Asbest: Wie die Profitgier der Konzerne Menschenleben fordert

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1 Asbest: Wie die Profitgier der Konzerne Menschenleben fordert Ein GUE/NGL Publikation

2 Asbest: Wie die Profitgier der Konzerne Menschenleben fordert Inhalt Vorwort von Francis Wurtz Einleitung von Kartika Liotard 1. Die sachliche Einordnung: Hintergrund und Geschichte der Verwendung von Asbest 2. Bestimmung des Ausmaßes des Asbestproblems 3. Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz 4. Exposition gegenüber Asbest in der Umwelt 5. Die menschliche Dimension 6. Länderprofile 7. Noch mehr unnötige Todesfälle vermeiden 8. Fazit der Verfasserin Anhang A: Erklärung der Konferenz Anhang B: Programm der Konferenz & Teilnehmerliste Anhang C: Nützliche Links 2

3 Neben dem Schießpulver ist Asbest der skandalöseste Stoff, mit dem Menschen arbeiten müssen. Die dunklen Kräfte, die von Asbest profitieren, scheuen nicht davor zurück,, sich solcher Mittel wie Erpressung, Betrug und skrupellose Praktiken zu bedienen, um ihre Gewinne zu schützen; sie opfern bereitwillig die Gesundheit der Arbeitnehmer für den Profit des Unternehmens Remi Poppe, ehemaliger Parlamentsabgeordneter der Sozialistischen Partei der Niederlande. Photo: Hein du Plessis Diese Publikation ist all denen weltweit gewidmet, die an durch Asbest verursachten Krankheiten gestorben sind. 3

4 EIN BEISPIELHAFTER KAMPF Die Asbestkonferenz, die am 22. und 23. September 2005 im Europäischen Parlament stattfand und über die in dieser Broschüre berichtet wird, ist ein neuer Meilenstein auf dem Weg, den Gewerkschaftsorganisationen, Verbände und unzählige Männer und Frauen in Europa und in der Welt seit Jahrzehnten gehen, d. h. all jene, die sich aus dem einen oder anderen Grund eines Tages entschieden haben, die Wahrheit über die Gefahren von Asbest ans Licht zu bringen, den Opfern zu helfen und die Ausschaltung dieser für die menschliche Gesundheit so verheerenden Gefahrenquelle zu erreichen. Die Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke sieht es als ihre Pflicht an, zu dieser Aufklärung, Sensibilisierung und Mobilisierung beizutragen. Unser großer Dank gilt allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Europa und anderen Teilen der Welt, die sich in dieser Arbeit engagieren. Es sind vor allem ihre Aussagen, die die Aktualität dieses Kampfes aufzeigen. Denn auch wenn der Zusammenhang zwischen Asbestose und dem Lungenkrebsrisiko bereits 1935 entdeckt wurde, alle Arten von Asbest von der Internationalen Agentur der Krebsforschung schon 1977 als krebsfördernd eingestuft wurden und die europäische Richtlinie über das Verbot von Asbest aus dem Jahr 1999 stammt, hat es doch bis zum 1. Januar 2005 gedauert, ehe das Asbestverbot in der Europäischen Union tatsächlich in Kraft getreten ist! Betätigungsfelder für die kommenden Jahren ergeben sich nicht nur aus der Tatsache, dass die in der Vergangenheit übliche massive Verwendung von Asbest auch künftig zum Tod zahlreicher Menschen führen wird - die Zahl der asbestbedingten Todesfälle hat in Europa sogar steigende Tendenz und dies noch für weitere 10 bis 15 Jahre! - sondern auch aus der Begleitung der wirksamen Umsetzung der Rechtsvorschriften, dem erforderlichen Schutz der in der Asbestbeseitigung tätigen Arbeitnehmer, der Hilfe für die vielen anerkannten und noch anzuerkennenden Opfer sowie der Vermeidung von Risiken und insbesondere von berufsbedingten Risiken. Und bei allem sollten wir nicht vergessen, dass wir als Europäer Verantwortung für die schamlose Praxis des Exports dieser Gefahr in andere Länder und vor allem in den Süden des Planeten tragen. Deshalb greift die Brüsseler Erklärung der Europäischen Konferenz vom September letzten Jahres die Forderung der Ärzteverbände und der internationalen Organisationen nach einem Aktionsjahr gegen Asbest 2006 auf und wendet sich an die europäischen Institutionen mit dem Aufruf, einen konkreten Aktionsplan (siehe Anlage A) umzusetzen. Unser aller Dank gilt Laurie Kazan und allen anderen Frauen und Männern, die sich in diesem beispielhaften Kampf engagieren. Francis Wurtz Vorsitzender der Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke 4

5 EINLEITUNG Schluss mit dem Schweigekomplott Asbest steht nach wie vor an der Spitze der krebserregenden Toxine, mit denen es die europäischen Arbeitnehmer zu tun haben. Außerhalb der Arbeitswelt folgt Asbest an zweiter Stelle nach Tabak als Ursache von Krebserkrankungen, die mit der Umwelt in Zusammenhang stehen. Asbesterzeugnisse in zu Wohn- bzw. gewerblichen Zwecken genutzten Gebäuden sowie Asbestabfälle in unserer Umwelt führen weiterhin zu außergewöhnlich hohen Krankheits- und Todesfällen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die weit verbreitete Verwendung von Asbest in den Niederlanden, meinem Heimatland, hat schlimme Folgen: Tausende sind an durch Asbest verursachten Krankheiten gestorben, nachdem sie beruflich mit Asbest oder asbesthaltigen Produkten zu tun hatten, mit Angehörigen zusammen lebten, die berufsmäßig einer Asbestbelastung ausgesetzt waren, oder sich ihr Wohnort in der Nähe von Fabriken befand, in denen Asbest verarbeitet wurde. In der Stadt Goor mit dem Asbestzement- Werk Eternit als Hauptarbeitgeber erkrankten viele Bewohner - nicht nur Personen, die dort beschäftigt waren - an durch Asbest verursachten Krankheiten. Lange Zeit dominierte das Schweigekomplott, und den Opfern wurden anfangs weder Unterstützung noch Anerkennung zuteil. Die Gründung des Niederländischen Komitees für Asbestopfer im Jahre 1999 sowie das Engagement seiner Mitglieder haben den Asbestopfern in den Niederlanden in ihrer Not geholfen. Heute erhalten viele der Asbestgeschädigten in den Niederlanden eine angemessene medizinische Versorgung und finanzielle Entschädigung. Andere allerdings leider nicht. Viele Gemeinden sind auch heute noch asbestverseucht, und die Arbeitnehmer sind weiterhin einer Belastung durch Asbesterzeugnisse ausgesetzt, die unentdeckt in bestimmten Bauten verblieben sind Bei Asbest handelt es sich nicht nur um ein europäisches Problem; multinationale Konzerne exportieren dieses Übel in Länder, in denen der Sozial- und Gesundheitsschutz nicht so entwickelt ist wie in Europa. Wie Xavier Jonckheere, Präsident von ABEVA, erklärte, betrifft Asbest alle Länder auf unserem Planeten. Es ist wie ein Krake, der seine Tentakel ausstreckt. Was in unseren Ländern verboten ist, wird nunmehr anderswo getan wo das Arbeitsrecht nicht so streng ist, wo es keinen Schutz gibt, wo die Asbest-Lobby noch immer mächtig ist. Auf der Asbest-Konferenz im Europäischen Parlament, die am 22. und 23. September 2005 stattfand, waren mehr als 25 Länder vertreten. Zu den Teilnehmern zählten Arbeitnehmer, die unter Asbesterkrankungen leiden, und ihre Angehörigen, Betreuer 5

