Brüder Presnjakow OPFER VOM DIENST. (Originaltitel: Izobra aja ertvu) Aus dem Russischen von Werner Buhss und Leonid Tumasow
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- Julian Kranz
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1 Brüder Presnjakow OPFER VOM DIENST (Originaltitel: Izobra aja ertvu) Aus dem Russischen von Werner Buhss und Leonid Tumasow 1
2 henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2004 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. F1 2
3 Vater Freund Polizist Ljuda Sakirow Bademeisterin 2 Werchuschkin 2 Leiter Koch Mann mit Bart Mann 2 Kellner 3
4 Wohnung. Zimmer. Freund Die Menschheit hat erstaunliche Dinge entwickelt, zum Beispiel Salat von Krebsfleischimitat oder Torte aus Popcorn und auseinanderlaufenden Pralinen. Von Krebsfleischimitat ohne Mayonnaise wird einem schon genauso schlecht wie von Popcorn ohne verschmierte Pralinen. Zusammengekleistert geht beides irgendwie, obwohl mir einer meiner Freunde gesteckt hat, daß man Krebsfleischimitat auf keinen Fall verkonsumieren soll, denn das wird im Baltikum hergestellt, und diese Deutschgeilen wichsen dort ihr Sperma rein, weil sie Russenhasser sind. Besonders die Letten, die wichsen aus vollem Rohr und verfeinern die Krebsspeise abschließend auch noch mit ihrem Urin, denn diese Lebensmittel werden für unser Land produziert. Natürlich haben wir sie empfindlich gekränkt. Sehr sogar. Hatten wir in Geschichte. Wir, die Russen, haben die Letten erobert, dabei wollten die nichts sehnlicher, als von den Faschisten erobert zu werden. Pech gehabt. Trotzdem ist es abartig. Kann denn ein Lette wirklich so beleidigt sein, daß er einem Russen ins Essen pinkelt. Was kann man einem Menschen nur angetan haben, daß der einen dermaßen nervt, heh. Die haben da extra Leute, die aus Hering Krebsfleisch machen. Sie werden schon früh am Morgen so mit Bier abgefüllt, daß sie früher oder später in die Tröge mit dem durchgedrehten Hering pissen müssen. Und wer will, kann natürlich auch reinwichsen. Die Letten liefern uns übrigens auch noch Kindernahrung. Du kannst dir ja vorstellen, was da alles drin ist. Ich verlasse mich ganz und gar nicht auf das, was ich höre, ich verlasse mich nicht mal auf das, was ich sehe, ich verlasse mich überhaupt auf nichts und niemandem. Nur auf den Geruch verlasse ich mich, der Geruch belügt einen nicht. Und dieses Krebszeug riecht nach Pisse. Ich weiß genau, wie Pisse riecht, weil ich auf dem Klo nie vollständig spüle, ich meine, auf dem Klo bei mir zu Hause, bei meinen Eltern, wo ich wohne. Ich wohne bei meinen Eltern, und ich spüle niemals vollständig. Sowie ich das Sprudeln im Kasten höre, drücke ich auf Stopp. Deswegen stinkt es auf dem Klo immer nach Pisse, auf dem Klo zu Hause, wo ich wohne, auf dem Klo meiner Eltern. Daß es überhaupt möglich ist, meine Pisse und alles andere, was ich absondere, irgendwo zu hinterlassen, und daß dieses Abgesonderte dann auch noch teilweise mein Haus, da, bei meinen Eltern, wo ich wohne, verläßt und irgendwohin gespült wird und sich verteilt auf dem langen Weg, das hat die Menschheit nicht schlecht hingekriegt. Ich mag Krebsfleisch mit Mayonnaise, ich liebe Torte aus Popcorn mit verklebten Pralinen, ich gehe aufs Klo, ich bin mit Freude Nutznießer aller menschlichen Errungenschaften, weil ich ein Mensch bin, sogar durch und durch, obwohl ich nicht vollständig spüle. 5
