Wir haben einen Wahrzeichen Pluralismus

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1 heute.de, Moderne Landmarks Wir haben einen Wahrzeichen Pluralismus Bild 1/13 Die Elbphilharmonie in Hamburg ist ein brandneues Wahrzeichen der Stadt, aber nicht das erste, (Quelle: imago/epd / ) Eiffelturm, Michel, Kölner Dom sie alle sind weltbekannte Wahrzeichen ihrer Städte. Heute müssen sie mit modernen Neubauten gleich nebenan konkurrieren. Architekturtheoretiker Georg Vrachliotis findet das gut. Im heute.de Interview erklärt er, wie Landmarks das Image ganzer Staaten verändern können. heute.de: Wer bestimmt, was ein Wahrzeichen ist? Georg Vrachliotis: Wahrzeichen werden von der Gesellschaft geschaffen. Bei der Elbphilharmonie in Hamburg zum Beispiel kann man sehr gut erkennen, dass Architektur nie im luftleeren Raum entsteht. Sie hat immer soziale, politische, kulturelle und ökonomische Bezüge in die Gesellschaft. heute.de: Hamburg hat bereits ein Wahrzeichen: den Michel die evangelische Hauptkirche Sankt Michaelis, die seit dem 17. Jahrhundert den Seeleuten von weit her zeigte, in welchen Hafen sie mit ihren Schiffen einlaufen. Können alte und neue Wahrzeichen miteinander koexistieren oder muss eins verschwinden?

2 Vrachliotis: Ich plädiere für Koexistenz. Wir haben heute einen Wahrzeichen Pluralismus, der nicht nur die historische Vielfalt, sondern auch das symbolische Potenzial von Architektur für unsere Gesellschaft zeigt. Am Beispiel Elbphilharmonie und Michel kann man gut die kulturellen Kontraste sehen, die die Vorstellung eines Wahrzeichens ausmachen. Der Michel war immer mit Visualität verbunden. Nach einem schweren Brand 1906 hat man ihn sogar wieder aufgebaut, weil er als das Wahrzeichen der Stadt galt. Früher wollte man Städte anhand ihrer Wahrzeichen charakterisieren. Wir würden heute hinter einem solchen Gedanken sofort eine Marketingstrategie vermuten. Am Michel kann man kritisch den Rekonstruktionsgedanken hinterfragen: Müssen wir unsere Wahrzeichen eigentlich immer wieder aufbauen? Beispiele dafür sind auch die Frauenkirche in Dresden oder die Altstadt in Frankfurt am Main. Da geht es um urbane Identität und Architekturromantik. Wir können aber auch neue, moderne Landmarks setzen: Die Elbphilharmonie ist dafür ein gelungenes Beispiel. heute.de: Welche Kriterien muss ein modernes Wahrzeichen erfüllen? Vrachliotis: Die Sichtbarkeit spielt immer noch eine große Rolle. Dahinter steht aber stets eine symbolische Bedeutung. Beispielsweise kann durch ein modernes Wahrzeichen ein Ort oder eine ganze Region aufgewertet werden. Das wiederum hat soziale Folgen. Wir nennen das den Bilbao Effekt. heute.de: Wieso Bilbao Effekt? Vrachliotis: Weil das vom Architekten Frank O. Gehry Mitte der 1990er Jahre gebaute Guggenheim Museums die damals eher unbedeutende baskische Stadt Bilbao für den Tourismus und die wirtschaftliche Entwicklung enorm aufgewertet hat. heute.de: Moderne Wahrzeichen haben also eine ökonomische Bedeutung? Vrachliotis: Damit meine ich nicht das viele Geld, das der Bau eines solchen Bauwerks verschlingt. Baukosten sind sehr wichtig, sollten aber auch nicht überbewertet werden. Der wirkliche Mehrwert ist, dass die Stadt einen neuen sozialen Magneten besitzt. Und das ist bei der Elbphilharmonie als Konzerthaus mit der Plaza definitiv so. Wahrzeichen können sogar die internationale Wahrnehmung ganzer Staaten verändern. Der Architekt Frei Otto hat beispielsweise mit seiner Leichtbauweise das Bild Deutschlands positiv verändert, beispielsweise wie bei der transparenten Dachlandschaft für den Olympiapark in München. In der internationalen Presse hieß es, diese Architektur sei nach der finsteren Nazizeit ein Wahrzeichen eines neuen Deutschlands. heute.de: Schaut man in den Mittleren Osten nach Dubai oder nach China, scheint die soziale Funktion eines Landmarks nicht im Vordergrund zu stehen. Da geht es doch vor allem um Gigantismus? Vrachliotis: An diesen Beispielen sieht man eine weitere Funktion eines modernen Wahrzeichens: Es ist ein politisches Diskursobjekt. An ihm kann man sehr viel über die gesellschaftlichen Vorstellungen der Zukunft erkennen. Dubai als völlig künstliche Stadt in der Wüste fährt den architektonischen Regler ins Kontrastreiche, um auf der Skala der globalen Aufmerksamkeit überhaupt erscheinen zu können. In China hat man nicht so große Berührungsängste mit dem Monumentalen wie in Europa und speziell in Deutschland. heute.de: In Frankfurt am Main aber wurde der monumentale Turm der Europäischen Zentralbank errichtet...

