lächeln zur Maske gefriert. Schönheit hat heute wieder die Möglichkeit, etwas zu bewirken, sagt Michelle Nicol, Kuratorin der Kölner Schau. Oberflächliche Attraktivität und Verführungskraft versteht sie als Kommentar zur Realität, als subversiven Aufstand mit den Mitteln der Ironie. In der aktuellen schönen Kunst besteht also wieder Hoffnung: Darauf, dass es die so genannte Hochkunst gemeinsam mit der Popkultur schafft, den verkleisterten Blick wieder klar zu kriegen. Zu schön, um wahr zu sein.... BEAUTY NOW. DIE SCHÖNHEIT IN DER KUNST AM ENDE DES 20. JAHRHUNDERTS. HAUS DER KUNST, MÜNCHEN, , KATALOG IM HATJE CANTZ VERLAG; 248 SEITEN; 98 MARK. SCHÖN- HEIT ALS AUTONOME ZONE DER AKTUELLEN KUNST. MUSEUM LUDWIG, KÖLN, /2000 kultur SPIEGEL 11