Luigi Boccherini Quintett für Gitarre und Streicher Nr. 9 in C, G. 453 La Ritirata notturna di Madrid

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2 SWR2 MUSIKSTUNDE Individualisten und Kollektive Kleine Ensembles auf eine gantz neue Besondere art, Folge 2 Dienstag, , Uhr Karl Dietrich Gräwe Luigi Boccherini ist der Urheber eines Menuetts, dessen Berühmtheit an Fatalität grenzt. Das Menuett von Boccherini hat sich dem kollektiven musikalischen Unterbewusstsein der Menschheit eingegraben ein für alle Mal aber sonst ist herzlich wenig von ihm in Erinnerung geblieben. Boccherini war Italiener, stammte aus Lucca, doch einen großen Teil seines Lebens hat er in Spanien verbracht, auf dem Schloss Las Arenas in der Provinz Avila, 160 km von Madrid entfernt. Sein Brotherr, der Infant Don Luis de Borbón, war dorthin verbannt worden, weil dem Hof in Madrid die Frau nicht passte, die er geheiratet hatte, und Boccherini folgte ihm ins Exil, wohl wissend, dass er sich damit an den Rand des abendländischen Musikgeschehens begab. Aber Boccherini hat sich zeitlebens der Laufrichtung des Rades der Fortuna entgegengestellt. Und er strebte beim Komponieren nicht die Geltung und Gültigkeit von Ewigkeitswerten an. Er schrieb in seiner Einsamkeit Trios, Quartette, Quintette nach Hunderten. Er tat es auf seine Weise und an Originalität und Erlesenheit ohne jeden Vergleich, aber in genauer Kenntnis dessen, was im fernen Eisenstadt und auf Schloss Esterháza in ähnlicher Abgeschiedenheit der andere Streichquartett-Erfinder seiner Zeit hervorbrachte: jener Joseph Haydn. Seinem Geistesverwandten im österreichischen Burgenland schickte Boccherini Kostproben der eigenen Kreativität, die ihresgleichen nicht hatten, er schickte sie mit respektvoller Empfehlung und bekannte sich als leidenschaftlicher Verehrer des Genies Haydn und seiner Musik. Boccherini in der Klausur von Las Arenas und trotzdem, wie sein Kollege Haydn, berühmt in ganz Europa. Die Verleger in Paris, Venedig, Wien, Amsterdam und London rissen sich um seine Partituren und sorgten unermüdlich für ihre Verbreitung. Luigi Boccherini Quintett für Gitarre und Streicher Nr. 9 in C, G. 453 La Ritirata notturna di Madrid

3 3. Satz: Allegretto (Anfang) 2 08 Pepe Romero (Gitarre) Kammerensemble der Academy of St Martin in the Fields Philips , LC Track 3 So fängt der 3. Satz eines Quintetts an, das Boccherini zuerst für Klavier und Streicher setzte und später auch für die Gitarre arrangierte. Pepe Romero und das Kammerensemble der Academy of St Martin in the Fields spielten diesen Satzbeginn. Das Quintett in der Besetzung mit Gitarre schließt dann mit einem Satz, der früher einmal zu einem reinen Streichquintett gehört hatte mit dem Titel Nachtmusik auf den Straßen von Madrid. Dieses Finale, ein Thema mit Variationen, wurde so beliebt, dass Boccherini es noch drei weitere Male für unterschiedliche Instrumentenbesetzungen umschrieb. Jetzt gab er dem Stück den Titel La ritirata notturna di Madrid, Der Aufzug der militärischen Nachtwache von Madrid. Es gibt also vier Fassungen des Satzes, die man alle als Originalversion bezeichnen kann. Im Jahr 1975 erhielt Luciano Berio den Auftrag, für ein Konzert des Mailänder Scala- Orchesters ein Eröffnungsstück zu schreiben, und er kam auf die Idee, die vier Varianten einfach übereinander zu kopieren und für Orchester zu transkribieren, mit ein paar geringfügigen Anpassungen. Und, so hat Berio erklärt, am Schluss habe ich noch ein paar saftige harmonische Konflikte zugespitzt. Luciano Berio/Luigi Boccherini Quattro versioni originali della Ritirata notturna di Madrid 6 23 London Symphony Orchestra, Ltg.: Luciano Berio BMG/RCA , LC Track 5 Der Aufzug der militärischen Nachtwache von Madrid, das war mal das Finale eines Streichquintetts von Luigi Boccherini, bevor es so beliebt wurde, dass der es für andere Besetzungen noch dreimal umschrieb. Luciano Berio hat 1975 die verschiedenen Fassungen übereinander

