Festschrift: 150 Jahre Geographie in Gießen

Größe: px
Ab Seite anzeigen:

Download "Festschrift: 150 Jahre Geographie in Gießen"

Transkript

1 GIESSENER GEOGRAPHISCHE SCHRIFTEN Herausgegeben von Prof. Dr. Christian Diller, Prof. Dr. Andreas Dittmann, Prof. Dr. Markus Fuchs, Prof. Dr. Johann-Bernhard Haversath, Prof. Dr. Ingo Liefner, Prof. Dr. Jürg Luterbacher Schriftleitung: Dr. Frank Volker Institut für Geographie der Justus-Liebig-Universität Gießen Heft 84 Festschrift: 150 Jahre Geographie in Gießen 2014

2 Vorwort 150 Jahre Geographie in Gießen Das Institut für Geographie der Justus-Liebig-Universität Gießen feiert im Jahr 2014 sein 150-jähriges Bestehen. Dabei blickt es auf eine dynamische sowie äußerst spannende Geschichte zurück und weist gleichzeitig auf die aktuellen und zukünftigen Schwerpunkte in Forschung und Lehre hin. Der Werdegang des Instituts für Geographie war von vielen Erfolgsgeschichten geprägt, jedoch auch, wie es der Präsident der Universität Gießen, Prof. Joybrato Mukherjee, bei seiner Eröffnungsrede zur Vortragsreihe der Gießener Geographischen Gesellschaft im Sommersemester 2014 ausdrückte, ebenso wie die Geschichte der Universität selbst wechselvoll und nicht ununterbrochen oder ausschließlich von erfreulichen Höhepunkten gekennzeichnet. Die vorliegende Festschrift 150 Jahre Geographie in Gießen liefert einen Überblick über die früheren Schwerpunkte am Institut für Geographie und versucht eine Perspektive auf künftige Ausrichtungen. Dabei wird weitgehend auf eine detaillierte Zusammenstellung der frühen historischen Entwicklung bis zum Jahre 1964 verzichtet, weil diese bereits in der Festschrift 100 Jahre Geographie in Gießen, erschienen als Heft 6 der Gießener Geographischen Schriften (GGS), umgesetzt wurde und Duplizierungen möglichst vermieden werden sollten. Die Herausgeber der Festschrift und heutigen Leiter des Institutes für Geographie sind sich aber durchaus der Bedeutung bewusst, die ihre Vorgänger für die Entstehung, Erhaltung und Ausrichtung der Gießener Geographie hatten und bis heute haben. Das Hauptgewicht der Konzeption der Festschrift zum 150-jährigen Bestehen liegt daher auf der Darstellung der Entwicklung der einzelnen Forschungs- und Lehrbereiche des Institutes, der Werdegänge und Wirkungsweisen der am Institut tätigen Geographinnen und Geographen und vor allem an einer Analyse der Wirkungen und Prägungen, welche Geographie aus Gießen auch auf andere Standorte gehabt hat und bis heute hat. Der ebenso schwierigen wie verdienstvollen Aufgabe, dieses Wirken Gießener Geographie nach innen und nach außen zu dokumentieren, hat sich dankenswerter Weise Prof. Ernst Giese angenommen, der selbst von 1973 bis 2007 Professor am Institut für Geographie im Bereich Wirtschaftsgeographie tätig war und das Werden des Institutes nicht nur begleitet, sondern in wesentlichen Abschnitten auch entscheidend mitgeprägt hat. Sein Beitrag über die Geschichte der Geographie an der Universität Gießen bildet daher den historischen Schwerpunkt der vorgelegten Festschrift. 1

3 Vorwort Die Gesamtkonzeption der Festschrift ist so aufgebaut, dass auch die aktuellen Bereiche von Forschung und Lehre vorgestellt werden. Dies geschieht in dieser Form ausführlicher, als es im Rahmen der eigentlichen Festveranstaltung zum 150-jährigen Bestehen der Geographie in Gießen am 18. Juli 2014 möglich war. In Form von Kurzvorstellungsvorträgen präsentierten hier die Leiter der einzelnen Bereiche ihre aktuellen und künftigen Geographie-Orientierungen. Es geschieht dies in einer Reihenfolge, die sich nicht etwa an Bereichsnummerierungen oder alphabetischen Gesichtspunkten orientiert, sondern an einem charakteristischen Gießener Alleinstellungsmerkmal, dem vom Gießener Geographie-Professor Harald Uhlig entwickelten Schema der Geographie (Uhlig 1967: Methodische Begriffe der Geographie ; zuletzt überarbeitet und nochmals behandelt von EHLERS 2010 in The Anthropocene. A New Chance for Geography? (in Die Erde 141). Daraus ergibt sich die Reihung der Vorstellung der Bereiche Klimageographie (Prof. Jürg Luterbacher), Geomorphologie (Prof. Markus Fuchs), Anthropogeographie und Geographische Entwicklungsforschung (Prof. Andreas Dittmann), Wirtschaftsgeographie (Prof. Ingo Liefner) sowie Kommunale und Regionale Planung (Prof. Christian Diller). Der sechste Bereich des Institutes, die Geographiedidaktik, wird in dieser Zusammenfassung noch von Prof. Johann-Bernhard Haversath vorgestellt. Die Neubesetzung in der Nachfolge dieser Stelle wird im Laufe des Jahres 2014 durch Prof. Rainer Mehren erfolgen. Die früher zunächst noch getrennten beiden Gießener geographischen Institute, das Institut für Geographie einerseits und das Institut für Didaktik der Geographie andererseits, wurden 2009 auf Beschluss aller beteiligten Professoren zu einer gemeinsamen neuen Einheit, dem Institut für Geographie zusammengelegt. Darüber hinaus enthält die Festschrift zum 150-jährigen Bestehen der Geographie in Gießen auch Beiträge, welche während der Festveranstaltung am 18. Juli - aus Zeitgründen - nicht in Form von Vorträgen vorgestellt werden konnten, aber dennoch wichtig sind für eine Verortung der Gießener Geographie. Dazu gehört der Beitrag zur Aufarbeitung der Rolle der Gießener Geographie in der Zeit des Nationalsozialismus, die es in dieser Form trotz Überfälligkeit bislang noch nicht gegeben hat (André Staarmann) sowie die Vorstellung des Konzeptes der erst 2007 gegründeten Gießener Geographischen Gesellschaft (GGG), als der derzeit jüngsten geographischen Gesellschaft in Deutschland (Andreas Dittmann). Die Festschrift 150 Jahre Geographie in Gießen ist - wie das für Festschriften allgemein üblich zu sein scheint - natürlich auch garniert mit einer gehörigen Portion Selbstdarstellung und institutionellem Eigenlob. Dies ist, etwa im inhaltlichen Gegensatz zu früheren Aufrufen unter 2

4 Vorwort dem Motto Stop the Flood (gemeint war damit eine für die Geographie nicht zu übersehende Festschriften-Inflation), allerdings auch gerechtfertigt, wenn nicht die Leistungen einzelner Forscherpersönlichkeiten, sondern die einer Institution bzw. wie im Gießener Fall des Institutes für Geographie dargestellt werden. Als solches kann sich das relative kleine, mit nur sechs Professuren ausgestattete Institut für Geographie in Gießen national und international durchaus sehen lassen, wie erfreulicherweise insbesondere u. a. auch die jüngsten Rankings geographischer Institute von unterschiedlichen Organisationen (z. B. CHE, DIE ZEIT, etc.) eindrucksvoll herausgestellt haben. Allen, die am Zustandekommen der Festschriftenbeiträge, des Festaktes zum 150-jährgen Bestehen der Geographie in Gießen und an den vielen organisatorischen und logistischen Aufgabenbereichen beteiligt waren, danken die Herausgeber herzlich, vor allem aber Frau B.Sc. Melanie Geier, die in kompetenter Weise das Layout besorgte und der Abteilung Kartographie mit Frau Dipl.-Ing. Lisett Diehl und Herrn Dipl.-Geogr. Dipl.-Ing. Bernd Goecke, die die Materialien zur Festschrift gestalterisch umgesetzt haben. Die Herausgeber 3

5 Einladung und Festprogramm 150 Jahre Geographie in Gießen E I N L A D U N G und Programm zur Jubiläumsfeier 150 Jahre Geographie in Gießen Freitag, den 18. Juli 2014, ab 17:00 Uhr (Senckenbergstraße 3, Eingang Landgrafenstrasse) 17:00 Uhr Treffen im Vorraum des Großen Hörsaals Zeughaus und Möglichkeit zur Registrierung in der Alumni-Datei 17:15 Uhr Begrüßung und Kurzvorstellung des Programms 17:20 Uhr Grußwort des Präsidenten der Justus-Liebig-Universität, Prof. Dr. J. Mukherjee: 150 Jahre Geographie in Gießen 17:25 Uhr Prof. Dr. Ernst Giese (Gießen): Geschichte der Geographie an der Universität Gießen :00 Uhr Prof. Dr. Eckart Ehlers (Bonn/Hamburg): Geographie in Gießen - ein Spiegelbild geographischer Forschung und Lehre in Deutschland? 18:25 Uhr Pause 18:35 Uhr Prof. Dr. Günter Mertins (Marburg): Die Geographie in Gießen - die interne Perspektive eines Ehemaligen 19:00 Uhr Kurzvorstellungen der aktuellen Forschungsbereiche am Institut für Geographie (jeweils 6 Minuten) Prof. J. Luterbacher, PhD: Klimageographie in Gießen Prof. Dr. M. Fuchs: Geomorphologie in Gießen Prof. Dr. A. Dittmann: Anthropogeographie und Geographische Entwicklungsforschung in Gießen Prof. Dr. I. Liefner: Wirtschaftsgeographie Prof. Dr. C. Diller: Kommunale und Regionale Planung 20:00 Uhr Gemütliches Beisammensein und Umtrunk am Grill auf der Grünfläche zwischen Neuem Schloß und Zeughaus 4

6 Inhalt Inhalt Vorwort 150 Jahre Geographie in Gießen... 1 Autorenverzeichnis... 6 Abkürzungsverzeichnis... 9 Ernst Giese Geschichte der Geographie an der Universität Gießen Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage und Hermann Mächel Klimawandel Gießens seit Mitte des 19. Jahrhunderts und Auswirkungen auf die Pflanzenwelt Oliver Wild und Frank Volker Exkursionen und Geländeübungen - ein wichtiger Bestandteil des Geographie-Studiums Andreas Dittmann Der Bereich Anthropogeographie und Geographische Entwicklungsforschung und die Internationalisierungs-Strategie der Justus-Liebig-Universität Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert und Peter Winker Regionalökonomische Effekte von Hochschulen: Ein Analyserahmen für den Standort Gießen Christian Diller Gießen und Marburg: Stadtentwicklung, Stadtdiskurse und studentische Lebensqualität im Vergleich Johann-Bernhard Haversath Geographiedidaktik: Von der Meisterlehre zur forschenden Disziplin André Staarmann Die Gießener Geographie im Nationalsozialismus - Ein bislang wenig beachtetes Kapitel Andreas Dittmann Die Gießener Geographische Gesellschaft

7 Autorenverzeichnis Autorenverzeichnis Geschichte der Geographie an der Universität Gießen Ernst Giese Institut für Geographie, Wirtschaftsgeographie Justus-Liebig-Universität Gießen Senckenbergstraße Gießen Klimawandel Gießens seit Mitte des 19. Jahrhunderts und Auswirkungen auf die Pflanzenwelt Jürg Luterbacher Dilek Akcakaya Institut für Geographie, Klimatologie, Klimadynamik und Klimawandel Justus-Liebig-Universität Gießen Senckenbergstraße Gießen Institut für Geographie, Klimatologie, Klimadynamik und Klimawandel, Justus-Liebig-Universität Gießen Senckenbergstraße Gießen Holderbergschule Eibelshausen, Am Holderberg Eschenburg-Eibelshausen Laura M. Luber Isabell Diehl Johannes Hofmeister Institut für Geographie, Klimatologie, Klimadynamik und Klimawandel, Justus-Liebig-Universität Gießen Senckenbergstraße Gießen Institut für Geographie, Klimatologie, Klimadynamik und Klimawandel, Justus-Liebig-Universität Gießen Senckenbergstraße Gießen Institut für Physische Geographie Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Werthmannstraße Freiburg 6

8 Autorenverzeichnis Ludger Grünhage Hermann Mächel Institut für Pflanzenökologie, Justus-Liebig-Universität Gießen Heinrich-Buff-Ring Gießen Deutscher Wetterdienst DWD Frankfurter Straße Offenbach Exkursionen und Geländeübungen - ein wichtiger Bestandteil des Geographie-Studiums Oliver Wild Frank Volker Institut für Geographie, Klimatologie, Klimadynamik und Klimawandel Justus-Liebig-Universität Gießen Senckenbergstraße Gießen Institut für Geographie, Physische Geographie Justus-Liebig-Universität Gießen Senckenbergstraße Gießen Der Bereich "Anthropogeographie und Geographische Entwicklungsforschung" im Lichte der Internationalisierungsstrategie der Justus-Liebig-Universität Die Gießener Geographische Gesellschaft Andreas Dittmann Institut für Geographie, Anthropogeographie Justus-Liebig-Universität Gießen Senckenbergstraße Gießen Regionalökonomische Effekte von Hochschulen: Ein Analyserahmen für den Standort Gießen Ingo Liefner Sebastian Bredl Institut für Geographie, Wirtschaftsgeographie Justus-Liebig-Universität Gießen Senckenbergstraße Gießen Fachbereich Wirtschaftswissenschaften Justus-Liebig-Universität Gießen Licher Straße Gießen 7

9 Autorenverzeichnis Christian Teichert Peter Winker Institut für Geographie, Wirtschaftsgeographie Justus-Liebig-Universität Gießen Senckenbergstraße Gießen Fachbereich Wirtschaftswissenschaften Justus-Liebig-Universität Gießen Licher Straße Gießen Gießen und Marburg: Stadtentwicklung, Stadtdiskurse und studentische Lebensqualität im Vergleich Christian Diller Institut für Geographie, Kommunale und Regionale Planung Justus-Liebig-Universität Gießen Senckenbergstraße Gießen Geographiedidaktik: Von der Meisterlehre zur forschenden Disziplin Johann-Bernhard Haversath Institut für Geographie, Bereich Didaktik Justus-Liebig-Universität Gießen Karl-Glöckner-Str. 21 G Gießen Adalbert-Stifter-Weg Fürstenzell Die Gießener Geographie im Nationalsozialismus - Ein bislang wenig beachtetes Kapitel André Staarmann Institut für Geographie, Anthropogeographie Justus-Liebig-Universität Gießen Senckenbergstraße Gießen 8

10 Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis AA Auswärtiges Amt AD nach Christus AfE Abteilung für Erziehungswissenschaften AfE Anstalt für Erziehungswissenschaften AGCHO Geodesy and Cartography Head Office ANRSA Agence National de la Recherche Scientifique Appliquée APEDIA Academic Partnership for Environment and Development Innovations in Africa B.Sc. Bachelor of Science BC vor Christus BGG Bonner Geographischen Gesellschaft BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung BRD Bundesrepublik Deutschland C2, C3, C4 Besoldungskategorien CERER Centre d Etudes et de Recherches sur les Energies Renouvelables CH 4 Methan CIM Centre for International Migration CIP Computer Investitions Programm CO 2 Kohlenstoffdioxid CSPs Concentrated Solar Power Plants CSSR Tschechoslowakei DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst DAUG Deutsch-Afghanische Universitäts-Gesellschaft e.v. DDR Deutsche Demokratische Republik DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft DGfG Deutschen Gesellschaft für Geographie DWD Deutscher Wetter Dienst ECM Entrepreneurship Cluster Mittelhessen ECNU East China Normal University ECOWAS Economic Community Of West African States EDV Elektronische Datenverarbeitung FAO Food and Agriculture Organization GeoGes Deutschen Geographischen Gesellschaften GESEREN German Senegalese Renewable Energy GGG Gießener Geographische Gesellschaft GIS Geographische Informationssysteme GIZ Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GPRS General Packet Radio Service GPS Global Positioning System GTZ Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GZ Geographische Zeitschrift H2, H2, H3 Gehaltsklassen (Besoldungskategorien) HEUREKA hessisches Hochschul-Investitionsprogramm HfE Hochschule für Erzeihung HGD Hochschulverband für Geographie und ihre Didaktik HGD Heidelberger Geographische Gesellschaft 9

11 Abkürzungsverzeichnis HLUG Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie IADS International Agricultural Development Services IfL Leibniz-Institut für Länderkunde IGU International Geographical Union IPCC Intergovernmental Panel on Climate Change IREM International Renewable Energy Management IT Informationstechnologie JLU Justus-Liebig-Universität KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau KIT Karlsruhe Institute for Technology KMK Kultusministerkonferenz L2, L3, L5 Lehramtsstudien M.Sc. Master of Science MENA Middle East and North Africa MGG Mittelhessische Geographische Gesellschaft MQ Mittlerer Abfluss MSS Marxistischer Studentenbund Spartakus N 2 O Lachgas NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei NSLB Nationalsozialistischer Lehrerbund OB Oberbürgermeister ÖPNV Öffentlicher Personennahverkehr PH Pädagogische Hochschule Phil. Philosophikum PUM Philipps-Universität Marburg RWTH Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen SADC Southern African Development Community SDS Sozialistischer Deutscher Studentenbund SEPA Solar Electric Power Association SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands THM Technische Hochschule Mittelhessen TransMit Gesellschaft für Technologietransfer mbh TU Technische Universität UADB Université Alioune Diop aus Bambay UCAD Universität Cheikh Anta Diop ünn über Normal Null UN ESCAP United Nations Economic and Social Commission for Asia and the Pacific UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization VR Volksrepublik VWL Volkswirtschaftslehre VW-Stiftung Volkswagen-Stiftung WRK Westdeutsche Rektorenkonferenz WS Wintersemester ZAIAG Zentralasiatisches Institut für Angewandte Geowissenschaften ZEU Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung ZVS Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen 10

12 Ernst Giese Geschichte der Geographie an der Universität Gießen Ernst Giese 1. Das Geographische Institut an der Ludwigs-Universität Gießen Die Anfänge der Geographie an der Ludwigs-Universität in Gießen Den Anfang der Geographie als wissenschaftliche Disziplin an der Gießener Ludwigs- Universität (Ludoviciana) - so hieß die Universität in Gießen vor dem 2. Weltkrieg - verbinden wir mit der Einrichtung einer außerplanmäßigen Professur (Extraordinariat) für Geographie im Jahre 1864 und der gleichzeitigen Besetzung der Stelle mit Robert von Schlagintweit. Lange vor Begründung dieser ersten Professur für Geographie an der Gießener Universität trugen Hochschullehrer anderer Fachrichtungen zur Entwicklung und Verbreitung der Geographie an der Ludwigs-Universität bei. Als ersten, zugleich an einer wichtigen Stelle der methodischen Entwicklung der Geographie stehenden Vertreter sei auf David Christiani ( ) hingewiesen. Er kam 1650 zusammen mit anderen Kollegen auf Grund der Auseinandersetzungen zwischen Calvinisten und Lutheranern in Hessen als ordentlicher Professor der Mathematik von Marburg (Calvinistische Anstalt) nach Gießen (Lutherische Anstalt), blieb dort bis 1658, um danach als Superintendent nach St. Goar zu gehen, kehrte dann aber 1681 als ordentlicher Professor der Theologie nach Gießen zurück und blieb dort bis zu seinem Tode im Jahre 1688 (HÄCKERMANN 1876: 212ff.). Er trennte als Erster Geographie und Astronomie in zwei selbstständige Wissenschaften und vollzog die wissenschaftliche Teilung des Faches in eine Beschreibung der Gesetzesnatur der Erde (= Allgemeine Geographie) und eine Chorographie bzw. spezifizierende oder historische Geographie (= Länderkunde) (UHLIG 1965: 90). Die erste geographische Vorlesung in Gießen wird im Vorlesungsverzeichnis des Jahres 1791 unter dem Namen August Friedrich Wilhelm Crome ( ) unter dem lateinischen Titel: Geographiam totius orbis terrarum angekündigt. Crome, der von an der Gießener Universität lehrte, war ein Vertreter der statistischen Staatenkunde. Er entwickelte u.a. neue statistische Darstellungsformen. So verwendete er in seinen Arbeiten erstmals Stabund Flächendiagramme. Bekannt geworden ist seine Produktenkarte von Europa (1782), in der für alle Gebiete Europas die dort hergestellten Güter und Waren verzeichnet waren. Noch 11

13 Ernst Giese wichtiger für die Geographie war sein Buch: Über die Culturverhältnisse der Europäischen Staaten (1792), das den ersten Versuch einer Karte der Bevölkerungsdichte Europas enthält (UHLIG 1965: 90; HARMS 1991; NEES 2012). Vermehrt wurden an der Ludwigs-Universität zu Anfang des 19. Jahrhunderts geographische Vorlesungen vornehmlich durch Professoren der Physik und Chemie angeboten. So hielt Wilhelm Ludwig Zimmermann 1 ( ), von ordentlicher Professor der Chemie und Mineralogie und Vorgänger von Justus Liebig auf dem Lehrstuhl, eine Vorlesung zum Thema Allgemeine Geographie, eine weitere zum Thema Astronomie und physische Geographie (1811) (UHLIG 1965: 91). Er führte 1820 auch die erste gesteinskundliche Exkursion in die Umgebung von Gießen durch. Georg Gottlieb Schmidt ( ), von erster ordentlicher Professor für Physik an der Ludoviciana, bot in der Zeit von u.a. Vorlesungen zu Themen aus der Physischen Geographie an. Sein Nachfolger, Johann Heinrich Buff ( ), ein Schüler Liebigs und Gay-Lussacs in Paris, hielt das erste Kolleg über Meteorologie (UHLIG 1965: 91). Regelmäßige Vorlesungen zur Geographie erfolgten erst mit der Einrichtung einer speziellen Professur für Geographie und der Berufung des damals 30-jährigen, in München geborenen Robert von Schlagintweit im Jahr Die finanziellen Mittel der Landesuniversität waren so begrenzt, dass für die Geographie zunächst nur eine außerplanmäßige Professur (Extraordinariat) zur Verfügung gestellt werden konnte, so dass Robert von Schlagintweit gezwungen war, umfängliche Vortragsreisen zu unternehmen, um seine finanzielle Lage zu verbessern. Die Einrichtung einer außerordentlichen Professur für Geographie an der Gießener Universität im Jahre 1864 erfolgte zu einem Zeitpunkt, da es im deutschsprachigen Bereich erst wenige Lehrstühle (Ordinariate) für Geographie gab (Berlin, Wien, Bonn). Erst in den 1870er Jahren begann mit der Gründung ordentlicher Lehrstühle in Leipzig (1871), Halle und München (1873), Dresden (1874), Königsberg und Straßburg (1875), Breslau und Marburg (1876) der allgemeine Ausbau des Faches an deutschen Universitäten, so dass Gießens außerplanmäßige Professur mit zu den Anfängen der modernen Hochschulgeographie gerechnet werden kann (UHLIG 1965: 92). 1 Ertrinkt 1825 in der Lahn; als Hintergrund werden Auseinandersetzungen mit Liebig, der ihn verdrängt, vermutet. 12

14 Ernst Giese 1.2 Robert von Schlagintweit und Carl Jakob Zöppritz Robert von Schlagintweit (* München, in Gießen) war der jüngste von drei Brüdern, die durch ihre Forschungsreisen zunächst in den Alpen, dann in den Hochgebirgen Zentralasiens in der damaligen wissenschaftlichen Welt große Aufmerksamkeit und Anerkennung gefunden hatten (vgl. Abb. 1). Alexander von Humboldt kannte die Schlagintweit-Brüder auf Grund ihrer Forschungsarbeiten in den Alpen. Er empfahl sie nachdrücklich für eine Expedition, die in den Jahren von 1854 bis 1857 im Auftrag der Britisch-Ostindischen Compagnie durchgeführt wurde und der Erkundung des indischen Subkontinents diente. Vorrangige Ziele waren die bislang nicht bekannten und erforschten Gebirgsregionen Zentralasiens: Karakorum, Westlicher Himalaya und Kunlun. Diese galt es zu erforschen und zu vermessen. Abbildung 1: Robert von Schlagintweit ( ) Abbildung 2: Grabmal von Robert von Schlagintweit Nach der Zentralasienexpedition der Schlagintweit-Brüder, bei der Adolph von Schlagintweit ums Leben kam - er wurde am Schluss der Expedition nach einer nochmaligen alleinigen Überquerung des Kunlun-Gebirges vom Khan in Kashgar gefangen genommen und enthauptet -, schreibt Alexander von Humboldt 1858 im Kosmos : Den Herren Hermann und Robert von Schlagintweit ist zuerst die Kühnheit geglückt, von Ladakh aus die Kuen-Lün-Kette zu überschreiten und in das Gebiet von Khotan zu gelangen. Die ersten Vorlesungen, die Robert von Schlagintweit in Gießen hielt, trugen auch die Titel: Geographie von Hochasien und 13

15 Ernst Giese Vergleichende Geographie Hochasiens, der Anden und der Alpen. Die Schlagintweit-Brüder zählen zu den Begründern der Zentralasien- und Hochasienforschung in Deutschland. Robert von Schlagintweit vertrat die Professur bis zu seinem Tode im Jahr Er liegt auf dem Alten Friedhof in Gießen begraben (Abb. 2). Die Zentralasienforschung sollte auch in späteren Jahren von Gießener Hochschullehrern vertreten werden, so zunächst von Arved Carl Ludwig von Schultz ( ), der bei Wilhelm Sievers in Gießen (s.u.) studiert und bei ihm 1914 über Pamir-Tadschiken promoviert hatte. Er unternahm zahlreiche Forschungsreisen nach Mittelasien und galt in der Vorkriegszeit als einer der besten Kenner Russlands, speziell Russisch-Turkestans (Sowjet-Mittelasien) wurde er auf den Lehrstuhl für Geographie an die Albertus-Universität in Königsberg berufen, wo er bis 1944 lehrte. In jüngerer Zeit hat der Autor selbst versucht, die Zentralasienforschung, die auf Grund der nach dem 2. Weltkrieg politisch bedingten schweren Zugänglichkeit des Gebietes ins Stocken geraten war, neu zu beleben (s.u.). Gleichzeitig war mit Willibald Haffner durch seine Forschungen im Himalaya ein weiterer Hochschullehrer am Geographischen Institut in Gießen in der Zentralasien- und Hochasienforschung engagiert (s.u.). Und in jüngster Zeit ist es Andreas Dittmann, der u.a. mit seinen Arbeiten in Afghanistan die Zentralasienforschung am Institut weiterführt. Neben Robert von Schlagintweit lehrte in den Jahren auch Carl Jakob Zöppritz (* Darmstadt, in Königsberg) an der Gießener Universität (vgl. Abb. 3). Er war mit seiner apl. Professur für Mathematische Physik zwar nicht der Geographie zugeordnet, stand der Geographie mit seinen Forschungsgebieten aber sehr nahe und hielt Vorlesungen zu verschiedenen Teilgebieten der Geographie, so speziell zur Kartographie und Klimatologie. Zöppritz hatte an der Universität in Heidelberg und Königsberg sowie an der Universität in Paris, wo er auch promovierte, Mathematik und Physik studiert habilitierte er sich an der Universität in Tübingen, wurde dort zunächst Dozent, wechselte dann aber bald 1867 an die Universität in Gießen, wo er bis 1879 eine apl. Professur für Mathematische Physik vertrat. Er widmete sich vor allem kartographischen und geophysikalischen Themen (Meteorologie und Klimatologie). Sein Leitfaden der Kartenentwurfslehre war ein Standardwerk der damaligen Zeit wurde Zöppritz in Nachfolge von Hermann Wagner als erster Ordinarius für Geographie an die Albertina nach Königsberg berufen. Seine Lehrtätigkeit um- 14

16 Ernst Giese fasste dort Allgemeine Erdkunde, Spezielle Länderkunde und Ethnographie sowie Meteorologie und Klimatologie. Er starb 1885 in Königsberg, liegt wie Robert von Schlagintweit aber auf den Alten Friedhof in Gießen begraben (vgl. Abb. 4) 2. Abbildung 3: Carl Jakob Zöppritz ( ) Abbildung 4: Grabmal von Carl Jakob Zöppritz 1.3 Friedrich Wilhelm Sievers und Carl Friedrich Fromme Als Nachfolger von Robert von Schlagintweit an der Ludwigs-Universität wurde 1890 Friedrich Wilhelm Sievers berufen (* Hamburg, Gießen) (vgl. Abb. 5, 6), ein Schüler von Hermann Wagner in Göttingen und Ferdinand von Richthofen in Leipzig. Nach dem unerwarteten Tod von Robert von Schlagintweit im Jahr 1885 war die außerplanmäßige Professur für Geographie aus finanziellen Gründen zunächst unbesetzt geblieben. Die Verordnung, die Prüfungen der Aspiranten des Gymnasial-, Realgymnasialund Realschul-Lehramtes betreffend für das Großherzogtum Hessen-Darmstadt vom , wonach Geographie als zweites Hauptfach sowohl mit einem der Fächer des mathematisch-naturwissenschaftlichen Gebietes als auch mit einem der sprachlich-geschichtlichen Fächer verbunden werden konnte, führte dann 1890 zur Weiterführung der Stelle (MERTINS 1982: 874). 2 Seine aus etwa 1800 Karten bestehende Sammlung bildete die Grundlage der Karten- und Photosammlung des Geographischen Instituts der Humboldt-Universität Berlin. Die Witwe von Zöppritz hatte die Sammlung an die Berliner Universität verkauft. 15

17 Ernst Giese Wilhelm Sievers studierte zunächst zwei Semester (1879/80) in Jena Geschichte, wechselte danach aber zum Wintersemester 1880/81 nach Göttingen und wandte sich unter dem Einfluss von Hermann Wagner der Geographie zu. Bereits Ende 1882 promovierte er dort bei Hermann Wagner mit einer historisch-geographischen Arbeit. Er setzte sein Studium in Leipzig bei Hermann Credner, Ferdinand von Richthofen und Ferdinand Zirkel fort, um Kenntnisse in der Geologie, Petrographie, Meteorologie und Physischen Geographie zu vertiefen ( ). Da seinerzeit erfolgreiche Forschungs- und Entdeckungsreisen für eine Hochschullehrerlaufbahn vorausgesetzt wurden, unternahm er von seine erste große Forschungsreise. Sie führte wohl infolge der geschäftlichen Beziehungen seines Vaters nach Südamerika, speziell nach Venezuela. Sievers habilitierte sich bald nach seiner Rückkehr am 7. Mai 1887 für Geographie in Würzburg. Als Habilitationsschrift reichte er außer einer Reihe geographischer Abhandlungen und Reiseberichte eine gedruckte Schrift über Schotterterrassen, Seen und Eiszeit im nördlichen Südamerika nebst handschriftlicher Fortsetzung ein (JÄGER 1987: 8). Man findet sie in seinem Buch über Die Cordillere von Mérida als Abschnitt unter dem Titel Schotterterrassen und Seen in der Cordillere (vgl. SIEVERS 1888: ) wurde Sievers nach Gießen berufen, zunächst für ein Jahr als außerplanmäßiger Professor mit Lehrauftrag, ab 1891 dann als planmäßiger Extraordinarius und von 1903 bis zu seinem plötzlichen Tod am infolge eines Schlaganfalls als erster Ordinarius für Geographie an der Gießener Universität (ausführlicher siehe MERTINS 1982: ; siehe auch V. SCHULTZ 1921: 163, 1927: ; PANZER 1957: ; UHLIG 1965: ; GÄRTNER 2010: ) 3. Mit ihm ist die eigentliche Gründung des Geographischen Instituts an der Ludwigs-Universität in Gießen verbunden, das jetzt auch baulich durch ein eigenes Institut an der Universität repräsentiert war. Das Geographische Institut fand im sog. Collegienhaus der Universität am Brandplatz 4 zwischen Neuem und Alten Schloß seitlich zum Botanischen Garten seinen Platz, zusammen mit dem Botanischen und Geodätischen Institut (vgl. Abb. 7-9). Sievers war an der Universität eine angesehene Persönlichkeit. So wurde er 1915/16 zum Rektor der Großherzoglichen Ludwigs-Universität Gießen gewählt. Ihm wurde durch das Großherzogliche Ministerium des Innern in Darmstadt 1916 der Titel Geheimer Hofrat verliehen. 3 Er liegt auf dem Jakobsfriedhof in Hamburg begraben (Urnengrab; die Einäscherung erfolgte im Krematorium von Friedberg bei Gießen). 16

18 Ernst Giese Wilhelm Sievers ist vor allem durch folgende Leistungen bekannt geworden: 1. Durch seine Forschungsreisen in die Hochgebirge des tropischen Südamerika, speziell in die nördlichen Anden (Venezuela und Kolumbien ; Venezuela ; Peru und Südecuador 1909). Es waren vor allem länderkundlich ausgerichtete Entdeckungsreisen, die darauf abzielten, in nicht oder wenig bekannten Regionen eine Art Bestandsaufnahme vorzunehmen (vgl. UHLIG 1965: 102; MERTINS 1982: ). Mit diesen Forschungsreisen begründete Sievers die lange Zeit an der Gießener Universität gepflegte Tropenforschung (bis zur Auflösung des Tropeninstituts 1997). 2. Durch seine groß angelegte, sechsbändige Allgemeine Länderkunde, die in vier Auflagen erschienen ist ( ) und über mehrere Jahrzehnte international ein Standardwerk der Geographie war, auch wenn es wenig wissenschaftlich ausgerichtet war und stark kompilatorischen Charakter zeigte, so dass es in der Kritik stand (SCHULTZ 1921; MERTINS 1982: 878). Außer Europa und Nordamerika hat Sievers alle Bände selbst bearbeitet. 3. Sein kartographisches Werk umfasst thematische Darstellungen von venezolanischen und kolumbianischen Gebirgen, darunter die Erarbeitung der ersten geologischen Karte von Venezuela auf der Grundlage eigener Feldforschung. Später waren so bekannte Hochschullehrer wie Arved von Schultz (Königsberg) und Hermann von Wissmann (Tübingen) unter seinen Schülern. Abbildung 5: Friedrich Wilhelm Sievers ( ) Abbildung 6: Friedrich Wilhelm Sievers ( ) 17

19 Ernst Giese Abbildung 7: Collegienhaus der Universität Gießen (1840 erbaut), in dem das Botanische, Geodätische und Geographische Institut vor dem 2. Weltkrieg stationiert waren. Abbildung 8: Blick in das Innere des Geographischen Instituts im Jahr 1910 Abbildung 9: Gebäude am Brand vor 1894 Quelle: XXX Quelle: WALBE (1938) 18

20 Ernst Giese Wie zuvor wurden Lehrveranstaltungen zu verwandten bzw. späteren Teilgebieten der Geographie wie Kartographie, Klimatologie und Meteorologie von Professoren der Theoretischen bzw. Mathematischen Physik gehalten (siehe Zöppritz). Diese Aufgabe übernahm in der Nachfolge von Zöppritz, der 1879 nach Königsberg berufen worden war, Carl Friedrich Ferdinand Fromme (* Kassel, Gießen). Er war 1873 an der Universität Göttingen promoviert und dort 1875 habilitiert und zum Privatdozenten ernannt worden wurde Carl Fromme auf Vorschlag des damals an der Gießener Universität lehrenden Physikers Wilhelm Conrad Röntgen auf den außerordentlichen Lehrstuhl für Mathematische Physik und Geodäsie an der Universität Gießen berufen 4. Für das Fach Meteorologie und Klimatologie wurde ihm ein spezieller Lehrauftrag erteilt. Lehrveranstaltungen zum Thema Meteorologie und Klimatologie findet man von ihm im Vorlesungsverzeichnis der Universität Gießen in der Zeit von 1906/07 bis 1910/11 aufgeführt, danach allerdings nicht mehr. Stattdessen werden Lehrveranstaltungen zur Klimatologie ( Das Klima von Mitteleuropa [WS 1913/14]; Das Klima von Afrika [SS1914]) vom jungen Privatdozenten der Physik, Dr. Albert Peppler, angeboten (MERTINS 1982: 880). Fromme wurde 1921 zum außeretatmäßigen ordentlichen Professor an der Ludwigs-Universität Gießen ernannt, 1925 emeritiert und ist 1945 in Gießen verstorben (PM 1921: 163). Er liegt auf dem Neuen Friedhof in Gießen begraben. 1.4 Fritz Klute Als Nachfolger von Wilhelm Sievers wurde 1922 auf den Lehrstuhl für Geographie an der Ludwigs-Universität in Gießen Fritz Klute (* Freiburg, Mainz) berufen (vgl. Abb. 10). Sie waren sich in ihren wissenschaftlichen Ausrichtungen sehr ähnlich. Klute wie Sievers unternahmen weite Forschungsreisen, verfügten über eine reiche Felderfahrung, legten besonderen Wert auf die persönliche Beobachtung im Gelände, studierten Eiszeitspuren und waren beide Herausgeber je eines vielbändigen, bekannten Handbuchs der Geographie länderkundlichen Zuschnitts (PANZER 1957: 343). Fritz Klute hatte als Schüler von Ludwig Neumann in Freiburg i.br. Geographie studiert und war dort 1911 mit einer Arbeit über die frühsommerlichen Schneereste des Schwarzwaldes und die Beziehungen ihrer Lage zu den Stellen der ehemaligen Vergletscherung promoviert worden. Klute ging danach als Assistent zu Hermann Wagner nach Göttingen, wo er sich 1915 mit wurde er hier zum ordentlichen Honorarprofessor ernannt. 19

21 Ernst Giese einer Arbeit über die Schnee- und Firnverhältnisse am Kilimanjaro habilitierte. Fritz Klute hatte das Glück, 1912 als wissenschaftlicher Begleiter von Eduard Oehler an einer Expedition in die Hochregion des Kilimanjaro (> 3000 m) teilzunehmen, um sie stereophotogrammetrisch zu vermessen und in einer Karte im Maßstab 1: darzulegen. Die 1920 publizierte Karte war von großer wissenschaftlicher Bedeutung. Sie zeichnete das Gelände im 50 m- Isohypsenabstand nicht nur in hervorragender Genauigkeit nach, sondern gab auch die Grenzen derzeitiger und eiszeitlicher Vergletscherung mit größter topographischer Genauigkeit an. 3 südlich vom Äquator im Maßstab 1: kartiert: das war für die damalige Zeit ein unerhörter Fortschritt (PANZER 1953: 170). Die Eiszeitforschung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch das klassische Werk von Albrecht Penck und Eduard Brückner über die Alpen im Eiszeitalter einen kräftigen Impuls erfahren hatte, sollte fortan für Fritz Klute ein Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit bleiben. Die Forschungsreise zum Kilimanjaro inspirierte Klute noch auf eine andere Weise: die Beschäftigung mit Afrika. In Büchern und etlichen Aufsätzen hat er diesen Kontinent in vielfältiger Weise bearbeitet. Zumeist handelt es sich hierbei aber um landeskundlich ausgerichtete Darstellungen. Der erste Weltkrieg brachte eine Unterbrechung seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Doch schon bald nach dem Krieg folgte eine Vertretung und 1921 die Berufung auf die ordentliche Professur für Geographie an der Universität Kiel. Ein Jahr später, 1922, wurde Klute auf den Lehrstuhl an die Ludwigs-Universität in Gießen berufen, wo er 22 Jahre bis zur kriegsbedingten Auflösung des Instituts im Dezember 1944 lehrte (vgl. PANZER 1952, 1957, 1965). Von Gießen aus organisierte Klute weitere Forschungsreisen in die Anden Argentiniens und Chiles (1923/24) sowie nach Lappland und Grönland (1925). Sie waren darauf ausgerichtet, die aufgenommenen eiszeitlichen Forschungen weiterzuführen und die eiszeitliche Vergletscherung in möglichst weit voneinander entfernt liegenden Gebirgslandschaften vergleichend zu erkunden, um das Eiszeitklima und die Ursachen der Eiszeiten zu erforschen (Panzer 1953: ). Eine besondere Leistung, die Klute überaus bekannt gemacht hat, stellt die Herausgabe des zwölfbändigen Handbuchs der Geographischen Wissenschaften ( ) dar. Klute selbst hat in dem Handbuch die Bearbeitung von großen Teilen Afrikas und von Hessen übernommen. 20

22 Ernst Giese Neben seinen Eiszeitforschungen ging Klute ausführlich wirtschafts- und sozialgeographischen Fragestellungen nach, wobei sein Interesse dabei vor allem völkerkundlichen und damit verbundenen rassenkundlichen Fragen galt. So untersuchte er den rassischen Aufbau der hessen-darmstädtischen Bevölkerung (1943) sowie die Haut- und Haarfarben der Schulkinder in Oberhessen (1928) und behandelte Lebensraumfragen europäischer Völker im tropischen Afrika (1941) sowie Afrika als Siedlungs- und Wirtschaftsraum des weißen Rassenkreises (1947). Zur heimischen Landeskunde und dem Volkssturm wurde eine Fülle von Dissertationen erstellt (vgl. PANZER 1953: ). Wolfgang Panzer 5, von sein Assistent in Gießen und danach ordentlicher Professor für Geographie an der Universität Mainz, schreibt über seinen Lehrer, dass völker- und rassenkundliche Fragen in seinen Vorlesungen immer wieder stark in den Vordergrund traten (vgl. PANZER 1957: 344). Die völkerkundlich ausgerichteten Arbeiten Klutes sind aus heutiger Sicht problematisch. Waren stark mit völkischem und rassistischem Gedankengut durchsetzte Arbeiten doch der Nährboden für die nationalsozialistische Ideologie (vgl. HEINRICH 1991). Das trifft ebenso auf seine Arbeiten zu, in denen europäisches Großmachtstreben zum Ausdruck kommt (vgl. KLUTE 1940, 1941). Klute bekleidete von das Amt des Prorektors der Ludwigs-Universität in Gießen in einer Zeit, als Heinrich Wilhelm Kranz, Direktor des Instituts für Erbgesundheit und Rassenpflege an der Gießener Universität und gleichzeitig Gauamtsleiter des Rassenpolitischen Amtes vom Gau Hessen-Nassau, von Rektor der Gießener Universität war. In dieser Zeit hielt Klute an der Ludwigs-Universität einschlägige Vorträge über Volk und Raum ( ), über den Ostraum Europas wehrgeographisch betrachtet ( ; vgl. Abb. 11) sowie über die Wirtschaftsharmonie des Großdeutschen Reiches und den Osten Europas (vgl. KLUTE 1940, 1941, a, b). Liest man den Nachruf und die Würdigungen von Wolfgang Panzer (1953, 1957, 1954), dann wird hier ein sehr beliebter und geachteter Hochschullehrer sowie ein geradliniger, von unabdingbarem Gerechtigkeits- und Ordnungssinn erfüllter, feinfühliger und bescheidener Mensch beschrieben. Nie stellte er sich in den Vordergrund, nie forderte er für sich, doch mit 5 Neben Wolfgang Panzer war mit Hermann Lautensach ein weiterer renommierter späterer Hochschullehrer sein Schüler. Lautensach begann seine Hochschullaufbahn an der Ludwigs-Universität in Gießen, wo er sich 1928 habilitierte und bis 1934 als Assistent und Privatdozent bei Fritz Klute tätig war. Nach einem kurzen Aufenthalt auf einer apl. Professur an der TH Braunschweig wurde er 1935 auf den ordentlichen Lehrstuhl für Geographie an die Universität Greifswald berufen, wo er bis 1946 blieb. Nach dem Kriege nahm er von die ordentliche Professur für Geographie an der TH Stuttgart wahr (vgl. TROLL 1966; PLEWE 1972; BECK 1974). 21

23 Ernst Giese welcher Freigebigkeit, mit welcher Hilfsbereitschaft wusste er anderen beizustehen (PANZER 1953: 172). Er sei ein zutiefst gottverbundener Mensch gewesen. Nach dieser Charakterisierung ist eine Nähe zum Nationalsozialismus oder gar eine aktive Teilhabe nur schwer vorstellbar. Und dennoch hat er sich, wie seine wehrwissenschaftlichen Vorträge an der Gießener Universität 1940, 1941 und die Übernahme des Amtes des Prorektors der Universität unter Wilhelm Kranz (s.o.) belegen, für die Interessen des Nationalsozialismus einvernehmen lassen 6. Das Geographische Institut hatte kurz vor dem 2. Weltkrieg etwa 200 Studierende. Am 11. Dezember 1944, 11:00-12:30 Uhr, erfolgte einer der verheerenden Bombenangriffe der Engländer auf Gießen. Hierbei wurde das Collegienhaus am Brandplatz 4 zwischen dem Neuen und Alten Schloß, in dem das Geographische Institut untergebracht war, so stark zerstört, dass es danach nicht wieder aufgebaut wurde (Bericht des Rektors der Ludwigs-Universität Gießen vom 14. Dezember 1944; FELSCHOW et al. 2008: 31). Da Fritz Klute gleichzeitig auch seine Wohnung und Bibliothek in der Moltkestraße verlor, hatte der ordentliche Lehrstuhl für Geographie an der Ludwigs-Universität in Gießen aufgehört zu existieren (LAUTENSACH 1965: 105). Es sollte 15 Jahre dauern, um das Geographische Institut an der Gießener Universität wieder zu neuem Leben zu erwecken. Klute selbst konnte 1947 den Lehrstuhl für Geographie an der Universität in Mainz übernehmen. Er lehrte dort bis zu seinem plötzlichen Tod am 7. Februar Abbildung 10: Fritz Klute ( ) 6 In der Festschrift ist von André Staarmann eine ausführlichere Darstellung über die Verquickung Gießener Geographen mit dem Nationalsozialismus zu finden. 7 Fritz Klute liegt in Freiburg im Breisgau, seiner Heimatstadt, begraben. 22

24 Ernst Giese Abbildung 11: Wehrwissenschaftliche Vorträge an der Ludwigs- Universität Gießen 1940, Plakat Quelle: UNIVERSITÄTSARCHIV GIEßEN PrA Nr Das Geographische Institut an der Justus-Liebig-Universität Gießen Das Ringen um die Wiederbegründung der Gießener Universität Nicht nur die Geographie war von den zerstörerischen Bombenangriffen der Alliierten betroffen. Ihnen fiel ein Großteil der Institute und Gebäude sowohl der Universität als auch der Kliniken zum Opfer. Die Universität soll zu 60% zerstört gewesen sein (FELSCHOW et al. 2008: 33) 8, so dass ein Wiederaufbau der Universität nach der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 von der amerikanischen Militärregierung und den hessischen Regierungsstellen (den Regierungsvertretern des seinerzeit sog. Volksstaates Hessen) in Darmstadt abgelehnt wurde. Die ablehnende Haltung der Regierungsvertreter basierte nicht nur auf dem großen Ausmaß der 8 Nach Aussage von Prof. Rolfes, Landwirtschaftliche Betriebslehre der Univ. Gießen, zu 93% (FELSCHOW et al. 2008: 39). 23

25 Ernst Giese Zerstörung der Gießener Universität, sondern beruhte vor allem darauf, dass angesichts der desolaten Wirtschaftslage und begrenzten finanziellen Ressourcen vier Hochschulen in Hessen: Frankfurt, Darmstadt, Gießen und Marburg nicht zu unterhalten waren. Die Lage der Gießener Universität war in dieser Konstellation denkbar schlecht. Frankfurt galt als die für Hessen zentral gelegene Großstadtuniversität, Darmstadt war die einzige Technische Hochschule und Marburg galt als die historisch bedeutsame, alte Universität, die erste protestantische Universitätsgründung (BECKERT 1967: 45; MORAW 1990: 227; FELSCHOW et al. 2008: 48). Auch die amerikanische Militärregierung war gegen eine Weiterführung der Ludwigs-Universität. Der für den Neuaufbau des Bildungswesens zuständige Militärberater, Edward Y. Hartshorne, ein Soziologie-Dozent an der Harvard-Universität, der seine Doktorarbeit über die deutsche Universität im Nationalsozialismus verfasst hatte, besaß starke Vorbehalte gegen einen Wiederaufbau der Gießener Universität. Inwieweit hierbei die nationalsozialistische Vergangenheit der Universität eine Rolle gespielt hat, lässt sich im Nachhinein nur schwer belegen, ist aber zu vermuten, da Gießen als Durchgangsuniversität galt und die nationalsozialistische Berufungspolitik unter diesen Voraussetzungen ihre Wirkung entfalten konnte. Nachhaltig wurde Hartshorne, der in Marburg seinen Wohnsitz genommen hatte, von Julius Ebbinghaus, der von Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Marburg und nachfolgend erster Rektor der Nachkriegszeit (1945/46) war, beeinflusst. Er war mit ihm befreundet. Und Ebbinghaus unternahm alles, um die Gießener Universität zu vereinnahmen bzw. aufzulösen (vgl. BECKERT 1967: 46-48, 50-51; MORAW 1990: 227; FELSCHOW et al. 2008: 44ff., 55ff.). Die Bemühungen der Gießener Hochschullehrer um eine Wiedereröffnung der Ludwigs- Universität scheiterten. Nach einem Beschluss der Wiesbadener Landesregierung vom 12. Februar 1946 sollten künftig von der Universität nur noch die landwirtschaftliche und veterinärwissenschaftliche Fakultät weitergeführt werden. Die humanmedizinische Fakultät sollte als Akademie für ärztliche Fortbildung selbstständig weiterarbeiten. Damit war klar, dass die Ludwigs-Universität in Gießen in ihrer bisherigen Form nicht mehr existieren, sondern in eine auf Landwirtschaft und Veterinärmedizin reduzierte Hochschule umgewandelt werden würde. Der Rektor der Universität, der Physiker Karl Beckert, legte daraufhin am 13. April 1946 sein Amt als Rektor der Ludwigs-Universität Gießen nieder (BECKERT 1967: 50; FELSCHOW et al. 86, 90). 24

26 Ernst Giese Am 27. Mai 1946 wurde die Justus-Liebig-Hochschule für Bodenkultur und Veterinärmedizin eröffnet (FELSCHOW et al. 2008: 62). Sie führte lediglich einen kleinen Teil des Fächerspektrums der untergegangenen Ludwigs-Universität weiter. Sie bestand nur noch aus einer Veterinärmedizinischen Fakultät, einer neu gebildeten Landwirtschaftlichen Fakultät und fünf kleinen naturwissenschaftlichen Instituten in sog. dienender Funktion. Die Humanmedizinische Fakultät wurde in eine eigenständige Akademie für Medizinische Forschung und Fortbildung umgewandelt. Mit dem am 6. September 1950 im Hessischen Landtag verabschiedeten Gesetz über die Errichtung der Justus-Liebig-Hochschule wurde der bestehenden Hochschule der notwendige rechtliche Rahmen gegeben. Hierbei wurde die Humanmedizin wieder in den akademischen Lehrbetrieb integriert und die fünf naturwissenschaftlichen Institute zu einer Fakultät zusammengefasst (HESELHAUS 1967: 12-13; FELSCHOW et al. 2008: 86, 90). Nach der Gesetzesverabschiedung setzten im Jahre 1950 die Auf- und Ausbauarbeiten der Hochschule ein. Man suchte das naturwissenschaftliche Fächerspektrum durch Spezialfächer vor allem der Biologie (Biochemie, Biophysik, Vererbungslehre) auszuweiten, um das Profil der Hochschule als Spezialhochschule für Lebenswissenschaften zu stärken. Man schuf damit in Gießen etwas Neues und gab der Hochschule Schritt für Schritt ein eigenes Profil, das ihr den Weg zurück zur Universität bahnen half und bis heute ihr Forschungsspektrum entscheidend prägt (FELSCHOW et al. 2008: 97). Ein weiterer wichtiger Aspekt des Ausbaus der Hochschule auf dem Weg zurück zur Universität war die Erteilung der Prüfungsberechtigung für das Höhere Lehramt für Fächer der Naturwissenschaftlichen Fakultät (Erlass vom 22. Juni 1951) und die Wiedereinrichtung eines wissenschaftlichen Prüfungsamtes in Gießen. Die Geographie war an der Justus-Liebig-Hochschule von 1950 an nur über einen Lehrauftrag vertreten, um Studierende im Nebenfach Geographie zu betreuen. Bis zur Wiederbegründung des Geographischen Instituts im Jahre 1960 wurde dieser durch Gerhard Bartsch wahrgenommen (UHLIG 1982: 113). Bartsch war seit 1935 als Hochschullehrer für Didaktik der Geographie an der Pädagogischen Hochschule in Weilburg tätig, die 1960 der Gießener Universität zunächst als Hochschule für Erziehung (HfE) angegliedert, dann nach 1966 mit der Universität verschmolzen wurde und dort eine eigene Abteilung für Erziehungswissenschaften (AfE) bildete (HESELHAUS 1967: 16). Nichtsdestotrotz zeigte sich die Landesregierung mittlerweile aufgeschlossen, das Fächerspektrum der Liebig-Hochschule in einem vertretbaren Umfang so abzurunden, dass die Hochschule wieder den Status einer Universität erlangen konnte. 25

27 Ernst Giese Anlässlich der 350-Jahrfeier der Universität im Juli 1957 wurde der Justus-Liebig-Hochschule dann wieder der Status einer Universität zurückgegeben. Das Gesetz über die Justus-Liebig- Universität in Gießen trat am 2. Juli 1957 in Kraft. Es legte einengend aber in Paragraph 3 fest, dass Forschung und Lehre in allen Fakultäten nur naturwissenschaftlich-biologisch ausgerichtet sein sollten (REKTORAT DER JUSTUS-LIEBIG-UNIVERSITÄT GIEßEN 1967: 21-25). An diese einschränkende Klausel im Gesetzestext fühlten sich die Gießener Hochschullehrer nicht gebunden. Das Ziel, die Liebig-Universität zu einer vollwertigen Universität mit einer geisteswissenschaftlichen Fakultät sowie den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften auszubauen, wurde von den Hochschullehrern konsequent weiterverfolgt. Diesem Ansinnen kamen die Reformmaßnahmen der Lehrerausbildung (Grund- und Mittelschullehrer) in Hessen im Jahre 1958, die eine Hochschulausbildung von sechs Semestern festlegte, entgegen. Im Zuge der Reformmaßnahmen wurden die Pädagogischen Institute in Jugenheim und Weilburg aufgehoben und stattdessen als Hochschule für Erziehung (HfE) den Universitäten in Frankfurt und Gießen angegliedert (FELSCHOW et al. 2008: 123) zog die Pädagogische Hochschule (PH) Gießen in den Gebäudekomplex an der Licher Straße ein, der heute von den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften genutzt wird. Mit der Errichtung der Hochschule für Erziehung setzte eine Zunahme der Gießener Studierendenzahlen in nie gekanntem Ausmaß ein (vgl. Abb. 12; FELSCHOW et al. 2008: 124). Dieser Entwicklung der Studierendenzahlen ist Abbildung 12: Zahl der Studierenden an der Justus-Liebig-Universität Gießen Quelle: FELSCHOW (2008) 26

28 Ernst Giese der weitere Ausbau des Fächerspektrums der JLU zu verdanken, vor allem auch die lange angestrebte Einrichtung einer eigenen Philosophischen Fakultät 9. In diese Zeit des Hochschulausbaus und stetig wachsender Studierendenzahlen fällt die Wiederbegründung des Geographischen Instituts im Jahre Bereits im Jahre 1956 war dem Ministerium vom Rektor der Justus-Liebig-Universität eine Dringlichkeitsliste für 15 neu zu errichtende Lehrstühle vorgelegt worden, auf der auch die Geographie verzeichnet war (MORAW 1990: 233). 2.2 Wiederbegründung und Wiederaufbau des Geographischen Instituts /74 -Die erste Nachkriegsgeneration- Auf den ersten Lehrstuhl für Geographie an der Justus-Liebig-Universität Gießen nach dem Kriege wurde im Jahre 1960 Harald Uhlig berufen. Er kam als Dozent aus Köln, wo er sich 1955 bei Konrad Kayser mit einer methodischen Arbeit zur Kulturlandschaftsforschung, einem damals in der deutschen Geographie intensiv bearbeiteten Forschungsgebiet (vgl. Arbeiten von BOBEK, SCHMITHÜSEN, MÜLLER-WILLE, TROLL, u.a.), habilitiert hatte. Als Assistent brachte er aus Köln Dr. Adolf Karger, später ( ) Lehrstuhlinhaber für Geographie an der Universität Tübingen, mit nach Gießen wurde ein weiterer Lehrstuhl für Geographie an der Justus-Liebig-Universität eingerichtet. Er wurde mit Walther Manshard, gleichfalls ein Schüler von Konrad Kayser in Köln, besetzt. Das Geographische Institut in Gießen wurde somit als eine Art Dependance des Kölner Geographischen Instituts aufgebaut. Damit wurden auch bestimmte Forschungsschwerpunkte der Geographie wie die Tropenforschung nach Gießen weitergeleitet. Unterschlupf fand das Geographische Institut zunächst in einem Hinterhaus der Ludwigstraße 28. Es war eine Notunterkunft, die über vier Jahre von ertragen werden musste (UHLIG 1982: 113). Ende 1964 konnte man in die Räume des Neuen Schlosses, das für diese Zwecke umgebaut worden war, umziehen (Abb. 13). Der Umzug in das Neue Schloß wurde damals gebührend in Verbindung mit den Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen der Geographie an der Gießener Universität mit einem festlichen Kolloquium am 30. Januar 1965 gefeiert (vgl. Gießener Geographische Schriften, Heft 6, 1965; Abb. 15). Mit dem Aufbau des 9 Nach Einrichtung der Philosophischen Fakultät erfolgt kurz darauf auch der Aufbau einer Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät mit 18 Lehrstühlen (FELSCHOW et al. 2008: 132). Die feierliche Eröffnung findet am statt. Gießen war nun faktisch wieder in den Kreis der klassischen Universitäten eingetreten. 27

29 Ernst Giese Geographischen Instituts in der zweiten Hälfte der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre wurde dem Institut in unmittelbarer Nähe ein zweites Gebäude zur Verfügung gestellt, die Schloßgasse 7 (vgl. Abb. 14). Hierin verankert waren: - die Kartographie und Kartensammlung des Instituts, - das Photolabor und die Institutsdruckerei, - die Geomorphologie mit dem Physisch-Geographischen Labor, - seit 1982 zudem die Abteilung für Angewandte Geographie und Regionalplanung; sie war von 1972 bis 1982 zunächst in Räumen der Diezstraße 15 unterbracht, und - nach 1999 auch die Fernerkundung und Luftbildauswertung; sie war zunächst von in der Roonstraße stationiert. Abbildung 13: Neues Schloß - Institut für Geographie seit 1964 Abbildung 14: Schloßgasse 7 - Institut für Geographie, 2. Standbein seit

30 Ernst Giese Abbildung 15: Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Geographie an der Gießener Universität im Jahr 1964 Harald Uhlig (vgl. Abb. 16 und 18) war ein begeisterter Bergsteiger und Skifahrer. So leistete er seinen Wehrdienst auch bei den Gebirgsjägern ab und so erklärt es sich auch, dass er sein Geographiestudium in Heidelberg 1950 mit einer geomorphologischen Arbeit über die Altformen des Wettersteingebirges abschloss. Nach zwei Jahren als Britisch Council-Stipendiat in Newcastle ging er auf Vermittlung von Ernst Weigt 10, selbst Dresdner und damals noch in Köln tätig, als Assistent zu Konrad Kayser nach Köln. Dort habilitierte er sich 1955 mit einer Arbeit zur Methodik der Kulturlandschaftskunde. 10 Ernst Weigt war von Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialgeographie an der Universität Erlangen-Nürnberg. 29

31 Ernst Giese Angeregt und unterstützt durch Carl Troll unternahm Harald Uhlig seine erste Forschungsreise 1959 nach Kaschmir in den Himalaya. Seine Feldstudien fasste er in Form vertikaler Landschaftsprofile zusammen. Diese Profile entwickelte er später zu sog. Modellen der Höhenzonierung der Kulturlandschaft im Himalaya weiter (HAFFNER 1995: 196). Ein besonderes Interesse galt dem Reisanbau und der Frage, welche limitierenden Faktoren die Obergrenze des Reisanbaus im Hochgebirge bestimmen. Ganz allgemein ging es Uhlig darum, die kulturlandschaftliche Höhenzonierung der Gebirge in Süd- und Südostasien zu erfassen. Dabei interessierte ihn vor allem die ethnische Schichtung der Gebirgsvölker. Durch seine kulturgeographischen Forschungen in Süd- und Südostasien und hierbei vor allem durch seine Arbeiten zur vergleichenden Kulturgeographie der Hochgebirge (Himalaya, besonders Kaschmir) erwarb sich Uhlig internationales Ansehen (HAFFNER 1995; SCHOLZ 1995). Abbildung 16: Harald Uhlig ( ) Ein weiteres bevorzugtes Thema betraf die Probleme des Brandrodungs-Wanderfeldbaus und seine Ablösung sowie die Entwicklungsprobleme, die sich im Zuge der modernen Industrialisierung einstellten. Aus den Forschungsarbeiten in Süd- und Südostasien, die von zahlreichen Reisen und längeren Aufenthalten begleitet waren, gingen die beiden länderkundlichen Standardwerke Südasien (1977) und Südostasien (1975/1987) hervor, die Uhlig in der Reihe der Fischer Länderkunde bearbeitet und herausgegeben hat. Mit diesen Länderkunden bewegte sich Uhlig ganz in der Tradition länderkundlicher Arbeiten von Sievers und Klute (s.o.). Auch im heimischen Raum war Uhlig aktiv, wofür der von ihm herausgegebene und maßgeblich bearbeitete dreibändige Gießener Geographischer Exkursionsführer Mittleres Hessen (1982) zeugt. 30

32 Ernst Giese Uhlig war in der deutschen Geographie eine angesehene Persönlichkeit. So war er von Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Nationalen Komitee der IGU und von Vorsitzender des Zentralverbandes der Deutschen Geographen. Seit 1977 war er gewähltes Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft für Vergleichende Hochgebirgsforschung in München. Er wurde zum Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher in Halle/Saale und zum Korrespondierenden Mitglied der Akademie für Raumforschung und Landesplanung in Hannover berufen. Er gehörte dem Wissenschaftlichen Beirat Südostasien der Deutschen Gesellschaft für Asienkunde sowie der Commission on Geography of the Pacific Science Organization an. Zudem war er Gastprofessor verschiedener britischer Universitäten 11. Harald Uhlig war ein hervorragender Hochschullehrer, ein begabter Rhetoriker. Er hielt exzellente, fesselnde Vorlesungen und Vorträge. Nicht umsonst war er Ehrenmitglied mehrerer Geographischer Gesellschaften. Er konnte Studierende für sein Fach begeistern. Uhlig war an der Gründung mehrerer Forschungseinrichtungen beteiligt, so an der Gründung und dem Aufbau des Tropeninstituts der JLU Gießen (1961/63), des Deutsch-Kolumbianischen Forschungsinstituts in Santa Marta (1963) und später des Wissenschaftlichen Zentrums für Regionale Entwicklungsforschung der JLU Gießen (1975), heute Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU) der Gießener Universität. Ungeachtet zweier Rufe an renommierte Institute der Geographie in Heidelberg und Mainz blieb Harald Uhlig der Justus-Liebig-Universität bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1987 treu. Walther Manshard (vgl. Abb. 17) war nach seinem Studium und seiner Promotion bei Ludwig Mecking in Hamburg zu Studienzwecken nach Ghana/Westafrika gegangen. Dort schuf er die Voraussetzungen, sich 1959 bei Konrad Kayser in Köln mit einer Arbeit über Die geographischen Grundlagen der Wirtschaft Ghanas zu habilitieren. Es lag nahe, an das Geographische Institut in Köln zu gehen, da sich hier um Konrad Kayser ein Afrikaschwerpunkt gebildet hatte wurde Manshard auf den zweiten, neu eingerichteten Lehrstuhl für Geographie an der JLU Gießen berufen. Dieser Lehrstuhl war speziell für die Geographie der Tropen ausgeschrieben. Einmal kannten sich Uhlig und Manshard aus ihrer gemeinsamen Zeit in England und Köln gut und waren eng befreundet (MANSHARD 1998: 19, 30). Zum anderen war 11 Uhlig war 1962/63 letzter Dekan der noch gemeinsamen Naturwissenschaftlich-Philosophischen Fakultät der JLU Gießen. 12 W. MANSHARD (1949): Die Verkehrs- und Wirtschaftsentwicklung auf den Nordfriesischen Inseln. Diss., Hamburg. 31

33 Ernst Giese 1961 an der Gießener Universität ein interfakultatives Tropeninstitut gegründet worden. Es sollte sich in Forschung und Lehre mit Ländern der Tropen und Subtropen befassen. Entsprechend den damaligen Schwerpunkten der expandierenden Universität wurde ein interdisziplinäres Institut für Landwirtschaft, Veterinärmedizin und Ernährung der Tropen und Subtropen geschaffen (ALKÄMPER UND WESTPHAL 1986: 5). Dieses wurde nachfolgend mit den Berufungen von Harald Uhlig und vor allem Walther Manshard, der acht Jahre ( ) in den westafrikanischen Tropen gearbeitet hatte, um die Geographie erweitert. Die Absicht, in einem tropischen afrikanischen Land eine eigene Forschungsstation aufzubauen, scheiterte. Sie führte 1963 aber in Kolumbien mit der Gründung der deutschkolumbianischen Forschungsstation Santa Marta zum Erfolg (Partnerschaft der Justus- Liebig-Universität in Gießen und der Universidad de los Andes in Bogota). Hier entstanden im Fach Geographie etliche Dissertationen und zwei Habilitationen: Reimer Hermann und Günter Mertins. Manshards Forschungen waren durch seinen langjährigen Aufenthalt in den feuchten Tropen Westafrikas geprägt. Hier interessierten ihn vor allem Fragen der Siedlungs- und Agrargeographie (vgl. MANSHARD 1965: ). Seine Arbeiten in Gießen waren eng mit dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Schwerpunktprogramm zum Afrika-Kartenwerk verbunden, das er zusammen mit Konrad Kayser (Köln), Horst Mensching (Hannover) und Joachim Heinrich Schultze (Berlin) bearbeitet hat. Die ersten Pläne hierzu gehen auf seine Kölner Zeit Anfang der 1960er Jahre zurück. Manshard selbst bearbeitete mit seinen Mitarbeitern (u.a. Ulrich Freitag, Heinrich Rohdenburg, Klaus Grenzebach, Friedemann Corvinus) das Blatt Tropisch-Westafrika (vgl. MANSHARD 1998: 27-29). Mehrere Dissertationen und zwei Habilitationen (Heinrich Rohdenburg 1968; Ludwig Schätzl 1973) gingen aus diesen Arbeiten am Afrika-Kartenwerk in Gießen hervor. Manshards Universitätslaufbahn verband sich früh mit dem Engagement in internationalen Organisationen. Schon seit Mitte der 1960er Jahre hatte er im Auftrag der Deutschen UNE- SCO-Kommission in Köln an den Generalkonferenzen der UNESCO in Paris teilgenommen wurde ihm von der UNESCO in Paris die Position eines Hauptabteilungsleiters für Umweltwissenschaften angeboten, die er annahm und bis 1973 wahrnahm. In dieser Zeit wurde er in Gießen durch Eckart Ehlers, der sich gerade (1970) in Tübingen mit einer Arbeit über Das Südkaspische Tiefland (Nordiran) und Kaspische Meer habilitiert hatte, vertreten

34 Ernst Giese erhielt Manshard einen Ruf an die Universität Freiburg i.br., den er annahm. Die Nachfolge trat 1975 Willibald Haffner an, jedoch mit einer anderen Ausrichtung der Stelle als zuvor. Abbildung 17: Walther Manshard ( ) Abbildung 18: Walther Manshard und Harald Uhlig 33

35 Ernst Giese In der Aufbauphase des Instituts nach dem Kriege ist neben Harald Uhlig und Walther Manshard auch auf Heinrich Rohdenburg ( ) hinzuweisen (vgl. Abb. 19). Ihm ist es zu verdanken, dass am Institut eine Abteilung für Physische Geographie und ein Labor für geomorphologische und bodenkundliche Arbeiten aufgebaut wurden ( ). Rohdenburg war ein Schüler von Hans Mortensen in Göttingen. Er hatte dort 1964 bei ihm promoviert und war danach Wissenschaftlicher Assistent am Bodenkundlichen Institut in Göttingen bei Professor Fritz Scheffer. Manshard holte ihn 1965 als Wissenschaftlichen Assistenten nach Gießen, um hier die Physische Geographie zu vertreten und ein Labor aufzubauen. Rohdenburg habilitierte sich in Gießen 1968 mit einer Arbeit über Ostnigeria, die er im Rahmen seiner Arbeiten zum Afrika-Kartenwerk angefertigt hatte wurde Rohdenburg zum Wissenschaftlichen Rat und Professor (H3) an der JLU Gießen ernannt, 1976 erhielt er den Ruf auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Physische Geographie und Landschaftsökologie an der TU Braunschweig, wo er bis zu seinem unerwartet frühzeitigen Tod Anfang 1987 lehrte. Abbildung 19: Heinrich Rohdenburg ( ) Obwohl in der Grundausstattung mit zwei H4-Stellen, einer H2-Stelle und einer Akademischen Ratsstelle zunächst ein kleines Institut, war das Geographische Institut unter den 32 Geographischen Instituten in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Kriege in der Wiederaufbauphase der 1960er Jahre eines der fortschrittlichsten und produktivsten Institute der Geographie in der BRD. Davon zeugen elf Habilitationen ( ) und 18 Berufungen ( ) von Gießenern dieser Zeit auf Professorenstellen der Geographie anderer Institute (vgl. Tab. 34

36 Ernst Giese 1 und 2). Die Effektivität der wissenschaftlichen Arbeit ist dem Elan und der Tatkraft sowie der Begeisterungsfähigkeit und dem Organisationstalent der beiden das Geographische Institut in der damaligen Zeit repräsentierenden Hochschullehrer Harald Uhlig und Walther Manshard zu verdanken, die gut zusammenarbeiteten und sich ergänzten. Tabelle 1: Habilitationen im Fach Geographie an der Justus-Liebig- Universität Gießen , 1. Nachkriegsgeneration Betreuer 1. Karlheinz Hottes 2. Adolf Karger 3. Heinrich Rohdenburg 4. Reimer Hermann 5. Ludwig Schätzl 6. Günter Mertins 7. Werner Röll 8. Cay Lienau 9. Rüdiger Mäckel 10. Winfried Moewes 11. Ulrich Streit 1963 Manshard 1968 Uhlig 1968 Manshard 1970 Uhlig 1973 Manshard 1973 Uhlig 1973 Uhlig 1974 Uhlig 1974 Rohdenburg 1975 Uhlig 1979 Herrmann Das Geographische Institut in Gießen gehörte zu den ersten Instituten in der BRD, das 1964 den Studiengang und -abschluss des Diplom-Geographen mit einer angewandtregionalplanerischen Ausrichtung einführte. Sie traten neben die bis dahin vorherrschende Ausbildung für das Höhere Lehramt (L3) und sollten in praxisbezogener Fächerkombination für neue Berufswege vor allem in der Stadt- und Regionalplanung sowie der Entwicklungsländerarbeit vorbereiten (UHLIG 1982: 115). Mit der Einführung des neuen Diplom-Studiengangs entwickelte sich in den 1970er Jahren im Institut eine neue Abteilung für Angewandte Geographie und Raumplanung (von zunächst als drittmittelfinanzierte Arbeitsgruppe für Regionalplanung und Raumordnung im mittleren Hessen geführt). Sie wurde im Wesentlichen von Winfried Moewes ( ) und Volker Seifert ( ) vertreten. Sie besteht noch heute und wird seit 2007 von Christian Diller weitergeführt. In dieser Abteilung wurden umfangreiche Gutachten zur Stadtentwicklung (vor allem mittelhessischer Städte: Laubach, Grünberg, Lich, Weilburg, Wetzlar, Gießen, Stadt Lahn), zur Entwicklung des innerstädtischen Einzelhandels, zur Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe und zur Versorgung des ländlichen Raumes erstellt, ebenso der erste 35

