SWR 2 Musikstunde mit Christian Schruff Freitag, Same, same, but different! - dasselbe in Grün - Bearbeitungen (4)

Transkript

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2 2 SWR 2 Musikstunde mit Christian Schruff Freitag, Same, same, but different! - dasselbe in Grün - Bearbeitungen (4) Die Klassikszene ist auf der Suche nach neuen Zielgruppen. Wie lassen sich auch junge Leute für Klassik begeistern? Schicke Geiger mit Modellqualitäten finden manche gut, doch da wird die Klassik am Ende nur zur Popmusik. Ein anderer Weg: Klassiker recomposed. Wie neu das ist, darum wird s heute gehen. Willkommen! Musik 1 CD Vivaldi Tracks 1 & 2 3:14 Antonio Vivaldi / Max Richter Spring 0 & 1 Daniel Hope, Violine Konzerthaus Kammerorchester Berlin Ltg.: André de Ridder DG, , LC00173 Das war natürlich Antonio Vivaldis Frühling aus den Vier Jahreszeiten. Aber nicht im Original, sondern bearbeitet, oder besser: recomposed. Nicht ein Remix, sondern eine neue Komposition vom Deutsch- Engländer Max Richter mit Material von Vivaldi. Vivaldi im Lounge -Format, barocke Original-Bruchstücke, eingebettet in einige Wellness-Akkorde, die die junge Generation kennt und gerne beim Chillen hört. Spring 0 3 heißen die Sätze, in denen man das bekannte Vorbild Vivaldis La primavera - im Geiste zwar immer mit hört, von Max Richter aber harmonisch, melodisch und dynamisch auf neue Fährten geführt wird. So kommt Vivaldi und der Vivaldi-Hörer in einer Klangwelt aus dem 21. Jahrhundert an, in der Klangfetzen aus der Vergangenheit ans Ohr wehen, gemischt mit neuen Farben und mit Techniken, die auch in Max Richters Filmmusiken anzutreffen sind. Andere Elemente scheinen aus der Minimal- Music übernommen und auch beeinflusst von Komponisten wie Arvo Pärt.

3 3 Musik 2 CD Vivaldi Track 3 3:19 Antonio Vivaldi / Max Richter Spring 3 Daniel Hope, Violine Konzerthaus Kammerorchester Berlin Ltg.: André de Ridder DG, , LC00173 Max Richter möchte, dass wir die all zu bekannte Musik von Vivaldis Vier Jahreszeiten wirklich neu hören. Doch er wollte nicht eine existierende Aufnahme mit digitalen Möglichkeiten nur neu mischen, sondern Max Richter wollte in Vivaldis Partitur eindringen. Und seine neue Musik auf der Basis von Vivaldi verbindet dann einen Solisten wie Daniel Hope und das Konzerthauskammerorchester Berlin unter André de Ridder mit behutsam angewandter Elektronik. Kein Remix also, sondern Vivaldi resomposed. Musik 3 CD Vivaldi Track 4 3:09 Antonio Vivaldi / Max Richter Spring 4 Daniel Hope, Violine Konzerthaus Kammerorchester Berlin Ltg.: André de Ridder DG, , LC00173 Max Richters Spring nach Antonio Vivaldis La Primavera aus den Vier Jahreszeiten. Vivaldi recomposed und gespielt von Daniel Hope und dem Konzerthaus Kammerorchester Berlin unter Leitung von André de Ridder. Max Richter hat nicht alle Noten von Vivaldi verändert, aber er hat doch eine neue Komposition geschaffen. Das unterscheidet seine Re- Komposition grundlegend von der Vivaldi-Bearbeitung, die rund 80 Jahre früher der Dirigent Leopold Stokowski vorgenommen hat. Bei ihm ist jede Note originaler Vivaldi.

4 4 Im 3. Satz von Vivaldis Concerto grosso op. 3, Nr. 11 beginnt alles eigentlich wie gehabt: mit Streichern. Nur dass die viel mehr sind, als man das aus heute üblichen Barockbesetzung gewöhnt ist. Doch dann mischen sich Holzbläser ein, die bei Vivaldi nicht vorkommen. Die wären aber in einer barocken Praxis durchaus denkbar. Doch dann erweitert Stokowski zum Ende hin das Klangbild zum Sinfonischen. Hörner und Posaunen geben dem Sound eine bombastische Fülle, die nun überhaupt nicht mehr Barock ist. Und dort sind dann doch einige Noten neu und kein originaler Vivaldi mehr. Das ist dann nur noch die Klangregie eines sinfonischen Magiers wie Leopold Stokowski. Musik 4 CD Track 23 3:28 Antonio Vivaldi (arr. Leopold Stokowski) Concerto grosso d-moll op. 3, Nr Allegro BBC Philharmonic Ltg.: Matthias Bamert CHANDOS, CHAN 9930, LC07038 Der letzte Satz aus Antonio Vivaldis Concerto d-moll op. 3, Nr.11 im sinfonischen Sound der Bearbeitung von Leopold Stokowski aus den 1930er Jahren. Eine Aufnahme mit dem BBC Philharmonic unter Leitung von Matthias Bamert. Stokowskis aufgebläht wirkender Vivaldi ist heute eher ein Kuriosum. Der Originalklang hat sich durchgesetzt. Wobei man durchaus fragen kann, wie original dieser Originalklang tatsächlich ist. Denn für Aufführungen der Concerti grossi von Vivaldis Kollegen wie etwas Corelli oder auch Torelli sind Mammutbesetzung von bis zu hundert Streichern für die Zeit des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts belegt.

