1. Kapitel. Unheimlicher Besuch

Transkript

1 Thienemann

2 1. Kapitel Unheimlicher Besuch 7

3 Ein lau tes Pol tern kam ir gendwo aus der Woh nung. Das muss ten seine El tern sein. Er freut sprang Jonathan von sei nem Schreib tisch stuhl auf. Doch im nächs ten Mo ment stoppte er. Es war erst halb vier. So früh konnten sie un mög lich von der Ar beit kom men. Wie der hörte er et was. War das viel leicht ein Ein brecher? Er lebte jetzt in Ber lin und nicht mehr in dem kleinen Dorf Fin kel bach. In ei ner so gro ßen Stadt gab es be stimmt viele Diebe. Jonathan griff nach sei nem Handy, um seine Mut ter an zu ru fen. Doch dann legte er es wie der weg. Wahrschein lich bil dete er sich das mit dem Ein bre cher nur ein. Be stimmt stand nur ir gendwo ein Fens ter of fen, und der Wind hatte et was um ge sto ßen. Ganz schön blöd, wenn sich seine Mut ter des we gen jetzt un nö tig Sor gen machen würde. Leise schlich er aus sei nem Zim mer, um nach zu se hen, was los war. In der Woh nung war es jetzt voll kom men still un heim lich! Wenn we nigs tens Tobi bei ihm wäre! Zu sam men mit ihm hatte er nie mals Angst vor irgendetwas gehabt. Vom Flur aus schaute er vor sich tig in das Zim mer sei ner El tern. Die bei den Kar tons mit dem neuen Schrank, den Papa schon längst hätte auf bauen sol len, wa ren um gekippt. Dar un ter lugte et was Schwar zes her vor. Er schaute es sich nä her an und stellte fest: Es war Mamas Lieb lings 8

4 kleid, das ihr Papa zum letz ten Ge burts tag ge schenkt hatte. Plötzlich begannen die Kartons sich zu bewegen. Er schro cken sprang er zu rück.»mama? Bist du das?nein, der Ni ko laus«, piepste eine Stimme.»Hilf mir gefälligst.«un schlüs sig blieb er ste hen. Si cher war das un ter den Kar tons ein Ein bre cher. Den sollte er be freien? Da wäre er ja ganz schön blöd. Aber er konnte ihn doch auch nicht ein fach so dort lie gen las sen. Die Schrank tei le waren ziemlich schwer.»ey, bist du noch da?«, mel dete sich die Stimme er neut. Etwas versuchte die umgekippten Schrankteile nach oben zu drü cken, schaffte es aber nicht.»bist du ein Ein bre cher?ich wohne hier, du Sumpf eu le!du lügst! Hier woh nen Mama, Papa und ich. Ich hole jetzt die Polizei!Nein, nicht hier in der Woh nung, son dern hier im Haus! Jetzt hilf mir bitte! Ich be komme keine Luft mehr!«jonathan zö gerte. Wenn das ein Ein bre cher war, dann je den falls kein be son ders star ker. Denn sonst könnte er die Schrank teile sel ber hoch he ben. Und wenn er nun er stickte? Dann wäre er schuld daran.»gut. Ich helfe dir.«er ver suchte, die Kar tons an zu heben. Sie wa ren schwe rer, als er ge dacht hatte. 9

5 »Streng dich ge fäl ligst an! Oder hast du nur Bind fä den- Mus keln in dei nen Ar men?«, piepste es un ter dem Karton. Er spannte alle Mus keln an. Tat säch lich schaffte er es, die Kartons ein wenig weiter anzuheben. Unter den Schrankteilen kam etwas hervorgekrochen. Et was, das Mamas Lieb lings kleid trug, rote Haare hatte und an den Hän den und im Ge sicht moos grün war. Fast hätte er vor Schreck die Kar tons wie der fal len ge las sen.»mann, das wurde aber auch Zeit«, sagte das Mäd chen. Es war etwa so groß wie er, ziem lich zier lich, hatte eine Stupsnase und violette Sommersprossen. Unter dem Kleid sei ner Mut ter trug es et was, das aus sah wie ein weißes, von Motten zerfressenes Prinzessinnenkleid.»Das wer den ein paar ganz üble orange Fle cken«, meinte es und rieb sich die Schul ter.»das Kleid, das du da an hast. Das ist doch von mei ner Mama?«, fragte er.»na und? Ich habe es mir nur ge lie hen. Um es aus zu probie ren. Viel leicht kaufe ich mir ein ähn li ches.aber jetzt ist es to tal zer knit tert. Mama wird stink sau er sein.mama wird stink sauer sein«, äffte die grüne Ge stalt ihn nach. Lang sam wurde er wü tend. Er hatte ihr ge hol fen, und sie machte sich jetzt lus tig über ihn.»gib es so fort her!«10

6 »Hol es dir doch!«, rief sie spöt tisch. Was sollte er jetzt ma chen? Das konnte er sich doch nicht ge fal len las sen. Er packte nach ihr, griff aber ins Leere. Plötz lich war sie min des tens ei nen Me ter von ihm ent fernt, ohne dass er wusste, wie sie da hin ge kom men war. Er machte ei nen Sprung nach vorne, um sie zu er wi schen, ver fehlte sie aber und knallte ge gen Pa pas Nacht tisch.»pups«, rief das Mäd chen. Wü tend rieb er sich sein Knie.»Das heißt Ups, du Hüpf kuh.tat säch lich? Wo her willst du das wis sen?«jonathan war stink wütend. Blitz schnell packte er das Mäd chen am Hand ge lenk, das sich ganz kühl an fühlte.»jetzt gibst du mir so fort das Kleid von mei ner Mama!Käse quark«, sagte es und grinste. Dann pas sierte et was, was er nicht ver stand: Das Mäd chen raste los, und er wurde ein fach hin terhergezogen. So wie eine Watschelente an einer Schnur. Er wollte es los las sen, aber es ging nicht. Sie ras ten di rekt auf eine Wand zu.»aaaahhhh!«er schloss die Au gen. 11