6 von Asbestopfern, Mitarbeiter des Gesundheitswesens, Ärzte, Juristen, Journalisten, Beamte, Betriebsinspektoren, Fachleuten für Asbestsanierung und Wissenschaftler. Auf der Konferenz wurde die Asbestpolitik der EU untersucht, auf ihre Erfolge verwiesen, und es wurden ihre Unzulänglichkeiten herausgestellt. Die Delegierten beschrieben die Erfahrungen, die in den neuen EU-Mitgliedstaaten mit Asbest gemacht wurden, und schilderten noch zu lösende Probleme. Es ging darum, Antworten auf Fragen zu finden - beispielsweise wie die Lage aller Asbestopfer verbessert werden kann. Wie können wir verhindern, dass Angehörige künftiger Generationen daran sterben? Zum Abschluss der Konferenz wurde der Europäischen Asbest-Aktionsplan für angenommen. Darin werden das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und der Rat aufgefordert, das internationale Verbot von Asbest zu unterstützen. Durch EU-Rechtsvorschriften sollte es Unternehmen mit Sitz in der EU verboten werden, Asbest in anderen Teilen der Welt einzusetzen. Die Verlagerung der Asbestproduktion sowie von kontaminierten Produkten von Europa in Entwicklungsländer sollte unmöglich gemacht werden. Dass Maßnahmen dieser Art durchaus erfolgreich sein können, zeigte der Ausgang der entschlossenen Protestaktion von NRO in Frankreich, Ägypten und Indien im Zusammenhang mit der Clemenceau, ehemals eines der renommiertesten Schiffe der französischen Kriegsflotte, das in Indien verschrottet werden sollte. Das höchste Verwaltungsgericht Frankreichs schloss sich schließlich der Meinung der Greenpeace- Aktivisten an, dass die Ausfuhr dieses verseuchten Schiffes gegen internationale Protokolle, globale Übereinkommen und das französische Recht verstößt, und entschied, dass die Clemenceau nicht nach Indien ausgeführt werden darf. Am 15. Februar 2006 wies der französische Staatspräsident Jacques Chirac die Rückkehr des Schiffes nach Frankreich an. Dieses erfreuliche Ereignis fand nur einige Monate nach der Konferenz statt. Ich möchte meine Einleitung zu dieser Publikation mit Worten von Laurie Kazan, ihrer Verfasserin, abschließen: Die Europäische Asbestkonferenz war ein herausragendes Ereignis, das für eine neue Etappe in der europäischen Asbestdebatte steht. Unternehmen, Regierungen, Berufsverbände und Einzelpersonen, die dieses Karzinogen der Zivilgesellschaft aufgezwungen haben und weiterhin von seiner Verwendung profitieren, werden zur Rechenschaft gezogen. Der Kampf geht weiter! Kartika Liotard Mitglied des Europäischen Parlaments, GUE/NGL-Fraktion Socialistische Partij, Niederlande 6

7 1. Die sachliche Einordnung: Hintergrund und Geschichte der Verwendung von Asbest Anfang des 20. Jahrhunderts erfand Ludwig Hatschek ein Verfahren zur Verbindung von Asbestfasern mit Zement, bei dem Asbestzement (AZ) entstand, ein Werkstoff mit ausgezeichneten technischen Eigenschaften, der sich für eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten eignete. Da Asbest ewig halten sollte, nannte Hatschek das Verfahren Eternit, von lateinisch aeternus, und verkaufte das Patent an Firmen in aller Welt, von denen viele den Namen Eternit übernahmen. Die Asbestzementindustrie wuchs rasch und war äußerst erfolgreich. Die Weltproduktion erreichte ihren Höhepunkt 1975; danach entwickelte sich der Absatz in der entwickelten Welt rückläufig. Befürchtungen wegen der mit Asbest verbundenen Gesundheitsgefahren waren im Laufe der Jahre immer wieder laut geworden, seitdem nachgewiesen worden war, dass feine Asbestfasern leicht eingeatmet werden konnten, und sich herausgestellt hatte, dass sie verschiedene Atemwegserkrankungen verursachen, darunter eine akute Lungenfibrose mit der Bezeichnung Asbestose. Die Forschung hat bestätigt, dass der Kontakt mit dem Material eine höchst gefährliche Form von Krebs in der Brust und im Unterleib verursachen kann. Schätzungen zufolge erliegen jährlich Menschen einer asbestbedingten Krankheit wie etwa Mesotheliom, Asbestose und verschiedenen Krebserkrankungen. Während in den entwickelten Ländern der Asbestverbrauch Beschränkungen unterworfen wurde, wurden neue Märkte in den Entwicklungsländern erschlossen; in den letzten Jahren hat der Absatz von Asbestzementprodukten in Indien, Pakistan, Indonesien und Thailand erheblich zugenommen. Obwohl bekannt ist, dass die Asbestexposition zu schwersten und tödlichen Erkrankungen führen kann, argumentieren die Asbesthersteller nach wie vor zugunsten einer sicheren Verwendung von Asbest und stellen die Existenz unbedenklicherer Alternativen in Abrede. Langjährige Lobbyarbeit Aus Dokumenten geht hervor, dass die Asbestindustrie seit den 30er-Jahren bei Regierungen und internationalen Einrichtungen wie etwa der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) Lobbying bei mit dem Asbest zusammenhängenden Fragen betrieben hat, um so ihre Stellung zu sichern. Auf Vorschlag von Ernst Schmidheiny von der schweizerischen Eternit, der die Auffassung vertrat, dass der Wettbewerb bei Rohstoffen und Märkten für die Asbestzementhersteller nicht so kostengünstig wie eine Zusammenarbeit sei, gingen Eternit Belgien und Eternit Schweiz im Jahre 1929 ein Jointventure ein. Es wurde eine exklusive Gruppe von Asbestzementherstellern gebildet, die den Namen International Asbestos Cement AG (SAIAC) erhielt. Ihre Ziele waren: 7