37 Ernst Giese Raumordnungsbericht Mittelhessen (1972) und das Raumordnungsgutachten Mittelhessen (1973). Tabelle 2: Berufungen Gießener Dozenten auf Professorenstellen der Geographie, 1. Nachkriegsgeneration H4-Stellen 1. Karlheinz Hottes 2. Willi Schulze, Didaktik d. Geogr. 3. Adolf Karger 4. Karl Engelhard, Didaktik d. Geogr. 5. Reimer Herrmann 6. Walther Manshard 7. Ludwig Schätzl 8. Werner Röll 9. Heinrich Rohdenburg 10. Ulrich Freitag 11. Johannes Küchler 12. Winfried Moewes 1965 Bochum 1966 Gießen 1970 Tübingen 1970 Münster 1972 Köln, 1976 Bayreuth 1973 Freiburg 1973 FU Berlin, 1978 Hannover 1973 Kassel 1976 Braunschweig 1977 FU Berlin 1977 FU Berlin 1982 Tübingen H3-Stellen 13. Günter Mertins 14. Cay Lienau 15. Rüdiger Mäckel 16. Joachim Wenzel 17. Ulrich Streit 18. Dieter Beckmann, Didaktik d. Geographie 1973 Marburg 1974 Münster 1974 Freiburg 1975 Osnabrück 1976 Münster 1979 Wuppertal H2-Stellen 19. Gert Jahn 20. Rolf Meyer 21. Volker Seifert 1970 Gießen 1972 Gießen 1975 Gießen 36

38 Ernst Giese 2.3 Bruch mit der Tradition Nach einer Phase ungetrübten Aufbaus setzten in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre an den westdeutschen Hochschulen grundlegende, von heftigen Auseinandersetzungen begleitete Veränderungen ein. Seit Beginn der 1960er Jahre vollzog sich in der Bundesrepublik Deutschland eine stark forcierte Bildungsexpansion. Die Abiturientenzahlen schnellten infolge der nationalen bildungspolitischen Aufbruchsstimmung in die Höhe 13. Dieses führte an den wissenschaftlichen Hochschulen zu einer stetig steigenden Nachfrage, so auch am Geographischen Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen (vgl. Abb. 20). Der Hochschulausbau kam dieser Entwicklung in unzureichendem Umfang nach, so dass sich die Studienbedingungen für die Studierenden zusehends verschlechterten. Die Studierenden reagierten daraufhin mit Protesten, auch in Gießen - und hier heftiger als an manch anderen westdeutschen Universitäten. Abbildung 20: Entwicklung der Zahl der Studierenden am Geographischen Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen, WS 1967/68 - WS 1995/96 13 Anfang der 1960er Jahre erreichten etwa 7% eines Altersjahrgangs das Abitur, 1972 waren es bereits über 12%, 1980 schon 17% (PEISERT 1980: 54). 37

39 Ernst Giese Gleichzeitig erreichte die von den Vereinigten Staaten von Amerika ausgehende Studentenbewegung der 1960er Jahre die Bundesrepublik Deutschland. Sie regte sich zunächst in Berlin, schwappte dann im Juni 1967 in Verbindung mit dem gewaltsamen Tod des Studenten Benno Ohnesorg, der bei den Demonstrationen gegen den Schah von Persien in Berlin von einem Polizisten erschossen wurde, auf die westdeutschen und speziell auf die hessischen Hochschulen über. Die zunächst gegen das gewaltsame Vorgehen der Berliner Polizei gerichteten Proteste der Studenten weiteten sich bald aus. Mehr und mehr erhielten die Protestaktionen (mit Störungen der Lehrveranstaltungen, Sprengung offizieller Feierlichkeiten, go-ins, teach-ins) eine gesellschaftskritische und politische Note. Protestiert wurde gegen den Krieg in Vietnam, gegen die Notstandsgesetze, gegen die überkommene Ordinarienstruktur der Universitäten, gegen das Hochschulestablishment. Die linken Studentenvertretungen (Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS), Marxistischer Studentenbund Spartakus) erhielten in dieser Zeit einen starken Zulauf (vgl. MORAW 1990: 252; FELSCHOW et al. 2008: 144). Deutlich verschärft wurde das Klima an den Universitäten durch zwei Ereignisse im April 1968 (FELSCHOW et al. 2008: 150): - Am 4. April wurde in Memphis Martin Luther King Jr. ermordet. - Am 11. April erfolgte in Berlin das Attentat auf Rudi Dutschke. Die Folge dieser Ereignisse war eine Radikalisierung der Auseinandersetzungen. In dieser Zeit außerordentlicher Unruhen an den Hochschulen des Landes wurde am 16. Mai 1966 ein neues Hochschulgesetz, das Gesetz über die Wissenschaftlichen Hochschulen des Landes Hessen, verabschiedet. Auf Grund der gesetzlichen Vorgaben wurden erstmals nichthabilitierte Lehrkräfte und Studenten an den Arbeiten der Selbstverwaltung der Universität und seiner Gremien (Fakultäten, Institute) beteiligt. Das Gesetz wurde danach nochmals grundlegend überarbeitet und verändert und am 20. Mai 1970 in neuer Fassung verabschiedet. Dieses Gesetz beinhaltete eine radikale Abkehr von der einstigen Ordinarienuniversität und führte die neue Gruppenuniversität ein, wie wir sie heute kennen (vgl. MORAW 1990: 250ff., FELSCHOW et al. 2008: 167). Mit der Gesetzgebung von 1970 war die Bildung neuer Personengruppen im Lehrbetrieb verbunden. Einmal sollte mit ihnen angesichts der weiterhin steigenden Studierendenzahlen (vgl. Abb. 20) die Lehrkapazität vergrößert werden, zum anderen sollte der zum Großteil gegen 38

40 Ernst Giese die Neuerungen opponierende Professorenverband ein wenig aufgemischt und deren dominierende Position geschwächt werden (MORAW 1990: ). So wurden an der Justus-Liebig-Universität Gießen in den schwierigen Jahren von Wissenschaftliche Mitarbeiter mit Lehraufgaben auf gesetzlichem Wege ohne den bislang üblichen Berufungsvorgang und z. T. ohne habilitiert zu sein, zu sog. Hessen-Professoren ernannt. Am Geographischen Institut waren davon fünf wissenschaftliche Mitarbeiter betroffen: Ulrich Freitag, Rolf Meyer, Günter Mertins, Werner Röll und Winfried Moewes. Des Weiteren wurden sog. Dozenten hessischer Art eingeführt. Am Geographischen Institut betraf diese Neuerung zwei Personen: Hans-Joachim Wenzel und Klaus Grenzebach. Im Fachbereich Geowissenschaften und Geographie führten diese Neuerungen zu ganz neuen Konstellationen innerhalb der Professorenschaft. Die Ordinarien gerieten gegenüber den Nicht-Ordinarien in eine deutliche Minderheit, so dass die Institutspolitik nun in wesentlichem Umfang vom ehemaligen Mittelbau und Studenten mitbestimmt wurde. Auch am Geographischen Institut in Gießen wurden die entsprechenden Reformdebatten geführt und es machten sich Unruhen und ein Unwohlsein unter den älteren Professoren bemerkbar. Das bis dahin ungetrübte Zusammenleben von Professoren, Assistenten und Studierenden löste sich auf. Das studentische Aufbegehren mit z. T. sehr persönlich geführten Auseinandersetzungen vergiftete die Atmosphäre. Eine bleierne Unlust und ein Unbehagen begann sich im Institut auszubreiten, schreibt MANSHARD in seinen Erinnerungen (1998: 33). Der anfängliche Schwung der Wiederaufbauphase war dahin und ich begann mich nach Alternativen umzusehen. Nicht zuletzt aufgrund dieser Entwicklung verließ Manshard 1970 das Institut und ging zur UNESCO nach Paris. In den anfänglichen Jahren der Wiederbegründung gab es am Institut ein aktives gesellschaftliches Leben, an dem Studenten und Assistenten immer beteiligt waren. Man spielte nach den Oberseminaren Faustball oder Fußball miteinander, man feierte Karneval zusammen, unternahm gemeinsame Ausflüge, die oft bei Uhligs endeten, und saß oftmals abends noch lange nach fachlicher Diskussion beieinander (MANSHARD 1998: 31). Die zum Teil heftig geführten Debatten um die Hochschulreform führten zum Bruch. Viele Studenten versagten sich der engeren Kooperation. Der vom Pioniergeist der ersten Jahre getragene Elan der Hochschullehrer erlahmte. MANSHARD (1998: 32) beschreibt in seinen Erinnerungen die Atmosphäre am 39

41 Ernst Giese Geographischen Institut zu Ende der 1960er Jahre wie folgt: Bei aller Freude an meiner Tätigkeit als Hochschullehrer habe ich die Universität als lebendige Institution nicht mehr so deutlich wie früher empfunden. Der zündende Funke war weg, alles wurde nach Paritäten und Gruppen neu geregelt, die Hochschulgremien fossilisierten sich, und seit 1968 scheint mir die deutsche Hochschullandschaft in eine seltsame Starre zu verfallen. Sie hat für mich nie wieder zu jener Lebendigkeit gefunden, die etwa für meine Gießener Jahre charakteristisch war. Kein Zweifel, die starke Persönlichkeit von Harald Uhlig und die enge Zusammenarbeit mit ihm haben dazu beigetragen, dies möglich zu machen. Aber eine Situation wie in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Hamburg oder die wissenschaftlich und menschlich so anregenden Jahre in Gießen hat es für mich nicht wieder gegeben. Ich habe die stark politisierten fachlichen Diskussionen bei meiner Bewerbung 1972 auf die neu eingerichtete Professur für Wirtschaftsgeographie am eigenen Leib erfahren. In meinem Vorstellungsvortrag über Die ökonomische Bereichsgliederung im mittelasiatischkazachstanischen Raum der Sowjet-Union (Erdkunde Bd. 27, 1973: ) habe ich versucht, eine bilanzierende Analyse der sowjetischen Entwicklungspolitik in Sowjet-Mittelasien vorzunehmen. Das Ergebnis war eine hitzig geführte Diskussion, in der mir von studentischer und z. T. auch von Mitarbeiterseite unterstellt wurde, ich würde die Sowjetunion bzgl. der mittelasiatischen Sowjetrepubliken einer neokolonialistischen Einstellung bezichtigen, was im Nachhinein ja nicht mehr in Frage gestellt wird (vgl. Osteuropa, 57. Jg., Heft 8/9, 2007). Diese Diskussion mit den Studenten ist nachvollziehbar, gab es am Geographischen Institut doch drei sehr aktive, weitgehend linksorientierte Gruppierungen von Studenten, die in starkem Maße auf die Organisation und den Inhalt der Lehrveranstaltungen und auch auf Stellenbesetzungen Einfluß zu nehmen versuchten (bis Ende der 1970er Jahre). Es handelte sich um Vertretungen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), des Marxistischen Studentenbundes Spartakus (MSS) und Geolyrik. Ein wichtiger Aspekt der vor allem von Studenten und jungen wissenschaftlichen Mitarbeitern geführten Debatten war die Auseinandersetzung um die inhaltliche Grundlegung und Ausrichtung des Faches, insbesondere der Anthropogeographie. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre setzte eine massive Kritik an der traditionell landschafts- und länderkundlichen Orientierung der Geographie in der Bundesrepublik Deutschland ein, die insbesondere auch die Hochschullehrer der Geographie in Gießen betraf, die dieser Ausrichtung folgten (siehe Habilitationsschrift UHLIG über die Kulturlandschaft - Methoden der Forschung, Köln

42 Ernst Giese und seine späteren Darlegungen zum Organisationsplan und System der Geographie in Geoforum 1970). Man warf der Landschafts- und Länderkunde vor, sie sei unwissenschaftlich, problemlos, verschleiere Konflikte, hätte keinen aktuellen Bezug und besäße keine Anwendungsorientierung. Man stellte die Grundlagen, Methoden und Ziele der Geographischen Wissenschaft in Frage. Die Kritik wurde auf dem Kieler Geographentag 1969 in aller Öffentlichkeit vor einem großen Auditorium von Studenten und Assistenten vorgetragen. Sie führte zu heftigen Reaktionen der etablierten alten Ordinarien (vgl. Deutscher Geographentag Kiel, Tagungsbericht und Wissenschaftliche Abhandlungen, Wiesbaden 1970, S. V und S ), u.a. auch durch Uhlig. Der deutsche Geographentag in Kiel 1969 wird als ein Wendepunkt in der Entwicklung der Geographie auf der Suche nach einer neuen Ausrichtung angesehen. Auch am Geographischen Institut in Gießen fand eine z. T. heftig geführte, intensive Debatte um die wissenschaftstheoretische Ausrichtung und Fundierung des Faches statt. Während Uhlig als exponierter Vertreter des landschafts- und länderkundlichen Ansatzes am klassischen Konzept der Geographie festhielt, haben ich und andere junge Mitarbeiter am Institut (Josef Nipper, Ulrich Streit, Jörg Güßefeldt) versucht, der Anthropogeographie mit einem auf den Grundsätzen der analytisch-pragmatischen Wissenschaftstheorie (K.-H. Popper, H. Albrecht) aufbauenden raumwissenschaftlichen Forschungsansatz eine alternative wissenschaftstheoretische Grundlage zu vermitteln (vgl. Abb. 21). Dieser als sog. Quantitative Geographie bezeichnete Forschungsansatz war Mitte der 1960er Jahre aus Nordamerika zu uns in den deutschsprachigen Bereich gelangt. Dabei spielten die Arbeiten von Dietrich Bartels eine entscheidende Rolle. Bartels, der sich 1972 gleichfalls auf die neu eingerichtete H4-Professur für Wirtschaftsgeographie in Gießen beworben hatte, zog es aber vor, von Karlsruhe nach Kiel zu wechseln. Die Quantitative Geographie wurde gefeiert als Quantitative Revolution, sie wurde bekämpft als Widersacher der individuellen Länderkunde, sie wurde kritisiert als weltfremde l art pour l art, sie wurde begrüßt als Hilfe zur Analyse komplexer Systeme, wie die Geographie sie bearbeitet, und sie wurde beschimpft als linksambitioniert oder als neopositivistisch-reaktionär (BARTELS UND GIESE 1977: 423) (Abb. 21). Sie wurde unterschätzt, teils auch überschätzt, vor allem aber wurde sie zu wenig verstanden, weil mathematische und andere Voraussetzungen zum Verständnis der Arbeitsweise und Zielsetzung dieser neuen Forschungsrichtung in 41

43 Ernst Giese unzureichendem Maße vorhanden waren und damit eine sachgerechte Auseinandersetzung mit dieser neuen Forschungsrichtung nur sporadisch stattfand (GIESE 1980: 256ff.) Abbildung 21: Qualitative vs. Quantitative Geographie Quelle: CURRY (1967) 2.4 Rückbau und Konsolidierung -Die zweite Generation- Ein nachhaltiger Einschnitt in der Entwicklung der Justus-Liebig-Universität und auch des Geographischen Instituts war die Konjunkturwende von 1973/74. Sie wirkte sich unmittelbar auf das Universitäts- und Institutsleben aus. Mit ihr war die 1960 begonnene Entfaltung und Aufbauphase endgültig beendet. Der bis 1973 vom Verfassungswandel (1970) unbeeinflusst gebliebene steile Stellenzuwachs - dazu zählten auch die Einrichtung einer dritten Professorenstelle H4 für Wirtschaftsgeographie im Jahre kam jäh zum Stillstand. Es wurden nun Stellen gesperrt und abgezogen (vgl. Abb. 22). Diese Maßnahmen konnten am Geographischen Institut relativ rasch umgesetzt werden, da sich viele der Wissenschaftlichen Mitarbeiter, jungen Dozenten und Hessen-Professoren mittlerweile habilitiert hatten (vgl. Tab. 1) und in den Jahren auf Professorenstellen auswärtiger Universitäten berufen wurden: Werner Röll 1973; Günter Mertins 1974; Cay 42

44 Ernst Giese Lienau 1974; Joachim Wenzel 1975; Rüdiger Mäckel 1975; Ulrich Streit 1976; Ulrich Freitag 1977 (vgl. Tab. 2). Die frei gewordenen Stellen wurden danach zum Großteil nicht wieder besetzt oder umgewidmet. So schrumpfte der Personalbestand am Geographischen Institut bis Ende der 1970er Jahre rasch auf - drei C4-Stellen, zwei C3-Stellen, zwei C2-Stellen und vier Wissenschaftliche Mitarbeiter-Stellen 14 (vgl. Abb. 22). Neben dem Wissenschaftlichen Personal waren Ende der 1970er Jahre am Geographischen Institut beschäftigt (z. T. halbtags): - Zwei Bibliothekarinnen (Sabine Eiermann, Margot Höbeler), - Zwei Kartographen(-innen) (Ludwig Dreher, Gertrud Haas), - Drei Technische Angestellte (Gertrud Thiele/Photolabor, Adam Lapp/Labor Physische Geographie; Reinhold Stolper/Druckerei und Hausmeister), - Fünf Sekretärinnen (Margarete Greszkowiak, Rosemarie Biegler, Hiltrud Ellrich, Renate Pitz, Therese Scholz). Noch gravierender als der Stellenabbau wirkte sich auf das Institutsleben die gleichzeitig Mitte der 1970er Jahre stattfindende Neubesetzung fast aller Hochschullehrerstellen aus. die erste Nachkriegsgeneration wurde von einer zweiten nahezu komplett abgelöst. Abbildung 22: Entwicklung des Wissenschaftlichen Personalbestandes am Institut für Geographie der Justus- Liebig-Universität Gießen Die H-Besoldung wurde Ende der 1970er Jahre auf eine C-Besoldung umgestellt. 43

45 Ernst Giese Walther Manshard folgte 1973 einem Ruf auf den Lehrstuhl für Kulturgeographie an die Universität Freiburg i.br., um der Physischen Geographie am Institut ein stärkeres Gewicht zu verleihen und einen gewissen Ausgleich zur Anthropogeographie zu erreichen, wurde die Stelle umgewidmet und für Physische Geographie mit dem Schwerpunkt Klima- und Vegetationsgeographie ausgeschrieben wurde die Professur (H4) mit Willibald Haffner besetzt. Willibald Haffner (vgl. Abb. 23) war ein Schüler von Carl Troll in Bonn, bei dem er 1963 mit einer ökologisch-pflanzengeographischen Arbeit über das Nahebergland promovierte. Troll war es auch, der Haffner nach seiner Promotion vorschlug, an einer Forschungsreise nach Nepal im Rahmen des Khumbu Himal-Forschungsunternehmens der Thyssen-Stiftung teilzunehmen, um ökologisch-pflanzengeographische Untersuchungen im Himalaya durchzuführen. Dieser neunmonatige Forschungsaufenthalt in Nepal faszinierte ihn derart, dass die vor allem landschaftsökologisch ausgerichtete Nepal- und Hochgebirgsforschung fortan sein Forschungsschwerpunkt wurde (POHLE 2011). So habilitierte er sich 1971 mit einer Arbeit über den vertikalen Landschaftsaufbau Zentral- und Ostnepals an der RWTH Aachen. Dort war er auch von Wissenschaftlicher Assistent am Geographischen Institut und nachfolgend von Wissenschaftlicher Rat und Professor (H3) folgte er dem Ruf auf die H4- Professur für Physische Geographie an der JLU-Gießen mit dem Schwerpunkt Klima- und Vegetationsgeographie. Diese Stelle vertrat er bis zu seiner Emeritierung im Jahre Er verstarb im Jahre Haffner hat mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten über mehrere Jahrzehnte hinweg die Nepalund Himalayaforschung der Geographie in Deutschland geprägt, wobei er sich zunehmend auch kulturgeographischen Fragestellungen zuwandte und dabei eng und erfolgreich mit Indologen, Tibetologen, Ethnologen und Archäologen zusammengearbeitet hat. Er war wesentlich an zwei großen, von der DFG finanzierten Schwerpunktprogrammen zur Nepalforschung beteiligt: von am Schwerpunktprogramm Nepal: große Tradition, kleine Tradition und von am Tibet-Himalaya-Schwerpunktprogramm Siedlungsprozesse und Staatenbildungen im Tibetischen Himalaya, letzteres unter seiner Leitung. Neben seinen Forschungsaufenthalten im Himalaya (Nepal, Indien, Tibet, China) führten Willibald Haffners Forschungsreisen nach Äthiopien und Uganda, in den Jemen und nach Indonesien. Hierbei wurden Themen der Übernutzung natürlicher Ressourcen, der Verbesser- 44

46 Ernst Giese ung der Agrarproduktion, des biologischen Erosionsschutzes und der nachhaltigen Sicherung von Lebens- und Wirtschaftsräumen bearbeitet. Diese Arbeiten wurden zum Großteil im Auftrag nationaler und internationaler Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit (GTZ, KfW, FAO) durchgeführt, die sein pflanzenökologisch-geographisches Wissen gerne für ihre Tätigkeit nutzten. Abbildung 23: Willibald Haffner ( ) Die zweite Professorenstelle (H3) für Physische Geographie mit dem Schwerpunkt Geomorphologie war mit Heinrich Rohdenburg besetzt. Er folgte 1976 einem Ruf auf den Lehrstuhl für Physische Geographie und Landschaftsökologie an der TH Braunschweig. Seine Nachfolge trat 1978 Otfried Weise an, ein Schüler von Julius Büdel in Würzburg. Er folgte 1981/82 einem Ruf des Bhagwans nach Poona (Indien) und schied mit seiner Kündigung zum aus übernahm Lorenz King, der sich gerade bei Dietrich Barsch in Heidelberg mit einer Arbeit über den Permafrost in Skandinavien habilitiert hatte, die Stelle. Die Untersuchungen zur postglazialen Gletscherforschung und zur periglazialen Permafrostforschung sollten bei King weiterhin im Fokus seiner wissenschaftlichen Arbeiten stehen. Sie wurden in Verbindung mit dem globalen Klimawandel gestellt und den Naturgefahren im Hochgebirge, die mit dem Rückgang des Permafrostes im Boden verbunden sind (Massenbewegungen: Bergstürze, Hangrutschungen, Schlamm- und Gerölllawinen). Zu diesem Zweck wurden Expeditionen in die arktischen Gebiete (Spitzbergen, Alaska, Kanada) durchgeführt, ebenso Forschungsreisen in Hochgebirgsregionen der Alpen, des Kaukasus (Georgien) und des Tienschan (AR Xinjiang/VR China und Kyrgyzstan). 45

47 Ernst Giese King erweiterte seine zunächst auf die Glazialmorphologie ausgerichteten Forschungen um Fragestellungen des Wasserhaushalts. So wurde - gefördert durch deutsche und chinesische Forschungsorganisationen 15 - die Hochwasserforschung in China ein weiterer Schwerpunkt seiner Arbeit. In Kooperation mit chinesischen Partnern in Beijing, Wuhan und Nanjing wurden extreme Hochwasserereignisse im Yangtze-Einzugsgebiet untersucht und Fragen des Hochwasserschutzes (Drei-Schluchten-Staudamm, etc.) und der Landnutzung (Konfliktkonstellationen) am Yangtze erörtert. King dehnte sein Forschungsgebiet in China weiter in die Gebirgs- und Wüstenregionen der Nordwest-Provinz Xinjiang aus. Hier wurde unter dem Aspekt der zunehmenden Wasserknappheit in den Trockengebieten des Tarim-Beckens der Frage nachgegangen, mit welchen Veränderungen der Wasserressourcen in den Hochgebirgsregionen des Tienschan (Aksu-Einzugsgebiet des Tarim) aufgrund des Klimawandelns zukünftig zu rechnen sei. Auch hier erfolgten wieder die Arbeiten in Kooperation mit chinesischen Partnern, speziell mit dem renommierten Institut für Umweltforschung in kalten und ariden Regionen Chinas in Lanzhou. Mit seinen Forschungsaktivitäten hat King der Chinaforschung am Geographischen Institut, die mit den Arbeiten von Ingo Liefner ihre Fortführung erfährt, wenn auch auf einem anderen Forschungsgebiet der Wirtschaftsgeographie, einen kräftigen Impuls verliehen. Dabei ist ein umfangreiches wissenschaftliches Netzwerk entstanden, das deutsche und chinesische Forschungsinstitutionen zusammengeführt hat und zusammenarbeiten lässt. Auf drei renommierte chinesische Kollegen, die sich oft am Geographischen Institut in Gießen aufgehalten haben und mit denen sich im Laufe der Zeit eine intensive, vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickelt hat, möchte ich hinweisen, zunächst auf Prof. Dr. Gang Zeng, Chair Professor für Wirtschaftsgeographie an der East China Normal University (ECNU) in Shanghai und Direktor des Instituts für Stadt- und Regionalplanung der ECNU (seit 1996). Er ist in beratender Funktion für die Stadtregierung Shanghai und die Provinzregierung Jiangsu sowie das Staatliche Ministerium für Wissenschaften und Technologie der Chinesischen Zentralregierung tätig. Prof. Xiaogan Yu, Professor für Wirtschaftsgeographie am Geographischen Institut der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Nanjing (seit 2011 pensioniert). 15 Volkswagenstiftung, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft, BMBF National Natural Science Foundation of China (NSFC) Ministry of Science and Technology (MOST) Ministry of Land Use and Resources (MLR) 46

48 Ernst Giese Prof. Tong Jiang, Professor für Physiogeographie am Nationalen Klimaforschungszentrum Chinas in Beijing, Leiter der Abteilung für Klimawandel (seit 2006). In Anerkennung seiner über 20 Jahre währenden Forschung und Zusammenarbeit mit chinesischen Forschungsinstitutionen wurde Lorenz King 2005 an der Central China Normal University in Wuhan zum Honorarprofessor ernannt. Bereits im Jahr 2001 war Ernst Giese vom Institut für Umwelt- und Ingenieurwissenschaften in kalten und ariden Gebieten der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, Abteilung für Wasser- und Landressourcen, zum Honorarprofessor ernannt worden (s.u.). Die Anthropogeographie wurde weiterhin durch Harald Uhlig vertreten, wenngleich der unerwartet frühe Tod seiner Frau Sieglinde am und sein später sich bemerkbar machendes Herzleiden ihm manches von seiner ursprünglichen Schaffenskraft und seinem Elan nahmen wurde Uhlig emeritiert. Er starb im Jahre 1994 im Alter von 72 Jahren an den Folgen eines Herzleidens und liegt auf dem Friedhof in Krofdorf-Gleiberg (Gemeinde Wettenberg) bei Gießen begraben. Die Nachfolge trat 1989 Ulrich Scholz an, ein Schüler und ehemaliger Wissenschaftlicher Assistent ( ) von Harald Uhlig. Auf diese Weise wurden die agrargeographischen Forschungen in den feuchten Tropen Südostasiens ohne Unterbrechung fortgeführt. Scholz war bei Uhlig 1977 mit einer Dissertation über die landwirtschaftliche Produktionsweise der Minangkabau in West-Sumatra promoviert worden und hatte sich 1988 in Gießen mit einer Arbeit über die räumliche Differenzierung der landwirtschaftlichen Produktionsstruktur in Sumatra habilitiert. Die zunächst auf Sumatra konzentrierten agrargeographischen Untersuchungen wurden auf andere Teile Indonesiens (Java, Sulawesi), Burkina Faso, Philippinen sowie Thailand und Malaysia ausgedehnt, so dass vergleichende Studien über den agrarwirtschaftlichen Strukturwandel in den feuchten Tropen Südostasiens und seine Auswirkungen auf die Umwelt durchgeführt werden konnten. Insbesondere wurde auch der Frage nach den Umweltschäden und der Belastbarkeit des Ökosystems in den feuchten Tropen nachgegangen. Scholz hat sein Arbeitsgebiet auf vielen Reisen, langen Forschungsaufenthalten und Exkursionen mit Studierenden intensiv erkundet, so dass sein Rat bei nationalen wie internationalen Entwicklungsorganisationen gefragt war: - Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), - International Agricultural Development Services (IADS, New York), 47

49 Ernst Giese - United Nations Economic and Social Commission for Asia and the Pacific (UN- ESCAP, Bangkok), - Deutsche Welthungerhilfe (Bonn) Scholz war ein begeisterter und beliebter Hochschullehrer, der der Lehre vor allem von Lehramtskandidaten einen großen Raum einräumte. So waren seine Forschungsprojekte so konzipiert, dass möglichst viele Studierende aktiv eingebunden werden konnten. Im Zuge der Expansion der Hochschulen in der BRD Mitte der 1960er Jahre bis Anfang der 1970er Jahre (vgl. Abb. 20) war im Jahre 1972 an der JLU Gießen eine dritte H4-Professur für Geographie mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsgeographie geschaffen worden. Sie wurde 1973 mit Ernst Giese besetzt. Ernst Giese war ein Schüler von Wilhelm Müller-Wille in Münster. Er war bei ihm von Wissenschaftlicher Assistent und hatte sich dort mit einer agrargeographischen Arbeit über Sovchoz, Kolchoz und persönliche Nebenerwerbswirtschaft in Sowjet-Mittelasien 1971 habilitiert. Er wurde danach am Geographischen Institut in Münster Wissenschaftlicher Rat und Professor, nahm Lehrstuhlvertretungen in Freiburg und Köln wahr und wurde 1973 an die JLU Gießen berufen. Die Beschäftigung mit Sowjet-Mittelasien entsprang einer Zufälligkeit. Wilhelm Müller-Wille musste krankheitsbedingt eine für 1965 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bewilligte Reise nach Kaukasien und Mittelasien absagen. So durfte der junge Assistent ersatzweise zusammen mit Professor Ludwig Hempel (Münster) die Reise antreten. Sowjet-Mittelasien (West- bzw. Russisch-Turkestan) sollte fortan der regionale Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeiten und Forschungsreisen von Ernst Giese werden. Als die VR China in den 1980er Jahren unter Deng Xiaoping ihre Öffnungspolitik einleitete und auch der östliche Teil Mittelasiens mit der Autonomen Uigurischen Region Xinjiang (Ostbzw. Chinesisch-Turkestan) zugänglich waren, wurden die Arbeiten in den 1990er Jahren auf den chinesischen Teil Mittelasiens ausgedehnt. Forschungsarbeiten waren bis zu diesem Zeitpunkt und auch noch danach sowohl im russisch als auch chinesisch streng kontrollierten Teil Mittelasiens nur beschränkt möglich, selbst in der Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten der Nationalen Akademien der Wissenschaften und Hochschulen. Dennoch konnte in den Jahren eine von der Volkswagen-Stiftung finanzierte umfangreiche regionalökonomische und ordnungspolitische Studie über die Autonome Uigurische Region Xinjiang/VR China 48

50 Ernst Giese mit Unterstützung des Büros für landwirtschaftliche Entwicklungsplanung und der Staatlichen Planungskommission in Urumqi erfolgreich abgeschlossen werden (zusammen mit Prof. Amin Bohnet/VWL und Dr. Gang Zeng). Nachfolgende Forschungsprojekte beschäftigten sich vor allem mit Engpassfaktoren der wirtschaftlichen Entwicklung in Zentralasien. Speziell wurde die zunehmende Verknappung der Wasserressourcen in den Trockengebieten Zentralasiens bearbeitet (Aralseebecken, Ili-Balchasch-Becken, Tarim-Becken). Diese ist in dem auf Baumwoll- und Reisanbau ausgerichteten wasseraufwendigen landwirtschaftlichen Produktionssystem ein besonders gravierendes Problem. Das Ziel der Untersuchungen bestand darin, die Ursachen und Auswirkungen (ökologische, ökonomische, gesellschaftliche) der zunehmenden Wasserverknappung zu erfassen. Die Untersuchungen vor Ort wurden in Kooperation mit Instituten der kirgisischen, kasachischen und chinesischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt (Institut für Wasserprobleme und Hydroenergie der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Republik Kirgistan in Bischkek - Prof. D.M. Mamatkanov, Prof. V.V. Romanovskij; Institut für Geographie der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Republik Kasachstan in Almaty - Prof. Ž.D. Dostaj, Prof. A.A. Tursunov; Institut für Umwelt und Ingenieurwesen in kalten und ariden Regionen der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Lanzhou - Prof. Gao Qianzhao). In engem Zusammenhang mit den Forschungsarbeiten in Zentralasien erfolgte im Jahre 2002 die Gründung des Zentralasiatischen Instituts für Angewandte Geowissenschaften (ZAIAG) in Bischkek/Kirgistan. Dieses Forschungsinstitut wurde auf Initiative des damaligen Direktors des Geoforschungszentrums (GFZ) in Potsdam, Prof. Dr. Rolf Emmermann, gegründet. Ernst Giese war langjähriges Mitglied in der Gründungs- und Beratungskommission des Instituts. Die 1970er Jahre waren in der Anthropogeographie in Deutschland eine Zeit des Umbruchs und der wissenschaftstheoretischen Neuorientierung. Im angelsächsisch-skandinavischen Bereich hatte sich mit der Spatial Analysis ein neuer sog. raumwissenschaftlicher Forschungsansatz durchgesetzt, der den Einsatz mathematisch-statistischer Verfahrenstechniken und vor allem eine stärkere Hinwendung zur Theorie- und Modellbildung postulierte. Ernst Giese hat in den 1970er Jahren mit seinen Arbeiten und Aktivitäten wesentlich zur Entwicklung und Verbreitung der Quantitativen Geographie im deutschsprachigen Bereich beigetragen. Das erste Symposium zur Quantitativen Geographie, dem bis heute 19 weitere und 1977 die Gründung des Arbeitskreises Theorie und Quantitative Methodik in der Geographie folg- 49

51 Ernst Giese ten, fand 1974 auf Initiative von Ernst Giese im Geographischen Institut in Gießen statt. Zusammen mit Gerhard Bahrenberg (damals in Münster, später in Bremen) verfasste er 1975 ein mittlerweile in 5. Auflage erschienenes Standardlehrbuch der Geographie zur Angewandten Geostatistik, das später um die Autoren Josef Nipper (1985) und Nils Mevenkamp (2008) zu einem zweibändigen Werk erweitert wurde (2008/2010). Von war Ernst Giese u.a. Mitherausgeber der von Alfred Hettner 1895 gegründeten Geographischen Zeitschrift (GZ). Neben seinen fachlichen Arbeiten hat sich Ernst Giese hochschulpolitisch engagiert und mit Fragen der Hochschulentwicklung und Bildungsforschung beschäftigt. So war er an der JLU zeitweilig Sprecher einer großen Professorenfraktion ( Unabhängige Wissenschaft ) und in dieser Funktion, auch als Dekan, im Senat und Konvent der JLU Gießen tätig. Er hat in den 1980er Jahren Untersuchungen über die Anziehungskraft und Wettbewerbsfähigkeit Wissenschaftlicher Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt und sich mit Fragen der Leistungsmessung Wissenschaftlicher Hochschulen beschäftigt. In diesem Zusammenhang war er beratend für die Westdeutsche Rektorenkonferenz (WRK) und verschiedene Universitäten tätig. Er hat sich mit den Prognosen der Studierendenzahlen der Kultusministerkonferenz (KMK) auseinandergesetzt und war auch hier beratend tätig. Zusammen mit Prof. Aberle und Dr. Kaufmann hat er anlässlich der 375-Jahr-Feier der JLU eine umfangreiche Studie über die Wechselwirkungen zwischen Hochschule und Hochschulregion, Fallstudie Justus-Liebig-Universität Gießen (1982, 1987) erstellt. Er war nach der Wende Gründungsbeauftragter der Geographischen Institute in Thüringen und hat geholfen, die Geographischen Institute in Jena und Erfurt wieder aufzubauen. Eine weitere wichtige und nachhaltige strukturelle Veränderung war im Institut Anfang der 1970er Jahre mit der Einrichtung einer relativ selbständig operierenden und auch räumlich getrennten Abteilung für Angewandte Geographie und Regionalplanung verbunden, die sich im Zuge der Etablierung des neuen Diplomstudiengangs für Geographie nach 1964 entwickelt hatte. Sie fand zunächst in den Räumen der Diezstraße 15, später in denen der Schloßgasse 7 ihren Standort wurde zunächst Winfried Moewes, bis dahin nach seiner Promotion 1967 Wissenschaftlicher Assistent bei Harald Uhlig, zum H2-Professor ernannt und mit der Vertretung der neu geschaffenen Professur für Angewandte Geographie und Regionalplanung betraut. Nach seiner 50

52 Ernst Giese Habilitation im Jahre 1975 wurde Moewes zum H3-Professor ernannt. Gleichzeitig wurde Volker Seifert, Leitender Planer beim Regierungspräsidenten Mittelhessen, auf die neu eingerichtete zweite Professur für Angewandte Geographie und Regionalplanung (H2) berufen. Das Ziel war, den anwendungs- und praxisorientierten Zweig der Geographie am Geographischen Institut in Gießen zu stärken und auszubauen. Nur wenige Institute der Geographie in Westdeutschland verfügten über einen derartigen Schwerpunkt der Ausbildung und hatten einen entsprechenden Zulauf von Diplom-Geographie-Studierenden. Das wissenschaftliche Interesse von Moewes war die sozialwissenschaftliche Begründung eines Leitbildes der Siedlungsstruktur, das er mit der Idee und dem Konzept eines Stadt-Land- Verbundes verknüpfte. Es wird ausführlich in seiner Monographie über Grundfragen der Lebensraumgestaltung (1980) beschrieben. In dem ein Jahr später erschienenen Ergänzungsband Stadt-Land-Verbund in der Planungspraxis wird am Beispiel des Raumes Gießen- Wetzlar die praktische Umsetzbarkeit seiner Idee demonstriert. Die Idee und das Konzept der Stadt Lahn, ein in den Jahren 1974/ realisierter Zusammenschluss der Städte Gießen und Wetzlar und 14 Umlandgemeinden gehen auf seine Überlegungen zum Stadt-Land- Verbund zurück. Moewes ist im hiesigen Raum vor allem durch seine Arbeiten zum städtebaulichen Rahmenplan Gießen-Wetzlar (1981), zum Flächennutzungsplan der Stadt Gießen und Entwicklungsgutachten verschiedener Kleinstädte in Mittelhessen (Laubach, Grünberg) bekannt erhielt Moewes einen Ruf auf den Lehrstuhl für Angewandte Anthropogeographie und Regionale Geographie Mitteleuropas an der Universität Tübingen. Er verließ Gießen, seine Stelle wurde nicht wieder besetzt, so dass Volker Seifert die Abteilung danach bis zu seinem altersbedingten Ausscheiden im Jahr 2005 alleine weiterführte. Krankheitsbedingt wurde Moewes in Tübingen 1990 in den Ruhestadt versetzt, er starb am im Alter von 54 Jahren (vgl. Abb. 24) 16. Volker Seifert, der eng mit Winfried Moewes befreundet war - sie wurden am Institut die Zwillinge genannt - beschäftigte sich in ganz ähnlicher Weise wie Moewes mit Entwicklungs- und Flächennutzungsproblemen von Städten, vornehmlich in Mittelhessen. Seifert hat etliche Gutachten zur Innenstadtentwicklung, speziell zur Entwicklung des innerstädtischen Einzelhandels mittelhessischer Städte erstellt (Gießen 1985, Wetzlar 1988, Weilburg 1991). Er 16 Prof. Dr. J. Vogt, TU Karlsruhe, von Wiss. Mitarbeiter von Prof. Moewes, danke ich für hilfreiche Informationen. 51

53 Ernst Giese hat zudem eine große Zahl von Gutachten zur Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe (Lebensmittel-, Heimwerker- und Möbelmärkte) angefertigt. Eine weitere Hochschullehrerstelle (H2) war mit Rolf Meyer besetzt. Er kam 1967 als Schüler von Herbert Louis in München nach Gießen und war bei ihm mit einer geomorphologischen Arbeit über Inselberge und Rumpfflächen in Nordtransvaal promoviert worden. Meyer schloss sich in Gießen dem Schülerkreis von Uhlig und Manshard an und wurde 1972 zusammen mit vier weiteren jungen Wissenschaftlichen Mitarbeitern am Institut (Ulrich Freitag, Günter Mertins, Werner Röll, Winfried Moewes) im Rahmen der hessischen Hochschulreform von 1970 (s.o.) zum H2-Professor ernannt. Er vertrat am Institut neben der Agrar- und Bevölkerungsgeographie Mitteleuropas die Kartographie. Abbildung 24: Winfried Moewes ( ) Mit der zunehmenden Bedeutung der elektronischen Datenverarbeitung entwickelte sich am Geographischen Institut Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre ein weiterer neuer Arbeitsbereich: die Geoinformatik und Fernerkundung wurde ein CIP-Pool angelegt; im WS 1986/87 wurden erstmals Kurse zur Computerkartographie gehalten, 1989 wurde ein GIS- Labor eingerichtet. Aufgebaut und vertreten wurde der EDV-Bereich durch Wolf-Dieter Erb, ein ehemaliger Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Ernst Giese ( ). Anfang der 1990er Jahre wurde die Geoinformatik durch Thomas Christiansen um die digitale Fernerkundung erweitert. Als Schüler von Ulrich Scholz - er war bei ihm von Wissenschaftli- 52

54 Ernst Giese cher Mitarbeiter - wurde die Fernerkundung vor allem in der Entwicklungsländerforschung eingesetzt. Im Jahre 2003 wurde am Institut die Stelle eines System Administrators geschaffen. Sie dient der Betreuung der mittlerweile stark angewachsenen, vielen EDV-Anlagen im Institut und wurde mit Carsten Klaholz besetzt. Den Hochschullehrern waren insgesamt vier Wissenschaftliche Mitarbeiter bzw. Assistenten zugeordnet. Ein Großteil von ihnen konnte sich habilitieren und wurde auf Hochschullehrerstellen anderer Hochschulen berufen. Die relativ große Zahl der am Geographischen Institut in der Zeit von erfolgten Habilitationen (vgl. Tab. 3) sowie der Berufungen junger Gießener Dozenten im Fach Geographie von (vgl. Tab. 4) weist darauf hin, dass auch die zweite Professorengeneration erfolgreich gearbeitet und für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses gesorgt hat. Tabelle 3: Habilitationen im Fach Geographie an der Justus-Liebig-Universität Gießen , 2. Generation 1. Josef Nipper 2. Manfred Meurer 3. Helmut Klüter 4. Ulrike Müller-Böker 5. Thomas Schmitt 6. Harald Barthelt 7. Elisabeth Schmitt 8. Perdita Pohle 9. Ivo Mossig 10. Stefan Becker Betreuer Giese Haffner Giese Haffner Haffner Giese King Haffner Giese King Tabelle 4: Berufungen Gießener Dozenten auf Professorenstellen anderer Institute der Geographie, 2. Generation Josef Nipper Manfred Meurer Helmut Klüter Ulrike Müller-Böker Gang Zeng Harald Barthelt Thomas Schmitt Perdita Pohle Stefan Becker Ivo Mossig Frank Schüssler Köln Karlsruhe Greifswald Zürich Shanghai Frankfurt, 2002 Marburg, 2006 Toronto Bochum Erlangen New York Bremen, 2013 Osnabrück Oldenburg Neben dem Wissenschaftlichen Personal waren in den 1980er und 1990er Jahren am Geographischen Institut außerdem beschäftigt (z. T. halbtags): - zwei Bibliothekare/innen (Sabine Eiermann, Margot Höbeler Karl-Heinz Schäfer), - zwei Kartographen/innen (Ludwig Dreher Michael Remmers Bernd Goecke; Gudrun Haas Kristina Wegner (Faulhammer) Lisett Diehl (Ritter)), 53

55 Ernst Giese - drei Technische Angestellte (Gertrud Thiele / Photolabor; Adam Lapp Matthias Schick / Physisch-Geographisches Labor; Reinhold Stolper /Druckerei und Hausmeister) - fünf Sekretärinnen (Eva-Maria Peter; Hiltrud Ellrich Lilli Schmidt; Rosemarie Biegler Jutta Hempfing; Renate Pitz Gabriele Einbrodt Petra Heid-Emmerich; Therese Scholz). Die Zahl der Studierenden stieg am Geographischen Institut in der Phase der Hochschulexpansion Ende der 1960er Jahre/Anfang der 1970er Jahre von rund 200 auf durchschnittlich 400 Studierende an (vgl. Abb. 20). In den 1990er Jahren wuchs die Zahl der Studierenden insbesondere durch die zunehmende Nachfrage nach einem Diplomstudiengang auf über 500 (WS 1996/97: 538). Die Lehramtsstudiengänge L2 und L5 wurden vom getrennt arbeitenden Institut für Didaktik der Geographie im Philosophikum II an der Karl-Glöckner-Straße (ehemalige AfE) betreut, so dass die aufgeführten Zahlen sich allein auf Studierende im Diplom- und Lehramtsstudiengang L3 (Gymnasialstufe) und wenige Magister-Studierende beziehen. Die sechs Schwerpunktbereiche des Instituts für Geographie an der Justus-Liebig-Universität Gießen Physische Geographie Klima- und Vegetationsgeographie Prof. Dr. Willibald Haffner ( ) Geomorphologie und Hydrogeographie Prof. Dr. Otfried Weise ( ) Prof. Dr. Lorenz King ( ) Anthropogeographie Agrar- und Kulturgeographie Prof. Dr. Harald Uhlig ( ) Prof. Dr. Ulrich Scholz ( ) Wirtschaftsgeographie Prof. Dr. Ernst Giese ( ) Angewandte Geographie und Regionalplanung Prof. Dr. Winfried Moewes ( ) Prof. Dr. Volker Seifert ( ) Geoinformatik und Fernerkundung Dr. Wolf-Dieter Erb (1989- ) Dr. Thomas Christiansen (1993- ) 54

56 Ernst Giese 2.5 Neuausrichtung nach Die dritte Generation- In den Jahren von 2005 bis 2011 erfolgte nochmals ein Einschnitt in der Entwicklung des Instituts für Geographie. Einmal wurde die zweite Nachkriegsgeneration nach rund drei Jahrzehnten von einer neuen Generation junger Hochschullehrer komplett abgelöst: wird Willibald Haffner, Professur für Physische Geographie mit Schwerpunkt Klimaund Vegetationsgeographie, emeritiert. Jürg Luterbacher, ein Schüler von Heinz Wanner am Geographischen Institut der Universität Bern, tritt 2009 die Nachfolge an (Promotion 1999 Bern, Habilitation 2005 Bern). Er ist Klimatologe. Die Schwerpunkte seiner Forschungen liegen in den Bereichen der Paläoklimatologie, Klimadynamik, Klimawandel, Wetter- und Klimaextreme, Synoptik und Auswirkungen des Klimawandels auf Ökologie und Gesellschaft wird Volker Seifert, Professur für Angewandte Geographie und Regionalplanung, pensioniert. Christian Diller, Referatsleiter der Landes- und Regionalplanung im Innenministerium Schleswig-Holstein ( ), zuvor Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin ( ), übernimmt 2007 die Professur, die nun auf Kommunale und Regionale Planung ausgerichtet wurde (Promotion 2001, Habilitation 2005 TU Berlin) wird Ernst Giese, Professur für Wirtschaftsgeographie, emeritiert. Ingo Liefner, ein Schüler von Ludwig Schätzl in Hannover, tritt 2007 die Nachfolge an (Promotion 2000 Hannover, Habilitation 2006 Hannover). Im Mittelpunkt seiner Forschungen steht das Thema der wissens- und innovationsbasierten regionalen Wirtschaftsentwicklung in Industrie- und Schwellenländern. Untersuchungen hierzu wurden in der Küstenregion Chinas sowie Ländern Südostasiens (Thailand, Vietnam) durchgeführt. - Gleichzeitig wird 2007 Ulrich Scholz, Professur für Anthropogeographie mit Schwerpunkt Agrargeographie, Entwicklungsländer und Geographie der Tropen, pensioniert. Sein Nachfolger wird 2007 Andreas Dittmann, ein Schüler von Eckart Ehlers in Marburg und später in Bonn (Promotion 1989 Marburg, Habilitation 2001 Bonn). Er vertritt weiterhin die Anthropogeographie mit dem Schwerpunkt der Geographischen Entwicklungsfor- 55

57 Ernst Giese schung, die nun vor allem in afrikanischen Ländern sowie Ländern des Islamischen Orients durchgeführt wird. - Als letzter der zweiten Nachkriegsgeneration wird 2011 Lorenz King, Professur für Physische Geographie mit dem Schwerpunkt Geomorphologie pensioniert. Markus Fuchs, ein Schüler von Dietrich Barsch und Richard Dikau in Heidelberg sowie Ludwig Zöller in Bayreuth, tritt 2011 die Nachfolge an (Promotion 2001 Heidelberg, Habilitation 2008 Bayreuth). Seine Arbeitsgebiete sind neben der Allgemeinen Geomorphologie die Paläoumweltforschung und Geoarchäologie sowie die Quartärforschung. Seine Forschungslokalitäten liegen neben Deutschland im östlichen Mittelmeerraum und Südwesten der USA. - Bereits im Jahre 1998 war Rolf Meyer, Professur für Agrar- und Bevölkerungsgeographie Mitteleuropas, pensioniert worden. Diese Stelle wurde nicht weitergeführt, sondern umgewidmet. Der Bereich Geoinformatik und Fernerkundung wird nach wie vor durch Wolf-Dieter Erb und Thomas Christiansen vertreten. Die EDV-Abteilung im Institut war in den 1990er Jahren und danach sukzessiv erweitert worden. Es wurden vier Computerräume mit insgesamt 50 Arbeitsplätzen für Studierende eingerichtet. Die Kartographie und das Labor, die Arbeitsplätze für das Wissenschaftliche und Nichtwissenschaftliche Personal am Institut wurden mit zeitgemäßen EDV-Geräten ausgestattet. Insgesamt sind am Institut zurzeit rund 160 Computer installiert und zu betreuen. Deshalb wurde im Jahre 2003 die Stelle eines Systemadministrators geschaffen. Sie wurde mit Carsten Klaholz besetzt. Neben dem Wissenschaftlichen Personal sind zurzeit am Institut für Geographie beschäftigt (z. T. halbtags): - Zwei Kartographen/innen (Bernd Goecke, Lisett Diehl), - Zwei Technische Angestellte (Carsten Klaholz/Systemadministrator, EDV-Betreuung; Matthias Schick/Physisch-Geographisches Labor), - sechs Sekretärinnen (Eva-Maria Peter, Erika Bothur, Andrea Goetzl, Annette Briesemeister, Usha Beher, Petra Heid-Emmerich). Da man die Institutsbibliotheken im Zeughaus-Komplex zu einer Zentralbibliothek im Zeughaus zusammenlegte, wurde die Stelle für den Bibliotheksdienst im Institut abgezogen. 56

58 Ernst Giese Im Jahre 2003 wurde Reinhold Stolper, der die Institutsdruckerei betreute und gleichzeitig die Funktion des Hausmeisters ausübte, pensioniert. Mit seinem Fortgang wurde die Institutsdruckerei aufgelöst und damit in Zusammenhang auch das Photolabor, das von Gertrud Thiele über vier Jahrzehnte geleitet worden war und sich nun aufgrund der neuen Möglichkeiten der digitalen Bildverarbeitung erübrigte. Gertrud Thiele wurde im Jahre 2008 pensioniert, die Stelle umgewidmet. Mit der Neubesetzung der Hochschullehrerstellen wurde zugleich eine Neukonzeption des Geographiestudiums vorgenommen. Der Diplom-Studiengang Geographie, der bislang in zwei Ausrichtungen (physisch-geographisch und wirtschaftlich-sozialgeographisch) studiert werden konnte, wurde aufgegeben. Stattdessen wurde im Jahre 2008 der Bachelor- und Master- Studiengang eingeführt, so wie es der Bologna-Prozess vorsieht. Gleichzeitig mit der Einführung des B.Sc. und M.Sc. erfolgte der Übergang zu einem projektorientierten Studium. Damit war eine Abkehr von der systematischen Vermittlung von Methoden und Fachinhalten hin zu einem Studium verbunden, das die integrierte Vermittlung von Methoden, Fachwissen und Anwendung in Projekten vorsieht. Auch die Lehramtsstudiengänge wurden nun in modularisierter, projektbezogener Form gestaltet. Mit der Neukonzeption des Studiums explodierten die Studierendenzahlen im Fach Geographie. Waren am Institut für Geographie in den Studiengängen Diplom, B.Sc. und M.Sc. sowie Lehramt L3 im WS 2007/08 noch 486 Studierende eingeschrieben, waren es im WS 2013/ (vgl. Abb. 25). Dabei nahm die Zahl der Bachelor-Studierenden wie die der L3-Studierenden gleichermaßen zu, die der Bachelor-Studierenden (inkl. Diplom) von 253 auf 692 (+ 274%), die der L3-Studierenden von 233 auf 511 (+219%). Als drittes wichtiges Ereignis wurde im Jahr 2008 das bis dahin selbständig operierende Institut für Didaktik der Geographie - zuständig für die Ausbildung der Lehramtsstudiengänge L2 und L5 - mit dem Institut für Geographie organisatorisch zusammengelegt, blieb aber räumlich mit anderen Instituten der Erziehungswissenschaften im Philosophikum II. Auch hier erfolgte ein Personalwechsel: Der bisherige Stelleninhaber der Professur für Didaktik der Geographie, Johann-Bernhard Haversath, wurde 2013 pensioniert und wird nun durch Rainer Mehren (geb. Uphues) von der Universität Erlangen-Nürnberg ersetzt. 57

59 Ernst Giese Abbildung 25: Entwicklung der Zahl der Studierenden am Institut für Geographie der Justus-Liebig- Universität Gießen 1969/ /14 Ich wünsche den neuen Kollegen im Geographischen Institut, die mit großem Elan und innovativen Ideen ihre Arbeit aufgenommen haben, von ganzem Herzen viel Erfolg. 58

60 Ernst Giese Die sieben Schwerpunktbereiche des Instituts für Geographie an der Justus-Liebig-Universität Gießen 2014 Physische Geographie Klimatologie Prof. Jürg Luterbacher, Ph.D. Geomorphologie Prof. Dr. Markus Fuchs Anthropogeographie Anthropogeographie und Geographische Entwicklungsforschung Prof. Dr. Andreas Dittmann Wirtschaftsgeographie Prof. Dr. Ingo Liefner Regionale und Kommunale Planung Prof. Dr. Christian Diller Geoinformatik und Fernerkundung Dr. Wolf-Dieter Erb Dr. Thomas Christiansen Didaktik der Geographie Prof. Dr. Rainer Mehren 59

61 Ernst Giese Professoren der Geographie an der Gießener Universität - Zeittafel - 1. Ludwigs-Universität Gießen Tätig an der Universität Gießen David Christiani David Christiani August Friedrich Wilhelm Crome Wilhelm Ludwig Zimmermann Georg Gottlieb Schmidt Johann Heinrich Buff Robert von Schlagintweit Carl Jakob Zöppritz Carl Friedrich Ferdinand Fromme Friedrich Wilhelm Sievers Arved Carl Ludwig von Schultz Fritz Klute Justus-Liebig-Universität Gießen Harald Uhlig Walther Manshard Heinrich Rohdenburg Rolf Meyer Winfried Moewes Ernst Giese Willibald Haffner Volker Seifert Otfried Weise Lorenz King Ulrich Scholz Andreas Dittmann Ingo Liefner Christian Diller Jürg Luterbacher Markus Fuchs

62 Ernst Giese Referenzen ALKÄMPER, J. UND WESTPHAL, A. (1986): 25 Jahre Tropeninstitut. In: Spiegel der Forschung 4, S BACHERT, K. (1967): Das Erbe der Ludwigs-Universität. In: Justus-Liebig-Universität Gießen, hrsg. vom Rektorat der Justus- Liebig-Universität zur Gründungsfeier, S , Gießen. BARTELS, D., GIESE, E. (1977): Einleitung zur Vortragssitzung: Quantitative Methoden und Beiträge zur Theoriebildung. Abh. d. Deutschen Geographentages, S. 423, Innsbruck. BECK, H. (1974): Hermann Lautensach. Stuttgarter Geographische Studien, Bd. 87, Stuttgart. BOHNET, A.; GIESE, E.: ZENG, G. (1999): Die Autonome Region Xinjiang (VR China). Eine ordnungspolitische und regionalökonomische Studie. 2 Bde. Schriften des Zentrums für regionale Entwicklungsforschung der Justus-Liebig- Universität Gießen, Gießen. CLAß, P. (1922): Universitäts-Professor W. Sievers. Nachruf. Geographischer Anzeiger, 23. Jg., Heft 1/2. CURRY, L. (1967): Quantitative Geography. In: The Canadian Geographer, Vol. 11, S FELSCHOW, E.-M.; LIND, C.; BUSSE, N. (2008): Krieg, Krise, Konsolidierung. Die zweite Gründung der Universität Gießen nach 1945.Hrsg.: Der Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen, Gießen. FESTKOLLOQUIUM (1965): 100 Jahre Geographie in Gießen. Gießener Geographische Schriften, Heft 6, Gießen. GÄRTNER, R.W. (2010): Sievers, Friedrich Wilhelm. In: Neue Deutsche Biographie 24, S GIESE, E. (1980): Entwicklung und Forschungsstand der Quantitativen Geographie im deutschsprachigen Bereich. In: Geographische Zeitschrift, Jg. 68, Heft 4, S GIESE, E. (1986): Aktuelle Beiträge zur Hochschulforschung. Gießener Geographische Schriften, Heft 62, Gießen. GIESE, E.; BAHRO, G.: BETKE, D. (1998): Umweltzerstörungen in Trockengebieten Zentralasiens (West- und Ost-Turkestan). Ursachen, Auswirkungen, Maßnahmen. Erdkundliches Wissen, Bd. 125, Stuttgart. GIESE, E.; MAMATKANOV, D.M.; WANG, R. (2005): Wasserressourcen und deren Nutzung im Flußbecken des Tarim (Autonome Region Xinjiang/VR China). Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung der JLU Gießen. Disc. Papers, Nr. 25, Gießen. GIESE, E.; MOSSIG, I. (2004): Klimawandel in Zentralasien. Zentrum für intern. Entwicklungs- und Umweltforschung der Justus-Liebig-Universität Gießen. Discussion Papers, Nr. 17, Gießen. GIESE, E.; MOSSIG, I.: RYBSKI, D.; BUNDE, A. (2007): Long-term analysis of air temperature trends in Central Asia. In: Erdkunde, Bd. 61, Heft 2, S GIESE, E.; SEHRING, J. (2007): Konflikte ums Wasser. Konkurrierende Nutzungsansprüche in Zentralasien. In: Osteuropa, 57. Jg., 8-9, S GIESE, E.; SEHRING, J. (2009): Konfliktpotential von Umweltveränderungen in Zentralasien. In: Nova Acta Leopoldina NF 108, Nr. 373, S HÄCKERMANN, D.; CHRISTIANI, D. (1875): In: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 4, 1875, S. 212ff., Leipzig. HAFEMANN, D. et al. (1961): Festgabe zum 65. Geburtstag Professor Wolfgang Panzers. Mainzer Geographische Studien, Heft 1. HARMS, H. (1991): August Friedrich Wilhelm Crome ( ), Autor begehrter Wirtschaftskarten. In: Cartographica Helvetica, Heft 3, S HEINRICH, H.-A. (1991): Politische Affinität zwischen geographischer Forschung und dem Faschismus im Spiegel der Fachzeitschriften. Gießener Geographische Schriften, Heft 70, Gießen. HESELHAUS, C. (1967): Die Justus-Liebig-Universität. In: Justus-Liebig-Universität Gießen, hrsg. Vom Rektorat der Justus- Liebig-Universität zur Gründungsfeier, S. 8-21, Gießen. JÄGER, H. (1987): Geographische Habilitation durch Wilhelm Sievers am 7. Mai 1887: Historische Geographie und Geomorphologie im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. In: Würzburger Geographische Arbeiten, Heft 68, S REKTORAT DER JUSTUS-LIEBIG-UNIVERSITÄT GIEßEN Hrsg. (1967): Justus-Liebig-Universität Gründungsfeier 1967, Gießen. KLUTE, F. (1928): Boden, Vegetation, Siedlung, Volk und Rasse Oberhessens in zeitlicher Entwicklung. In. Verhandlungen und Wissenschaftliche Abhandlungen des Deutschen Geographen-Tages Karlsruhe 1927, S , Breslau. KLUTE, F. (1940): Der Ostraum Europas wehrgeographisch betrachtet. Wehrwissenschaftliche Vorträge der Ludwigs- Universität Gießen im 1. Trimester 1940 ( ). 61

63 Ernst Giese KLUTE, F. (1941a): Volk und Raum. Akademische Rede zur Jahresfeier der Ludwigs-Universität Gießen am 1. Juli Schriften der Ludwigs-Universität zu Gießen, Jg. 1941, Heft 1, 12 S., Gießen. KLUTE, F. (1941b): Untersuchungen über die Möglichkeit einer Wirtschaftsharmonie des Großdeutschen Reiches und des Ostraumes. Schriften der Ludwigs-Universität zu Gießen, Jg. 1940, Heft 3 (Kriegsvorträge, Heft 2), 11 S., Gießen. KRÜGER, H. (1965): Das Neue Schloß in Gießen. In: Gießener Geographische Schriften, Heft 6, S , Gießen. LAUTENSACH, H. (1965): Grußworte der ehemaligen Gießener Geographen. In: Gießener Geographische Schriften, Heft 6, S , Gießen. MANSHARD, W. (1965): Landbesitz in Tropisch-Afrika. Gießener Geographische Schriften, Heft 6, S MANSHARD, W. (1998): Als Geograph auf internationaler Bühne. Eine autobiographische Skizze. Freiburger Studien zur Geographischen Entwicklungsforschung, Heft 16, Freiburg. MERTINS, G. (1982): Wilhelm Sievers. In: Gießener Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hrsg. von H.G. GUNDEL, P. MORAW, V. PRESS, S , Marburg. MEYER, R. (1967): Studien über Inselberge und Rumpfflächen in Nordtransvaal. Münchener Geographische Hefte, Heft 31, Regensburg. MOEWES, W. (1980): Grundfragen der Lebensraumgestaltung. Raum und Mensch, Prognose, offene Planung und Leitbild. 877 S., Berlin. MOEWES, W. (1981): Stadt - Land - Verbund in der Planungspraxis am Beispiel des städtebaulichen Rahmenplans Gießen- Wetzlar (Ergänzungsband). 333 S., Berlin. MORAW, P. (1992): Kleine Geschichte der Universität Gießen von den Anfängen bis zur Gegenwart. 2. Aufl., Gießen. NEES, CHR.-J. (2012): Vom Katheder in die große Welt. Zum Selbstverständnis August Friedrich Wilhelm Cromes ( ). Eine kritische Biographie. Studia Giessensia, NF, Bd. 1, Hildesheim. PANZER, W. (1953): Fritz Klute ( ). In: Petermann s Geographische Mitteilungen, S PANZER, W. (1957): Gießener Geographen. In: Ludwigs-Universität, Justus-Liebig-Hochschule Festschrift zur 350-Jahr-Feier, S , Gießen. PANZER, W. (1965): Fritz Klute - der Lehrer, Forscher und Künstler. In: Festkolloquium. 100 Jahre Geographie in Gießen. Gießener Geographische Schriften, Heft 6, S , Gießen. PEISERT, H. (1980): Hochschulentwicklung seit 1960 und Auswirkungen in die 90er Jahre. Vorhersagen und Wirklichkeit. In: Westdeutsche Rektorenkonferenz, Dokumente zur Hochschulreform, Würzburg XL/1980, S , Würzburg. PLEWE, E. (1972): Hermann Lautensach. In. Geographische Zeitschrift, 60. Jg., Heft 1, S POHLE, P. (2011): Nachruf Prof. Dr. Willibald Haffner, Erlangen 2011 (Internet). SCHOLZ, U. (1995): Nachruf auf Harald Uhlig ( ). In: Rundbrief Geographie, Februar SCHULTZ, A. (1921): Sievers. In: Petermann s Geographische Mitteilungen 67, S SCHULTZ, A. (1927): Sievers, Wilhelm. In: Deutsches Biographisches Jahrbuch 3 (Das Jahr 1921). S , Berlin, Leipzig. SIEVERS, W. (1887): Über Schotter-Terrassen (Mesas), Seen und Eiszeit im nördlichen Südamerika. In: Geographische Abhandlungen, Band II, Heft 2, S Wien. SIEVERS, W. (1888): Die Cordillere von Mérida, nebst Bemerkungen über das Karibische Gebirge. Ergebnisse einer mit Unterstützung der Geographischen Gesellschaft zu Hamburg ausgeführten Reise. Geographische Abhandlungen hrsg. von A. PENCK, Bd. 3, Heft 1, Wien 1888, VIII, 239 S.; darin S : Schotter-Terrassen und Seen in der Cordillere (= Habil.-schrift). TROLL, C. (1966): Hermann Lautensachs Lebenswerk. In: Erdkunde, Bd. XX, Heft 4, S UHLIG, H. (1954): Die Altformen des Wettersteingebirges mit Vergleichen in den Allgäuer und Lechtaler Alpen. (Diss.) Forschungen zur Deutschen Landeskunde, Bd. 79, Remagen. UHLIG, H. (1965): Das Neue Schloß als Geographisches Institut. In: Gießener Geographische Schriften, Heft 6, S , Gießen. UHLIG, H. (1970): Zum Organisationsplan und System der Geographie. In: Geoforum I, S UHLIG, H. (1982): Geowissenschaften und Geographie. (Zur Geschichte der Fächer der Justus-Liebig-Universität seit 1957.) In: Gießener Universitätsblätter, Heft 2, S UNIVERSITÄT GIEßEN (1907): Die Universität Gießen von 1607 bis Beiträge zu ihrer Geschichte. Festschrift zur dritten Jahrhundertfeier. 2 Bände, Gießen. UNIVERSITÄT GIEßEN (1957): Justus-Liebig-Hochschule 1607 bis Festschrift zur 350-Jahr-Feier 1957, Gießen. WAGNER, H. (1922): Wilhelm Sievers. In: Geographische Zeitschrift 28, S

64 Ernst Giese WALBE, H. (1938): Die Kunstdenkmäler in Hessen, Krs. Gießen, I, Darmstadt. 63

65 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Klimawandel Gießens seit Mitte des 19. Jahrhunderts und Auswirkungen auf die Pflanzenwelt Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage und Hermann Mächel 1. Einleitung Unter Klima versteht man die Gesamtheit aller an einem Ort möglichen Wetterzustände, einschließlich ihrer typischen Aufeinanderfolge sowie ihrer tages- und jahreszeitlichen Schwankungen. Üblicherweise werden Zeiträume von 30 Jahren (Klimanormalperiode nach Definition der WELTMETEOROLOGIE ORGANISATION, WMO) oder länger betrachtet. Neben den Mittelwerten gehört zum Klima aber auch die Schwankung (zum Beispiel warme oder kalte Winter, warme oder kalte Dekaden, trockene oder feuchte Sommer), Änderungen der Klimaelemente (beispielsweise Lufttemperatur, Sonnenscheindauer, Luftfeuchte, Niederschläge, Wind, Strahlung, etc.) über einen längeren Zeitraum (Trends, beispielsweise über die letzten 30 Jahre) sowie das Auftreten von extremen Ereignissen. Wenn sich der Mittelwert, die Schwankungen oder die Extreme zwischen verschiedenen 30-Jahres-Zeiträumen statistisch signifikant (das heißt zu stark, um zufällig zu sein) ändern, sprechen wir von Klimawandel. Das irdische Klima hat sich im Laufe der Jahrmillionen kontinuierlich gewandelt, Eiszeiten wechselten mit Warmzeiten, welche durch die Änderungen der Laufbahn der Erde um die Sonne ausgelöst wurden. Seit dem Ende der letzten Eiszeit (vor rund Jahren) ist das Klima der Erde relativ stabil. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts, dem Beginn der Industrialisierung, nutzt der Mensch Kohle, Erdgas sowie Erdöl als Energiequellen. Diese sind vor Millionen von Jahren aus Sümpfen und Wäldern entstanden. In ihnen ist der Kohlenstoff der früheren Pflanzen gespeichert. Durch menschliche Aktivitäten (wie z. B. Verbrennung fossiler Brennund Treibstoffe, Zementherstellung, Abholzung, Viehzucht, Reisanbau, Aerosole, Rodungen, Land-nutzung) wird Kohlenstoff in verschiedenen Formen freigesetzt und an die Atmosphäre abgegeben. Die ansteigenden Konzentrationen von CO 2 und anderer durch menschliche Aktivitäten verursachte (anthropogene) Treibhausgase verstärken somit den natürlichen Treibhauseffekt. Seit 1750 hat die Konzentration von CO 2 um mehr als 40% zugenommen, von Methan (CH 4 ) um 150% und von Lachgas (N 2 O) um 20% (IPCC 2013). Durch den anthropogenen Klimawandel erfolgt ein Eingriff des Menschen in die Energiebilanz der Erde. Dadurch ist die Erde seit einigen Jahrzehnten energetisch nicht mehr im Gleichgewicht, der 64

66 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Energieüberschuss wird hauptsächlich in den Ozeanen akkumuliert, aber auch in der Atmosphäre. Von der Erdoberfläche aus ist der zunehmende Treibhauseffekt mittels thermischer Rückstrahlung messbar. Ebenfalls variiert die Sonneneinstrahlung an der Erdoberfläche über Jahrzehnte, zum Teil als Folge der Luftverschmutzung. Beides hat Auswirkungen auf verschiedenste Klimaelemente, es wird wärmer auf unserer Erde und der hydrologische Zyklus ändert sich ebenfalls (IPCC 2013). Das sich ändernde Klima hat vielfältige Auswirkungen in unseren Ökosystemen (IPCC WG2 2014). Da in den mittleren Breiten die Pflanzenentwicklung maßgeblich durch den Temperaturverlauf bestimmt wird, sind pflanzenphänologische Beobachtungen gute Indikatoren, um die Folgen der Klimaänderung für die Biosphäre zu dokumentieren (Klima-Biomonitoring; GEBHARDT et al. 2010; STREITFERT UND GRÜNHAGE 2010). Die Phänologie beschäftigt sich mit den verschiedenen im Jahresverlauf periodisch wiederkehrenden Wachstums- und Entwicklungserscheinungen bei Pflanzen und Tieren (SCHNELLE 1955). Die Aufgabe der Pflanzenphänologie ist die Beobachtung definierter Entwicklungsstadien wie beispielsweise Blattentfaltung, Blühbeginn, Beginn der Fruchtreife oder Beginn der Laubverfärbung, die als "phänologische Phasen" bezeichnet werden, sowie die Untersuchung ihrer Abhängigkeit von abiotischen und biotischen Einflüssen. Dieses Kapitel zeigt die jahreszeitlichen Temperatur- und Niederschlagsveränderungen im Raum Gießen seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Sommerklimabedingungen in und um Gießen der letzten rund 160 Jahre werden ebenfalls in den Kontext der letzten 2500 Jahre gestellt. Dabei werden die zugrunde liegenden Daten aus verschiedenen Regionen in und rund um Gießen besprochen und kurz auf die Anfänge der meteorologischen Messungen im botanischen Garten durch den Botanikprofessor Hermann Hoffmann ( ) eingegangen. Hauptaugenmerk wird auf die Veränderungen von jahreszeitlichen und jährlichen Mittelwerten, Variabilitäten sowie Trends der vergangenen rund 160 Jahre gelegt. Darüber hinaus wird auf phänologische Zeitreihen von Professor Hoffmann eingegangen, sowie die Auswirkungen des sich ändernden aktuellen Klimas an verschiedenen Beispielen aus der Pflanzenwelt vorgestellt. 2. Meteorologische Stationsgeschichte Gießens und Ursprünge im botanischen Garten durch Botanikprofessor Hermann Hoffmann Die meteorologische Stationsgeschichte Gießens reicht weit zurück. Der Mathematiker und Physiker Professor Georg Gottlieb Schmidt ( ) führte bereits Messungen der Boden- 65