5 5 Und in der Barockzeit war man ohnehin nicht zimperlich im Bearbeiten. Man hatte einen recht pragmatischen Umgang mit Musik und passte sie immer wieder den aktuellen Möglichkeiten und Gegebenheiten an. Wenn man also keine neue Musik aufführte, dann wurden ständig ältere Werke recomposed. Und auf diese Praxis berufen sich heute wieder viele Solisten, wenn sie Solo-Konzerte etwa von Johann Sebastian Bach für ihre eigenen Instrumente bearbeiten weil Bach beispielsweise keine Konzerte für Mandoline hinterlassen hat. Avi Avital liebt Bach. Und Avi Avital ist ein Virtuose auf der Mandoline. Der Musiker aus Israel hat sich jene Cembalokonzerte von Bach vorgenommen, hinter denen ursprüngliche Konzerte für Violine oder Oboe vermutet werden, und hat sie dann für sein Instrument, für die Mandoline bearbeitet. Dabei ist er erfinderisch gewesen, denn lang gehaltene Töne, die auf Geige oder Oboe kein Problem sind, kann man auf der Mandoline nicht spielen. Aber auf dem Cembalo auch nicht. Avi Avital konnte sich für seine Bearbeitung also bei Bach selbst abschauen, wie man mit Verzierungen die Illusion eines langen Tons erzeugt. Hier also ein Mandolinenkonzert von Johann Sebastian Bach im g-moll nach dem Oboenkonzert BWV Musik 5 Avital CD Track 4-6 9:31 Johann Sebastian Bach Konzert für Mandoline und Orchester nach BWV 1056 Avi Avital, Mandoline Kammerakademie Potsdam DG, , LC00173 Absage

6 6 Ein besonders pikanter Fall von Recomposing ist das Flötenkonzert D- Dur KV 314 von Wolfgang Amadeus Mozart. In Mannheim hatte Mozart Ende 1777 einen Auftrag bekommen. Er sollte für einen Arzt aus Holland, einen Herrn De Jean, 3 kleine leichte und kurze Concerto und ein paar Quattro auf die Flöte machen so berichtete Mozart in einem Brief an Vater Leopold. Der Auftrag kam gelegen, denn er sollte 200 Gulden bringen, und das Leben in Mannheim war teuer. Doch Mozart hatte immer wieder Besseres zu tun und kam nicht so recht voran mit dem Auftrag. Ein Konzert wurde fertig, auch die Flötenquartette. Dem Vater gegenüber sagte Mozart, dass er die Flöte nicht leiden könne, dass ihm deshalb nichts einfiele. Doch das scheint eine Ausrede gewesen zu sein. Mozart war gerade heftig verliebt und schob den Auftrag immer wieder vor sich her. Aber dann schließlich war doch noch ein zweites Flötenkonzert fertig das D-Dur-Konzert KV 314. Hier der Anfang. Musik 6 CD Track 4 (6:32) Puffer!!! Von Anfang, passend ausblenden Wolfgang Amadeus Mozart Flötenkonzert D-Dur KV Allegro aperto Barthold Kuijken, Flöte La Petite Bande Ltg.: Sigiswald Kuijken DHM, GD77054, LC00761 Absage Dieses Flötenkonzert für Herrn De Jean war allerdings kein neues Stück. Es war ein Stück, das Mozart aus Salzburg mitgebracht hatte, und das in Mannheim schon einige Male aufgeführt worden war. Für den Salzburger Oboisten Giuseppe Ferlendi hatte Mozart das Konzert geschrieben Anfang 1777, in C-Dur.