4 geschichtet, für Orchester eingerichtet und selbst auch die Aufnahme mit dem London Symphony Orchestra dirigiert. Beethoven hat sein Septett für Bläser und Streicher Es-dur op.20 der Kaiserin Maria Theresia gewidmet. Zum ersten Mal gespielt wurde es in einem privaten Konzert im Haus des Fürsten Schwarzenberg in Wien. Bei der ersten öffentlichen Aufführung im Burgtheater musste es sich die Nachbarschaft einer Sinfonie und eines Klavierkonzertes von Beethoven, einer von Beethoven selbst vorgetragenen Klavier-Improvisation, einer Mozart-Sinfonie und zweier Gesangsstücke aus Haydns Schöpfung gefallen lassen. Mit der stilbewussten Trennung der verschiedenen musikalischen Gattungen nahm man es nicht so genau. Aber während sich das Publikum über den eröffnenden Dominantseptakkord von Beethovens 1. Sinfonie noch entrüstete, schenkte es dem Septett seine ungeteilte Gunst. Der rasch um sich greifenden Popularität half Beethoven noch weiter auf die Sprünge, indem er es für Klaviertrio transkribierte, aber er blieb nicht der einzige, der Hand an sein Werk legte. Es heißt, Beethoven habe sich über den Ruhm seines Opus 20 allmählich geärgert, weil er fürchten musste, der Glanz seiner ernsteren Musik würde dadurch verdunkelt. Das Thema des 3. Satzes, des Menuetts, hielt auch unaufhaltsam Einzug in die Musikzimmer der Bürgerfamilien, als Bestandteil der kurzen Klaviersonate Nr. 20 in G-dur. Ludwig van Beethoven Septett Es-dur op Satz: Tempo de menuetto 3 15 The Nash Ensemble Virgin Classics , LC 7873 Track 6 Das Menuett aus dem Septett für Bläser und Streicher, Es-dur op. 20 von Ludwig van Beethoven, mit dem Nash Ensemble. Als er das Septett komponierte, war Beethoven 30 Jahre alt und hatte noch keine Schwierigkeiten, den allseits geübten und geliebten Stil des Divertimentos, also der unterhaltenden Gesellschaftsmusik, mit Andeutungen seiner künftigen sinfonischen Bauweise zu verbinden. Je älter er wurde, je konsequenter er beim Komponieren zu den Höhen

5 abstrakter Denkspiele emporstieg, desto entschiedener distanzierte er sich vom leider so populär gewordenen Septett kam Ludwig Spohr nach Wien, um hier im Theater an der Wien die Stelle des Orchesterdirektors einzunehmen. In dieser Zeit schrieb er die romantische Oper Faust und bereicherte das Genre des Divertimento um ein Stück von ungewöhnlich üppiger Besetzung, um das erste Nonett der Geschichte, mit einem Aufgebot von Flöte, Oboe, Klarinette, Horn, Fagott, Violine, Viola, Cello und Kontrabass. Und, so wünschte er sich, jedes der 9 Instrumente sollte seinem Charakter und Wesen gemäß hervortreten. In dem Tuchhändler Johann Trost, jenem Trost, dem Haydn schon einmal seine Streichquartette op. 64 gewidmet hatte, fand auch Spohr einen Verehrer und Mäzen und obendrein den Mann, der ihn zu dem Nonett anregte. Es wurde einer von Spohrs größten Erfolgen, nicht nur in Wien, auch in Paris und London musste er es mehrmals aufführen. Der ertaubende Beethoven nahm s mit Ingrimm zur Kenntnis, und als er die Partitur zu Gesicht bekam, notierte er mit süffisanter Ungenauigkeit in seinem Konversationsheft: Spohr hat ein Oktett oder Nonett geschrieben, das ist ein wahrer Schund. Louis Spohr Nonett F-dur op Satz: Finale. Vivace 5 28 Linos Ensemble Capriccio , LC 8748 Track 4 Das Finale aus dem Nonett F-dur op. 31 von Ludwig Spohr, mit dem Linos Ensemble. Zu den tonangebenden Auffälligkeiten der Wiener Musikszene stieg Johann Nepomuk Hummel auf, ein Wunderkind auf dem Klavier, Schüler von Mozart, Albrechtsberger, Salieri, Haydn, Nachfolger Haydns in Eisenstadt, herumreisender und allerorten bewunderter Klaviervirtuose, überaus fleißig als Komponist, aber nachlässig in der Wahrung seiner Dienstpflichten, wo immer er eine feste Anstellung bezog. Hummel die ideale Amphibiennatur für alle Jahreszeiten und Wetterlagen und auch für die Übergangszeit zwischen Klassik und Romantik. Beethoven hätte wahrscheinlich die schlichte Melodik, die stereotypen Wiederholungen und das virtuose Glitzerwerk