5 Vater Es gibt da so einen Fisch Pseudoquastenflosser. Was ist Pseudo bei dem, Pinsel oder Flosse. Warum riecht es auf dem Klo immer. Ich mache doch jeden Tag sauber. Meine Eltern haben unterschiedliche kulturelle Voraussetzungen. Aber sie haben davon keine Ahnung, genauso wenig, wie sie wissen, warum es auf dem Klo nach Pisse stinkt. Jeden Tag streiten sie sich über irgendwas. Die behauptet das und der Vater was anderes. Dann überlegen sie, warum sie zusammen sind und wie es überhaupt dazu gekommen ist. Dann vertragen sie sich wieder und überlegen weiter, warum sie sich unentwegt auf die Nüsse gehen. Ich aber weiß, daß sie unterschiedliche kulturelle Voraussetzungen haben. Ein treffender Begriff. Ich habe ihn das erste Mal im Wintersemester gehört, bei einer Konsultation zu irgendeiner Prüfung, an die ich mich nicht mehr erinnere. Ich habe sowieso keine bestanden. Unterschiedliche kulturelle Voraussetzungen. Treffender Begriff. Das heißt, wenn du ein Syphilitiker bist, solltest du nicht mit einem gesunden Menschen zusammenleben. Er wird dir die ganze Zeit deine Krankheit vorhalten und dir vorwerfen, daß du auch alle anderen zu Syphilitikern machst. (Zum Vater.) Du bist ein Idiot und machst auch alle anderen zu Idioten. Ich weiß, warum sie nicht zusammenleben können und warum es auf dem Klo nach Pisse stinkt. Warum macht ihr so was. Was meinst du. Ich hab dich und deinen Vater so oft gebeten, das Scheißhauspapier nach dem Abwischen nicht ins Klo zu schmeißen, dafür haben wir einen Eimer. Der Abfluß ist dauernd verstopft, und so kommt eure ganze Scheiße in der Küche wieder raus, und darin muß ich dann euer Geschirr spülen. Was soll das. Wie oft muß ich euch das noch erklären. Das ist ein altes Haus, die Rohre sind verrostet. Man wirft kein Scheißhauspapier ins Klo. Ich werfe kein Papier ins Klo. Erzähl keine Märchen. Ich hab dich beobachtet. Du spülst auch nicht richtig. Uns trennen Welten. Alles, was uns verbindet, alle unsere Ansprüche, alle unsere Interessen scheitern am Scheißhaus. Irgendeine Macht hat uns aufs Klo gesetzt und von außen zugeschlossen. 6
6 Kleines Straßencafé an einer Uferpromenade. Bezahltoilette. Neben der Toilette ein Polizist, ein Kriminalhauptmann in Uniform mit Schirmmütze, eine Polizistin mit Videokamera (Ljuda), eine des Cafés, ein junger Mann in Handschellen (), ein anderer junger Mann mit South-Park-Basecap (). Ljuda Ljuda (Zur Polizistin.) Schmeiß die Kamera an, Ljuda. Ist schon an. So. Laßt uns mit der Rekonstruktion des Tathergangs beginnen. Also,, wo habt ihr gesessen. An diesem Tisch hier. (Zeigt auf den ihm am nächsten stehenden Tisch.) So. Was passierte dann. Sie steht auf und sagt, daß sie mal pinkeln muß und geht zu der da. (Zeigt auf die.) So. Ist sie gleich aufgestanden, nachdem ihr gekommen seid. Nein. So. Was war vorher. Wir haben geredet. Klar. Worüber geredet. Geredet eben, ich hab sie was gefragt. Was. Nach Igors Geburtstagsfete. Er redet zu leise, er ist nicht zu verstehen. Was. Sprich also lauter. Nach Igors Geburtstagsfete. So. Weiter. Was