67 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel wärme in verschiedenen Brunnen in Gießen durch, wie aus einer entsprechenden Publikation aus dem Jahr 1824 hervorgeht (SCHMIDT 1824). Schmidt hatte wahrscheinlich außerdem regelmäßige Messungen der Lufttemperatur vorgenommen, da er in einem Aufsatz aus dem Jahr 1831 Extrem- und Mittelwerte für die Temperatur Gießens benannt hatte (SCHMIDT 1831). Dieser Aufsatz lässt außerdem darauf schließen, dass Schmidt auch die Windrichtung und den Luftdruck regelmäßig beobachtet hatte (HOFMEISTER 2014). Ab Mitte des 19. Jahrhunderts spielt die meteorologische und klimatologische Forschung eine wichtige und zentrale Rolle. Eine besondere Stellung nahm dabei die Station des botanischen Gartens ein. Die Abb. 1 zeigt den botanischen Garten in der für die klimatologische Forschung relevanten Periode Ende des 19. Jahrhunderts. Im Vordergrund ist das zwischen 1851 und 1858 erbaute Erdhaus nahe dem Heidenturm zu sehen. Abbildung 1: Das Erdhaus und Mistbeete am Alten Schloß nach einer Photographie aus dem Jahre 1892 Quelle: WEIMANN (2001) Vermutungen zufolge ließ Professor Hoffmann das Erdhaus bauen, um die dadurch entstehende Schattenlage als Basis seiner meteorologischen Messungen zu nutzen (WEIMANN 2001). Die ersten Messungen fanden im botanischen Garten bereits 1844 statt, sind allerdings lückenhaft (HOFFMANN 1866 und zahlreiche folgende Publikationen). Ab Mai 1851 begann unter der Leitung Professor Hoffmanns die Ära der offiziellen meteorologischen Beobachtungen. Hierfür 66

68 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel stellte er im Zeitraum von Mai 1851 bis Ende 1865 systematische Beobachtungen und Aufzeichnungen verschiedenster meteorologischer Größen, wie die der Luft-, Boden- und Quellentemperatur, dem Einsetzen des ersten und letzten Frostes sowie von Niederschlagsmengen und Gewittern, an. In Tabelle 1 wird ein Ausschnitt der meteorologischen Beobachtungen Hoffmanns (HOFFMANN 1866) gezeigt. Dargestellt sind exemplarisch die tiefsten sowie die höchsten Monatsmittel zwischen den Jahren 1851 und 1865, welche im Rahmen von Hoffmanns Studie über den Einfluss klimatologischer Kriterien bei phänologischen Untersuchungen im botanischen Garten aufgezeichnet worden sind. Tabelle 1: Auszug aus einer Veröffentlichung Professor Hermann Hoffmanns Forschungsarbeit (1866): Dargestellt sind die tiefsten und höchsten Monatsmittel der Temperatur im Zeitraum von Mai 1851 bis Ende des Jahres 1865 im botanischen Garten (Einheit der Temperatur ist Grad Réaumur, 1 C = 0.8 R bei gleichem Nullpunkt) Quelle: ALLGEMEINE JAGD- UND FORSTZEITSCHRIFT (1866) Während die Messungen der Luft- und Bodentemperatur sowie die des Niederschlags in täglicher Auflösung erfolgten, wurden die Quellentemperaturen in den Brunnen der Stadt lediglich in 8-14 tägigen Abständen aufgezeichnet (HOFFMANN 1866). Tägliche Temperaturmessungen (Minimum und Maximum) wurden dort auch noch bis 1892 durchgeführt. Hoffmann führte viele, sehr detailreiche naturwissenschaftliche Untersuchungen durch. Hierbei legte er großen Wert auf die Exaktheit seiner Datengrundlage, welche er durch die regelmäßige Kontrolle der Messinstrumente sicherstellte (HOFMEISTER 2007). So maß er beispielsweise die Lufttemperatur mithilfe eines Thermographen, welcher sich in schattiger Lage im botanischen Garten befand (HOFFMANN 1866; WEIMANN 2001). Auch die Bodentemperatur wurde mittels eines in einer Glasröhre wohlbewahrten Thermometers in gleichbleibender Tiefe, geschützt durch einen Deckelverschluss, täglich zur identischen Zeit (9 Uhr vormittags) gemessen. Tabelle 2 zeigt die Mitteltemperaturen aller Tage von 1852 bis 1880 in Gießen (MITT- HEILUNGEN DER GROßHERZOGLICH-HESSISCHEN CENTRALSTELLE FÜR DIE LANDESSTATISTIK 1881). Die Daten sind in Grad Réaumur (1 C = 0,8 R bei gleichem Nullpunkt) angegeben, 67

69 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel der im deutschsprachigen Raum überwiegend gebräuchlichen Einheit für die Temperatur bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Während die Daten zu Beginn in monatlicher Auflösung publiziert wurden, wurden bereits für den Zeitraum von 1862 bis 1891 die täglichen Minima und Maxima der Temperatur in den "Mittheilungen der Großherzoglich Hessischen Centralstelle für die Landesstatistik" veröffentlicht. Mit Beginn des Jahres 1862 wurden die meteorologischen Beobachtungen im botanischen Garten außerdem nach den Vorschriften des Königlichen Preußischen Meteorologischen Instituts durchgeführt. Dass die Messmethoden dieses Instituts auch außerhalb von Preußen anscheinend eine Vorbildfunktion hatten, zeigt auch die Tatsache, dass sich die in den 1860er Jahren neu eingerichteten Messstationen in Kassel und Marburg im benachbarten Kurhessen (noch bevor dieses Territorium im Herbst 1866 durch Preußen annektiert wurde) ebenfalls an dessen Standards orientierten (HOFMEISTER 2014). Tabelle 2: "Zusammenstellung der Mitteltemperaturen sämtlicher Tage, aus den täglichen Minima u. Maxima (in Grad Réaumur) berechnet, nach den Beobachtungen im botanischen Garten zu Giessen " Quelle: MITTHEILUNGEN DER GROßHERZOGLICH-HESSISCHEN CENTRALSTELLE FÜR DIE LANDESSTATISTIK (1881) 68

70 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Die Niederschlagserfassung erfolgte durch den Einsatz eines Regenmessers. Um sich summierende Ablesungsfehler zu verhindern, ließ Hoffmann den im Auffangtrichter gesammelten Niederschlag täglich in ein sich im Hause befindenden Volumeter ausleeren und die demnach allmählich zunehmende Höhe notieren (HOFFMANN 1866). HELLMANN (1906) erwähnt die Station Botanischer Garten, Stationshöhe=160 m und Höhe des Niederschlagsmessers=1,5 m. Von dort stammen die monatlichen Niederschläge , welche von Prof. Hoffmann erhoben wurden (siehe Tabelle 3). Aufgrund des großen Umfangs seiner Untersuchungen ließ sich Hoffmann bei der Dokumentation dieser behilflich sein (HOFFMANN 1857). So lag die Aufgabe des Beobachtens und des Aufzeichnens hauptsächlich bei seinem Gartengehilfen H. Weiß sowie den Universitätsgärtnern W. Weiß und J. F. Müller (HOFFMANN 1866). Die Motivation, welche ihn zu den ausführlichen Messungen veranlasste, lag vor allem an seinem persönlichen Interesse, die Entwicklung der Pflanzen in Abhängigkeit von der Witterung genauestens zu erforschen (HOFFMANN 1857; WEIMANN 2001). In den fast vierzig Jahren seiner Leitung des botanischen Gartens untersuchte Hoffmann im besonderen Maße den klimatischen Einfluss auf die Phänologie (HOFFMANN 1857 und weitere mehr als 70 Publikationen). Hauptziel der Forschung war es dabei, all jene meteorologischen Faktoren zu identifizieren, welche nachweislich als bestimmende Einflussfaktoren auf die Pflanzenentwicklung einwirken (HOFFMANN 1866). Ständiger Mittelpunkt der Vorhaben war der botanische Garten, von dem aus er Vorgaben wie methodische Einheitlichkeit und festgeschriebene Länge des Beobachtungszeitraumes ableitete. Auch seine These, dass die Wärme der Hauptfaktor des pflanzlichen Wachstums sei, versuchte er zu verifizieren (WUNSCHMANN 1905). Durch seine exakten Beobachtungen gelang es Hoffmann und seinen Gehilfen, die Relevanz diverser meteorologischer Elemente für die Entwicklung des organischen Lebens festzustellen. So nennt Hoffmann beispielsweise den Eintritt des ersten und letzten Frostes sowie die Dauer und Höhe der Schneedecke als nicht zu vernachlässigende Kriterien für die Phänologie (HOFFMANN 1866). Weiterhin erhielt er für die von ihm alljährlich beobachteten Pflanzen durch seine Forschungsarbeit übereinstimmende Werte der Wärmesummen (die Summe der täglichen in freier Sonne stehenden Temperaturmaxima, die die Pflanze für die einzelnen Entwicklungsphasen benötigt), sodass sich eine quantitative Abhängigkeit zwischen der Sonnenwärme und der Entwicklung der Pflanzen ergab (MANGOLD 1918). Zwar waren diese Werte nicht absolut brauchbar, jedoch konnte man sie unter verschiedenen Gesichtspunkten vergleichen (MANGOLD 1918). 69

71 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Abb. 2 zeigt beispielhaft den jährlichen Beginn der Blüte für verschiedene Obstgehölze in Gießen im Beobachtungszeitraum (HOFFMANN 1885). Abbildung 2: Beginn der Blüte verschiedener Obstgehölze im botanischen Garten Gießens von Quelle: Nach Aufzeichnungen von Professor HOFFMANN Da all jene zuvor genannten Faktoren in wissenschaftlichen Studien verschiedenster Untersuchungsstätten vor der Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse über die Pflanzenentwicklung nicht berücksichtigt worden sind, erhob Hoffmann nun den Anspruch, auf die Beobachtungsmethodik eben jener Studien einen Einfluss zu nehmen (HOFFMANN 1866). Überdies sollten nach Hoffmann auch all jene, welche die Entwicklung sowie das Gedeihen von Pflanzen anleiteten und damit einen Erfolg erzielen wollten, mit hohem Interesse auf seine Untersuchungen blicken (HOFFMANN 1857). Trotz seiner umfassenden Forschungsarbeit gelang es Hoffmann während seiner Lebzeiten nicht, die Phänologie als eigenständiges Teilgebiet der Botanik zu etablieren. Dies lag zum großen Teil auch daran, dass viele Aspekte des Pflanzenwachstums bis dato als ungeklärt galten, sodass man nicht sicher sein konnte, ob sich alleine vom Klimaelement Temperatur Rückschlüsse auf die Phänologie ziehen lassen können (WUNSCHMANN 1905). Auch die Tatsache, dass die von Hoffmann gemessenen Werte nicht absolut brauchbar waren, führte zur unterschiedlichen Beurteilung seiner Ergebnisse (MANGOLD 1918). Allerdings muss es als der große Verdienst Hoffmanns angesehen werden, dass dieser mit außergewöhnlicher Sorgsam- 70

72 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel keit und immenser Ausdauer die klimatologischen Einflüsse auf das Pflanzenwachstum untersucht hat, und somit die Grundlage als auch einen wichtigen Durchgangspunkt für die Entwicklung der Phänologie geschaffen hat (HOFFMANNS mehr als 70 Publikationen; MANGOLD 1918; WUNSCHMANN 1905). Weiterhin waren vor Hoffmann zwar bereits einige Forscher grob auf die Beziehung zwischen Temperatur und Phänologie eingegangen, gleichwohl kann Professor Hoffmann als erster Wissenschaftler angesehen werden, welcher den Zusammenhang der beiden Faktoren genauer beschrieben hat (WUNSCHMANN 1905). Während seines Wirkens führte Hoffmann ebenfalls geländeklimatologische Forschungen durch. Dazu ließ er insbesondere in den 1880er Jahren parallele Messungen an über 70 verschiedenen Standorten, verstreut von Basel, über Köln bis hin nach Dresden, verwirklichen. Die meisten Stationen befanden sich jedoch in Hessen. Erforscht wurden insbesondere die auf Gießen bezogenen Zeitunterschiede in der Vegetationsentwicklung unterschiedlicher Pflanzen (HOFFMANN ; Abb. 3). Hierbei variierte der Untersuchungszeitraum je nach Standort zwischen ein- und mehrjährigen, zumeist auf das Datum der Entwicklung der ersten Blüte im Frühling und Vorsommer bezogenen Beobachtungen (HOFFMANN ). Durch Vergleiche der Daten stellte Hoffmann beispielsweise fest, dass sich die Vegetation auf dem Kreuzberg (Rhön) erst fast einen Monat nach der in Gießen entwickelte. Aufgrund vieler vorhandener Datenlücken müssen die meisten Angaben bezüglich der ersten Blüte des jeweiligen Ortes als provisorische Werte angesehen werden. Das Hauptaugenmerk Hoffmanns lag darin, Forscher sowie Interessierte dazu anzuregen, ebenfalls solche Beobachtungen anzustellen. Grund hierfür war, dass sich laut Hoffmann mit geringerer Mühe und größerer Sicherheit eine genauere Darstellung der klimatischen Stellung eines Ortes gewinnen lasse, als mit der an vielen Mängeln leidenden Thermometrie (HOFFMANN ). Während das Gebiet um Gießen in den Dekaden vor Hoffmanns Forschungsarbeit klimatologisch als gänzlich unerforscht galt, wurde es in den folgenden Jahrzehnten somit zu einer der am gründlichsten untersuchten Gegenden (HOFFMANN 1866). Aufgrund einer von Hoffmann entwickelten Anleitung, dem Gießener Schema, konnte auch an Standorten außerhalb Gießens geforscht werden. Demnach wuchs das meteorologische Datenmaterial in und um Gießen rasch in einem bedeutenden Maße an (WUNSCHMANN 1905). Der botanische Garten erfuhr in diesem Zeitraum durch seinen ambitionierten Leiter einen Aufstieg zum Kernstück eines internationalen Projekts meteorologisch-phänologischer Forschung (WEIMANN 2001). 71

73 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Dabei dienten die seit 1851 beinahe lückenlosen, klimatischen Aufzeichnungen sowie diverse Beobachtungen von Zeitpunkten ausgewählter Ereignisse im Leben der Pflanzen als Grundlage des anspruchsvollen ökologischen Forschungsunternehmens (WEIMANN 2001). Abbildung 3: Zeitlicher Unterschied der Vegetationsentwicklung im Vergleich zur Bezugsstation Gießen. Der Zeitraum des Vergleiches beginnt mit der Aufzeichnung einzelner Daten in den 1840er Jahren und endet im Jahr Ein kleinerer oder größerer Kreis um eine Anhäufung von Standorten gibt dabei an, dass diese Stationen mit der Entwicklung der ersten Blüte verschiedener Pflanzen der Stadt Gießen voraus sind. Ein kleineres oder größeres Quadrat hingegen zeigt, dass die Standorte in der Vegetationsentwicklung hinter Gießen zurückliegen. Die Plus- oder Minuszeichen inklusive Zahlen, die an den einzelnen Stationen stehen, geben die genauen Tagesangaben im Voraus (+) oder zurück (-) an. Quelle: Die Quellen sind hierbei sehr divers und beruhen sowohl auf handschriftlichen Aufzeichnungen, welche Professor Hoffmann zugeführt worden sind, als auch auf Schätzungen Als Hoffmann 1891 starb, endeten die meteorologischen Beobachtungen im botanischen Garten vorläufig. Da dieser seine meteorologischen Beobachtungen vor allem aufgrund seines eigenen Interesses ausführte, sah der neue Gartendirektor eine Fortführung der Aufzeichnungen als nicht von Nöten an (WEIMANN 2001). Die Stationsgeschichte des botanischen 72

74 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Gartens verdeutlicht die weitreichende Geschichte der systematischen Wetterbeobachtung Gießens. 1 Von 1892 bis 1900 sind die Informationen über die meteorologischen Messungen in Gießen unbekannt. In der Publikation vom Reichsamt für den Wetterdienst 1939 (KLIMAKUNDE DES DEUTSCHEN REICHES, Band II, Tabellen. Verlag von Dietrich Reimer, Berlin) wird eine Klimastation Gießen erwähnt (50 35'N 8 41'E H=163 m) mit Temperaturdaten von und (s. Tabelle 3). Erst 1901, als das Großherzogtum Hessen ein Messnetz von 19 meteorologischen Stationen in seinem Gebiet anlegt, werden die Messungen wieder aufgenommen und werden mit kurzer Unterbrechung nach Kriegsende bis heute weitergeführt (HOFMEISTER 2007). Die bisher letzte Verlegung fand am 11. November 2005 zum Oberen Hardthof statt und wird seitdem Wetterwarte Gießen Wettenberg bezeichnet (Abb. 4; Tabelle 3). Abbildung 4: DWD-Wetterstation Gießen-Wettenberg, aufgenommen am 21. Februar 2014 Quelle: Aufnahme Stephan Götzl 1 Am 12. November 2013 wurde die Hermann-Hoffmann-Akademie an der Justus-Liebig-Universität geschaffen. Das Gebäude in der Senckenbergstraße direkt am Botanischen Garten wurde für junge Forscherinnen und Forscher hergerichtet und beherbergt u.a. einen Kursraum, ein Schüler- und Forschungslabor, eine Dino-Werkstatt, eine Bibliothek, einen Hörsaal sowie einen Aquarien- und Vivarienraum, in dem Lehramtsstudierende sich mit dem Einsatz von Tieren im Biologieunterricht beschäftigen ( Auch das Implantarium, die Grüne Schule der JLU, hat hier ihren Platz. Die Akademie wird unter der Devise Lernen durch Lehren ein Ort der Wissensvermittlung durch Studierende sein. Als Hauptziel bietet die Akademie Gießener Studierenden Praxisfelder zur Erprobung ihrer während des Studiums erworbenen Kenntnisse ( Inst/hha). Studierende aller Studienrichtungen im Fach Biologie, planen eigenständig wissenschaftliche Projekte zu biologischen Themen mit Schülern Gießener Schulen. Alle Vorhaben werden in Kooperation mit Schulen und allen anderen interessierten Bildungspartnern der Region erarbeitet. Das Land und Hessen unterstützt die Einrichtung mit Mitteln aus dem Innovations- und Strukturentwicklungsbudget in Höhe von 1,293 Millionen Euro ( Leiter der Hermann-Hoffmann-Akademie sind die Professoren Volker Wissemann und Hans-Peter Ziemek. 73

75 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Tabelle 3: Die Stationen in und rund um Gießen mit ihren geographischen Kenndaten, der Länge der meteorologischen Aufzeichnungen, den gemessenen Klimaelementen und den dazugehörigen Quellen (siehe auch Text für Details) Station Klimaelement Geographische Lage Höhe über NN Zeitraum Auflösung Referenzen Botanischer Garten Niederschlag & Temperatur ` N 8 41` E 159 m Monatlich Hellmann 1906; DWD, WebWerdis 1 Dr. J. Hofmeister Botanischer Garten Niederschlag & Temperatur und weitere Parameter 50 35` N 8 41` E 158 m Februar heute 10 Minuten Institut für Geographie Prof. J. Luterbacher 3 Gießen Niederschlag & Temperatur und weitere Parameter ` N 8 40` E 157 m Monatlich und 3x täglich DWD, WebWerdis 1 Lahntal Niederschlag & Temperatur und weitere Parameter 50 35' 28'' N 8 39' 18'' E 158 m Monatlich und täglich DWD, WebWerdis 1 Liebigshöhe Wettenberg Niederschlag & Temperatur und weitere Parameter Niederschlag & Temperatur und weitere Parameter 50 35'19'' N 8 41'53'' E 50 36' 05'' N 8 38' 38'' E 187 m 203 m heute Monatlich; ab 1950 Stundenwerte von Feuchte und Temperatur; ab Minuten-Werte Monatlich; ab 1950 Stundenwerte von Feuchte und Temperatur; ab Minuten-Werte DWD, freie Klimadaten DWD, freie Klimadaten Bemerkungen: 1 WebWerdis Daten: (KASPAR et al. 2013) 2 Quellen von (monatlich) in: Tabellen und amtliche Nachrichten über den Preußischen Staat. Herausgegeben von dem statistischen Bureau zu Berlin (H. DOVE 1858) und von (monatlich) in: Klimatologie von Deutschland, nach den Beobachtungen des preussischen meteorologischen Instituts (H. DOVE 1874); ebenso von (mit Lücken) und von in: Bericht der Oberhessischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde; von (täglich) in: Staatliche Mitteilungen der Grossherzoglichen Hessischen Centralstelle für Landesstatistik. 3 Abrufbar sind die aktuellen Wetterdaten auf den Seiten des Instituts für Geographie ( Button Wetter.Info). Archivdaten können von Prof. Luterbacher bezogen werden. 4 Von 1892 bis 1900 wurden keine Messdaten gefunden. Ab 1901 Gießen Stadtbauamt, am Bürgermeistereigebäude. Am 20. April 1918 Verlegung der Station etwa 400 m südlich in eine etwas freiere Lage zum Physikalischen Institut der Universität (Stephanstraße 24, Stationshöhe 158 m). Am 27. September 1933 Verlegung der Station in das Landwirtschaftliche Institut der Universität, Senckenbergstraße 17 (Stationshöhe 158 m) kommt die Station wieder in den Botanischen Garten (Senckenbergstraße) als Agrarmeteorologische Forschungsstelle zurück (Stationshöhe 157 m) und wird Ende November 1938 aufgelöst wurde eine zweite Klimastation auf der Westseite der Lahn eingerichtet, Gießen-Versuchsfeld (Stationshöhe 158 m). Von Mai 1937 bis Dezember 1938 wurde anscheinend an der Station nicht beobachtet, ebenso sind die Beobachtungen vom Juli 1944 bis 1946 lückenhaft. Nach zwei geringfügigen Verlegungen (am 01. Juni 1951 und 01. September 1952) wurde die Klimastation zum 1. Januar 1965 in Gießen-Lahntal umbenannt und zum 1. Juli 1984 aufgelöst. 74

76 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Abschließend zu den früheren Daten soll hier noch kurz auf generelle Aspekte zur Datenqualität eingegangen werden. Die älteren Instrumentenmessdaten sollten unter quellenkritischen Gesichtspunkten betrachtet und darauf aufbauend bearbeitet werden, bevor sie für statistische Auswertungen herangezogen werden (GLASER 2008). So haben sich beispielsweise die Kriterien, nach denen die Messdaten ermittelt worden sind, im Laufe der letzten Jahrhunderte mehrmals geändert (HOFMEISTER 2007). Beispielsweise wurden die Temperaturmittel zu Beginn der Messungen in vielen Fällen nicht nach den Mannheimer Stunden (um 7 Uhr und 14 Uhr sowie zweimal um 21 Uhr) ermittelt. Überdies sind die Messstandards der verschiedenen Stationen anfangs häufig sehr individuell geprägt und weichen daher stark voneinander ab, was die Vergleichbarkeit der Werte zusätzlich erschwert. Aber auch häufige Ablesefehler an Messinstrumenten stellten genauso Probleme dar, wie die Tatsache der sich wandelnden Genauigkeit der Messgeräte im Laufe der Zeit sowie die teilweise stattfindende Verlagerung der Instrumente (HOFMEISTER 2007). Während die Messungenauigkeiten der bodennahen Lufttemperatur heute ± 0,1 Celsius betragen, könnten sie in den früheren Jahrhunderten Schätzungen zufolge bei ± 0,5 Celsius oder sogar ± 1 Celsius gelegen haben (SCHÖNWIESE 2008). Eine weitere nennenswerte Problematik stellen die Homogenitätsanforderungen dar, welche bis heute nur teilweise erfüllt werden. So verursachen beispielsweise die damals häufig vorkommenden Stationsverlegungen zeitliche Variationen in Messreihen, welche nicht auf meteorologische beziehungsweise klimatologische Ursachen zurückzuführen sind (SCHÖNWIESE 2008). Auch die Weiterentwicklung und der damit verbundene Wechsel von Messgeräten gilt als nicht zu vernachlässigender Faktor, welcher Inhomogenitäten verursachen kann (HOFMEISTER 2007). Überlagern sich nun diese künstlich erzeugten Effekte durch messtechnische Artefakte mit echten Klimavariationen, kann dies zu weitreichenden klimatologischen Fehlinterpretationen führen (SCHÖNWIESE 2008). Die Beobachtung des Wetters und dessen Messung spielen gerade im aktuellen Kontext des Klimawandels eine bedeutende Rolle. Dies trifft natürlich auch für den Raum Gießen zu. So ist es nicht verwunderlich, dass dem botanischen Garten seit Februar 2012 eine neue, moderne und vollautomatisierte Wetterstation zur Verfügung steht, welche die Messwerte im Zehn- Minuten-Takt aktualisiert. Ermöglicht wurde die Installation der meteorologischen Station durch die Zusammenarbeit des Gießener Instituts für Geographie mit dem Institut für Botanik der Justus-Liebig-Universität sowie der damaligen Schweizer Firma Meteomedia (heute Meteogroup). Die Wetterstation im ältesten botanischen Garten Deutschlands am Originalstandort ist die 15. Station in Hessen der heutigen Meteogroup. Sie ist modular aufgebaut und 75

77 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel besteht aus verschiedenen Messfühlern (Abb. 5). Gemessen werden Temperatur, Feuchtigkeit, Niederschlagsmenge, Wind, Sonnenscheindauer, Sichtweite (zehn Meter bis Meter), Globalstrahlung und Luftdruck in 10 Minuten Intervallen (Tabelle 3). Die integrierten Wind- und Niederschlagsheizungen sorgen bei allen Witterungsbedingungen für eine störungsfreie Messung und Übertragung der Wetterdaten. Der Abruf der Wetterdaten, die verschiedenen Nutzerinnen und Nutzern zur Verfügung gestellt werden, erfolgt über GPRS (General Packet Radio Service). Abrufbar sind die aktuellen Wetterdaten auf den Seiten des Instituts für Geographie ( Button Wetter. Info). Eine gleiche Station wurde 2013 durch das Institut für Pflanzenökologie der Justus- Liebig-Universität Gießen auf der Umweltbeobachtungs- und Klimafolgen-forschungsstation Linden installiert. Abbildung 5: Die neue, seit Februar 2012 operierende, moderne und vollautomatisierte Wetterstation im botanischen Garten Gießens Quelle: Aufnahme J. Schug, Meteogroup 3. Temperatur- und Niederschlagsanalyse in und um Gießen seit Mitte des 19. Jahrhunderts Die Datenbasis für die statistischen Auswertungen liefern die Niederschlags- und Temperaturmessdaten der in Tabelle 3 gezeigten Stationen aus Gießen. Hierbei handelt es sich um amtliche Messreihen von unterschiedlicher Länge. Die einzelnen Stationen unterscheiden sich vor allem in ihrer geographischen Lage, ihrer Instrumentierung als auch von ihrer Höhenlage. Deshalb wurde von einer Zusammenlegung der Messdaten zu einer vollständigen einheitlichen und homogenen Zeitreihe über die letzten 160 Jahre abgesehen. Im Folgenden 76

78 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel werden die Informationen aus Tabelle 3 zu drei verschiedenen Zeitreihen zusammengefasst und zwar für den botanischen Garten ( ), Senckenbergstraße/Lahntal ( ) sowie Liebighöhe/Wettenberg (1984-Februar 2014). Die mittleren klimatischen Verhältnisse über einen bestimmten Zeitraum an einem bestimmten Ort im Jahresverlauf sind in Form von Klimadiagrammen darstellbar. Üblicherweise werden dabei die Lufttemperatur (ab Mai 1934 auf 2 m über dem Grund; vorher in einer Fensterhütte 6-8 m über dem Grund) und die Niederschlagsmenge als langjähriges Monatsmittel über den Zeitraum eines Jahres verwendet. In Abb. 6 sind die hygrothermischen Klimadiagramme nach WALTER UND LIETH vom botanischen Garten ( ), Senckenbergstraße/Lahntal ( ) und Liebighöhe/Wettenberg ( ) dargestellt. Die Maßstäbe für die Einheiten von Temperatur und Niederschlag stehen dabei im Verhältnis 1:2 (d.h. 10 Celsius sind auf derselben Höhe der y-achse verzeichnet wie 20 mm Niederschlag). Mit diesen Klimadiagrammen lässt sich eine erste Charakterisierung des Klimas der drei Standorte ableiten. Die Jahresdurchschnittstemperatur der letzten 30 Jahre an der Station Liebighöhe/Wettenberg liegt deutlich über jenen der beiden anderen Stationen. Der Temperaturverlauf an den drei Standorten ist zwar ähnlich, aber für die letzten 3 Dekaden leicht nach oben verschoben. Die langjährigen Wintermonatsmittel der Periode 1983/ /2014 zeigen im Gegensatz zum botanischen Garten ( ) und Senckenbergstraße/Lahntal ( ) keine Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Die Jahresniederschlagssummen sind an allen drei Standorten ähnlich, allerdings zeigen sich innerhalb des Jahres Unterschiede (Abb. 6). Abbildung 6: Klimadiagramme vom botanischen Garten Gießens ( ), Senckenbergstraße/Lahntal ( ) sowie Liebighöhe/Wettenberg ( ) Quelle: Eigene Darstellung, Datengrundlage siehe Tabelle 3 Detaillierte Temperatur- und Niederschlagsanalysen in und um Gießen zurück bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts werden im Folgenden beschrieben. Die Lufttemperatur, Niederschlagsentwicklung und Trends werden in Abb. 7 und 8 anhand der Daten aus dem botanischen 77

79 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Garten (159 m über Meer), Senckenbergstraße/Lahntal von ( m über Meer) sowie Liebighöhe/Wettenberg von /2014 ( m über Meer) gezeigt. Daten der Station Liebighöhe/Wettenberg ab den späten 1930er Jahren (Tabelle 3) werden nicht gezeigt, da sie sehr ähnlich sind wie jene von Senckenbergstraße/Lahntal. Den Autoren ist keine Datenquelle zwischen 1892 und 1900 bekannt. Um die Übersichtlichkeit zu gewähren, sind die vorhandenen monatlichen Beobachtungsdaten in jahreszeitliche Werte gemittelt (Temperatur), respektive summiert (Niederschlag) worden. Dabei bilden die Monate Dezember bis Februar den Winter, März bis Mai den Frühling, Juni bis August den Sommer, September bis November den Herbst sowie Januar bis Dezember das Jahresmittel (Summe). Die jahreszeitlichen und jährlichen linearen Temperatur- und Niederschlagstrends werden wegen der Höhenunterschiede und der unterschiedlichen geographischen Lage nicht über den Gesamtzeitraum dargestellt, sondern jeweils nur über die drei homogenen Reihen. Die Signifikanz der Trends wurde mit dem Mann-Kendall Test getestet. Bereits hier kann vorweggenommen werden, dass nur die Abkühlung der Frühlingstemperaturen Senkenbergstraße/Lahntal ( ; m über Meer) statistisch signifikant sind. 4. Jahreszeitliche und Jahrestemperaturschwankungen in Gießen seit 1853 Die Abb. 7 präsentiert die Jahreszeitlichen- und die Jahresdurchschnittsschwankungen der Lufttemperaturen aus dem botanischen Garten ( , 159 m über Meer), Senckenbergstraße/Lahntal ( , m über Meer) sowie Liebighöhe/Wettenberg ( /2014, m über Meer). Das Wintertemperaturmittel im botanischen Garten lag über die 39-jährige Periode knapp über dem Gefrierpunkt (Abb. 7 oben links). Die Schwankung zwischen dem mildesten (1876/1877) und kältesten (1879/1880) Winter betrug gut 9 Celsius. Über die /1891 Periode zeigt sich kein signifikanter Trend in den Wintertemperaturen. Der Wintertemperatur Mittelwert der Station Senckenbergstraße/Lahntal ( ) lag bei rund +0,8 Celsius. Die Wintertemperaturen zeigen hier größere Jahr-zu- Jahr Schwankungen als jene im botanischen Garten. Generell kalte Winter finden sich vor allem zwischen den 1930er und den 1960er Jahren. Die Winter während des Zweiten Weltkriegs waren berüchtigt für ihre ausgesprochene Kälte (LUTERBACHER et al. 2004) und können zum Teil durch den Einfluss des starken El Ninos zu dieser Zeit erklärt werden (BRÖNNIMANN et al. 2004). Die Wintertemperaturschwankungen [Differenz zwischen dem wärmsten (1915/1916) und kältesten Winter (1963/1964)] lagen bei knapp 10 Celsius. Über den gesamten 83-jährigen Zeitraum zeigt sich kein signifikanter Trend. Der Mittelwert an der Station 78

80 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Liebighöhe/Wettenberg ( /2014) lag rund 0,9 Celsius über jenem der Station Senckenbergstraße/Lahntal und etwa 1,7 Celsius über jenen des botanischen Gartens. Die Mittelwertsunterschiede sind statistisch signifikant. Ganz kalte Winter wie im botanischen Garten oder Senckenbergstraße/Lahntal wurden in den letzten 30 Jahre nicht mehr registriert. Außergewöhnlich warme Winter wurden 1989/1990, 2006/2007 und 2013/2014 verzeichnet. Über den 31-jährigen Zeitraum von /2014 zeigt sich kein signifikanter Trend in den Wintertemperaturen. Die Abb. 7 (oben rechts) präsentiert die Frühlingstemperaturschwankungen für die drei Stationen ab Das Frühlingstemperaturmittel im botanischen Garten Gießens lag bei gut 8 Celsius. Die Schwankung zwischen dem mildesten (1890) und kältesten (1853) Frühling betrug gut 3,5 Celsius. Über die Periode zeigt sich kein signifikanter Trend. Der Mittelwert der Frühlingstemperaturen der Station Senckenbergstraße/Lahntal lag bei 8,6 Celsius, somit 0.5 Celsius über den vorangegangen 39 Jahren im botanischen Garten. Die Schwankungsbreite der Frühlingstemperaturen zwischen 1901 und 1983 ist vergleichbar mit jenen im botanischen Garten. Die Frühlingstemperaturschwankungen [Differenz zwischen dem wärmsten (1918) und kältesten Frühling (1958)] lagen bei 3,7 Celsius. Über den gesamten 83- jährigen Zeitraum zeigt sich ein signifikanter Abkühlungstrend der Frühlingstemperaturen um gut 0,6 Celsius. Der Mittelwert der Frühlingstemperaturen an der Station Liebighöhe/ Wettenberg lag rund 0,9 Celsius über jenem der Station Senckenbergstraße/Lahntal und etwa 1,4 Celsius über jenem des botanischen Gartens. Die Mittelwertsunterschiede sind wie für den Winter statistisch signifikant. Außergewöhnlich milde Frühlinge wurden 2000, 2007 (RUTISHAUSER et al. 2008) und 2011 registriert. Der Erwärmungstrend von knapp 0,7 Celsius über die Periode ist statistisch nicht signifikant. Die Abb. 7 (unten links) zeigt die Sommertemperaturschwankungen an den drei Stationen über die letzten 160 Jahre. Das Sommertemperaturmittel im botanischen Garten Gießens lag bei 17 Celsius. Über die Periode zeigt sich kein signifikanter Trend in den Sommertemperaturen. Die Schwankung zwischen dem wärmsten (1859) und kühlsten (1860) Sommer betrug 4,2 Celsius. Der Mittelwert der Station Senckenbergstraße/Lahntal über die 83 Jahre war ähnlich wie im botanischen Garten. Die Sommertemperaturschwankungen [Differenz zwischen dem wärmsten (1947) und kühlsten Sommer (1956)] der Periode lagen bei 4,6 Celsius. Wie im botanischen Garten zeigen sich auch hier keine signifikanten Sommertemperaturänderungen. Der Mittelwert der Sommertemperaturen an der Station 79

81 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Liebighöhe/Wettenberg lag bei knapp 18 Celsius. Extrem warm war der Sommer 2003, nach LUTERBACHER et al. (2004) und BARRIOPEDRO et al. (2011) der sehr wahrscheinlich wärmste seit den Lebzeiten Kolumbus. In Frankreich, der Schweiz und in Deutschland verzeichnete man in diesem Sommer über hitzebedingte Tote und Schäden in Höhe mehrerer Milliarden Euro (ROBINE et al. 2008). Die Abb. 7 (unten rechts) präsentiert die Herbsttemperaturschwankungen aus dem botanischen Garten, Senckenbergstraße/Lahntal sowie Liebighöhe/Wettenberg seit Das Herbsttemperaturmittel im botanischen Garten lag über die 39-jährige Periode bei gut 8,5 Celsius. Die Schwankung zwischen dem mildesten (1886) und kältesten (1858) Herbst betrug 4 Celsius. Der Mittelwert der Herbsttemperaturen der Station Senckenbergstraße/Lahntal lag etwas höher verglichen mit dem des botanischen Gartens. Wie im botanischen Garten zeigen sich auch hier keine signifikanten Herbsttemperaturänderungen. Der wärmste Herbst im Zeitraum wurde 1982 registriert, der kühlste Die Schwankungsbreite der Herbsttemperaturen ist vergleichbar mit jenen im botanischen Garten. Der Mittelwert der Herbsttemperaturen an der Station Liebighöhe/Wettenberg lag ein knappes Grad Celsius über jenem des botanischen Gartens. Über die Periode zeigt sich ein Erwärmungstrend, welcher aber nicht statistisch signifikant ist. Extrem warm war der Jahrhundertherbst von 2006, der wohl wärmste in Europa seit mindestens 500 Jahren (LUTERBACHER et al. 2007). Die Abb. 7 (unten Mitte) präsentiert die Jahresdurchschnittstemperaturschwankungen aus dem botanischen Garten, Senckenbergstraße/Lahntal sowie Liebighöhe/Wettenberg der letzten 160 Jahre. Das Jahrestemperaturmittel im botanischen Garten Gießens lag bei 8,4 Celsius (siehe auch Abb. 6). Die Schwankung zwischen dem wärmsten (1868) und kältesten (1879) Jahr betrug 2,8 Celsius. Über die Periode zeigt sich kein signifikanter Trend. Der Mittelwert der Jahrestemperaturen der Station Senckenbergstraße/Lahntal lag 0,4 Celsius höher als jener im botanischen Garten. Es zeigen sich auch hier keine signifikanten Jahresmitteltemperaturänderungen. Das wärmste Jahr im Zeitraum war 1934, das kälteste Die Schwankungsbreite der Jahrestemperaturen ist etwas größer als im botanischen Garten. Die Jahresdurchschnittstemperatur an der Station Liebighöhe/Wettenberg lag 1 Celsius über jener des botanischen Gartens, was auch in etwa dem Erwärmungssignal der letzten 130 Jahre von 1,2 Celsius für Hessen entspricht (KASPAR et al. 2013). Über die Periode zeigt sich ein Erwärmungstrend, welcher aber statistisch nicht signifikant ist. Viele Jahre waren seit Mitte der 1980er Jahre nicht nur besonders warm, sondern auch zusätzlich trocken (Abb. 8). 80

82 Temperatur [ C] Temperatur [ C] Temperatur [ C] Temperatur [ C] Temperatur [ C] Temperatur [ C] Temperatur [ C] Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Abbildung 7: Jahreszeitliche- und Jahresmittelschwankungen der Lufttemperaturen des botanischen Gartens ( , 159 m) schwarz, Senckenbergstraße/Lahntal ( , m) blau und Liebighöhe/Wettenberg ( /2014, m) rot. Dargestellt sind die absoluten Temperaturen, der jeweilige Mittelwert sowie der lineare Trend Winter Winter Frühling Botanischer Garten Senckenbergstr./Lahntal Liebighöhe/Wettenberg 6 Botanischer Garten Senckenbergstr./Lahntal Liebighöhe/Wettenberg 12 Botanischer Garten Senckenbergstr./Lahntal Liebighöhe/Wettenberg (159 m) ( m) ( m) 5 (159 m) ( m) ( m) (159 m) ( m) ( m) Wintermitteltemperatur Wintermitteltemperatur Wintermitteltemperatur -6 Wintermitteltemperatur Wintermitteltemperatur Wintermitteltemperatur Frühlingsmitteltemperatur Frühlingsmitteltemperatur Frühlingsmitteltemperatur 5-7 Mittelwert (-0,09 C) Mittelwert (0,77 C) Mittelwert (1,64 C) -7 Mittelwert (-0,09 C) Mittelwert (0,77 C) Mittelwert (1,64 C) Mittelwert (8,15 C) Mittelwert (8,61 C) Mittelwert (9,53 C) Trend 39 Jahre + 0,34 C Trend 84 Jahre - 0,64 C Trend 31 Jahre + 0,37 C -8 Trend 39 Jahre + 0,34 C Trend 84 Jahre - 0,64 C Trend 31 Jahre + 0,37 C Trend 39 Jahre + 0,59 C Trend 83 Jahre - 0,64 C Trend 30 Jahre + 0,68 C Jahr Jahr Jahr 22 7 Botanischer Garten 21 6 Botanischer (159 m) Garten (159 m) Sommer Winter Senckenbergstr./Lahntal Liebighöhe/Wettenberg Senckenbergstr./Lahntal ( m) Liebighöhe/Wettenberg ( m) ( m) ( m) -5 Sommermitteltemperatur Sommermitteltemperatur Sommermitteltemperatur 14-6 Mittelwert Wintermitteltemperatur (16,95 C) Mittelwert Wintermitteltemperatur (16,94 C) Mittelwert Wintermitteltemperatur (17,86 C) Trend 39 Jahre -0,08 C Trend 83 Jahre - 0,03 C Trend 30 Jahre + 0,41 C 13-7 Mittelwert (-0,09 C) Mittelwert (0,77 C) Mittelwert (1,64 C) Trend 39 Jahre + 0,34 C Trend 84 Jahre - 0,64 C Trend 31 Jahre + 0,37 C Jahr Jahr Botanischer Garten (159 m) Jahr Botanischer Garten (159 m) Herbst Senckenbergstr./Lahntal ( m) Liebighöhe/Wettenberg ( m) Herbstmitteltemperatur Herbstmitteltemperatur Herbstmitteltemperatur Mittelwert (8,54 C) Mittelwert (8,85 C) Mittelwert (9,51 C) Trend 39 Jahre + 0,41 C Trend 83 Jahre + 0,49 C Trend 30 Jahre + 0,54 C Jahr Senckenbergstr./Lahntal ( m) Liebighöhe/Wettenberg ( m) jährliche Durchschnittstemperatur jährliche Durchschnittstemperatur jährliche Durchschnittstemperatur Mittelwert (8,40 C) Mittelwert (8,80 C) Mittelwert (9,63 C) 4 Trend 39 Jahre + 0,42 C Trend 83 Jahre - 0,24 C Trend 30 Jahre + 0,42 C Jahr Quelle: Eigene Berechnungen (Datenquellen siehe Tabelle 3) 81

83 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel 5. Jahreszeitliche- und Jahresniederschlagsschwankungen in Gießen seit 1853 Der Niederschlag (hier nicht unterschieden in Regen, Hagel, Schnee, etc.) ist zeitlich und räumlich sehr variabel. Generell zeigen sich in Hessen die höchsten Niederschlagssummen auf dem Vogelsberg, in der Rhön sowie im Odenwald. Der Niederschlag unterliegt sowohl zwischen den Jahreszeiten, als auch von Jahr zu Jahr großen Schwankungen. Zusätzlich muss mit Messfehlern durch Windeinfluss gerechnet werden. Darüber hinaus wurden vor 1901 im Großherzogtum Hessen noch nicht überall Hellmann-Regenmesser verwendet (RAPP UND SCHÖNWIESE 1996). Aus diesem Grund ist große Vorsicht geboten bei der Bestimmung und Interpretation von Trends in der Niederschlagssumme. Die Abb. 8 zeigt die Jahreszeitlichenund Jahresschwankungen der Niederschlagssummen aus dem botanischen Garten ( , 159 m über Meer), Senckenbergstraße/Lahntal ( , m über Meer) sowie Liebighöhe/Wettenberg ( /2014, m über Meer). Dargestellt sind die absoluten Niederschlagssummen, der jeweilige Mittelwert sowie der lineare Trend. Keine der präsentierten Niederschlagstrends sind statistisch signifikant. Die Abb. 8 (oben links) zeigt die Winterniederschlagsschwankungen im botanischen Garten Gießens, Senckenbergstraße/Lahntal sowie Liebighöhe/Wettenberg. Das Winterniederschlagsmittel im botanischen Garten lag bei 137 mm. Über die Periode zeigt sich kein signifikanter Winterniederschlagstrend. Der trockenste Winter in dieser Periode war 1858 mit nur gerade 40 mm Niederschlag. Im feuchten Winter 1866/1867 fiel gut 6-mal mehr Niederschlag als 1857/1858. Der Mittelwert der Winterniederschläge der Station Senckenbergstraße/Lahntal ähnelt dem des botanischen Gartens. Verglichen mit dem botanischen Garten zeigen die Winterniederschläge allerdings größere Jahr-zu-Jahr Schwankungen auf. Generell trockene Winterbedingungen findet man insbesondere nach 1900 sowie in den 1930er und 1940er Jahren. Interessanterweise handelt es sich dabei gleichzeitig auch um die kalten Winter im Untersuchungsraum (Abb. 7). Die trockenen und kalten Winterbedingungen zu jener Zeit lassen sich vor allem auf einen geringeren Einfluss des Atlantiks und einer verstärkten Kontinentalität mit einem stark ausgeprägten Russlandhoch zurückführen. Der Mittelwert der Winterniederschläge an der Station Liebighöhe/Wettenberg ( /2014) lag etwas höher als an den beiden anderen Stationen. Besonders feucht war der Winter 1993/1994 (282 mm), der trockenste Winter der vergangenen drei Dekaden wurde 2005/2006 registriert (62 mm). Die letzten 30 Jahre wurden charakterisiert durch einen Rückgang der Winterniederschläge, jedoch ist der Trend nicht signifikant und von großen Winter-zu-Winter Schwankungen überlagert. In anderen Regionen Hessens, Deutschlands und Zentraleuropas war diese Periode eher geprägt 82

84 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel durch zunehmende Winterniederschläge. Die Zunahme an diesen Stationen ging unter anderem mit einer verstärkten Westwindströmung vom Atlantik Richtung Europa einher, welche Fronten mit überdurchschnittlichen Niederschlagssummen gebracht hat. Inwiefern dieser gegenläufige, aber nicht signifikante Trend auf die Lage der Station oder andere Faktoren zurückzuführen ist, lässt sich hier nicht abschließend klären. Die Abb. 8 (oben rechts) präsentiert die Frühlingsniederschlagsschwankungen an den drei Standorten. Das Frühlingsniederschlagsmittel im botanischen Garten Gießens lag über die 39- jährige Periode ähnlich wie im Winter bei 130 mm. Der trockenste Frühling im botanischen Garten war Im feuchtesten Frühling, 1856, fiel 5-mal mehr Niederschlag verglichen mit Der Mittelwert der Frühlingsniederschläge der Station Senckenbergstraße/Lahntal lag ähnlich wie im botanischen Garten. Ähnlich wie im Winter zeigen die Frühlingsniederschläge größere Jahr-zu-Jahr Schwankungen als im botanischen Garten und an beiden Stationen sind die Trends nicht signifikant. Auffallend sind die sehr feuchten Frühlinge am Ende der 1970er und anfangs der 1980er Jahre. Dabei fiel im Frühling mm mehr Niederschlag als im trockensten Frühling von Der Mittelwert an der Station Liebighöhe/Wettenberg ( ) lag bei 150 mm. Der feuchteste Frühling wurde 1984 registriert (300 mm), der trockenste 2011 (33 mm). Der Trend zu trockeneren Frühlingsbedingungen ist statistisch nicht signifikant. Die Abb. 8 (unten links) zeigt die Sommerniederschlagsschwankungen an den drei Stationen über die letzten 160 Jahre. Das Sommerniederschlagsmittel im botanischen Garten lag etwas über 200 mm und somit höher als in allen anderen Jahreszeiten. Dies ist typisch für mitteleuropäische Stationen. Die höheren Niederschlagssummen in den Sommermonaten basieren auf der Tatsache vermehrter gewittriger Niederschläge, die in kurzer Zeit große Mengen bringen (die in der Luft enthaltende Feuchtigkeit ist von der Lufttemperatur abhängig). Über die Periode zeigt sich kein signifikanter Sommerniederschlagstrend. Der trockenste Sommer im botanischen Garten war Im feuchtesten Sommer 1862 fiel 6-mal mehr Niederschlag. Der Mittelwert der Sommerniederschläge der Station Senckenbergstraße/Lahntal lag etwas tiefer als jener des botanischen Gartens. Der Unterschied zwischen dem trockensten (1976, ebenfalls trockenster Frühling im selben Jahr) und feuchtesten Sommer (1924) in den ersten acht Dekaden des 20. Jahrhunderts betrug 310 mm. Der Mittelwert der Sommerniederschläge an der Station Liebighöhe/Wettenberg ( ) lag bei 190 mm. 83

85 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Besonders in den letzten Dekaden erleben wir in Hessen vermehrt sommerliche Dürreperioden. Allerdings ist der Trend nicht statistisch signifikant. Die Abb. 8 (unten rechts) zeigt die Herbstniederschlagsschwankungen an den drei Stationen seit Das Herbstniederschlagsmittel im botanischen Garten lag bei rund 150 mm. Über die Periode zeigt sich kein signifikanter Herbstniederschlagstrend. Im feuchten Herbst 1882 fielen gut 200 mm Niederschlag mehr als im trockenen Herbst von Der Mittelwert der Herbstniederschläge der Station Senckenbergstraße/Lahntal lag im ähnlichen Rahmen wie im botanischen Garten. Die Jahr-zu-Jahr Schwankungen sind hier allerdings deutlicher ausgeprägt. Der trockenste Herbst in der Periode war In diesem Herbst fiel rund 6- mal weniger Regen als im feuchtesten Herbst von Wie im botanischen Garten zeigen sich auch an diesem Standort keine signifikanten Änderungen über die 83 Jahre. Der Mittelwert der Herbstniederschläge an der Station Liebighöhe/Wettenberg ( ) lag in einem ähnlichen Rahmen wie an den beiden anderen Stationen. Der feuchteste Herbst war 1998, der trockenste Herbst Die Tendenz der Herbstniederschläge ist rückläufig, allerdings ist der Trend nicht signifikant. Die Abb. 8 (unten Mitte) präsentiert die Jahresniederschlagsschwankungen an den drei Stationen seit Das Jahresniederschlagsmittel im botanischen Garten lag bei gut 630 mm (siehe auch Abb. 6). Über die Periode zeigt sich kein signifikanter Trend. Das feuchteste Jahr wurde 1882 registriert, das trockenste Jahr im botanischen Garten war Im Jahr 1882 fiel doppelt so viel Niederschlag wie im Jahr Der Mittelwert der Jahresniederschläge der Station Senckenbergstraße/Lahntal lag bei gut 600 mm. Generell trockene Jahre finden sich in den 1930er und 1940er Jahren. Verantwortlich für diese trockenen Bedingungen waren insbesondere die Winter, Sommer und Herbste. Interessanterweise war diese Periode auch charakterisiert durch generell tiefe Jahresdurchschnittswerte der Temperatur (Abb. 7). Oft verstärken sich somit die Wirkungen verschiedener Wetterelemente gegenseitig. Das trockenste Jahr mit rund 300 mm Niederschlag war Es zeigt sich, dass dabei alle Jahreszeiten zur Trockenheit beigetragen haben. Mehr als 3-mal mehr Niederschlag fiel dagegen im Jahr Der Mittelwert der Jahresniederschläge an der Station Liebighöhe/Wettenberg ( ) beträgt 650 mm. Tendenziell sind die Jahresniederschläge rückläufig, aber wegen der großen Variabilität statistisch nicht signifikant. 84

86 Niederschlag [mm] Niederschlag [mm] Niederschlag [mm] Niederschlag [mm] Niederschlag [mm] Niederschlag [mm] Niederschlag [mm] Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Abbildung 8: Jahreszeitliche- und Jahresschwankungen der Niederschlagssummen botanischer Garten ( , 159 m) schwarz, Senckenbergstraße/Lahntal ( , m) blau und Liebighöhe/Wettenberg ( /2014, m) rot. Dargestellt sind die absoluten Niederschlagsmengen, der jeweilige Mittelwert sowie der lineare Trend Botanischer Garten (159 m) Winter Senckenbergstr./Lahntal ( m) Liebighöhe/Wettenberg ( m) Botanischer Garten (159 (159 m) m) Frühling Senckenbergstr./Lahntal Liebighöhe/Wettenberg ( m) m) ( m) m) Winterniederschlagssummen Winterniederschlagssummen Winterniederschlagssummen 0 Mittelwert (137 mm) Mittelwert (140 mm) Mittelwert (147 mm) Trend 39 Jahre -3,15 mm Trend 83 Jahre +30,17 mm Trend 31 Jahre -38,6 mm (50) Jahr Frühlingsniederschlagssummen Frühlingsniederschlagssummen Frühlingsniederschlagssummen 0 0 Mittelwert (130 (130 mm) mm) Mittelwert (132 (132 mm) mm) Mittelwert (151 (151 mm) mm) Trend Trend Jahre Jahre -26,38-26,38 mm mm Trend Trend Jahre Jahre +24,34 +24,34 mm mm Trend Trend Jahre Jahre -42,29-42,29 mm mm Jahr Jahr Botanischer Garten (159 m) Sommer Senckenbergstr./Lahntal ( m) Liebighöhe/Wettenberg ( m) Botanischer Garten Botanischer Garten (159 m) (159 m) Herbst Frühling Senckenbergstr./Lahntal Liebighöhe/Wettenberg Senckenbergstr./Lahntal ( m) Liebighöhe/Wettenberg ( m) ( m) ( m) Herbstniederschlagssummen Herbstniederschlagssummen Herbstniederschlagssummen Sommerniederschlagssummen Sommerniederschlagssummen Sommerniederschlagssummen Frühlingsniederschlagssummen Frühlingsniederschlagssummen Frühlingsniederschlagssummen 0 0 Mittelwert (216 mm) Mittelwert (190 mm) Mittelwert (189 mm) 0 Mittelwert (152 mm) Mittelwert (149 mm) Mittelwert (162 mm) Mittelwert (130 mm) Mittelwert (132 mm) Mittelwert (151 mm) Trend 39 Jahre -1,29 mm Trend 83 Jahre -1,66 mm Trend 30 Jahre +39,88 mm Trend 39 Jahre +9,66 mm Trend 83 Jahre +3,50 mm Trend 30 Jahre -52,00 mm Trend 39 Jahre -26,38 mm Trend 83 Jahre +24,34 mm Trend 30 Jahre -42,29 mm Jahr Jahr Jahr Botanischer Garten (159 m) Jahr Senckenbergstr./Lahntal ( m) Liebighöhe/Wettenberg ( m) Jahresniederschlagssummen Jahresniederschlagssummen Jahresniederschlagssummen 200 Mittelwert (632 mm) Mittelwert (609 mm) Mittelwert (649 mm) Trend 39 Jahre -17,76 mm Trend 83 Jahre +58,17 mm Trend 30 Jahre -93,6 mm Jahr Quelle: Eigene Berechnungen (Datenquellen siehe Tabelle 3) 85

87 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel 6. Die Sommerklimabedingungen in und um Gießen im Kontext der letzten 2500 Jahre Um Klimabedingungen vor dem Zeitalter flächendeckender instrumenteller Wetteraufzeichnungen, also im Falle von Gießen grob vor der Mitte des 19. Jahrhunderts, bedarf es indirekter Aufzeichnungen. Dies erfolgt mit Hilfe von sogenannten Proxy-Daten, die uns indirekt (nicht direkt gemessen) Informationen über das vergangene Klimageschehen liefern. Hierbei handelt es sich um indirekte Klimazeiger oder Klimazeugen; Archive, welche Rückschlüsse auf vergangene Zustände des Klimas zulassen. Unterschieden wird zwischen natürlichen und gesellschaftlich-kulturellen Proxy-Daten (z. B. BRAZDIL et al. 2005, 2010). Zu der ersten Gruppe zählen organische Quellen wie Jahresringe von Bäumen, Tier- und Pflanzenreste, Pollen, etc. Dazu kommen nicht organische Befunde aus Eisbohrkernen (Isotopenverhältnisse innerhalb der im Eis eingeschlossenen Luftblasen), See- und Meersedimente (Ablagerungen am Grund), Tropfsteine von Höhlen, Korallen und Gletscherstände (Vor- und Rückzugsphasen). Zu der Gruppe der gesellschaftlichen Proxy-Archive gehören Dokumentenaufzeichnungen. Es handelt sich hierbei meist um historische Schriften aus kommunalen Registern, kirchlichen Einrichtungen, Reiseberichten, Witterungstagebüchern, etc. (z. B. BRAZDIL et al. 2005, 2010). Beispiele für Gießen, Marburg und das nördliche Hessen findet man in den Arbeiten von HOFMEISTER (2007, 2014) und BÜNTGEN (2009). Solche Quellen können wichtige meteorologische und klimatische Informationen enthalten. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang sind beispielsweise Beschreibungen von Naturkatastrophen, Witterungsverläufen, Wasserständen von Seen und Flüssen, Vereisungen, Dauer der winterlichen Schneebedeckung, Blüte- und Reifezeiten von Kulturpflanzen, sowie Berichte über Erntetermine und Weinmosterträge. Neuste Untersuchungen der Klima-Baumwachstumsbeziehung (welche Klimaparameter beeinflussen das Wachstum an erster Stelle) zahlreicher Baumarten innerhalb der Deutschen Mittelgebirge haben gezeigt, dass jährliche Zuwachsraten der Eiche im zentralen und Norden Hessens (Kellerwald) wesentlich durch Sommertrockenheit, respektive des zur Verfügung stehenden Bodenwassers gesteuert werden (BÜNTGEN et al. 2011). Die Eichen Hessens zeigen nur ein sehr schwaches Temperatursignal. Neben dem gespeicherten Witterungssignal ist es die traditionelle Verwendung der Eiche als Bauholz, die sie für dendroklimatologische Untersuchungen qualifiziert. Die zahllosen Fachwerkhäuser, Burgen, Schlösser und Kirchen im Großraum Kassel stellen bemerkenswerte Fundgruben historischer Eichenbalken dar und gewährleisten somit eine lückenlose Probenbelegung über Jahrhunderte zurück. Die berücksichtigten hunderte von Eichenproben, sowohl der lebenden Bäume als auch von histori- 86

88 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel schen Balken wurden während ihres individuellen Wachstums durch den gleichen Klimaparameter, die Sommertrockenheit, gesteuert. Während die lebenden Eichen im Kellerwald beprobt wurden, umfasst das Einzugsgebiet der historischen Untersuchung neben dem nördlichen Hessen auch das südliche Niedersachsen (BÜNTGEN 2009; BÜNTGEN et al. 2011). Ein klimageographisch homogener Raum ist dennoch gewährleistet und hat somit auch seine Gültigkeit für den Großraum Gießens. Die Sommerniederschlagsverhältnisse in Hessen der letzten rund 2500 Jahre, inklusive Unsicherheiten, sind in Abb. 9 dargestellt. Generell feuchtere Sommer wurden in den Jahrhunderten vor Christi Geburt registriert, allerdings sind hier wegen der geringeren Baumringinformationen die Unsicherheiten am größten. Feuchtere Sommerbedingungen herrschten wahrscheinlich auch im 5. sowie im Übergang vom 9. zum 10. Jahr-hundert vor. Danach sind die Schwankungen geringer und es ist kein signifikanter Trend ableitbar. Die mittleren Sommerniederschlagsbedingungen der letzten Jahrhunderte liegen somit einem ähnlichen Rahmen wie die in Abb. 10 besprochenen instrumentellen Schwankun-gen der Gießener Stationen. Die Sommerniederschlagsschwankungen der letzten rund 160 Jahre in und um Gießen sind somit nicht außergewöhnlich im Kontext der letzten rund 2500 Jahre. In Abb. 9 sind ebenfalls rekonstruierte zentraleuropäische Sommertemperaturen der letzten 2500 Jahre dargestellt. Sie sind aus den an der oberen Waldgrenze wachsenden Lärchen (Jahresringbreiten- und Dichtemessungen) sowie unzähligen historischen Proben aus Holzhäusern statistisch rekonstruiert worden (BÜNTGEN et al. 2011). Auch wenn die Daten nicht direkt aus Hessen stammen, so dürften die hier kurz beschriebenen Langfristtrends der Sommertemperatur mit großer Wahrscheinlichkeit auch charakteristisch für den Großraum Gießen angesehen werden. Auf eine warme Römerzeit folgt eine Abkühlung ab dem 3. Jahrhundert bis ins 7. Jahrhundert. Auf eine Phase milderer Sommer vor ungefähr 700 bis 800 Jahren, dem so genannten Mittelalterlichen Klimaoptimum, folgt eine Sommertemperaturdepression die vom 14. Jahrhundert bis ungefähr 1820, die Kleine Eiszeit, anhält. Ein Vergleich mit den Sommertemperaturbedingungen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts im botanischen Garten sowie Senckenbergstraße/Lahntal (Abb. 9) zeigt eine gute Übereinstimmung. Im Mittel ändern sich die Sommertemperaturen nur unwesentlich. Der starke Sommertemperaturanstieg über die letzten 3 Dekaden zeigt sich in den Baumringrekonstruktionen des südlichen zentralen Europas (BÜNTGEN et al. 2011) ebenso wie am Standort Liebighöhe/Wettenberg. Falls diese Sommertemperaturrekonstruktionen zuverlässig sind und als repräsentativ für den Gießener Raum betrachtet werden können, so können wir festhalten, dass wir im Kontext der letzten 2500 Jahre aktuell in einer außergewöhnlich warmen Zeit leben. 87

89 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Abbildung 9: Oben: Geographische Verteilung von Bauminformationen aus Zentraleuropa (in blau), mittig: auf Bauminformationen basierende statistisch rekonstruierte 2500 jährige Sommerniederschläge (in blau mit Unsicherheiten, in mm) und Sommertemperaturen (in rot mit Unsicherheiten, als Abweichungen vom Mittel) für Großteile Hessens, unten: Änderung der zur Verfügung stehenden Bauminformationen über die Zeit Quelle: BÜNTGEN et al

90 Eintrittstag der Phänophase Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel 7. Klimabiomonitoring Erst mit dem Zusammenschluss bestehender phänologischer Beobachtungsnetze zum Phänologischen Dienst im Deutschen Reichswetterdienst 1936 erfolgten systematische phänologische Beobachtungen auf dem Gebiet der derzeitigen Bundesrepublik. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges wird das phänologische Beobachtungsnetz vom Deutschen Wetterdienst betreut; nach der Wiedervereinigung wurde der Meteorologische Dienst der DDR dort eingegliedert. Während die Zeitreihe Professor Hoffmanns im botanischen Garten in Gießen nicht wieder aufgenommen wurde, existierte seit 1951 eine Beobachtungsstation in Heuchelheim. Diese stellte 1991 den Betrieb ein, wobei eine neue Station 1987 in Krofdorf-Gleiberg die Beobachtung aufnahm. Der in Abb. 10 zu beobachtende "Sprung" im Jahr 1987 in der Zeitreihe "Gießen" für den Beginn der Apfelblüte ist auf ein unterschiedliches Mikroklima der zwei Beobachtungsstandorte zurückzuführen. Bei der Auswertung phänologischer Zeitreihen ist deshalb zu gewährleisten, dass berechnete Trends "real" sind und nicht durch Veränderungen in Anzahl und Lage der Beobachtungsstationen (mit)geprägt werden (GRÜNHAGE 2012). Des Weiteren ist zu beachten, dass berechnete Trends nicht durch fehlende Beobachtungsjahre innerhalb der Zeitreihe einer spezifischen Beobachtungsstation (mit)geprägt werden. Im Raum Gießen (Naturraum "Marburg-Gießener-Lahntal") genügen lediglich die Beobachtungsstationen Odenhausen, Niederwalgern und Marburg den genannten Forderungen. Abbildung 10: Eintrittstage der Apfelblüte gemittelt aus den Daten der Beobachtungsstationen in Odenhausen, Niederwalgern und Marburg, im Vergleich zu den Eintrittstagen der Apfelblüte in Gießen Eintrittstag: Gießen 95 Mittlerer Eintrittstag: Odenhausen, Niederwalgern, Marburg Quelle: Eigene Darstellung, Datenquelle Phänologiedatenbank des DWD 89

91 absolute Häufigkeit Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Das Beobachtungsprogramm des Deutschen Wetterdienstes umfasst derzeit 187 phänologische Phasen von Wildpflanzen, Forst- und Ziergehölzen, landwirtschaftlichen Kulturpflanzen, Obst und Weinreben. Für den Naturraum "Marburg-Gießener-Lahntal" konnten 82 Phasen ausgewertet werden, die für jeweils mindestens sieben Beobachtungsjahre pro Dekade im Zeitraum dokumentiert sind. Abb. 11 zeigt die absolute Häufigkeit (Anzahl der Phasen pro Einteilungsklasse) der zeitlichen Verschiebung in den mittleren Eintrittstagen der untersuchten Phänophasen zwischen der Klimareferenzperiode und dem Zeitraum Für die überwiegende Anzahl der untersuchten Phasen hat sich der Phaseneintritt in den letzten zwei Dekaden verfrüht; im Mittel um eine Woche (negative Werte auf der x-achse). Verspätete Phaseneintritte (positive Werte auf der x-achse), die alle statistisch nicht signifikant sind, sind lediglich für Entwicklungsstadien zu verzeichnen, die im Herbst auftreten. Diese Auswertung belegt, dass der Klimawandel bereits "vor unserer Haustür" angekommen ist. Abbildung 11: Absolute Häufigkeitsverteilung der zeitlichen Verschiebung von 82 phänologischen Phasen zwischen den Klimaperioden und im Naturraum Marburg-Gießener-Lahntal Tage signifikant nicht signifikant Quelle: Eigene Darstellung, Datenquelle Phänologiedatenbank des DWD Sogenannte Phänologische Uhren sind geeignet, zum Beispiel mittlere Veränderungen im Phaseneintritt über die gesamte Vegetationszeit hinweg für eine einzelne Pflanzen-/Kulturart zu visualisieren. In Abb. 12 ist eine derartige doppelte Phänologische Uhr für Riesling am Referenzstandort Eltviller Sonnenberg im Rheingau dargestellt. Die Eintrittstage der verschiedene Entwicklungsstadien bzw. des Lesebeginns des Zeitraums sind im inneren Ring der 90

92 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Uhr denen des Zeitraumes im äußeren Ring gegenübergestellt. Die durchgezogenen Linien visualisieren den mittleren Eintrittstag der entsprechenden Phase, die Standardabweichung die Variation im Phaseneintritt von Jahr-zu-Jahr. Eine generelle Verfrühung im Phaseneintritt, insbesondere auch im Lesebeginn über die letzten 20 Jahre zu verzeichnen. Abbildung 12: Doppelte Phänologische Uhr für Riesling der Lage Eltviller Sonnenberg, Rheingau Quelle: Eigene Darstellung, Bereitstellung der Daten durch Regierungspräsidium Darmstadt, Dezernat Weinbau, Eltville Aus Abb. 13 wird darüber hinaus deutlich, dass der stattfindende Klimawandel nicht nur Bedeutung für die pflanzliche Entwicklung hat, sondern bereits heute auch Auswirkungen auf die Produktqualität des Weines hat. So erhöhte sich in den vergangenen 20 Jahren das Mostgewicht, während der Säuregehalt gesunken ist. Abbildung 13: Entwicklung des Mostgewichts und des Säuregehalts des Rieslings der Lage Eltviller Sonnenberg, Rheingau, Quelle: Eigene Darstellung, Bereitstellung der Daten durch Regierungspräsidium Darmstadt, Dezernat Weinbau, Eltville 91

93 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel 8. Fazit Im Raum Gießen existieren, dank der Pionierarbeit von Botanikprofessor Hermann Hoffmann im botanischen Garten, regelmäßige meteorologische Aufzeichnungen bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Seine Messungen liefern erste wichtige Anhaltspunkte zum Temperatur- und Niederschlagsgeschehen sowie den Auswirkungen auf die Pflanzenwelt. In der Folge wurden an verschiedenen Standorten in und um Gießen Wetterelemente gemessen. Die Messungen an den unterschiedlichen Stationen, welche insbesondere durch den deutschen Wetterdienst aufgezeichnet wurden, sind unterschiedlich lang. Der Niederschlag der letzten rund 160 Jahre zeigt sehr große Schwankungen von Jahr-zu-Jahr und die jahreszeitlichen Trends an den drei Standorten botanischer Garten ( ), Senckenbergstraße/Lahntal ( ) sowie Liebighöhe/Wettenberg ( ) sind mit Ausnahme der Frühlingsabkühlung Senckenbergstraße/Lahntal ( ) statistisch nicht signifikant. Generell trockenere Verhältnisse finden sich am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowie in den 1930er und 1940er Jahren. Verantwortlich für die trockenen und auch kühleren Bedingungen waren die Wintermonate sowie die Monate von Juni bis November. Oft verstärken sich die Wirkungen von verschiedenen Wetterelementen gegenseitig. Ein Vergleich mit unabhängigen Niederschlagsrekonstruktionen aus Baumringinformationen deutet darauf hin, dass die sommerlichen Regenmengen im Raum Gießen im Rahmen natürlicher Schwankungen der letzten rund 2500 Jahre liegen. Die beobachtete Erwärmung der letzten Dekaden zeigt sich weltweit, kontinental sowie regional. Auch im Raum Gießen waren viele Jahre seit Mitte der 1980er Jahren nicht nur besonders warm, sondern gerade auch im Sommer noch zusätzlich eminent trocken. Laut Hauptaussagen des neuen IPCC-REPORTS (2013) ist der Einfluss des Menschen auf das Klimasystem eindeutig. Ein Vergleich mit unabhängigen Sommertemperaturrekonstruktionen aus Baumringinformationen zeigen, dass wir heute im Raum Gießen im Kontext der letzten 2500 Jahre in einer außerordentlich warmen Zeit leben. Der aktuelle Klimawandel in Hessen und seine Auswirkungen auf verschiedene Sektoren ist bereits zu beobachten und durch verschiedene Arbeiten dokumentiert. Die Vegetation reagiert auf den Erwärmungstrend mit einer beschleunigten Entwicklung; eine Desynchronisierung zwischen Blüte und dem Auftreten von Bestäubern könnte unter Umständen die Folge sein. Auswirkungen auf die Produktqualität sind ebenfalls bereits zu verzeichnen, wie am Beispiel des Rieslings der letzten gut 20 Jahre gezeigt wurde (Zunahme des Mostgewichts bei 92

94 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel abnehmendem Säuregehalt). Mit der Verlängerung der Vegetationszeit wird in der Landwirtschaft über die Möglichkeit einer zweiten Ernte diskutiert. Weitere Informationen zum Klima, seinen Änderungen und Auswirkungen in Hessen finden sich auf den Internetseiten des HLUG (Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie), des Fachzentrums Klimawandel Hessen ( ( sowie beim Deutschen Wetterdienst DWD ( Danksagung Ludger Grünhage und Jürg Luterbacher danken der LOEWE-Exzellenzinitiative Hessens im Rahmen des Schwerpunktes FACE2FACE - Folgen des Klimawandels, Anpassung an den Klimawandel und Verminderung von Treibhausgasemissionen bis Wir danken dem Deutschen Wetterdienst DWD und dem Regierungspräsidium Darmstadt für das zur Verfügung stellen der Klima- und Phänologiedaten. 93