6 mit Verachtung gestraft, aber gerade mit dieser Mischung aus Eingängigkeit und dekorativem Aufwand riss Hummel sein Publikum zur Begeisterung hin. Das Trompetenkonzert ist bis heute sein bekanntestes Stück, die Trompete mit ihren Signalmotiven hätte nach dem Klavier sein zweites Wunschinstrument gewesen sein können. In seinem Septett C-dur op. 114 für Bläser, Streicher und Klavier, das wegen seiner Trompetenfanfaren das Militärseptett genannt wird, spielt Hummel alle seine Stärken effektvoll aus. Johann Nepomuk Hummel Klavierseptett Nr. 2 C-dur op. 114 ( Septet Militaire ) 1. Satz: Allegro con brio (Ausschnitt) 7 27 Capricorn Hyperion CDA 66396, LC 7873 Track 5 (ab 3 17 aufblenden) Das Klavierseptett Nr. 2 C-dur op.114 von Johann Nepomuk Hummel, das so genannte Militärseptett. Das Ensemble Capricorn spielte einen Ausschnitt aus dem 1. Satz, Allegro con brio. Franz Schubert an seinen Verleger Probst in Leipzig, Anfang Oktober 1828, 7 Wochen vor seinem Tode: Ich habe unter andern 3 Sonaten für s Pianoforte allein komponiert, welche ich Hummel dedizieren möchte. Auch habe ich mehrere Lieder von Heine gesetzt, welche hier außerordentlich gefielen, und endlich ein Quintett für 2 Violinen, 1 Viola und 2 Violoncello verfertigt. Die Sonaten habe ich an mehreren Orten mit viel Beifall gespielt, das Quintett aber wird dieser Tage erst probiert. Schubert scheint diese letzten Werke, die zu seinen bedeutendsten gehören, alle neben einander geschrieben zu haben, als wüsste er, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Für Proben zu dem erwähnten Quintett gibt es keinen Beleg. Wahrscheinlich wollte Schubert seinem Verleger einen Entwicklungsstand vortäuschen, der noch nicht erreicht war, ohnehin griff Probst bei keinem dieser Angebote zu, und das Quintett in C-dur erschien erst 25 Jahre nach Schuberts Tod in einem Wiener Verlag unter der Opuszahl 163. Schubert, der erst nach seinem physischen Tod durch seine Musik als Lebendiges ins Bewusstsein einer