8 Austausch von technischem Wissen, Erfahrungen, Werbung und Patenten; gemeinsamer Einkauf von Rohstoffen; gemeinsame Forschung; Abschluss von Exportvereinbarungen; Gründung neuer Firmen in neutralen Ländern; Aufteilung der Märkte und Festlegung der Marktpreise. Turner & Newall Ltd., der größte Asbestkonzern des Vereinigten Königreichs, war stolz auf seine Mitgliedschaft in diesem Kartell, das er in einem Jahresbericht der Gesellschaft als Miniatur-Völkerbund bezeichnete. Heutzutage werden in aggressiven Marketingkampagnen, für die Millionen Asbestdollar aufgewendet werden, Entscheidungsträger und Verbraucher in Entwicklungsländern ins Visier genommen. Die Zunahme des Asbestverbrauchs in Ländern, in denen es wenig Informationen über die Langzeitfolgen der Asbestexposition, keine speziellen Asbestgesetze, keine Durchsetzung geltender Gesetze, keine amtlichen Inspektionen am Arbeitsplatz, keine Entschädigung, kein Gesundheitswesen und kein System der sozialen Sicherheit gibt, ist sehr besorgniserregend. Die sozial schwache Stellung der Bauarbeiter in diesen Ländern lässt die Ausbeutung zur Routine werden; viele von ihnen, die des Lesens und Schreibens häufig unkundig sind, leben mit ihrer Familie auf der Baustelle oder am Straßenrand. In diesem Zusammenhang ist der Begriff der kontrollierten Verwendung von Asbest nach den Worten von Fiona Murie, Direktorin für Gesundheit und Sicherheit des Internationalen Bundes der Bau- und Holzarbeiter (IBBH) ein schlechter Witz. Der IBBH und die Kampagne für ein weltweites Asbestverbot Der IBBH betreibt seit den 80er-Jahren eine Asbestkampagne. An der Spitze der Bewegung für das Asbestverbot standen chilenische Gewerkschafter. So konnten sie in Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Asbestopfern die gewissenlosen Praktiken von Pizzarreno, einem Mitgliedsunternehmen der Eternit-Gruppe, aufdecken, das sich weigerte, die leidgeprüften Hinterbliebenen von 300 Arbeitern aus 11 Asbestzementfabriken, die an Asbestkrankheiten gestorben waren, anzuerkennen oder ihnen eine Entschädigung zu zahlen. Die Gewerkschafter wandten Demonstrationstechniken an, die sich in den Jahren der Pinochet-Diktatur herausgebildet hatten, und hielten funas 1 vor den Häusern von Pizzarreno-Managern ab, um auf deren persönliche Mitwirkung am schändlichen Verhalten des Unternehmens aufmerksam zu machen und auf ein landesweites Asbestverbot hinzuwirken. Im Jahre 2001 wurde Chile zum ersten Land Lateinamerikas, das ein Asbestverbot verhängte. Der IBBH macht sich zusammen mit anderen weltweit agierenden Arbeitsorganisationen bei der IAO dafür stark, eine gesundheitsorientierte Haltung zu einem weltweiten Asbestverbot einzunehmen. Bedauerlicherweise zeigen sich viele 1 Bei einer funa erzeugen die Demonstranten Lärm durch das Aneinanderschlagen von Töpfen und Pfannen, sodass ein öffentlichkeitswirksames Ereignis entsteht. 8

9 europäische Regierungen nicht kooperativ ; so lehnen u. a. das Vereinigte Königreich, die Niederlande und Dänemark neue Gesetze, multilaterale Abkommen und neue Übereinkommen über Arbeitsnormen ab und sind entschlossen, am Status quo festzuhalten. Das IAO-Übereinkommen 162 wird von Asbestlobbyisten in Brasilien und anderswo absichtlich missbraucht, indem sie es als Rechtfertigung für die von der Industrie betriebene Propaganda zugunsten einer kontrollierten Verwendung anführen. Die Konferenzdelegierten müssen bei den nationalen Delegationen darauf dringen, die Einstellung für ein Verbot bei der IAO weiter zu propagieren. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die sich bereit erklärt hat, die Abschaffung von Asbest zu einem zentralen Anliegen zu machen, muss sich auch den Folgen von Umweltexpositionen zuwenden. Zu den Zielen des IBBH zählen: die Notwendigkeit eines weltweiten Asbestverbots; die Aufnahme von Chrysotil (weißer Asbest) in die PIC-Liste (vorherige Zustimmung nach Inkenntnissetzung) des Rotterdamer Übereinkommens; der Schutz von Arbeitnehmern wie Tischlern und Klempnern vor gefährlichen Asbestexpositionen; die Abschaffung des Dry-Stripping-Verfahrens zur Entfernung von Asbest durch nicht zugelassene Firmen, die ungelernte Arbeitskräfte beschäftigen, und der illegalen Entsorgung von Asbest; die Notwendigkeit einer Verbesserung der Rechte und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer und einer Abschaffung inoffizieller und unkontrollierter Arbeitsmethoden. Eternit Unternehmen mit Einfluss Eternit (Niederlande), das zur belgischen Etex-Gruppe gehört, ist für Erkrankungen und Todesfälle bei vielen ehemaligen Mitarbeitern, Familienangehörigen und Anwohnern eine schlechte Gesundheit und Todesfälle verantwortlich. Die Gemeinden in der Umgebung der Eternitwerke sind großflächig asbestverseucht; die Kosten für die erforderliche Asbestsanierung in den Niederlanden werden auf 50 Mio. Euro geschätzt. Eternit zeigt sich unnachgiebig und will nicht zahlen. Niederländische Parlamentsabgeordnete wurden aufgefordert, das Verursacherprinzip anzuwenden, um das Unternehmen zu zwingen, für die Beseitigung der von ihm verursachten Umweltschäden zu sorgen. Die Arroganz von Asbestfirmenchefs und ihrer Unternehmen gehört noch längst nicht der Vergangenheit an. In einem kürzlich in der Schweiz erschienenen Zeitungsartikel wurden italienische Staatsanwälte kritisiert, die in ihrem Bemühen, Asbestbetroffenen zu ihrem Recht zu verhelfen, rechtliche Schritte gegen Thomas Schmidheiny erwägen. Der Schweizer Unternehmer behauptet, er werde von den (italienischen) Justizbehörden grundlos gehetzt. 9

10 In Belgien verfügt Eternit über gewaltigen Einfluss. Zeitgleich mit der Europäischen Asbestkonferenz sollte ein Zeitungsartikel mit dem Titel Das Tal des Schweigens in Belgien über das Asbest-Erblast des Landes veröffentlich werden; er erschien nicht. Die Unterdrückung des Artikels macht deutlich, dass Zensur und Unternehmenseinfluss in Belgien im Jahre 2005 noch immer stärker sind als Meinungsfreiheit und Demokratie. 10

11 2. Bestimmung des Ausmaßes des Asbestproblems In der Europäischen Union stammen die geltenden Rechtsvorschriften für den Schutz der Arbeitnehmer vor der Asbestexposition aus dem Jahre Zwanzig Jahre später zeigen Forschungsergebnisse, dass diese Rechtsvorschriften unzulänglich sind und dass sie in zahlreichen Mitgliedstaaten nur unzureichend eingehalten werden. Gemäß den Bestimmungen der Richtlinie 83/477/EWG des Rates über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz vom 19. September 1983 muss, bevor ein Arbeitsnehmer erstmals Schadstoffen ausgesetzt wird, eine Gesundheitskontrolle stattfinden und danach alle drei Jahre wiederholt werden 2. Artikel 16 dieser Richtlinie besagt, dass die Gesundheitsakten 30 Jahre lang aufzubewahren sind, und laut Artikel 17 muss ein Verzeichnis der anerkannten Fälle von Asbestose und Mesotheliom geführt werden. Von Juli 2004 bis April 2005 führte Dr. Olaf Hagemeyer von der Universität Aachen eine Untersuchung der aktuellen Praxis in den Mitgliedstaaten durch. Es wurden Fragebögen verschickt, in denen Angaben zur Umsetzung der EU-Richtlinie gemacht werden sollten und ausdrücklich nach ärztlichen Untersuchungen nach einer Exposition gefragt wurde. Aus 23 Mitgliedstaaten ging eine Antwort ein; Zypern und Malta antworteten nicht. Die Auswertung der Antworten ergab, dass medizinische Untersuchungen nach einer Exposition nur in 14 Mitgliedstaaten (60 %) vorgenommen werden. Dabei sind die Untersuchungsmethoden unterschiedlich: mitunter wird die Lunge regelmäßig geröntgt, in sieben Ländern wird das Sputum untersucht, und in zwölf Mitgliedstaaten wird gelegentlich eine hochauflösende Computertomographie durchgeführt. In nur 15 Staaten werden die Gesundheitsakten drei Jahre lang aufbewahrt. Ohne Akten, so Hagemeyer, werden sich unsere Möglichkeiten für den Zugriff auf Daten verringern. Im September 2005 entschied die EU, dass das Sammeln geschlechtsbezogener Daten unnötig sei. Nach den vorliegenden statistischen Angaben über die Verbreitung von Mesotheliom in Deutschland zu urteilen, ist diese Entscheidung nach Auffassung von Dr. Hagemeyer kurzsichtig. Die geringe Zahl der Anträge von Frauen auf Entschädigung durch den Staat ist auffällig; so waren im Jahre 2002 mehr als 250 Todesfälle durch Mesotheliom bei Frauen zu verzeichnen, es wurden aber nur 75 Anträge gestellt. Andererseits geht aus den erfassten Daten hervor, dass der Anteil der Männer, die Ansprüche wegen einer Mesotheliomerkrankung geltend machen, in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen hat. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass sich Ärzte und Gerichtsmediziner bei Frauen mit Mesotheliom keine Expositionsanamnese anstellen. Wenn man in Deutschland die Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz nicht nachweisen kann, ist die Anerkennung als Berufskrankheit die Voraussetzung für eine staatliche Entschädigung schwierig. Bei der langen Latenzzeit asbestbedingter Erkrankungen kann es schwierig werden, die Gefährdung am