95 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel Referenzen BARRIOPEDRO, D.; FISCHER, E.M.; LUTERBACHER, J.; TRIGO, R.M.; GARCIA-HERRERA, R. (2011): The hot summer of 2010: redrawing the temperature record map of Europe. Science, 332, BRAZDIL, R.; PFISTER, C.; WANNER, H.; VON STORCH, H.; LUTERBACHER, J. (2005): Historical climatology in Europe The State of the Art. Clim. Change, 70, BRAZDIL, R.; DOBROVOLNY, P.; LUTERBACHER, J.; MOBERG, A.; PFISTER, C.; WHEEHLER, D.; ZORITA, E. (2010): European climate of the past 500 years: new challenges for historical climatology. Clim. Change, 101, BRÖNNIMANN, S.; LUTERBACHER, J.; STÄHELIN, J.; SVENDBY, T.M.; HANSEN, G.; SVENOE, T. (2004): Extreme climate of the global troposphere and stratosphere related to El Niño, Nature, 431, BÜNTGEN, U. (2009): Was uns Jahrringe über die Klimageschichte Nordhessens erzählen Ergebnisse dendroklimatologischer Untersuchungen. 11 Seiten. BÜNTGEN, U.; TEGEL, W.; NICOLUSSI, K.; MCCORMICK, M., FRANK, D.; TROUET, V.; KAPLAN, J.O.; HERZIG, F.; HEUSSNER, K.- U.; WANNER, H.; LUTERBACHER, J.; ESPER, J. (2011): 2500 Years of European Climate Variability and Human Susceptibility. Science, 331, DOVE, H. W. (1858): Über die nicht periodischen Veränderungen der Temperaturvertheilung auf der Oberfläche der Erde. Sechste Abhandlung. Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin S Berlin DOVE, H. W. (1874): Klimatologie von Deutschland nach den Beobachtungen des preussischen meteorologischen Instituts von 1848 bis In: Preussische Statistik Band XXXII, Hrsg. KÖNIGLICHES STATISTISCHES BUREAU IN BERLIN. PP GEBHARDT, H.; RAMMERT, U.; SCHRÖDER, W.; WOLF, H. (2010): Klima-Biomonitoring: Nachweis des Klimawandels und dessen Folgen für die belebte Umwelt. Umweltwissenschaften und Schadstoff-Forschung 22, GLASER, R. (2008): Klimageschichte Mitteleuropas Jahre Wetter, Klima, Katastrophen. Primus Verlag: Darmstadt. GRÜHNHAGE, L. (2012): Klima-Biomonitoring - Die Bedeutung langer Zeitreihen. Phänologie-Journal 39, 8. HELLMANN, G. (1906): Die Niederschläge in den Norddeutschen Stromgebieten. Band I(Text) bis Band III, Tabellen. Verlag Dietrich Reimer, Berlin. HOFMEISTER, J. (2007): Klima, Witterung und Hochwasser im Raum Marburg-Gießen seit der Frühen Neuzeit. Eine Analyse von Messdaten und historischen Witterungsbeschreibungen. Books on Demand GmbH: Norderstedt. HOFMEISTER, J. (2014): Historische Überlieferungen über Witterung und Klima aus dem 16. bis 19. Jahrhundert in Mittelhessen. Mit einem Schwerpunkt auf der Forstwirtschaft. E. Ferger Verlag: Bergisch Gladbach. HOFFMANN, H. (1857): Witterung und Wachstum oder Grundzüge der Pflanzenklimatologie. In: Botanische Zeitung: Leipzig. S HOFFMANN, H. (1866): Das Klima in Gießen, nach den im botanischen Garten zu Gießen angestellten, meteorologischen Beobachtungen. In: Allgemeine Forst- und Jagdzeitschrift, Band 42 S Frankfurt. HOFFMANN, H. ( ): Nachträge zur Flora des Mittelrhein-Gebietes [8 Folgen, zuerst erschienen in den Berichten der Oberhessischen Gesellschaft für Natur- u. Heilkunde; Konvolut aller 8 Folgen, mit einer Vorbemerkung von Gerwin Kasperek (März 2011), 392 S., nicht fortlaufend paginiert, inkl. 2 Tafeln. HOFFMANN, H. (1881): Resultate der meteorologischen Beobachtungen zu Giessen. In den»mitteilungen der Grossherzoglich Hessischen Centralstelle für Landesstatistik. Jahrgang 1881.«HOFFMANN, H. (1885): Resultate der wichtigsten pflanzen-phänologischen Beobachtungen in Europa nebst einer Frühlingskarte. Gießen: J. Ricker'sche Buchhandlung. IPCC (2013): Climate Change 2013: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [STOCKER, T.F.; D. QIN; G.-K. PLATTNER; M. TIGNOR; S.K. ALLEN; J. BOSCHUNG; A. NAUELS; Y. XIA; V. BEX and P.M. MIDGLEY (eds.)]. Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA, 1535 p. ( IPCC WG2 (2014): Climate Change 2014:Impacts, Adaptation, and Vulnerability. ( KASPAR, F.; MÜLLER-WESTERMEIER, G.; PENDA, E.; MÄCHEL, H.; ZIMMERMANN, K.; KAISER-WEISS, A.; DEUTSCHLÄNDER, T. (2013): Monitoring of climate change in Germany data, products and services of Germany's National Climate Data Centre. Adv. Sci. Res., 10, ( LUTERBACHER, J.; DIETRICH, D.; XOPLAKI, E.; GROSJEAN, M.; WANNER, H. (2004): European seasonal and annual temperature variability, trends, and extremes since 1500, Science, 303, LUTERBACHER, J.; LINIGER, M.A.; MENZEL, A.; ESTRELLA, N.; DELLA-MARTA; P.M., PFISTER, C.; RUTISHAUSER, T.; XOPLAKI, E. (2007): The exceptional European warmth of Autumn 2006 and Winter 2007: Historical context, the underlying dynamics and its phenological impacts. Geophys. Res. Lett., 34, L MANGOLD, E. (1918): Hoffmann, Hermann. In: HAUPT (Hrsg.): Hessische Biographien Band 1 (1918), Hessischer Staatsverlag, Darmstadt, S. 20 f. RAPP, J. und C.-D. SCHÖNWIESE (1996): Atlas der Niederschlags- und Temperaturtrends in Deutschland Frankfurter Geowissenschaftliche Arbeiten, Serie B. Meteorologie und Geophysik. Band korr. Aufl. Frankfurt am Main, 1996, S. 28 u. 32f. 94

96 Jürg Luterbacher, Dilek Akcakaya, Laura M. Luber, Isabell Diehl, Johannes Hofmeister, Ludger Grünhage, Hermann Mächel REICHSAMT FÜR WETTERDIENST (1939): Klimakunde des Deutschen Reiches, Band II, Tabellen. Verlag von Dietrich Reimer, Berlin. ROBINE, J.-M., et al. (2008): Death toll exceeded 70,000 in Europe during the summer of 2003, C. R. Biologies 331, RUTISHAUSER, T.; LUTERBACHER, J.; DEFILA, C.; FRANK, D.; WANNER, H. (2008): Swiss spring plant phenology 2007: Extremes, a multi-century perspective, and changes in temperature sensitivity. Geophys. Res. Lett., 35, L SCHMIDT, G.G. (1824): Bodenwärme zu Gießen. Archiv für die gesammte Naturlehre, I. Band, S Nürnberg. SCHMIDT, G.G. (1831): Einige Bemerkungen über die klimatischen Verhältnisse von Gießen. - Notizen aus dem Gebiet der Natur- und Heilkunde, Band 31, Nr. 6, S Gießen. SCHNELLE, F. (1955): Pflanzen-Phänologie. Leipzig: Akademische Verlagsgesellschaft Geest & Portig K.-G. SCHÖNWIESE, C. D. (2008): Klimatologie. 3 Aufl. UTB Verlag: Stuttgart. STREITFERT, A. und GRÜNHAGE, L. (2010): Klimawandel und Pflanzenphänologie in Hessen. Gefahrstoff und Reinhaltung der Luft, Heft April, Springer-VDI-Verlag, Düsseldorf. S WEIMANN, H.J. (2001): Gärten der Ludoviciana. Lust und Frust. Geschichte der Geschichten. Verlag des Verfassers: Biebertal. WUNSCHMANN, E. (1905): Hoffmann, Hermann. In: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S

97 Oliver Wild und Frank Volker Exkursionen und Geländeübungen - ein wichtiger Bestandteil des Geographie-Studiums Oliver Wild und Frank Volker Ein erfolgreiches Studium der Geographie kann nicht ausschließlich im Hörsaal stattfinden. Nehmen Sie alles, was Sie in Vorlesungen und Übungen hören, als Anregung für eigene Beobachtungen im Gelände. Nehmen Sie an so vielen EXKURSIONEN und GELÄNDEÜBUNGEN wie möglich teil! Dort lernen Sie geographisches Denken. Die dort gemachten Beobachtungen und Inhalte prägen sich besser ein als ein theoretischer Stoff aus dem Hörsaal. Diese Zitate stammen aus dem Buch Geographisch denken und wissenschaftlich arbeiten von AXEL BORSDORF (2007), das sich vor allem auch an Studienanfänger und -anfängerinnen der Geographie im deutschsprachigen Raum richtet. Wir haben hier am Institut für Geographie ganz ähnliche Erfahrungen gemacht und aus den Rückmeldungen der Teilnehmer können wir schließen, dass unsere Studierenden ihre Exkursionen immer wieder als positiv und hilfreich bewerten. Eine oft gehörte Aussage lautet: Die Lehrinhalte der Vorlesungen, Seminare und Übungen werden erst vor Ort, im Gelände, richtig greifbar. Auch die Verlagerung von Vorlesungsteilen aus dem Hörsaal ins Gelände ist von zahlreichen Studierenden als sehr vorteilhaft gewertet worden. In den vergangenen Jahren haben wir daher im Anschluss an Vorlesungen, Übungen und Seminare zur Physischen Geographie zahlreiche große und kleine Exkursionen mit unseren Studierenden durchgeführt. Als Exkursionsräume haben wir uns hierbei auf die Bundesländer Hessen, Bayern und Baden-Württemberg konzentriert. Dies darf nicht als eine Herabwürdigung der anderen deutschen Teilgebiete verstanden werden, sondern resultiert aus der eingeforderten Verschlankung und Straffung der Studienverläufe mit einer Reduzierung der Pflichtexkursionen in den Bachelor- und Lehramts-Studiengängen. Ein Hauptargument für diese regionale Fokussierung liegt in der Kombination von Vielfalt und kurzen Distanzen, wie es auch von EBERLE et al. (2010) so treffend bemerkt wird: Süddeutschland gehört zu den abwechslungsreichsten Landschaften der Erde. In kaum einer anderen Region findet sich auf 96

98 Oliver Wild und Frank Volker so engem Gebiet eine vergleichbare Vielfalt an Naturräumen unterschiedlichster geologischtektonischer und geomorphologischer Geschichte. Ein weiteres, insbesondere für unsere Studierenden nicht zu vernachlässigendes Argument, ist neben den bereits erwähnten kurzen Distanzen zwischen dem Studienort Gießen und den Exkursionspunkten deren generell leichte Erreichbarkeit. Dies ermöglicht dem einzelnen Studierenden oder auch studentischen Interessensgruppen, in Eigeninitiative die Exkursionspunkte nachzuarbeiten, etwa an Wochenenden oder auch während der sog. vorlesungsfreien Zeit. Gerade für unsere Lehramts-Studierenden dürfte dies von besonderem Interesse sein, liegen doch etliche Exkursionspunkte in der Nachbarschaft von potentiellen zukünftigen Arbeitsstellen. Aus der Vielzahl der Geländepunkte stellen wir nachfolgend eine Auswahl vor, die über die Jahre hinweg bei den Studierenden besonderen Anklang gefunden haben und die bei Evaluierungen als sehr hilfreich für das tiefere Verständnis des Vorlesungs- und Seminarstoffs eingestuft wurden. Abbildung 1: Die innerhalb von Exkursionen besuchten und hier vorgestellten Lokationen, geordnet von Nord nach Süd Stettenrain Eisenbühl Sandgrube Grafenrain Hesselberg Ipf bei Bopfingen Kloster Neresheim Brenztopf Eselsburger Tal Quelle: Erstellt auf Grundlage von Google Earth 97

99 Oliver Wild und Frank Volker 1. Der Hesselberg: Süddeutsches Schichtstufenland und Jura-Stratigraphie Der Hesselberg (Breite: 49 4'3.79"N; Länge: 10 31'44.42"E) ist mit 689 m ünn die höchste Erhebung Mittelfrankens (Abb. 1: Lokation D). Der langgesteckte, von allen Seiten weithin sichtbare Bergrücken, der sich so markant aus der flachhügeligen Keuperlandschaft heraushebt, überragt seine Umgebung um mehr als 200 m. Das gesamte Profil des Hesselbergs ist durch einen geologischen Lehrpfad mit Informationstafeln sehr gut erschlossen. Man kann hier auf kurzer Strecke die gesamte Schichtfolge des Fränkischen Jura durchwandern. Auffällig sind hierbei die deutlichen Unterschiede in der Hangneigung, die auf Wechsel der Gesteinsschichten mit unterschiedlichem Verwitterungsverhalten zurückzuführen sind. Entlang des Lehrpfades finden sich Aufschlüsse im Posidonienschiefer (Unterjura; Lias epsilon), Opalinuston (Mitteljura; Dogger alpha), Eisensandstein (Mitteljura; Dogger beta) sowie in den harten Malmkalken des Oberjura. Letztere sowie der Eisensandstein bilden die schon erwähnten markanten Versteilungen im Hangprofil aus. Abbildung 2: Drei charakteristische Gesteine des Hesselbergs: Heller Kalk (Oberjura), brauner Eisensandstein (Mitteljura) und grauschwarzer Posidonienschiefer (Unterjura) Quelle: Eigene Aufnahme 98

100 Oliver Wild und Frank Volker 2. Die Entstehung des Hesselbergs Wie kann es sein, dass die Gesteine des Fränkischen Jura aus ihrem ehemaligen Verbreitungsgebiet in Mittelfranken durch Erosion weitestgehend entfernt wurden, im Gebiet des Hesselbergs aber heute noch vorhanden sind und dort sogar einen markanten Berg bilden? Die Antwort liegt in tektonischen Bewegungen, die zu einer vertikalen Verstellung einzelner Bereiche geführt haben. Zeitlich sind diese tektonischen Prozesse grob einzuordnen zwischen der Bildung der Gesteine und der großflächigen Abtragung der Malmkalke im heutigen Alb- Vorland. Es kam demnach in der Kreide oder im Alttertiär zu lokalen vertikalen Bewegungen, bei denen das Gebiet des heutigen Hesselbergs relativ zu seiner Umgebung abgesenkt wurde (BAYERISCHES LFU 2011). Das Resultat war eine tektonische Mulde. Die Gesteine, die heute den Hesselberg bilden, waren dadurch vor den an der Oberfläche ablaufenden Erosionsprozessen zunächst geschützt. Die harten Malmkalke sind zudem widerstandsfähiger gegen Abtragung und Verwitterung als die darunterliegenden Dogger- und Lias-Schichten. Sobald die harten Malmkalke außerhalb der tektonischen Mulde abgetragen waren, konnte die Erosion dort rascher voranschreiten. So wurde im Zuge der fortschreitenden Erosion aus der tektonischen Mulde ein morphologischer Berg es liegt also eine Reliefumkehr vor! Als Ergebnis dieser Prozesse liegt der Hesselberg heute als isolierter Berg vor uns, mit einem kompletten Schichtstapel von Unter-, Mittel- und Oberjura. Er bezeugt somit die ehemals viel weiter nach Norden reichende Ausdehnung des jurassischen Deckgebirges und wird daher als Zeugenberg bezeichnet. Abbildung 3: Links: Auf dem Weg zum Westgipfel des Hesselbergs (Oktober 2013); rechts: Reliefumkehr und Entstehung eines Zeugenberges Quelle: Links: eigene Aufnahme, rechts: BAYERISCHES LFU (2011) 99

101 Oliver Wild und Frank Volker 3. Der Ipf oberhalb Bopfingen Ein weiterer markanter Zeugenberg, der 668 m hohe Ipf (Breite: 48 52'13.25"N; Länge: 10 21'25.59"E), befindet sich westlich des Nördlinger Ries, etwa mittig zwischen den Städten Nördlingen und Aalen (Abb. 1: Lokation E). Auch dieser markante Zeugenberg, der seine Umgebung allseitig um bis zu 200 m überragt, wird weitgehend von den Kalksteinen des Malm aufgebaut und belegt damit erneut die ehemals viel weiter nach Norden und Westen reichende Ausdehnung des jurassischen Deckgebirges. Ebenso wie beim Hesselberg liegt eine grabenartige Einsenkung vor, die hier auf das sog. Schwäbische Lineament zurückzuführen ist und die die Gesteine des heutigen Ipf zunächst vor der Abtragung schützte. Infolge seiner morphologischen Charakteristik war der Ipf für die prähistorische Besiedlung von erheblicher Bedeutung. Sehr augenfällig ist ein ausgedehntes Befestigungssystem, dessen Alter der späten Hallsteinzeit (ca. 500 BC) zugeschrieben wird und das aus einem Ringwall und Graben am Gipfelplateau sowie weiteren, in den Hängen angelegten Gräben und Wällen besteht. Zusammenfassende Arbeiten zur vielfältigen Besiedlungsgeschichte des Ipf und den aktuellen Forschungstätigkeiten finden sich bei EULER UND KRAUSE (2008) und den dort aufgeführten Schriften. Abbildung 4: Gruppenfoto auf dem Plateau des Ipf oberhalb von Bopfingen, Herbst 2012 Quelle: Eigene Aufnahme 100

102 Oliver Wild und Frank Volker 4. Zur Fluss- und Landschaftsgeschichte des Brenztals Die Brenz gehört mit der Egau, der Wörnitz und der Altmühl zu den wenigen Flüssen, die heute die Karstgebiete der Schwäbischen Ostalb und der Frankenalb zur Donau hin entwässern. Die Brenz ist ein alter Fluss und ihre Flussgeschichte ist bis mindestens in das Oligozän nachverfolgbar (EBERLE et al. 2011; VILLINGER 1998). Zu jener Zeit war das Einzugsgebiet der Ur-Brenz wesentlich größer und reichte bis weit in die Hohenloher Ebene. Die morphologische Ausbildung des Oberrheingrabens im Verlauf des Jungtertiärs und die damit initiierte rückschreitende Erosion bedingten, dass die Ur-Brenz sukzessive ihre Einzugsgebiete im Oberlauf an die nun rheintributären Flüsse Kocher und Jagst verloren hat. Daher liegt die heutige Brenzquelle in Königsbronn (Breite: 48 44'14.98"N; Länge: 10 6'47.13"E), zwischen Aalen und Heidenheim (Abb. 1: Lokation G) Die heutige Flusslänge zwischen Brenztopf und Mündung in die Donau bei Lauingen beträgt 52 km, das Gefälle ist gering (Quellhöhe 500 m, Mündungshöhe 424 m ünn), die durchschnittliche Quellschüttung des Brenztopfs liegt bei beachtlichen MQ = 1,27 m³/s, der langjährige mittlere Durchfluss am Pegel Bächingen (Grenze Bayern Baden-Württemberg) beträgt lediglich MQ = 7,35 m³/s. Abbildung 5: Brenztopf in Königsbronn im Oktober 2012 Quelle: Eigene Aufnahme 101

103 Oliver Wild und Frank Volker Südlich von Heidenheim verläuft die Brenz im Gebiet der weitläufigen Flächenalb, jenem südlichen Bereich der Schwäbischen Alb, der durch die Abrasion der Molassemeeres im Untermiozän ( Burdigal-Meer der älteren Literatur) stark eingeebnet wurde. Mit dem Eintritt in das Gebiet der Flächenalb zeigt die Brenz nun einen deutlich mäandrierenden Flussverlauf und weist mehrere Umlaufberge auf, deren Plio-Pleistozäne Talschleifen jedoch schon wieder von der Brenz verlassen wurden (LOPEZ CORREA und ROSENDAHL 2011). Der breite flache Talboden auf ca. 470 m ünn deutet eine starke Verfüllung an. Bei Heidenheim, einige km flußaufwärts, wurden junge Talfüllungen mit 35 bis 40 m Mächtigkeit gemessen. Der Flussabschnitt zwischen Eselsburg und Herbrechtingen wird als Eselsburger Tal bezeichnet (Abb. 1: Lokation H). Dieser Talabschnitt der Brenz ist besonders reich an steil aufragenden Massenkalkfelsen des Oberjura, die infolge ihrer geringfügig höheren Verwitterungsresistenz während der fluvialen Erosion als markante Felspfeiler herauspräpariert wurden. Einige der sagenumwobenen Felspfeiler werden seit alters her als die Steinernen Jungfrauen (Breite: 48 36'21.18"N; Länge: 10 10'34.31"E) bezeichnet. Neben diesen besonders auffälligen Felspfeilern sind auch die zahlreichen Höhlen bemerkenswert, die die Massenkalkfelsen in unterschiedlicher Höhenlage durchziehen und damit wohl unterschiedlich alte Verkarstungsphasen anzeigen. Die ehemals zusammenhängenden Höhlensysteme wurden durch die Taleintiefung der Brenz zerschnitten und sind dadurch für sphärologische Untersuchungen gut zugänglich (HÖHLENKATASTER SCHWÄBISCHE ALB sowie HEINZELMANN UND JANTSCHKE 1983). Abbildung 6: Das Eselsburger Tal mit den Steinernen Jungfrauen, Herbst 2012 Quelle: Eigene Aufnahme 102

104 Oliver Wild und Frank Volker Abbildung 7: Exkursionsgruppe im breiten Talboden des Eselsburger Tals mit seitlicher Ansicht der Steinernen Jungfrauen 2013 Quelle: Eigene Aufnahme 5. Das Härtsfeld und Kloster Neresheim Das Härtsfeld ist eine karge, gering besiedelte Hochfläche auf der Schwäbischen Ostalb zwischen den Städten Aalen, Bopfingen, Nördlingen, Heidenheim und Neresheim. Trotz guter Erreichbarkeit über die Autobahnen A6 und A7 gehen die großen Touristenströme weitgehend an der kaum bekannten Region vorbei. Morphologisch ist das Härtsfeld durch insgesamt wenig geneigte, flachkuppige, bereichsweise auch nahezu ebene Abschnitte gekennzeichnet. Im nördlichen Teil werden Höhen von über 600 m ünn erreicht, nach Süden hin fällt das Gelände auf 460 m ünn ab. Die Nähe zum Nördlinger Ries bedingte, dass die Albhochfläche des Härtsfelds durch Auswurfmassen des Impakt-Ereignisses erheblich umgestaltet wurde (SCHLOZ 1990; PÖSGES UND SCHIEBER 2000). Insbesondere die Bunten Trümmermassen, die im Verlauf des Impakt-Ereignisses vor ca. 15 Millionen Jahren großflächig auf den Malmkalken abgelagert wurden, prägen auch heute noch den östlichen Teil des Härtsfelds (Abb. 1: Lokation F). Die Bunten Trümmermassen unterscheiden sich in ihren lithologischen und hydrologischen Eigenschaften signifikant von den weitverbreitet anstehenden Malmkalken, denn sie sind wenig durchlässig und stellenweise durch hohe Tongehalte charakterisiert. Sie liefern daher Was- 103

105 Oliver Wild und Frank Volker ser in Oberflächennähe und sind das Substrat für fruchtbare Böden. Damit können die Areale der Bunten Trümmermassen, ähnlich wie die vulkanischen Schlotfüllungen und Maare im Urach-Kirchheimer Vulkangebiet der Mittleren Schwäbischen Alb, als Oasen auf der sonst sehr wasserarmen Albhochfläche angesehen werden. Somit wird auch verständlich, dass die alten Härtsfeld-Orte Oberriffingen, Unterriffingen, Dehlingen und Ohmenheim alle auf Riestrümmermassen gegründet wurden, denn in denen konnten erfolgreich Brunnen gegraben werden (BAUER UND WURM 1990). Abbildung 8: Blick über Neresheim auf das Kloster Quelle: Internetauftritt NERESHEIM Auch auf dem Bergvorsprung am Ulrichsberg oberhalb der kleinen Stadt Neresheim stehen Riestrümmermassen mit hohen Tonanteilen an. Auf diesem schmalen, nach drei Seiten abfallenden Vorsprung wurde im Jahr 1095 AD das weithin sichtbare Kloster Neresheim (Breite: 48 45'19.62"N; Länge: 10 20'35.09"E), das Wahrzeichen des Härtsfelds, gegründet. Die heutige Klosterkirche wurde nach den Plänen von Balthasar Neumann von 1755 bis 1787 erbaut. Die tonreichen Riestrümmermassen erwiesen sich als problematischer Baugrund. So wird berichtet, dass der Untergrund schon während der Bauphase nachgab und dadurch Bauschäden hervorrief. Die Baumeister sahen sich gezwungen, hierauf mit deutlichen 104

106 Oliver Wild und Frank Volker Änderungen im Bauplan zu reagieren und so wurde statt der ursprünglich geplanten steinernen Kuppel eine Holzkuppel eingebaut. Auch nach der Fertigstellung der Klosterkirche traten immer wieder Bauschäden auf, die aber nicht allein auf den tonigen Untergrund zurückgeführt werden konnten. So blieben die genauen Ursachen der Bauschäden weiterhin unbekannt und es sollte noch über 200 Jahre dauern, bis sich eine Klärung abzeichnete. In den 1970er und 1980er Jahren waren die Bauschäden so gravierend geworden, dass die Klosterkirche ernsthaft gefährdet war und nur durch aufwendige Sanierungsmaßnahmen gerettet werden konnten. Begleitend zu diesen Sanierungsmaßnahmen konnten nun auch detaillierte geowissenschaftliche Untersuchungen des Ulrichsbergs vorgenommen werden, die sich folgendermaßen zusammenfassen lassen (VOGEL 1999). Abbildung 9: Geologischer Profilschnitt durch den Bereich der Abteikirche in Neresheim (Profil überhöht und schematisiert) Quelle: VOGEL (1999) (1) Der Bergrücken, auf dem die Klosteranlage erbaut wurde, wird in seiner Hauptmasse aus den Zementmergeln des Oberjura (Weißjura zeta) aufgebaut. Die Zementmergel erreichen hier eine Gesamtmächtigkeit von ca. 80 m und zeigen folgenden stratigraphischen Aufbau: Oberes Mergellager 35 m Zwischenkalke 30 m (stark verkarstet) Unteres Mergellager 35 m 105

107 Oliver Wild und Frank Volker Die Verkarstungsprozesse, die möglicherweise schon in der Kreide einsetzten, führten im Verlauf des Alttertiärs zu den typischen Lösungsformen und einem perforierten Untergrund, insbesondere im Niveau der Zwischenkalke. (2) Im Miozän, vor ca. 15 Millionen Jahren, ereignete sich nördlich des Härtsfelds das Impakt- Ereignis, das zur Bildung des Nördlinger Ries führte. Hierbei wurden u.a. die Sedimentgesteine des Untergrunds herausgeschleudert und in der Umgebung abgelagert. Dadurch wurden weite Bereiche im Härtsfeld und auch die Zementmergel des Ulrichsbergs, von den Bunten Trümmermassen überlagert. Das ursprüngliche Relief der alttertiären Karstlandschaft wurde ausgeglichen es entstand eine überdeckte Karstlandschaft. (3) Detaillierte hydrogeologische Untersuchungen am Ulrichsberg zeigten, dass das Abflussverhalten innerhalb dieser Deckschichten starken Schwankungen unterliegt, die gut mit der Niederschlagsintensität korreliert werden können (VOGEL 1999). Bei hohen Spiegellagen dominiert ein Abfluss als Hangwasser, wohingegen bei niedrigen Spiegellagen das Wasser zu großen Teilen einem Tiefpunkt im Bereich der Klosterkirche zuströmt. Dort liegt offensichtlich eine vertikal nach unten gerichtete Entwässerung vor. Sehr wahrscheinlich überdecken die Bunten Trümmermassen hier eine alttertiäre Dolinenform innerhalb der Zementmergel. Die Verkarstungsprozesse schufen somit Hohlräume in den Zwischenkalken, in die nun das Grundwasser aus den hangenden Schichten einströmt. Das absteigende Grundwasser transportiert hierbei auch Material aus den Bunten Trümmermassen und den hangenden Mergeln in die Karstzone und fördert zugleich die weitere Karstlösung in den Zwischenkalken. Diese kombinierte Massenverlagerung aus Subrosion und Kalkkorrosion paust sich bis zu den Gebäudefundamenten durch mit den bekannten Schäden am Bauwerk. 6. Quartärer Vulkanismus im Grenzgebiet Bayern Tschechien In Deutschland und den angrenzenden Gebieten in Frankreich, Tschechien und Polen befindet sich eine Vielzahl känozoischer Vulkanfelder mit insgesamt über 1000 bekannten Eruptionszentren. Es handelt sich durchweg um Intraplatten-Vulkanismus, der an tektonische Grabenstrukturen (Rhône-Graben, Oberrhein-Graben, Egergraben), sich kreuzende Störungszonen (Hegau, Urach-Kirchheimer Vulkanfeld, Heldburger Gangschar) und/oder Hebungsgebiete (Eifel) gebunden ist. Die Ausmaße der Vulkanfelder sind sehr unterschiedlich und reichen von einzelnen isolierten Vorkommen (z. B. Katzenbuckel im südöstlichen Odenwald) 106

108 Oliver Wild und Frank Volker bis zu vielen hundert Quadratkilometern. Das größte zusammenhängende Vulkangebiet Mitteleuropas bildet der Vogelsberg mit einer heute noch vorhandenen Ausdehnung von 2500 km². Aus petrographischer Sicht dominieren in allen Vulkanfeldern basaltartige Gesteine (Basalte sensu stricto, Basanite, Nephelinite). Untergeordnet treten auch stärker differenzierte Vulkanite auf, wie etwa Trachyt (Siebengebirge, Zentralmassiv) oder auch Phonolith (Hegau, Heldburger Gangschar, Egergraben, Rhön, Kaiserstuhl) sowie die sehr seltenen Karbonatite (Kaiserstuhl, Eifel, Hegau). Abbildung 10: Geologie Deutschlands mit den zahlreichen känozoischen Vulkangebieten Quelle: Verändert nach ROTHE (2012) Vulkanische Lockerprodukte (Tephra) waren sicher auch weit verbreitet. Wegen ihrer geringen Verwitterungsresistenz sind sie aber bereits weitgehend der Verwitterung zum Opfer gefallen, können allerdings an wenigen Lokationen auch heute noch in Geländeaufschlüssen angetroffen werden. 107

109 Oliver Wild und Frank Volker Die Hauptphasen der vulkanischen Tätigkeit lagen im Tertiär (Oligozän und Miozän). Quartärzeitliche Eruptionen sind belegt für das Zentralmassiv in Frankreich (u.a. Puy de Dôme), West-Eifel (jüngste Eruption Ulmener Maar vor ca Jahren), Ost-Eifel (Ausbruch des Laacher Sees vor Jahren) sowie für den westlichen Egergraben im Grenzgebiet Tschechien Bayern mit den Vulkanen Kammerbühl - Komorní hůrka und Eisenbühl - Železná hůrka. Im Rahmen unseres Exkursionsprogramms haben wir den Eisenbühl besichtigt (Abb. 1: Lokation B). Der Železná hůrka (deutsch: Eisenbühl) ist der kleinste Vulkan in der durch Vulkanismus geprägten Landschaft von Westböhmen und der nördlichen Oberpfalz, dessen letzter Ausbruch auf ca Jahren datiert wird. Der Železná hůrka liegt etwa 100 m jenseits der bayerischen Grenze auf tschechischem Gebiet, zwischen der tschechischen Ortschaft Mýtina (deutsch: Altalbenreuth) und der bayerischen Ortschaft Neualbenreuth. Das Vulkangebäude ist nur geringfügig gegenüber den umgebenden Gesteinen (altpaläozoische Glimmerschiefer- Quarzit-Wechsellagerungen) herausgehoben; das heutige Geländeniveau dürfte demjenigen zum Zeitpunkt der vulkanischen Aktivität weitgehend entsprechen. Die erste geowissenschaftliche Beschreibung stammt von J.W. von Goethe, der gemeinsam mit dem Egener Magistrat J.S. Grüner am 23. August 1823 den Eisenbühl besuchte. GOETHE hat den Verlauf und die Resultate dieser Exkursion in seiner Arbeit Uralte, neuentdeckte Naturfeuer- und Glutspuren (1823) beschrieben. In der älteren geowissenschaftlichen Fachliteratur finden sich dann noch weitere Artikel, die sich ausgiebig mit dem Eisenbühl beschäftigen (REUSS 1852; PROFT 1894; RECK 1927, sowie dort aufgeführte Autoren). Der Eisenbühl geriet dann aber wegen seiner Lage unmittelbar jenseits des Eisernen Vorhangs nahezu in Vergessenheit und er war bis 1989, zumindest für ausländische Geowissenschaftler, die die damalige ČSSR besuchten, nicht zugänglich (KÄMPF et al. 1993). Ob die Vulkanite von Triebendorf bei Mitterteich, ca. 25 km SW vom Eisenbühl auf pleistozäne Eruptionen zurückzuführen sind (HARMENING UND LÜTTIG 1998), ist noch nicht abschließend geklärt. 108

110 Oliver Wild und Frank Volker Abbildung 11: Links oben: Blick von der deutsch-tschechischen Grenze bei Neualbenreuth auf den jungquartären Vulkan Železná hůrka (Eisenbühl; Breite: 49 59'29.28"N; Länge: 12 26'40.20"E), Blick nach W. Rechts oben: Blick von der deutsch-tschechischen Grenze bei Neualbenreuth auf den Eisenbühl, Blick nach N. Links unten: Dunkle, leicht verschweißte Schlacke aus der jüngeren, strombolianischen Eruptionsphase des Eisenbühl. Rechts unten: Durch Steinbrucharbeiten wurde der innere Aufbau des Eisenbühl zugänglich. Die jüngeren schwarzen Schlacken fallen nach links zum Kraterzentrum hin ein. Die älteren, z.t. deutlich braunen Schichten fallen hingegen nach rechts ein. Hierbei handelt es sich um die Produkte einer initialen phreatomagmatischen Aktivitätsphase. Die Schichten weisen daher nicht nur vulkanische Bestandteile, sondern auch hohe Anteile an Nebengesteins-Fragmenten auf. Quelle: Eigene Aufnahmen Abbildung 12: Detailaufnahme der dunklen Schlacken (strombolianische Aktivität) und der durch phreatomagmatische Explosionen entstandenen Abfolgen (rechts unten) Quelle: Eigene Aufnahme 109

111 Oliver Wild und Frank Volker 7. Die Rhön das Land der offenen Fernen Die Rhön das Land der offenen Fernen wird geprägt von vulkanischen Hartgesteinen wie Basalt und Phonolith, die während der aktiven Phase im Miozän gefördert wurden. Die unterschiedlichen Magmen konnten entlang tiefgreifender Brüche aufsteigen, begünstigt durch die Lage des Gebietes zwischen zwei tektonischen Großstrukturen: dem sich öffnenden Atlantik im NW und dem alpinen Kollisionsorogen im Süden. Nach dem Abklingen der vulkanischen Aktivität wurde das Gebiet der Rhön von großräumigen Hebungen erfasst (FLICK UND SCHRAFT 2013), die nach geodätischen Untersuchungen auch heute noch anhalten (MÄLZER et al. 1983). Durch diese Hebungen und die dadurch ausgelösten intensiven Erosionsprozesse wurde nun das bekannte Landschaftsbild der Rhön herausmodelliert mit den Basaltplateaus (Hohe Rhön mit Wasserkuppe), den phonolithischen Staukuppen (Kuppenrhön mit Milseburg) und den isolierten Vulkanruinen (Hessisches Kegelspiel im NW-Teil des Vulkanfeldes). Die in Schackau an der Lokalität Stettenrain (Abb. 1: Lokation A) aufgeschlossenen pyroklastischen Gesteine belegen eine explosive Phase des miozänen Rhön-Vulkanismus. Derartige pyroklastischen Gesteine waren während der aktiven Periode des Rhön-Vulkanismus als oberflächliche Ablagerungen sicher weit verbreitet, sind heute aber infolge ihrer geringen Verwitterungsresistenz bis auf wenige Reste abgetragen dies macht den Aufschluss am Stettenrain so wertvoll für das Verständnis und die Interpretation des gesamten Rhön- Vulkanismus. Für die Entstehung der pyroklastischen Gesteine ist eine sog. Glutlawine anzunehmen, die aus einer kollabierenden Eruptionssäule entstammt und vom Ausbruchszentrum her die Vulkanhänge hinunter raste. Die hierbei erreichten Geschwindigkeiten können sehr hoch sein; bei rezenten Ereignissen wurden Geschwindigkeiten von mehreren 100 km/h beobachtet. Teile der eruptierten Lava wurden zu Fetzen zerrissen, gemeinsam mit losgerissenem Nebengestein in der Glutlawine vom Eruptionszentrum weggeführt und dann, nach sukzessivem Erlöschen der Transportkraft, in der näheren und weiteren Umgebung abgelagert. Hierbei konnten innerhalb kurzer Zeit Ablagerungsmächtigkeiten von mehreren hundert Metern erreicht werden, so dass das vorhandene Relief weitgehend aufgefüllt und eingeebnet wurde. Waren die Lavafetzen zum Zeitpunkt ihrer Ablagerung noch heiß (mehrere hundert Grad Celsius) und daher plastisch verformbar, so wurden sie durch die Auflast zu flachen Linsen zusammengedrückt und miteinander verschweißt. Im oberen Teil der Abfolge ist infolge 110

112 Oliver Wild und Frank Volker schneller Abkühlung und geringer Auflast diese Verschweißung oft nicht ausgebildet. Hier beruht das Erscheinungsbild der Pyroklastite als Festgestein auf der Verkittung durch neugebildete wasserhaltige Silikatminerale im Anschluss an den Ablagerungsprozess, wobei die Gesteine meist nicht die Festigkeit von verschweißten Varietäten erreichen und daher auch leichter erodiert werden. Die Gesteine am Aufschluss Stettenrain (Breite: 50 34'4.07"N, Länge: 9 52'3.89"E). gehören zur Kategorie der unverschweißten Pyroklastite (FLICK UND SCHRAFT 2013); sie sind demzufolge verwitterungs- und erosionsanfällig. Dies lässt sich sehr schön erkennen an dem kleinen Bach, der sich hier, ungeachtet seiner geringen Wasserführung, bereits tief in die Pyroklastit-Ablagerungen eingeschnitten hat. Abbildung 13: Aufschluss in pyroklastischen Gesteinen des Rhön-Vulkanismus; Lok. Am Stettenrain in Schackau, 2009 Quelle: Eigene Aufnahme 111

113 Oliver Wild und Frank Volker 8. Die Sandgrube Grafenrain zu Mauer Fundort des Homo heidelbergensis An der Grenze zwischen Odenwald und Kraichgau, zwischen den Ortschaften Neckargemünd im Norden und Mauer im Süden, liegt mit über 16 km Länge die Mauerer Neckarschlinge, die größte verlassene Flussschlinge Süddeutschlands (LIEBIG UND ROSENDAHL 2007). Heute durchfließt das Flüsschen Elsenz den westlichen Arm der Flussschlinge, um bei Neckargemünd (nomen est omen) in den Neckar zu münden. Im frühen Pleistozän hingegen wurde die komplette Flussschlinge vom Neckar durchflossen, der hierbei, je nach Klimabedingungen und Wasserführung, sandige, schluffige und tonige Sedimente abgelagert. Da vor allem die vom pleistozänen Neckar abgelagerten Sande bei entsprechender Eignung als begehrtes Baumaterial verkauft werden konnten, wurden sie in z. T. großen Sandgruben abgebaut, so auch in der Grube Grafenrain im Norden der Gemeinde Mauer. Hier wurde am 21. Oktober 1907 von dem Sandgrubenarbeiter Daniel Hartmann der weltberühmte Unterkiefer von Mauer des Homo heidelbergensis gefunden (Abb. 1: Lokation C). Die Schichtenfolge der Lokation Grafenrain (Breite: 49 20'54.79"N; Länge: 8 48'2.73"E) besteht nach LÖSCHER UND UNKEL (1997) aus folgenden Gliedern (von der Geländeoberkante bis zur (nicht mehr aufgeschlossenen) Tertiär-Basis): Abbildung 14: Schichtenfolge der Sandgrube Grafenrain Quelle: Verändert nach WAGNER et al. (2011) und LÖSCHER UND UNKEL (1997) 112

114 Oliver Wild und Frank Volker Das Fundniveau des Homo heidelbergensis liegt in den Unteren Mauerer Schichten und dort in einem ca. 10 m mächtigen Geröllhorizont bei 147,8 m ünn (WAGNER 2012). Die pleistozänen Ablagerungen oberhalb des Muschelkalks bis zu den Oberen Mauerer Sanden wurden vom Neckar abgelagert. Im Profil folgt nun eine Schichtlücke, die eine Periode der Erosion und damit eine Zeitlücke repräsentiert. Die jüngsten der damals abgelagerten Neckarsedimente dürften im Verlauf dieser Periode der Erosion zum Opfer gefallen sein. Die Neckarsedimente müssen hier also etwas mächtiger gewesen sein als heute noch vorhandenen (WAGNER 2012). Im Hangenden der Schichtlücke folgen nun kaltzeitliche äolische Sedimente, die bereits aus der Zeit stammen, nachdem der Neckar das südliche Ende der Mauerer Flussschlinge verlassen hatte. Sie bestehen aus Löss mit eingeschalteten Bodenhorizonten. Detaillierte lithostratigraphische und physikalische Datierungen erlauben nun, das Alter der Grafenrainer Fundschicht auf ± Jahre einzugrenzen (WAGNER 2012). Der Unterkiefer von Mauer ist somit der bisher älteste Homo heidelbergensis. Abbildung 15: Der Verlauf des Neckars im Bereich Neckargemünd und Mauer heute (links) und vor ca Jahren (rechts) Quelle: LIEBIG UND RODENDAHL (2007) 113

115 Oliver Wild und Frank Volker Abbildung 16: links: Reproduktion des weltberühmten Unterkiefer von Mauer im Heid schen Haus rechts: Frau Sylvia Knörr vom Verein Homo heidelbergensis von Mauer e.v. Der Verein wurde im Jahr 2001 gegründet. Sitz des Vereins und sein Informationszentrum ist das Heid sche Haus mitten in Mauer (Bahnhofstraße 4), ein großes Fachwerkhaus mit Scheune aus dem Jahr 1630, dessen umfassende Renovierung durch die Gemeinde und dessen Einrichtung durch den Verein abgeschlossen ist. Frau Knörr hat uns sehr kompetent und ungemein engagiert durch das Heid sche Haus und das kleine Museum im Rathaus von Mauer geführt. Quelle: Eigene Aufnahmen Abbildung 17: Aufschluss in der Sandgrube Grafenrain am Nordende der Gemeinde Mauer an der Elsenz im Rhein-Neckar-Kreis (Oktober 2012). Hier hat der Sandgrubenarbeiter Daniel Hartmann am 21. Oktober 1907 den weltberühmten Unterkiefer von Mauer des Homo heidelbergensis gefunden. Quelle: Eigene Aufnahme 114

116 Oliver Wild und Frank Volker 9. Schlussbetrachtung Zahlreiche Teilnehmer unserer Exkursionen waren nach eigenem Bekunden überrascht von der Vielfalt der vorgestellten Lokationen und ihrer Beurteilung im geowissenschaftlichen Kontext. Vor Ort lag das Hauptaugenmerk zunächst auf dem Erkennen und der Vermittlung der geologischen, geomorphologischen und/oder hydrogeographischen Sachverhalte. In der anschließenden Zusammenschau wurde dann auch beleuchtet, inwieweit die Besiedlungs- und Industriegeschichte der einzelnen Teilräume und Regionen durch die jeweiligen gegebenen Rahmenbedingungen mitgeprägt wurden und auch heute noch werden. Dies ist insbesondere von den teilnehmenden Lehramts-Studierenden als sehr hilfreich angesehen worden, auch im Hinblick auf die zukünftige berufliche Tätigkeit. Wir zitieren erneut BORSDORF (2007): Machen Sie die Heimfahrten, Wochenendausflüge, Bergtouren und den Urlaub zu Exkursionen. Bereiten Sie sich auf diese Fahrten vor, indem Sie eine Karte einsehen oder ein Buch lesen. Dies muss keineswegs immer ein Fachbuch sein. Gewinnen Sie für solche Unternehmungen Ihre (Studien-) Freunde. Lassen Sie diese teilhaben an Ihren geographischen Beobachtungen. Sie werden merken, dass Sie dabei am meisten lernen. Erfreulicherweise ist dies von einigen unserer Alumni bereits aufgegriffen worden, und so liegen über die Alumni-Kontakte Berichte vor, dass die vorgestellten Geländepunkte als Anregung für Unterrichtsprojekte und Klassenfahrten aufgegriffen worden sind Aktivitäten, die wir sehr gerne auch weiterhin mit neuen Informationen aus unserer geographischen Tätigkeitsfeldern unterstützen wollen. Danksagung Wir bedanken uns bei unseren Studierenden, die mit ihrer aktiven Mitarbeit maßgeblich zum Gelingen der Geländekurse und Exkursionen beigetragen haben. 115

117 Oliver Wild und Frank Volker Referenzen BAUER, K.; F. WURM (1990): Landschaft, Geologie und Baudenkmale in Ostwürttemberg zwischen Aalen Ellwangen Schloß Baldern Bopfingen Neresheim und Brenz a. d. Brenz. Jber. Mitt. oberrhein. geol. Ver., N. F. 72, BAYERISCHES LANDESAMT FÜR UMWELT (Hrsg.) (2011): Hundert Meisterwerke Die schönsten Geotope Bayerns. (Bayerisches Landesamt für Umwelt) Augsburg. BORSDORF, A. (2007): Geographisch denken und wissenschaftlich arbeiten. 2. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg. EBERLE, J.; EITEL, B.; BLÜMEL, W.D.; P. WITTMANN (2010): Deutschlands Süden vom Erdmittelalter bis zur Gegenwart. 2. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg. EULER, D.; R. KRAUSE (2009): Der keltische Fürstensitz auf dem Ipf bei Bopfingen, Ostalbkreis zur Geschichte der Burg und ihrer Fortifikationen. Arch. Ausgr. Baden-Württemberg 2008, FLICK, H.; A. SCHRAFT (2013): Die Hessische Rhön Geotope im Land der offenen Fernen. (Hlug) Wiesbaden. GOETHE, J.W. VON (1823): Uralte, neu entdeckte Naturfeuer und Glutspuren Goethes Werke, Ed. Cotta, Bd. 30 (1851), ; Ed. Hempel, Bd. 33 (1877), HARMENING, H.F.; G.W. LÜTTIG (1998): Quartärer Vulkanismus in der Oberpfalz. Geol. Bl. NO-Bayern 48, HEINZELMANN, P. ; H. JANTSCHKE (1983): Einzeldarstellung der Höhlen im Kartenblatt 7327 Giengen/Brenz. Materialhefte zur Karst- und Höhlenkunde 2, KÄMPF, H.; SEIFERT, H.; M. ZIEMANN (1993): Mantel-Kruste-Wechselwirkung im Bereich der Marienbader Störungszone. Teil 1: Neue Ergebnisse zum quartären Vulkanismus in NW-Böhmen. Z. geol. Wiss. 21, LIEBIG, V.; W. ROSENDAHL (Hrsg.) (2007): Spuren im Sand Der Urmensch und die Sande von Mauer. Staatsanzeiger- Verlag, Stuttgart. LÓPEZ CORREA, M.; W. ROSENDAHL (2011): Karstlandschaft südliche Ostalb Geologie, Speläologie und Urgeschichte (Exkursion H am 29. April 2011). In: Jber. Mitt. oberrhein. geol. Ver., N.F. 93, LÖSCHER, M.; I. UNKEL (1997): Zur Kleinsäugerfauna der Mauerer Sande. Jahreshefte des geologischen Landesamtes von Baden-Württemberg 36, S MÄLZER, H.; HEIN, G.; K. ZIPPELT (1983): Height Changes in the Renish Massif: Determination and Analysis. In: FUCHS, K.; VON GEHLEN, K.; MÄLZER, H.; MURAWSKI, H.; A. SEMMEL (Hrsg): Plateau Uplift. The Rhenish Shield A Case History (Springer) Berlin. PÖSGES, G.; M. SCHIEBER (2000): Das Rieskrater-Museum Nördlingen. Verlag Pfeil, München. PROFT, E. (1894): Kammerbühl und Eisenbühl. Die Schichtvulkane des Egerer Beckens in Böhmen. Jahrbuch der k. k. geologischen Reichsanstalt, Bd 44, Heft 1, RECK, H. (1927): Zur Geologie der jüngsten Vulkane Böhmens, des Kammerbühls und des Eisenbühls bei Eger. Z. Vulkanol. 11, REUSS, A. (1852): Die geognostischen Verhältnisse des Egerer Bezirkes und des Ascher Gebietes in Böhmen. Abh. Kais.- königl. geol. R.A. 1: ROTHE, P. (2012): Die Geologie Deutschlands. 4. Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt. SCHLOZ, W. (1990): Hydrogeologie des Weißjura-Karsts der östlichen Schwäbischen Alb. Jber. Mitt.oberrhein. geol. Ver., N. F. 72, VILLINGER, E. (1998): Zur Flussgeschichte von Rhein und Donau in Südwestdeutschland. Jber. Mitt.oberrhein. geol. Ver., N. F. 80, VOGEL, H. (1999): Dränfähige Stabilisierungsinjektionen in erosions- und suffosionsanfälligen Lockergesteinen. Diss TU Darmstadt, Fachbereich Geowissenschaften und Geographie. WAGNER, G. (2012): Die erdgeschichtliche Stellung des Homo Heidelbergensis von Mauer. In: Palaeos 4, S WAGNER, G.; MAUL, C.; LÖSCHER, M.; D. SCHREIBER (2011): Mauer the type site of Homoheidelbergensis: palaeoenvironment and age. In: Quaternary Science Reviews 30, S

118 Andreas Dittmann Der Bereich Anthropogeographie und Geographische Entwicklungsforschung und die Internationalisierungs-Strategie der Justus-Liebig-Universität Andreas Dittmann Die Anthropogeographie wurde am nach dem Zweiten Weltkrieg neu gegründeten Institut für Geographie der Justus-Liebig-Universität in der Zeit von 1960 bis 1987 von Prof. Dr. Harald Uhlig ( ) vertreten und in seiner Nachfolge wirkte von 1989 bis 2007 Prof. Dr. Ulrich Scholz (siehe dazu auch den Beitrag von E. Giese in diesem Band). Mit der Neubesetzung des traditionsreichen Lehrstuhls kam ab 2007 der im Strukturplan des Institutes verankerte Zusatz Geographische Entwicklungsforschung hinzu. Zwar hatten auch die vorherigen Lehrstuhlinhaber Uhlig und Scholz ihre Forschungs- und Lehrkapazitäten bereits deutlich auf die damals noch so genannte Entwicklungsländerforschung mit unterschiedlichen, zum Teil aber deckungsgleichen, Themen und Forschungsgebieten ausgerichtet, der ausdrückliche Hinweis auf eine Entwicklungsforschungsausrichtung der Anthropogeographie in Gießen erschien jedoch aus fachstrategischen Gründen notwendig. Er war insbesondere wichtig, um die fachlichen und institutionellen Verbindungen zu anderen Instituten der Entwicklungsforschung in Gießen deutlich zu machen und die Geographie als integralen Bestandteil davon zu kennzeichnen. Dies gilt in erster Linie besonders für die Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU), das u. a. aus dem aufgelösten früheren Gießener Tropeninstitut hervorgegangen war.im Folgenden soll auf die Ausrichtung der Gießener Anthropogeographie in den Aufbau- und Ausbaujahren nicht näher eingegangen werden. Sie werden im Beitrag von Ernst Giese entsprechend gewürdigt. Vielmehr soll versucht werden, die Neuausrichtung und die Persistenzen der Geographischen Entwicklungsforschung in der Gießener Anthropogeographie seit 2007 kurz zu skizzieren. Darin lassen sich klar folgende aktuelle regionale Schwerpunkte identifizieren: 1. Mittlerer Osten - Schwerpunkt: Afghanistan und Iran, 2. Nordafrika -Schwerpunkt: Libyen und Sahara, 3. Westafrika - Schwerpunkt: Senegal, 4. Südliches Afrika - Schwerpunkt: Namibia und Republik Südafrika, 5. Südostasien - Schwerpunkt: Indonesien 117

119 Andreas Dittmann Abbildung 1: Herkunftsländer der Doktoranden und Postdocs im Bereich "Anthropogeographie und Geographische Entwicklungsforschung Quelle: Kartographie, Institut für Geographie, Justus-Liebig-Universität Gießen. Abbildung 2: Internationale Kooperationen des Bereichs Anthropogeographie und Geographische Entwicklungsforschung Quelle: Kartographie, Institut für Geographie, Justus-Liebig-Universität Gießen. 118

120 Andreas Dittmann 1. Das Institut für Geographie und der akademische Wiederaufbau in Afghanistan Die Forschungskooperationen im Rahmen des akademischen Wiederaufbaus in Afghanistan haben den Bereich Anthropogeographie und Geographische Entwicklungsforschung in den letzten Jahren besonders nachhaltig geprägt und werden sehr wahrscheinlich auch weiterhin zu den deutlichen Tätigkeitsschwerpunkten gehören. Der überwiegende Teil der Forschungsprojekte der Gießener Anthropogeographie war von 2007 bis 2014 auf afghanische Kontexte ausgerichtet und auch der Großteil der erfolgreich eingeworbenen Drittmittel (DAAD, VW- Stiftung, DAUG etc.) lässt sich für diesen Bereich verzeichnen. Heute liegt die Fachkoordination im Fach Geographie für den akademischen Wiederaufbau in Afghanistan beim Gießener Institut für Geographie. Das Afghanistan Engagement wurde 2007 mit dem Wechsel des Bereichsleiters von Bonn nach Gießen importiert. Seither bildet Gießen das Zentrum der Geographieausbildung afghanischer Nachwuchsförderung. Allgemein engagieren sich seit 2002 verschiedene deutsche Geowissenschaftler beim Aufbau akademischer Strukturen in Afghanistan. Aus Sicht der Geographie fällt die Bilanz durchaus positiv aus. Der Aufbau akademischer Strukturen in Afghanistan ist im Rahmen der deutschen Afghanistan-Aktivitäten in den Stabilitätspakt Afghanistan eingebettet. Die ersten Maßnahmen begannen bereits unmittelbar nach Niederschlagung des Taliban-Regimes im Jahre Deutschland agiert dabei nicht als Kooperationspartner für alle wissenschaftlichen Disziplinen in Afghanistan, sondern nur für einige ausgewählte Fächer, in denen entweder eine lange Tradition der Zusammenarbeit besteht oder für die sich afghanische Wissenschaftler dezidiert Deutschland als Partner gewünscht haben. Die Gesamtkoordination der deutschen Maßnahmen verantwortet seit 2002 der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) mit Mitteln des Auswärtigen Amtes (AA). Dazu hat der DAAD für die im Afghanistan-Aufbau engagierten Fächer jeweils Fachkoordinatoren bestimmt, die in Rücksprache mit dem DAAD die verschiedenen Aktivitäten organisieren. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Wissenschaftleraustausch, die Betreuung von Promotionsvorhaben afghanischer Kandidaten, die Ausstattung mit Lehrmaterialien und Laborbedarf, die Entsendung von Kurz- und Langzeitdozenten nach Afghanistan sowie verschiedene Maßnahmen der Nachwuchsförderung für afghanische Bachelor- und Master-Studierende. Deutschland engagiert sich derzeit in folgenden Fächern: - Geographie (Fachkoordination: Universität Gießen), - Geologie (Fachkoordination: Universität Bonn), 119

121 Andreas Dittmann - Wirtschaftswissenschaften (Fachkoordination: Universität Bochum), - Mathematik und Physik (Fachkoordination: Universität Würzburg), - IT-Wissenschaften (Fachkoordination: TU Berlin), - Medizin (Universität Freiburg) und - Deutsch (Fachkoordination: Universität Bochum) Abbildung 3: Wichtigste ethnische Gruppen Afghanistans: Tadjiken mit Turbanen, dazwischen ein Hazara- Junge, rechts außen ein Usbeke, links außen ein Paschtunen-Junge Quelle: Eigene Aufnahme Zunächst war die Universität Bonn in besonderer Weise in die Afghanistan-Aktivitäten des DAAD eingebunden. Ein wesentlicher Grund dafür liegt in der langen Tradition der wissenschaftlichen Partnerschaft: Bereits 1962 wurde ein erstes Kooperationsabkommen zwischen den Universitäten Kabul und Bonn geschlossen, also drei Jahre, bevor auf staatlicher Ebene zwischen dem damaligen Königreich Afghanistan und der Bundesrepublik Deutschland entsprechende Vereinbarungen getroffen wurden. Damals waren die Fächer Geographie, Geologie, Meteorologie, Biologie, Chemie und Medizin beteiligt. Leider gelang es 2002 nicht, alle früheren Fachkooperationen zu reaktivieren. feste Kooperationspartner an der Universität Bonn, die dafür eine eigene Kabul-Kommission einrichtete, blieb die Geologie sowie anfangs auch die Biologie, während angesichts der erheblichen und sich immer weiter 120

122 Andreas Dittmann verschärfenden organisatorischen und logistischen Probleme die Chemie, Meteorologie und Medizin schließlich ausschieden. Eine besondere Rolle nahm die Biologie ein, deren DAAD- Fachkoordinator Claas Naumann vom Forschungsmuseum Alexander König in Bonn nur wenige Jahre nach Beginn des Wiederaufbauprogramms verstarb und für den als Fachkoordinator innerhalb Deutschlands sich bisher kein Nachfolger finden ließ. Zwar gibt es sowohl in der Botanik als auch in der Zoologie nach wie vor viele richtungsweisende Projektideen und Vorschlägen für eine nachhaltige Zusammenarbeit einzelner engagierter Wissenschaftler, die Fachkoordination bedarf jedoch der offiziellen Verankerung an einer Universität, was bisher für Biologie nicht gelungen ist. In einigen Fällen konnte jedoch die Fachkoordination Geographie, die seit 2007 an der Universität Gießen im Bereich Anthropogeographie und Geographische Entwicklungsforschung angesiedelt ist, Projektideen aus der Biologie über den Umweg der Vegetationsgeographie (botanische Projekte) oder der Tiergeographie (biologische Projekte) realisieren (DITTMANN 2013c, 2013d). Im Fach Geographie lassen sich in der akademischen Zusammenarbeit mit afghanischen Akteuren insgesamt vier Phasen unterscheiden: In der ersten Phase ging es zunächst darum, sich gegenseitig kennenzulernen und die äußeren Rahmenbedingungen für künftige Kooperationen abzustecken. Vom ursprünglichen Plan, dazu Auftaktveranstaltungen an der Universität Kabul zu organisieren, musste man wegen des desolaten Zustandes der Universitätsgebäude im Stadtteil Aliabad, unzuverlässiger Elektrizitätsversorgung und nicht zuletzt der prekären Sicherheitslage wieder Abstand nehmen. Die entsprechenden Koordinationsgespräche wurden daher daraufhin, eingebettet in verschiedene Summer Academies und Winter Academies, in Deutschland durchgeführt. Danach stand relativ rasch fest, dass die Hauptherausforderungen für eine Installation wissenschaftlicher Institutionen in Afghanistan in drei Bereichen bestanden: unzureichende Infrastruktur- und Lehrmittelausstattung, veraltete und überfrachtete Curricula und ein Generationsproblem im Bereich der Lehrenden, was vor allem seinen Ausdruck darin fand, dass ein tragfähiges Fundament an Lehrenden mit guter Ausbildung in den mittleren Jahrgängen fehlte. Es gab einerseits Kollegen, die zwar über eine solide geowissenschaftliche Ausbildung verfügten, z. T. sogar im Ausland studiert hatten, sich aber bereits an oder in unmittelbarer Nähe der Altersgrenze befanden und daher nicht mehr lange für den Aufbau einer neuen Wissenschaftlergeneration in Afghanistan zur Verfügung stehen würden. Andererseits wurde ein Großteil der Lehre am Department of Geography der Kabul University von zwar jungen und zum überwiegenden Teil hochmotivierten Hochschullehrern getragen (in Afghanistan allgemein als Professors 121

123 Andreas Dittmann bezeichnet), deren höchster akademischer Abschluss jedoch ein Bachelor-Degree war. In der Aus- und Weiterbildung dieser für die zukünftige Entwicklung der Universitätslandschaft in Afghanistan wichtigen Gruppe sahen die deutschen Fachkoordinatoren eine ihrer zentralen Aufgaben. Eine besondere Gruppe unter den an afghanischen Universitäten Lehrenden stellen die zur Zeit der sowjetischen Besetzung Afghanistans mit Sowjet-Stipendien ausgestatteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dar, die an verschiedenen Universitäten (in den Geowissenschaften insbesondere in Odessa) Magisterabschlüsse erlangt hatten. Diese mit einer soliden Grundausbildung ausgestatteten Kolleginnen und Kollegen in die deutschen Wiederaufbaumaßnahmen einzugliedern, war in den Anfangsjahren nicht immer ganz leicht, da die potentiellen Ansprechpartner kaum über Englischsprachkenntnisse verfügten und umgekehrt die Russischkenntnisse der deutschen Partner ebenfalls sehr zu wünschen übrig ließen. Hinzu kam, dass die mit ehemaligen sowjetischen Stipendien ausgestatteten Wissenschaftler im Kollegenkreis zunächst immer noch das mit negativem Image behaftete Flair einer Russlandund damit Besatzerfreundlichkeit umgab. Dennoch gelang es über Jahre verteilt, in den Geowissenschaften und insbesondere in der Geographie den Großteil der afghanischen Wissen- Abbildung 4: Blick von Osten auf Kabul. Im Vordergrund die wichtigste Verbindungsstraße, die Jadda Maiwand Quelle: Eigene Aufnahme 122

124 Andreas Dittmann schaftler in Aufbau- und Ausbauprogramme zu integrieren und über Weiterbildungsmaßnahmen zu fördern. Dass der DAAD für das Fach Geographie in den Anfangsjahren immer ausreichend Mittel zur Verfügung stellte, hat diese Aufgabe wesentlich erleichtert. Schließlich konnten alle Geographinnen und Geographen der Universität Kabul und der überwiegende Teil der Geologen und Hydrometeorologen zu Tagungen und Workshops nach Deutschland eingeladen werden. Mittlerweile waren alle Geographie-Kollegen aus Kabul sogar mehrfach in Gießen. Modernisierung der Kabuler Lehrpläne Die Möglichkeit, einen Großteil der afghanischen Geowissenschaftler in Aufbauprojekte zu integrieren, hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Hauptaufgabe der zweiten Phase der akademischen Zusammenarbeit erfolgreich durchgeführt werden konnte. Es handelte sich dabei im Wesentlichen um die Modernisierung bzw. Neuerstellung von Curricula. Die früheren Lehrpläne waren sowohl hoffnungslos überaltert als auch stundenmäßig überfrachtet. Über 20 Jahre Krieg und wechselnde Machthaber hatten ihre Spuren hinterlassen: So fanden sich hier 2002 z. B. noch überdimensionierte Lehreinheiten für Dialektik als sowjetisches Erbe oder das umfangreiche gemeinsame Gebet aller Kollegen, welches noch die Taliban verordnet hatten. Vielfach war es daher notwendig, völlig neue Curricula zu entwickeln. Die Geographen sind heute besonders stolz darauf, dass ihr Fach das erste in Afghanistan war, für das in der Nach- Taliban-Zeit ein moderner Lehrplan entwickelt werden konnte. Heute studieren an der Universität Kabul Studentinnen und Studenten nach dem neuen, zuletzt am Institut für Geographie in Gießen gemeinsam mit den Kabuler Kollegen entwickelten, Bachelor-Curriculum Geographie. Es folgten die Fächer Geologie und Hydrometeorologie. Aufbauend auf diesen konstruktiven Erfahrungen gelang es schließlich 2008 auch, für den Master-Studiengang Geographie das erste Master-Curriculum für Afghanistan zu entwickeln. Für eine international anerkannte Implementierung des Master-Studiengangs ist nun also der akkreditierte Studienplan vorhanden, es fehlt jedoch derzeit noch an geeigneten Lehrkräften. Die Vorgaben des afghanischen Ministry of Higher Education sehen vor, dass für die Durchführung eines Master-Studiengangs eine Mindestzahl von drei promovierten Lehrenden zur Verfügung steht. Bislang können Masterabschlüsse in Afghanistan jedoch nur in Religion und in den Sprachwissenschaften (Dari und Paschtu) erlangt werden. Ambitioniertes Ziel der Fachkoordination Geographie in Gießen ist es, dass Geographie demnächst als drittes Master-Studienfach in Afghanistan hinzukommt. 123

125 Andreas Dittmann Abbildung 5: Die deutschen Akteure und Kooperationspartner im akademischen Afghanistan-Wiederaufbau Quelle: Kartographie, Institut für Geographie, Justus-Liebig-Universität Gießen Doktoranden und Gastdozenten von der Universität Kabul Parallel zur zweiten Phase, die auch von einer fortgesetzten Ausstattung mit Lehr-und Labormaterialien geprägt war, liefen als dritte Maßnahme verschiedene Promotionsförderungen. Mittlerweile wurden zwei Dissertationen im Fach Anthropogeographie abgeschlossen. Die entsprechenden Gießen-Alumni sind inzwischen als Fachkollegen am Department of Geography der Kabul Universität tätig. Die Zukunftshoffnungen des Faches liegen hier vor allem auf den am Institut für Geographie in Gießen promovierten Kollegen Prof. Dr. Sardar M. Kohistani, der seine in den Giessener Geographischen Schriften publizierte Arbeit über Probleme des Capacity Building in Afghanistan schrieb (KOHISTANI 2011) und auf Prof. Dr. Walid Noori, der sich des Verkehrsinfarktes der afghanischen Hauptstadt angenommen hat (NOORI 2010). Weitere Promotionsprojekte befinden sich derzeit im Stadium der Umsetzung, so dass die begründete Hoffnung besteht, mit diesen promovierten Lehrkräften an der Universität Kabul in absehbarer Zeit einen Master-Studiengang Geographie installieren zu können. Für eine Übergangszeit kann der nach wie vor bestehende Mangel an Fachkräften und entsprechend moderner, international qualitativ vergleichbarer Lehre nur durch Gastdozenturen kompensiert werden. Während es in den ersten Jahren möglich war, eine Fülle von Kurzzeit- 124

126 Andreas Dittmann dozenten für den Einsatz in Afghanistan zu gewinnen, geht deren Zahl und Bereitschaft in den letzten Jahren - nicht zuletzt aufgrund von Sicherheitsbedenken - merklich zurück. Inhaltlich bestand besonders große Nachfrage für die Lehreinheiten GIS, Fernerkundung, Stadtplanung sowie Kulturgeographie und Politische Geographie. Dass die Fachkoordination für Geographie nach den beachtlichen Anfangserfolgen auch unter mittlerweile erschwerten Bedingungen fortgesetzt werden konnte, ist im Wesentlichen der Tatsache zu verdanken, dass für das Fach Geographie mit Hilfe des DAAD eine serielle Kurzzeitdozentur über mittlerweile drei Semester am Department of Geography der Kabul Universität existiert. Hier engagiert sich Berthold Oehm (Universität Würzburg). Geplant ist, in der nächsten Zeit die bisherigen Kurzzeitdozenturen in Langzeitdozenturen überzuleiten. Es wäre dies die erste Langzeitdozentur in den Geowissenschaften in Afghanistan überhaupt. Deutsch-afghanische Forschungsprojekte Die vierte, derzeit noch laufende Phase der Kooperation wird durch zwei Maßnahmenbündel gekennzeichnet, die bislang nur z. T. schon umgesetzt werden konnten, z. T. noch eine Zukunftsvision darstellen. Die beiden Hauptziele sind - insbesondere für die nächsten zehn Jahre ab 2015 innerhalb der vom Auswärtigen Amt (AA) und DAAD so genannten Transformationsdekade ) - die Kooperationen über Kabul hinaus auch auf andere Universitäten des Landes über auszuweiten und gemeinsame Forschungsprojekte zu implementieren. Wie intensiv sich diese Maßnahmen umsetzen lassen werden können, hängt ganz wesentlich davon ab, wie die wichtigsten Förderer die zweite Dekade des Afghanistan-Aufbaus definieren und in welchen Bereichen Schwerpunkte gesetzt werden können. Für eine Ausweitung der Universitätspartnerschaften kommen in den Geowissenschaften vor allem der Norden des Landes mit der Universität Balkh bei Masar-i-Sharif und die Herat University in Frage. Da sich auch nach 2014 das deutsche Entwicklungsengagement im Norden konzentrieren wird, wurden bereits erste Kooperationsvereinbarungen mit der Balkh University getroffen. Geographische Kooperationen werden sich hier allerdings nur in Zusammenarbeit mit anderen Fächern, insbesondere mit Geschichte, realisieren lassen, da in allen sog. Provinzuniversitäten im Gegensatz zur Kabul University die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern gegenüber der Ausbildung von Fachwissenschaftlern deutlich im Vordergrund steht. Insgesamt bestehen Kooperationsabkommen des Institutes für Geographie der Justus-Liebig Universität in Afghanistan mit folgenden Institutionen: 125

127 Andreas Dittmann - Department of Geography, Kabul University, - Department of Environmental Studies, Kabul University, - Herat University (Herat), - Balkh University (Marzar-i-Sharif), - Geodesy and Cartography Head Office (AGCHO), Kabul. Wesentlich weiter ist hingegen die Entwicklung bei der Durchführung von gemeinsamen Forschungsprojekten von afghanischen und deutschen Wissenschaftlern (AREZ UND DITTMANN 2008; STAARMANN 2012). Insbesondere durch Unterstützung der VW-Stiftung und der DAUG (Deutsch-Afghanische Universitäts-Gesellschaft) gelangen hier in der letzten Zeit wichtige erste Projekterfolge. Dazu gehören eine umfassende Bestandsaufnahme im Bereich der Squatter-Settlements von Kabul sowie Untersuchungen zur Basarwirtschaft in Kabul. Nachdem einige Förderer, die Afghanistan aus ihren bisherigen Planungen ausgeklammert hatten, das Land nun auch offiziell zu Zentralasien zählen, erweitert sich das Spektrum der Implementierungsmöglichkeiten für künftige Forschungsprojekte erheblich, so dass sich ausgesprochen positive Perspektiven für eine Fortsetzung der akademischen Aufbauarbeit im Fach Geographie für Afghanistan abzeichnen, wie unter anderen auch DIE ZEIT konstatierte (FRIEDRICH UND TUTMANN 2014). Forschung und Lehre in der Kooperation mit Iran Die Forschungskooperationen mit der Geographie in Iran dürfen schon deshalb als besonders nachhaltig eingestuft werden, weil sie in einer Zeit äußerst schwieriger (forschungs-)politischer Rahmenbedingungen nicht nur aufrechterhalten, sondern sogar weiterentwickelt werden konnten. Trotz der erheblichen, in erster Linie geopolitisch begründeten Behinderungen, welchen eine Implementierung von intensiveren Forschungsaktivitäten zwischen Iran und Deutschland über Jahre hinweg, sowohl von iranischer als auch von deutscher Seite, ausgesetzt war, gelang es unter wahren forschungsförderungspolitischen Eiszeitbedingungen zahlreiche Kooperationen umzusetzen. So entwickelten sich zwischen 2008 und 2013 insgesamt sechs Institutspartnerschaften und Universitäts-Kooperationen mit den folgenden Institutionen: - Department of Geography, University of Tehran, - Department of Geography and Tourism, Mazanderan University, - Department of Geography, Gilan University, Rasht, - Azad University, Tehran, 126

128 Andreas Dittmann - Shahid Beheshdi University, Tehran, - Department of Geography, Peyam Noor University, Tehran. Zu den Höhepunkten der Kooperation gehörten bislang die gemeinsame Betreuung von Doktoranden in einem vom DAAD und dem iranischen Wissenschafts-Ministerium unterstützen Sandwich-Programm zwischen dem Institut für Geographie der Justus-Liebig-Universität und dem Department of Geography der Tehran University, zwei Exkursionen ins Kaspische Tiefland Irans (2008, 2013) sowie die Durchführung von drei Geographie-Symposien und Summer Academies am Institut für Geographie in Gießen zu den Themenfeldern Landnutzung in den Tropen und Subtropen sowie Geotourismus und Naturschutz (DAAD- Förderung). Inhaltlich konzentrieren sich die gemeinsamen Forschungsaktivitäten derzeit vor allem auf Fragen der Stadtentwicklung, des Naturressourcen-Managements und des Geotourismus. Ein Sammelband mit ersten Ergebnissen von iranischen und deutschen Wissenschaftlern dazu ist gerade in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU) der Universität Gießen entstanden (DITTMANN 2014c). 2. Libyen und Sahara Aufgrund der aktuellen Entwicklungen im Umfeld der so genannten Arabellionen ist derzeit an eine Fortsetzung oder gar Intensivierung der Lehr- und Forschungsaktivitäten in vielen Ländern der MENA-Region (Middle East and North Africa) nicht zu denken. Abbildung 6: Noch friedlich zusammenarbeitend als Exkursionsführer: Tuareg und Tubu bei Sebha (Süd- Libyen) Abbildung 7: Wenn Exkursionen zu Expeditionen werden: Gießener Geographen in der libyschen Zentral-Sahara (Fezzan) Quelle: Eigene Aufnahmen Dies gilt sowohl für die bisherigen Praktika- und Exkursionsschwerpunkte in Libyen als auch für eine Fortführung der in Kooperationen mit Geographie-Alumni der Justus-Liebig- Universität eng verbundene Wissenschaftler aus Syrien. Einen Überblick zur aktuellen 127

