Einsatz von Fluoriden in der Prävention von dentalen Erosionen

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1 ÜBERSICHTSARBEIT / REVIEW ARTICLE A. Wiegand 1, T. Attin 1 Einsatz von Fluoriden in der Prävention von dentalen Erosionen Dentale Erosionen werden durch den chronischen Kontakt mit extrinsischen oder intrinsischen Säuren mit niedrigem ph-wert oder hoher Säurekapazität hervorgerufen. Der erosive Zahnhartsubstanzverlust ist ein Oberflächenphänomen, bei dem eine partiell demineralisierte und wenig abrasionsstabile Schicht auf der Zahnoberfläche zurückbleibt. Histologisch unterscheiden sich Erosionen somit charakteristisch von kariösen Läsionen, so dass der Einsatz von Fluoriden weniger auf eine Remineralisation der schmalen demineralisierten Oberflächenschicht zielt als vielmehr auf die Bildung einer Schutzschicht gegen den Säureangriff. Die Wirkung von konventionellen Fluoriden, wie Aminfluorid und Natriumfluorid, ist auf die Bildung von -Präzipitaten zurückzuführen, die einerseits eine mechanische Schutzschicht gegenüber dem Säureangriff darstellen und andererseits ein Mineralreservoir bilden, welches Protonen abfangen und puffern kann. Die Stabilität und Dicke der -Schutzschicht steigt mit zunehmender Konzentration und Applikationsdauer der Fluorid-Präparate, so dass eine sog. Intensivfluoridierung die Entstehung von Erosionen wahrscheinlich am wirksamsten reduziert. Neuere Untersuchungen fokussieren auf Fluoridverbindungen mit polyvalenten Metallionen (z. B. Zinnfluorid oder Titantetrafluorid), die auf der Zahnoberfläche eine metallhaltige und wahrscheinlich sehr säurestabile Oberflächenschicht bilden. In weiteren Studien muss überprüft werden, ob diese Fluoridverbindungen auch unter klinischen Bedingungen wirksamer sind als konventionelle Fluoridpräparate. Schlüsselwörter: Erosion; Fluoride Erosive dental hard tissue loss develops under the chronic exposure to extrinsic or intrinsic acids with low ph. The result is a centripetal bulk substance loss combined with a small partly demineralised surface zone which is susceptible to abrasion. Thus, erosive lesions are basically and essentially different from caries so that the prevention of dental erosion by fluoride focuses mainly on the protection of the tooth surface against demineralisation rather than on remineralisation of the small demineralised surface layer. The anti-erosive potential of conventional fluorides, such as amine or sodium fluoride, is mainly related to the formation of -precipitates which are assumed to act as a physical barrier hampering the contact of the acid with the underlying enamel or as a mineral reservoir, which is attacked by the erosive challenge, thus leading to a buffering or depletion of hydrogen ions from the acid. High concentrated fluoride agents or a prolonged application time lead to a thicker and more stable -precipitate, so that an intensive fluoridation is considered as most effective for the prevention of erosive mineral loss. However, -precipitates are readily soluble in acids and the erosion-protective capability of sodium or amine fluorides probably is limited. Therefore, current research is looking on compounds containing polyvalent metal ions such as stannous fluoride or titanium tetrafluoride. Their mode of action is probably attributed to the formation of metal-rich surface precipitates, which were shown to be of high acid resistance. Further research has to evaluate if these compounds are more effective than the conventional fluorides under clinical conditions. Keywords: erosion; fluoride 1 Klinik für Präventivzahnmedizin, Parodontologie und Kariologie, Plattenstrasse 11, CH-803 Zürich, Switzerland DOI /OPKZH Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 3 (010) 1