12 Arbeitsplatz zu beweisen. Deshalb schlug Hagemeyer vor, ein Zentralregister aller asbestexponierten Arbeitnehmer anzulegen. Dänemark Bei der Sammlung von Informationen über das Problem und im allgemeinen Kampf gegen Asbest stehen die dänischen Gewerkschaften an vorderster Front. Ende der 80er- Jahre lag den Ortsverbänden des Gewerkschaftsverbands der Bauarbeiter eine vom Krebsinstitut erstellte Karte von Dänemark vor, auf der die Verbreitung von Mesotheliom dargestellt war. Eine Häufung von Mesotheliomen trat in Gegenden auf, in denen sich Werften, Glasfabriken und andere Betriebe befanden, in denen Asbest verwendet wurde. Die Gewerkschaft schrieb mehrere Hundert frühere Arbeitnehmer an und fragte sie, ob sie in den Werften gearbeitet, mit asbesthaltigen Isolierungen zu tun gehabt hätten oder Symptome einer Lungenkrankheit aufwiesen. Über einhundert frühere Werftarbeiter wurden befragt, und 50 wurden zur ärztlichen Untersuchung geschickt. Ein wesentlicher Aspekt des Untersuchungsprogramms war die Mitwirkung der Gewerkschaftsfunktionäre, örtlicher niedergelassener Ärzte und von Ärzten, die in Kliniken für Berufskrankheiten tätig waren. Dank dieser Initiative wurden für 24 der Arbeitnehmer Zahlungen der nationalen Entschädigungsbehörde erwirkt. In Dänemark muss jeder Arbeitnehmer einen Beitrag zur staatlichen Berufsunfallversicherung entrichten; Krankenhausärzte müssen alle Berufskrankheiten sowie alle Verdachtsfälle von Krankheiten melden, die berufsbedingt sein könnten. Wenn beispielsweise bei einem Zimmermann Lungenprobleme festgestellt werden, die mit seinem Beruf zusammenhängen könnten, muss die Erkrankung gemeldet werden. Asbestbedingte Krankheiten sind seit mehr als 40 Jahren amtlich als Berufskrankheiten anerkannt: Asbestose seit 1954, Lungenkrebs seit Ende der 50er-Jahre und Mesotheliom seit Es gibt jedoch kein automatisches Anerkennungsverfahren, und in manchen Fällen mussten die Gewerkschaften rechtliche Schritte einleiten, um die Zahlung einer Entschädigung durch den Arbeitgeber zu erwirken. So brachte 1986 eine Gewerkschaft einen Fall vor den Obersten Gerichtshof, um die Beklagte, Dansk Eternit, zur Zahlung einer Entschädigung zu zwingen. Zwei bis fünf Prozent aller in Dänemark diagnostizierten Krebserkrankungen sind berufsbedingt, was sich in einer Zahl von berufsbedingten Krebserkrankungen jährlich niederschlägt. Leider wird davon nur ein Bruchteil, 208, anerkannt. Um eventuelle Meldungslücken festzustellen und um die Auswirkungen zu beurteilen, die ein einfacher beruflicher Werdegang auf das Anerkennungsverfahren haben könnte, führte das dänische Krebsinstitut eine Recherche durch. Knapp 700 Mesotheliompatienten, bei denen die Krankheit zwischen 1994 und 2002 diagnostiziert worden war, entsprachen den von den Forschern aufgestellten Kriterien; davon waren weniger als die Hälfte (300) der nationalen Entschädigungsbehörde gemeldet worden. Die 2005 veröffentlichte Studie gelangt zu dem Schluss, dass eine erhebliche Dunkelziffer bei berufsbedingten Mesotheliomerkrankungen besteht. Eine weitere Tatsache wurde durch Untersuchungen bei männlichen Mesotheliompatienten im dänischen Krebsregister aufgedeckt, die keinen Antrag auf Anerkennung ihres Leidens 12

13 als Berufskrankheit gestellt hatten. Die Forscher fanden heraus, dass anhand der verfügbaren Informationen über die Tätigkeit, die diese Männer ausgeübt hatten, und des Expositionspotenzials gegenüber Asbest an ihrem Arbeitsplatz weitere 105 männliche Mesotheliombetroffene Anspruch auf Entschädigungszahlungen gehabt hätten. In finanzieller Hinsicht belegt diese Studie, dass die Versicherungsgesellschaften über einen Zeitraum von acht Jahren Mesotheliompatienten um 16 Mio. dänische Kronen (2,15 Mio. ) betrogen haben, so Lars Vedsmand, Arbeitsschutzbeauftragter des dänischen Gewerkschaftsverbands der Bauarbeiter. Die Erkenntnisse dieser Studie schlugen in Dänemark wie eine Bombe ein. Obwohl die Krebsstationen von Krankenhäusern mit der Entstehungsgeschichte von Berufskrankheiten vertraut sein sollten, werden die Patienten nicht aufgefordert, ihre Berufsvergangenheit zu schildern. Der Anteil von Frauen, deren Mesotheliome gemeldet werden, ist sogar noch niedriger als bei den Männern. Leider sind die Erfahrungen in Dänemark kein Einzelfall; im Jahre 2001 berichtete die Europäische Krebsliga, dass nach öffentlich zugänglichen Informationen nur Finnland, Frankreich, das Vereinigte Königreich und Dänemark Statistiken über Mesotheliome vorlegen können. Angesichts der Dunkelziffer kündigte das dänische Arbeitsministerium unlängst an, dass Maßnahmen getroffen werden sollen, die es für das Krankenhauspersonal und niedergelassene Ärzte zur Pflicht machen, den beruflichen Werdegang aufzunehmen; eine entsprechende Weiterbildung und zusätzliche Informationen werden angeboten. Gefährliche Heuchelei: Die Clemenceau Die Doppelmoral westlicher Länder, die ausgemusterte asbestverseuchte Schiffe zu Abwrackwerften in Asien exportieren, wird am Beispiel der Clemenceau deutlich. Die Clemenceau wurde 1957 in Dienst gestellt und war vierzig Jahre lang eines der prestigeträchtigsten Schiffe der französischen Marine. Wie bei allen Schiffen aus jener Zeit wurden bei seinem Bau große Mengen Asbest verwendet. Gemäß dem Basler Übereinkommen, einer internationalen Übereinkunft zum Verbot des Exports gefährlicher Abfälle, und den Verordnungen der Europäischen Union im Umweltbereich ist jedes Land selbst für die Entsorgung seiner gefährlichen Abfälle zuständig; die Verschrottung asbestverseuchter Schiffe sollte daher im Heimatland des Schiffs stattfinden. Im Jahre 2003 kreuzte die Clemenceau im Mittelmeer auf der Suche nach einer Abwrackwerft mit laschen Vorschriften; das Schiff wurde an eine spanische Firma verkauft, die versuchte, die Dekontaminierung in der Türkei durchführen zu lassen. Die französische Regierung schritt ein und veranlasste die Rückkehr des Schiffs in den französischen Militärhafen Toulon. Am 23. Juni 2004 wurde zwischen dem Staat Frankreich und der Ship Decommissioning Industry Corporation (SDI), einem Tochterunternehmen eines deutschen multinationalen Konzern, ein Vertrag abgeschlossen, wonach das Schiff nach Abschluss der Phase 1 der Asbestentfernung in 13