3 Vrachliotis: Sie ist ein raffiniertes, komplexes Bauwerk unserer Zeit. Momentan scheint sie mir noch vom Nebel der Anti Globalisierungsproteste verhüllt zu sein. Als Wahrzeichen steckt sie noch etwas im Unscheinbaren. Sie ist aber ein hervorragendes Beispiel dafür, was Architektur an Diskussionen aushalten muss. Denn über Architektur kann man streiten. heute.de: In New York ist das One World Trade Center an die Stelle der von Terroristen zerstörten zwei Türme des World Trade Centers gebaut worden. Sie waren ein Landmark New Yorks. Taugt das neue Hochhaus zum Wahrzeichen? Vrachliotis: Das glaube ich nicht. Der ursprüngliche Entwurf des Architekten Daniel Libeskind hatte das wohl zum Ziel, aber letztendlich hat sich das Kapital dagegen entscheiden. Der Haupteigentümer ist die Hafenbehörde von New York und New Jersey. New York hat andere Wahrzeichen, wie die neuen Museen, die Waterfront oder den High Line Park. Das Interview führte Katharina Sperber Info Box: Georg Vrachliotis ist Professor für Architekturtheorie und Leiter des Südwestdeutschen Archivs für Architektur und Ingenieurbau am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Seine Forschungsund Publikationsschwerpunkte sind Architekturtheorie und geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, insbesondere der Nachkriegszeit, an den Schnittstellen zur Medien, Technikund Kulturgeschichte. Er ist Kurator der aktuellen Ausstellung "Frei Otto. Denken in Modellen" im ZKM Karlsruhe. Bilderserie:

4 Bild 1/13 Die Elbphilharmonie in Hamburg ist ein brandneues Wahrzeichen der Stadt, aber nicht das erste, (Quelle: imago/epd / ) Bild 2/13 denn die Kirche St. Michaelis, von den Hamburgern liebevoll Michel genannt, war den Seeleuten über Jahrhunderte ein wichtiges Landmark. (Quelle: imago/westend61 / )

5 Bild 3/13 Noch hat sich die Europäische Zentralbank nicht als Wahrzeichen der Bankenstadt Frankfurt am Main durchsetzen können, (Quelle: imago/imagebroker / ) Bild 4/13 das Rathaus "Der Römer" ist seit dem 15. Jahrhundert unangefochten die Ikone der Stadt. (Quelle: imago / )

6 Bild 5/13 Das Burdsch Chalifa in Dubai ist mit 828 Metern derzeit das höchste Haus der Welt wird er wohl vom Kingdom Tower im saudischen Dschidda abgelöst, der mehr als einen Kilometer in den Himmel ragen soll. (Quelle: imago / ) Bild 6/13 Die Hochhausgruppe der Abraj Al Bait Towers stellt in der saudischen Stadt Mekka sogar das Heiligtum aller Muslime, die Kaba, in den Schatten. (Quelle: imago / )

7 Bild 7/13 Der Shanghai Tower ist mit 632 Metern der höchste Wolkenkratzer in China und (noch) das zweithöchste Haus der Erde. (Quelle: imago / ) Bild 8/13 Das One World Trade Center wurde an der Stelle der am 11. September 2001 von Terroristen zerstörten Zwillingstürme des World Trade Centers gebaut. Als Ersatz Wahrzeichen konnte es nicht reüssieren. (Quelle: imago / )

8 Bild 9/13 Viele New Yorker tummeln sich heute lieber im High Line Park, einer ehemaligen Güterzugtrasse im Westen von Manhattan, die von 2006 bis 2014 zu einen Park umgebaut wurde. (Quelle: imago / ) Bild 10/13 "Space Egg" tauften britische Journalisten das neue Europa Gebäude in Brüssel,... (Quelle: Picture Alliance / )

9 Bild 11/13 in dem schon bald der Europäische Rat, alle Staats und Regierungschefs der EU, tagen sollen. (Quelle: dpa / ) Bild 12/13 Das Guggenheim Museum in Bilbao wertete Ende der 1990er Jahre die baskische Stadt wirtschaftlich enorm auf. Seither sprechen Architekten vom "Bilbao Effekt" von Wahrzeichen. (Quelle: imago / )

10 Bild 13/13 Der Olympiapark in München für die Sommerspiele 1972 ist ein Meilenstein in der Geschichte der modernen Landmarks: Er wurde zum Wahrzeichen eines neuen Deutschlands. (Quelle: imago / )