Jürgen Chmielek. Ismet Müller. Das vertauschte Leben

Transkript

1 Jürgen Chmielek Ismet Müller! Das vertauschte Leben

2 Inhaltsverzeichnis Vorwort& 3! Mein&Tagebuch& 10! Wer&und&wo&bin&ich?& 31! Meine&Familie& 32! In&der&Schule& 36! Die&falsche&Familie& 38! Die&neue&Familie& 39! Die&Hochzeit&von&Cousine&Büsra& 43! Fußball&über&alles& 47! Danksagung& 60!!

3 Vorwort der Sonderpädagogin und Buchautorin Betül Durmaz Völlig aufgelöst kam mein damals 7jähriger Sohn aus der Grundschule nach Hause und fragte mich:»anne, was bin ich denn nun? Deutscher oder Türke?«In seinen großen braunen Augen war eine Verunsicherung zu sehen.»canim (türkische Liebkosung), die Hälfte von dir ist deutsch und die andere Hälfte ist türkisch.aber wo ist das denn genau?«, ließ er nicht locker. Ich teilte mit dem Zeigefinger zunächst die deutsche Hälfte vom Kopf bis zur Köpermitte und die türkische Hälfte abwärts vom Bauchnabel bis zu den Füßen ein. Da mein Sohn bereits nach türkischer Tradition beschnitten war, machte diese Einteilung, da gewünscht, am meisten Sinn. Aber auch diese weitere Erklärung schien ihn nicht ganz glücklich zu machen.»also, Canim, es ist doch total egal, welcher Teil nun von dir deutsch oder türkisch ist, du bist du und das ist schön. Du musst dich gar nicht entscheiden. Es ist doch herrlich, beides zu sein. Wir feiern Zuckerfest, Nikolaus, Opferfest, Ostern und Weihnachten. Hüben wie drüben. Überlege doch mal, die vielen Geschen-

4 ke.«das entscheidende Argument war ausgesprochen und Junior wieder glücklich. Mittlerweile besucht mein Sohn die 9. Klasse eines Gymnasiums und spielt seit Jahren, genau wie die beiden Jungen Markus und Ismet Fußball. Mit seinem türkischen Temperament und Feuer und seiner deutschen Zielstrebigkeit und Disziplin. Toleranz, Offenheit und Zusammenarbeit sind unumgänglich im Fußball. Denn nur, wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen, kann etwas erreicht werden egal woher man kommt. Das sollte nicht nur für den Sport gelten, sondern selbstverständlich auch für andere Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens. Die Helden dieses Buches machen es vor. Türken und Deutsche sind Freunde und das ist einfach wunderbar. Herzliche Grüße Ihre Betül Durmaz

5 Freundschaft unter Kindern, egal welcher Nationalität, Hautfarbe oder Religion, ist ein Garant für eine dauerhafte Integration migrierter Menschen. Jürgen Chmielek, 2012

6 Hallo, ich heiße Markus, Markus Müller und bin 10 Jahre alt. Ich lebe mit meiner Familie, meinen Eltern und meiner achtjährigen Schwester Janette, in einer wunderschönen Kleinstadt. Hier habe ich eigentlich alles, was ich so brauche: Einen Fußballverein, bei dem ich natürlich Mitglied bin und kräftig mitmische übrigens als Mittelstürmer, ein Jugendheim, in dem wir meine Kumpel und ich oft nach der Schule abhängen, und eine Seltersbude haben wir auch so eine Art Bonbon-Bude, in der du alle Süßigkeiten kaufen kannst, auf die du Lust hast. Wie ihr euch vorstellen könnt, geht s mir hier richtig gut. Na ja, die Schule die muss nicht unbedingt sein. Aber andererseits, etwas lernen will ich ja schon, will ja nicht dumm bleiben. Und dann treffe ich mich halt dort auch mit meinen Freunden. Die Pausen sind aber für mich das Beste. Da spielen wir meistens Streetball; eigentlich nichts anderes als Fußball, aber ohne Regeln und jeder gegen jeden. Als Ball nehmen wir dann immer einen kleineren Stein oder eine Dose. Das macht ganz toll Lärm und ärgert die Pausenaufsicht. Ich muss zugeben, dass ich deshalb echt schon zweimal ins Klassenbuch eingetragen wurde. Ist zwar ärgerlich, meine Freunde finden es aber obercool. Natürlich ist das nichts gegen ein richtiges Fußballspiel, vor allem, wenn ich vorneweg ein Tor nach dem anderen schießen kann.

7 Übrigens, heute Nachmittag ist ein großes Fußballturnier, wir gegen die Schulmannschaft aus dem Nachbarort. Wir haben rote Trikots und die gelbe. Wetten, dass wir gewinnen? Ich werde bestimmt fünf Tore schießen. Und mein Kumpel Ismet, mein türkischer Freund, steht im Tor. Der hält fantastisch. Er ist der beste Torwart, den ich kenne. Ja, ihr habt richtig gelesen, mein Kumpel ist ein türkischer Junge. Wie wir uns kennengelernt haben? Das war gar nicht so einfach, so sehe ich das heute jedenfalls. Mann, wenn ich dran denke, was in der Zeit alles geschehen ist Damit ich nichts vergesse, habe ich alles aufgeschrieben in so ein Tagebuch. Das ist einfacher als am PC schreiben, und man kann ein Buch besser verstecken, damit es niemand lesen kann. Hab ich vorher noch nie gemacht. Ihr etwa? Abends, vor dem Schlafengehen, habe ich das, was ich erlebt habe, in mein Geheimbuch eingetragen. Erst wollte ich es ja keinem zeigen

8 Aber egal. Mir hat s geholfen und euch jetzt vielleicht auch, denn ich gebe es euch mal zum Lesen oder Vorlesen. Hoffentlich kommt ihr klar mit dem, was ich da geschrieben habe! Also, hier ist es. Es kann losgehen:

9 Mein Tagebuch Montag, 02. Juli Das Wochenende war super. Erst hatten wir unser Fußballspiel gegen die Jungs vom FC mit 3:1 gewonnen, dann wurde gegrillt. Der Trainer war total stolz auf uns. Er hat gesagt, dass wir die beste Mannschaft seien, die er je trainiert hat. Und dann hat er mich ganz besonders gelobt.»markus«, hat er gesagt,»du warst prima in Form. Alleine zwei Tore gehen auf dein Konto. Herzlichen Glückwunsch!«Die anderen haben mir dann alle auf die Schultern geklopft und gemeint:»super, Markus, hau nächstes Mal zehn rein!«und dann haben alle gelacht. Ich war super glücklich. Am Sonntag gab es Kuchen bei Oma. Ich wär ja lieber wieder auf den Platz gegangen und hätte dort mit den Kumpels ein paar Schüsse auf das Tor abgegeben. Aber Mama hat das nicht zugelassen. Und eigentlich ist die Oma ja auch in Ordnung. Mist ist nur, dass ich dann immer was Besonderes anziehen und mich benehmen soll. Das finde ich fürchterlich. Und dann die Janette, meine Schwester, buh, tut die auf schlau! Erzählt der Oma immer, wie gut sie in der Schule ist und dass sie später einmal Kindergärtne-