129 Andreas Dittmann Situation und den Rahmenbedingungen von Lehrveranstaltungen und Kooperationen mit Partnern aus der MENA-Region liefern verschieden Publikationen, insbesondere zu Hintergründen der Arabellion in Libyen (DITTMANN 2013b, 2014a, 2014b). 3. Der Westafrika-Schwerpunkt mit den Initiativen SEPA, IREM und GESEREN SEPA (Solar-Energie-Partnerschaft mit Afrika) ist eine interdisziplinär ausgerichtete internationale Arbeitsinitiative, die 2008 an der Justus-Liebig-Universität Gießen gegründet wurde. Eines der wichtigsten Ziele von SEPA ist die Förderung des wissenschaftlichen Dialoges sowie die Erforschung von sozialen, gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen der Wüstenstromerzeugung. Dabei sollen ganz bewusst technische Belange, die als mittlerweile weitgehend erforscht eingestuft werden können und zudem bereits im Fokus genügend anderer Solar-Energie-Diskussionsforen stehen, in den Hintergrund rücken. Stattdessen sollen die bislang nur wenig bearbeiteten Themenfelder wirtschaftlicher und vor allem gesellschaftlicher Art den sog. speziellen Giessen Spirit of SEPA kennzeichnen. Beteiligte Disziplinen sind bislang vor allem Geographie, Rechtswissenschaften, Geschichte, Wirtschaftswissenschaften, Physik und Politik sowie in einer neuen interuniversitären Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) auch die Materialwissenschaften. Abbildung 8: Die Teilnehmer der ersten SEPA-Konferenz in Afrika in Dakar im November 2011 Quelle: A. Dittmann 128

130 Andreas Dittmann Nach mehreren, bislang am Standort Gießen durchgeführten SEPA-Konferenzen 2008, 2009 und 2010 wuchs das allgemeine Interesse für regenerative Energien, insbesondere für Solarenergie allgemein immer mehr, vor allem aber auch die Nachfrage nach auf Afrika fokussierten Nachhaltigkeitsstudien. Ganz bewusst will SEPA daher - über mehr oder weniger enge Grenzen technischer Machbarkeitsstudien hinaus - untersuchen, inwieweit die offiziell verlautbarten und intendierten Absichtserklärungen wichtiger Akteure der europäischen Energiewirtschaft wirklich auch die Entwicklung der afrikanischen Ursprungsregionen des Wüstenstroms im Auge behalten oder sich doch tatsächlich vielmehr auf eine Energieversorgung europäischer Konsumenten und die Fragen des Energietransportes von Afrika nach Europa konzentrieren. Die sozioökonomischen Auswirkungen der Umsetzung regenerativer Energieprojekte in Afrika und die Frage, inwieweit in erster Linie technische Großprojekte (CSPs = Concentrated Solar Power Plants) oder teilweise doch eher kleinere, aber leichter umsetzbare Solarprojekte geeignet sein könnten, bilden daher wichtige Anknüpfungspunkte des SEPA-Forschungsinteresses. Abbildung 9: Gießener Doktoranden und Master-Studierende aus der Anthropogeographie bei der SEPA- Konferenz in Dakar 2013 Quelle: Eigene Aufnahme 129

131 Andreas Dittmann Im Rahmen der bisherigen gegenseitigen Kooperationsbemühungen hatte sich klar herauskristallisiert, dass zur Verfolgung der SEPA-Forschungsfragestellungen eine stärker als bisher erfolgte Berücksichtigung und Einbeziehung subsaharischer Regionen besonders erfolgversprechend sein würde. Als Innovationszentren, von denen ausgehend jeweils die Nachbarregionen mit Solarenergie-Fragestellungen und entsprechenden Forschungsvorhaben konfrontiert werden sollten, bildeten sich relativ schnell Namibia und Senegal heraus. Der Grundgedanke ist dabei, dass von einem Initiativzentrum aus, z. B. von Dakar in Senegal oder z. B. von Windhoek in Namibia, die übrigen ECOWAS-Staaten bzw. SADC-Staaten integriert werden können. Dieser Idee folgend, ist es 2013 zum ersten Mal gelungen, eine SEPA-Konferenz in Afrika durchzuführen, an der Universität Cheikh Anta Diop (UCAD), Dakar. Finanziell und logistisch unterstützt wurde die Konferenz vom DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) und von der ANRSA (Agence National de la Recherche Scientifique Appliquée). Wichtige Diskussionsbeiträge konnten vor allem auch eingebracht werden von der Université Alioune Diop aus Bambay (UADB), der Université Assance Seck aus Ziguinchor, und der Université Gaston Berger aus Dakar. Besonders erfreulich ist, dass die westafrikanische Netzwerkbildung bereits eingesetzt hat und sich die Idee von Senegal bzw. Dakar als einem SEPA-Initiativzentrum mittlerweile schon etablieren konnte. Die Projektteilnehmer, mit z. T. beeindruckenden Projekt- und Forschungsberichten kommen außer aus Senegal vor allem auch aus Mauretanien, Niger und Tschad. Insbesondere die Geowissenschaftler aus Tschad stellen als Veranstaltungsort für eine der nächsten SEPA-Konferenzen Ndjamena zur Diskussion. Dies ist allerdings eine Option, die angesichts der aktuellen Aktivitäten der Terrororganisation Boko Haram derzeit eher noch in den Hintergrund treten muss. Zunächst wird noch in einer ersten Phase der Schwerpunkt der Kooperationsarbeiten zwischen der Justus-Liebig-Universität in Gießen (JLU) und der Université Cheikh Anta Diop (UCAD) in Dakar stattfinden, da auf diesem Verbindungsweg auch der weitaus überwiegende Teil von Doktoranden und Gastwissenschaftlern im gegenseitigen Austausch durchgeführt wird. Die Koordination dieser Aufgaben verantwortlich übernommen und bislang sehr erfolgreich umgesetzt hat das Institut für Geographie in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU) der Universität Gießen. Projekte der Studierendenförderung und der Nachwuchswissenschaftler-Mobilität konnten in diesem Zusammenhang vor allem durch die neuen Möglichkeiten des ebenfalls vom DAAD finanziell unterstützten GESEREN-Projektes (German Senegalese Renewable Energy) realisiert werden, wobei die internationale 130

132 Andreas Dittmann Zusammenarbeit vor allem auf die Kooperation mit dem Forschungszentrum CERER (Centre d Etudes et de Recherches sur les Energies Renouvelables) angewiesen ist, das ähnlich wie das ZEU an der JLU für die Université Cheikh Anta Diop in Dakar fungiert. Im Verlauf des Projektes wurde den SEPA-Aktivisten von der Justus-Liebig-Universität und der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) in Gießen rasch klar, dass die thematischen Zusammenhänge in den ECOWAS-Staaten z. T. ganz anders, vor allem aber auch thematisch weitergefasst diskutiert werden, als dies bei den bislang in Gießen durchgeführten internationalen SEPA- Konferenzen der Fall war. Westafrikanische Perspektiven erweitern daher ganz selbstverständlich den Fokus von einer rein Solarenergie-spezifischen Betrachtungsweise auf eine solche, die auch andere regenerative Energiequellen (insbesondere Windenergie an der mauretanischen Atlantikküste sowie z. B. Biogas-Produktion in Tschad und Senegal) mit einbezieht. Als selbstverständlich erscheint es aus ECOWAS-Perspektive allerdings auch, dass nicht nur die bisherigen, vorzugsweise von europäischen Akteuren favorisierten CSP-Großanlagen-Lösungen diskutiert werden, sondern Solarenergienutzung in seiner ganzen Breite. Das GESEREN-Projekt erfreut sich seit seiner Etablierung einer kontinuierlich wachsenden Nachfrage vor allem von Studierenden und Doktoranden, die von den senegalesischen Universitäten in Dakar, St. Louis und Ziguinchor nach Gießen kommen und den deutschen Master-Studierenden (vor allem aus der Geographie), die umgekehrt Auslands- und Gastsemester an den Universitäten in Dakar oder St. Louis verbringen. Auf großes Interesse stößt allgemein eine weitere Gießener Initiative, die den Fokus erneuerbarer Energien in interuniversitärer Zusammenarbeit weiterentwickeln möchte. Dabei geht es in erster Linie darum, einen internationalen Master-Studiengang zu etablieren, der an der Justus-Liebig- Universität Gießen in curricularer Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule Mittelhessen studiert werden kann. Dieser Master in International Renewable Energy Management (IREM) erfreut sich, obwohl noch in der Aufbau- und Konzeptionsphase, bereits jetzt einer außerordentlich hohen internationalen Nachfrage vor allem aus den subsaharischen Partnerländern. Er ist dabei konzeptionell im üblichen viersemestrigen Curriculum-Turnus organisiert, englischsprachig ausgerichtet und so strukturiert, dass internationale Bachelor-Absolventen aus verschiedenen geistes- wie naturwissenschaftlichen Fächern zunächst eine grundständige allgemeine Ausbildung in den Themenfeldern Erneuerbare Energien erhalten und dann fachspezifisch weiter ausgebildet werden können. Der neue Master-Studiengang steht grundsätzlich allen interessierten Bachelor-Absolventen offen, richtet sich aber auch dezidiert an Studierende aus Partnerländern in Afrika und der MENA-Region. 131

133 Andreas Dittmann 4. Das Institut für Geographie der Justus-Liebig-Universität Gießen und das Kooperationsabkommen mit der Namibia University of Science and Technology Als eine besonders intensive und ertragreiche Partnerschaft hat sich seit 2008 die Zusammenarbeit mit der Namibia University of Science and Technology (Windhoek) entwickelt. Am Anfang stand - wie bei vielen anderen im Rahmen dieser Zusammenstellung aufgezeigten Kooperationen auch - zunächst nur eine Institutspartnerschaft, in diesem Fall zwischen dem Institut für Geographie der Justus-Liebig-Universität und dem Polytechnicum in Windhoek, wie es damals noch hieß. Diese Partnerschaft hatte der Berichterstatter seinerzeit initiiert, um damit auch den notwendigen institutionellen Rahmen für eine Einbettung der bereits bestehenden vielfältigen Forschungsaktivitäten in Namibia zu schaffen (DITTMANN 2005, 2008 sowie Beiträge in DITTMANN UND JÜRGENS 2010). Auf namibischer Seite war am Polytech vor allem das Department of Landmanagement, Resources and Tourism, dessen Ansätze geographischen Forschungsansätzen und Perspektiven noch am nächsten kommen, eingespannt. Jedoch wurde von Anbeginn an von namibischer Seite die Perspektive einer weiterführenden Universitätspartnerschaft intendiert. Damals hatte das Polytech in Deutschland bereits ein beachtliches Spektrum von mehr als 40 Instituts- und Universitätspartnerschaften auf unterschiedlichen Ebenen. Bis 2013 ist daraus, nach dem Worten des Rektors der University of Science and Technology, Herrn Prof. Dr. Tjama Tjivikua, mittlerweile die stärkste und intensivste internationale Partnerschaft seiner Universität überhaupt geworden. Aus der ursprünglichen Instituts-Partnerschaft entwickelte sich rasch auch eine Kooperation, in welche das Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU) der Universität Gießen einbezogen werden konnte, da man hier zur gleichen Zeit nach Ansprechpartnern für die Forschungs- und Vernetzungsinitiative APEDIA im subsaharischen Afrika suchte. Der Fachbereich Rechtswissenschaften in Gießen schloss sich später an und so waren die Weichen für eine regelrechte Universitätspartnerschaft gestellt. Seither ist eine Vielzahl an Abschlussarbeiten im Bereich Anthropogeographie und Geographische Entwicklungsforschung aus den Kategorien Diplom- und Bachelor-Arbeiten entstanden und die ersten Master-Arbeiten sowie Dissertationen befinden sich in ihren Abschlussphasen. Inhaltlich stehen dabei Themen im Vordergrund, die ihre Initialisierung häufig in unmittelbarem Zusammenhang mit den Forschungsaktivitäten der Gießener Anthropogeographie erhielten, z. T. sogar aus entsprechenden Lehrveranstaltungen hervorgegangen sind. Der direkte Kontakt mit Kontexten, die im Rahmen von Gießener Namibia-Exkursionen der Geographie entstand, mag dabei für viele Studierende den Ausschlag dazu gegeben haben, sich den 132

134 Andreas Dittmann Herausforderungen einer eigenen wissenschaftlichen Arbeit zu stellen. Die ins Visier genommenen Themen lassen sich im Wesentlichen zu vier Hauptgruppen zusammenfassen: 1. Ressourcen-Knappheit und Ressourcen-Management 2. Landreform in Namibia 3. Ethnogeographie 4. Tourismus und Tourismus-Management Es soll an dieser Stelle ausdrücklich betont werden, dass sich ohne den engagierten Einsatz, des Gießener Geographen Dr. Thomas Christiansen viele der erfolgreichen Namibia-Unternehmungen nicht wie geplant hätten realisieren lassen. Herr Christiansen, im Bereich Anthropogeographie als Akademischer Oberrat tätig, verfügt über erhebliche praktische Erfahrungen der Geographischen Entwicklungsforschung, insbesondere auch aus afrikanischen und namibischen Kontexten. Auch zum Zeitpunkt der Wiederbesetzung der Gießener Anthropogeographie 2007 befand er sich bereits als abgeordnete CIM-Lehrkraft (CIM = Centre for International Migration) am damaligen Polytech in Windhoek. Dort wird er auch ab 2014 wieder - zunächst für zwei Jahre - in ähnlicher Weise tätig sein. Über die Lehrtätigkeit an der University of Science and Technology hinaus kommen insbesondere der Ermöglichung von Praktika- Möglichkeiten für Studierende aus Gießen seine jahrelangen GIZ-Kontakte zugute. Im Jahr 2015 werden mehrere Jubiläen begangen: Zum einen feiert Namibia 25 Jahre Unabhängigkeit, auf ein Vierteljahrhundert blickt dann auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik of Namibia zurück und der Kooperationsvertrag zwischen der Justus-Liebig-Universität und der Namibia University of Science and Technology in Windhoek kann dann auf fünf Jahre ausgesprochen intensiven und dynamischen Austauschs zurückblicken. Es ist zu hoffen, dass dann auch der mittlerweile zu einem Politikum verkommene Umbenennungsprozess des Namenswechsels von Polytech in Namibia University of Science and Technology offiziell endlich abgeschlossen sein wird. Die Aktivitäten zu den entsprechenden Feierlichkeiten und Festveranstaltungen, an denen auch der Bereich Anthropogeographie und Geographische Entwicklungsforschung der Universität Gießen beteiligt sein wird, befinden sich bereits jetzt in der Vorbereitungsphase. 133

135 Andreas Dittmann 5. Ländliche Entwicklung und Ressourcen-Management in Indonesien Das Institut für Geographie der Justus-Liebig-Universität Gießen war die erste Institution in Deutschland, die sich an der deutsch-indonesischen Bildungsoffensive DS5K beteiligte. Dabei stehen die Kürzel für Depths (= Schulden), Scholarships (= Stipendien) und 5K für und beziehen sich auf ein Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Indonesien, das im Rahmen einer Entwicklungsländer-Schuldenerlassinitiative vorsieht, dass Indonesien von der Bundesrepublik Finanzschulden in einer bestimmten Höhe erlassen bekommt, wenn es die jeweils doppelte Summe für Doktoranden-Stipendien für indonesische Kandidatinnen und Kandidaten zur Verfügung stellt. Innerhalb von fünf Jahren sollen auf diese Weise eintausend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Promotion geführt werden. Ein solches Programm ist natürlich mit erheblichen organisatorischen und logistischen Herausforderungen verbunden. Diese bestehen nicht nur in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit, sondern auch in der Notwendigkeit der Kontaktanbahnung zwischen deutschen und indonesischen Einrichtungen und vor allem in der Auswahl geeigneter Kandidatinnen und Kandidaten. Das Institut für Geographie in Gießen hatte hier besonders gute Voraussetzungen, die darin bestanden, dass es durch die früheren Forschungstätigkeiten von Prof. Harald Uhlig und Prof. Ulrich Scholz bereits eingespielte Kontakte nach Indonesien gab, gerade in Zusammenarbeit zwischen der Anthropogeographie in Gießen und dem KIT ( Karlsruhe Institute for Technology ) ein Forschungsprojekt in Java zu Wassermanagement läuft (DITTMANN, FACH, FUCHS, HOSSU, NESTMANN UND OBERLE 2011 sowie HOSSU 2014) und ein bei Prof. Lorenz King aus der Physischen Geographie in Gießen promovierter Geograph aus Indonesien, Prof. Dr. Muh Aris Marfai, an der Gadjah Mada University in Yogyakarta einige Monate zuvor an seine Heimatuniversität zurück gekehrt war und dort geeignete Kandidatinnen und Kandidaten vor auswählen und in Kenntnis des Gießener Forschungsumfeldes für die Promotionsstipendien vorschlagen konnte. Auf diese Wiese gelangten noch im Dezember 2011 die Doktorandinnen Arry Retnowati und Wiwin Widiyanti als erste Kandidatinnen im DS5K- Programm in Deutschland überhaupt nach Gießen und promovieren seitdem über Culture and Risk Based Spatial Planning in the Karst Area of Gunungsewu in Java. bzw. Climate Change and Water Scarcity Adaptation Strategies in the Pacitan Area, Java (RETNOWATI UND DITTMANN 2013; RETNOWATI, ANANTASARI, MARFAI UND DITTMANN 2013 sowie WIDIYANTI UND DITTMANN 2013). Es können im Rahmen dieser Kurzübersicht nicht alle internationalen Aspekte des Bereichs Anthropogeographie und Geographische Entwicklungsforschung des Institutes für Geogra- 134

136 Andreas Dittmann phie der Justus-Liebig-Universität angesprochen oder gar im Detail erläutert werden. Daher wird an entsprechender Stelle auf weiterführende Literatur verwiesen, von der ebenfalls nur eine Auswahl aufgeführt werden kann. 135

137 Andreas Dittmann Referenzen AREZ, G. J.; A. DITTMANN (Hg.) (2008): Urban Geography of Kabul. Changing Face of the Central and Western Parts of Kabul City. Kabul. DITTMANN, A. (2005): Zur globalen Vernetzung der Peripheren. Lebens- und Wirtschaftsweisen der Himba in Nord-Namibia zwischen ökologischer Randlage und internationaler Vernetzung. In: ERDMANN, K.-H.; C. SCHELL (Hg.): Zukunftsfaktor Natur - Blickpunkt Naturnutzungen. Bonn, S DITTMANN, A. (2006): Kabul - Afghanistan s Capital as a Chessboard for International Donors. In: Geographische Rundschau - International Edition 2 ( 1) S DITTMANN, A. (2008a): Brain Drain als Entwicklungsproblem - Kirchliche und staatliche Universitäten Tansanias im Exzellenz-Vergleich. In: In die Welt für die Welt, H. 6, S DITTMANN, A. (Hg.) (2008b): WILFRIED KIEL: Omuramba Omatako. Dornige Pfade in Südwest-Afrika. Bonn, Manama, New York, Florianopolis. DITTMANN, A.; U. JÜRGENS (2010): Transformationsprozesse in afrikanischen Entwicklungsländern - Entwicklungsforschung. Beiträge zu interdisziplinären Studien in Ländern des Südens 9, Berlin. DITTMANN, A. (2011): Der Kizilcahaman Çamlıdere Jeopark - ein Kooperationsprojekt der Universitäten Gießen und Ankara. In: Rundbrief Geographie, H. 232, S DITTMANN, A., FACH, S., FUCHS, S., HOSSU, M., NESTMANN, F.; P. OBERLE (2011): Aspekte des Wasserressourcen- Managements in Karstgebieten am Beispiel der Region Gunung Kidul auf Java, Indonesien. In: Hydrologie und Wasserbewirtschaftung 55, 2, S DITTMANN, A. (2013a): Auf dem Weg nach Afrikanistan Der Mali Konflikt als Spätfolge libyscher Destabilisierungspolitik in den Sahara Staaten. In: Berichte der Internationalen Wissenschaftlichen Vereinigung Weltwirtschaft und Weltpolitik, Bd. 2/13, S DITTMANN, A. (2013b): Zur Geographie der historischen und politischen Entwicklungsvoraussetzungen des postrevolutionären Libyen. In: Schneider, Thorsten Gerald (Hg.): Der Arabische Frühling. Hintergründe und Analysen. Wiesbaden, S DITTMANN, A. (2013c). "Afghanistan - Zehn Jahre Aufbauarbeit. Seit 2002 engagieren sich deutsche Geowissenschaftler beim Aufbau akademischer Strukturen in Afghanistan Die Bilanz aus Sicht der Geographie fällt positiv aus." In: Akademie Aktuell. Zeitschrift der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, H. 2, S DITTMANN, A. (Hg.) (2013d): BRECKLE, S.-W., HEDGE, I.C. and M.D. RAFIQPOOR: Vascular Plants of Afghanistan - an augmented Checklist. Scientia Bonnensis, Bonn, Manama, New York, Florianopolis. DITTMANN, A. (2014a): "Fragile Staatlichkeiten in Libyen und Mali auf dem Weg nach Afrikanistan. In: Mitteilungen der Fränkischen Geographischen Gesellschaft (FGG), Band 59, S DITTMANN, A. (2014b): Das post-revolutionäre Libyen. Entwicklungsperspektiven für einen ressourcenreichen, schwachen Staat. In: Geographische Rundschau, H. 2, S Dittmann, A. (Hg.) (2014c): Geoparks and Geotourism in Iran and neighboring Countries. - Schriften zur internationalen Entwicklungs- und Umweltforschung. Frankfurt, Berlin, Bern, New York. FUGMANN, G. (2011): Land Claim Settlements and their impacts: regional dynamics and bottom-up economic development in Nunavik and Nunatsiavut (Canada). Online verfügbar unter: Friedrich, H.; L. Tutmann (2014): Die Bildungsmissionare. Junge Afghanen werden an deutschen Universitäten ausgebildet - danach sollen sie ihr Land aufbauen. Kann das gelingen? In: Die ZEIT, Nr. 3, S ). HEINEKAMP. C. (2014): Soziale und ökonomische Disparitäten in Namibia: Der Caprivi - Entwicklungsforschung. Beiträge zu interdisziplinären Studien in Ländern des Südens, im Druck. HOSSU, M. (2014): Die Rolle interner und externer Akteure bei der Entwicklung des ländlichen Java. In: Giessener Geographische Schriften, im Druck. ISSA, C. (2012). Baukultur als Symbol nationaler Identität - das Beispiel Kabul, Afghanistan - Giessener Geographische Schriften 82, Bonn. KLEINJANS, P: (2012): Cinema Geography und die Analyse ausgewählter Filme zum Genozid in Ruanda - Entwicklungsforschung. Beiträge zu interdisziplinären Studien in Ländern des Südens 11, Berlin. KOHISTANI, S. M. (2011): State Building in Afghanistan: The Role of Institutional Capacity - Giessener Geographische Schriften 81, Bonn. NOORI, W. A. (2010): Challenges of traffic development in Kabul City. Online verfügbar unter: 136

138 Andreas Dittmann RETNOWATI, A.; A. DITTMANN (2013): Local Knowledge and Knowledge Management in Managing Karst Region in Gunungkidul, South Java, Indonesia. In: International Seminar on Thematic Geospatial Information for Natural Disaster, p Proceedings Communicating Multi-Scientific Analyses on Disaster Risk Management. Yogyakarta, Indonesia. RETNOWATI, A., ANANTASARI, E., MARFAI, M.A.; A. DITTMANN (2013): Environmental Ethics in Local Knowledge Responding to Climate Change: An Understanding of Seasonal Traditional Calendar Pranoto Mongso and its Phenology in Karst Area of GunungKidul, Yogyakarta, Indonesia. Available on: SONGORO, A. E. (2014): Land Scarcity, rural livelihoods and forest management in West Usambara, Tanzania. Online verfügbar unter: STAARMANN, A. (2012): Der Kolonialist in westlichen Köpfen. Das Beispiel Afghanistan - Entwicklungsforschung. Beiträge zu interdisziplinären Studien in Ländern des Südens 12, Berlin. TCHIGANKONG NOUBISSIE, D. (2014): The concept of sustainable development and sustainable management of natural resources in Africa through the German development cooperation. Online verfügbar unter: WIDIYANTI, W.; A. DITTMANN (2013): Local Adaptive Capacity to Cope with Water Scarcity in Pacitan, East Java, Indonesia. In: International Seminar on Thematic Geospatial Information for Natural Disaster, p Proceedings Communicating Multi-Scientific Analyses on Disaster Risk Management. Yogyakarta. 137

139 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker Regionalökonomische Effekte von Hochschulen: Ein Analyserahmen für den Standort Gießen Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert und Peter Winker Zusammenfassung Universitäten und andere Hochschulen haben ausgeprägte Wirkungen auf die Städte und Regionen, in denen sie angesiedelt sind. Neben unmittelbaren Effekten als großer Arbeitgeber und Nachfrager nach Gütern und Dienstleistungen ergeben sich mittelbare Effekte durch die Ausgaben der Beschäftigten und Studierenden, die zumindest teilweise ebenfalls regional wirksam werden. Darüber hinaus ergeben sich strukturelle Wirkungen, unter anderem auf die regionale Konzentration von Humankapital, das Gründungsgeschehen und weitere weiche Standortfaktoren wie etwas das kulturelle Angebot. Die aus regionalökonomischer Sicht als besonders wesentlich erachteten Effekte werden herausgearbeitet. Für den Standort Gießen mit Justus-Liebig-Universität Gießen und dem Hauptstandort der Technischen Hochschule Mittelhessen werden die nachfrageseitigen Aspekte quantifiziert, wobei auch auf die Unsicherheiten derartiger Berechnungen eingegangen wird. Es zeigt sich, dass wie für andere Standorte auch die unmittelbaren und mittelbaren Effekte am Standort das Volumen der eingesetzten öffentlichen Mittel deutlich übersteigen. Die Diskussion der strukturellen Effekte, die nicht ohne weiteres quantifiziert werden können, deutet jedoch darauf hin, dass diese mittel- bis langfristig von noch höherer Relevanz sind. Schlüsselwörter: Induzierte Nachfrage; regionale Strukturwirkungen von Hochschulen; regionalökonomische Analyse 1. Hochschulen in ihrer Region eine Einführung Universitäten und Fachhochschulen wirken auf ihre Region im Wesentlichen über zwei Kanäle. Erstens wirken sie als Nachfrager nach Gütern und Dienstleistungen direkt und über die Ausgaben ihrer Studierenden und Beschäftigten am Standort. Dazu kommen die mittelbaren Effekte dieser Ausgaben, also die durch die Nachfrage der ersten Runde induzierte Nachfrage auf vorgeschalteten Stufen der Wertschöpfungskette. Wie sich zeigen wird, sind diese nachfrageseitigen Effekte im Prinzip messbar, auch über die Stufen der Wertschöpfungskette 138

140 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker hinweg. Allerdings ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten bei der regionalen Abgrenzung dieser Nachfragen, wenn eine relativ kleine Region wie die Stadt oder der Landkreis Gießen betrachtet wird. Unabhängig von der Frage nach der konkreten Quantifizierung der direkten und indirekten Effekte ähnelt dieser erste Wirkungsmechanismus dem nahezu jeder anderen größeren Einrichtung in der Region, sei es ein privates Unternehmen oder eine öffentliche Einrichtung. Zweitens, und hier wirken Hochschulen deutlich spezifischer als andere Einrichtungen, hat die Existenz einer Universität und anderer Hochschulen strukturelle Effekte, die zum Teil sehr langfristigen Charakter haben. Hier ist an Aspekte wie die demographische Entwicklung, das regionale Bildungsniveau, die Gründung neuer Unternehmen und den Wissenstransfer in Unternehmen der Region ebenso zu denken wie an Einfluss auf gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen in Gießen würde man bei den zuletzt genannten Effekten beispielsweise an Georg Büchner und das Institut für Angewandte Theaterwissenschaften denken. Eine Abschätzung der regionalökonomischen Effekte der Hochschulen an einem Standort ist abgesehen von den methodischen Herausforderungen, die dabei zu bewältigen sind von unmittelbarem Interesse für die Entscheidungsträger, die über die Verwendung öffentlicher Mittel zu entscheiden haben. Der Standort Gießen wiederum ist besonders interessant, weil er durch das bundesweit höchste Studierendenaufkommen bezogen auf die Einwohnerzahl erwarten lässt, dass die regionalökonomischen Wirkungen hier besonders deutlich zu Tage treten. In der Tat studierten im Jahr 2013 an der Justus-Liebig-Universität (JLU) und am Standort Gießen der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) zusammen um die Studierenden bei einer Einwohnerzahl der Stadt Gießen von knapp Ende des Jahres Der in diesem Beitrag vorgestellte Analyserahmen baut auf früheren Arbeiten zum Thema auf (vgl. dazu GIESE 1987). Insbesondere wurde bereits von KAUFMANN (1982) eine Untersuchung für die Wirkungen der JLU vorgestellt, die ähnlich wie ein Großteil der vergleichbaren Studien für andere Standorte primär auf die Nachfrageseite abhob. Diese wurde sehr detailliert und mit großem Aufwand erfasst. So wurden beispielsweise stichprobenartig Belege der Buchhaltung ausgewertet, um Aussagen über die regionale Inzidenz der Hochschulausgaben zu ermöglichen. Im Ergebnis wurde ausgewiesen, dass die gesamte durch die JLU induzierte Nachfrage die direkten Ausgaben um ca. 15% übersteigt. Vergleichbare Methoden setzen auch die meisten der aktuelleren Studien ein, die sich auf die durch die Universitäten und Hochschulen induzierten Nachfrageeffekte fokussieren (z.b. ASSENMACHER et al. 2004; BECKENBACH et 139

141 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker al. 2011; BLUME UND FROMM 2000; LEUSING 2007; OSER UND SCHROEDER 1995; ROSENFELD et al und SPEHL et al. 2005). 1 Im Hinblick auf die strukturellen Effekte wird überwiegend auf die Durchführung und Auswertung von Befragungsdaten gesetzt. Insbesondere geht es dabei um den Verbleib der Absolventen (z. B. ASSENMACHER et al. 2004; BECKENBACH et al und SPEHL et al. 2007), Unternehmensgründungen aus den Hochschulen (z.b. BECKENBACH et al und SPEHL et al. 2007) und den Wissenstransfer in die Unternehmen der Region (z.b. BLUME UND FROMM 2000; HAGEN 2006 und ROSENFELD et al. 2005). Es ist unmittelbar einsichtig, dass mit Daten aus Umfragen, die typischerweise nur für einen Zeitpunkt oder kurze Zeiträume vorliegen, langfristige strukturelle Effekte nur sehr eingeschränkt erfassbar sind. In diesem Beitrag wird zunächst etwas genauer auf den regionalökonomischen Analyserahmen eingegangen, der für die Untersuchung der Wirkungen von Hochschulen in ihrer Region eingesetzt werden kann. Danach werden im 3. Abschnitt aktualisierte Daten zur Nachfrageseite der JLU und THM in Gießen vorgestellt. Mit der Frage, wie die indirekten Effekte regionalspezifisch erfasst werden können, befasst sich der 4. Abschnitt. Im Anschluss werden Ansätze zur Analyse der strukturellen Wirkungen vorgestellt, ohne diese jedoch bereits quantifizieren zu können. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und einem gezielten Ausblick auf weitere Schritte vor allem im Hinblick auf die Erfassung struktureller Effekte. 2. Regionalökonomischer Analyserahmen Grundlegend für das Verständnis der regionalen Wirkungen der Ausgaben von Hochschulen und Studierenden ist die postkeynesianische Wachstumstheorie. Deren folgende Darstellung ist entnommen aus LIEFNER UND SCHÄTZL (2012: 86-90). Die postkeynesianische Wachstumstheorie ist nachfrageorientiert und betrachtet die Investitionstätigkeit als eine entscheidende Determinante des wirtschaftlichen Wachstums. Nettoinvestitionen haben einen Einkommens-, Kapazitäts- und Komplementäreffekt. Dabei wird die Wirkung zusätzlicher Investitionen auf Volkseinkommen und Gesamtnachfrage als Einkommenseffekt, die auf Produktionskapazität und Kapitalstock als Kapazitätseffekt und alle positiven oder negativen Wirkungen intrasektoraler und intersektoraler Beziehungen als Komplementäreffekt bezeichnet. Für die 1 Die Studie für die Berliner Universitäten (DIWECON 2013) geht ebenfalls von nicht unerheblichen induzierten Wertschöpfungseffekten aus, ohne jedoch explizite Angaben zur Berechnungsgrundlage zu machen. 140

142 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker Frage der regionalökonomischen Wirkungen von Hochschulen sind vor allem der Einkommenseffekt und der Komplementäreffekt relevant. Der Einkommenseffekt beschreibt die Tatsache, dass die am Hochschulort getätigten Ausgaben zumindest teilweise zu einer Erhöhung der regionsintern erzielten und verfügbaren Einkommen führen. In der folgenden Zeitperiode zieht die Einkommenserhöhung wiederum zusätzliche regionsinterne Ausgaben nach sich, abzüglich der Sparquote und dem Prozentsatz der Ausgaben, die außerhalb der Region getätigt werden. Über mehrere Wirkungsrunden betrachtet kann der Einkommenseffekt die Höhe der ursprünglichen Ausgaben unter Umständen (insbesondere bei größeren regionalen Einheiten) deutlich übersteigen. Als Komplementäreffekt sind die durch Nettoinvestitionen direkt hervorgerufenen Anreize zur Durchführung komplementärer Investitionen in benachbarten Branchen zu verstehen. Vorwärtskopplungseffekte bezeichnen Investitionen, die durch die Weiterverarbeitung des Outputs in Anschlussindustrien entstehen, und Rückwärtskopplungseffekte solche, die durch die Nachfrage nach Gütern und Diensten in vorgelagerten Betrieben bewirkt werden (HIRSCHMAN 1958: ). Als Vorwärtskopplungseffekt wären demnach Investitionen in einen Copyshop zum Vervielfältigen und Binden studentischer Abschlussarbeiten anzusehen. Rückwärtskopplungseffekte betreffen z. B. die Bereitstellung von Geräten und Verbrauchsmaterial für Laborforschung. Die Stärke von Einkommens- und Komplementäreffekt nimmt mit zunehmender Entfernung vom Ort der Ausgaben bzw. Leistungserstellung ab. Die Reichweite hängt unter anderem vom Pendlereinzugsbereich eines Standorts und von der Vielfalt des lokalen Angebots an Gütern und Dienstleistungen ab, die von der Hochschule, ihren Beschäftigten und den Studierenden nachgefragt werden. Bei spezialisierten Universitätsstädten ist sowohl von einem großen Pendlereinzugsbereich als auch von begrenzter Vielfalt des lokalen Güter- und Dienstleistungsangebots auszugehen. Einkommens- und Komplementäreffekt diffundieren daher stark und regionale Wirkungen sind eher begrenzt. Zur Erklärung der dynamischen Wirkungen, die von den Leistungen der Hochschulen ausgehen, existiert keine geschlossene Theorie. Empirisch fundierte Untersuchungen verweisen vielfach auf den Begriff der Spillover. Die wesentlichen Leistungen von Hochschulen sind Ausbildungsleistungen, d. h. die Qualifikation von Studierenden unterschiedlicher Grade, und Forschungsleistungen, hervorgebracht und dokumentiert in Form von wissenschaftlichen Publikationen, Vorträgen und ggf. Schutzrechten auf Erfindungen. Ausbildungs- und Forschungsleistungen orientieren sich in der Regel nicht allein am Bedarf der Heimatregion der 141

143 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker Hochschulen. Jedoch ist die Tendenz offenkundig, dass manche Absolventen Anstellungen im Nahbereich ihrer Hochschule präferieren und dass manche Forschungsleistung regional auf großes Interesse stößt, v. a. wenn regionale Bedarfslagen Anlass zur Bearbeitung bestimmter Forschungsfragen waren. Die hieraus resultierenden Wissensströme von der Hochschule in ihr regionales Umfeld werden als Spillover-Effekte bezeichnet. Die regionale Innovationsforschung schreibt diesen Effekten große Wirkung zu und sieht die Innovationsfähigkeit der regionalen Wirtschaft zu weiten Teilen als Ergebnis der Tätigkeit regional ansässiger Hochschulen an. Eine umfangreiche Literatur beschäftigt sich mit Spillover-Effekten öffentlicher Forschungs- und Bildungseinrichtungen auf Unternehmen (z. B. JAFFE 1989; JAFFE et al. 1993; ANSELIN et al. 1997; BRESCHI UND LISSONI 2001). Diese Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass die räumliche Nähe zu Hochschulen für die Innovationsfähigkeit von Unternehmen vorteilhaft ist. Aus der Tatsache, dass das regionale Umfeld in besonderer Weise von der Leistung von Hochschulen profitiert, leiten zahlreiche Wissenschaftler und Praktiker die Existenz einer dritten Kategorie von Hochschulleistungen ab, nämlich Leistungen für die Region (GODDARD 1997). Diese Leistungskategorie (Third Mission) deckt auf den lokalen Markt zugeschnittene Ausbildungsleistungen und regional zugeschnittene Aktivitäten in der angewandten Forschung ebenso ab, wie die Förderung von Unternehmensgründungen, lokale gesellschaftliche Initiativen oder etwa Sport- und Gesundheitsangebote. 3. Monetär quantifizierbare kurzfristige Effekte 3.1 Ausgaben der Hochschulen und des Studentenwerks Die größten Blöcke der durch die JLU und THM kurzfristig generierten Nachfrage stellen die Ausgaben der Hochschulen und des Studentenwerkes sowie die im folgenden Abschnitt näher untersuchten Ausgaben der Studierenden dar. Die Nachfrage seitens der Universität und der THM lässt sich dabei in Personalausgaben, konsumtive Ausgaben und Investitionsausgaben untergliedern. Die für eine Quantifizierung erforderlichen Daten finden sich im Jahresabschluss der JLU, der THM sowie des Studentenwerks. Da ein getrennter Ausweis der Ausgaben der THM nach Standorten (neben Gießen gibt es noch Standorte in Friedberg und Wetzlar) nicht vorliegt, werden die Ausgaben für den Standort Gießen entsprechend des Personalanteils von 71,5% im Jahre 2011 auf diesen Standort bezogen. Bei den Ausgaben des Studentenwerkes ist zu beachten, dass diese nicht nur durch die JLU Gießen sondern auch durch die THM am Standort Gießen sowie die Standorte Friedberg, Fulda und Wetzlar bedingt werden. Auf 142

144 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker Grundlage verschiedener Indikatoren wird in dieser Studie ein pauschaler Anteil von 75% der vom Studentenwerk getätigten Ausgaben der JLU und der THM am Standort Gießen zugerechnet. Die relevanten Ausgaben der JLU und der THM am Standort Gießen, sowie die der JLU und der THM am Standort Gießen zurechenbaren Ausgaben des Studentenwerkes fasst Tabelle 1 zusammen. Wie sich aus der Tabelle entnehmen lässt, stellen die Personalausgaben den wichtigsten Posten dar, während die konsumtiven Ausgaben und die Investitionen in etwa die gleiche Höhe aufweisen. Die in Tabelle 1 aufgeführten Ausgaben werden aus mehreren Gründen nicht voll auf regionaler Ebene nachfragewirksam. Zunächst handelt es sich bei den Personalausgaben um Bruttolöhne, die um Steuern und Sozialabgaben auf Arbeitnehmerebene und etwaige Transferzahlungen zu bereinigen sind. Nur ein Teil der so ermittelten Nettolöhne wird von den Lohnempfängern für den Konsum verwendet und wiederum nur ein Teil dieses Betrages direkt in der Region verausgabt. Konsumtive Ausgaben und Investitionen der Universität verbleiben ebenfalls nicht ausschließlich in der Region, sondern fließen auch an nicht regional ansässige Unternehmen. Tabelle 1: Ausgaben der JLU, der THM und des Studentenwerks nach Ausgabekategorien und Ausgaben am Standort Gießen (Stand 2011), in. a ohne Beiträge der JLU zu Sozialversicherungen und Altersversorgung b inklusive Mitteln aus HEUREKA und dem Konjunkturpaket II Personalausgaben 2 Konsumtive Ausgaben Investitionen JLU Gießen , , ,63 THM Standort Gießen (Anteil 0,715) , , ,00 Studentenwerk (Anteil 0,75) , , ,80 Gesamt , , ,43 Quelle: Eigene Berechnungen In der relevanten Literatur scheint ein gewisser Konsens zu bestehen, dass der regional nachfragewirksame Anteil universitärer Personalausgaben an den gesamten Personalausgaben (ohne die von der Universität direkt gezahlten Sozialleistungen) im Bereich von 40% liegt. Bezüglich des Anteils universitärer konsumtiver Ausgaben sowie universitärer Investitionen, 2 Als Berechnungsgrundlage werden diejenigen Ausgaben herangezogen, die über den Haushalt der Hochschulen verausgabt werden. Dazu gehören als durchlaufender Posten beispielsweise auch die Bezüge der emeritierten Professoren, nicht jedoch Pensionen und Rentenbezüge sowie andere familienbezogene Leistungen. 143

145 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker die regional nachfragwirksam werden, bestehen in der Literatur größere Diskrepanzen. Die Bandbreite reicht hierbei von Werten von 30% zu Werten von 80%. Im Rahmen dieser Arbeit wird für konsumptive Ausgaben ein regional nachfragewirksamer Anteil von 35% und für Investitionen ein entsprechender Anteil von 30% unterstellt, was eine eher vorsichte Schätzung der regional wirksamen Ausgaben impliziert. Tabelle 2: Unterstellte Anteile der regional nachfragewirksamen Ausgaben an den gesamten Ausgaben und absolute Höhe der regional nachfragewirksamen Ausgaben Personalausgaben Konsumptive Ausgaben Investitionen Gesamt Unterstellter Anteil 0,40 0,35 0,30 Betrag , , , ,41 Quelle: Eigene Berechnungen Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Höhe der direkt in Gießen und im Nahbereich wirksamen Nachfrageeffekte der Ausgaben von JLU, THM und Studentenwerk am Standort Gießen. Aus der Tabelle wird ersichtlich, dass die durch Personalausgaben bedingten Nachfrageeffekte die mit Abstand bedeutendste Rolle einnehmen. Insgesamt wird durch direkte Ausgaben der Hochschulen in Gießen und im Nahbereich Nachfrage von ca. 159 Mio. generiert. Zu beachten ist, dass es sich hierbei nur um die sogenannten Erstrundeneffekte handelt. Etwaige Multiplikatoreffekte sind in dieser Zahl noch nicht berücksichtigt (siehe dazu Abschnitt 4). 3.2 Nachfrage der Studierenden Dieser Abschnitt charakterisiert die Nachfrage der Studierenden in Gießen. Für eine detaillierte Zusammenstellung anderer Studien zu Nachfrageeffekten in Deutschland sei auf STOETZER UND KRÄHMER (2007: 7) verwiesen. Für die vorliegende Studie liegen Daten zu Grunde, die im Sommersemester 2013 an der Justus-Liebig-Universität erhoben wurden. Primäres Ziel war es hierbei, die regionalwirtschaftlichen Nachfrageeffekte, die durch die Studierenden verursacht werden, besser einordnen zu können. Auf Grund dieser Tatsache wurden nur die Ausgaben erhoben, die in Gießen getätigt wurden. Um ein repräsentatives Bild zu bekommen, wurden 592 Studierende der JLU befragt. Dies entsprach rund 2,47% der Grundgesamtheit (JLU 2013). Darüber hinaus wurden auch 168 Studierende der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) am Standort Gießen befragt, was rund 2,19% der Grundgesamtheit darstellt (THM 2013). Bei der Auswahl der Befragungsstandorte wurde darauf geachtet, dass keine Fächergruppen und Fachbereiche über- bzw. unterrepräsentiert wurden. Die Durchführung der 144

146 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker Studie erfolgte in der 23. Kalenderwoche Zunächst ging es darum, Strukturmerkmale der Studierenden, wie beispielsweise Studienfach, Semester oder Wohnort festzustellen. Anschließend wurde nach der Höhe von verschiedenen Einnahmequellen gefragt, gefolgt von diversen Ausgaben und Ausgabenbereichen. Dabei wurden die Befragten darum gebeten, so genau wie möglich die Ausgaben, welche in Gießen getätigt wurden, zu beziffern. Nachfolgend wurden weitere Merkmale zu den Themen Wohnen, Beschäftigungssuche und Bildungsniveau der Eltern erhoben. Abbildung 1: Herkunft der studentischen Einnahmen in Prozent 2013 (Mehrfachnennungen zulässig) 100,0 80,0 60,0 n = ,0 20,0 0,0 Eltern andere Verwandte Nebenjob BAföG Sonstiges Quelle: Eigene Erhebung und Berechnung Einen interessanten Unterscheidungsfaktor für die in Gießen getätigten Ausgaben stellt der Wohnort der Studierenden dar. Studierende, die nicht mehr bei den Eltern wohnen, haben durchschnittlich mehr Geld zur Verfügung, allerdings auch höhere Ausgaben (hauptsächlich für Miete und Lebensmittel). Um eine regionale Differenzierung vornehmen zu können, wurde der Wohnort der Studierenden erfasst und zur Vereinfachung gruppiert. Dabei wurde unterschieden zwischen der Kernstadt Gießen ( Gießen ), dem Landkreis Gießen, Stadtgebiet Wetzlar, Lahnau & Hüttenberg ( Umland ) und den restlichen Wohnorten ( Rest ). Bei der Untersuchung der Wohnorte wurde ersichtlich, dass rund 54% der Befragten während ihres Studiums im Postleitzahlengebiet der Kernstadt Gießen wohnen, rund 21% im Umland und 25% außerhalb des Landkreises Gießen und der Stadtgebiete Wetzlars, Lahnaus und Hüttenbergs. Bei den Einnahmen der Studierenden spielt die Unterstützung durch Eltern, Freunde und Verwandten immer noch die größte Rolle. Wie Abb.1 zeigt, bezieht jedoch etwa die Hälfte der Studierenden auch Einnahmen aus einem Nebenjob. Zu den Nebenjobs gehören auch Tätigkei- 145

147 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker ten als studentische Hilfskraft an der JLU und der THM. Die Einnahmen aus diesen Nebenjobs ermöglichen den Studierenden zusätzliche, am Standort Gießen wirksame Ausgaben. Gleichzeitig tauchen diese Einnahmen in der Summe der Ausgaben von JLU und THM auf; sie fallen dort in das nicht weiter untergliederte Sachmittelbudget. An dieser Stelle lässt sich eine Doppelzählung regional wirksamer Ausgaben aus methodischen Gründen nicht vermeiden. Tabelle 3: Durchschnittliche in Gießen getätigte Ausgaben von Studierenden der Justus-Liebig-Universität und der Technischen Hochschule Mittelhessen im Jahr 2013 Gießen Umland Rest Durchschnitt JLU & THM (n=410) (n=163) (n=187) (n=760) Miete 298, ,94* Einzelhandel 120,83 117,52 41,26 100,57 Essen und Trinken unterwegs 44,26 42,66 37,94 42,42 Nachtleben 37,46 37,79 27,35 35,05 Freizeit 18,24 20,11 10,12 16,65 Drogerie + Kosmetik 14,75 14,34 9,08 13,27 Gesundheitsausgaben 6,63 7,70 4,70 6,39 Kommunikation 23,89 21,75 9,74 19,96 Bekleidung/Schuhe 30,98 35,52 22,84 29,95 Bildungsausgaben 15,66 15,04 10,29 14,21 Transport 20,28 30,93 22,95 23,22 weitere Dienstleistungen 8,19 7,39 3,62 6,90 Sonderausgaben 48,38 64,23 23,63 45,69 Monatlich in Gießen getätigte Ausgaben pro Studierendem: 653,22 * Studentische Nachfrage in Gießen pro Monat: ,64 * wird im Gesamteffekt nur für Studenten mit Wohnsitz in Gießen verrechnet. Bei Studierenden mit einem Wohnsitz außerhalb Gießens wird davon ausgegangen, dass keine relevanten Nachfrageeffekte durch Mietausgaben in Gießen erzeugt werden. Quelle: Eigene Erhebung und Berechnung Bei der Erhebung der Daten zum studentischen Ausgabeverhalten wurden die Befragten speziell darauf hingewiesen, dass nur Ausgaben, die in Gießen getätigt wurden, von Relevanz seien. Darüber hinaus wurde nach verschiedenen Ausgabeposten gefragt, sodass eine grobe sektorale Aufgliederung der Ausgaben ermöglicht werden konnte. Die Analyse zeigte, dass im Sommersemester 2013 die in Gießen getätigten durchschnittlichen Gesamtausgaben bei rund 653 pro Monat und Student lagen. Hochgerechnet auf die Gesamtstudierendenzahl von 146

148 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker (JLU 2013) und (THM 2013) bedeutet dies eine studentische Nachfrage von ca. 16,3 Mio. monatlich (siehe Tabelle 3). Die Tabelle ist hierbei zweigeteilt. Die linken Kategorien Gießen, Umland und Rest stellen eine räumliche Differenzierung der Wohnorte der Studierenden dar. In der rechten Kategorie Durchschnitt JLU & THM sind die durchschnittlichen Ausgaben in Gießen aller Studierenden ausgewiesen, unabhängig von ihrem Wohnort. Größter Ausgabeposten der Studierenden waren die Mieten (incl. Nebenkosten). Diejenigen, die Miete bezahlt haben, mussten hierfür im Schnitt 298 für eine eigene Wohngelegenheit im Gießener Stadtgebiet aufwenden. Gewöhnlich fallen bei dieser Art von Berechnung diejenigen Studierenden aus der Betrachtung heraus, die bei ihren Eltern wohnen. Die jährliche in Gießen wirksam werdende studentische Nachfrage ist Tabelle 3 zu entnehmen. Generell besteht eine Schwierigkeit bei der Ermittlung der regionalökonomischen Effekte auch darin, dass bei Heimschläfern, also Studenten, die bei ihren Eltern wohnen, die Angaben zu Ausgaben in der Region deutlich von denen der anderen Studierenden abweichen. Dies kann zu einer Unterschätzung der tatsächlichen regionalen Wirksamkeit von Nachfragen führen. Tabelle 4: Anpassung der durchschnittlichen Ausgaben für Lebensmittel in Gießen Gießen Umland Eigener Haushalt 120,83 117,52 Elternhaushalt 94,17 39,00 Insgesamt im Schnitt vor der Anpassung Insgesamt im Schnitt nach der Anpassung 120,39 83,90 120,83 117,52 Quelle: Eigene Erhebung und Berechnung Ein Beispiel: Der Verbrauch an Lebensmitteln ist in der Regel bei Heimschläfern genauso hoch wie bei Studierenden, die ihren eigenen Haushalt führen. Wenn die Eltern bei Ersteren für die Kosten der Lebensmittel aufkommen, gibt der Studierende seine Kosten für Lebensmittel strukturell zu niedrig an. Von Relevanz ist diese Tatsache, wenn das Elternhaus in der Nähe vom Untersuchungsort liegt und die Eltern ihre Lebensmitteleinkäufe in Gießen tätigen. So verbleibt Geld in der Region und löst einen Nachfrageeffekt aus, der aus den Daten der Umfrage nicht unmittelbar hervorgeht. Für die nichterfassten Nachfrageeffekte ist interessant, dass 147

149 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker 1,45% der Gießener Studierenden direkt im Stadtgebiet und 9,2% im Umland bei ihren Eltern wohnen. Studierende mit eigenem Haushalt gaben im Schnitt 26 mehr für Lebensmittel aus, als Studenten, die bei den Eltern wohnen. Diese Tatsache begründet die vorgenommene Anpassung der unterstellten Lebensmittelausgaben der Heimschläfer an die Mittelwerte der Studierenden mit eigenem Haushalt (siehe Tabelle 4). Die transformierten Werte wurden in die Gesamtausgabenkalkulation aufgenommen. Bei anderen Ausgabeposten ist das individuelle Verhalten der Studierenden zu unterschiedlich, um vergleichbare Mittelwertanpassungen begründet annehmen und durchführen zu können. Eine Zusammenfassung der studentischen Ausgaben und erzeugten Nachfrage ist in Tabelle 5 aufgeführt. Tabelle 5: Zusammenfassung der studentischen Nachfrage in Gießen Wohnort Studierende in Prozent Studierende absolut Durchschnittliche Ausgaben Studentische Nachfrage monatlich Studentische Nachfrage jährlich Gießen 54, , , ,64 Gießen* 45, , , ,04 Summe: , ,68 *hierbei wird die durchschnittliche Miete von 298,94 nicht mit einberechnet, da sie nicht in Gießen nachfragewirksam wird. Quelle: Eigene Erhebung und Berechnung 4. Regionaler Multiplikator und Gesamtnachfrageeffekte Die vorangegangenen Abschnitte haben dargestellt, wie eine Abschätzung der in der Region wirksamen Nachfrage durch die Hochschulen, das Studentenwerk, deren Mitarbeiter und Studierenden erfolgen kann. Unberücksichtigt blieben jedoch bisher die sogenannten regionalen Multiplikatoreffekte. Damit wird der Sachverhalt bezeichnet, dass die zunächst in einer Region ausgabewirksam gewordene Nachfrage weitere indirekte Effekte erzeugt. Dabei kann zwischen Wirkungen über Wertschöpfungsketten und Einkommenseffekte differenziert werden. Beide Wirkungsmechanismen sollen an einem Beispiel verdeutlicht werden. Beauftragt die JLU einen lokalen Handwerkerbetrieb damit, eine defekte Dachrinne zu ersetzen, so wird dies dazu führen, dass der Betrieb bei einem Großhändler das entsprechende Material einkauft. Befindet sich dieser Großhändler ebenfalls in der Region, entsteht indirekt ein weiterer Nachfrageeffekt. Der Großhändler wird wiederum beim Hersteller neues Material ordern, was dort als weitere Nachfrage aufschlägt. Sollte auch dieser Hersteller in der Region 148

150 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker sitzen, wird ein Drittrundeneffekt wirksam. Obwohl diese indirekten Effekte über die Wertschöpfungskette im Prinzip unendlich viele Runden drehen können, kann der Gesamteffekt im Rahmen der Input-Output-Analyse abgeschätzt werden (vgl. z. B. WINKER 2010: Kap. 5). Allerdings liegen die für diese Analyse notwendigen Input-Output-Tabellen nur für die gesamte deutsche Volkswirtschaft vor, während für die Analysezwecke in dieser Arbeit eine regionale Input-Output-Tabelle notwendig wäre, die insbesondere auch ausweist, welche Teile der induzierten Nachfrage tatsächlich lokal anfallen. Bestenfalls können also Näherungswerte erhalten werden (vgl. z.b. ULRICH et al. 2012: 40ff, für eine Anwendung auf Ebene der Bundesländer). Die Betrachtung desselben Beispiels zeigt, dass durch die Ausgabe der JLU Einkommen auf den verschiedenen Ebenen der Wertschöpfungskette entstehen, also beim beauftragten Handwerksbetrieb, beim Großhändler, beim Hersteller etc. Da diese Einkommen zum Teil wieder in der Region zu zusätzlicher Nachfrage führen, wirkt der üblicherweise einfach als Multiplikator bezeichnete Effekt auch in diesem Kontext. Allerdings ist auch für diesen zweiten Wirkungsmechanismus abzuschätzen, wie groß der Anteil der über zusätzliche Einkommen in der Region generierte Nachfrageeffekt ist, der wieder in der Region wirksam wird. Im Folgenden beziehen wir uns auf die oben erläuterten regionsspezifischen Annahmen bezüglich der regionalen Wirksamkeit der Ausgaben von Hochschulen und Studierenden. Außerdem werden wir explizit darauf hinweisen, welche Schätzungen eher als untere und welche als obere Grenze der Gesamteffekte aufzufassen sind, um das nicht unerhebliche Maß an Unsicherheit über die quantitative Abschätzung dieser Effekte deutlich zu kommunizieren. Aus unserer Sicht erscheint es nicht sinnvoll, den Nachfrageeffekt über die folgenden Wirkungsrunden (Multiplikator) für die ursprünglichen Ausgabenkategorien differenziert zu betrachten. Dafür ist folgende Überlegung ausschlaggebend: Alle betrachteten regionalwirksamen Ausgaben führen hauptsächlich zu steigenden Einkommen der regionalen Bevölkerung, unabhängig davon, ob dies eine Folge der Gehaltszahlungen der Hochschulen ist oder durch eine erhöhte Einkommenserzielung bei Betrieben zustande kommt, die die Hochschulen mit Sachgütern und Dienstleistungen versorgen, oder eine Folge der steigenden Beschäftigung im studentisch genutzten Einzelhandel und der Gastronomie. Es ist daher sachgerecht anzunehmen, dass sich von der zweiten bis n-ten Wirkungsrunde einheitliche Quoten des regionalen Verbleibs, bzw. der regionalen Nachfragewirksamkeit der zusätzlich geschaffen Einkommen einstellen. Aus diesem Grunde nutzen wir die bereits oben eingeführten Werte 40% und 30% 149

151 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker als obere und untere Grenzen der regionalen Wirksamkeit und ergänzen diese durch einen mittleren Wert von 35%. Tabelle 6: Zusammenfassung der regional nachfragewirksamen Ausgaben der JLU, der THM und des Studentenwerks sowie des resultierenden Gesamteffekts am Standort Gießen (Stand 2011), in Mio.. Summe der regional nachfragewirksamen Hochschulausgaben (vgl. Tabelle 2) Summe der regional nachfragewirksamen Ausgaben der Studierenden (vgl. Tabelle 5) 159 Mio. 196 Mio. Gesamtsumme der hochschulinduzierten regional nachfragewirksamen Ausgaben 355 Mio. Gesamteffekt über n Wirkungsrunden bei einer regionalen Wirksamkeit in allen Folgenrunden von 0,4 (Maximumvariante) Gesamteffekt über n Wirkungsrunden bei einer regionalen Wirksamkeit in allen Folgenrunden von 0,35 (mittlere Variante) Gesamteffekt über n Wirkungsrunden bei einer regionalen Wirksamkeit in allen Folgenrunden von 0,3 (Minimumvariante) 592 Mio. 546 Mio. 507 Mio. Quelle: Eigene Berechnungen In allen drei Varianten stellen sich Gesamteffekte der regionalen Nachfrage zwischen 500 und 600 Mio. ein. Demnach sorgt die Existenz der Gießener Hochschulen für eine jährliche regionale Nachfrage in dieser Größenordnung. Legt man einen durchschnittlichen Arbeitsplatzkoeffizienten zugrunde, 3 z. B , ergibt sich ein regionaler Beschäftigungseffekt von Arbeitsplätzen. Zur Einordnung und Bewertung dieser Ergebnisse mögen folgende Überlegungen dienen: 1. Ein regionaler Nachfragezuwachs in der Größenordnung von 550 Mio. und ein regionaler Beschäftigungszuwachs von mehr als Arbeitsplätzen im Vergleich mit der Nicht-Existenz beider Hochschulen (mittlere Variante) belegt die Relevanz der Hochschulen für Stadt und Region. Die JLU und die THM sind die strukturprägenden regionalwirtschaftlichen Organisationen; ihre Wirksamkeit erstreckt sich weit über diese Einrichtungen hinaus und ist für weite Bereiche der Regionalwirtschaft von großer Bedeutung. 3 Der Arbeitsplatzkoeffizient, entsprechend einer branchenbezogenen Umsatzproduktivität, liegt z. B. für den Einzelhandel bei , für das Gastgewerbe bei lediglich und für das Baugewerbe bei (STATISTIK BW 2013). Der hier gewählte Arbeitsplatzkoeffizient dürfte den Beschäftigungseffekt tendenziell eher zu niedrig ansetzen. 150

152 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker 2. Der Gesamtnachfrageeffekt übertrifft die staatlichen Ausgaben für die beiden Hochschulen einschließlich Studentenwerk am Standort Gießen von insgesamt 429 Mio. (Summe Tabelle 1) um etwa 100 Mio.. Das heißt, die Summe der Ausgaben des Landes Hessen und nachrangig des Bundes und der EU liegt erheblich unter dem Zuwachs, der am Standort Gießen generiert wird. Entsprechendes gilt für den Beschäftigungseffekt. 3. Der regionale Zuschnitt Gießens mit der Nähe zum kaufkraftabsorbierenden Verdichtungsraum Frankfurt-Rhein/Main und der weiten Streuung attraktiver Wohnstandorte in Hessen bedingt vergleichsweise hohe Abflüsse regional geschaffener Einkommen. Und der Prozess der zunehmenden vertikalen Aufspaltung von Wertschöpfungsprozessen und der damit verbundenen immer stärkeren Spezialisierung von Firmen und Regionen führt zu einer immer engeren interregionalen Vernetzung von Wertschöpfungsprozessen. Daher kommen immer größere Anteile der in Gießen generierten Nachfrage dem Umland zu gute. Die regionalökonomischen Wirkungen des Instituts für Geographie ließen sich mit ihren Multiplikatoreffekten prinzipiell auf gleiche Weise, und im Detail sehr viel konkreter, berechnen. Aber auch ohne eine detaillierte Untersuchung ist klar, dass der Anteil der Geographie an den oben beschriebenen Wirkungen der Gießener Hochschulen im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegt. 5. Strukturelle und dynamische Effekte der Gießener Hochschulen Eine Beschränkung der Analyse auf die quantifizierbaren Nachfrageffekte ist aus zwei Gründen nicht befriedigend. Zum einen muss sich auch eine äußerst akribisch ausgeführte Erfassung der Ausgaben und ihrer Wirkungen mit methodischen Unzulänglichkeiten arrangieren. Zweitens sind die strukturverändernden, dynamischen Wirkungen der Hochschulen auf mittlere und längere Frist als wesentlich wichtiger einzuschätzen. Daher soll dieser Beitrag statt mit einer vertieften Auseinandersetzung mit den methodischen Problemen der Messung der Nachfrageeffekte mit einer kurzen und daher nur skizzenhaften Auflistung struktureller und langfristig-dynamischer Effekte schließen. Diese gliedert sich in eine knappe Diskussion der vier Wirkungsfelder unternehmerische Aktivitäten, Publikationen und Patente, Absolventenverbleib sowie Dienstleistungen für die Region. Diese Auswahl nimmt nicht in Anspruch, alle strukturellen Wirkungen abschließend zu beschreiben. Weitere 151

153 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker Wirkungsfelder wie die demographische Entwicklung wären durchaus denkbar, bleiben aber zukünftigen Analysen überlassen. Unternehmerische Aktivitäten Im Hinblick auf unternehmerische Aktivitäten, die sich aus den Hochschulen am Standort Gießen heraus entwickeln, ist zum einen an Unternehmensgründungen von Studenten und Absolventen zu denken, zum anderen auch an die Vermarktung von innerhalb der Universität getätigten Entwicklungen. Eine direkte Quantifizierung dieser Art struktureller Auswirkungen ist aufgrund langer Wirkungsverzögerungen mit großen Schwierigkeiten verbunden und soll an dieser Stelle nicht versucht werden. Dennoch sollen die folgenden Ausführungen einen Eindruck vom Ausmaß und der Art dieser Aktivitäten am Standort Gießen geben. Die TransMIT GmbH wurde von der JLU Gießen, der THM und der Universität Marburg sowie den regionalen Volkbanken, Sparkassen und der Industrie- und Handelskammer mit dem Ziel gegründet, an den Hochschulen entwickelte Technologien zu vermarkten. Auch die Unterstützung von Unternehmensgründungen aus der Universität heraus gehört zu den Kernaufgaben von TransMIT. Die Technologievermarktung erfolgt dabei über sogenannte TransMIT-Zentren, die zum Teil auch von Professoren geführt werden, die nicht an den drei genannten mittelhessischen Hochschulen lehren. Etwa die Hälfte der Zentren, welche 2011 einen Erlös von gut 5 Mio. Euro erwirtschafteten, untersteht der Leitung von Professoren aus Gießen. Eine weitere Einrichtung der JLU in Kooperation mit der THM und der Universität Marburg zur Förderung der unternehmerischen Aktivität aus der Hochschule heraus ist das ECM (Entrepreneurship Cluster Mittelhessen). Hauptaufgabe des ECM ist die Beratung und das Coaching von Existenzgründern. Dabei hilft das ECM vor allem bei der Verfassung von Anträgen für Fördermittel des Bundes und der EU für Existenzgründer. Momentan werden am Standort der JLU Gießen ca. 15 Projekte betreut. Für zwei dieser Projekte wurden bereits Fördermittel bewilligt und die daraus entstandenen Unternehmen sind heute erfolgreich am Markt tätig. Da das ECM eine noch recht junge Einrichtung ist, ist davon auszugehen, dass die Zahl der durch das ECM geförderten und betreuten Unternehmensgründungen in Zukunft weiter ansteigen wird. 152

154 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker Publikationen und Patente Nicht jedes wissenschaftliche Ergebnis ermöglicht unmittelbar eine unternehmerische Umsetzung, sei es dass die dafür notwendigen Investitionen aus den Hochschulen heraus auch mit Unterstützung von Einrichtungen wie der TransMIT nicht dargestellt werden können, sei es dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst nicht unmittelbar in eine unternehmerische Tätigkeit einsteigen wollen. Auch in diesen Fällen können jedoch aus dem an den Hochschulen gewonnenen Wissen weitere wirtschaftliche Aktivitäten entstehen. Die dafür notwendige Übertragung des Wissens kann entweder in offen zugänglicher Form, z.b. in Form von Publikationen, oder in geschützter Form, beispielsweise in Form von Patenten erfolgen. Grundsätzlich sind beide Übertragungswege vom Ansatz her nicht regional ausgerichtet. Sofern Publikationen in deutscher Sprache erscheinen, kann vielleicht noch eine Eingrenzung auf diesen Sprachraum vermutet werden, bei englischsprachigen Veröffentlichungen ist der Adressatenkreis in Zeiten des Internet die ganze Welt. Dennoch ist es nicht abwegig zu vermuten, dass auch diese Kanäle regional konzentrierte Wirkungen aufweisen. Neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen selbst ist nämlich auch deren Übersetzung in wirtschaftliche Produkte und Dienstleistungen erforderlich. Diese Übersetzung erfolgt u.a. über Vorträge, Fachgespräche oder auch informellere Kanäle, bei denen häufig eine persönliche Begegnung zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf der einen Seite und Entscheidungsträgern auf Seite von Wirtschaftsunternehmen auf der anderen Seite stattfindet. Die Gelegenheit für derartige eben auch ungeplante und (noch) nicht zielorientierte Begegnungen ist im regionalen Umkreis der Hochschulen naturgemäß größer. Auch im Hinblick auf den möglichen Erfolg der Umsetzung dürfte die Option zu einer unmittelbaren Rückkoppelung mit der Wissenschaft positiv wirken. Es liegt auf der Hand, dass eine Messung dieser indirekten Wirkungen wissenschaftlicher Aktivitäten auf die regionale Wirtschaftsentwicklung mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Die Entwicklung konkreter Messansätze bleibt daher zukünftigen Überlegungen vorbehalten. Absolventen und Verbleib Absolventen der Hochschulen stellen einen direkten Faktor für die Entwicklung der regionalen Wirtschaft dar. Hochqualifiziertes Humankapital, welches die Absolventen einer Hochschule zur Verfügung stellen können, gilt gemeinhin als eine der wichtigsten Determinanten von Wachstum und Entwicklung einer Region (z.b. GRUNDLACH 2001: 17). Der Verbleib der 153

155 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker Absolventen der regionalen Hochschulen oder alternativ die Anziehung von Absolventen von auswärts sind also von entscheidender Bedeutung für die ökonomischen Potenziale einer Region, denn gerade in Zeiten von hochmobilem Humankapital und angesichts des demographischen Wandels werden diese vor besondere Herausforderungen gestellt (u. a. HAUPT UND JANEBA 2003; LANGE 2009). Um die Potenziale weitestgehend ausschöpfen zu können, schließen sich Regionen zu größeren Metropolregionen zusammen und versuchen, sich mit unterschiedlichsten Maßnahmen als Wissenschaftsstandort zu positionieren, um die Standortattraktivität für Hochqualifizierte zu erhöhen (GROWE et al. 2007). Bei Humankapital wird eine Nutzungsrivalität unterstellt, da die personengebunden Fähigkeiten und Kenntnisse nur an einem Ort zur gleichen Zeit verwendet werden können. Inwiefern diese Annahme auch in Zeiten der webbasierten Wissensökonomie noch zutrifft, ist zwar derzeit Gegenstand der Diskussion, aber nach wie vor ist der Bedarf von Firmen und Regionen nach qualifiziertem Humankapital sehr hoch. Hochschulen sind überwiegend in Metropolregionen angesiedelt, so auch die JLU Gießen und die THM. Diese gehören geographisch zur Metropolregion FrankfurtRheinMain. In den Jahren hatte diese Metropolregion einen Netto-Zuwachs im Bereich der Hochqualifizierten von im Schnitt rund Personen pro Jahr vorzuweisen. 4 Größte Herkunftsregion war die Metropolregion Rhein-Ruhr mit durchschnittlich 150 Hochqualifizierten im Jahr. Die Abwanderungen von Frankfurt nach München betrugen hingegen rund 250 hochqualifizierte Arbeitnehmer im Jahr und stellten damit den höchsten Verlust für die Region FrankfurtRheinMain dar. Auch auf Bundesebene lässt sich ein eindeutiger Trend erkennen: Hochqualifizierte, die zuvor schon sozialversicherungspflichtig in peripheren Gebieten gearbeitet haben, ziehen zunehmend in die Metropolregionen, was eine deutliche finanzielle und strukturelle Schwächung der Peripherie zur Folge hat. Die Wanderungsbewegungen von hochqualifiziertem Humankapital innerhalb einer Metropolregion sind allerdings immer noch größer als zwischen ihnen. Diese Erkenntnisse sind auf alle Hochqualifizierten in den Metropolregionen bezogen und nicht nur auf die Hochschulabsolventen. Um detailliertere Erkenntnisse zum Verbleib der Absolventen einer Hochschule zu gewinnen, sind weitere Anstrengungen von Nöten. Studien beispielsweise von HELL et al. (2011) und WOLF (2012) zeigen für die Hochschulen in Saarbrücken und Kiel ein solches räumliches Muster des Verbleibs der Absolventen auf. Letztere Arbeit fokussiert sich allerdings primär auf die Erwerbssituation der Absolventen und ihren Arbeitsmarkteintritt. 4 Als Grundlage dieser Ausführungen dient TEICHERT (2012): Intra- und interregionale Humankapitalmobilität der Metropolregionen in Deutschland (Bachelor-Thesis, unveröffentlicht). 154