7 7 Der Mannheimer Oboist Friedrich Ramm war von dem Stück offenbar sehr angetan, denn im Februar 1778 schreibt Mozart nicht ohne Stolz an seinen Vater, dass Herr Ramm "zur abwechslung fürs 5:te mahl mein oboe Concert für den ferlendi gespiellt, welches hier einen grossen lärm macht. es ist auch izt des H: Ramm sein Cheval de Bataille." Ein solches Schlachtross dürfte auch dem holländischen Musikliebhaber De Jean nicht unbekannt geblieben sein. Und natürlich bemerkte er schnell, dass Mozart ihm nur eine Bearbeitung dieses Oboenkonzerts unterjubeln wollte, statt ein eigenes neues Flötenkonzert zu komponieren. Die Quittung folgte bei der Bezahlung: Statt 200 Gulden, bekam Mozart nur 96 für diesen klaren Fall einer Mogelpackung von Flötenkonzert, das in Wahrheit ein Oboenkonzert gewesen ist. Musik 7 CD Track 1 ab < 3:14 3:27 Wolfgang Amadeus Mozart Oboenkonzert C-Dur KV Allegro aperto Michael Niesemann, Oboe Concerto Köln CAPRICCIO, , LC Absage Jetzt in der SWR 2 Musikstunde noch ein Fall von re-komponiertem Mozart kam der hintergründige, schwarzhumorige und sinnliche Film Drowning by numbers von Peter Greenaway in die Kinos Verschwörung der Frauen hieß die deutsche Fassung. Der Film ist nicht nur optisch und erzählerisch ein opulentes und surreales Verwirrspiel, auch die Musik von Michael Nyman spielt mit Versatzstücken, die man zu kennen glaubt.

8 8 Im folgenden Ausschnitt ist es, als würde ein alte Schallplatte im berühmten, langsamen von Mozarts Sinfonia concertante für Geige und Bratsche immer wieder hängen bleiben. Aber schnell werden Sie hören: die Musik geht sehr wohl weiter und über Mozart hinaus wird sie zum echtem Michael Nyman. Musik CD Track 17 5:19 Michael Nyman Trysting Fields (aus Drowning by numbers / Verschwörung der Frauen 1988) Daniel Hope, Violine Juan Lucas Aisemberg, Viola Deutsches Kammerorchester Berlin Ltg: Simon Halsey DG, , LC00173 Musik von Michael Nyman für den Film Drowning by numbers von Peter Greenaway mit Zitaten aus Wolfgang Amadeus Mozarts Sinfonia concertante für Violine und Viola. Diesen Satz hat der Geiger Daniel Hope mit dem Bratscher Juan Lucas Aisemberg und dem Deutschen Kammerorchester Berlin neu eingespielt auf seiner neuesten CD Spheres. Same, same, but different dasselbe, aber anders oder wie unser Sprichwort sagt: Dasselbe in grün war das Thema dieser SWR 2 Musikstunde. Bearbeitungen sind eben doch nicht nur dasselbe in Grün. In ihnen steckt eine Menge neuer Kreativität. Denn für eine Uminstrumentierung muss manches geändert werden. Und manchmal ist die so entstandene Bearbeitung sogar weniger problematisch als das Originalwerk! 1987 entdeckte der Musikforscher Joachim Draheim im Nachlass des Geigers Joseph Joachim eine Version des Cellokonzerts a-moll von Robert Schumann für Solo-Geige, und zwar eine Fassung, die offensichtlich von Schumann selbst autorisiert ist. Schumann hat sogar erwogen, beide Fassungen des Konzerts herauszugeben für Cello und Geige. Denn mit der Originalversion, mit dem Cellokonzert hatte Schumann wenig Glück.

9 9 Es ist dann aber doch nur als Cellokonzert erschienen und bedurfte der Fürsprache großer Solisten wie Pablo Casals, um sich seinen heutigen Platz im Repertoire zu erkämpfen. Das große Problem von Schumanns Cellokonzert ist die Lage der Solostimme: das Cello hat es immer schwer, sich gegen den Orchesterklang durchzusetzen. In die höhere, brillantere Lage der Violine übertragen, ist dieses Problem gelöst und auf diese Weise ist seit noch ein weiteres Violinkonzert von Robert Schumann für Geiger verfügbar. Soll man ihm wünschen, dass es häufiger gespielt wird? Wo doch nur wenige Geiger den Mut haben, Schumanns originales Violinkonzert zu spielen? Diese Frage berührt die Grundsatzfrage, was man von Bearbeitungen halten soll. Für mich ist nach dieser Woche klar: wenn Sie so gut und kreativ gemacht sind, warum soll man sie nicht spielen? Musik < (Ende 6!) Track 7 7:22 Robert Schumann Violinkonzert a-moll (auf Basis des Cellokonzerts a-moll, op. 129) 3. Sehr Lebhaft Lena Neudauer, Violine Deutsche Radio Philharmonie Ltg.: Pablo Gonzáles HÄNSSLER, , LC 10622