14 Frankreich nach Indien gebracht würde, wo der restliche Asbest entfernt werden sollte 3. Die Dekontaminierungsarbeiten in Frankreich fanden von November 2004 bis März 2005 statt. In der Zwischenzeit forderte Ban Asbestos Frankreich das Verteidigungsministerium auf, die Verbringung des verseuchten Schiffs nach Indien zu verhindern. Ban Asbestos Frankreich leitete auch rechtliche Schritte ein, um sicherzustellen, dass das Schiff seine Fahrt nicht antritt. Die Organisation knüpfte Beziehungen zu indischen Verbänden und NRO, die sich zuvor zu ähnlichen Fragen geäußert hatten. Untersuchungen durch Greenpeace belegten die Realität der Berufsgefahren, die in den indischen Abwrackwerften bestehen 4. Fotos zeigten die katastrophalen Bedingungen in Alang Bay, wo sich ständig starke Wellen am Strand brechen. Das Abwracken wird in Alang Bay, dem vorgesehenen Bestimmungsort der Clemenceau, in großem Stil betrieben. Im Zeitraum wurden hier von bis Arbeitern, manche erst 17 Jahre alt, 264 Schiffe verschrottet. Die leichteren Teile aus den Schiffen, darunter zahlreiche, die Asbest enthalten oder damit beschichtet sind, werden von Frauen weggetragen. Der Asbest wird mit bloßen Händen von Stahlkonstruktionen abgerissen; die Menschen trocknen das Krokydolith, damit es weiterverkauft werden kann. Die Arbeiter gehen meistens barfuß, und der Schutz gegen die vielfältigen Gefährdungen am Arbeitsplatz, denen sie ausgesetzt sind, besteht im Allgemeinen aus einem Tuch vor dem Mund. Ban Asbestos Frankreich leitete rechtliche Schritte gegen den französischen Staat und die SDI ein; was jedoch eine Grundsatzdebatte hätte werden sollen, verkam zu einem Gezänk um Verfahrensfragen. Für den 11. Oktober 2005 wurde ein Urteil des Pariser Gerichtshofs erwartet, das die Frage der Zuständigkeit entscheiden sollte. Sofern keine dramatischen Entwicklungen eintreten, könnte das Schiff im März 2006 seine Reise nach Indien antreten 5. Der Kampf um die Clemenceau wurde vor französischen Gerichten, im französischen Fernsehen und in den Medien ausgetragen. Er hat die normalerweise unbemerkte Verbringung gefährlicher Abfälle aus der entwickelten in die Entwicklungsländer ins Scheinwerferlicht gerückt. Dieser Fall veranschaulicht nicht nur die bestehende Doppelmoral, sondern auch die Entschlossenheit nationaler Regierungen und multinationaler Unternehmen, sich über internationale Übereinkommen und Rechtsvorschriften hinwegzusetzen, die ihren wirtschaftlichen Interessen im Wege stehen 6. 3 In einem Artikel in La Liberation vom 15. März 2005 hieß es, dass durch die Arbeiten in Toulon schätzungsweise t Asbest aus der Clemenceau entfernt worden seien und noch 22 t Asbest von den ungelernten und ungeschützten Arbeitern in den indischen Abwrackwerften entfernt werden müssten. 4 Siehe: End of Life Ships The Human Cost of Breaking Ships auf der Website: 5 Nach intensiven juristischen Bemühungen von Ban Asbestos Frankreich und anderen NRO wurde der Clemenceau per Gerichtsurteil erlaubt, am 31. Dezember 2005 nach Indien zu fahren. 6 Siehe: Artikel der überregionalen Zeitung The Hindu (Ausgaben vom 31. Dezember 2005 & 1. Januar 2006). 14

15 Griechenland Im Jahre 1990 schätzte der griechische Professor E. Velonakis die Gesamtzahl der griechischen Arbeitnehmer, die mit Asbest in Berührung gekommen waren, auf wurde eine Studie von Professor M. Kogevinas veröffentlicht, der zufolge schätzungsweise jedes Jahr Arbeitnehmer einer schädlichen Asbestexposition ausgesetzt waren. Bis 1995 gehörte Griechenland zu den sieben größten Asbestlieferanten der Welt; es wurden t Chrysotil jährlich produziert und bis zu t griechischer und importierter Asbest in Asbestzementfabriken an folgenden Standorten verarbeitet: Nea Lamsakos, Evoia, wo 250 Beschäftigte von 1961 bis 1990 der Gefährdung durch eine berufsbedingte Asbestexposition ausgesetzt waren; Thessaloniki, wo 416 Beschäftigte von 1968 bis 2003 der Gefährdung durch berufsbedingte Asbestexposition ausgesetzt waren; Patras, wo 150 Beschäftigte von 1969 bis 2000 der Gefährdung durch Asbestexposition ausgesetzt waren. In Griechenland wurden zudem asbesthaltige Bremsen und Brandschutzstoffe produziert. Im Jahr 1993 wurde die Verwendung von blauem Asbest (Krokydolith) durch das Gesetz 1154/93 verboten; am 31. Dezember 2004 setzte Griechenland als letzter der 15 EU-Mitgliedstaaten das Verbot der Verwendung sämtlicher Asbestarten gemäß der EU-Richtlinie in Kraft. Die Inzidenz asbestbedingter Erkrankungen wird von den griechischen staatlichen Stellen unterschätzt; so betrug die Zahl der von der Sozialversicherungsanstalt gemeldeten Asbestosefälle drei (1994), fünf (1995), drei (1996), vier (1999), drei (2000) und einer (2001). Dr. Patentalakis, Facharzt für Atemwegserkrankungen an einer Fachklinik für Lungenkrankheiten berichtet über 456 Fälle von Asbestose und 22 Fälle von Mesotheliom, die er im Zeitraum diagnostiziert hat. Bei folgenden Gruppen wurde ein höheres Risiko einer asbestbedingten Erkrankung festgestellt: bei Bewohnern des Gebiets Metsovo, wo Mesotheliome infolge von Umweltexposition gehäuft auftreten; bei Seeleuten auf Handelsschiffen und seemännischem Personal, vor allem Ingenieuren, die bei ihrer Arbeit an Bord in hohem Maße einer ständigen Asbestexposition ausgesetzt waren. Während das Bauchfellmesotheliom in Griechenland als Berufskrankheit anerkannt ist, gilt dies nicht für das Pleuramesotheliom 7. Die Regierung ist sich zwar des Widerspruchs bewusst, hat aber bisher nichts unternommen. Im Jahre 2001 wurde bei einem 52-jährigen Feinblechner ein Pleuramesotheliom diagnostiziert; dank intensiver Bemühungen der Ärzte wurde sein Fall als Berufskrankheit anerkannt. 7 Siehe: Under-registration of Occupational Diseases: the Greek Case. Alexopoulos CG, Rachiotis G, Valasi M, Drivas S, Behrakis P. Occupational Medicine 2005;55 (1):