156 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker Solche Studien sind von grundsätzlichem Interesse für Universitäten, regionalen Firmen und Öffentlichkeit, da sie u.a. ein Effizienzproxy für die Mittelaufwendungen der Hochschulen darstellen und Aufschluss über den regionalen Humankapitalbesatz geben. Auch an der JLU werden derzeit Bestrebungen aktiv verfolgt, eine solche Studie für die Absolventen dieser Universität zu erstellen. Dienstleistungen für die Region Dienstleistungen für die Region und ihr im weitesten Sinne kultureller Beitrag zur Regionalentwicklung werden in der einschlägigen Literatur als eigenständiges Leistungsfeld von Hochschulen angesehen (z. B. CHATTERTON UND GODDARD 2000). Die Definition dieses dritten Aufgabenfelds ( third mission, third role ) neben Forschung und Lehre ist jedoch in der Praxis oft residual geprägt ( alles übrige ), nicht scharf abgegrenzt, und Modeströmungen unterlegen. Vielfach werden Angebote zur Fort- und Weiterbildung ebenso hinzugezählt wie die hier bereits getrennt diskutierte Funktion der Unterstützung wissensintensiver Unternehmensgründungen im Sinne einer Entrepreneurial University (CLARK 2001). Hinzu kommen Gasthörerprogramme, Gutachten für die regionale Wirtschaft und öffentliche Einrichtungen, Technologietransfer, kulturelle Beiträge (Theater, Ausstellungen, Museen, Gärten), Sportveranstaltungen und angebote, Gesundheitsangebote u.v.m. Das Feld der Dienstleistungen für die Region, abzüglich dieser mittlerweise fast als originäre Hochschulaufgaben geltenden lehr- und forschungsnahen Aktivitäten, wird im englischen Sprachgebrauch oft auch unter Campus-Community-Partnership zusammengefasst (BRINGLE und HATCHER 2002). Im deutschen Universitätssystem ist ein strukturierter Umgang mit derlei Aktivitäten auf Ebene der Universitäten und Fachhochschulen weitgehend unbekannt, abgesehen vom Tag der offenen Tür, von Schnupperangeboten für Schulen, oder offenen Ringvorlesungen. Zumeist sind die Träger solcher Aktivitäten stattdessen einzelne Institute oder Professuren. Daher bietet es sich an, einmal beispielhaft Angebote aus dem Institut für Geographie herauszugreifen, die in das Feld der Dienstleistungen für die Region fallen: - Gießener Geographische Gesellschaft: Die Gießener Geographische Gesellschaft ist offen für Mitglieder mit und ohne akademischem Hintergrund. Sie bietet ihren Vortragsveranstaltungen zu aktuellen geographischen Fragestellungen, allerdings in einem für Laien zugänglichen Format. Hinzu kommt ein Angebot an wissenschaftlich 155

157 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker begleiteten Exkursionen. Aufgrund der Tatsache, dass Schüler zu den häufigsten Gästen gehören und Lehrer die Geographische Gesellschaft zu Fortbildungszwecken nutzen können, besteht ein besonders enger Bezug zu lokalen Schulen. - Vorlauf- und Begleitforschung zur Landesgartenschau 2014: Das Institut für Geographie und insbesondere die Professur für Raumplanung ist in der Vorlauf- und Begleitforschung für die Landesgartenschau aktiv und unterstützt die städtischen Verantwortlichen mit Beiträgen zur Einschätzung der Perspektiven der Veranstaltung und ihrer Umsetzungsmöglichkeiten. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Arbeit sind Befragungen, die empirisch fundierte Einschätzungen, z. B. zu den zu erwartenden regionalökonomischen Effekten und zur Akzeptanz damit verbundener planerischer Maßnahmen, erlauben. - Entwicklung des Geoparks Westerwald-Lahn-Taunus: Die Professur für Anthropogeographie des Instituts ist an der Entwicklung und wissenschaftlichen Begleitung des Geoparks Westerwald-Lahn-Taunus beteiligt. Der Geopark verbindet Informationen und Bildung über Erdgeschichte und Naturraum mit dem konkreten Erleben von Natur und ihrer Nutzung. Zum Arbeitsprogramm des Geoparks gehört beispielsweise das Erstellen von Informationsmaterialien sowie die Weiterentwicklung der Konzeption des Parks. Diese Beispiele verdeutlichen exemplarisch, in welcher Form Hochschuleinrichtungen ihre akademischen Kerntätigkeiten um Dienstleistungen für die Region erweitern können. Abschließend lässt sich festhalten, dass die Leistungen von Hochschulen für ihre Region und damit ihre regionalökonomischen Wirkungen ein Produkt der Vielzahl ihrer Aktivitäten darstellen. Dabei ist es weder möglich, alle Wirkungen zu quantifizieren, noch lässt sich abschätzen, welche Einzelleistungen den wichtigsten Entwicklungsbeitrag liefern. Die Komplexität der Wirkweise von Hochschulen begründet letztlich ihre weitgehende öffentliche Finanzierung und gesellschaftliche Stellung als Institution. 6. Zusammenfassung und Ausblick Die Justus-Liebig-Universität und der Gießener Zweig der Technischen Hochschule Mittelhessen sind aus regionalökonomischer Perspektive standortprägende Akteure. Die von ihnen, ihren Studierenden und Beschäftigten ausgehende Nachfrage hat erhebliche Auswirkun- 156

158 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker gen auf die regionale Wirtschaft. Dabei ist zu beachten, dass sich diese Hochschulen durch eine große institutionelle Stabilität und eine relative Stabilität ihrer weitgehend öffentlichen Finanzierung auszeichnen. Die von ihnen ausgehenden wirtschaftlichen Impulse sind somit ebenfalls von dauerhafter Natur und bilden eine berechenbare Grundlage für die auf sie ausgerichteten Unternehmen. Zum Wesen der Hochschule gehört der Umgang mit und die Produktion von Wissen. Darin unterscheiden sich Hochschulen etwa von normalen öffentlichen Behörden. Von den Produkten der Hochschulen neues Wissen in Form von Forschungsergebnissen, Wissen in den Köpfen der Absolventinnen und Absolventen sowie der Beschäftigten, auf den Bedarf der Hochschulregion zugeschnittenes Wissen durch regionsspezifische Dienstleistungen können theoretisch unendlich viele profitieren. Jedoch fällt es denen am leichtesten, die sich in räumlicher Nähe zur Hochschule und ihren Angehörigen befinden. Daher gehen von JLU und THM strukturelle Wirkungen auf die Region Gießen aus, die sich zwar in ihrer Bedeutung und Intensität im Zeitablauf verändern mögen, aber immer das Potential bergen, die Region und ihre Fortentwicklung auf deutliche aber keineswegs immer vorhersehbare Weise zu stimulieren. Während die Methoden zur Erfassung der nachfrageseitigen regionalökonomischen Effekte etabliert sind und ihre Schwächen in den Bereichen der Datenerhebung und -verarbeitung lange diskutiert werden, ist die Bestimmung der langfristig-dynamischen Effekte sowie deren Prognose und gezielte Beeinflussung methodisches Neuland. Vielfach fehlen hier vor allem Daten und wissenschaftlich verwertbare Informationen, da sich die wesentliche Leistungsdimension der Hochschulen, das Wissen in den Köpfen ihrer Mitarbeiter und Absolventen, und das, was daraus entstehen kann, nicht einfach beobachten und messen lassen. Neuere Forschungsansätze, z. B. sogenannte scientometrische Analysen mit großen Datenmengen zu Koautorenschaften oder Kopatenten sowie Zitationen, scheinen ebenso erfolgversprechend wie die Verknüpfung von qualitativen Informationen (z. B. zu Erwerbsverläufen) und quantitativen Daten. Daher ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass ein gleichartiger Beitrag in der Festschrift zur 175-Jahrfeier des Instituts für Geographie auch die strukturellen Effekte von JLU und THM wird umfassend quantifizieren können. 157

159 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker Referenzen ANSELIN, L.; VARGA, A.; ACS, Z. (1997): Local geographic spillovers between university research and high technology innovations. In: Journal of Urban Economics 42, ASSENMACHER, M.; LEßMANN, G.; WEHRT, K. (2004): Regionale Entwicklungsimpulse von Hochschulen. Einkommens-, Beschäftigungs- und Kapazitätseffekte der Hochschulen Anhalt und Harz (FH). Harzer Hochschultexte, Nr. 7. BECKENBACH, F.; DASKALAKIS, M.; HOFMANN, D. (2011): Die ökonomische Bedeutung der Universität Kassel für die Region Nordhessen. In: Präsidium der Universität Kassel (Hrsg.): 40 Jahre Universität Kassel, Kassel, BLUME, L.; FROMM, O. (2000): Regionalökonomische Bedeutung von Hochschulen. Eine empirische Untersuchung am Beispiel der Universität Gesamthochschule Kassel. Kassel. BRESCHI, S.; LISSONI, F. (2001): Knowledge Spillovers and Local Innovation Systems: A Critical Survey. In: Industrial and Corporate Change 10, BRINGLE, R.G.; HATCHER, J.A. (2002): Campus-Community Partnerships: The Terms of Engagement. In: Journal of Social Issues 58 (3): CHATTERTON, P.; GODDARD, J. (2000): The Response of Higher Education Institutions to Regional Needs. In: European Journal of Education 35 (4): CLARK, B. (2001): The Entrepreneurial University: New Foundations of Collegiality, Autonomy, and Achievement. In: Higher Education Management 13 (2): DIWECON (2013): Berliner Universitäten als Wirtschaftsfaktor, DIW econ, Berlin. GIESE, E. (1987): Regionalwirtschaftliche Bedeutung von Hochschulen in der Bundesrepublik Deutsch land. In: Giese, E. (Hrsg.): Aktuelle Beiträge zur Hochschulforschung. Gießen, (Gießener Geographische Schriften 62). GODDARD, J. (1997): Managing the University / Regional Interface. In: Higher Education Management 9, GROWE, A.; VON LÖWIS, S.; TORNS, F. (2007): Wissensstädte und -regionen eine Einführung. In: Biecker, S. et al. (Hrsg.): Räumliche Planung im Wandel Welche Instrumente haben Zukunft? ARL-Arbeitsmaterialien, Heft 338, S Hannover. GRUNDLACH, E. (2001): Die Bedeutung des Humankapitals für das Wirtschaftswachstum. Institut für Weltwirtschaft. Kiel. HAUPT, A.; JANEBA, E. (2003): Bildung im Zeitalter mobilen Humankapitals. Vierteljahreshefte der Wirtschaftsförderung. Jg 72, Heft 2, S Duncker & Humblot. Berlin. HELL, S.; OTTO, A.; WYDRA-SOMAGGIO G. (2011) Räumliche Mobilität von Fachhochschulabsolventen. IAB-Regional Rheinland-Pfalz-Saarland, Ausgabe 01/2011. HIRSCHMAN, A. O. (1958): The Strategy of Economic Development. New Haven/ Conn., London JAFFE, A. B. (1989): Characterizing the Technological Position of Firms, with Application to Quantifying Technological Opportunity and Research Spillovers. In: Research Policy 18, JAFFE, A. B.; TRAJTENBERG, M.; HENDERSON, R. (1993): Geographic Localization of Knowledge Spillovers as Evidenced by Patent Citations. In: Quarterly Journal of Economics 108, JUSTUS-LIEBIG-UNIVERSITÄT GIEßEN (2010): Statistik der Studierenden. /kb/stat/stat_publ/studstat/aktuell-2/jlu-studierendenstatistik-ss-2010.pdf/file/_studstat_20101_teil _A_mERL.pdf (letzter Zugriff ). JUSTUS-LIEBIG-UNIVERSITÄT GIEßEN (2013): Statistik der Studierenden. t/stat_publ/studstat/aktuell-5/jlu-studierendenstatistik-ss-2013.pdf/file/_studstat20131_teil_a_me.pdf (letzter Zugriff ). KAUFMANN, L. (1982): Wechselwirkungen zwischen Hochschule und Hochschulregion. Fallstudie Justus-Liebig-Universität Giessen. Band II: Die ökonomischen Verflechtungen zwischen Universität und Hochschulregion. Verlag der Ferber schen Universitätsbuchhandlung, Gießen. LANGE, T. (2009): Public Funding of Higher Education when Students and Skilled Workers are Mobile. FinanzArchiv/Public Finance Analysis. Jg. 65, Heft 2, S Mohr Siebeck GmbH & Co. KG. Tübingen. LEUSING, B. (2007): Hochschulen als Standortfaktor. Eine empirische Analyse der regionalökonomischen Effekte der Universität Flensburg. Universität Flensburg, Internationales Institut für Management, Discussion Paper Nr. 15. LIEFNER, I.; SCHÄTZL, L. (2012): Theorien der Wirtschaftsgeographie. UTB Aufl., Schöningh: Paderborn. OSER, U.; SCHROEDER, E. (1995): Die Universität Konstanz als Wirtschaftsfaktor für die Region. Center for International Labor Economics (CILE), Discussion Paper. ROSENFELD, M.T.W.; FRANZ, P.; ROTH, D. (2005): Was bringt die Wissenschaft für die Wirtschaft einer Region? Schriften des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Band 18. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden. SPEHL, H.; SAUERBORN, K.; SAUER, M.; BENSON, L.; FESER, H.D.; VON MALOTTKI, C.; SCHULZE, P.M.; FLOHR, M. (2005): Regionalwirtschaftliche Wirkungen der Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Rheinland-Pfalz. Wertschöpfungs-, Einkommens- und Beschäftigungseffekte durch Bau und Betrieb der Einrichtungen. TAURUS-Institut Trier u.a.. 158

160 Ingo Liefner, Sebastian Bredl, Christian Teichert, Peter Winker STOETZER, M.-W.; KRÄHMER, C. (2007): Regionale Nachfrageeffekte der Hochschulen methodische Probleme und Ergebnisse empirischer Untersuchungen für die Bundesrepublik Deutschland. Jenaer Beiträge zur Wirtschaftsforschung, No (6), Fachhochschule Jena. TECHNISCHE HOCHSCHULE MITTELHESSEN (2013): Studierendenstatistik. stories/thm_studstat_studiengaenge_1fs_ges_ss05-ss13_broschuere_vorl_ pdf (letzter Zugriff ) ULRICH, P.; DISTELKAMP, M.; LEHR, U.; BICKEL, P.; PÜTTNER, A. (2012): Erneuerbar beschäftigt in den Bundesländern! Bericht zur daten- und modellgestützten Abschätzung der aktuellen Bruttobeschäftigung in den Bundesländern. Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) mbh, Osnabrück. WINKER, P. (2010): Empirische Wirtschaftsforschung und Ökonometrie. Springer, Heidelberg (3. Aufl.). WOLF, A.R. (2012): Die Erwerbssituation der Kieler Universitätsabsolventen. Institut für Regionalforschung, Universität Kiel. 159

161 Christian Diller Gießen und Marburg: Stadtentwicklung, Stadtdiskurse und studentische Lebensqualität im Vergleich Christian Diller Mittelhessen ist wohl die einzige deutsche Region, in der sich bei insgesamt nur moderater Siedlungsdichte zwei nahezu gleich großen Universitätsstädte in unmittelbarer Nachbarschaft befinden. Die Universitäten von Gießen und Marburg sind ein großes Potenzial der Region im nationalen oder gar internationalen Standortwettbewerb. Sie sind ein wichtiger Anziehungspunkt für potenzielle hochqualifizierte Arbeitskräfte. Angesichts der Tatsache, dass weiche Standortfaktoren in diesem Wettbewerb seit langem an Bedeutung gewinnen, stellt sich auch zunehmend die Frage nach den Lebensqualitäten, die Städte insbesondere für hochqualifizierte Kräfte bieten können. Daraus ergibt sich fast automatisch die Fragestellung dieses Beitrags: wie stellt sich die studentische Lebensqualität in den Städten Gießen und Marburg dar? Unterschiede in den Lebensqualitäten der Städte haben sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt. Der Beitrag zeichnet daher zunächst die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Entwicklung der beiden Städte nach: von der Gründung bis hin zu aktuellen Themen der Stadtentwicklung. Im zweiten Abschnitt werden dann die Unterschiede in den Diskursen über Stadtentwicklung herausgearbeitet. Im letzten Abschnitt wird schließlich eine aktuelle Studie vorgestellt, in der Gießener und Marburger Studierende nach Aspekten ihrer Lebensqualität in ihren beiden Studienorten befragt wurden. 1. Fast 900 Jahre Stadtentwicklung: Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Gießen und Marburg Von der Stadtgründung bis zum Zweiten Weltkrieg Die beiden Städte sind nahezu gleich alt: Gießen wurde als Stadt erstmals im Jahre 1248 erwähnt, Marburg bereits 1222, die Marburg selbst allerdings schon zu Beginn des 12. Jahrhunderts (DÄHNE 1985: 20f; DETTMERING 2008a: 13). Der erste Faktor, der die Unterschiede in der Entwicklung der beiden Städte erklärt, ist offensichtlich: ihre unterschiedliche topographische Situation (vgl. Abb 1). Marburg entstand auf exponierter erhöhter Position, eingezwängt in ein enges Tal der Lahn an der Kreuzung zweier Handelswege. Gießen wurde dagegen auf einer flachen Senke der Wieseckaue vor allem in einem eher siedlungsfeindlichen Gebiet angelegt (WENTZEL 1996: 21ff). Nicht der Naturraum sprach hier für den Standort und auch die 160

162 Christian Diller Verkehrslage (nähe zu Handelswegen) war bei weitem nicht so günstig wie in anderen Städten aus dieser Zeit; ausschlaggebend für die Gründung waren machtpolitische Faktoren (BRAKE 1998: 1). Abbildung 1: Historische Stadtansichten von Marburg und Gießen Quelle: Marburg, Kupferstecherei von Matthäus Merian 17. Jahrhundert; Gießen: UHLIG (1989) Die Lahn ist ein gemeinsames Element der beiden Städte, jedoch vollzog sich die Stadtentwicklung im Verhältnis zu diesem Fluss jeweils unterschiedlich. Das Gewässersystem war in Marburg von Anfang an mehr in die Stadtentwicklung einbezogen als in Gießen (BIVER et al. 2013: 12). Die Keimzelle der Stadt Marburg liegt mit 300 m (gemessen vom Rathausplatz) zwar nur etwas näher zur Lahn als die der Stadt Gießen (mit etwa 500 m vom Marktplatz). Und es kommt sogar noch der topographische Unterschied hinzu, der das Zusammenwachsen von Stadtkern und Fluss zunächst behinderte. Dennoch wurde der Sprung von der Oberstadt (mit den zentralen Gebäuden Schloss, Rathaus, St. Marien, Kugelherren und Franziskanerkloster) in die Unterstadt mit dem Dominikanerkloster und dem Bau der 1283 eingeweihten Elisabethkirche vollzogen und damit die Lahn fast erreicht. Jedoch trennten alle drei bis 1290 errichteten Stadtmauern die Oberstadt von der Unterstadt und es gab fast 600 Jahre lang keine systematische flächige Stadterweiterung mehr (HIFL 1993: 21). Endgültig wurde der Fluss dann jedoch im 19. Jahrhundert von der Stadtentwicklung eingefangen (Biegenviertel). Topographisch und durch die Grenze des Flusses bedingt dehnte sich die Stadt dann in der Industrialisierungsphase nicht konzentrisch sondern bandartig aus. Zwar war die Lahn schon mit der Errichtung des Bahnhofs und den Bauten im Nordviertel übersprungen worden. In nennenswertem Umfange erfolgte die Siedlungsentwicklung jenseits des Flusses jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg (DÖPP 1990). 161

163 Christian Diller In Gießen behinderte dagegen zunächst vor allem der sumpfige Baugrund das Zusammenwachsen von Innenstadt und Lahn im Grunde bis heute. Dazu kam im 19. Jahrhundert ein noch wichtigerer Faktor: die Bahn. Die 1849 eröffnete Main-Weser-Bahn von Frankfurt nach Kassel wurde östlich der Lahn trassiert. Der Marburger Stadtkern lag westlich der Lahn (DÖPP 1990: 83) der Gießener dagegen östlich. Dadurch schob sich die Bahn im Falle Gießens zwischen Stadtkern und Fluss, im Falle Marburgs führte sie dagegen an beidem vorbei. Logistisch mag die größere Nähe des Bahnhofs zur Altstadt für Gießen ein Vorteil gewesen sein. In der Frage des städtebaulich wichtigen Zusammenwachsens von Stadt und Fluss war Marburg jedoch eindeutig im Vorteil: Marburg an der Lahn Gießen an der Bahn. Ein weiteres Element, das die Stadtstrukturen der beiden Städte maßgeblich prägte, waren die Universitäten, deren Entwicklung wiederum eng miteinander verflochten war. Die Philipps Universität Marburg wurde 1527 als erste noch heute bestehende protestantische Universität der Welt gegründet (DETTMERING 2008a: 58). Die Aufteilung des Landes Hessen an die beiden Landgrafen Ludwig V. von Darmstadt und Moritz von Kassel war dann Mitte des 16. Jahrhunderts der Ausgangspunkt für die calvinistische Umgestaltung des nördlichen Landesteils, von der auch die Universität Marburg erfasst wurde. So wurde 1605 das Pädagogicum Gießen als Keimzelle der Universität und protestantische Fluchtburg gegründet. Damit gab es im 16. Jh. zwei hessische Universitäten im Abstand von nur 30 Kilometern, aber unterschiedlicher konfessioneller Ausrichtung (DETTMERING 2008: 90). Die Stadt Gießen wurde von der Eröffnung der Universität seinerzeit völlig unvorbereitet getroffen (LEIB 1976: 13). In den nächsten drei Jahrhunderten entwickelte sich die Universität jedoch kontinuierlich, während die Marburger Universität an Bedeutung verlor und zwischenzeitlich sogar geschlossen wurde. Marburg stellte sich daher in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert eher wie eine Universitätsdorf als wie eine Universitätsstadt dar (vgl. DÖPP 1990: 79; FORM 1985). In den Gründerjahren begann dann für beide Städte ein wirtschaftlicher Aufschwung, der von massiven baulichen Erweiterungen begleitet war. Universität, Eisenbahn und Garnison waren dabei jeweils die treibenden Kräfte, aber nur in Gießen erfolgte jedoch eine regelrechte Industrialisierung. In Gießen war die Universität bis ins 19 Jahrhundert räumlich auf den Brandplatz konzentriert, sie folgte dann im 19. Jahrhundert den Stadterweiterungen mit den Schwerpunkten Ludwigstraße und Seltersberg. Ab 1870 begann der Ausbau Richtung Norden (BINGSOHN 1998c: 65ff). Der Entwicklungsschub war für die Universität in Marburg noch größer als in Gießen, als die Stadt 1866 von Preußen annektiert und gefördert wurde; neue 162

164 Christian Diller Institutsgebäude und Kliniken (Nordviertel) entstanden (DÖPP 1990: 80; DETTMERING 2008b: 59; FÜLLBERTH 1985). Es gibt Anzeichen dafür, dass im 20. Jahrhundert die Moderne in Gießen eher Einzug gehalten hat als in Marburg, wo ein gewisser Konservatismus und eine Skepsis gegenüber neuen Bauformen gepflegt wurden (LEIMBROCK UND ROLOFF 1987: 696, 702). Anders als in Gießen erhielt Marburg nie eine Straßenbahn, sondern nur eine Pferdebahn. Und mit den Wohnblocks Gartfeld fand in Gießen nach dem Ersten Weltkrieg sogar die Klassische Moderne im Wohnungsbau ansatzweise ihren Ausdruck (BRAKE 1998: 80). Kriegszerstörungen, Wiederaufbau und Spätmoderne Die Bilanz der Zerstörungen in den beiden Städten nach dem Zweiten Weltkrieg könnte kaum unterschiedlicher ausfallen: In Marburg wurden durch insgesamt zehn Luftangriffe am 22. Februar 1945 und im März 1945 von 2879 Gebäuden 163 zerstört und 708 beschädigt (DETTMERING 2008: 58). In Gießen dagegen blieben nach den beiden Luftangriffen vom 6. Dezember 1944 und nur 700 von Gebäuden unbeschädigt. Praktisch die Hälfte der Stadt vor allem die östliche Innenstadt wurde vollständig zerstört (SCHMIDT 1993; NIPPER 1993). In Marburg waren bei Kriegsende 7 % der Wohnungen im Krieg zerstört, in Gießen dagegen 56% (MEYER 1985: 142ff). Von daher stellten sich die Konstellationen für die Stadtentwicklung der nächsten Jahrzehnte völlig unterschiedlich dar. Während es in Marburg um eher punktuelle Stadtreparaturen ging, stand in Gießen in den 1950er Jahren der weitgehende Neuaufbau der Stadt an. In beiden Städten mussten allerdings im großen Umfang neue Wohnungen gebaut werden, auch in Marburg, da die Stadt mehr Kriegsflüchtlinge aufzunehmen hatte (MEYER 1985: 123). Die Zeit zwischen 1945 und 1948 war in Gießen eine der sehr intensiven Diskussionen um die zukünftige Stadtgestalt, an der auch namhafte deutsche Architekten beteiligt waren. Der Wiederaufbauplan für die Innenstadt, der vor allem der Leitidee der Wiederstärkung der Handelsfunktion folgte, wurde im Mai 1949 verabschiedet. Wie in den meisten zerstörten Städten Deutschlands ging es auch hier darum einen Kompromiss zu finden: Einerseits zwischen den Idealen des modernen Städtebaus, in denen vor allem die Frage nach der Optimierung des Verkehrs und die Wiederherstellung der Einzelhandelsfunktion im Vordergrund stand. Andererseits den trotz der Zerstörung erhaltenen Werten, die vor allem in Form der unterirdischen technischen Infrastruktur die zukünftigen Straßenraster maßgeblich präformierten (BRAKE 1998: 171f). Im Ergebnis blieb der alte Stadtgrundriss durchaus noch ablesbar, aber zentrale Verkehrsachsen wie der Seltersweg wurden verbreitert. In der pragmatisch geführten 163

165 Christian Diller Debatte unterblieb durch das hohe Tempo des Wiederaufbaus nach den Leitbildern der Moderne eine intensivere Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit (BRAKE 1997: 284). Klare neue städtebauliche Zeichen wurden in der ehemaligen Altstadt nicht gesetzt. Anders als z. B. in Kassel, wo sich durchaus Beispiele gelungener Architektur aus der Zeit des Wiederaufbaus finden, blieb in Gießen architektonische Qualität nachrangig, was auch noch heute weite Teile des Stadtgebiets prägt. Die Entwicklung in den wirtschaftsstarken 1960 und frühen 1970er Jahren verlief in Gießen und Marburg in den Grundzügen wiederum eher ähnlich: Die Universität wurde in beiden Städten massiv an dezentralen Standorten erweitert (Gießen: Komplexe Phil I und II, Naturwissenschaften am Heinrich Buff-Ring; Marburg: Campus Lahnberge). Die Spätmoderne fand dabei ihren baulichen Ausdruck. Es entstanden die Großsiedlungen am Marburger Richtsberg und in der Gießener Weststadt. In Gießen konzentrierte sich die Entwicklung auf Bereich jenseits des Anlagenringes: die Kongresshalle, diverse Universitätsbauten, das Behördenzentrum und die Fußgängerplattform am Selterstor. Nachdem das historische Zentrum nicht mehr vorhanden war, verschwand es allmählich auch aus der Erinnerung der Gießener Bevölkerung. Aber auch das weitgehend erhaltene Marburg wurde wohl in keiner Phase so verändert wie in den 1960er Jahren (FICHTNER 2009: 37). Wenngleich es hier nicht um den Neuaufbau sondern Erweiterungen und Ergänzungen ging, so hinterließ dennoch auch hier die großmaßstäbliche funktionale Stadtplanung der 1960 Jahre ihre Spuren, wie den Affenfelsen an der Konrad- Adenauer Brücke oder die Betonbauten am Rudolphplatz (vgl. Abb. 2). Universitätsbauten wie die Mensa am Erlenring, die Universitätsbibliothek und das Verwaltungsgebäude in der Biegenstraße stehen als Wegmarken für den Einzug von Stahl, Beton und Glas als neue Bauelemente in die Altstadt (ARLT UND KRONENBERG 2008: 43). Auch wurden in beiden Städten die großen Lösungen des Straßenverkehrs diskutiert und dabei zum Teil auch Lösungen umgesetzt, die für Städte dieser Größenordnung eher ungewöhnlich sind. Marburg ist eine der wenigen kleinen Großstädte in Deutschland mit einer innerstädtischen Stadtautobahn (LEIMBROCK UND ROLOFF 1987: 687; DETTMERING 2008: 172; MEYER 1985: 130). In Gießen ging man, überwiegend aus militärstrategischen Gründen, noch weiter: mit dem Gießener Ring ist Stadt in ihrer Größenklasse die einzige in Deutschland die von einem geschlossenen Autobahnring umgeben ist und hat damit vermutlich die höchste Autobahnabfahrtdichte je Einwohner in Deutschland. 164

166 Christian Diller Unterschiedlich verlief die städtebauliche Entwicklung in den 1970er Jahren. Während in Gießen die Politik der Spätmoderne ungebrochen fortgesetzt wurde mit der Gestaltung der Fassade des Kaufhauses Horten (später Kaufhof) verewigte sich 1976 mit Egon Eiermann immerhin der Architekt des Neubaus der Berliner Gedächtniskirche und die wenige noch bestehende Altbausubstanz noch weiter konsequent abgerissen wurde (z. B. Katharinenviertel), wurde Marburg zu einer der ersten Städte, die sich konsequent auf den Bestand der historischen Stadt besann. Zwar gab es auch hier eine Reihe von Abrissen von historisch wertvoller Bausubstanz (ZSCHUNKE 2010; MEYER 1985: 130); und noch 1969 attestierte ein Gutachten der Hälfte des Gebäudebestands der Stadt die dringende Abrissbedürftigkeit. Die Politik setzte dann jedoch unter SPD OB Drechsler Anfang der 1970er Jahre konsequent auf die erhaltende Erneuerung erhielt die Stadt dann das Gütesiegel Bauen und Wohnen in alter Umgebung. Auch die Verkehrspolitik hatte in Marburg zum Teil andere Akzente: der erste Marburg Radverkehrswegeplan wurde bereits Anfang der 1980er Jahre verabschiedet (Magistrat 1998) in Gießen erst 30 Jahre später. Abbildung 2: Marburger Beispiele für Architektur als Zumutung aus Spätmoderne und den letzten Jahren (GIRGERT 2009b) und ihre Gießener Gegenstücke. Links: Marburg, rechts: Gießen Affenfelsen, Gisselberger Str. 2 Quelle: Panoramia.com Modell des E-Klos (um 1967) Quelle: Stadtarchiv Gießen Neue Post, Zimmermannstraße 2 Quelle: Aufnahme Bülent Burdak Post, Neue Bäue Quelle: Eigene Aufnahme 165

167 Christian Diller Hochtrasse Stadtautobahn Quelle: Aufnahme Thorsten Richter Passanten am E-Klo (um 1968) Quelle: Stadtarchiv Gießen City Passage Quelle: Aufnahme Anna Ntermis Galeria Kaufhof Quelle: Eigene Aufnahme Erlenring Center Quelle: Eigene Aufnahme Galerie Neustädter Tor Quelle: Eigene Aufnahme Die postmoderne Architektur der 1980er und 1990er Jahre hat anders als die Spätmoderne der 1960er und 1970er Jahre in beiden Städten kaum Spuren hinterlassen: wie etwa den Aufzug in die Marburger Oberstadt, in Gießen in Ansätzen bei der Ergänzungsbebauung am Brandplatz. In Marburg lösten die Pläne zur Umgestaltung des Biegenecks Bürgerproteste aus, für die es in Gießen in dieser Form bislang kein Pendant gab (GIRGERT 2009). Aber hier warfen auch namhafte Architekten wie Grassi, Stirling, Ungers und Moore ihre Entwürfe in die Diskussion. In Gießen noch lange unter dem zweiten Schock nach der Zerstörung: dem 166

168 Christian Diller gescheiterten Projekt Lahnstadt stehend wurde in dieser Zeit bestenfalls über die postmoderne Überbauung des Elefantenklos debattiert (DILLER, DORENKAMP, KOLLOGE 2009: 42ff). Trotz der Unterschiede in der Diskussionskultur ähneln sich die letztlich gebauten Ergebnisse in Gießen und Marburg: In Marburg blieb z. B. von Grassis Plänen für das Biegeneck nur wenig übrig (GIRGERT 2009: 20) und auch andere ambitionierte Projekte wie das T-Software-Center der 1990er wurden nicht realisiert (GIRGERT 2009: 31; SCHREINER 2009a). Die Diskussionen in Marburg führten zwar zum einen dazu, dass moderne Großprojekte wie der Behringtunnel scheiterten, aber auf der anderen Seite auch Ansätze wie die flächenhafte Verkehrsberuhigung der Innenstadt durchgeführt wurden. Im Ergebnis bewegte sich daher die Marburger Stadtentwicklung, wie Kritiker bemängeln, eher im gepflegten Mittelmaß (ARLT UND KRONENBERG 2008: 40); Tradition schlug Innovation (SCHUCHART 2009). Die realisierten Projekte im Einzelhandel wie Erlenring Center 1997 und Marktdreieck 2007 in Marburg und die Galerie Neustädter Tor waren in beiden Städten in ihrer Gestaltung ebenso umstritten wie der Marktplatz und Neubau des Rathauses in Gießen (FITZTHUM 2008). Die aktuelle Situation In den letzten Jahren scheinen die Entwicklungstrends aber auch die Aufgaben und Lösungsansätze der Stadtplanung in Gießen wie Marburg eher ähnlich zu sein. Abb. 3 zeigt: Beide Städte folgen dem bundesweiten Trend eines nicht nur relativen sondern hier auch absoluten Bedeutungsgewinns der Städte, während das Umland an Einwohnern verlor. In beiden Städten dürften auch die vor allem in Gießen gestiegenen Studierendenzahlen 1 zu dieser Entwicklung beigetragen haben: Rechnerisch 2 stieg der Anteil von Studierenden an der Einwohnerzahl in Gießen von 37% im Jahr 2005 auf 42% im Jahr 2011, was den bundesweiten Spitzenwert der Studentendichte bildet. In Marburg stieg er im gleichen Zeitraum schwächer: von 32% auf 33%. Ein Unterschied in den Städtefunktionen wird jedoch deutlich. Der Einzelhandelsumsatz pro Einwohner war in Gießen 2010 mit 9981 in der Stadt Gießen fast doppelt so hoch wie in Marburg (4633 ). Die positiven Ansätze zur Belebung der innerstädtischen Einkaufsfunktionen sei es Indoor wie die Galerie Neustädter Tor oder Outdoor wie die Business Improvement Districts halfen Gießen, seine traditionelle Rolle als Einkaufsmittelpunkt Mittelhessens auszubauen (DORENKAMP 2006), während sich in Marburg Pläne zu großen Einzelhandelseinrichtungen z. T. nicht erfüllten (GIRGERT 2009: 22). 1 Der Einbruch der Studierendenzahlen der Universität Marburg 2007 ist durch einen zwischenzeitlichen Wechsel in den Erhebungsmethoden der Studierendenstatistik zu erklären. 2 Selbstverständlich ist dies nur ein rechnerischer Wert, da nicht alle an den Universitäten eingeschriebenen Studierenden auch in der Stadt gemeldet sind. 167

169 Christian Diller Abbildung 3: Entwicklung der Einwohner- und Studierendenzahlen in Gießen und Marburg 2002 bis Studierende Gießen (JLU und THM) Studierende Uni Marburg Einwohner Stadt Gießen Einwohner Stadt Marburg Einwohner Sonst. Landkreis Gießen Einwohner Sonst. Landkreis Marburg- Biedenkopf Quellen: STALA HESSEN, STUDIERENDENSTATISTIKEN DER HOCHSCHULEN Und auch aktuell fällt eher die Ähnlichkeit der stadtplanerischen Aufgabenstellungen zwischen Marburg und Gießen auf: Die sich hinziehenden Umgestaltungen der Bahnhofsvorplätze (JACOBI, KINTSCHER, MÜNZER 2011: 113) oder die Neubauten im Rahmen des Hochschulbauprogramms HEUREKA. In Marburg steht zudem die die Realisierungen von Großprojekten öffentlicher Bauten (Stadthalle, Museen) und die Umfeldgestaltung der Elisabethkirche an. Welche nachhaltigen Impulse für die Stadtentwicklung durch die Landesgartenschau 2014 in Gießen gesetzt werden können bleibt abzuwarten. 2. Stadtdiskurse: Elendes Nest vs. romantisch verklärte mittelalterliche Stadt Die Unterschiede in den beiden Städten was Diskurse zur Stadtentwicklung und Stadtkultur angeht sind im Rückblick größer als die tatsächlichen Unterschiede in der Stadtentwicklung, aber sind natürlich auch auf diese zurückzuführen. Dies zeigt schon die reine Menge der Quellen: Marburg gilt als eine der am besten stadtgeschichtlich dokumentierten und mit am besten erforschten Städte seiner Größenordnung in Deutschland (DÄHNE 1985: 7). Die Publikationen zur Stadtentwicklung Gießens sind dagegen eher überschaubar. Die Unterschiede der beiden Städte in der Stadtkultur und der Intensität mit der über Stadt diskutiert wurde bildeten sich vermutlich vor allem in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts heraus. Zwar hatten beide Städte in dieser Zeit grundsätzlich ähnliche geistige Eliten: Professoren und Offiziere waren im 19. Jahrhundert die gehobenen Schichten, in Gießen kamen noch einige Industrielle hinzu (LEIMBROCK UND ROLOFF 1987: 695). Gleichwohl war der Entwicklungsschub für Universität und Stadt größer als in Gießen. Anfang des 19. Jahrhunderts war 168

170 Christian Diller Marburg noch nach den Schilderungen von Zeitgenossen das häßlichste gotische Loch ( ); eine Stadt im Dornröschenschlaf, noch innerhalb ihrer mittelalterlichen Stadtgrenzen gewesen (FORM 1985; LEIMBROCK UND ROLOFF 1987: 692). Jacob Grimm oder Wilhelm von Humboldt hatten auch für Marburg die Merkmale mittelalterlich geprägte Städten diagnostiziert: So romantisch die Stadt von außen aussah, im Innern war sie ärmlich und schmutzig (DÖPP 1990: 79). Aber es gab auch schon andere Stimmen: BETTINA VON ARNIM spürte hier gar eher die freie Stadtluft als im viel größeren Frankfurt. Und das Bild der Stadt änderte sich tendenziell mit dem Aufschwung der Universität in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Andere Städte haben eine Universität Marburg ist eine Universität (ERNST KOCH, zit. nach DETTMERING 2008: 113). Marburg verglich sich nicht mit Gießen, sondern mit Göttingen, Heidelberg, Freiburg und Tübingen. Wilhelm Liebknecht war Gießener und zunächst auch an der dortigen Universität immatrikuliert; sein universitäres Leben (wie Leibesübungen, Corps- Aktivitäten) spielte sich aber nach Chronistenberichten vorwiegend in Marburg ab (BIVER et al. 2013: 71). In den 1920er Jahren wurde für Marburg diagnostiziert: Am Fuß des Schlossbergs hat es offenbar ein ziemliches Professorengedrängel gegeben. Wir können und ganz gut vorstellen wie die Herren einander formell und höflich grüßten, um nachher übereinander zu sticheln und in der Philosophischen Fakultät gegeneinander zu intrigieren (BIVER et al. 2013: 112). Aber die Stadt polarisierte auch: Nur die Liebe zu Heidegger konnte Hanna Arendt offenbar dazu bringen Marburg zu verlassen (vgl. Abb. 4). Für Gießen sind dagegen derlei Zeugnisse für ein um die Universität zentriertes kulturelles Leben in der Stadt nicht zu finden, mehr noch machen die Zitate der Zeitzeugen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert deutlich (Abb. 5): An Gießen wird kein gutes Haar gelassen, sowohl was die Stadtgestalt als auch das intellektuelle Leben angeht. Gießen wird als schmutzig, langweilig, verbaut, hässlich und abgesehen vom Umland praktisch frei von Attraktionen charakterisiert. Nicht verwunderlich wurde der Unterschied zwischen den beiden Städten in den Diskursen zur Stadtentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg noch größer, als nahezu alle Spuren des historischen Gießens beseitigt waren, während Marburg weitgehend erhalten blieb und sich die Politik auch recht bald auf diese Qualitäten besann. Intensivere und dokumentierte politische Gespräche über die Stadtentwicklung waren dagegen in Gießen so selten, dass sie von der Presse zum Jahrhundertereignis hochstilisiert wurden (QUANDT 1984: 7). Für Marburg liegen umfassendere Dokumente auch selbstkritischer Diskussionskultur zur Stadtentwicklung vor (SCHREINER 2009). Bisweilen wurde hier sogar diskutiert, ob man eher von einem Habitus oder eher einem Genius Loci der Stadt sprechen könne (BRAUN UND SCHÖNHOLZ 2010: 8f). 169

171 Christian Diller Abbildung 4: Prominente Zeitzeugen über Marburg Quelle: Nach ARLT und KRONENBERG (2008) 170

172 Christian Diller Abbildung 5: Prominente Zeitzeugen über Gießen Quelle: Nach KLEIN UND ROSSBACH (1999) 171

173 Christian Diller Derlei spitzfindige Betrachtungen sind für die eher pragmatische Stadtentwicklungspolitik in Gießen undenkbar. Gleichwohl ist das Klima der Toleranz in Gießen für eine Stadt dieser Größenordnung bemerkenswert und bisweilen gab es im so rot erscheinenden Marburg sogar mehr Konservatismus als in Gießen: Immerhin ist zumindest nicht offiziell dokumentiert, dass in der Gießener Geographie wie für Marburg verbürgt männliche Studierende wegen ihrer Barttracht von Seminaren oder noch gravierender von Exkursionen ausgeschlossen wurde, wie es dem Studiosus Udo Klocke 1968 erging (GREINER, HOFFMANN, VOLP 2010). Auch in den letzten beiden Jahrzehnten gab es Unterschiede zwischen den beiden Städten in der Intensität in der über Stadtplanung diskutiert wurde. Debatten wie sie in Marburg um das Biegeneck geführt wurde international renommierte Architekten einerseits massive Bürgerproteste andererseits gab es in Gießen nicht. Unterschiedlich sind auch die Wahrnehmungen und Setzungen städtebaulicher Wahrzeichen: Marburg hat mit dem historischen Rathaus, der Elisabethkirche, dem Landgrafenschloss und dem alten Universitätsgebäude mehrere historische Wahrzeichen, die auch als solche im Bewusstsein der Bevölkerung verankert sind. Gießen fehlt zwar das historische Rathaus und die markante Kirche. Aber es hätte mit den markanten Gebäuden am Landgraf-Philipp-Platz (Altes und Neues Schloss, Zeughaus, Botanischer Garten) durchaus ein Ensemble mit solchen historischen Wahrzeichenqualitäten zu bieten. Diese Wahrzeichen repräsentieren jedoch Gießen nicht wirklich. Das bei weitem prominenteste imageprägende Wahrzeichen der Stadt ist dagegen nach Einschätzung der Gießener selbst ein spätmodernes Zweckbauwerk: das Elefantenklo (DILLER, DORENKAMP, KOLLOGE 2008). Der Verlust der Altstadt, obwohl sie doch historisch zumindest im Vergleich mit Marburg noch nie als besondere Qualität empfunden worden war, wird dennoch in Gießen immer wieder auf subtile Art beklagt: Ein vom Präsidenten der JLU Gießen (1999) herausgegebener Band aus der Reihe der Gießener Diskurse zum Thema Stadt (vgl. Abb. 6) ziert eine Stadtansicht von Albrecht Dürers Der heilige Antonius vor der Stadt aus dem Jahr Von einem stolzen Schloss auf einem steilen Berg gelegen zieht sich die mittelalterliche Stadt anmutig hinunter zum Fluss. Diese Stadt vom Titelbild einer Gießener Publikation zum Thema Stadt könnte Marburg sein, oder eine andere alte deutsche Stadt 3 ; eine aber mit Sicherheit nicht: Gießen. Aber auch die Marburger Spätmoderne der Architektur wurde in Gießen rezipiert: das Marburger Raster fand auch für Gießener Universitätsbauten Anwendung. 3 Vermutlich sind in dem Gemälde Nürnberger, Trientiner und Innsbrucker Motive kombiniert

174 Christian Diller Abbildung 6: Titelblatt Gießener Diskurse Stadt und das Marburger Raster in Gießen Quelle: Eigene Aufnahmen 3. Studentische Lebensqualität in Gießen und Marburg: Ergebnisse einer Befragung Nachfolgend sind die Ergebnisse einer Befragung unter Gießener und Marburger Studierenden dargestellt. Diese wurden im Juli 2012 im Rahmen von abgestimmten Lehrveranstaltungen am Institut für Geographie der JLU Gießen und der Philipps-Universität Marburg durchgeführt. Insgesamt wurden fast 2500 Studierende auf Basis eines standardisierten Fragebogens auf der Straße bzw. in Lokalen befragt: 1078 aus Gießen (sowohl JLU als auch THM) 1421 aus Marburg. Auch wenn bei einigen Fragen weniger Marburger als Gießener Studierende befragt wurden, kann die Befragung als repräsentativ angesehen werden. Die Auswertung konzentriert sich auf die Fragekomplexe: Studienortwahl, wirtschaftliche Aspekte, Wohnsituation, allgemeine Aspekte der Lebenszufriedenheit, Studiensituation, Freizeitsituation und Aspekte der städtischen Infrastruktur. Studienortwahl, Wohnsituation Abb. 7 zeigt ein erstes bemerkenswertes Ergebnis. Gefragt waren die Gründe sich für den jeweiligen Studienort zu entscheiden, dabei konnten mehrere Gründe genannt werden. Die deutlichsten Unterschiede zwischen den Gießener und Marburger Studierenden zeigen sich beim Faktor Attraktivität der Stadt: Fast die Hälfte der Marburger Studierenden nennt diesen Grund als einen Faktor der die Wahl des Studienortes beeinflusste, nach der Abwesenheit von Studiengebühren war dies der am zweitmeisten genannte Faktor. Von den Gießener Studierenden nennt dagegen nur jeder Zwanzigste diesen Grund, der damit von den abgefragten den mit Abstand unwichtigsten Grund darstellt. Die Nähe zum Heimatort und das Studienangebot werden von den Gießener Studierenden deutlich häufiger genannt als von den Marburgern. Dies ist 173

175 Christian Diller ein Hinweis auf beträchtliche Image-Unterschiede und bestätigt ältere Untersuchungen: Für Marburger Studierende war noch in den 1980er Jahren die Attraktivität der Stadt nach der ZVS-Zuteilung der wichtigste Grund für den Studierort sogar wichtiger als das Angebot der Universität (LEIB; BUCHHOFER; WENGLER-REEH 1990: 180f). Image-Befragungen in Gießen kommen dagegen zu einem Bild, das in solchen prägnanten Äußerungen gipfelt: Auf die Frage, es gibt ja das Vorurteil, daß die Stadt Gießen häßlich ist, Gießen nach außen ein eher schlechtes Image hat, sagt der Befragte, das liegt daran, daß es wirklich so ist (DOMMER 1995: 27). Auch wenn sich Gießens Image in den letzten Jahren gegenüber den 90er Jahren etwas verbessert hat, stellt sich die Stadt noch immer als äußerlich hässlich, nüchtern, bieder, eintönig und provinziell dar (MOSSIG 2003: 20). Hinsichtlich der Wohnsituation sind folgende Ergebnisse bemerkenswert (vgl. Abb. 8). Abbildung 7: Gründe für die Wahl des Studienorts (% der Befragten, Mehrfachnennungen möglich, N= 2310) Abbildung 8: Wohnform nach Stadt und Geschlecht (absolute Zahlen, N= 2459) , ,9 23, ,9 47,2 33,4 42,1 52,6 11,9 9,8 Gießen Marburg Attraktivität der Stadt Persönliche Verbindungen Nähe zum Heimatort Studienangebot Keine Studiengebühren ZVS Frauen Frauen Männer Männer Gießen Marburg Gießen Marburg Sonstiges WG ohne Partner Studentenwohnheim Mit Partner Eltern Alleine Quelle: Eigene Erhebung Quelle: Eigene Erhebung Vor allem die Gießener Männer, aber auch die Gießener Frauen wohnen deutlich mehr bei den Eltern als die Marburger. Die Gießener leben etwas mehr mit den Partner zusammen, die Marburger etwas mehr im Wohnheim. Die dominierende Wohnform ist die Wohngemeinschaft ohne Partner; in Marburg noch mehr als in Gießen (C=0,28), bei den Frauen noch etwas mehr als bei den Männern (C=0,08). Dies bestätigt den Ruf von Marburg als Deutsche Hauptstadt der Wohngemeinschaften (COORDES 2008). Signifikant sind jedoch die Unterschiede in den durchschnittlichen Monatsmieten: sie liegen in Marburg bei 247, in Gießen bei 269. Die monatlichen durchschnittlichen Gesamteinkommen der Studierenden sind in beiden Städten praktisch identisch, sie liegen in Gießen bei 692 in Marburg bei 693. Ein Marburger Studierender gibt damit 36% seines Monatseinkommens für die Miete aus, ein Gießener 39%. 4 4 Andere Untersuchungen kommen für Gießener Studierende auf Wert von 35% bzw. 43% Anteil der Mite am Gesamteinkommen (vgl. SCHAARSCHMIDT 2011: 11) 174

176 Wohnqualität (N=1330; Eta=0,025) Nahversorgung (N=1301; Eta = 0,003) Sportmöglichkeiten (N=1323; E=0,033) Kulturangebot (N=1349; Eta=0,026) Ausgehszene (N=1345; Eta = 0,019) Shopping (N=1349; Eta=0,064*) Studienbedingungen (N=1364; Eta = 0,001) Familie (N=1296; Eta=0,077**) Freunde (N=1355; Eta=0,035) Wohnqualität (N=1237; Eta=0,018) Nahversorgung (N=1301; Eta = 0,059*) Sportmöglichkeiten (N=1129; E=0,037) Kulturangebot (N=1276; Eta=0,138**) Ausgehszene (N=1264; Eta = 0,083**) Shopping (N=1283; Eta=0,28**) Studienbedingungen (N=1360; Eta = 0,012) Familie (N=1127; Eta=0,05) Freunde (N=1309; Eta=0,012) Christian Diller Allgemeine Faktoren der Lebensqualität Abgefragt wurde weiterhin eine Reihe von Indikatoren zur Lebensqualität. Dabei wurde zum einen die Wichtigkeit der Aspekte ermittelt, zum andern wurde abgefragt inwieweit dieser Aspekt aus Sicht der Studierenden in Gießen bzw. Marburg erfüllt ist. Abb. 9 verdeutlicht zunächst die Unterschiede in der Bedeutung der Faktoren. Freunde, Studienbedingungen und Wohnqualität sind für die Studierenden die wichtigsten Aspekte der Lebenszufriedenheit, Sport- und Shoppingmöglichkeiten liegen bei den abgefragten Kriterien dagegen auf den letzten Plätzen. Die Bedeutungszumessungen der Studierenden in Gießen und Marburg sich bei lediglich zwei Aspekten signifikant: die Familie und das Shopping sind den Gießener Studierenden etwas wichtiger als den Marburger Studierenden. Abbildung 9: Wichtigkeit von Aspekten der Lebensqualität (Mittelwerte, Skala 1= sehr wichtig, 5= nicht wichtig) Abbildung 10: Zufriedenheit mit Aspekten der Lebensqualität (Mittelwerte, Skala 1= sehr zufrieden, 5= nicht zufrieden; N= 1127 bis 1360) 1,5 1,7 1,9 2,1 2,3 2,5 2,7 2,9 3,1 3,3 3,5 Gießen Marburg 1,5 1,7 1,9 2,1 2,3 2,5 2,7 2,9 3,1 3,3 3,5 Gießen Marburg Quelle: Eigene Erhebung Quelle: Eigene Erhebung Abb. 10 zeigt die Zufriedenheit mit den Faktoren. Die Nahversorgungssituation und der Freundeskreis sind die Faktoren, mit denen die größte Zufriedenheit besteht, die Familiensituation weist dagegen die geringsten Werte auf. Es gibt drei Faktoren, bei denen die Bewertung der Marburger und der Gießener Studierenden signifikant voneinander abweicht: Mit dem Kulturangebot und der Ausgehszene sind die Marburger Studierenden zufriedener als die Gießener. Der größte Unterschied zeigt sich jedoch beim Faktor Shopping: Hier sind die Gießener um einen Skalenwert von 0,7 zufriedener als die Marburger, mit 0,28 ist der Eta-Koeffizient hier bemerkenswert hoch. 175

177 Christian Diller Abb. 11 stellt zusammenfassend die Differenz aus Bedeutung und Zufriedenheit mit den Faktoren der Lebensqualität dar. Abbildung 11: Differenz aus Bedeutung und Zufriedenheit für Aspekte der Lebensqualität Gießen Marburg -1-0,75-0,5-0,25 0 0,25 0,5 0,75 1 Wohnqualität (R=0,197**) Nahversorgung (R=0,286**) Sportmöglichkeiten (R=0,228**) Kulturangebot (R=0,117**) Ausgehszene (R=0,068*) Shopping (R=0,154**) Studienbedingungen (R=0,131**) Familie (R=0,289**) Freunde (R=0,328**) Quelle: Eigene Erhebung Bei allen Faktoren korreliert die Bedeutung, die dem Faktor beigemessen wird, hochsignifikant mit der Zufriedenheit, je wichtiger der Faktor ist, desto zufriedener sind die Befragten auch mit ihm. Einzig beim Faktor Ausgehszene ist die Korrelation nur schwach positiv. Stellt man nun die Skalenwerte für die Bedeutung des Faktors auf der einen und die Zufriedenheit auf der anderen Seite gegenüber so fällt folgendes auf: - Die Wohnqualität und die Studienbedingungen werden gemessen an der Wichtigkeit besonders negativ bewertet und zwar in beiden Städten gleichermaßen. Die Tatsache, dass die Gießener Studierenden im Durchschnitt mehr Miete zahlen als die Marburger, drückt sich nicht in der Zufriedenheit aus. Ebenfalls negativ, aber deutlich schwächer, werden Familie und Freunde eingeschätzt. - In beiden Städten wird die Qualität des Sportangebots höher bewertet als seine Bedeutung ist. - Beim Shopping ist die Zufriedenheit in Gießen merklich größer als die Bedeutung des Faktors, umgekehrt ist in Marburg die Unzufriedenheit geringfügig größer als die Bedeutung. - Beim Kulturangebot, dem Ausgehangebot und der Nahversorgung sind die Marburger gemessen an der Bedeutung eher zufrieden, die Gießener beim Kulturangebot und der Ausgehszene gemessen an der Bedeutung leicht unzufrieden. 176

178 Dozentenbetreuung (N=1357; Eta=0,039) Verwaltungsqualität (N=1353; Eta=0,025) Mensaqualität (N=1328; Eta=0,106**) Seminarangebot (N=1281; Eta=0,210**) Seminarverfügbarkeit (N=1262; Eta=0,222**) Seminarqualität (N=1266; Eta=0,140**) Erreichbarkeit der Einrichtungen (N=1342; Eta=0,071*) Semesterticket (N=1364; Eta=0,108**) Verbindung zu Kommilitonen (N=1353; Eta=0,092**) Kinderbetreuung (N=783; Eta=0,063) Dozentenbetreuung (N=2426; Eta=0,047) Verwaltungsqualität (N=1324; Eta=0,004) Mensaqualität (N=2358; Eta=0,161**) Seminarangebot (N=2319; Eta=0,148**) Seminarverfügbarkeit (N=2218; Eta=0,103**) Seminarqualität (N=2318; Eta=0,037) Erreichbarkeit Einrichtungen (N=2452; Eta=0,082**) Semesterticket (N=1340; Eta=0,226**) Verbind. Kommilitonen (N=1343; Eta=0,088**) Kinderbetreuung (N=377; Eta=0,161**) Christian Diller Aspekte des Studiums Abb. 12 zeigt zunächst die Bedeutung von Aspekten des Studiums. Mit Abstand am unwichtigsten ist für die Studierenden der Aspekte der Kinderbetreuung, auch die Mensaqualität fällt in der Bedeutung etwas ab. Die anderen Kriterien haben relativ ähnlich hohe Bedeutung. Innerhalb der Gießener Studierenden ist hier auch der Unterschied zwischen jenen der JLU und der THM dargestellt. Es zeigen sich nur wenig signifikante Unterschiede: Die Mensaqualität ist den Studierenden beider Gießener Hochschulen wichtiger als den Marburgern, umgekehrtes gilt für das Semesterticket. Auffallend ist jedoch, dass die Aspekte des Lehrangebots wie Seminarangebot, Seminarverfügbarkeit und Seminarqualität den Studierenden der THM unwichtiger sind als jenen der beiden Universitäten. In Abb. 13 ist die Zufriedenheit mit den Aspekten des Studiums dargestellt. Deutlich wird, dass der Faktoren Mensaqualität und die Kinderbetreuung die niedrigsten Zufriedenheitswerte der Studiumsaspekte aufweist, das Semesterticket die höchsten. Zwischen den Standorten zeigen sich einige Unterschiede bei der Zufriedenheit mit Studiumsaspekten. Die JLU-Studierenden fallen bei der Bewertung der Mensaqualität auf, die signifikant besser ausfällt und bei der Seminarverfügbarkeit und Erreichbarkeit der Einrichtungen, die signifikant schlechter ausfällt als bei den anderen Standorten. Bei den Marburgern sticht die größere Zufriedenheit mit dem Seminarangebot und dem Semesterticket ins Auge. Abbildung 12: Wichtigkeit von Studiumsaspekten: Unterschiede zwischen Gießen (JLU/THM) und Marburg Abbildung 13: Zufriedenheit mit Studiumsaspekten: Unterschiede zwischen Gießen (JLU/THM) und Marburg 1 1 1,5 1, ,5 2, ,5 4 JLU THM PUM 3,5 4 JLU THM PUM 4,5 4,5 Quelle: Eigene Erhebung Quelle: Eigene Erhebung 177

179 Christian Diller Abb. 14 verdeutlicht: Bezogen auf die meisten Studiumsaspekte sind die Studierenden an allen Hochschulen insofern unzufrieden, als die beigemessene Qualität hinter der Bedeutung des Faktors zurückbleibt. Der Befund, dass das Studium die größte Quelle der Unzufriedenheit der Studierenden in beiden Städten darstellt, wird bestätigt. Bei der Dozententenbetreuung, der Verwaltungsqualität und den Verbindungen zu den Kommilitonen ist die Unzufriedenheit an allen Hochschulen etwa gleich hoch. Bezogen auf die Mensaqualität ist sie vor allem an der THM hoch, während die Studierenden an der THM bezogen auf das Seminarangebot und die Seminarverfügbarkeit verglichen mit den Universitäten noch relativ zufrieden sind. Der einzige Faktor bei dem die Qualitätseinschätzung an allen Hochschulen besser ausfällt als der Faktor Bedeutung besitzt ist die Kinderbetreuung. Abbildung 14: Differenz aus Wichtigkeit und Zufriedenheit mit Studiumsaspekten: Unterschiede zwischen Gießen und Marburg JLU THM PUM -1,5-1 -0,5 0 0,5 1 1,5 Dozentenbetreuung (N=1328, R=0,163**) Verwaltungsqualität (N=1315; R=-0,012) Mensaqualität (N=1273; R=0,157**) Seminarangebot (N=1196; R=0,071*) Seminarverfügbarkeit (N=1190; R=-0,037) Seminarqualität (N=1193; R=0,132**) Erreichbarkeit Einrichtungen (N=1327; Semesterticket (N=1334; R=0,438**) Verbind. Kommilitonen (N=1332; Kinderbetreuung (N=277; R=0,378**) Quelle: Eigene Erhebung Freizeitaktivitäten Den letzten Themenkomplex der Auswertungen stellen die Freizeitaktivitäten dar. In Abb. 15 sind zunächst wieder die Unterschiede in der Bedeutung einzelnen Aktivitäten dargestellt. Die für die Studierenden beider Städte mit Abstand wichtigsten Aktivitäten sind Unternehmungen, Internet und Entspannung. Ehrenamt und politische Aktivität weisen dagegen die geringste Bedeutung auf. Shopping ist der einzige Faktor, der für die Gießener Studierenden eine höhere Bedeutung hat als für die Marburger, denen umgekehrt Bildungsangebot und politische Aktivitäten wichtiger sind (ohne jedoch zu den vergleichsweise wichtigen Faktoren zu gehören). Abb. 16 zeigt die Zufriedenheit mit den Freizeitangeboten. Unternehmungen mit Freunden, die Internetnutzung sowie die Freizeitaktivitäten sind die Faktoren, mit denen auch die größte Zufriedenheit besteht, am anderen Ende der Reihenfolge stehen auch hier Ehrenamt und politi- 178

180 Sport (N=1340; Eta=0,001) Kulturangebot (N=1329; Eta=0,001) Veranstaltungen (N=1310; Eta=0,047) Bildungsangebote (N=1291; Eta=0,078**) Natur (N=1320; Eta=0,006) Ehrenamt (N=1185; N=0,009) Politisches Engagement (N=1179; Eta=0,089**) Unternehmungen mit Freunden (N=1339; Eta=0,037) Shopping (N=1327; Eta=0,101**) Internet (1334; Eta=0,007) Entspannen (N=1333; Eta=0,031) Sport (N=1116; Eta=0,081**) Kulturangebot (N=1161; Eta=0,091**) Veranstaltungen (N=1095; Eta=0,099**) Bildungsangebote (N=1063; Eta=0,066*) Natur (N=1173; Eta=0,155**) Ehrenamt (N=630; N=0,038) Politisches Engagement (N=562; Eta=0,105*) Unternehmungen mit Freunden (N=1287; Eta=0,059) Shopping (N=1229; Eta=0,247**) Internet (1224; Eta=0,003) Entspannen (N=1217; Eta=0,068*) Christian Diller sches Engagement. Das Shopping ist der einzige Faktor, bei dem die Marburger signifikant unzufriedener sind als die Gießener Studierenden. Die Unzufriedenheit ist so groß, dass das Shopping für die Marburger Studierenden sogar den Freizeitfaktor mit den geringsten Zufriedenheitswerten darstellt. Ansonsten sind die Marburger bei den meisten Freizeitfaktoren zufriedener als die Gießener Studierenden, am deutlichsten beim Faktor Naturraumqualität. Abbildung 15: Häufigkeit von Freizeitaktivitäten: Unterschiede zwischen Gießen und Marburg Abbildung 16: Zufriedenheit mit Freizeitaktivitäten: Unterschiede zwischen Gießen und Marburg 1,5 2 Gießen Marburg 1,5 2 Gießen Marburg 2,5 2, ,5 3, ,5 4,5 Quelle: Eigene Erhebung Quelle: Eigene Erhebung Abb. 17 macht abschließend deutlich, dass die Studierenden mit ihrer Freizeitsituation insgesamt durchaus zufrieden sind: Abbildung 17: Differenz aus Wichtigkeit und Zufriedenheit mit Freizeitaspekten Unterschiede zwischen Gießen und Marburg Gießen Marburg -0,4-0,2 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 1,2 1,4 Sport (N=1111; R=0,316**) Kulturangebot (N=1150; R=0,262**) Veranstaltungen (N=1084; R=0,277**) Bildungsangebote (N=1049; R=0,265**) Natur (N=1161; R=0,340**) Ehrenamt (N=616; N=0,384**) Politisches Engagement (N=545; Unternehmungen mit Freunden (N=1262; Shopping (N=1219; R=0,234**) Internet (1214; R=0,401**) Entspannen (N=1213; R=0,495**) Quelle: Eigene Erhebung 179

181 Christian Diller Bei nahezu allen Faktoren (Ausnahme: Unternehmungen mit Freunden und Internet-Nutzung) liegt die Qualitätseinschätzung deutlich höher als die Bedeutungseinschätzung. Bis auf die Faktoren Bildungsangebot und Shopping sind die Marburger Studierenden noch etwas zufriedener als die Gießener; am größten ist der Abstand beim Faktor Naturangebot. Faktoren der städtischen Infrastruktur In einem weiteren Komplex wurde die Wichtigkeit von und die Zufriedenheit mit einzelnen Elementen der städtische Infrastruktur ermittelt. Abb. 18 zeigt, dass der Faktor Grünflächen das wichtigste Bewertungskriterium für die städtische Infrastruktur bildet, gefolgt von der Sauberkeit, den Freizeit- und den Einkaufsmöglichkeiten. Es gibt fünf Faktoren, in denen sich die Bewertungen der Städte signifikant voneinander unterscheiden: Das Vorhandensein einer Altstadt und ausreichende Grünflächen sind den Marburgern wichtiger. Die Qualität der Radwege, vor allem aber die Qualität der Ampelschaltungen und der Verkehrsführung für den PKW, hat für die Gießener Studierenden eine signifikant höhere Bedeutung als für die Marburger. In Abb. 19 ist die Zufriedenheit mit den Infrastrukturfaktoren dargestellt. Mit dem gastronomischen Angebot ist die Zufriedenheit insgesamt am größten, mit den Ampelschaltungen und der PKW-Verkehrsführung am geringsten. Bis auf drei Faktoren, die Einkaufsmöglichkeiten, die Qualität der Radwege und die Qualität der Verkehrsführung sind die Marburger Studierenden mit den Faktoren der städtischen Infrastruktur zufriedener als die Gießener Studierenden. Nicht überraschend eklatant ist der Unterschied beim Faktor Vorhandensein einer Altstadt, wo die Bewertungen über zwei Notenpunkte auseinanderliegen. Dies ist der größte Bewertungsabstand bei allen Faktoren, die in diese Befragung überhaupt abgefragt wurden! Stellt man nunmehr wieder die Einschätzung von der Bedeutung und der Zufriedenheit mit den Faktoren der städtischen Infrastruktur gegenüber, so ergibt sich das in Abb. 20 dargestellte Bild. Bei den meisten Faktoren ist in beiden Städten gemessen an der Bedeutung des Faktors die Zufriedenheit geringer. Besonders deutlich ist die Unzufriedenheit bei den Gießenern mit der Ampelschaltung und der Qualität der PKW-Verkehrsführung, aber auch der Sauberkeit, den Grünflächen und dem Vorhandensein der Altstadt. Das Vorhandensein von Einkaufsmöglichkeiten ist der einzige Faktor, bei dem die relative Unzufriedenheit der Marburger etwas größer ausfällt als der Gießener. Umgekehrt fällt auf, dass beim gastronomischen Angebot, vor allem aber beim Vorhandensein der Altstadt, die Zufriedenheit der Marburger größer ist als sie es gemessen an der Bedeutung der Faktoren sein müsste. 180

182 Einkaufsmöglichkeiten (N=1349; Eta=0,040) Vorhandensein Altstadt (N=1300; Eta=0,167**) Grünflächen (N=1339; Eta=0,096**) Sauberkeit (N=1355; Eta=0,004) Angebot an Gastronomie (N=1342; Eta=0,031) Freizeitmöglichkeiten (N=1340; Eta=0,002) Qualität der Fußwege (N=1321; Eta=0,033) Qualität der Radwege (N=1245; Eta=0,059*) Ampelschaltung (N=1261; Eta=0,144**) Qualität für PKW-Verkehr (N=1195; Eta=0,192**) Einkaufsmöglichkeiten (N=1326; Eta=0,111**) Vorhandensein Altstadt (N=1181; Eta=0,664**) Grünflächen (N=2416; Eta=0,334**) Sauberkeit (N=2448; Eta=0,268**) Angebot an Gastronomie (N=1302; Eta=0,206**) Freizeitmöglichkeiten (N=1283; Eta=0,138*) Qualität der Fußwege (N=2332; Eta=0,108**) Qualität der Radwege (N=1873; Eta=0,068**) Ampelschaltung (N=1201; Eta=0,190**) Qualität für PKW-Verkehr (N=1831; Eta=0,086**) Christian Diller Abbildung 18: Wichtigkeit von Faktoren der städtischen Infrastruktur (Mittelwerte, Skala 1= sehr wichtig, 5= nicht wichtig; N= 1195 bis 1355) Abbildung 19: Zufriedenheit mit Aspekten der städtischen Infrastruktur (Mittelwerte, Skala 1= sehr wichtig, 5= nicht wichtig; N= 1195 bis 1355) 1, ,5 2,5 3 3,5 2 2,5 3 3,5 4 4,5 Gießen Marburg 4 4,5 Gießen Marburg Quelle: Eigene Erhebung Quelle: Eigene Erhebung Abbildung 20: Differenz aus Bedeutung und Zufriedenheit für Aspekte der städtischen Infrastruktur Qualität für PKW-Verkehr (N=1933; R=- Ampelschaltung (N=1183; R=-0,158**) Qualität der Radwege (N=1072; R=-0,039) Qualität der Fußwege (N=1260; R=0,090**) Freizeitmöglichkeiten (N=1278; R=0,208**) Angebot an Gastronomie (N=1293; Sauberkeit (N=1338; R=0,05) Grünflächen (N=1297; R=0,220**) Vorhandensein Altstadt (N=1165; Einkaufsmöglichkeiten (N=1317;R=0,197**) Marburg Gießen -1,5-1 -0,5 0 0,5 1 1,5 Quelle: Eigene Erhebung Differenziert man die Bewertungen von Bedeutung und Zufriedenheit mit Merkmalen der Verkehrsinfrastruktur nach der Intensität der Nutzung der einzelnen Verkehrsträger (wobei jeder Befragte alle Verkehrsträger bewertete), so sind die Unterschiede insgesamt geringer als erwartet (vgl. Tabelle 1). 181

183 Christian Diller Signifikant positiv korreliert die Nutzungsintensitäten der Verkehrsträger Fahrrad und Fuß (R=0,062), Fuß und ÖPNV (R=0,277). Signifikant negativ korrelieren die Nutzungsintensitäten Fahrrad und ÖPNV (R=-0,209), Fahrrad und Auto (R=-0,206), zu Fuß und Auto (R=-0,358) sowie ÖPNV und Auto (R=-0,275). Folgende Befunde fallen auf: - Bedeutung des und Zufriedenheit mit dem Semesterticket sind besonders für Fußgänger und ÖPNV-Nutzer von Bedeutung für die Autofahrer dagegen von besonders geringer Relevanz. - Die Qualität der Radwege ist vor allem für die Radfahrer von Bedeutung, in der Zufriedenheit mit der Qualität unterscheiden sie sich aber kaum von den anderen Gruppen. - Die Qualität der Ampelschaltungen ist besonders für die Autofahrer von Bedeutung, unzufrieden damit sind aber vor allem die Fahrradfahrer. - Die Qualität der Verkehrsführung für den PKW ist vor allem für die Autofahrer von sehr hoher Bedeutung; sie sind auch die einzige Gruppe, die mit der diesbezüglichen Situation signifikant zufrieden ist. Tabelle 1: Bedeutung und Zufriedenheit mit Merkmalen der Verkehrsinfrastruktur nach Verkehrsträgernutzung (R-Korrelationskoeffizient auf Basis fünfstufiger Bewertungsskalen) Verkehrsaspekt Erreichbarkeit Fachbereiche Semesterticket Qualität Fußwege Qualität Radwege Qualität Ampelschaltung Qualität Verkehrsführung PKW Intensität der Nutzung des Verkehrsträger Fahrrad Zu Fuß ÖPNV Auto Bedeutung -0,038 0,030 0,119** -0,029 Zufriedenheit 0,048* 0,083** -0,047-0,081 Bedeutung 0,045 0,173** 0,353** -0,290** Zufriedenheit -0,041 0,109** 0,174** -0,124** Bedeutung 0,015 0,071* 0,074** -0,059 Zufriedenheit 0,011 0,073** 0,026-0,069** Bedeutung 0,488** 0,038-0,049-0,178** Zufriedenheit -0,048* -0,023 0,087** 0,010 Bedeutung 0,010-0,089** -0,067* 0,148** Zufriedenheit -0,145** 0,032 0,155** 0,084 Bedeutung -0,194** -0,206** -0,117** 0,501 Zufriedenheit -0,090** -0,066** 0,050 0,075** Quelle: Eigene Erhebung 182