hast du sie genau gefragt. Hab ich doch gesagt. So. Das hier ist eine Rekonstruktion eines Tathergangs, und wir zeichnen alles auf. Deswegen noch einmal laut und deutlich und in die Kamera, hast du das kapiert. (Der Polizist schlägt in den Magen, der fällt und wälzt sich auf dem Boden, womöglich hat ihm der Schlag den Atem genommen. Ljuda, um die Korrektheit des polizeilichen Vorgehens bemüht, dreht die Kamera in eine andere Richtung und nimmt Stadtansichten auf. Zur.) Haben Sie Eis. 7
7 Nein. Bier. Bier ja. Sauberes. Kaltes. Bringen Sie mir eins. Was kostet ein halber. Achtzehn. Alle Achtung. Warum so viel. Haben Sie sich nicht so. Hier ist Stadtzentrum. Solange es heiß ist, müssen wir das Geld reinkriegen. Na gut. (Holt aus der Tasche zwei Zehn-Rubel-Scheine.) Hat jemand acht Rubel klein, ich will den Zehner nicht wechseln. Ich hab. (Gibt dem ein paar Münzen.) Gibs ihr. Danke, ich wollte den Zehner nicht wechseln. (Die geht das Bier für den holen. kommt zu sich, steht auf und klopft den Dreck von seinen Klamotten. Ljuda richtet die Kamera wieder auf ihn.) Und was hast du nun die Geschädigte gefragt. Warum sie bei Igor die Nacht verbracht hat, nach der Geburtstagsfete. So. Und weiter. Was hat sie geantwortet. Sie sagte, daß alle geblieben sind, sie auch, weils schon dunkel war. So. Weiter. (Die bringt das Bier und reicht es dem.) Alle Achtung. Danke. Moment mal. (Er gibt Ljuda ein Zeichen, sie dreht die Kamera in eine andere Richtung. Der trinkt das Bier in einem Zug, verzieht das Gesicht.) So. Mach weiter. Ich hab ihr gesagt, daß ich mit ihrer Freundin telefoniert habe. Die war schon zu Hause, und sie sagte mir, daß nur Anja bei Igor geblieben ist. Anja sagte, daß ihre Freundin alles durcheinandergebracht hat. Dann sagte sie mir, daß sie pinkeln muß und ging zu der da (Zeigt auf die.) und fragte nach dem Kloschlüssel. 8
8 An diesem Tisch habt ihr also gesessen. Ja. So. Setzen wir uns also. ( setzt sich an den Tisch.) Nein, der sitzt nicht richtig. Auf dem Stuhl habe ich gesessen. So. Dann setzen wir uns eben um. ( und wechseln die Plätze.) Sie sagte also, sie muß mal pinkeln und ist aufgestanden. So. Ja. So. Dann machen wir das doch mal,. ( steht auf und geht zu der.) Habt ihr da gestanden. Ja. Ich habe ihr den Schlüssel gegeben, nachdem sie bezahlt hat. Ich hab sie gebeten, sofort zu bezahlen. Das ist doch so, weil, nachdem sie rauskommen, mag ichs nicht, weil ich noch Lebensmittel anfassen muß, da habe ich das Geld gleich So. Weiter,. Ich bin dann aufgestanden und losgegangen, nein erst bin ich sitzengeblieben, erst habe ich nachgedacht, nachgedacht, ob sie mich anschwindelt. Sie wußte doch das mit Igor, daß ich das nicht wollte, daß sie da hingeht, aber sie ist nicht nur hingegangen, sondern auch noch geblieben. Das hat mich richtig wütend gemacht, und ich bin aufgestanden, zur Toilette gegangen und habe angeklopft. So. Steh auf und geh. ( geht zur Toilette.) Wie oft hast du angeklopft. Zweimal. Und dann noch mal zwei Klopfer. So. Klopfen wir. ( klopft an die Toilettentür.) So. Sie hat gefragt, nein, gesagt, daß besetzt ist. Ich sagte ihr, daß ich es bin, und sie öffnete. 9
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