16 Seit dem Hellenischen Asbestseminar 2002 in Athen findet ein laufender Dialog mit der griechischen Regierung über Asbestfragen statt. Auf einer Pressekonferenz am 21. September 2005 in Athen bestätigte der Arbeitsminister die Entscheidung, beim Ministerium für Beschäftigung und Soziales einen nationalen Ausschuss für den Umgang mit asbestbedingten Gefahren errichten. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Arbeits- und Umweltmedizin am Londoner Imperial College werden Maßnahmen zur Einrichtung eines griechischen Mesotheliomregisters und später eines Registers aller asbestbedingten Erkrankungen geprüft. Es werden Pläne zur Sensibilisierung der Arbeitnehmer im Bausektor für die Gefährdung durch Asbest aufgestellt; das Bildungsministerium arbeitet an einem Programm zur Bewältigung des Asbestproblems in Schulen, das Maßnahmen zum Schutz der Arbeiter, die den Asbest aus verseuchten Schulgebäuden entfernen, wie auch der Nutzer der Gebäude umfasst. Der Mangel an Statistiken über das Vorhandensein von Asbest in öffentlichen und privaten Gebäuden ist ein zentraler Punkt der Asbest-Problematik in Griechenland früher einer der größten Asbesthersteller der Welt. Dimitris Papadimoulis, GUE/NGL, Synaspismos, Griechenland Tschechische Republik Im Zeitraum wurden in der Tschechischen Republik 638 Mesotheliomfälle diagnostiziert, von denen 52 (8 %) als berufsbedingt anerkannt wurden; darüber hinaus wurden weitere 230 asbestbedingte Erkrankungen anerkannt. In der Tschechischen Republik sind die anerkannten Berufskrankheiten in der Liste der Berufskrankheiten (Regierungserlass Nr. 290/1995) aufgeführt, der sich auf die IAO-Klassifizierungen stützt 8. Es gibt 18 Fachkliniken bzw. -ambulanzen für Berufskrankheiten. Jeder Fall einer Berufskrankheit muss von einer der 18 Zweigstellen des Amts für Berufskrankheiten geprüft werden; die Krankheiten müssen auf der Liste der Berufskrankheiten stehen, und die Exposition muss von Arbeitshygienikern bestätigt werden. Der Anspruch wird vom Amt (nicht von einer Versicherungsgesellschaft oder einem Gericht) anerkannt, und es entscheidet auch über die Entschädigung, und zwar gewöhnlich innerhalb weniger Wochen 9. Die Aufschlüsselung der im Jahre 2004 anerkannten 23 Fälle von berufsbedingten Asbesterkrankungen findet sich in nachstehender Tabelle: 8 Die Tschechische Republik hat eine Bevölkerung von 10 Millionen Menschen, von denen die Hälfte im arbeitsfähigen Alter ist und ca. 8 % der Gefährdung durch berufsbedingte Exposition ausgesetzt sind. Gegenwärtig sind 276 Arbeitnehmer Chrysotil und 97 Amphibolen ausgesetzt. 9 In der Tschechischen Republik hängt die Höhe der Entschädigung für Berufskrankheiten von der Schwere und der Dauer der Krankheit ab; es werden Zahlungen für Schmerzen und Leiden, für eingeschränkte Möglichkeiten im Leben, für entgangenen Lohn und für Behandlungskosten geleistet. Ein an Mesotheliom Erkrankter kann mit einem Betrag von ca Euro rechnen. 16

17 Diagnose Anerkannte Fälle Männl./Weibl. Alter Exposition (Jahre) Asbestose 4 3/ Pleurahyalinose mit Schädigung der Lungenfunktion 12 4/ Mesotheliom 3 2/ Lungenkrebs mit Asbestose oder Pleurahyalinose 4 4/ Diese Zahlen wirken niedrig, wenn man bedenkt, dass nach amtlichen Angaben in der Tschechischen Republik bis zu Arbeitnehmer berufsbedingt Asbest ausgesetzt waren; Expositionen bestehen fort für diejenigen, die bei der Entfernung von Asbest, bei Abbruch- und Bauarbeiten eingesetzt sind. Asbest wurde in meinem Land seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts bei der Herstellung vieler Produkte, einschließlich Textilien, Bremsen, Schuhen und Reibmaterialien verwendet - mit dem Ergebnis unsäglicher menschlicher Leiden und negativer sozialer Folgen. Jiří Maštálka, GUE/NGL, KSČM, Tschechische Republik Indien Im indischen nationalen Krebsregister sind keine Mesotheliomfälle dokumentiert; die indische Regierung registriert die Inzidenz von Berufskrankheiten nicht. Nur 7 % der indischen Arbeitnehmer sind organisiert; von der großen Mehrheit der Beschäftigten, vor allem im Baugewerbe, sieht und hört man nichts. Es werden keine Schutzausrüstung oder Atemschutzgeräte zur Verfügung gestellt, um die Arbeiter vor der schädlichen Asbestexposition zu schützen. Eine schlechte Regierungsführung in Indien, Korruption und politischer Einfluss durch die Streuung der Gewinne der Asbestindustrie schaffen insgesamt ein Klima, in dem der Asbestverbrauch floriert. Die Asbestzementindustrie, die in Indien über eine einflussreiche Lobby verfügt, hat die Politiker dazu gebracht, die Zölle auf die Einfuhr von Asbest zu senken; dementsprechend stiegen die Einfuhren um nahezu 30 % von t im Zeitraum auf t in den Jahren Nach Angaben des indischen Parlaments stammen 82 % des importierten Asbests aus Russland, Kanada und Simbabwe; ist die Produktion von Asbestzementmaterial von t im Zeitraum auf t in den Jahren gestiegen; sind 32 Asbestzementfabriken über ganz Indien verteilt; die Unionsstaaten mit der größten Zahl von Betrieben sind Maharashtra (9), Tamil Nadu (6), Andhra Pradesh (3) und Westbengalen (2). 17

18 Litauen Im Jahre 1997 wurde die Zahl der Arbeitnehmer mit Asbest-Exposition in Litauen auf geschätzt; 42 % davon waren im Bausektor tätig. Ebenfalls dem Risiko ausgesetzt, an asbestbedingten Leiden zu erkranken, waren rund Beschäftigte des Baustoffwerks Daugeliai, das von 1956 bis 1997 Asbestzementplatten herstellte; des Zementwerks Akmenes, das Asbestzementplatten (von 1963 bis 2001) und -rohre (bis 2004) herstellte. In den 90er-Jahren und Anfang der 2000er-Jahre wurde bei Untersuchungen Asbest in Kraftwerken, Maschinenfabriken und in der chemischen, Bau- und Transportindustrie vorgefunden. Asbestbedingte Krankheiten sind in Litauen nur in geringem Umfang anerkannt worden. Obwohl zwischen 1992 und Fälle von Pleuramesotheliom registriert wurden und jährlich neue Fälle von Lungenkrebs bei Männern diagnostiziert werden, wurde bei keinem einzigen dieser Fälle die Diagnose asbestbedingte Berufskrankheit gestellt bzw. eine Entschädigung gezahlt. Es gibt eine Liste von Krankheiten, die von der Regierung anerkannt sind und bösartige und gutartige Erkrankungen umfassen, bei denen davon ausgegangen wird, dass sie durch Exposition am Arbeitsplatz verursacht werden. Das Verfahren zur Beurteilung und Meldung von Berufskrankheiten ist streng und umständlich: Ein Allgemeinmediziner, Arzt oder Arbeitsmediziner muss der örtlichen Arbeitsinspektionsbehörde den Fall melden; es wird eine dreiköpfige Kommission gebildet, die untersucht, ob eine Exposition am Arbeitsplatz stattgefunden hat; die Schlussfolgerungen der Kommission bilden die Grundlage für die anschließende Beurteilung durch einen zugelassenen Arbeitsmediziner. Die Patienten, die häufig sehr schwer krank sind, müssen zeitraubenden Sitzungen während des gesamten Entscheidungsverfahrens beiwohnen. Wegen des langwierigen und komplizierten Charakters des Systems sind die Ärzte kaum bereit, Fälle zu melden. Der Nachweis der Verursachung ist selbst dann notwendig, wenn der Betroffene in hoch gefährdeten Sektoren wie Asbestzement oder Berufen wie Isolierer tätig war und einschlägige Krankheiten wie Mesotheliom oder Lungenkrebs aufweist. Recherchen in Litauen lassen darauf schließen, dass dort mindestens 50 Fälle von asbestbedingtem Lungenkrebs pro Jahr auftreten, von denen keiner als Berufskrankheit anerkannt ist. Türkei Eine hohe Inzidenz von Mesotheliom ist wegen des Vorhandenseins und der Verwendung von natürlich vorkommendem Erionit in den kappadokischen Dörfern Karain und Tuzköy in der Türkei festzustellen. Um zu erkunden, ob es neben der gefährlichen Umweltexposition noch andere Faktoren gibt, die erklären könnten, warum einige Dorfbewohner an Mesotheliom erkranken und andere nicht, führte Dr. Salih Emri von der Universität Hacettepe in Ankara entsprechende Untersuchungen 18