184 Christian Diller 4. Schlussbetrachtung und Ausblick Resümiert man die vorangegangenen Ausführungen so wird klar: es gibt deutlich ablesbare Unterschiede in der Stadtstruktur von Gießen und Marburg, die die Verschiedenheit in der weiteren Stadtentwicklung aber auch ihrer Diskussionskulturen über Stadt zu einem Gutteil erklären. Das beginnt mit der topographischen Lage, fortgeführt mit dem Unterschied im Verlauf der Eisenbahntrasse und natürlich dem sehr unterschiedlichen Ausmaß an Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg, was auch zu einem Unterschied im Verständnis im Umgang mit historischer Bausubstanz führte. Alleine die Quellenlage zeigt: über Stadtentwicklung wird in Marburg, in einer spezifischen Mischung aus Konservatismus und linksalternativen Geist intensiver diskutiert als in Gießen, wo die Stadtplanung länger der Spätmoderne verpflichtet blieb und immer deutlich pragmatischer erschien als in Marburg. Auch wenn von den objektiven Daten her die Universitäten beide Städte gleich beeinflussten, so erscheinen geistiges, universitäres und stadtkulturelles Klima in Marburg stärker verflochten als in Gießen. Betrachtet man jedoch die heutige Stadtstruktur und Stadtentwicklungspolitik in ihrer Gesamtheit, so fallen eher die Parallelen als die Unterschiede auf. An gebauten Schandflecken der Moderne nehmen sich beide Städte im Grunde nichts. Marburg gilt als schöne Stadt. Es kommt aber darauf an, wo man hinguckt (BIVER et al. 2013: 71). Ambitionierte Projekte wurden in Marburg zwar intensiv diskutiert, aber kaum gebaut. Auch die Rahmendaten der Entwicklung und die aktuellen Fragen der Stadtentwicklung sind in beiden Städten eher ähnlich. Und vielleicht verwischen sich auch die Unterschiede im politischen Klima der Städte: Jüngere Beiträge zur Stadtgeschichte meinen mit dem roten Marburg nicht mehr die politische Gesinnung der Stadt, sondern nur noch Erotik-Etablissements (BOLLER UND RÖNZ 2010). In Gießen hat sich vor zwei Jahren ein rot-grüner Politikwechsel vollzogen mit dem unübersehbar auch ein kommunikativerer Politikstil Einzug gehalten hat. Der große Unterschied ist aber noch immer das Image der Städte. Und hier wirkt nach wie vor die historische Altstadt Marburgs prägend. Dies zeigte auch die studentische Befragung: Nach Marburg kommt man auch wegen der Stadt zum Studieren, nach Gießen nur in Ausnahmefällen deswegen. Bei genauerer Analyse wird aber deutlich: die Unterschiede in der Lebensqualität nivellieren sich tendenziell, wenn man erst einmal dort lebt. Zwar werden meisten Faktoren der städtischen Infrastruktur, die mit Freizeit und Kultur zu tun haben, in Marburg etwas besser bewertet als in Gießen. Aber die Unterschiede sind bei weitem nicht so groß, wie es die Image- 183

185 Christian Diller unterschiede vermuten lassen. In beiden Städten ist die Zufriedenheit mit den Freizeit- und Infrastrukturqualitäten deutlich größer als mit dem Studium oder der Wohnsituation im engeren Sinne. Was nützt dem Marburger Studenten die touristisch frequentierte Oberstadt, wenn er dort gar nicht wohnen kann? Und umgekehrt stört den pragmatischen Gießener Studenten das Fehlen der historischen Altstadt gar nicht so sehr: er ärgert sich eher über die Ampelschaltungen, vor allem wenn er mit dem Fahrrad fährt. Diesem Bild Gießens eine hässlichen Stadt zu sein, der es an einem ausstrahlungsstarken historischen Stadtkern mangelt, stehen seine funktionalen Qualitäten gegenüber, die zum Teil besonders was die Einzelhandelsversorgung angeht besser entwickelt scheinen als in Marburg. Befragungen sowohl von innovativen Unternehmen als auch von Hochschullehren in Marburg ergeben ein eindeutiges Bild: die weichen Standortfaktoren der Stadt (Natur, Kulturangebot) werden als relativ gut eingeschätzt, die harten Faktoren wie insbesondere die Verkehrsanbindung, aber auch das Mietniveau dagegen als schlecht (MAGISTRAT 2012; MAGISTRAT 2011). In Gießen sieht es genau umgekehrt aus: die harten Faktoren sind sogar gut entwickelt, die weichen stimmen eigentlich, nur der weichste Faktor, das Image ist konturlos. Das zeigt auch die Leitplanken einer impliziten Arbeitsteilung der beiden mittelhessischen Zentren. Bei der strategischen Ausrichtung der beiden so ungleich erscheinenden, aber im Grunde doch sehr ähnlichen Schwestern sollte dies berücksichtigt werden, auch wenn Gießen inzwischen offizieller Teil der Metropolregion Frankfurt ist und Marburg (noch) nicht. 184

186 Christian Diller Referenzen BINGSOHN, W. (1998c): Die bürgerliche Zeit 1850 bis In: BINGSOHN, W.; BRAKE, L.; BRINKMANN, H. (Hrsg.): Von der Burg zur modernen Stadt. 800 Jahre Gießener Stadtentwicklung Gießen: Brühlscher Verlag, S BIVER, N. et al. (2013): ROSA-LUXEMBURG CLUB MARBURG (Hrsg.): Marburg Rauf und Runter. Stadtspaziergänge durch Geschichte und Gegenwart, Marburg. BOLLER, C.; RÖNZ, A. (2010): Rotes Marburg. In: BRAUN, K.; SCHÖNHOLZ, C.(2010): Marburg Streifzüge durch die jüngere Stadtgeschichte, S BINGSOHN, W.; BRAKE, L.; BRINKMANN, H. (Hrsg.): Von der Burg zur modernen Stadt. 800 Jahre Gießener Stadtentwicklung , Gießen. BRAUN, K.; SCHÖNHOLZ, C. (2010): Streifzüge als Spurensuche. In: BRAUN, K.; SCHÖNHOLZ, C. (2010): Marburg Streifzüge durch die jüngere Stadtgeschichte, S COORDES, G. (2008): Hauptstadt der Wohngemeinschaften. In: BOEGNER, M.; MANNSHARDT, P. (2008): Marbuch Marburgs Stadtbuch. Marburg in Texten und Bildern, Marburg, S DÄHNE, E. (1985): Vorwort und Marburg im Mittelalter. In: DÄHNE, E. et al (1985): Marburg. Eine illustrierte Stadtgeschichte, Marburg, S DETTMERING, E. (2008a): Kleine Marburger Stadtgeschichte, Regensburg. DETTMERING, E. (2008b): Stadtgeschichte. Tausend Jahre in drei Sprüngen: In: BOEGNER, M.; MANNSHARDT, P. (2008): Marbuch Marburgs Stadtbuch. Marburg in Texten und Bildern, Marburg, S DOMMER, E. (1995): Das Image der Stadt Gießen aktuelle und historische Dimensionen. In: DOMMER, E.; SCHMIDT, P. Auf der Suche nach Gießen Ergebnisse von Bürgerbefragungen und Stadtforschung, Gießen, S DORENKAMP, A. (2006): Die Anbindung des Einkaufszentrums Galerie Neustädter Tor an das Gießener Geschäftszentrum: Das Kopplungsverhalten von Kunden in der Gießener Innenstadt, Gießen. Döpp, W. (1990): Marburg an der Wende vom 19. Zum 20. Jahrhundert. Hinweise auf Stadterneuerung. In: PLETSCH, A. Hrsg. (1990): Marburg. Entwicklungen Strukturen Funktionen Vergleiche mit Routenvorschlag für eine Stadtexkursion, Marburg, S FITZTHUM, G. (2006): Lehrstunde, wie man es nicht machen darf Gießen ist seine Rolle als Aschenputtel unter Deutschlands Städten leid. Eine Marketing-GmbH soll jetzt das Image aufpolieren. Fragt sich bloß, womit. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom , Nr. 8 / Seite 9. FICHTNER, D. (2009): Stadtplanung für den Moment oder für die Zukunft. Der Konflikt zwischen öffentlichen Belangen und privaten Profitinteressen. In: Initiativgruppe Marburger Stadtbild und Stadterweiterung e. V. (IG MARSS) Hrsg.: Marburg Abbruch und Wandel. Städtebauliche Planungen in einer historischen Stadt. Marburg, S FICHTNER, D. (1990): Stadtplanung und Stadtsanierung in Marburg seit dem Zweiten Weltkrieg. In: PLETSCH, A. (Hrsg.): Marburg. Entwicklungen Strukturen Funktionen Vergleiche mit Routenvorschlag für eine Stadtexkursion. Heft 115. Marburger Geographische Schriften. Im Selbstverlag der Marburger Geographischen Gesellschaft e.v. FORM, W. (1985): Marburg zwischen 1604 und In: DÄHNE, E. et al. (1985): Marburg. Eine illustrierte Stadtgeschichte, Marburg, S FÜLBERTH, G. (1985): Marburg In: DÄHNE, E.et al. (1985): Marburg. Eine illustrierte Stadtgeschichte, Marburg, S GIRGERT, W. (2009): Schlechte Zeiten für gute Architektur. Marburger Stadtentwicklung 1970 bis In: Initiativgruppe Marburger Stadtbild und Stadterweiterung e. V. (IG MARSS) (Hrsg.): Marburg Abbruch und Wandel. Städtebauliche Planungen in einer historischen Stadt, Marburg, S GIRGERT, W. (2009b): Über Geschmack lässt sich trefflich streiten. Architektur als Zumutung Acht Beispiele. In: Initiativ gruppe Marburger Stadtbild und Stadterweiterung e. V. (IG MARSS) Hrsg.: Marburg Abbruch und Wandel. Städtebauliche Planungen in einer historischen Stadt, Marburg, S GIRGERT, W. (2008): Gepflegtes Mittelmaß Stadtentwicklung in Marburg. In: BOEGNER, M.; MANNSHARDT, P. (2008): Marbuch Marburgs Stadtbuch. Marburg in Texten und Bildern, Marburg, S GREINER, S.; HOFFMANN R.; VOLP, S. (2010): Bart, In: BRAUN, K.; SCHÖNHOLZ, C. (2010): Marburg Streifzüge durch die jüngere Stadtgeschichte, S HIFL (1993): Hessisches Institut für Lehrerfortbildung (Hrsg.): Marburger Stadtgeschichte mit Spurensuche, Fuldatal. JACOBI, T.; BERN K.; MÜNZER, L. (2001): 150 Jahre Eisenbahn in Marburg Impulse der Stadtentwicklung, Marburg. JLU (1999): Der Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen (Hrsg.): Gießener Diskurse. Bad 17: Stadt, Gießen. LEIB, J.; BUCUHOFER, E.; WENGLER; REEH, G. (1990): Marburg als Universitätsstadt. In: PLETSCH, A. Hrsg. (1990): Marburg. Entwicklungen Strukturen Funktionen Vergleiche mit Routenvorschlag für eine Stadtexkursion, Marburg, S LEIB, J. (1976): Justus-Liebig-Universität, Fachhochschule und Stadt. Probleme des Zusammenhanges zwischen Hochschulund Stadtentwicklung aufgezeigt am Beispiel der Universitätsstadt Gießen, Gießen. LEIMBROCK, H.; ROLOFF, W. (1987): Mittelstadtentwicklung Mittelstadtplanung. Mit Falluntersuchungen fünf ausgewählter Mittelstädte, Band 2, Frankfurt/Bern/New York/Paris. 185

187 Christian Diller MAGISTRAT (2012): Magistrat der Universitätsstadt Marburg: Befragung innovativer Unternehmen in Marburg. MAGISTRAT (2011): Magistrat der Universitätsstadt Marburg: Hochschullehrerbefragung in Marburg. MAGISTRAT (1998): Magistrat der Universitätsstadt Marburg: Radverkehrswegeplanung Marburg. 2. Fortschreibung (Stadtentwicklungsplanung Marburg 36/1998), Marburg. MEYER, G. (1985): Marburg nach In: DÄHNE, E. et al. (1985): Marburg. Eine illustrierte Stadtgeschichte, Marburg, S MOSSIG, I. (2003): Das Image der Stadt Gießen aus Sicht der Studierenden an der Justus-Liebig-Universität 2003 im Vergleich zu 1990 (Geographisches Institut, Studien zur Wirtschaftsgeographie), Gießen. NIPPER, J. (1993): Zerstörung, Wideraufbau und Persistenz. Eine Analyse der raum-zeitlichen Entwicklung der Landnut- zung der Gießener Innenstadt bis Anfang der 60er Jahre. In: NIPPER, J.; NUTZ, M (Hrsg.): Kriegszerstörung und Wiederaufbau deutscher Städte. Geographische Studien zu Schadensausmaß und Bevölkerungsschutz im Zweiten Weltkrieg, zu Wiederaufbauideen und Aufbaurealität, Köln, S QUANDT, S. Hrsg. (1984): Gießen Stadtentwicklung und Geschichtsbewußtsein. Drei Oberbürgermeister im Gespräch, Gießen. SCHAARSCHMIDT, S. (2011): Wohnsituation der Gießener Studierenden. Zufriedenheitsstudie zu den Unterkünften am Beispiel der Universitätsstadt Gießen (Gießener Geographische Manuskripte, Bd. 4), Gießen. SCHMIDT, H. (1993): Wiederaufbau und Baulandumlegungeverfahren. In: NIPPER, J.; NUTZ, M. (Hrsg.): Kriegszerstörung und Wiederaufbau deutscher Städte. Geographische Studien zu Schadensausmaß und Bevölkerungsschutz im Zweiten Weltkrieg, zu Wiederaufbauideen und Aufbaurealität, Köln, S SCHREINER, K. (2009): Stadteinführung. Das Erbe ist die Zukunft. In: Initiativgruppe Marburger Stadtbild und Stadterweiterung e. V. (IG MARSS) (Hrsg.): Marburg Abbruch und Wandel. Städtebauliche Planungen in einer historischen Stadt, Marburg, S SCHREINER, K. (2009a): Das Schlimmste verhindern. Der lange Weg zur Beteiligung der Bürger an der Stadtentwicklung. In: Initiativgruppe Marburger Stadtbild und Stadterweiterung e. V. (IG MARSS) (Hrsg.): Marburg Abbruch und Wandel. Städtebauliche Planungen in einer historischen Stadt, Marburg, S SCHUCHART, W. (2009): Tradition statt Innovation. Verkehrspolitik und Verkehrsplanung in Marburg. In: Initiativgruppe Marburger Stadtbild und Stadterweiterung e. V. (IG MARSS) Hrsg.: Marburg Abbruch und Wandel. Städtebauliche Planungen in einer historischen Stadt, Marburg, S SCHWEITZER, G. (2008): Marburg kompakt. In: BOEGNER, M.; MANNSHARDT, P. (2008): Marbuch Marburgs Stadtbuch. Marburg in Texten und Bildern, Marburg, S UNIVERSITÄT GIEßEN (2012): Statistik der Studierenden, stat/aktuell-4/jlu-studierendenstatistik-ws pdf/file/_studstat20112_teil_a_me.pdf ( ). UNIVERSITÄT MARBURG (2012): Mitarbeiterzahlen. ( ). WENTZEL, D. (1996): Umweltprobleme in Gießen vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, Gießen. ZSCHUNKE, S. (2008): Altstadtsanierung. In: BRAUN, K.; SCHÖNHOLZ, C. (2010): Marburg Streifzüge durch die jüngere Stadtgeschichte, S

188 Johann-Bernhard Haversath Geographiedidaktik: Von der Meisterlehre zur forschenden Disziplin Johann-Bernhard Haversath Seit 1961 gibt es die Geographiedidaktik an der Universität Gießen. Ihr Lehr- und Forschungsgegenstand ist die adressatenbezogene Auswahl und Anordnung von Inhalten, die räumlich bestimmbar oder raumwirksam sind, und ihre Vermittlung in die Verständnisebene des Adressaten (BÖHN UND OBERMAIER 2013: 93). Hinter dieser knappen Definition steckt eine facettenreiche, wechselvolle Geschichte, die auch am Standort Gießen erkennbare Spuren hinterlassen hat. Erst 2008 wurden die beiden geographischen Institute (Institut für Didaktik der Geographie und Institut für Geographie) vereinigt; seit dieser Zeit bildet die Geographiedidaktik eine gleichberechtigte Abteilung des Gesamtfachs und steht strukturell und institutionell auf Augenhöhe mit den anderen Abteilungen. Gleichwohl bestehen unterschiedliche und jeweils spezifische Ausrichtungen der einzelnen Abteilungen. 1. Wandel der universitären Position Die Anfänge der heutigen Gießener Geographiedidaktik liegen in der institutionalisierten Lehrerbildung. Von 1934 bis 1939 existierte als Vorgängereinrichtung die Hochschule für Lehrerbildung in Weilburg; diese wurde während des Zweiten Weltkriegs geschlossen, wurde aber schon 1945 als Pädagogisches Institut wieder eröffnet. Mit der Auflösung des Standorts Weilburg erhielt die Universität Gießen 1961 die Abteilung für Erziehungswissenschaften (AfE) als angegliederten, aber nicht integrierten Komplex. Die Anfänge in Gießen waren daher schwierig baulich separiert (als Institut für Didaktik der Geographie zunächst an der Licher Straße, später im neuen Philosophikum II [Abb. 1]), institutionell und räumlich vom Bezugsfach Geographie getrennt, disziplinär den Erziehungswissenschaften zugeordnet und personell mit Professoren ausgestattet, die die Position zwischen dem Bezugsfach und den Erziehungswissenschaften in unterschiedlicher Form ausfüllten: G. Bartsch war bereits seit 1935 als Professor in Weilburg; nur seine letzten 10 Dienstjahre ( ) verbrachte er in Gießen. Mit seinem Kollegen W. Schulze ( ) und verschiedenen Mitarbeitern stellte er die Ausbildung der Lehrkräfte an Grund-, Haupt- und Realschulen sowie an Sonderschulen sicher. Bis zum Jahr 2005 gab es zwei oder 187

189 Johann-Bernhard Haversath mehr Professuren: E. Ernst ( ), G. Jahn ( ), D. Neukirch ( ) sowie O. Werle ( ); seitdem verfügt die Abteilung nur noch über eine Professur (J.-B. Haversath [ ], R. Mehren [seit 2014]). Mit dem strukturellen Wandel von der angegliederten Abteilung des Weilburger Pädagogischen Instituts über das eigenständige Institut für Didaktik der Geographie zur Abteilung Geographiedidaktik des Geographischen Instituts geht die schrittweise universitäre Aufwertung der Lehramtsausbildung einher. Der Jahrzehnte lange Weg der Gießener Geographiedidaktik spiegelt zugleich die Umorientierung in den Wissenschaften, deren Hintergrund die zunehmende Spezialisierung und Professionalisierung aller Teilbereiche bildet. Abbildung 1: Standort der Geographiedidaktik seit Oktober 1966: Philosophikum II, Haus G, Erdgeschoss rechts Quelle: Aufnahme S. Haffer 2. Wandel der geographiedidaktischen Leitvorstellungen Diese Umorientierung durchzieht wie ein roter Faden die schulische Erdkunde ebenso wie die universitäre Forschung und Lehre. Mit der galoppierenden Wissensexplosion seit etwa den 1960er Jahren und der Verkürzung der Alterungszyklen von Informationen, Kenntnissen, Methoden und Konzepten sind wiederholte Paradigmenwechsel unausweichlich. Die 188

190 Johann-Bernhard Haversath geographiedidaktischen Leitvorstellungen wandeln sich folglich mit dem gesamten gesellschaftlichen Umfeld. Anfänglich stand die so genannte Entschleierung der Erde im Mittelpunkt: Es gab noch im 19. Jahrhundert weiße Flecke in den Schulatlanten; fremde Länder und Kontinente wurden in der Schule systematisch vermittelt außerschulisch unterstützt von dem Genre der Jugend- und Reiseliteratur (z. B. Karl May). Massenmedien spielten hierbei nur eine untergeordnete Rolle. Im Nationalsozialismus bestimmte das Konzept Blut und Boden die Auswahl der Inhalte. Anschließend dominierte bis ca das Leitbild der Auseinandersetzung des Menschen mit den (widrigen) natürlichen Bedingungen: Überleben in der Wüste, Holzwirtschaft in Kanada oder Finnland, Landgewinnung an der Nordseeküste waren Themen, die zeigen sollten, dass sich die Menschen im Kampf mit schwierigen Umweltbedingungen bewähren müssen, wenn sie überleben wollen. Bis ca galt das Paradigma der Erde als Planungs- und Verfügungsraum menschlicher Gruppen. Damit änderten sich die Themen in Forschung, Lehre und Unterricht: Rodung des tropischen Regenwalds, Bau der Transamazonica, Errichtung riesiger Wasserkraftwerke in Sibirien, Afrika oder Südamerika, Erschließung der Eiswüsten, Landgewinnung in Japan oder den Niederlanden standen nun im Fokus. Erst die Inwertsetzung (!) lebensfeindlicher Milieus schaffe so dachte man damals die Basis für die steigenden Lebensansprüche einer wachsenden Erdbevölkerung. Um 1990, als das Ausmaß unübersehbar und die schwer zu kalkulierenden Folgen menschlicher Aktivitäten kaum noch abzuschätzen waren, wurde die Bewahrung der Erde als neues Leitbild ausgerufen; ab ca wird es noch deutlicher: das Überleben der Menschheit stehe zur Diskussion. Bei begrenzten, endlichen Ressourcen sei es unverantwortlich, wenn ein Viertel der Menschheit drei Viertel der Umweltprobleme verursache. Die Gießener Geographiedidaktik war an all diesen Entwicklungen nicht unbeteiligt. Mit einem programmatischen, viel zitierten Beitrag zu den Lernzielen im Erdkundeunterricht tat sich E. ERNST (1970) hervor. Im Bereich der Erdkunde-Schulbücher, zu Fragen des Medieneinsatzes, bei der Entwicklung neuer Unterrichtsmethoden und bei der Positionsbestimmung des Fachs in einer sich wandelnden Welt profilierten sich die Wissenschaftlichen und Pädagogischen Mitarbeiter, z. B. K. Engelhard ( , dann Professor in Münster), G. Fuchs ( , später Prof. in Paderborn), G. Havelberg (1984), R. Förster ( ), W. Nink ( ), H. Reich ( ), A. Brüggemann ( ) und C. Peter ( ). Gleichwohl kann aus heutiger Sicht bilanziert werden, dass noch bis in die 1960er, ja sogar bis in die 1980er Jahre die Lehramtsausbildung als so genannte Meisterlehre konzipiert war; es waren erfahrene und sehr kompetente Praktiker, welche die eigenen erfahrungsbasierten Erkenntnisse 189

191 Johann-Bernhard Haversath an die junge Generation weitergaben. Empirisch gestützte Untersuchungen bildeten in den Fachdidaktiken der damaligen Zeit noch die Ausnahme. 3. Wandel der geographiedidaktischen Forschung Die aktuelle geographiedidaktische Forschung ist vielfältig aufgestellt. In allen Fällen geht es um die intersubjektiv überprüfbare Gewinnung und Begründung von Erkenntnissen über das institutionalisierte Lehren und Lernen geographischer Sachverhalte (BÖHN UND OBERMAIER 2013: 95). Die Abbilddidaktik früherer Jahrzehnte, die fachwissenschaftliche Erkenntnisse methodisch umsetzte und der Disziplin das Stigma der Subalternität einbrachte, ist damit obsolet. Methodologisch handelt es sich bei den heutigen Forschungsarbeiten um empirische, normative oder empirisch-normative Studien, die sich auf schulisches und außerschulisches Lehren und Lernen beziehen. Die aktuelle Forschung ist in diesem Sinne auch mit ihren inhalts-, curriculum-, methoden-, medien- oder prinzipienbezogenen Untersuchungen stets Lehr- Lern-Forschung. Abbildung 2: Im Sekretariat: Frau Petra Heid-Emmerich (seit 2007) Quelle: Eigene Aufnahme 190

192 Johann-Bernhard Haversath Zur Entwicklung und Förderung dieses Ansatzes fand 2008 in Gießen ein Forschungs-Workshop des Hochschulverbands für Geographie und ihre Didaktik (HGD) statt. Die Wende zur forschenden Disziplin war hier am Standort schon zuvor vollzogen; es erschienen Untersuchungen zu curriculum- und schulbuchbezogenen Themen (z. B. HAVERSATH 1997; ZECHA 2004), zur Exkursionsdidaktik (LÖßNER 2011; NEEB 2012), zum Umweltbewusstsein (ZECHA 2011), zu Berufswahlmotiven von Lehramtsstudierenden (LÖßNER et al. 2010) sowie zum geographischen Experimentieren (z. B. MÖNTER UND HOF 2012; PETER UND HOF 2011). Weitere Untersuchungen zu diesen und anderen Themen zum virtuellen Wasser (S. Haffer), zu GPS-Bildungsrouten zur Nachhaltigkeit (T. Schiller) sind in Arbeit. In wieder andere Richtungen zielten Impulse, die von der Gießener Frühjahrstagung 2013 ausgingen (NEEB, OHL, SCHOCKEMÖHLE 2013); hierbei standen die Sichtung und Prüfung vorhandener Potenziale, ihre Validierung und die Entwicklung weiterer Möglichkeiten im Vordergrund. Eine Zusammenfassung der Schwerpunkte der geographiedidaktischen Lehr- Lern-Forschung des deutschsprachigen Raums, die unter den Etiketten Theorie Themen Forschung firmiert und mehrere Beiträge Gießener Geographiedidaktiker enthält, erschien 2012 (HAVERSATH 2012). Die Forschungsschwerpunkte des jetzigen Stelleninhabers erweitern und vertiefen mit Forschungsfeldern wie räumliche Orientierungskompetenz, geographiedidaktische Lehrerbildung, Exkursionsdidaktik oder Globales Lernen (MEHREN 2013) diesen Zugang erheblich und setzen Zeichen der fachlichen und konzeptionellen Weiterentwicklung. Bilanzierend hat neben den auch in der Öffentlichkeit diskutierten großen Paradigmenwechseln in der Geographiedidaktik der letzten 60 Jahren auch ein gewaltiger Umbruch in der Forschung stattgefunden. Die früheren, erfahrungsbasierten Zugänge wurden durch empirische Konzepte der Lehr-Lernforschung ersetzt; die Geographiedidaktik hat sich damit neu positioniert. So verschaffte sich die Disziplin den Anschluss an die vernetzte, transdisziplinäre Forschung. 4. Geographiedidaktik als Dienstleistung Bei zunehmendem Forschungsoutput, kontroversen und mitunter schwer durchschaubaren Zusammenhängen (z. B. bei Fragen der Globalisierung und Fragmentierung, bei ethnischen und/oder wirtschaftlichen Konflikten oder bei Einschätzungen zum Klimawandel) nimmt die Geographiedidaktik eine wichtige Rolle als Vermittler und Ansprechpartner der Lehrenden im Fach Erdkunde wahr. 191

193 Johann-Bernhard Haversath In jährlichem Turnus finden deshalb die Hessischen Schulgeographentage an der Universität Gießen statt; zentrale Themen mit aktuellem Bezug werden hier von Fachleuten präsentiert und mit den Lehrenden, die aus allen Teilen Hessens kommen, diskutiert. In die gleiche Richtung zielen auch die universitären Fachtage, die mit jährlich wechselnden Themen durchgeführt werden z. B. europäische und außereuropäische Perspektiven oder Griechenland im Fokus. Weiterbildungsmaßnahmen in Kooperation mit dem Landesschulamt und der Lehrkräfteakademie, Vorträge an Schulen bzw. für Schüler, Beiträge in dem Verbandsorgan der Hessischen Schulgeographen, Beiträge in Schulbüchern, die Mitgliedschaft in ministeriellen Lehrplankommissionen oder die aktive Mitarbeit im Vorstand der Hessischen Schulgeographen runden dieses Bild ab. 5. Geographiedidaktik im modularisierten Studium Das heutige Lehramtsstudium muss dieser Situation Rechnung tragen. Im Sinne eines konsekutiv konzipierten Studiengangs ist es nicht nur an Modulen orientiert, die aufeinander aufbauen, sondern es verbindet auch vom ersten Semester bis zum Examen theoretische und praktische Komponenten. Im Modul Grundlagen der Geographiedidaktik erhalten die Studierenden im ersten und zweiten Semester eine einführende Vorlesung, die durch zwei Übungen zur Mediendidaktik ergänzt wird. Hauptziele sind die Gewinnung eines fachlichen Überblicks, die Heranführung an wissenschaftliche Arbeitsweisen und der Umgang mit der wissenschaftlichen Terminologie. Das hierauf aufbauende Modul Theorie und Praxis der Geographiedidaktik umfasst drei Seminare. Sie ergänzen den theoretischen Zugang einerseits um unterrichtspraktische Aspekte, andererseits nehmen sie auf die Einführungsmodule Physische Geographie und Anthropogeographie Bezug. Damit steigen der Komplexitätsgrad der Themen und die Ansprüche an die Studierenden. Inhaltlich geht es um die Konzeption und Reflexion von Unterrichtseinheiten zur Physischen Geographie (Seminar 1), zur Anthropogeographie (Seminar 2) und zur Methodik (Seminar 3). Es folgt als Wahlpflichtmodul das Blockpraktikum, das nur in einem der gewählten Fächer zu absolvieren ist. Es wird im Wintersemester vorbereitet, in der anschließenden vorlesungsfreien Zeit absolviert und im Sommersemester nachbereitet. Es ist das Ziel dieses Moduls, eine theoriegeleitete, professionelle Praxis anzubahnen. Dazu ist es nötig, die ganze Palette der Möglichkeiten zu kennen und zu testen, die in den vorausgehenden Seminaren vorgestellt wur- 192

194 Johann-Bernhard Haversath den. Dieser Weg zielt darauf, innovativen und für Innovationen offenen Unterricht grundzulegen. Das abschließende Modul Planung und Forschung in der Geographiedidaktik bringt den Studierenden wissenschaftliche Methoden zur Unterrichtsplanung und -kontrolle sowie zur Erstellung eines eigenen Forschungsdesigns nahe. Die Studierenden arbeiten mit fachdidaktischen Modellen, verstehen fachdidaktische Forschungsansätze und entwickeln wissenschaftliche Zugänge zu ausgewählten Forschungsfragen. Auf diese Weise erfassen sie zugleich die Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlicher Projekte, sie können diese kritisch beurteilen und auch das eigene Handeln auf der Metaebene einordnen. Dies schafft ein mögliches Fundament für lebenslanges Lernen. Abbildung 3: Studierende bei der Arbeit in der Lernwerkstatt (Oktober 2013) Quelle: Aufnahme S. Haffer Die Ausbildung für das Lehramt an Primarschulen ist gänzlich anders konzipiert. Der Sachunterricht ist in den Modulen 2 und 3 in sechs Bereiche gegliedert, von denen der Geographie das Lernfeld 3 (Raum) zugeordnet ist. Die Ausbildung zielt auf die Kenntnis fachspezifischer Ansätze, Arbeitsweisen und Themenschwerpunkte, damit die Studierenden vor allem 193

195 Johann-Bernhard Haversath eine begründete und fachlich legitimierte Unterrichtsplanung und -kontrolle entwickeln, eigene Projekte konzipieren und kritisch beurteilen können. Geographiedidaktik und (allgemein) Lehramtsausbildung erweisen sich in der Zusammenschau als ein Gebiet mit hoher gesellschaftlicher Bedeutung. Weil die Lehrenden der Zukunft heute ausgebildet werden, muss das Konzept breit, offen und vielfältig sein. Spezialisierung erfolgt im Studium nur exemplarisch; breit ausgebildete Studierende sind so unterstellen wir in der Lage, flexibel, kompetent und professionell auf neue Herausforderungen zu reagieren; mit der früheren Meisterlehre wäre das kaum möglich.. 194

196 Johann-Bernhard Haversath Referenzen BÖHN, D.; OBERMAIER, G. (2013): Wörterbuch der Geographiedidaktik. Begriffe A-Z. Braunschweig. ERNST, E. (1970): Lernziele in der Erdkunde. Geographische Rundschau 22, S , HAVELBERG, G. (1984): Geographieunterricht im Spannungsfeld zwischen pädagogischer Zielnotwendigkeit und Sachanspruch. Geographiedidaktische Forschungen 11, Berlin. HAVERSATH, J.-B. (1997): Das Oasenbild in den Erdkundelehrplänen und Schulbüchern Deutschlands. Geographische Rundschau 49, S HAVERSATH, J.-B. (Hrsg.) (2012): Geographiedidaktik. Theorie Themen Forschung. Braunschweig. LÖßNER, M.; GŁOWACZ, A.; LÜDEMANN, S.; ADAMCZEWSKA, M.; SMĘTKIEWICZ, K. (2010): Warum will ich Geographielehrer werden? Berufswahlmotive und fachspezifisches Interesse von Lehramtsstudierenden der Geographie in Gießen und Łódż ein Vergleich. Geographie und ihre Didaktik 38, S LÖßNER, M. (2011): Exkursionsdidaktik in Theorie und Praxis. Forschungsergebnisse und Strategien zur Überwindung von hemmenden Faktoren. Geographiedidaktische Forschungen 48. Weingarten. MEHREN, R.; HEMMER, M. (2013): Konzeptionelle Ansätze der Exkursionsdidaktik aufgezeigt am Studienprojekt Zwischen Kiez und Metropole: Geographische Schülerexkursionen in Berlin. In: BROVELLI, D.; FUCHS, K.; REMPFLER, A., SOMMER, A.; HÄLLER, B. (Hrsg.): Ausserschulische Lernorte Impulse aus der Praxis. Ausserschulische Lernorte. Beiträge zur Didaktik, Band 3. Münster, S MÖNTER, L.; HOF, S. (2012): Experimente. In: HAVERSATH, J.-B. (Hrsg.): Geographiedidaktik. Theorie Themen Forschung. Braunschweig, S NEEB, K. (2012): Geographische Exkursionen im Fokus empirischer Forschung. Geographiedidaktische Forschungen 50. Weingarten. NEEB, K., OHL; SCHOCKEMÖHLE, J. (Hrsg.) (2013): Hochschullehre in der Geographiedidaktik. Wie kann die Ausbildung zukünftiger Lehrerinnen und Lehrer optimiert werden? Gießener Geographische Manuskripte 7. Aachen. PETER, C.; HOF, S. (2011): Wasser unter der Lupe! Kompetenzorientiertes Experimentieren im Geographieunterricht. Geographie heute 32, Heft 293/294, S ZECHA, S. (2004): Darstellung Europas in der Geographiedidaktik Portugals. Untersuchung von Geographieschulbüchern der Jahrgangsstufe. Aachen. ZECHA, S. (2011): Welche Rolle spielt die Umwelt für Jugendliche heute? Eine empirische Studie zum Umweltbewusstsein in unterschiedlichen Jahrgangsstufen. Geographie und ihre Didaktik 39, S

197 André Staarmann Die Gießener Geographie im Nationalsozialismus - Ein bislang wenig beachtetes Kapitel André Staarmann Mit dem vorliegenden Beitrag zur Geschichte der Gießener Geographie im Nationalsozialismus wird der Versuch unternommen, das von der Weimarer Zeit (1921) bis zum vorläufigen Ende der Gießener Geographie (1944/1946) im Wesentlichen durch seinen Direktor Prof. Dr. Fritz Klute vertretene Geographische Institut aus der Perspektive zeitgenössischer politisierter Forschungsschwerpunkte der deutschen Hochschulgeographie zu beleuchten und hinsichtlich seiner politisch-ideologischen Nähe zum Nationalsozialismus zu bewerten 1. Im Anschluss an Horst-Alfred Heinrich ist insbesondere dem Schrifttum, das anlässlich bestimmter Jubiläen herausgegeben wird, eine Tendenz der Ausblendung der Verstrickungen zwischen dem deutschen Wissenschaftsbetrieb und der NS-Diktatur zu bescheinigen (HEINRICH 1991: 16). Dieser Sachverhalt trifft auch auf die zum 100-jährigen Bestehen der Gießener Geographie im Jahr 1964 in der Reihe GIESSENER GEOGRAPHISCHE SCHRIFTEN (Heft 6) herausgegebene Festschrift insofern zu, als dass hier der Zeitraum von 1933 bis 1945 abgesehen von Hinweisen auf die Zerstörung des Institutsgebäudes in der Endphase des Zweiten Weltkrieges in keiner Weise thematisiert, geschweige denn kritisch reflektiert wird. Der dieser Publikation folglich zu unterstellende Mangel an der kritischen Aufarbeitung der Rolle der Gießener Geographie im Nationalsozialismus kennzeichnet das seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mindestens 30 Jahre vorherrschende distanzierte Verhältnis der deutschen Hochschulgeographen_Innen zur braunen Vergangenheit der eigenen Disziplin. Diese unbefriedigende Situation erfährt erst seit den 1980er Jahren durch das Erscheinen einzelner Beiträge sowie das Einsetzen entsprechender innerdisziplinärer Diskussionen einen grundlegenden Wandel 2 (FISCHER UND SANDNER 1991: 1197; WARDENGA 1995: 523). Im Anschluss an die gegenwärtig umfangreiche Literatur zur Disziplingeschichte im Nationalsozialismus (etwa BÖHM 2003, HEINRICH 1991, KOST 1989, SCHULTZ 1998, 1 Die Zusammenstellung der diesem Aufsatz zugrunde liegenden Informationen erfolgte auf der Basis einer umfassenden Literaturrecherche sowie der Auswertung zeitgenössischer Quellen insbesondere der Archive der Justus Liebig-Universität Gießen und Johannes Gutenberg- Universität Mainz. 2 Die von Prof. Dr. ERNST GIESE betreute und im Heft 70 in der Reihe GIESSENER GEOGRAPHISCHE SCHRIFTEN publizierte Dissertation von HORST-ALFRED HEINRICH (1991) zum Thema Politische Affinität zwischen geographischer Forschung und dem Faschismus im Spiegel der Fachzeitschriften belegt, dass sich am Institut für Geographie der Justus Liebig-Universität Gießen bereits in der zweiten Hälfte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts und damit vergleichsweise früh mit der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit der deutschen Hochschulgeographie beschäftigt wird. 196

198 André Staarmann WARDENGA 1995/2001, WOLKERSDORFER 2001), wird mit dieser erstmalig auf die Gießener Geographie bezogenen kritischen Aufarbeitung ein weiterer Beitrag zur braunen Vergangenheit der deutschen Hochschulgeographie vorgelegt. 1. Wandel der Hessischen Landesuniversität Die aus der Dynamik von Reformation und Gegenreformation hervorgegangene lutherisch Hessen-Darmstädtische Landesuniversität, die Ludoviciana, wird im Herbst 1933 mit der Einsetzung einer an das Führerprinzip angelehnten Verfassung aus ihrer landesstaatlichen Verankerung in dem nach dem Ersten Weltkrieg etablierten Weimarer Volksstaat Hessen entrissen (MORAW 1990: 210; UHLIG 1982: 33-34). Mit der im Jahr 1934 erfolgenden Übertragung der Hoheitsrechte der Länder an das Deutsche Reich wird der Wandel des Status der Landesuniversität, die im Jahr 1935 von Hessische Ludwigs-Universität in Ludwigs-Universität umbenannt wird, festgeschrieben (MORAW 1990: 211). In der Folge wird der Volksstaat Hessen in den auf der Grundlage der räumlichen Organisationsform der NSDAP institutionalisierten so genannten Reichsgau Hessen-Nassau (Abb. 1) transformiert. Abbildung 1: Gaueinteilung der NSDAP Quelle: Reichstelle für das Schul- und Unterrichtsschrifttum (1943) 197

199 André Staarmann Diese von Reichstatthalter sowie NS-Gauleiter Jakob Sprenger von 1933 bis 1945 geleitete, politisch-administrative Einheit symbolisiert den die Zeit der NS-Diktatur charakterisierenden Dualismus von Partei und Staat (DEUTSCHES HISTORISCHES MUSEUM 2014a, HESSISCHE BIOGRAPHIE 2013; MORAW 1991: 211, 219). Der Wandel des Status der Universität Gießen wird des Weiteren durch ihre in der Mitte der 1930er Jahre erfolgende hoheitsrechtliche Unterstellung unter das fortan auch für Personalfragen zuständige Reichserziehungsministerium in Berlin sowie durch ihre Unterwerfung unter eine reichseinheitliche Hochschulverwaltung festgeschrieben. Der zur Zeit der Machtergreifung der Nationalsozialisten amtierende Rektor Adolf Jess gelobt bereits im Mai 1933 auf einer öffentlichen Großkundgebung den Führern des Neuen Reiches... treue Gefolgschaft und ruft alle Akademiker zur Mitarbeit am Wiederaufbau des Deutschen Reiches auf (FELSCHOW, LIND UND BUSSE 2008: 10, 16; LILLA 2014, MORAW 1990: 211). Mit dieser öffentlichkeitswirksam inszenierten Unterwerfung unter die NS-Diktatur leistet die Universität Gießen einen bedeutenden Beitrag zur Konsolidierung der zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs fest etablierten NS-Herrschaft im Mittleren Hessen (FRITSCHE 2007: 286). In diesem Zusammenhang wird das Schicksal der Gießener Universität als eine den Idealen der Aufklärung verpflichtete Institution insofern besiegelt, als dass mit der von Studierenden der Deutschen Studentenschaft im Anschluss an die oben genannte Großkundgebung durchgeführten Verbrennung von vermeintlich missliebigem Schrifttum der für die Landesuniversität grundlegende Wert der uneingeschränkten geistigen Freiheit verworfen wird (FELSCHOW, LIND UND BUSSE 2008: 10). Da in der Frühphase der NS-Diktatur sowohl der hoheitsrechtliche als auch der weltanschaulich-ideelle Status der Ludoviciana aufgegeben wird, markiert dieser Zeitraum einen grundlegenden Wandel und damit eine Zäsur in der Geschichte der Universität Gießen. 2. Universität Gießen unter dem Hakenkreuz Die Universität Gießen repräsentiert in der Mitte der 1930er Jahre eine vom vielgliedrigen nationalsozialistischen System (FRITZSCHE 2007: 285) durchdrungene, dem Führerprinzip unterworfene gleichgeschaltete staatliche Institution (FELSCHOW, LIND UND BUSSE 2008: 12; MORAW 1990: 215). Missliebige Universitätsangehörige sind durch vorangegangene politisch und rassistisch motivierte Säuberungen verdrängt und aus ihren Ämtern entfernt worden (FRITZSCHE 2007: 286). Folglich erfährt die Universität in den ersten Jahren der NS-Diktatur 198

200 André Staarmann einen bedeutenden Substanzverlust 3. Den im Vergleich zu anderen Fakultäten größten Substanzverlust erleidet die Philosophische Fakultät, der auch das Geographische Institut untergeordnet ist. Mit der Herabstufung ihrer Kernfächer Philosophie, Nationalökonomie, Orientalische Philologie sowie Klassische Archäologie, die fortan nur noch durch Lehrbeauftragte vertreten sind, werden die wesentlichen Eckpfeiler dieser geisteswissenschaftlichen Institution de facto zerschlagen (MORAW 1990: 217). Der Rektor agiert als Führer der Universität, welcher von einem hierarchisch untergeordneten Kanzler bzw. Zweitführer flankiert wird. Die dergestalt installierte Universitätsführung operiert als mächtige politischideologische Überwachungsinstanz insbesondere der Dekane, welche vom Rektor gleichfalls zum Führer ihrer Fakultäten ernannt werden. Die Dekane überwachen ihrerseits sämtliche ihren Fakultäten angehörenden Professoren und Privatdozenten, welche diesen gleichfalls hierarchisch untergeordnet sind (MORAW 1990: ). Des Weiteren wird mit dem Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbund eine Organisation der NSDAP- Parteigenossen an der Universität installiert, dessen Führer insbesondere in Berufungsverfahren einflussreich agieren (MORAW 1990: 219). Die Gießener Studierenden sind in der gleichgeschalteten Studentenschaft organisiert und durch Ernennung örtlicher Führer gleichfalls dem Führerprinzip unterworfen. Weiterhin werden die im 19. Jahrhundert etablierten Studentenverbindungen zur Auflösung gezwungen und in Kameradschaften umgewandelt (MORAW 1990: 215). Insgesamt ist festzuhalten, dass die mit der nationalsozialistischen Gleichschaltung der Universität Gießen einhergehenden Veränderungen im universitären Umfeld einem harschen Eingriff in die seit Jahrhunderten bestehenden Rechte der akademischen Körperschaft darstellen (FELSCHOW, LIND UND BUSSE 2008: 12). In diesem Zusammenhang wird insbesondere die Stellung der Ordinarien geschwächt und diejenige der jüngeren linientreuen Dozenten und Studenten gestärkt (MORAW 1990: 213). 3. Geographisches Institut der Ludwigs-Universität Das Geographische Institut der Ludwigs-Universität ist bis zu seiner vollständigen Zerstörung durch alliierte Luftangriffe am 6. Dezember 1944, zusammen mit dem Geodätischen und dem Botanischen Institut, in dem in der Mitte des 19. Jahrhunderts an der Stelle des alten Collegienhauses ( ) im klassizistischen Baustil errichteten Gebäude am Brandplatz 4 eingerichtet (LAUTENSACH 1965: 105; KRÜGER 1965: 140; UHLIG 1982: 34). 3 Von den im Jahr 1933 an der Universität Gießen existierenden 75 planmäßigen Professorenstellen werden bis zum Wintersemester 1933/34 insgesamt 12% gewaltsam freigemacht (MORAW 1990: ). 199

201 André Staarmann In dem mit einem Seminarraum, einem großen Zeichensaal sowie einer ca Bände umfassenden Fachbibliothek ausgestatteten Geographischen Institut (Abb. 2) finden sämtliche Vorlesungen und Übungen für die Studierenden der Geographie statt (SCHUSTER 1940: 79). Der Führer der Studentenschaft hebt im Jahr 1938 mit Blick auf die Ausgestaltung des Studiums der Geographie in Gießen hervor, dass neben den Hauptvorlesungen zur Allgemeinen Geographie sowie zur Länderkunde Deutschlands und der verschiedenen Erdteile insbesondere die kleineren, spezielle Probleme behandelnden Vorlesungen zu den Themenkomplexen Wirtschaft und Raum sowie Politische Geographie unbedingt zu hören sind (STAAB 1938: 113). Das Geographische und das Geodätische Institut stehen von 1921 bis zur Auflösung im Jahr 1946 unter der Leitung des am 29. November 1885 in Freiburg im Breisgau geborenen und am 7. Februar 1952 Mainz verstorbenen Ordinarius für Geographie Prof. Dr. Fritz Klute (BARTSCH 1982: 514). Abbildung 2: Lokalität des Geographischen Instituts (undatierte Aufnahme) Abbildung 3: Ordinarius für Geographie Prof. Dr. Fritz Klute, Quelle: STADTARCHIV GIEßEN Quelle: INSTITUT FÜR GEOGRAPHIE DER JLU GIEßEN Der im Jahr 1915 zum Kriegsdienst einberufene Geograph ist nach einer einjährigen Tätigkeit als Militärgeograph in Berlin von 1916 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges als Unteroffizier für die Arbeit eines Vermessungstrupps in Mazedonien und Albanien verantwortlich (BARTSCH 1982: 514). Im Jahr 1921 wird Klute als Nachfolger des Geheimrats Prof. Dr. Wilhelm Sievers ( ) als Ordinarius für Geographie auf den Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie an die Hessische Ludwigs-Universität berufen (BARTSCH 1982: 514; GIEßENER FREIE PRESSE 1952; PANZER 1957: 343, 345; UHLIG 1965: 99). Folglich wird die Gießener Geographie über den 200

202 André Staarmann gesamten des im Rahmen dieses Beitrages betrachteten Zeitraumes der NS-Diktatur von ihrem Direktor Fritz Klute vertreten. Die von den oben skizzierten hochschulpolitischen Entwicklungen unbeeinflusst insgesamt 25-jährige Amtszeit Klutes illustriert den in der Literatur zur Disziplingeschichte einvernehmlich vorgebrachten Sachverhalt, dass die Machtergreifung der Nationalsozialisten für die deutsche Hochschulgeographie im Gegensatz zu den Entwicklungen in anderen Hochschuldisziplinen keine Zäsur darstellt. Das Verhalten der Mehrheit der Hochschulgeographen ist demnach vielmehr durch Selbstgleichschaltung und damit durch eine größtenteils freiwillige Unterwerfung unter die NS-Diktatur gekennzeichnet (MAURER 1995: 114). Klute wird in Reaktion auf beim Führer der Universität zwecks Wiederbesetzung vakanter Lehrstühle eingehende Anfragen von den Rektoren der Universitäten Tübingen (1937) sowie Halle-Wittenberg (1938) von verschiedenen Schaltstellen der gleichgeschalteten Universität Gießen begutachtet. Der Führer der Studentenschaft hält in seinem Gutachten vom 24. Februar 1938 fest, dass Klute zwar weder vor noch nach dem Umsturz politisch hervorgetreten sei, dass gegen seine politische Zuverlässigkeit jedoch keine Bedenken bestünden (UNIVERSITÄTSARCHIV GIEßEN, PrA Phil Nr. 14, Fritz Klute, Blatt 68). Der Führer des Nationalsozialistischen deutschen Dozentenbundes, der Geologe Karl Hummel, beschreibt Klute in seinem Gutachten vom 22. Februar 1938 als eine sich gelegentlich durch eine etwas zu große Bescheidenheit und Weiche auszeichnende, dennoch mit einem anständigen und ehrlichen Charakter ausgestattete Persönlichkeit, an deren einwandfreier nationaler Gesinnung trotz ihres im Zusammenhang mit den Reichspräsidentenwahlen des Jahres 1925 erfolgten politischen Eintretens für einen Demokraten keine Zweifel zu hegen seien. Im Ergebnis wird Klute analog zu dem vorab zitierten Gutachten als ein in politischer Hinsicht zwar zurückhaltender, dem Nationalsozialismus aber durchaus wohlwollend gegenüberstehender Kollege dargestellt. Zur Untermauerung dieser Einschätzung führt Hummel an, dass der Direktor des Geographischen Instituts bereits im August 1933 dem Nationalsozialistischen Lehrerbund 4 (NSLB) beigetreten sei (UNIVERSITÄTSARCHIV GIEßEN, PrA Phil Nr. 14, Fritz Klute, Blatt 69). Dieser gutachterliche Befund wird durch den Sachverhalt gestützt, dass Klute am der NSDAP beigetreten ist (UNIVERSITÄTSARCHIV MAINZ, PA Fritz Klute, Best. 64, Nr. 34). 4 Der als Dachverband aller erzieherisch wirkenden Deutschen installierte und der NSDAP angegliederte NSLB repräsentiert eine NS- Massenorganisation, die darauf abzielt, möglichst alle deutschen Lehrkörper im totalitären Führerstaat organisatorisch zu binden und durch weltanschauliche Schulungen zum Typus des nationalsozialistischen Volkserziehers umzuprägen (KLEE 2008). 201

203 André Staarmann Der Direktor des Geographischen Instituts bekleidet vom 1. Trisemester 1940 bis zum Wintersemester 1942/43 das Amt des Prorektors der Ludwigs-Universität (GUNDEL 1979: 24). Damit wird der letzte Prorektor unter dem Rektorat des glühenden Nationalsozialisten sowie Rassehygienikers Heinrich Wilhelm Kranz ( ) durch einen Gießener Geographen gestellt (FELDSCHOW, LIND UND BUSSE 2008: 28). Klute wird in der Endphase seines Prorektorats am 30. Januar 1942 auf Antrag eben dieses Rektors vom Reichstatthalter sowie NS- Gauleiter Jakob Sprenger für besondere Verdienste bei der Durchführung von sonstigen Kriegsaufgaben, bei denen ein Einsatz unter feindlicher Waffenwirkung nicht vorlag (MILITARIA-LEXIKON 2002) im Namen des Führers mit dem Kriegsverdienstkreuz zweiter Klasse ausgezeichnet (UNIVERSITÄTSARCHIV GIEßEN, PrA Phil Nr. 14, Fritz Klute, Blatt 64). Folglich muss Fritz Klute als eine durch Selbstgleichschaltung bzw. freiwillige Unterwerfung unter die NS-Diktatur gekennzeichnete Person typisiert und damit als der nationalsozialistischen Ideologie nicht distanziert gegenüber stehend betrachtet werden. Zur Untermauerung dieser Einschätzung werden die folgenden Thesen angeführt: Klutes bereits im Jahr der Errichtung der NS-Diktatur erfolgender Beitritt zum NSLB, der im Vergleich zu 97% im Jahr 1936, im Jahr 1933 lediglich 25% des deutschen Lehrkörpers organisatorisch bindet, mag als strategischer Schachzug zur Vermeidung weiterer potentiell unerwünschter Verbindungen zum Nationalsozialismus gewertet werden (KLEE 2008; LEHBERGER 1991). Im Zusammenhang mit dem vier Jahre später erfolgenden Beitritt zur NSDAP, die im Jahr 1939 ca. 5,3 Millionen Mitglieder zählt, ist dem Direktor des Geographischen Instituts allerdings durchaus eine politisch-ideologische Nähe zum Nationalsozialismus zu unterstellen (DEUTSCHES HISTORISCHES MUSEUM 2014c). Des Weiteren unterstreicht die von Klute ohne Widerspruch akzeptierte Übernahme der Amtsgeschäfte des Prorektorats unter einem durch politisch-ideologischen Fanatismus und Rassenwahn gekennzeichneten Rektor die obige Einschätzung insofern, als dass der Direktor des Geographischen Instituts die Amtsübernahme formal auch hätte ablehnen können. Trotz fehlender Hinweise auf den Grund für die Auszeichnung Klutes mit dem Kriegsverdienstkreuz zweiter Klasse, wird die Tatsache der erfolgten Ehrung durch einen hohen Repräsentanten des NS-Regimes gleichfalls zur Untermauerung der obigen Einschätzung angeführt. 4. Deutsche Hochschulgeographie unter dem Hakenkreuz Der die linientreue Außendarstellung der deutschen Hochschulgeographie zur Zeit der NS- Diktatur wirkungsmächtig prägende Leiter des Geographischen Seminars an der Universität 202

204 André Staarmann Hamburg sowie NSLB-Reichsobmann für Geographie Siegfried Passarge konstatiert im Jahr 1935, dass das Geographische Seminar an der Universität Hamburg schon in den zwanziger Jahren einen Hort antijüdischer und antimarxistischer Weltanschauungen dargestellt habe und daher innerlich längst auf die neue Zeit eingestellt gewesen sei (FISCHER UND SANDNER 1991: 1197, 1208). Diese zeitgenössische Einschätzung illustriert die oben bereits angeführte These von der Abwesenheit einschneidender Veränderungen in der deutschen Hochschulgeographie nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Dieser Sachverhalt ist insbesondere dem Umstand geschuldet, dass zentrale Elemente der nationalsozialistischen Ideologie wie etwa Lebensraum und Geopolitik bis zu drei Dekaden vor der Errichtung der NS-Diktatur in der deutschen Hochschulgeographie theoretisch vorgedacht werden. Folglich verweisen deutsche Geographen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten nicht ohne Genugtuung darauf, dass innerhalb ihrer Disziplin längst erarbeitete Thesen nun zur Staatsdoktrin erhoben worden seien (BROGATIO 1995: 485). 5. Politisierung der deutschen Hochschulgeographie Die von dem Zoologen und Geographen Friedrich Ratzel ( ) auf der Grundlage des klassisch-geographischen Paradigmas von der Wirkung der Naturbedingungen auf die Handlungen oder auf die Betätigung des Menschen (SCHULTZ 1998: 135) zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende konzipierte Politische Geographie von der Historischen Bewegung und Gegenbewegung der Völker und Staaten und der damit notwendigerweise verbundenen Verdrängung, denn in jedem lebenerfüllten Raume ist Bewegung auch Verdrängung (RATZEL 1903: 85) legt den Grundstein für die von der Wilhelminischen Zeit bis zum Ende der NS-Diktatur erfolgenden Politisierung der deutschen Hochschulgeographie (RATZEL 1903: 85; SCHULTZ 1998: 139; WOLKERSDORFER 2001: 99). Die ratzel sche politisch-geographische Konzeption ist im Anschluss an Hans-Dietrich Schultz als imperiale Version des Paradigmas der klassischen Geographie zu betrachten, da von den als sich gegenseitig bedingenden drei Raumeinheiten der klassischen Geographie (Volk, Staat, und Boden) die Raumeinheiten Volk und Staat als dynamische Komponenten imaginiert werden (RATZEL 1903: 3; SCHULTZ 1998: 139). Demnach wird der Staat als ein sich aus den Eigenschaften des Volkes und Bodens zusammensetzender bodenständiger Organismus (RATZEL 1903: 3) verstanden. Dieser Staat der Menschen (RATZEL 1903: 5) stellt eine Form der Verbreitung des Lebens auf der Erdoberfläche dar, welcher aufgrund seiner stetigen natürlichen Bevölkerungsvermehrung einem Zwang zur beständigen territorialen Expansion unterworfen ist (RATZEL 1903: 5; SCHULTZ 1998: 136). Folglich werden die Raumeinheiten Staat und Volk im Gegensatz zum 203

205 André Staarmann Paradigma der klassischen Geographie in dynamisch-biologistischer Weise als beständig wachsende und damit quasi lebendige Organismen konzipiert. Die Zahl der Menschen wächst, der Boden, auf dem sie wohnen und wirken müssen bleibt derselbe (RATZEL 1903: 25). Dieses ratzel sche Zitat skizziert die in dieser politisch-geographischen Denkfigur angelegte Fixierung der Raumeinheit Boden, die in ihrer Verknüpfung mit der Raumeinheit Staat als Machtquelle (RATZEL 1903: 27) und in ihrer Verknüpfung mit der Raumeinheit Volk als Lebensraum (RATZEL 1903: 3) verstanden wird. Abbildung 4: Imperiale Version des Paradigmas der Geographie Quelle: SCHULTZ, H.-D. (1998) Die in Abb. 4 visualisierte imperiale Version des Paradigmas der Geographie erfährt seine dramatisierende und disziplinhistorisch folgenschwere Übersteigerung mit der dieser politischgeographischen Denkfigur unterliegenden Vorstellung vom Gesetz der wachsenden Räume (SCHULTZ 1998: 136). Diese aus der Verknüpfung der Vorstellungen von der Begrenztheit des Erdraumes auf der einen Seite und dem vermeintlich ewigen Raumbedürfnis des menschlichen Lebens auf der anderen Seite abgeleitete Gesetzmäßigkeit postuliert in kampfterminologischer Manier einen stetigen Kampf um Raum (WOLKERSDORFER 2001: 98). Im Ergebnis wird einem folglich im andauernden Verdrängungs- und Vernichtungswettbewerb befindlichen Volk mit Rekurs auf sozialdarwinistische Dogmen in einer geodarwinistischen Setzung nur dann Gesundheit und Stärke zugesprochen, wenn sein Lebensraum zu beständiger territorialer Expansion fähig ist (SCHULTZ 1998: 136; WOLKERSDORFER 2001: 98, 113). Das ratzel sche 204

206 André Staarmann Paradigma der Geographie inkorporiert schlussendlich die zur Zeit seiner Entstehung machtvoll aufsteigende Diskussion um Rasseneinheit und Rassenreinheit, indem aus dem postulierten Kampf um Raum die Notwendigkeit schwerer Rassenkämpfe abgeleitet wird (SCHULTZ 1998: 138). Der mit seiner Politisierung einhergehende Missbrauch des skizzierten Paradigmas der Geographie erfolgt bereits in der Wilhelminischen Zeit ( ) mit daraus abgeleiteten politischen Agitationen, die zur Legitimierung der Kolonial- und Flottenpolitik des Deutschen Kaiserreiches sowie seiner im Laufe des Ersten Weltkrieges formulierten Expansionsinteressen herangezogen werden (REUBER 2012: 83; WOLKERSDORFER 2001: 98). In der sich anschließenden Weimarer Zeit ( ) bereitet dieses Paradigma der Geographie den geistigen Nährboden für das Aufkommen des deutschen Revisionismus, welcher die dem Deutschen Reich durch den von der deutschen Bevölkerung mehrheitlich als Synonym für Ungerechtigkeit und nationale Schande (MEHMEL 1995: 498) empfundenen Versailler Vertrag 5 entstandenen Territorialverluste zu negieren sucht (REUBER 2012: 83). Des Weiteren stellt eben dieses Paradigma den theoretischen Bezugsrahmen zur Ableitung der geopolitischen Lebensraumentwürfe der sich ebenfalls in der Weimarer Republik etablierenden nationalsozialistischen Ideologie, die in der folgenden Zeit der NS-Diktatur ( ) zur Staatsdoktrin erhoben werden. Im Ergebnis legitimiert die Denkfigur der imperialen Version des Paradigmas der Geographie die verbrecherische Expansionspolitik sowie den menschenverachtenden Rassenwahn der Nationalsozialisten (WOLKERSDORDER 2001: 61, 113). Die Politisierung der deutschen Hochschulgeographie in der Zeit der NS-Diktatur findet mit der Institutionalisierung der Geopolitik als Teilbereich der Politischen Geographie und der damit einhergehenden Einrichtung des von dem Geographen Prof. Karl Haushofer ( ) geleiteten Institut für Geopolitik an der Universität München seinen physisch-materialisierten Niederschlag (WOLKERSDORFER 2001: 106). Die von Haushofer herausgegebene und zeitweise auch vom Gießener Geographen Wolfgang Panzer mitherausgegebene, auflagenstarke Zeitschrift für Geopolitik politisiert und militarisiert die deutsche Öffentlichkeit mit ihrem Arsenal an Schlagworten, Suggestivkarten, unklaren Begriffen und Metaphern (SCHÖLLER 1957: 3). Diese eine beherrschende Stellung in der Schulungsarbeit der Partei, in Jugend- und Wehrerziehung und in der propagandistischen Massenbeeinflussung (SCHÖLLER 5 Der im Zuge der Pariser Friedensverhandlungen (1918) ausgehandelte Versailler Vertrag resultiert in einer Dezimierung des Staatsgebietes des Deutschen Reiches um etwa 1/8 seiner Gesamtfläche des Jahres 1914 (MEHMEL 1995: 498). 205

207 André Staarmann 1957: 3) einnehmende Zeitschrift muss daher als politisch-ideologische Dienstleistung der deutschen Hochschulgeographie an das verbrecherische NS-Regime bewertet werden (WOLKERSDORFER 2001: 101). 6. Die Gießener Geographie und die These vom Volk ohne Raum Der Versailler Vertrag wird von den überwiegend in einer antidemokratischen Grundhaltung verharrenden deutschen Hochschullehrern sämtlicher Disziplinen in seiner Gesamtheit abgelehnt. Insbesondere die deutschen Hochschulgeographen fühlen sich gemäß ihrer fachspezifischen Tradition dazu berufen, die damit einhergehenden territorialen Veränderungen des deutschen Staatsraumes wissenschaftlich zu analysieren und zu kritisieren (MEHMEL 1995: 498). Der als Assistent und Privatdozent von 1928 bis 1934 dem Geographischen Institut der Universität Gießen angehörende Hermann Lautensach ( ) dokumentiert mit seiner im Jahr 1929 publizierten propagandistischen Karte zu den Gebiets- und Wirtschaftsverlusten des Deutschen Reiches nach dem Diktat von Versailles (Abb. 5) die mindestens seit der späten Weimarer Zeit zu unterstellende politisch-revisionistische Außendarstellung der Gießener Geographie. Abbildung 5: Gebiets und Wirtschaftsverluste des Deutschen Reiches nach dem Diktat von Versailles Quelle: LAUTENSACH (1929) zitiert nach MEHMEL, A. (1995) 206

208 André Staarmann Mit Verweis auf die von Institutsdirektor Klute in seiner publizierten und anlässlich der Jahresfeier der Ludwigs-Universität (1941) gehaltenen akademischen Rede vorgebrachten Ausführungen zum Versailler Diktat (KLUTE 1941a: 10) muss weiterhin davon ausgegangen werden, dass die politisch-revisionistische Außendarstellung der Gießener Geographie eine Konstante darstellt, die von der Weimarer Zeit über die Machtergreifung der Nationalsozialisten bis zum Zweiten Weltkrieg ausgreift. Des Weiteren ist zu unterstellen, dass das Geographische Institut der Ludwigs-Universität in seinen öffentlichen Positionierungen den bis 1942 durch massive Vorstöße der deutschen Wehrmacht gekennzeichneten aggressiven Angriffsund Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten propagiert hat. Zur Untermauerung dieser Einschätzung wird auf die oben bereits zitierte Rede des Institutsdirektors verwiesen. Hier erfolgt im Anschluss an eine Huldigung an den Führer eine Befürwortung der Ergebnisse des Krieges, welcher in seinem bisherigen Verlauf "alle Schwächen, die unser Raum an sich ausweist, nicht nur erkannt..., sondern bestens ausgeglichen (KLUTE 1941a: 11) habe. In der Folge dieser kriegspropagandistischen Agitation wird ein geopolitischer Entwurf skizziert, dessen Inhalte nicht der Wissenschaft, sondern dem Reich der Fantasie zuzuordnen sind. Die hier vorgetragenen und einer akademischen Rede völlig unzuträglichen geopolitischen Fantasmen von einem neuen Europa, in dem dem deutschen Volk ein weiter Raum zur Verfügung stehen werde,... in welchem es, seinen Leistungen entsprechend, führend wirken könne (KLUTE 1941a: 11) enttarnen Klute als einen von Großmachtfantasien durchdrungenen Akademiker, der von einem zukünftigen Großdeutschen Reich als Kontinentalmacht im Herzen Europas (KLUTE 1941b) träumt und folglich mindestens als Kriegsbefürworter eingeschätzt werden muss. Mit Blick auf das ratzel sche Paradigma der Geographie kann festgehalten werden, dass innerhalb der Gießener Geographie zentrale Inhalte dieser politisch-geographischen Denkfigur politisiert werden und der Institutsdirektor Klute als Apologet der daraus abgeleiteten geopolitischen Lebensraumentwürfe der Nationalsozialisten einzustufen ist. Zur Untermauerung dieser Einschätzung wird auf eine weitere von Fritz Klute im Rahmen der Reihe Kriegsvorträge der Ludwigs-Universität im Jahr 1940 gehaltene und publizierte akademische Rede verwiesen. Hier konzipiert der Direktor des Geographischen Instituts im Zusammenhang mit einer Betrachtung der Bevölkerung der Landräume der Erde die Raumeinheit Volk in Analogie zum ratzel schen Paradigma der Geographie als Menschen gleicher Sprache, die durch ihre Verknüpfung mit der Raumeinheit Staat einen in eigener geschichtlicher Entwicklung gewachsenen, organischen Körper bildet und auf der Grundlage ihrer Verknüpfung mit 207

209 André Staarmann der Raumeinheit Boden einen bestimmten Raum bzw. Lebensraum einnimmt (KLUTE 1941a: 3). Mit der im Anschluss daran vorgebrachten These, dass die Lage für eine gesunde Volksvermehrung... in den westeuropäischen Industriestaaten vor allem wegen der Raumfrage kritisch sei (KLUTE 1941a: 9) politisiert Klute das vermeintliche Gesetz der wachsenden Räume. Der Institutsdirektor untermauert diese These mit einem auf der Grundlage des Verhältnisses von Raum zur Gesamtbevölkerung angestellten Vergleich des Deutschen Reichs mit Frankreich und Großbritannien. Im Ergebnis konstatiert der Ordinarius für Geographie in Analogie zur politischen Ideologie der Nationalsozialisten, dass das Deutsche Reich aufgrund der Folgen des Versailler Diktats im westeuropäischen Vergleich am schwächsten mit Lebensraum (KLUTE 1941a: 10) ausgestattet sei und folglich als Volk ohne Raum 6 (KLUTE 1941a: 9) verstanden werden müsse. Diese vermeintlich akademisch fundierte und von Peter Schöller an anderer Stelle als falscher Ansatz (SCHÖLLER 1957: 5) typisierte These legitimiert abermals den dem Deutschen Reich aus Gründen eben dieser Raumnot (KLUTE 1941a: 7) vermeintlich aufgezwungenen Krieg (KLUTE 1941a: 11), welcher nach seinem unterstellten siegreichen Ende sowohl den Lebenswillen als auch die außenbedingten Grundlagen, sprich den Lebensraum des deutschen Volkes sichern werde (KLUTE 1941a: 11). Da nach Klute weiterhin für die verschiedenen Rassen die Rassenbegabung als grundsätzlich verschieden einzustufen sei und die organisatorische Begabung und die andauernde Konsequenz zwischen Denken und Handeln, wie sie der nordischen Rasse eigen sei, nach Osten abnehme, wird der Bevölkerung des Ostraumes (KLUTE 1941b: 4) in rassistischer Setzung eine anspruchslosere Lebenshaltung sowie eine vergleichsweise niedere Höhe der Wirtschaftskultur zugeschrieben (KLUTE 1941b: 6). Folglich kann auf der Grundlage der angeführten politischideologischen, kriegspropagandistischen sowie rassistischen Agitationen Klutes mit Blick auf die Außendarstellung der Gießener Geographie gefolgert werden, dass die in Abb. 6 (siehe folgende Seite) kartographisch umgesetzte expansionistische Lebensraum-Politik der Nationalsozialisten (Stand 1943) innerhalb der Gießener Geographie zumindest legitimiert wird. Die skizzierte vermeintlich akademische Legitimierung der verbrecherischen territorialen Ostexpansion einer als kulturell hochentwickelt bezeichneten nordischen Rasse wird weiterhin von antisemitischen Aussagen zu den 8 Millionen in den Oststaaten (KLUTE 1941: 6) leben- 6 Die von den Nationalsozialisten als propagandistisches Schlagwort für die vermeintlich gerechten Kampf des deutschen Volkes um Raum und Boden genutzte Bezeichnung Volk ohne Raum geht auf den von Hans Grimm im Jahr 1926 erschienen Roman mit dem gleichnamigen Titel zurück (DEUTSCHES HISTORISCHES MUSEUM 2014). 208

210 André Staarmann den Juden flankiert, die hier einen ungünstigen, aber entscheidenden Einfluss auf das Wirtschaftsleben (KLUTE 1941: 6) ausüben und daher die vermeintliche Rückständigkeit des Ostraumes (KLUTE 1940a: 6) entscheidend beeinflussen. Folglich ist die durch Prof. Dr. Fritz Klute dominierte Außendarstellung der Gießener Geographie gleichfalls durch antisemitische Grundtöne gekennzeichnet. Abbildung 6: Großdeutschland als Lebensraum (Stand 1943) Quelle: REICHSTELLE FÜR DAS SCHUL- UND UNTERRICHTSSCHRIFTTUM (1943) 7. Auflösung der Gießener Geographie Aus der totalen Niederlage im totalen Krieg (MORAW 1990: 225) am 8. Mai 1945 ergibt sich für die Universität Gießen eine etwa ein Jahr andauernde unklare und in der Literatur zur Universitätsgeschichte als gespenstisch bezeichnete Situation 7 (MORAW 1990: 225). Die Universität ist weder geöffnet noch vollständig ausgelöscht. Studieren kann niemand, aber es gibt noch Professoren, Kliniken und Institute. Ringsum ist das öffentliche Leben in Trümmer gesunken, und Hunger und Not regieren (MORAW 1990: 225). Der Direktor des Geographischen Instituts erhält unmittelbar nach Kriegsende aufgrund seiner durch Bombenangriffe 7 Ein detaillierter Überblick zu dieser Thematik bei FELSCHOW, LIND UND BUSSE (2008). 209