2 Abbildung 1 Durch häufiges Erbrechen induzierte intrinsische Erosionen der palatinalen und okklusalen Zahnoberflächen. Figure 1 Intrinsic erosion on palatal and occlusal tooth surfaces due to frequent vomiting. Einleitung Dentale Erosionen stellen einen chemisch induzierten irreversiblen Zahnhartsubstanzverlust durch exogen oder endogen zugeführte Säuren dar, der sich zunächst oberflächlich im Schmelz manifestiert und im fortgeschrittenen Stadium auch das Dentin betreffen kann. Obwohl die Angaben zur Prävalenz dentaler Erosionen in der Bevölkerung in der Literatur stark schwanken, sind bestimmte Patientengruppen bekannt, die ein erhöhtes Risiko für Erosionen aufweisen. Intrinsisch induzierte Säureschäden werden häufig bei Bulimie- oder Reflux-Patienten beobachtet und führen in der Regel zu Erosionen an den palatinalen bzw. lingualen und okklusalen Zahnoberflächen (Abb. 1) [9, 1]. Der häufige Konsum saurer Getränke und Nahrungsmittel mit niedrigem ph-wert oder hoher Säurekapazität kann ebenfalls zu (meist labial lokalisierten) Erosionen (Abb. ) führen [13, 16], besonders wenn die lokale Wirtsabwehr (Speichel) reduziert ist. Der Speichel spielt eine besondere Rolle in der Prävention dentaler Erosionen, da er durch seine Spülfunktion und Puffersysteme die Säureattacke reduziert und in Form der Pellikel die Zahnoberfläche vor Demineralisation schützt [8]. Erkrankungen der Speicheldrüsen oder Nebenwirkungen bestimmter Medikationen, die mit einer reduzierten Speichelsekretion einhergehen, steigern demnach das Risiko für die Entwicklung von Erosionen [4, 33]. Der erosive Säureangriff führt initial zu einer Demineralisation der Zahnoberfläche, die bei ausreichender Kontaktdauer schließlich zum Verlust der obersten Schmelzschicht führt. Die verbleibende demineralisierte Zahnhartsubstanz weist eine geringe Abrasionsresistenz auf [31], so dass bei mechanischem Abrieb der erodierten Zahnoberfläche das Voranschreiten der Läsion begünstigt wird [6]. Erosive Defekte unterscheiden sich somit charakteristisch von der Histologie kariöser Läsionen, bei welchen das Demineralisationszentrum von einer pseudointakten Oberflächenschicht bedeckt wird. Während die kariöse Demineralisation durch Fluoride zumindest partiell wieder remineralisiert werden kann, weisen Schmelzerosionen nur eine schmale demineralisierte Oberflächenschicht für potenzielle Remineralisationsvorgänge auf. Daraus wird deutlich, dass der Einsatz von Fluoriden in der Prävention von dentalen Erosionen hauptsächlich präventiven Charakter hat und weniger auf die Remineralisation der Läsion fokussiert. Im Folgenden werden konventionelle, aus der Kariesprävention bekannte, Fluoridverbindungen und ihr Einfluss auf die Entwicklung dentaler Erosionen dargestellt und Möglichkeiten und Grenzen der klinischen Anwendung diskutiert. Anschließend werden Fluoridverbindungen mit polyvalenten Kationen vorgestellt, die in neueren Studien eine bessere Wirksamkeit gegenüber Erosionen gezeigt haben. Wirkung von Amin- und Natriumfluorid auf dentale Erosionen Die Applikation von Amin- oder Natriumfluorid führt zur Bildung von globulären -ähnlichen Präzipitaten auf der Zahnoberfläche [19], die während eines ph-wert-abfalls als mechanische Schutzschicht wirken und durch Abfangen der Säureprotonen die Löslichkeit der darunter liegenden Zahnhartsubstanz reduzieren können. Die