19 durch. Dabei wurden von einem Team türkischer und amerikanischer Wissenschaftler 30 Monate lang Daten über die Ernährung, die berufliche Tätigkeit, die Lebensweise, die medizinische und das Rauchverhalten von Familien in den Ortschaften Karain, Tuzköy und Karlık erhoben. Mithilfe des Verfahrens der genetischen Kartierung wurde eine mögliche genetische Suszeptivität ermittelt: Die Analyse des Stammbaums von 526 Personen über sechs Generationen hinweg ergab, dass das maligne Pleuramesotheliom durch Vererbung übertragen wurde; es bestand Anlass zu der Annahme, dass die vertikale Übertragung des malignen Pleuramesothelioms möglicherweise autosomaldominant geschieht. Weitere Untersuchungen sind im Gange. Der behauptete Zusammenhang zwischen dem SV40-Virus und Mesotheliomen ließ sich durch die Untersuchungen in der Türkei nicht bestätigen, bei denen festgestellt wurde, dass das SV40 kein Kofaktor bei der Entstehung von Mesotheliom in der Türkei war. Portugal In den 80er-Jahren waren in den Asbestfabriken Portugals 800 Menschen beschäftigt, und Asbestzement war ein florierendes Geschäft. Zum Schutz ihrer Interessen bildeten die Asbestunternehmer einen Handelsverband, die Vereinigung der Hersteller von Chrysotilerzeugnissen, die bei der Regierung mit dem Ziel vorstellig wurde, die Einführung von Beschränkungen für Asbest zu verhindern, wobei die Hersteller behaupteten, Chrysotilasbest könne unter kontrollierten Bedingungen gefahrlos verwendet werden. Seit der Umsetzung der EU-Asbestrichtlinien ersetzt die Industrie Asbest durch sicherere Alternativen wie PVA und Zellulose. Daten zur Inzidenz von asbestbedingten Berufskrankheiten in Portugal liegen nur für den Zeitraum vor; in dieser Zeit wurden 71 Fälle asbestbedingter Erkrankungen registriert wurden sechs Todesfälle als Folge derartiger Krankheiten registriert. Im Jahre 2003 gab es nach Angaben des Sozialministeriums 161 Fälle asbestbedingter Krankheiten sowie zahlreiche weitere Fälle von Lungenkomplikationen infolge des Einatmens von Asbeststaub. Das Verfahren zur Erfassung und Einordnung von Daten über die Inzidenz von Asbesterkrankungen ist unzulänglich, und die amtlichen Zahlen dürften wohl kaum stimmen. Brasilien Die Chlorindustrie verfügt in Brasilien über eine mächtige Lobby. Im Jahre 2004 wurden von acht brasilianischen Unternehmen 1,2 Mio. t Chlor und 1,3 Mio. t Natriumhydroxid hergestellt. 72 % der brasilianischen Chlorproduktion kommen aus drei Unternehmen, die das Asbestdiaphragmaverfahren anwenden; 2003 wurden in diesen Unternehmen für ihre Asbestdiaphragmen 128 Tonnen Asbest verbraucht. 19

20 Die brasilianische Betriebsinspektorin Fernanda Giannasi begann mit einer Untersuchung schädlicher Expositionen in der Industrie, wurde aber von Beamten des Arbeitsministeriums angewiesen, ihre Forschungsarbeit einzustellen. Zuvor gelangte sie zu dem Schluss, dass die Gefahr einer berufsbedingten Asbestexposition im Chloralkalisektor ebenso groß ist wie in anderen Bereichen, in denen die Verwendung von Asbest in Europa bereits verboten ist. Über 11 % des Asbests auf der Welt kommt aus Brasilien; mittlerweile hat Brasilien Kanada als viertgrößten Chrysotilproduzenten der Welt abgelöst. Brasilien exportiert 65 % seiner Jahresproduktion von t nach Thailand, Indien, Indonesien, Iran und anderen Ländern in Lateinamerika. Die brasilianische Regierung verfährt bei ihrer heuchlerischen Haltung zu Asbest nach dem Beispiel Kanadas: Während Kanada behauptet, dass Asbest unter kontrollierten Bedingungen gefahrlos verwendet werden könne, exportiert es mehr als 95 % des im Lande produzierten Asbests. Die brasilianische Regierung hat zwar angekündigt, Asbest im Jahre 2004 zu verbieten, hat aber bisher nichts unternommen. Für Entwicklungsländer wie Brasilien ist es schwierig, Maßnahmen gegenüber einer Industrie zu ergreifen, die über so mächtige Interessenvertreter verfügt. Der Wissenschaftliche Ausschuss für Toxikologie, Ökotoxikologie und Umwelt (SCTEE) der Europäischen Union wird in Kürze die Ausnahmeregelung für die Chlorproduktion überprüfen, wie es in der EU-Richtlinie aus dem Jahre 1999 vorgesehen ist, in der es heißt, dass die Ausnahmeregelung vor dem 1. Januar 2008 zu überprüfen ist. Der SCTEE muss diese Ausnahmeregelung beenden! Dadurch wird er ein deutliches Zeichen setzen, das die nationalen Regierungen und die internationalen Einrichtungen anspornen wird, Asbest weltweit zu verbieten. Chlor ein besonderer Fall Als im Jahre 1999 die Verwendung von Chrysotil durch die EU-Richtlinie 99/77/EG vom 1. Januar 2005 an verboten wurde, gab es eine Ausnahmeregelung: die Verwendung von Asbestdiaphragmen für die Herstellung von Chloralkali in bereits bestehenden Anlagen. Die europäische Chlorlobby unter Führung der Handelsgruppe Euro Chlor argumentierte, die Chlorbranche müsse als Sonderfall gelten, weil: - die Gefahr der Asbestexposition in der Branche sehr gering sei; - Asbestdiaphragmen in einem geschlossenen Verfahren vor Ort hergestellt und nicht vermarktet würden; - mehr Zeit nötig sei, um zufrieden stellende Ersatzlösungen zu entwickeln; anderenfalls könne es zu Explosionen kommen. Tatsächlich war das Motiv der Industrie rein wirtschaftlicher Art. Obwohl geeignete Alternativen bereits verfügbar waren, bestand das Hauptziel der Industrie darin, die Kosten für die Umstellung auf eine asbestfreie Technik zu vermeiden. In Europa werden von 85 Unternehmen jährlich 20 Mio. t Chloralkali (Chlor + Natriumhydroxid) hergestellt; dabei ist Deutschland mit 48,9 % der europäischen Gesamtproduktion der größte Hersteller. Seit 1997 geht die allmähliche Ablösung der Asbestverwendung in der europäischen Chlorproduktion nur langsam vor sich: 1996 wurden bei 24 % der 20