211 André Staarmann zerstörten Wohnung in der Moltkestraße die Erlaubnis, zum Zwecke des Wiederaufbaus des Geographischen Instituts in der Stadt Gießen Wohnung zu nehmen (UNIVERSITÄTSARCHIV GIEßEN, PrA Phil Nr. 14, Fritz Klute, Blatt 31). Folglich ist der offenbar vom Fortbestand des Geographischen Instituts überzeugte und damit gleichfalls vom Wiederaufbau der physisch stark zerstörten Universität Gießen ausgehende Fritz Klute bereits ab Mitte Mai 1945 damit beschäftigt, das Institut in der im südlichen Kreis Gießen gelegenen Notunterkunft im Forsthaus in Bellersheim wieder betriebsfähig zu machen (BARTSCH 1982: 515; UNIVERSITÄTSARCHIV GIEßEN, PrA Phil Nr. 14, Fritz Klute, Blätter 24, 30, 31 und 33). In den letzten Wochen vor der Auflösung der Gießener Universität im Mai 1946 wird das Geographische Institut in das Gasthaus Bergschenke (Abb. 7) am Leihgesterner Weg nach Gießen verlegt, in dem Klute und seine Ehefrau ebenfalls Wohnung nehmen (UNIVERSITÄTSARCHIV GIEßEN, PrA Phil Nr. 14, Fritz Klute, Blätter 21). Abbildung 7: Gasthaus Bergschenke in der Mitte der 1930er Jahre Quelle: STADTARCHIV GIEßEN Folglich erlebt der Gießener Ordinarius für Geographie in dieser seit Kriegsende zweiten, dem Geographischen Institut zugewiesenen Notunterkunft mit der im April 1946 erfolgenden Schließung der Universität Gießen die Auflösung und damit das Ende der ersten Phase der Hochschulgeographie in Gießen (FELSCHOW, LIND u. BUSSE 2008: 62; MORAW 1990: ). In dem folgenden zweiten Halbjahr desselben Jahres vertritt Klute den vakanten Lehrstuhl für Geographie an der Universität in Frankfurt (a.m.). Mit der in der Mitte des Jahres 210

212 André Staarmann 1946 erfolgenden Berufung Klutes auf das geographische Ordinariat an der neu gegründeten Universität Mainz scheidet der Geograph am 15. Oktober 1946 als ordentlicher Professor aus dem Großhessischen Staatsdienst aus. Damit endet die bis dato 82-jährige Geschichte der Gießener Geographie bis zu ihrem Wiederaufbau in der ersten Hälfte der 1960er Jahre 8 (UNIVERSITÄTSARCHIV GIEßEN, PrA Phil Nr. 14, Fritz Klute, Blätter 11 und 14). 8. Schlussbetrachtung Die mit einem Rückfall in vormoderne Zustände (MORAW 1990: 219) gleichzusetzende nationalsozialistische Gleichschaltung der Universität Gießen erfolgt in einem gesellschaftlichen Umfeld, das mehrheitlich antidemokratisch, antisemitisch, nationalistisch und militärisch eingestellt ist (FRITZSCHE 2007: 285). Folglich reflektiert die Person Prof. Dr. Fritz Klute beispielhaft den gesellschaftlichen Mainstream in der Zeit der NS-Diktatur. Dem Direktor des Geographischen Instituts sind im Gegensatz zu anderen deutschen Hochschulgeographen (z. B. Siegfried Passarge) sowie Gießener Professoren (z. B. Karl Hummel) keinerlei parteipropagandistische Aktivitäten zu unterstellen. Weiterhin belegt der Sachverhalt, dass Klute im Jahr 1940 wegen der Mitarbeit nichtarischer Akademiker an seinem mehrbändigen Hauptwerk Handbuch der Geographischen Wissenschaft vom NSLB angezeigt wird, dass für den Gießener Ordinarius für Geographie zumindest in seinem persönlichen Arbeitsumfeld rassistische und/oder antisemitische Einstellungen keine Relevanz besitzen (UNIVERSITÄTSARCHIV MAINZ, PA Fritz Klute, Best. 64, Nr. 34). Da KLUTE im Dezember 1946 von der Spruchkammer Gießen-Stadt als Mitläufer eingestuft und in diesem Zusammenhang mit einem Sühnebescheid über Reichsmark belegt wird, ist davon auszugehen, dass der Direktor des Geographischen Instituts trotz seiner offenkundigen fehlenden Distanz zur NS- Diktatur nicht als glühender bzw. überzeugter Nationalsozialist einzustufen ist (UNIVERSITÄTSARCHIV GIEßEN, PrA Nr. 2159). Diese Einschätzung wird durch die Aussage einer Zeitzeugin gestützt, die einräumt, dass Klute zwar Parteimitglied, aber kein Nationalsozialist gewesen sei (FUHR 2013). Mit Blick auf die skizzierte politisch-revisionistische, politisch-ideologische, kriegspropagandistische sowie von rassistischen und antisemitischen Grundtönen durchsetzte Außendarstellung der Gießener Geographie ist festzuhalten, dass hier in Analogie zu zeitgenössischen Forschungsschwerpunkten der deutschen Hochschulgeographie eine Politisierung und damit ein Missbrauch der ratzel schen politisch-geographischen Konzeption von der 8 Ein detaillierter Überblick zum Wiederaufbau der Gießener Geographie im Beitrag von ERNST GIESE in diesem Heft. 211

213 André Staarmann Historischen Bewegung und Gegenbewegung der Völker und Staaten erfolgt. Diese Einschätzung ist mit der in den zitierten akademischen Reden Klutes erfolgenden Propagierung sowie Verherrlichung der geopolitischen Lebensraumentwürfe der Nationalsozialisten, die einem pseudowissenschaftlichen Geodeterminismus das Wort reden, zu belegen (SCHÖLLER 1957: 6). Mit Rekurs auf die von dem Hessischen Kultusminister Erwin Stein ( ) vor dem Hessischen Landtag im März 1947 zur Frage der Hochschulreform gehaltene Rede, tragen auch Repräsentanten der Gießener Geographen ein gerüttelt Maß an Verantwortung für die skizzierte tragische Entwicklung der Universität im Nationalsozialismus. Weiterhin ist eben diesen, ungeachtet ihrer hohen wissenschaftlichen Befähigung und Leistung, ein erzieherisches sowie menschliches Versagen vorzuwerfen. Abschließend wird konstatiert, dass auch Gießener Geographen dafür verantwortlich sind, dass von den deutschen Hochschulen kein entscheidender oder auch nur ernsthaft hemmender Widerstand gegenüber dem geist- und fantasielosen Naziregime ausgegangen ist (STEIN zitiert nach FELSCHOW, LIND UND BUSSE 2008: 79-80). 212

214 André Staarmann Referenzen BARTSCH, G. (1982): Klute, Fritz, Geograph. In: GUNDEL, H. G.; MORAW, P. und V. PRESS (Hrsg.): Gießener Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Zweiter Teil. Marburg, S BÖHM, H. (2003): Annäherungen. Carl Troll ( ). Wissenschaftler in der NS-Zeit. In: Colloquium Geographica, Band 26, S BROGATIO, H. P. (1995): Die Schulgeographie im Spiegel der deutschen Geographentage. In: Geographische Rundschau, Band 47, Heft 9, S DEUTSCHES HISTORISCHES MUSEUM (2014a): Die NS-Gaue. Online verfügbar unter: politik/gaue/, zuletzt abgerufen DEUTSCHES HISTORISCHES MUSEUM (2014b): Lebensraum im Osten. Online verfügbar unter: wegbereiter/lebensraum/, zuletzt abgerufen am DEUTSCHES HISTORISCHES MUSEUM (2014c): Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP). Online verfügbar unter: zuletzt abgerufen am FELSCHOW, E.-M.; LIND, C. UND N. BUSSE (2008): Krieg, Krise, Konsolidierung. Die zweite Gründung der Universität Gießen nach Gießen. FISCHER, H.; G. SANDNER (1991): Die Geschichte des Geographischen Seminars der Hamburger Universität im Dritten Reich. In: KRAUSE, E.; HUBER, L. und H. FISCHER (Hrsg.): Hochschulalltag im Dritten Reich. Die Hamburger Universität Berlin, Hamburg, S FRITZSCHE, K. (2007): Die Giessener Universität in der NS-Zeit. In: CARL, H.; FELDSCHOW, E.-M.; REULECKE, J.; ROELKE, V. und C. SARGK (Hrsg): Panaroma. 400 Jahre Universität Giessen. Schauplätze, Erinnerungskultur, herausgegeben im Auftrag des Präsidenten der Justus-Liebig-Universität. Gießen, S FUHR, B: (2013): Persönliches Gespräch mit Prof. Dr. Andreas Dittmann im Rahmen einer Veranstaltung des Rotary Clubs Giessen am GIEßENER FREIE PRESSE (1952): Zum Tode von Prof. Dr. Fritz Klute. Ausgabe vom GUNDEL, H. G. (1979): Rektorenliste der Universität Gießen 1605/ In: Berichte und Arbeiten aus der Universitätsbibliothek Giessen, Heft 32, S. 24. HEINRICH, H.-A. (1991): Politische Affinität zwischen geographischer Forschung und dem Faschismus im Spiegel der Fachzeitschriften. In: Giessener Geographische Schriften Nr. 70. Gießen. HESSISCHE BIOGRAPHIE (2013): Sprenger, Jakob. Online verfügbar unter: zuletzt abgerufen am KLEE, R. (2008): Nazi-Erzieher mit Eispickel. In: Spiegel Online/Eines Tages vom Online verfügbar unter: zuletzt abgerufen am KLUTE, F. (1940a): Volk und Raum. In: Schriften der Ludwigs-Universität zu Gießen, Heft 1. KLUTE, F. (1940b): Untersuchungen über die Möglichkeit einer Wirtschaftsharmonie des Großdeutschen Reiches und des Ostraumes. In: Schriften der Ludwigs-Universität zu Gießen, Kriegsvorträge, Heft 2. KOST, K. (1989): Die Einflüsse der Geopolitik auf Forschung und Theorie der Politischen Geographie von ihren Anfängen bis Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Politischen Geographie und ihrer Terminologie unter besonderer Berücksichtigung von Militär- und Kolonialgeographie. In: Bonner Geographische Abhandlungen, Band 76. KRÜGER, H. (1965): Das Neue Schloß in Gießen. In: UHLIG, H.; MANSHARD, W.; BARTSCH, G. und K.H. HOTTES (Hrsg.): Giessner Geographische Schriften, Heft 6, S LAUTENSACH, H. (1965): Grußworte der ehemaligen Gießener Geographen. In: UHLIG, H.; MANSHARD, W.; BARTSCH, G. und K.H. HOTTES (Hrsg.): Giessener Geographische Schriften, Heft 6, S LEHBERGER, R. (1991): Die Mühen des aufrechten Ganges. In: DIE ZEIT Nr. 7 vom Online verfügbar unter: zuletzt abgerufen am MAURER, G. (1995): Siedlungsgeographie und Nationalsozialismus. Kontinuitäten oder Diskontinuitäten in der deutschsprachigen Siedlungsforschung nach In: Münstersche Geographische Arbeiten, Heft 39, S MEHMEL, A. (1994): Wie ich zum Geographen wurde Aspekte zum Leben Alfred Philippsons. In: Geographische Zeitschrift, Band 82, Heft 2, S MEHMEL, A. (1995): Deutsche Revisionspolitik in der Geographie nach dem Ersten Weltkrieg. In: Geographische Rundschau, Band 47, Heft 9, S MORAW, P. (1990): Kleine Geschichte der Universität Gießen. Gießen. MILITARIA-LEXIKON (2002): Das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse mit und ohne Schwerter. Online verfügbar unter: zuletzt abgerufen am PANZER, W. (1957): Gießener Geographen. Festschriftbeitrag zur 350-Jahrfeier der Ludwigs-Universität: , Justus- Liebig-Hochschule. Online verfügbar unter: zuletzt abgerufen am

215 André Staarmann PANZER, W. (1965): Fritz Klute der Lehrer, Forscher und Künstler. In: Giessener Geographische Schriften, Heft 6, S RATZEL, F. (1903): Politische Geographie oder die Geographie der Staaten, des Verkehres und des Krieges. München, Berlin. REUBER, P. (2012): Politische Geographie. Paderborn. REICHSSTELLE FÜR DAS SCHUL- UND UNTERRICHTSSCHRIFTTUM (1943): Deutscher Schulatlas. Berlin. SCHÖLLER, P. (1957): Wege und Irrwege der Politischen Geographie und Geopolitik. In: Erdkunde, Band 6, Heft 1, S SCHUBERT, K.; M. KLEIN (2011): Das Politiklexikon. Lizenzausgabe der Bundeszentrale für Politische Bildung. Bonn. SCHULTZ, H.-D. (1998): Herder und Ratzel: Zwei Extreme, ein Paradigma. In: Erdkunde, Band 52, Heft 2, S SCHUSTER, H. F. (1940): Das Studium der Geographie. In: SCHUSTER, H. F. (Hrsg.): Gießener Universitätsführer Ausgabe. Darmstadt, S STAAB, W. (1938): Das Studium der Geographie. In: SCHUSTER, H. F. (Hrsg.): Gießener Universitätsführer Ausgabe. Darmstadt, S UHLIG, H. (1965): Das Neue Schloß als Geographisches Institut. Frühe geographische Vorlesungen. Die Gießener Geographen Robert von Schlaginweit und Wilhelm Sievers. In: UHLIG, H.; MANSHARD, W.; BARTSCH, G. und K.H. HOTTES (Hrsg.): Giessener Geographische Schriften, Heft 6, S UHLIG, H. (1982): Schloß-Viertel und Zeughaus-Bereich der Universität. In: SCHULZE, W. und H. UHLIG (Hrsg.): Giessener Geographischer Exkursionsführer. Band II. Gießen, S UHLIG, H.; MANSHARD, W.; BARTSCH, G.; K.H. HOTTES (Hrsg.): Festkolloquium: 150 Jahre Geographie. In: Giessener Geographische Schriften, Heft 6. UNIVERSITÄTSARCHIV GIEßEN, PrA Phil Nr. 14, Fritz Klute. UNIVERSITÄTSARCHIV GIEßEN, PrA Nr UNIVERSITÄTSARCHIV MAINZ, PA Fritz Klute, Best. 64, Nr. 34. WARDENGA, U. (1995): Geschichtsschreibung in der Geographie. In: Geographische Rundschau, Band 57, Heft 9, S WARDENGA, U. (2001): Zur Konstruktion von Raum und Politik in der Geographie des 20. Jahrhunderts. In: Heidelberger Geographische Arbeiten, Heft 112, S WOLKERSDORFER, G. (2001): Politische Geographie und Geopolitik zwischen Moderne und Postmoderne. Heidelberger Geographische Arbeiten, Heft

216 Andreas Dittmann Die Gießener Geographische Gesellschaft Andreas Dittmann 1. Einleitung Die Gießener Geographische Gesellschaft (GGG) ist die jüngste geographische Gesellschaft Deutschlands. Dies gilt in doppelter Hinsicht: Zum einen ist sie als im Dezember 2007 gegründete Gesellschaft erst wenige Jahre alt, zum anderen ist sie besonders jung über das geschätzte Durchschnittsalter ihrer Mitglieder, das aufgrund des Überwiegens von Studenten bei 21 bis 23 Jahren liegen dürfte. Im deutschsprachigen Raum erreicht nur die Geographische Gesellschaft in Innsbruck einen vergleichbaren Wert. Dieser doppelt ausgeprägte Jugendlichkeitscharakter der Gießener Geographischen Gesellschaft bedingt jedoch noch einen weiteren Superlativ: wahrscheinlich ist die GGG auch eine der ärmsten geographischen Gesellschaften in Deutschland. Es standen ja bisher nur wenige Jahre zur Vermögensakkumulierung zur Verfügung und - das ist der eigentliche Hauptgrund - die studentischen Mitglieder sind bereits mit einem Jahresbeitrag von nur wenigen Euro dabei, dessen Wert durch Bank- und Einzugsgebühren teilweise sogar in einer Negativbilanz resultieren kann. Bislang ist es aber dennoch immer gelungen, den GGG-Mitgliedern über 15 Semester hinweg ein attraktives Angebot an Vorträgen und Exkursionen bieten zu können, auf das im Folgenden noch näher einzugehen sein wird (siehe dazu auch Tab. 5). 2. Aufgaben und Zielsetzung der Gießener Geographischen Gesellschaft Die Ziele und Aufgaben der Gießener Geographischen Gesellschaft sind satzungsgemäß definiert als die Verbreitung geographischen Wissens in der universitären und außeruniversitären Öffentlichkeit. Dementsprechend konzipiert sind ihre Veranstaltungen - in erster Linie Abendvorträge und Exkursionen. Dabei sind die Vorträge so ausgerichtet, dass sie neben Studierenden und Fachkollegen der Geographie insbesondere auch eine breitere Öffentlichkeit ansprechen. Geographische Gesellschaften nutzen so ein Medium der Außenwahrnehmung des Faches, um das die Geographie an vielen Standorten von anderen Fächern, die vergleichbare Foren nicht kennen, beneidet wird. Es gehört zu den aktuellen Herausforderungen der Geographie, insbesondere auch innerhalb des Faches klarzumachen, dass das Engagement in geographischen Gesellschaften zu den essentiell wichtigen Zukunftssicherungsaufgaben unseres Faches gehört und eine unmittelbar angewandte Nachwuchsförderungspolitik darstellt. Dies gelingt insbesondere dann, wenn wie bei der GGG enger Kontakt zu den Schulen im 215

217 Andreas Dittmann Einzugsbereich des Standortes besteht, mit denen nicht nur aktuelle Themenschwerpunkte abgestimmt werden können, sondern deren Klassen und Leistungskurse auch privilegierten, d. h. kostenfreien Zugang zu den Vortragsveranstaltungen erhalten. Alle Vorträge der Gießener Geographischen Gesellschaft sind zudem seit 2008 vom staatlichen Schulamt als Weiter- und Fortbildungsveranstaltungen für Lehrerinnen und Lehrer voll akkreditiert. Zusammengefasst sind also die drei wichtigsten Aufgaben und Ziele der Gießener Geographischen Gesellschaft die Eröffnung der Möglichkeit für die Studierenden, über den engeren Gießener Fach- und Regionalhorizont hinausblickend auch andere Geographinnen und Geographen und deren Spezialthemen kennenlernen zu können, das Wirken in die außeruniversitäre Öffentlichkeit und nicht zuletzt die enge Kooperation mit den Schulen als wichtige Nachwuchssicherungsstrategie für das Fach. 3. Organisationsstruktur Organisatorisch ist die Gießener Geographische Gesellschaft, wie die meisten anderen geographischen Gesellschaften in Deutschland, als eingetragener Verein (e.v.) aufgestellt und als solcher beim Amtsgericht Gießen registriert. Zum Vorstand gehören: der Präsident bzw. der 1. Vorsitzende (seit 2007 Prof. Andreas Dittmann), der Vizepräsident bzw. 2. Vorsitzende (von 2007 bis 2013 Prof. Johann-Bernhard Haversath, seit 2013 Prof. Markus Fuchs), der Schriftführer (Dr. Wolf-Dieter Erb), die Schatzmeisterin (Eva-Maria Peter), die Öffentlichkeitsbeauftragten (in zeitlicher Abfolge: Dipl.-Geogr. Tobias Lux, Dipl.-Geogr. Ariane Witte und Anna-Barbara Heindl, B.Sc.) sowie zu unterschiedlichen Zeitpunkten die Kassenprüfer (Dipl.-Geogr. Dipl.-Ing. Bernd Goecke, Dr. Thomas Christiansen und Dipl.- Geogr. André Staarmann). Alle Funktionäre der GGG leisten ihre Arbeit auf ehrenamtlicher Basis. Dafür sei ihnen an dieser Stelle ausdrücklich gedankt. 4. Thematische Konzeption der GGG-Vortragsreihen Die Vortragprogrammgestaltung geographischer Gesellschaften kann ganz unterschiedlich organisiert sein. Grundsätzlich gibt es dabei zwei Grundmusteroptionen. Einerseits die Festlegung bestimmter thematischer Konzentrationen während eines Semesters oder eines Vortragszyklus oder eine von Themenschwerpunkten unabhängige Gestaltung. Die Gießener Geographische Gesellschaft hat von Anbeginn an bewusst keine Themenschwerpunktfestlegung pro Semester vorgesehen. In erster Linie, um damit vor allem drei Vorteile bei der Semesterplanung zu haben: Zum einen bestehen diese darin, jeweils sehr gute und im Umgang 216

218 Andreas Dittmann mit Gesellschaftspublikum erfahrene Redner einladen zu können, die eine Zuhörerschaft begeistern können und denen man als Organisator die Freiheit lässt, über ihr Lieblingsthema oder über ein besonders publikumswirksames Feld zu reden. Der zweite Vorteil einer nicht themengebundenen Konzeption von Gesellschaftsvortragsreihen ist, rasch und flexibel auf sich neu ergebende Themen reagieren und dazu gezielt Spezialisten einladen zu können. Schließlich besteht der dritte Vorteil einer nicht themengebunden Vortragsreihengestaltung darin, dass man sich bei den Einladungen zu Vorträgen tatsächlich nur auf gute und sehr gute Vortragende konzentrieren kann und nicht ggf. den weniger guten Redner, der aber thematisch genau zum jeweiligen Semesterthema passt, sozusagen vorausbestimmt einladen zu müssen. Im Großen und Ganzen hat sich die nicht themengebundene Vortragsreihen-Konzeption der Gießener Geographischen Gesellschaft bewährt. Sie soll deshalb auch in den nächsten Semestern möglichst beibehalten werden. In den jeweiligen Sommersemestern gelang jedoch eine erfolgreiche Kombination mit Regelveranstaltungen der Lehramtsstudiengänge (L2 und L3), welche eine bestimmte thematische und regionale Ausrichtung haben, auf die Rücksicht genommen werden sollte, damit Studierende auch inhaltlich mehr von Besuch von Gesellschaftsvorträgen profitieren können. Dies gilt insbesondere für die Vorlesung Regionale Geographie 1, welche in Gießen laut Lehrplan einen Deutschland- bzw. Europaschwerpunkt aufweisen soll. Die GGG- Vorträge in den Sommersemestern wurden und werden deshalb nach Möglichkeit so gewählt, dass sie mit ihren regionalen Bezügen zu den entsprechenden Veranstaltungen passen. Den Schwerpunkten in der Lehre am Institut für Geographie entsprechend bieten sich dazu vor allem Vorträge an, die auf die Themenfelder Stadt- und Verkehrsplanung in Gießen und seinem Umland sowie Geoparks und Tourismus-Management ausgerichtet sind. Die deutlich erkennbare Ballung von Geoparkthemen in den jeweiligen Sommersemestern der letzten Jahre ist u. a. durch diese bewusste Kombinationskonzeption zu erklären. Das thematische und regionale Spektrum der Vortragsveranstaltungen der Gießener Geographischen Gesellschaft stellt sich angesichts ihres geringen Alters sehr eindrucksvoll dar. Nachdem die Gesellschaft mit 14 Gründungsmitgliedern im Dezember 2007 aus der Taufe gehoben worden war, begannen bereits zum Sommersemester 2008 die ersten Vorträge. Den Eröffnungsvortrag der Gießener Geographischen Gesellschaft hielt damals Prof. Ernst Giese mit einem Thema über die Wassermanagementproblematik in Kirgistan und Usbekistan. In den folgenden 15 Semestern (bis 2014) konnten bei der GGG insgesamt 62 Vorträge, von überwiegend auswärtigen Rednern, realisiert werden. Das Ziel, vor allem auch den studentischen Mitgliedern durch den Besuch von GGG-Veranstaltungen das Erleben von anderen 217

219 Andreas Dittmann Forscherpersönlichkeiten und von deren Forschungsfeldern am Standort Gießen zu gewährleisten und auch das persönliche Kennenlernen des ein oder anderen Autors von wichtigen Zeitschriftenaufsätzen oder Lehrbüchern zu bieten, ist damit erfüllt. Es lohnt sich, kurz eine Analyse der regionalen und thematischen Ausrichtung der bisherigen GGG-Vorträge anzustellen, da sich dadurch die bisherigen Stärken, aber auch künftige Verbesserungspotentiale identifizieren lassen. Wie aus Tab. 1 klar ersichtlich, dominierten bislang noch die eher human- bzw. anthropogeographisch ausgerichteten Themen. Die physischgeographische Komponente wurde im Vergleich dazu noch nicht so stark vertreten. Bereits ab dem Wintersemester 2014/15, in dem die GGG auch erstmals eine thematische Fokussierung der Vortragsreihe wagen will ( aride und semiaride Räume ), soll sich dies ändern und seinen Ausdruck in der verstärkten Berücksichtigung von Kolleginnen und Kollegen aus der Physischen Geographie finden. Die Sachexpertise des Zweiten Vorsitzenden der GGG, Prof. Markus Fuchs, garantiert für eine entsprechende Umsetzung. Demgegenüber stellt sich der Anteil der Gesellschaftsvorträge, welche sowohl anthropogeographische als auch physischgeographische Themen gleichzeitig behandelten, ausgesprochen erfreulich dar. Gerade hier - in der verbindenden Behandlung von naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Thematiken - liegt die Stärke des Faches Geographie und zugleich die besondere Verantwortung geographischer Gesellschaften im Hinblick auf die Kernaufgaben ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Tabelle 1: Thematische Ausrichtung der Vortragsveranstaltungen bei der Gießener Geographischen Gesellschaft ( ) Physische Geographie: 14 Anthropogeographie: 30 Übergreifende Themen: 18 Gesamt: 62*) *) Anzahl der Vorträge Das regionale Spektrum der bisherigen Vorträge bei der Gießener Geographischen Gesellschaft stellt sich ausgesprochen breit gefächert dar. Wie Tab. 2 zeigt, sind Themen aus allen Kontinenten bzw. Kulturerdteilen vertreten. Abb. 1 verdeutlicht dies noch einmal auf einzelne Länder bezogen, soweit sich die Vortragsthemen genauer verorten ließen. Auch bei dieser Ana- 218

220 Andreas Dittmann lyse werden bestimmte Schwerpunkte deutlich. Es liegt in der Natur geographischer Gesellschaften, dass ihre Vortragsspektren von zweierlei geprägt werden: einerseits von der Bindung an den eigenen Standort, im Bestreben, die unmittelbare Öffentlichkeit anzusprechen und Anwendungspraxis zu dokumentieren, und andererseits im Bewusstsein, auch den Sehnsüchten der Mitglieder nach Forschungsberichten über ferne und vermeintlich exotische Länder und Regionen Rechnung zu tragen. Genau dies spiegelt das Spektrum der Vorträge der Gießener Geographischen Gesellschaft wider. Tabelle 2: Regionale Ausrichtung der Vortragsveranstaltungen bei der Gießener Geographischen Gesellschaft ( ) Nordamerika: 4 Deutschland: 2 Zentralasien: 5 Lateinamerika: 3 Hessen: 11 Süd- und Südostasien: 7 Europa: 6 Islamischer Orient: 11 China: 4 Australien und Ozeanien: 2 Subsahara-Afrika: 7 Gesamt: 62*) *) ohne regional übergreifende Themen Da die GGG über kein Jahrbuch der Gesellschaft, wie einige andere geographische Gesellschaften in Deutschland, oder vergleichbare Medien verfügt, wird statt dessen hier in Tab. 5 eine ausführliche Auflistung aller bislang gehaltener Vorträge der Gießener Geographischen Gesellschaft im Zeitraum vom Sommersemester 2008 bis zum Sommersemester 2014 aufgeführt, in der die regionalen wie thematischen Ausrichtungen im Einzelnen noch einmal in einer Gesamtübersicht dargestellt sind. Eine Gießener Besonderheit stellt ein ursprünglich von der Fachschaft Geographie übernommenes Konzept dar, bei dem im Rahmen von GGG-Vorträgen Studierende für Studierende in einer gleichnamigen Vortragsreihe - meist von großen Exkursionen - berichten. In diesem Bereich ist das Angebot an Vorträgen häufig höher als es die einmalige Berücksichtigung pro Semesterprogramm erlaubt. Auch darin drückt sich das erfreulich lebendige Engagement Gießener Geographie-Studierender in ihrer Gesellschaft aus. Angesichts ihrer Jugendlichkeit präsentieren sich die Zielregionen der Exkursionen der Gießener Geographischen Gesellschaft ebenfalls besonders eindrucksvoll (siehe Tab. 4). Bei einer 219

221 Andreas Dittmann entsprechenden Analyse muss allerdings betont werden, dass es - etwa in deutlichem Gegensatz zu größeren und vor allem auch finanzkräftigeren geographischen Gesellschaften - bislang kaum ausschließlich und gesondert für die GGG eingerichtete Exkursionen gab, sondern sich vielmehr als tragfähiges Konzept die Kombination von Exkursionen, welche gleichzeitig sowohl Lehrveranstaltungen für Studierende als auch Events für GGG-Mitglieder sind, herausgestellt hat. Viele Exkursionen der Gießener Geographischen Gesellschaft fanden als Teil von Lehrveranstaltungen für die früheren Diplom- und Lehramtsstudiengänge sowie später auch für die Bachelor- und Master-Studiengänge statt. GGG-Mitglieder hatten dabei vielfach die Möglichkeit, mitzufahren, was bislang insbesondere von in Doppelmitgliedschaften mit der GGG verbundenen Marburger Gesellschaftsmitgliedern genutzt wurde. Aus einer solchen Kombination resultiert die enorme regionale Spannbreite des Exkursionsdargebotes, welches letztendlich auch ein Ausdruck der ausgesprochen stark ausgeprägten Internationalisierung verschiedener Bereiche des Institutes für Geographie an der Justus-Liebig-Universität ist. Tabelle 3: Exkursionen im Rahmen der Gießener Geographischen Gesellschaft Datum Zielland/Zielregion Exkursionsleitung Bayerischer Wald/Šumava Nord- und Westsumatra (Indonesien) Ghana, Togo und Burkina Faso Äthiopien Syrien, Jordanien und Libanon Bayerischer Wald Vietnam und Kambodscha Niedersächsisches Küstengebiet Java und Bali (Indonesien) Island und Süd-Grönland Nord-Namibia Kuba Ostfriesland Namibia Sibirien (Russland) Kolumbien Nationalpark Deutsches Wattenmeer Bhutan, Sikkim und Nepal Prof. J.-B. Haversath Prof. U. Scholz Prof. A. Dittmann Prof. A. Dittmann Prof. A. Dittmann Prof. J.-B. Haversath Prof. A. Dittmann Prof. J. F. Venzke Prof. U. Scholz Prof. A. Dittmann, Dr. G. Fugmann Prof. A. Dittmann Prof. A. Dittmann, Prof. G. Mertins Prof. J.-B. Haversath Prof. A. Dittmann Dipl.-Geogr. A. Staarmann Prof. A. Dittmann, Prof. G. Mertins Prof. J. F. Venzke Prof. A. Dittmann 220

222 Andreas Dittmann Abbildung 1: Regionale Ausrichtung der Vortragsveranstaltungen bei der Gießener Geographischen Gesellschaft ( ). Quelle: Eigene Darstellung Kartographie Justus-Liebig-Universität Gießen Abbildung 2: Die Gießener Geographische Gesellschaft in der Welt. Zielländer und regionen von Exkursionen der Gießener Geographischen Gesellschaft ( ) Quelle: Eigene Darstellung Kartographie Justus-Liebig-Universität Gießen 221

Prof. Dr. Frank-Michael Chmielewski

Prof. Dr. Frank-Michael Chmielewski Prof. Dr. Frank-Michael Chmielewski studierte nach seiner Ausbildung zum Technischen Assistenten für Meteorologie von 1982 bis 1987 Meteorologie an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU), wo er 1990 über

Mehr

Indikator im Blickpunkt: Erfindungsmeldungen

Indikator im Blickpunkt: Erfindungsmeldungen Centrum für Hochschulentwicklung Indikator im Blickpunkt: Erfindungsmeldungen 2. ergänzte Auflage Biologie Chemie Physik Humanmedizin Pharmazie Zahnmedizin Auswertung aus dem CHE-Ranking Cort-Denis Hachmeister

Mehr

Liste der Kandidierenden für die DFG-Fachkollegienwahl 2015

Liste der Kandidierenden für die DFG-Fachkollegienwahl 2015 Liste der Kandidierenden für die DFG-Fachkollegienwahl 2015 Stand 30. Juni 2015 Hinweis: Ein Abkürzungsverzeichnis für die vollständigen Namen der vorschlagenden Institutionen nden Sie ab Seite 575. Seite

Mehr

6.ECM-Tagung Wissenschaf(f)t Möglichkeiten.

6.ECM-Tagung Wissenschaf(f)t Möglichkeiten. 6.ECM-Tagung Wissenschaf(f)t Möglichkeiten. Mittwoch, 18. November 2015, 13:00-18:00 Justus-Liebig-Universität Gießen Erfolgsfaktoren des Gründens Schirmherrschaft und Grußwort Über das ECM und die Initiative

Mehr

Das CHE ForschungsRanking deutscher Universitäten ForschungsUniversitäten 2006

Das CHE ForschungsRanking deutscher Universitäten ForschungsUniversitäten 2006 Das CHE Forschungs deutscher Universitäten 2006 Dr. Sonja Berghoff Dipl.-Soz. Gero Federkeil Dipl.-Kff. Petra Giebisch Dipl.-Psych. Cort-Denis Hachmeister Dr. Mareike Hennings Prof. Dr. Detlef Müller-Böling

Mehr

Verzeichnis der durchgeführten Lehrveranstaltungen von Prof.Dr.Wolfgang Werner 1

Verzeichnis der durchgeführten Lehrveranstaltungen von Prof.Dr.Wolfgang Werner 1 Verzeichnis der durchgeführten Lehrveranstaltungen von Prof.Dr.Wolfgang Werner 1 WS 83/84: Vorlesung Die Tierwelt von Südasien, 2 Std. WS 84/85: Proseminar Phys.Geographie, 2.Std. mit 3 Exkursionstagen

Mehr

Auszug aus dem Arbeitspapier Nr. 102. Das CHE ForschungsRanking deutscher Universitäten 2007

Auszug aus dem Arbeitspapier Nr. 102. Das CHE ForschungsRanking deutscher Universitäten 2007 Das CHE ForschungsRanking deutscher Universitäten 2007 Dr. Sonja Berghoff Dipl. Soz. Gero Federkeil Dipl. Kff. Petra Giebisch Dipl. Psych. Cort Denis Hachmeister Dr. Mareike Hennings Prof. Dr. Detlef Müller

Mehr

Studienführer Biologie

Studienführer Biologie Studienführer Biologie Biologie - Biochemie - Biotechnologie - Biomedizin an deutschen Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen 4. Auflage Herausgegeben vom vdbiol - Verband Deutscher

Mehr

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Akademiebibliothek. Ausgewählte Literaturnachweise aus dem Bestand der Akademiebibliothek

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Akademiebibliothek. Ausgewählte Literaturnachweise aus dem Bestand der Akademiebibliothek Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Akademiebibliothek Ausgewählte Literaturnachweise aus dem Bestand der Akademiebibliothek Norbert Geograph Berlin 2002 Bibliothek der Berlin-Brandenburgischen

Mehr

Mathematikstudium in Regensburg

Mathematikstudium in Regensburg Mathematikstudium in Regensburg Herzlich Willkommen.. an der Fakultät für Mathematik der Universität Regensburg Die Mathematik an der Universität Regensburg Anfängerzahlen im Fach Mathematik im WS 2015/16

Mehr

Studienbedingungen und Berufserfolg Eine Befragung der Absolventen des Jahrgangs 2007 unter 48 deutschen Hochschulen

Studienbedingungen und Berufserfolg Eine Befragung der Absolventen des Jahrgangs 2007 unter 48 deutschen Hochschulen Ergebnisse der INCHER-Studie zu Studienbedingungen und Berufserfolg Eine Befragung der Absolventen des Jahrgangs 2007 unter 48 deutschen Hochschulen Projektteam Prof. Dr. Matthias Klumpp Prof. Dr. René

Mehr

Archiv für Geographie. Findbuch. Georg Jensch ( )

Archiv für Geographie. Findbuch. Georg Jensch ( ) Archiv für Geographie Findbuch (1908 1978) , Georg Paul Erich (1908 1978) * 17.6.1908 Steinbach, Kr. Züllichau 11.8.1978 Hochschul-Professor für Geographie und Kartographie K 444 Reifeprüfung an der Oberrealschule

Mehr

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Akademiebibliothek. Ausgewählte Literaturnachweise aus dem Bestand der Akademiebibliothek

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Akademiebibliothek. Ausgewählte Literaturnachweise aus dem Bestand der Akademiebibliothek Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Akademiebibliothek Ausgewählte Literaturnachweise aus dem Bestand der Akademiebibliothek Georg Kunsthistoriker Berlin 2002 Bibliothek der Berlin-Brandenburgischen

Mehr

Die Pharmazie an der Universität Frankfurt am Main im Wandel der Zeiten ( )

Die Pharmazie an der Universität Frankfurt am Main im Wandel der Zeiten ( ) AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATUR Abhandlungen der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse Jahrgang 2006 Nr. 1 Herbert Oelschläger und Sieglinde Ueberall Die Pharmazie an der Universität

Mehr

Prof. Dr. Hans-Peter Abicht Institut für Anorganische Chemie Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Kurt-Mothes-Str. 2.

Prof. Dr. Hans-Peter Abicht Institut für Anorganische Chemie Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Kurt-Mothes-Str. 2. Prof. Dr. Hans-Peter Abicht Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Kurt-Mothes-Str. 2 06120 Halle Prof. Klaus-Dieter Becker Institut für Physikalische und Theoretische Chemie Technische Universität

Mehr

Inhaltsverzeichnis Nachlass Prof. Rudolf Bereis

Inhaltsverzeichnis Nachlass Prof. Rudolf Bereis Inhaltsverzeichnis Nachlass Prof. Rudolf Bereis Vorwort... II Dienstliche Unterlagen und Schriftwechsel... 1 wissenschaftliche Arbeiten, Forschung... 2 Index 6 I Vorwort Vorwort biograpische Notizen (siehe

Mehr

Das CHE-Forschungsranking deutscher Universitäten 2003

Das CHE-Forschungsranking deutscher Universitäten 2003 Das CHE-Forschungsranking deutscher Universitäten 2003 Geistes- und Naturwissenschaftliche Forschungsuniversitäten Zum zweiten Mal hat das CHE Daten aus dem CHE-Hochschulranking im Hinblick auf Forschungsaktivitäten

Mehr

Das CHE Forschungsranking deutscher Universitäten ForschungsUniversitäten 2004

Das CHE Forschungsranking deutscher Universitäten ForschungsUniversitäten 2004 Das CHE Forschungsranking deutscher Universitäten 2004 ForschungsUniversitäten 2004 Dr. Sonja Berghoff Dipl.-Soz. Gero Federkeil Dipl.-Kff. Petra Giebisch Dipl.-Psych. Cort-Denis Hachmeister Meike Siekermann

Mehr

Inhalt Teil 1: Das Studium der Mathematik und Physik Orientierung Was ist Mathematik? Was ist Physik? Wie ist das Studium aufgebaut?

Inhalt Teil 1: Das Studium der Mathematik und Physik Orientierung Was ist Mathematik? Was ist Physik? Wie ist das Studium aufgebaut? Inhalt Vorwort Teil 1: Das Studium der Mathematik und Physik Orientierung... 1 Was will ich?... 1 Wo will ich hin?... 2 Wer hilft mir dabei?... 2 Was ist Mathematik?... 3 Was ist Physik?... 4 Wie ist das

Mehr

Workshop "Zinssystem" am 19. Juli Lebensläufe der Mitwirkenden

Workshop Zinssystem am 19. Juli Lebensläufe der Mitwirkenden Workshop "Zinssystem" am 19. Juli 2012 Lebensläufe der Mitwirkenden Teilnehmer: Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, ehem. Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, Ehrenvorsitzender des Kuratoriums der Hertie

Mehr

ANERKENNUNG DER GOETHE-ZERTIFIKATE ZUM STUDIUM IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM

ANERKENNUNG DER GOETHE-ZERTIFIKATE ZUM STUDIUM IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM ANERKENNUNG DER GOETHE-ZERTIFIKATE ZUM STUDIUM IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM Stand: März 2016 Diese Liste zeigt, an welchen Hochschulen das Goethe-Zertifikat als Sprachnachweis anerkannt ist. Informieren Sie

Mehr

Carl Joseph Anton Mittermaier

Carl Joseph Anton Mittermaier Carl Joseph Anton Mittermaier 1787 1867 Ein Heidelberger Professor zwischen nationaler Politik und globalem Rechtsdenken im 19. Jahrhundert Katalog zur Ausstellung in der Universitätsbibliothek Heidelberg

Mehr

Max Karl Ernst Ludwig Planck

Max Karl Ernst Ludwig Planck Max Karl Ernst Ludwig Planck 1858-1947 ε = h ν Jugend 23.04.1858 Geburt in Kiel Gelehrtenfamilie 1867 Umzug nach München Abitur mit 16 Jahren Erziehung sehr traditions- und pflichtbewusst, körperlich und

Mehr

DAAD. Aktuell geförderte Projekte

DAAD. Aktuell geförderte Projekte DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst German Academic Exchange Service Startseite / Aktuell geförderte Projekte [/laenderinformationen/suedafrika/kooperationen/de/5847-aktuellgefoerderte-projekte/]

Mehr

Thinking the Future Zukunft denken. Masterstudiengang Wirtschaftswissenschaft (M.Sc.) Wichtige Änderungen ab WS 14/15

Thinking the Future Zukunft denken. Masterstudiengang Wirtschaftswissenschaft (M.Sc.) Wichtige Änderungen ab WS 14/15 Thinking the Future Zukunft denken Masterstudiengang Wirtschaftswissenschaft (M.Sc.) Wichtige Änderungen ab WS 14/15 Auf einen Blick Abschluss Zielgruppe Umfang Sprache Regelstudienzeit Master of Science

Mehr

Das CHE ForschungsRanking deutscher Universitäten ForschungsUniversitäten 2005

Das CHE ForschungsRanking deutscher Universitäten ForschungsUniversitäten 2005 Das CHE ForschungsRanking deutscher Universitäten 2005 ForschungsUniversitäten 2005 Dr. Sonja Berghoff Dipl.-Soz. Gero Federkeil Dipl.-Kff. Petra Giebisch Dipl.-Psych. Cort-Denis Hachmeister Prof. Dr.

Mehr

Mut zur Nachhaltigkeit

Mut zur Nachhaltigkeit Nachhaltige Entwicklung Die globale Herausforderung dieses Jahrhunderts Seminarreihe 2012 22. - 25.05.2012 26. - 29.06.2012 23. - 26.10.2012 06. - 09.11.2012 in der Europäischen Akademie Otzenhausen Unsere

Mehr

150 Jahre CAHN - die Firmengeschichte von

150 Jahre CAHN - die Firmengeschichte von 150 Jahre CAHN - die Firmengeschichte von 1863-2013 Vier Generationen von Numismatikern, Kunsthistorikern und Archäologen haben dazu beigetragen, «Cahn» zu einem der führenden Namen im Kunsthandel zu machen.

Mehr

Inhalt. Leitbild Geschichte Studium und Lehre Fakultäten TUM-Standorte und Wissenschafts-Netzwerk

Inhalt. Leitbild Geschichte Studium und Lehre Fakultäten TUM-Standorte und Wissenschafts-Netzwerk Facts & Figures 01 Inhalt Leitbild Geschichte Studium und Lehre Fakultäten TUM-Standorte und Wissenschafts-Netzwerk in Bayern Internationalisierung Budget Forschung und Nachwuchsförderung Organisationsmodell

Mehr

Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen

Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen Schriftlicher Teil des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung Ergebnisinformation gewertete Aufgaben: 312 Stand:..211 Bestehensgrenze: 178 Gesamtteilnehmer Referenzgruppe Berlin 323 7 1,6 21,5 68,7 36,2

Mehr

Prof. Dr. Luise Schorn-Schütte

Prof. Dr. Luise Schorn-Schütte Prof. Dr. Luise Schorn-Schütte 29.06.2015 Tabellarischer Lebenslauf Geboren 19.2.1949 in Osnabrück Ausbildung Habilitation; Thema: "Evangelische Geistlichkeit. Deren Anteil an der Entfaltung frühmoderner

Mehr

Schlüsselfach Geographie

Schlüsselfach Geographie RWTH Aachen Geographisches Institut Proseminar Geographie Seminarleitung: Prof. Dr. C. Schneider Wintersemester 2005/2006 Hausarbeit Schlüsselfach Geographie Karin Mustermann Vorlage Hausarbeit ohne Fehler

Mehr

PHILOSOPHIE. Mediävistenverband e.v.

PHILOSOPHIE. Mediävistenverband e.v. Mediävistenverband e.v. Die vorliegende Adressliste kann aus dem Netz heruntergeladen, ggf. ausgedruckt und für persönliche wissenschaftliche Recherchezwecke verwendet werden. Der Verband übernimmt weder

Mehr

Herzlich Willkommen!

Herzlich Willkommen! Herzlich Willkommen! WAS WIR HEUTE MACHEN Infos zur Ruhr-Universität Wie ist ein Studium aufgebaut? Rund ums Studium/Campusleben 2 DIE RUHR-UNIVERSITÄT BOCHUM 3 DATEN UND FAKTEN 5.819 INTERNATIONALE STUDIERENDE

Mehr

Die St. Petersburger Medicinische Wochenschrift und ihre Bedeutung für die Ärzteschaft St. Petersburgs

Die St. Petersburger Medicinische Wochenschrift und ihre Bedeutung für die Ärzteschaft St. Petersburgs Deutsch-russische Beziehungen in Medizin und Naturwissenschaften Dietrich von Engelhardt und Ingrid Kästner (Hgg.) Band 8 Doreen Jaeschke Die St. Petersburger Medicinische Wochenschrift und ihre Bedeutung

Mehr

Kalenderblatt Otto Stern

Kalenderblatt Otto Stern Kalenderblatt Otto Stern Reinhard Mahnke 25. Januar 2013 Zusammenfassung Die Universität Rostock feiert 2019 ihr 600jähriges Gründungsjubiläum. Mit diesem Kalenderblatt wird an Persönlichkeiten erinnert,

Mehr

"Moralische Wochenschriften" als typische Periodika des 18. Jahrhundert

Moralische Wochenschriften als typische Periodika des 18. Jahrhundert Medien Deborah Heinen "Moralische Wochenschriften" als typische Periodika des 18. Jahrhundert Studienarbeit Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Institut für Geschichtswissenschaft Veranstaltung:

Mehr

Koch Management Consulting

Koch Management Consulting Kontakt: 07191 / 31 86 86 Deutsche Universitäten Universität PLZ Ort Technische Universität Dresden 01062 Dresden Brandenburgische Technische Universität Cottbus 03046 Cottbus Universität Leipzig 04109

Mehr

Lübbe, Hermann. B 4/Feuerbach

Lübbe, Hermann. B 4/Feuerbach Lübbe, Hermann Lübbe, Hermann: 1994 B 1101 Politische Philosophie in Deutschland : Studien zu ihrer Geschichte / Hermann Lübbe. - Basel ; Stuttgart: Schwabe, 1963. - 242 S. Lübbe, Hermann: 2002 B 123 Theorie

Mehr

UNIVERSITÉ DE FRIBOURG SUISSE FACULTÉ DES SCIENCES

UNIVERSITÉ DE FRIBOURG SUISSE FACULTÉ DES SCIENCES UNIVERSITÉ DE FRIBOURG SUISSE FACULTÉ DES SCIENCES UNIVERSITÄT FREIBURG SCHWEIZ MATHEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHE FAKULTÄT Auszug aus dem Studienplan für die propädeutischen Fächer und die Zusatzfächer

Mehr

Die Religionssoziologie Max Webers

Die Religionssoziologie Max Webers Geisteswissenschaft Andreas von Bezold Die Religionssoziologie Max Webers Studienarbeit Die Religionssoziologie Max Webers Hausarbeit als Leistungsnachweis im Grundstudium des Nebenfaches Soziologie an

Mehr

STUDIEN ZUR INTERNATIONALEN POLITIK

STUDIEN ZUR INTERNATIONALEN POLITIK STUDIEN ZUR INTERNATIONALEN POLITIK Hamburg, Heft 2/2005 Steffen Handrick Das Kosovo und die internationale Gemeinschaft: Nation-building versus peace-building? IMPRESSUM Studien zur Internationalen Politik

Mehr

Historiker Staatswissenschaftler

Historiker Staatswissenschaftler Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Akademiebibliothek Ausgewählte Literaturnachweise aus dem Bestand der Akademiebibliothek Friedrich Ludwig Georg von Historiker Staatswissenschaftler

Mehr

Tabelle: Übersicht zu GIS-Studienangeboten (ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Korrektheit)

Tabelle: Übersicht zu GIS-Studienangeboten (ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Korrektheit) Tabelle: Übersicht zu GIS-Studienangeboten (ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Korrektheit) Hochschule/ Studiengang Studentenzahl Umfang Praxis Studiengangsname Ab- Dauer Sprache Hoch- Aufbau Art Akkredit.

Mehr

Campus-Universität mit einzigartigem Profil

Campus-Universität mit einzigartigem Profil WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN Allgemeine Studien beratung allgemeinestudienberatung@uni-erfurt.de tel +49 (0) 361 737-51 51 UNIVERSITÄT ERFURT Nordhäuser Straße 63 99089 Erfurt www.uni-erfurt.de Campus-Universität

Mehr

Herausgegeben von Wolfgang Grünberg und Wolfram Weiße. (Hamburger Universitätsreden Neue Folge 8. Herausgeber: Der Präsident der Universität Hamburg)

Herausgegeben von Wolfgang Grünberg und Wolfram Weiße. (Hamburger Universitätsreden Neue Folge 8. Herausgeber: Der Präsident der Universität Hamburg) VITA aus: Zum Gedenken an Dorothee Sölle Herausgegeben von Wolfgang Grünberg und Wolfram Weiße (Hamburger Universitätsreden Neue Folge 8. Herausgeber: Der Präsident der Universität Hamburg) S. 111-112

Mehr

Verzeichnis der Tabellen, Diagramme und Schaubilder. Abkürzungsverzeichnis. Vorbemerkungen 1. Prolog 3

Verzeichnis der Tabellen, Diagramme und Schaubilder. Abkürzungsverzeichnis. Vorbemerkungen 1. Prolog 3 Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Tabellen, Diagramme und Schaubilder Abkürzungsverzeichnis XII XIV Vorbemerkungen 1 Prolog 3 A. Forschungsstand - Universitäten im Dritten Reich 3 B. Forschungsstand -

Mehr

Unternehmensprofil DU Diederichs Chronik Stand: Januar 2017

Unternehmensprofil DU Diederichs Chronik Stand: Januar 2017 Schritt für Schritt gewachsen DU Diederichs Projektmanagement Seit 1978 realisiert und steuert DU Diederichs renommierte und komplexe Bauprojekte für seine namhaften Kunden. In dieser Zeit prägte das Unternehmen

Mehr

Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Wissenschaft und Forschung

Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Wissenschaft und Forschung Seite 1 von 8 Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Wissenschaft und Forschung DIE SENATORIN Senatsempfang Partnerschaft mit Afrika alte Fragen, neue Chancen, 26. März 2015, 16:30 Uhr Rathaus, Kaisersaal

Mehr

Registrierte DSH-Prüfungsordnungen an deutschen Hochschulen und Studienkollegs

Registrierte DSH-Prüfungsordnungen an deutschen Hochschulen und Studienkollegs Registrierte DSH-en an deutschen Hochschulen und Studienkollegs [Stand: Februar 2015] Diese Liste dokumentiert die Hochschulen und Studienkollegs, deren en für die "Deutsche Hochschulzugang" (DSH) nach

Mehr

Nebenfach-Infoabend. witziger Untertitel. Fachschaft Informatik. Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Institut für Informatik. 02.

Nebenfach-Infoabend. witziger Untertitel. Fachschaft Informatik. Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Institut für Informatik. 02. Nebenfach-Infoabend witziger Untertitel Fachschaft Informatik Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Institut für Informatik 02. Juni 2016 Fachschaft Informatik (Uni Bonn) Nebenfach-Infoabend 02.

Mehr

Gründungsdaten der Universitäten/Technischen Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland, die vor 1945 gegründet worden sind

Gründungsdaten der Universitäten/Technischen Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland, die vor 1945 gegründet worden sind Gründungsdaten der Universitäten/Technischen Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland, die vor 1945 gegründet worden sind Aachen Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule 1870 Eröffnung als Königlich

Mehr

Top hosting countries

Top hosting countries STATISTICS - RISE worldwide 206 Total number of scholarship holders: 228 male 03 female 25 55% Gender distribution 45% male female Top hosting countries Number of sholarship holders Number of project offers

Mehr

Geschichte und Gegenstand der Kriminalsoziologie

Geschichte und Gegenstand der Kriminalsoziologie Geschichte und Gegenstand der Kriminalsoziologie König, René: Theorie und Praxis in der Kriminalsoziologie. In: Sack, König (1968): Kriminalsoziologie. Frankfurt am Main: Akademischer Verlagsgesellschaft,

Mehr

- 3/17 - ORDNUNG des Zentrums für Toxikologie der Universität Leipzig

- 3/17 - ORDNUNG des Zentrums für Toxikologie der Universität Leipzig - 3/17 - UNIVERSITÄT LEIPZIG ORDNUNG des Zentrums für Toxikologie der Universität Leipzig Auf der Grundlage des Gesetzes über die Hochschulen im Freistaat Sachsen vom 11. Juni 1999 (SächsHG) und der Verfassung

Mehr

Die Biographie Georg Büchners. Unter Berücksichtigung ihrer Bezüge zu Woyzeck

Die Biographie Georg Büchners. Unter Berücksichtigung ihrer Bezüge zu Woyzeck Die Biographie Georg Büchners Unter Berücksichtigung ihrer Bezüge zu Woyzeck Inhaltsangabe - Zeiteinordnung - Biographie - Kindheit - Studium - Zeit bis zu seinem Tod - Wichtige Werke Büchners - Entstehung

Mehr

Mathematik studieren an der Universität Regensburg

Mathematik studieren an der Universität Regensburg Mathematik studieren an der Universität Regensburg Schülerinformationstag, 9. November 2011 Clara Löh Fakultät für Mathematik. Universität Regensburg Herzlich Willkommen in der Fakultät für Mathematik

Mehr

Prof. Dr. phil. Ernst Schmack

Prof. Dr. phil. Ernst Schmack Prof. Dr. phil. Ernst Schmack 30.10.1918-24.4.1984 Aus: Lebensläufe von eigener Hand Biografisches Archiv Dortmunder Universitäts-Professoren und -Professorinnen Hrsg. von Valentin Wehefritz Folge 5 Dortmund

Mehr

Die Tierärztliche Fakultät der Ludwig- Maximilians-Universität München kann 2014 stolz auf eine 100-jährige Tradition zurückblicken.

Die Tierärztliche Fakultät der Ludwig- Maximilians-Universität München kann 2014 stolz auf eine 100-jährige Tradition zurückblicken. Sperrfrist: 16. Oktober 2014, 17.00 Uhr Es gilt das gesprochene Wort. Grußwort des Bayerischen Staatsministers für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, Dr. Ludwig Spaenle, beim Jubiläum 100 Jahre

Mehr

Sigrid Oehler-Klein (Hg.):

Sigrid Oehler-Klein (Hg.): Sigrid Oehler-Klein (Hg.): Die Medizinische Fakultät der Universität Gießen im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit: Personen und Institutionen, Umbrüche und Kontinuitäten Franz Steiner Verlag

Mehr

AuditChallenge Konzept

AuditChallenge Konzept AuditChallenge 2016 Konzept Konzept Die AuditChallenge ist einer der größten Fallstudienwettbewerbe für Studierende der Wirtschaftswissenschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Veranstaltung

Mehr

Deutsche Biographie Onlinefassung

Deutsche Biographie Onlinefassung Deutsche Biographie Onlinefassung NDB-Artikel Mangoldt, Hermann Staats- und Völkerrechtler, * 18.11.1895 Aachen, 24.2.1953 Kiel. Genealogie V Hans (s. 2); 1) Berlin-Steglitz 1938 ( 1948) Ingeborg (* 1907),

Mehr

Der Wissenschaftler Hans-Dietrich Raapke

Der Wissenschaftler Hans-Dietrich Raapke JOST VON MAYDELL Der Wissenschaftler Hans-Dietrich Raapke Ein Abschied - und die Emeritierung des Kollegen Hans- Dietrich Raapke zum Ende dieses Semesters ist doch mindestens ein halber Abschied von der

Mehr

Springer-Lehrbuch. Weitere Bände in dieser Reihe

Springer-Lehrbuch. Weitere Bände in dieser Reihe Springer-Lehrbuch Weitere Bände in dieser Reihe http://www.springer.com/series/1183 Zur Person Brigitte Klose hat nach einem Praktikum am Aerologischen Observatorium Lindenberg an der Humboldt- Universität

Mehr

Preis des Auswärtigen Amtes für exzellente Betreuung ausländischer Studierender. - Übersicht über bisherige Preisträger -

Preis des Auswärtigen Amtes für exzellente Betreuung ausländischer Studierender. - Übersicht über bisherige Preisträger - 1999 Preisträger Brother-Sister-Programm der Uni Bielefeld Kalenderprojekt Hilfsfonds für ausländische Studierende der Hochschule für Kunst und Design Halle, Burg Giebichenstein Internationales Zentrum

Mehr

Geographie der Nachhaltigkeit

Geographie der Nachhaltigkeit Geographie der Nachhaltigkeit Die Geographie der LMU Wolfram Mauser LMU Fakultät für Geowissenschaften Department für Geographie 11.12.2014 Folie 1 Geographie der Nachhaltigkeit Seit 2003 gemeinsames Profil

Mehr

Zehntes Kolloquium Luftverkehr an der Technischen Universität Darmstadt

Zehntes Kolloquium Luftverkehr an der Technischen Universität Darmstadt Zehntes Kolloquium Luftverkehr an der Technischen Universität Darmstadt August Euler-Luftfahrtpreis Verleihung Neue Märkte und Technologietrends im Luftverkehr WS 2002/2003 Herausgeber: Arbeitskreis Luftverkehr

Mehr

Das CHE ForschungsRanking deutscher Universitäten Biologie (2003)

Das CHE ForschungsRanking deutscher Universitäten Biologie (2003) Das CHE ForschungsRanking deutscher Universitäten 2005 Biologie (2003) Dr. Sonja Berghoff Dipl.-Soz. Gero Federkeil Dipl.-Kff. Petra Giebisch Dipl.-Psych. Cort-Denis Hachmeister Prof. Dr. Detlef Müller-Böling

Mehr

Antrittsvorlesungen. der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät. Imperium und Identität: Ethnische Prozesse im Römischen Reich

Antrittsvorlesungen. der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät. Imperium und Identität: Ethnische Prozesse im Römischen Reich Einladung zu den Antrittsvorlesungen der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät Von anatolischen Staaten zu römischen Provinzen: Umbruch und Kontinuität im hellenistisch-römischen Kleinasien Thomas

Mehr

Ihr Studium an der Universität zu Köln im Rahmen der Studienbrücke Deutschland

Ihr Studium an der Universität zu Köln im Rahmen der Studienbrücke Deutschland Ihr Studium an der im Rahmen der Studienbrücke Deutschland - Gute Ideen seit 1388 / Dezernat 9 / Abteilung 92 / Internationale Studierende Themenübersicht Stadt Köln Mathematisch-Naturwissenschaftliche

Mehr

Thomas-Akademie Jüdische und christliche Leseweisen der Bibel im Dialog Kurt Kardinal Koch EINLADUNG

Thomas-Akademie Jüdische und christliche Leseweisen der Bibel im Dialog Kurt Kardinal Koch EINLADUNG Theologische Fakultät EINLADUNG Thomas-Akademie 2016 Jüdische und christliche Leseweisen der Bibel im Dialog Kurt Kardinal Koch MITTWOCH, 16. MÄRZ 2016, 18.15 UHR UNIVERSITÄT LUZERN, FROHBURGSTRASSE 3,

Mehr

fbta Fachbereichstag Architektur Die Fachbereiche Architektur an den Fachhochschulen und Gesamthochschulen in der Bundesrepublik Deutschland

fbta Fachbereichstag Architektur Die Fachbereiche Architektur an den Fachhochschulen und Gesamthochschulen in der Bundesrepublik Deutschland fbta Fachbereichstag Die Fachbereiche an den Fachhochschulen und Gesamthochschulen in der Bundesrepublik Deutschland Der Fachbereichstag im Netz: www.fbta.de universities of applied sciences Übersicht

Mehr

Grundordnung. der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden University of Applied Sciences. Vom. 18. Juli 2013

Grundordnung. der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden University of Applied Sciences. Vom. 18. Juli 2013 Grundordnung der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden University of Applied Sciences Vom 18. Juli 2013 Aufgrund von 13 Abs. 1 des Gesetzes über die Freiheit der Hochschulen im Freistaat Sachsen

Mehr

Berichte zur deutschen Landeskunde

Berichte zur deutschen Landeskunde Archiv für Geographie Findbuch Berichte zur deutschen Landeskunde - 2 - Berichte zur deutschen Landeskunde K 616 640 Das erste Heft der Zeitschrift Berichte zur deutschen Landeskunde erschien im Oktober

Mehr

Geographie. Übersicht ======= 000 Allgemeines. 100 Geschichte der Geographie. 200 Werke. Sekundärliteratur. Biographien. 300 Allgemeine Geographie

Geographie. Übersicht ======= 000 Allgemeines. 100 Geschichte der Geographie. 200 Werke. Sekundärliteratur. Biographien. 300 Allgemeine Geographie EK Geographie Übersicht ======= 000 Allgemeines 100 Geschichte der Geographie 200 Werke. Sekundärliteratur. Biographien 300 Allgemeine Geographie 330 Kartenkunde 350 Physische Geographie 400 Kulturgeographie

Mehr

Neues Semester, neue Bude: In einer WG sparen Studenten bis zu 40 Prozent der Miete

Neues Semester, neue Bude: In einer WG sparen Studenten bis zu 40 Prozent der Miete Grafiken zur Pressemitteilung Neues Semester, neue Bude: In einer WG sparen Studenten bis zu 40 Prozent der Miete Mietpreis-Check für Single- und WG- Wohnungen in Deutschlands größten Uni-Städten So viel

Mehr

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Akademiebibliothek. Ausgewählte Literaturnachweise aus dem Bestand der Akademiebibliothek

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Akademiebibliothek. Ausgewählte Literaturnachweise aus dem Bestand der Akademiebibliothek Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Akademiebibliothek Ausgewählte Literaturnachweise aus dem Bestand der Akademiebibliothek Max Albert Wilhelm Historiker Berlin 2002 Bibliothek der Berlin-Brandenburgischen

Mehr

Publikationen Studium Universale

Publikationen Studium Universale Publikationen Studium Universale Schenkel, Elmar und Alexandra Lembert (Hrsg.). Alles fließt. Dimensionen des Wassers in Natur und Kultur. 199 S. Frankfurt a. M.: Peter Lang. 2008. ISBN 978-3-631-56044-0

Mehr

Master of Arts. Philosophie

Master of Arts. Philosophie Master of Arts Philosophie Philosophie in Göttingen Seit den Anfängen der Universität im Jahr 1737 ist die Göttinger Philosophie den Idealen der Aufklärung verpflichtet. Persönlichkeiten wie Edmund Husserl

Mehr

Inhalt. Vorwort Themen und Aufgaben Rezeptionsgeschichte Materialien Literatur

Inhalt. Vorwort Themen und Aufgaben Rezeptionsgeschichte Materialien Literatur Inhalt Vorwort... 5 1. Heinrich von Kleist: Leben und Werk... 7 1.1 Biografie... 7 1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund... 16 1.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken... 19 2. Textanalyse und

Mehr

Werner Buchholz (Hrsg.) Die Universität Greifswald und die deutsche Hochschullandschaft im 19. und 20. Jahrhundert

Werner Buchholz (Hrsg.) Die Universität Greifswald und die deutsche Hochschullandschaft im 19. und 20. Jahrhundert Werner Buchholz (Hrsg.) 2008 AGI-Information Management Consultants May be used for personal purporses only or by libraries associated to dandelon.com network. Die Universität Greifswald und die deutsche

Mehr

Anbei möchte ich beispielhaft nur einige wenige, aber bedeutende Eckpunkte der wissenschaftlichen Laufbahn von Univ.-Prof. Dr. Heinrich darlegen:

Anbei möchte ich beispielhaft nur einige wenige, aber bedeutende Eckpunkte der wissenschaftlichen Laufbahn von Univ.-Prof. Dr. Heinrich darlegen: Konsulent für Wissenschaft o. Univ.-Prof. em. Dr. Lutz Jürgen Heinrich Geb. am 23. April 1936 in Guben, wohnhaft in Linz Univ.-Prof. Dr. Lutz Jürgen Heinrich kam nach dem Krieg nach Halle an der Saale.

Mehr

Grafiken zur Pressemitteilung Mietpreis-Check deutscher Unistädte: Wohnen in der WG bis zu 32 Prozent günstiger

Grafiken zur Pressemitteilung Mietpreis-Check deutscher Unistädte: Wohnen in der WG bis zu 32 Prozent günstiger Grafiken zur Pressemitteilung Mietpreis-Check deutscher Unistädte: Wohnen in der WG bis zu 32 Prozent günstiger Mietpreisanalyse für Single- und WG-Wohnungen in Deutschlands größten Uni- Städten So viel

Mehr

Raumkonzepte in der Schedelschen Weltchronik

Raumkonzepte in der Schedelschen Weltchronik Geschichte Franziska Koch Raumkonzepte in der Schedelschen Weltchronik Die Darstellungen der Länder in Text, Bild und Karte Bachelorarbeit Philosophische Fakultät I Institut für Geschichtswissenschaften

Mehr

Blasius Lorenz von Stein

Blasius Lorenz von Stein Blasius Lorenz von Stein I Schriftenreihe des Lorenz-von-Stein-Instituts für Verwaltungswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Herausgegeben vom Vorstand des Lorenz-von-Stein-Instituts

Mehr

Region Mittelhessen. Daten und Fakten

Region Mittelhessen. Daten und Fakten Region Mittelhessen Daten und Fakten Stand 09/2016 Die Region Mittelhessen 5 Landkreise: Gießen, Lahn-Dill, Limburg-Weilburg, Marburg-Biedenkopf, Vogelsberg 3 Oberzentren: Gießen, Marburg, Wetzlar 18 Mittelzentren

Mehr

Deutsch-Russische Konferenz. Wirtschaftliche, technologische, ökologische und soziale Effekte der Erdöl- und Erdgasindustrie in Russland:

Deutsch-Russische Konferenz. Wirtschaftliche, technologische, ökologische und soziale Effekte der Erdöl- und Erdgasindustrie in Russland: NATIONALE STAATLICHE FORSCHUNGSUNIVERSITÄT TOMSK ÖKONOMISCHE FAKULTÄT Mit der finanziellen Unterstützung von: Deutsch-Russische Konferenz Wirtschaftliche, technologische, ökologische und soziale Effekte

Mehr

Studien- und Forschungsführer Informatik

Studien- und Forschungsführer Informatik Wilfried Brauer Wolfhart Haacke Siegfried Münch Unter Mitarbeit von Gert Böhme Studien- und Forschungsführer Informatik Zweite, neubearbeitete und erweiterte Auflage Technische Hochschule Darmstadt FACHBEREICH

Mehr

03 Helmut Schelsky. Denker der skeptischen Generation, Stichwortgeber des Zeitgeistes

03 Helmut Schelsky. Denker der skeptischen Generation, Stichwortgeber des Zeitgeistes 16 17 Universitätsarchiv Helmut Schelsky 03 Helmut Schelsky Denker der skeptischen Generation, Stichwortgeber des Zeitgeistes Helmut Schelsky, 1912 in Chemnitz geboren, gilt als der erfolg- und einflussreichste

Mehr

Geisteswissenschaft. Rosa Badaljan. Pierre Bourdieu. Studienarbeit

Geisteswissenschaft. Rosa Badaljan. Pierre Bourdieu. Studienarbeit Geisteswissenschaft Rosa Badaljan Pierre Bourdieu Studienarbeit Soziologische Theorien der Gegenwart Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg SoSe 2003 Pierre Bourdieu Rosa Badaljan Fachsemester:

Mehr

Studierende 1 nach Studiengängen 2 seit 1995 (Studienfälle)

Studierende 1 nach Studiengängen 2 seit 1995 (Studienfälle) HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN Studierendenstatistik 2002/03 Tabelle 3: Studierende 1 nach Studiengängen 2 seit 1995 (Studienfälle) Fakultät Juristische Fakultät 2.411 2.774 2.928 3.206 3.264 3.359 3.355

Mehr

LEHRDIPLOM. Lehrdiplom in Geographie. für Maturitätsschulen. Departement Erdwissenschaften Department of Earth Sciences

LEHRDIPLOM. Lehrdiplom in Geographie. für Maturitätsschulen. Departement Erdwissenschaften Department of Earth Sciences LEHRDIPLOM für Maturitätsschulen Lehrdiplom in Geographie Departement Erdwissenschaften Department of Earth Sciences Lehrdiplom für Maturitätsschulen Interesse am Lehrdiplom? Der Studiengang richtet sich

Mehr

Es ist mir eine große Freude, heute das Zentrum für Israel-Studien an der Ludwig- Maximilians-Universität München mit Ihnen feierlich zu eröffnen.

Es ist mir eine große Freude, heute das Zentrum für Israel-Studien an der Ludwig- Maximilians-Universität München mit Ihnen feierlich zu eröffnen. Sperrfrist: 3.Juni 2015, 19.00 Uhr Es gilt das gesprochene Wort. Grußwort des Bayerischen Staatsministers für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, Dr. Ludwig Spaenle, bei der Eröffnung des Zentrums

Mehr

Einführungsveranstaltungen für Studienanfängerinnen und Studienanfänger des WS 2016/17 an der Universität Bayreuth

Einführungsveranstaltungen für Studienanfängerinnen und Studienanfänger des WS 2016/17 an der Universität Bayreuth Einführungsveranstaltungen für Studienanfängerinnen und Studienanfänger des WS 2016/17 an der Universität Bayreuth Grundständige Studiengänge Bachelor Lehramt Rechtswissenschaften Stand: 11.10.2016 Zentrale

Mehr

Verzeichnis der Projekte

Verzeichnis der Projekte Verzeichnis der Projekte Thema: Rising Stars and Falling Meteors : Die Entwicklung junger Unternehmen Prof. Dr. Konrad Stahl (Fakultät für Volkswirtschaftslehre und Statistik, Universität Mannheim) Prof.

Mehr

Die große Hochschul-Umfrage - Die Ergebnisse

Die große Hochschul-Umfrage - Die Ergebnisse Seite 1 von 7 Kategorie: Gesamtbewertung Gesamtbewertung* 1. Ausstattung 2. Studienbedingungen 3. Praxisbezug 4. Studienort Note** Rang Teilnehmer*** 1 DSHS Köln 2,0 10 1,9 1 10 1,7 1 8 2 Uni Freiburg

Mehr

Fachbereich I Management, Controlling, HealthCare STUDIUM GENERALE. Sommersemester Einblicke und Perspektiven Prof. Dr. Dieter Thomaschewski

Fachbereich I Management, Controlling, HealthCare STUDIUM GENERALE. Sommersemester Einblicke und Perspektiven Prof. Dr. Dieter Thomaschewski Fachbereich I Management, Controlling, HealthCare STUDIUM GENERALE Sommersemester 2015 Einblicke und Perspektiven Prof. Dr. Dieter Thomaschewski Das Studium Generale, bietet mit der Vortragsreihe Einblicke

Mehr

An der Universität Augsburg mögliche Fächerverbindungen und Erweiterungen des Lehramts an Mittelschulen (modularisiert)

An der Universität Augsburg mögliche Fächerverbindungen und Erweiterungen des Lehramts an Mittelschulen (modularisiert) Zentrale Universitätsverwaltung Referat I/3 An der Universität Augsburg mögliche Fächerverbindungen und Erweiterungen des Lehramts an Mittelschulen (modularisiert) (ab Sommersemester 2013 - Stand: Oktober

Mehr

Universität Stuttgart Stuttgart, Baden-Würrtembergq, 27000 Studenten

Universität Stuttgart Stuttgart, Baden-Würrtembergq, 27000 Studenten Universität Stuttgart Stuttgart, Baden-Würrtembergq, 27000 Studenten Fachschaft Informatik und Softwaretechnik vertritt 1800 Studenten 30 Aktive B.Sc. Informatik 180 239 B.Sc. Softwaretechnik 150 203 B.Sc.

Mehr

Top hosting countries

Top hosting countries Total number of scholarship holders: 254 male 116 female 138 54% Gender distribution 46% male female Top hosting countries hip holders Number of applications Number of project offers Kanada 66 114 448

Mehr