7 größeren, weiteren Welt eintritt nicht nur mit dem C-dur-Quintett. Es ist nicht zu leugnen: in seinen letzten Werken findet Schubert Töne, die sind offenkundig nicht von dieser Welt. In den Adagio-Teilen des 2. Satzes schafft er einen Klangraum, der auf der einen Seite vom punktierten Rhythmus der 1. Violine, auf der anderen Seite von den Pizzicati des 2. Cellos eingegrenzt ist, in dem die Zeit stillsteht und dessen Inneres pure Magie ist. Franz Schubert Streichquintett C-dur D Satz: Adagio (Anfang) 5 12 Emerson String Quartet & Mstislav Rostropovich (V cello) DG , LC Track 2 (bei 5 17 ausblenden) Der Anfangsteil, Adagio, des 2. Satzes aus Schuberts Streichquintett C- dur op.163, und in dieser Aufnahme hat sich zum Emerson String Quartett als 2. Cellist, der u.a. für die Pizzicati zuständig war, Mstislav Rostropovich hinzugesellt. Zum Freundeskreis um Schubert gehörte Franz Lachner aus Oberbayern, den die Berufung in ein Organistenamt nach Wien geführt hatte. Beim berühmtesten Kompositionslehrer der Stadt - neben Salieri -, bei Simon Sechter, nahm Lachner Unterricht, im Zirkel um Schubert lernte er, was ein Kunstlied ist und wie man dort die Kammermusik pflegte, und er griff selber zu Feder und Notenpapier. Sehr wahrscheinlich, dass Lachners Schöpfungen hier auch zur Aufführung kamen. München holte ihn als Dirigenten an die Hofoper, dort sammelte Lachner höchste Ämter und Ehren, auch als Lehrer und Komponist. Der Klimawechsel trat mit der Ankunft Richard Wagners in München ein, Lachner geriet in den Hintergrund. Er erreichte mit 87 Jahren eine gehörige Lebensspanne, und seine Kompositionen zeigen: er verschloss sich nicht dem Wechsel der Zeiten. Wagner tadelte allerdings sein allzu korrektes und poesieloses Dirigieren, wurde andererseits aber nicht müde, das herrliche königliche Hoforchester als die meisterhafte Schöpfung Lachners zu rühmen schließlich profitierte er ja auch selber davon.

8 Mit dem Nonett F-dur, das er im Alter von 72 Jahren schrieb, zeigt sich Lachner, bei allen nostalgischen Reminiszenzen, durchaus auf der Höhe der neuen Zeit. Er hat es seiner Hofkapelle zugeeignet, und Richard Strauss hielt es für modern genug, um danach eine Bearbeitung für Klavier zu 4 Händen anzufertigen Franz Lachner Nonett F-dur 3. Satz: Adagio 7 54 Consortium Classicum Orfeo C A, LC 8175 Track 8 Franz Lachner schrieb 1875 ein Nonett für Bläser und Streicher und hielt sich an die Tonart F-dur, die früher Ludwig Spohr für sein Nonett und Franz Schubert für sein Oktett gewählt hatten. Das Consortium Classicum spielte den 3. Satz, Adagio. Die Kammermusik bleibt auch im 19. Jahrhundert Kammermusik, allein schon, weil die musisch gestimmten bürgerlichen Kreise sich ihrer für den eigenen Hausbedarf zunehmend bemächtigen. Aber sie sucht sich andere Ziele als die Räson und die metrischen Balanceakte der Wiener Klassiker, sie sucht den Weg zur quasi sinfonischen Klangentfaltung, wenn auch mit wenigen Instrumenten. Felix Mendelssohn Bartholdy, Kompositionsschüler des Goethe-Freundes Carl Friedrich Zelter, schreibt mit 16 Jahren ein Oktett, nur für Streicher, für 4 Violinen, zwei Violen und 2 Celli, ein Stück von überschwänglich mitreißendem, jugendlichem Schwung. Dieses Oktett muss von allen Instrumenten im Stile eines symphonischen Orchesters gespielt werden, diese Anweisung trägt Mendelssohn ausdrücklich in das Autograph der Partitur ein. Lehrmeister Zelter bekräftigt, das Oktett habe Hand und Fuß, und dem Mendelssohn-Enthusiasten Goethe dürften die Augen geglänzt haben. Das Smetana-Quartett und das Janácek-Quartett haben sich vereinigt, um das Oktett Es-dur op. 20 zu spielen, und wir blenden uns ein in den 1. Satz: Allegro moderato ma con fuoco mit Feuer.

9 Felix Mendelssohn Bartholdy Oktett Es-dur für Streicher, op Satz: Allegro moderato ma con fuoco 3 30 Smetana-Quartett & Janácek-Quartett Supraphon , LC 0358 Track 1