21 gesamten Produktion Asbestdiaphragmen verwendet, bis 2005 war dieser Anteil auf 17,4 % gesunken. Neun der europäischen Unternehmen, die Chloralkali herstellen, nutzen das Asbestdiaphragmaverfahren: drei in Frankreich, zwei in Deutschland, eines in Polen, eines in den Niederlanden und eines in Norwegen. Beim gegenwärtigen Tempo wird es noch 24 Jahre dauern, bis kein Asbest mehr bei diesem Verfahren verwendet wird. 21

22 3. Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz Der Arbeitsschutz steht oft nur an zweiter Stelle hinter dem Unternehmensgewinn. Jahrzehntelange Unternehmensgier hatte und hat katastrophale Folgen für das Leben von Millionen von Arbeitnehmern überall auf der Welt. Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit dem Grad der Asbestexposition am Arbeitsplatz in den Niederlanden, Spanien, Bulgarien und Italien. Der sozialistische Abgeordnete Remi Poppe aus den Niederlanden untersucht die Gefährdung durch Asbestexposition seit über 40 Jahren. Poppe zufolge gab es, bevor Asbest in Holland verboten wurde, strenge Umweltbeschränkungen für die Arbeit mit Chrysotilasbest; diese wurden regelmäßig vernachlässigt. Ende der 80er-Jahre wandte sich Poppe an Einwohner von Goor, dem Standort einem Eternit-Asbestzementwerk; sie verschafften ihm durch die Hintertür Zugang zum Werk. Dort beobachtete er, dass die Beschäftigten ihre Arbeit unter schrecklichen Bedingungen verrichten mussten: der Boden des Werkes war mit Asbestschutt bedeckt; Asbest fiel vom Förderband herunter; Mitarbeiter fegten Asbestschutt trocken vom Boden; das Fertigerzeugnis sollte in Plastikbeutel vakuumverpackt werden, wurde aber einfach in die Plastikverpackung gefüllt, die anschließend von Hand zusammengedrückt und zugebunden wurde; die Hitze im Werk (es war August) sorgte dafür, dass keiner der Mitarbeiter Schutzkleidung trug. Als Poppe einen ausführlichen Bericht über diese Feststellungen veröffentlichte, drohte das Unternehmen mit Klage. Der durch diesen Vorfall ausgelöste Skandal führte zum Asbestverbot in den Niederlanden. Wenn ein derart gesetzwidriges Verhalten eines Unternehmens in einem Land mit strengen Arbeitsschutzvorschriften möglich ist, was geschieht dann wohl anderswo?, fragt Poppe. Es wird Zeit, dass Asbest weltweit verboten wird. Die Vereinten Nationen sollten eine Resolution verabschieden, in der die globale Abschaffung der Asbestindustrie gefordert wird. Flucht aus der Verantwortung In 70 % aller mit Asbest zusammenhängenden Klagen im Vereinigten Königreich geht es um Ansprüche wegen Pleuraplaque. In der Vergangenheit wurden den an Pleuraplaque Erkrankten von den Gerichten auf vorläufiger Grundlage Entschädigungen in Höhe von zugesprochen; 2005 wurden diese Beträge durch ein Gerichtsurteil um ca. 50 % gekürzt. Gegen diese Entscheidung wurde beim Berufungsgericht Rechtsmittel eingelegt. Weitere Ereignisse, die sich nachteilig auf die Rechte der Opfer auswirken, sind Umstrukturierungen von Unternehmen, so etwa der Erwerb des britischen Asbestgiganten T&N PLC durch die US-Firma Federal Mogul (FM). Innerhalb von drei Jahren nach der Übernahme stellte FM angesichts einer Flut 22

23 von Asbestklagen in den USA einen Insolvenzantrag gemäß Chapter 11, und über T&N wurde die Zwangsverwaltung verhängt. In den vier Jahren, die seitdem vergangen sind, sind Tausende an asbestbedingten Gesundheitsschäden gestorben, und nicht ein einziger Betroffener ist entschädigt worden, weil sämtliche rechtlichen Schritte durch gerichtliche Verfügung eingefroren sind. Cape PLC, früher der zweitgrößte britische Asbestkonzern, versucht ebenfalls, seine Asbesthaftung durch eine Umstrukturierung in Grenzen zu halten nahmen Asbestopfergruppen im Vereinigten Königreich die vom Unternehmen angekündigten Pläne, einen mit 40 Mio. ausgestatteten Entschädigungsfonds einzurichten, mit Skepsis auf. Durch den Widerstand dieser Gruppen und ihrer Rechtsbeistände konnten die Versuche von Cape vereitelt werden, seine Pläne in Gerichtsverfahren durchzupeitschen; jetzt bemühen sich die Klägergruppen um unabhängigen rechtlichen und finanziellen Beistand, um den Wert und die Machbarkeit der Vorschläge von Cape bewerten zu lassen. Als wenn all das nicht schon schlimm genug wäre, droht denen, die durch die Schuld fahrlässiger Arbeitgeber an asbestbedingten Leiden erkrankt sind, auch noch die Ungewissheit, ob die Versicherungsgesellschaft des Unternehmers ihnen eine Entschädigung zahlen wird. Sally Moore, Anwältin Spanien In den Jahrzehnten vor dem Asbestverbot in Spanien waren Arbeitnehmer einer Mischung aus Krokydolith, Amosit und Chrysotil ausgesetzt (2001) 10 ; in dieser Zeit wurden über zwei Millionen Tonnen Chrysotil importiert. Dem (spanischen) nationalen Epidemiologiezentrum zufolge ist die asbestbedingte Sterblichkeitsrate von 419 Todesfällen im Jahre 1992 auf 795 im Jahre 2002 um 90 % gestiegen 11. Die Erfahrungen mit Asbest in Spanien sind die gleichen wie in anderen Ländern, wobei Fortschritte in dieser Frage großenteils auf die Koordinierung der Aktivitäten von Betroffenen und Gewerkschaften zurückzuführen sind. Die Confederación Sindical de Comisiones Obreras (CCOO), eine der größten spanischen Gewerkschaften, arbeitet mit anderen Beteiligten, darunter dem Ausschuss Hoher Arbeitsaufsichtsbeamter der EU (SLIC), an der Verwirklichung folgender Projekte in Spanien: Aufstellung eines Gesundheitsüberwachungsprogramms für gefährdete Arbeitnehmer; Einrichtung eines nationalen Mesotheliomregisters und eines Programms für die psychologische und soziale Unterstützung von Asbestbetroffenen; epidemiologische Forschung an kritischen Orten der Asbestverwendung; Rechtsvorschriften, die die Frühverrentung von asbestexponierten Arbeitnehmern ermöglichen; 10 Verwendung und Vermarktung von Krokydolith wurden 1984 verboten. 11 Die 795 asbestbedingten Todesfälle lassen sich wie folgt aufschlüsseln: 259 Fälle von Bauchfellkrebs, 210 Fälle von Brustfellkrebs, 196 Fälle von Lungenkrebs und 130 Fälle mit anderen Ursachen. 23