Bildung dieser -Präzipitate (Abb. 3) ist von der Konzentration und Applikationshäufigkeit der Fluoride abhängig und wird durch einen sauren ph-wert der Produkte gefördert [18]. Die periund intertubuläre Anlagerung dieser Präzipitate kann bei freiliegendem Dentin außerdem zur Reduktion bestehender Hypersensibilitäten beitragen [3]. In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass eine intensive Fluoridierung mit der kombinierten Anwendung von fluoridierter Zahnpas- Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 3 (010) 1 9

3 Abbildung Extrinsische Erosionen der labialen Zahnoberflächen durch hochfrequenten Konsum von Softdrinks. Figure Extrinsic erosion on labial tooth surfaces due to the frequent consumption of softdrinks. te (0,14 % F), Mundspüllösungen (0,05 % F) und Gelen (1,5 % F) die Entwicklung von Schmelz- und Dentin-erosionen deutlich wirksamer reduziert als die alleinige Anwendung von fluoridierten Zahnpasten [5, 6, 14]. Auch im Hinblick auf die Abrasion erodierter Zahnhartsubstanzen scheinen hochkonzentrierte Präparate bzw. eine häufige Fluoridierung besser geeignet, das Ausmaß der Abrasion zu reduzieren als niedrig-konzentrierte Fluoride [1,, 14, 15]. Trotzdem ist auch die Anwendung fluoridierter Zahnpasten sinnvoll, da sie zu einem geringeren Abtrag während des Zähnebürstens führt als fluoridfreie Zahnpaste [17]. Hinsichtlich der Art der Fluoridverbindung liegen bislang kaum Untersuchungen vor, so dass eine Überlegenheit von Aminfluorid oder Natriumfluorid noch nicht abschließend belegt werden kann [7, 5]. Es kann allerdings angenommen werden, dass Aminfluoride (AmF) wahrscheinlich wirksamer sind als rein Natriumfluorid (NaF)-haltige Präparate [5], da sie einen leicht sauren ph-wert aufweisen, bei dem die Bildung der -Schutzschicht stärker ausgeprägt ist. Insgesamt ist die -Schicht jedoch wenig säure- und abrasionsstabil [3] und fordert deshalb eine hochfrequente Applikation, um Erosionen wirksam zu reduzieren [0]. Unter klinischen Bedingungen ist die Durchführung einer solchen Intensivfluoridierung allerdings an eine sehr gute Kooperation des Patienten gebunden und scheint unter milden erosiven Bedingungen effektiver als bei hochfrequenter Säurezufuhr [0]. Bei mehrfach täglicher Applikation hochkonzentrierter Fluoridpräparate sollten ferner die Grenzwerte für eine Fluoridintoxikation (Probably toxic dose: 5 mg F - pro kg Körpergewicht, Certainly toxic dose: 3 64 mg F - pro kg Körpergewicht) beachtet werden [4]. Fluoridverbindungen mit polyvalenten Metallionen Während die kariesprophylaktische Wirkung von Fluoridverbindungen mit polyvalenten Metallionen, wie Zinnfluorid (SnF ) und Titantetrafluorid ( ), schon seit langem bekannt ist, wird ihr Einsatz zur Prävention von Erosionen erst in den letzten Jahren vermehrt diskutiert. In verschiedenen Studien konnte nachgewiesen werden, dass SnF -haltige Präparate die Entstehung von Erosionen wirksamer reduzieren als NaF oder AmF [7, 10, 11, 5]. Die Autoren führen diesen Effekt auf die Ausprägung einer zinnhaltigen Deckschicht zurück, die besonders säurestabil ist und die An- und Einlagerung von Kalziumfluorid fördern könnte [3]. Die besondere Rolle des Zinns konnte auch mit einer aktuellen Studie von Schlueter et al. [] belegt werden, die mit steigender SnCl -Konzentration einer fluoridhaltigen Mundspüllösung eine zunehmende erosionsinhibierende Wirkung beobachten konnten. Als mögliche Reaktionsprodukte werden neben auch Sn OHPO 4, Sn 3 F 3 PO 4 oder Ca(SnF 3 ) diskutiert [7]. Während SnF in Form verschiedener Mundhygieneartikel (Zahnpasten, Gele und Mundspüllösungen) verfügbar ist, konnte bislang noch nicht erfolgreich in Produkte inkorporiert werden. Ähnlich wie SnF führt auch das Auftragen von auf Schmelz- oder Dentinoberflächen zu säureresistenten Titan-haltigen Präzipitaten (Abb. 4) [30, 30]. Diese Präzipitate scheinen die Zahnoberfläche besser gegen den erosiven Angriff zu schützen als konventionelle Fluoridprodukte (NaF, AmF) [1, 9]. Allerdings ist der natürliche ph-wert von -Lösungen sehr niedrig (ph 1 ), so dass eine häusliche Anwendung durch den Patienten die Gefahr von Gingivaund Schleimhautreizungen bergen könnte. Da eine reine -Lösung bei 30 Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 3 (010) 1

4 (z. B. AmF) [0], um auch bei höheren ph-werten eine erosionsinhibierende Wirkung zu entfalten. Grundsätzlich müssen weitere Studien zeigen, ob die säureresistente Oberflächenschicht, die nach Auftragen von oder SnF beobachtet wird, auch ausreichend abrasionsstabil ist. Eigene unveröffentlichte Ergebnisse zeigen unter klinischen Bedingungen, dass die Schutzwirkung von Tetrafluoriden nur geringfügig durch das Zähnebürsten beeinträchtigt wird [7]. Bewertung und Empfehlung Abbildung 3 Globuläre CaF -Präzipitate auf Schmelz nach Applikation einer AmF-Lösung (ph 4,5). Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme: fache Vergrösserung. Figure 3 Globular CaF -precipitates on enamel after application of an AmF-solution (ph 4.5). Scanning electron microscopic image at fold magnification. Abbildung 4 Glasurähnliche Präzipitation nach Applikation einer -Lösung (ph 1,). Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme: fache Vergrösserung. Figure 4 Glaze-like layer after application of a -solution (ph 1.). Scanning electron microscopic image at fold magnification. Fotos: XXX Im Gegensatz zur kariespräventiven Wirkung von Fluorid ist deutlich weniger über den Einfluss auf Erosionen bekannt. Bislang fehlen besonders klinische Studien größerer Populationen, die die positive Wirkung des Fluorids bei Erosionspatienten über einen längeren Zeitraum belegen. Daher können die Empfehlungen zur lokalen Fluoridierung bei Erosionspatienten nur aus den zur Verfügung stehenden In-vitround In-situ-Studien abgeleitet werden: Das Zähnebürsten sollte mit fluoridhaltigen Zahnpasten mit niedrigem RDA-Wert durchgeführt werden. Besonders bei Patienten mit häufigem oder gar mehrfach täglich auftretendem Säurekontakt sollte das Zähnebürsten unmittelbar nach Säurezufuhr vermieden werden. Zusätzlich sollten mehrfach wöchentlich (ggf. täglich) hochkonzentrierte Fluoridgele aufgetragen werden, die auch über individuelle Zahnschienen appliziert werden können. Dabei sind potenzielle Grenzwerte für eine Fluoridintoxikation unbedingt zu beachten. Insgesamt scheinen SnF - und AmF-haltige Produkte wirksamer als NaF-haltige Produkte. Empfehlungen zum Einsatz von Tetrafluoriden, besonders, sind aufgrund der wenigen klinischen Daten noch nicht möglich. Nach wie vor kann die lokale Fluoridierung jedoch nur als adjuvante Maßnahme betrachtet werden, da in erster Linie eine ursachenbezogene Prävention und Therapie eingeleitet werden muss, die besonders auf die Reduktion der extrinsischen und/oder intrinsischen Säurezufuhr fokussieren sollte. höherem ph-wert jedoch ihre Wirksamkeit zu verlieren scheint [8, 30], muss wahrscheinlich mit anderen Fluoridverbindungen kombiniert werden Interessenskonflikte: keine angegeben Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 3 (010) 1 31

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