SWR 2 Musikstunde mit Christian Schruff Mittwoch,

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2 Musikstunde mit Christian Schruff 2 Musikstunde mit Christian Schruff " Kammermusik nimmt nur einen kleinen Raum ein in Peter Tschaikowskys Werkverzeichnis. Und eine Gattung fehlt ganz: die Sonate. Es gibt nur eine Klaviersonate. Die hat Tschaikowsky als Student geschrieben, veröffentlicht wurde sie erst nach seinem Tod. Tschaikowsky interessierten ganz eindeutig andere Gattungen mehr, Gattungen, die seinem Ausdrucksbedürfnis entgegen kamen: Symphonie, Oper und Ballett. In seinen Streichquartetten vor allem im zweiten hat Tschaikowsky sich aber den Freiraum für diesen Ausdruck erarbeitet. Nach dem Quartett Nr. 3 hat sich Tschaikowsky bewusst gegen weitere Quartette entschieden. Seinen nächsten Ausflug in die Kammermusik hat er erst 5 Jahre später unternommen mit dem Klaviertrio. Das werde ich Ihnen heute unter anderem vorstellen. Begrüßen möchte ich Sie allerdings mit drei kleinen Stücken für Geige und Klavier, die eher zufällig entstanden sind. Die Geigerin Julia Fischer spielt zuerst die Mélodie in Es-Dur, op. 42, Nummer 3. Am Klavier Yakov Kreizberg. Musik 1 Track 8 3:10 Peter Tschaikowsky: Souvenir d un lieu cher op Satz: Mélodie Julia Fischer, Violine Yakov Kreizberg, Klavier PENTATONE, , LC Julia Fischer und Yakov Kreizberg mit der Mélodie von Peter Tschaikowsky. Sie ist das Schlussstück in einem kleinen Opus für Geige und Klavier mit dem Titel Souvenir d un lieu cher Andenken an einen geliebten Ort. Eigentlich eher Salonstücke als Kammermusik im strengen Sinn. Vielleicht haben Sie in der Mélodie eine gewisse Nähe zum Violinkonzert von Tschaikowsky bemerkt. Das Violinkonzert spielt tatsächlich eine Rolle in diesem Souvenir. Zwei andere Rollen spielten zwei Frauen in Tschaikowskys Leben: Die eine hat er geheiratet. Ein fataler Schritt, um seine Homosexualität zu verbergen. Die Ehe mit Antonina Milyukova hat ihn an den Rand des Wahnsinns gebracht. Auf der Flucht vor Antonina, aber wohl auch vor sich selbst und vor seiner Krise, ist Tschaikowsky in die Schweiz gereist.

3 Musikstunde mit Christian Schruff 3 Dort hat er nicht nur die Partitur seiner 4. Symphonie fertig instrumentiert hat, sondern auch die Oper Eugen Onegin vollendet hat und sein Violinkonzert. So gesehen ist die Krise also durchaus fruchtbar gewesen. Dabei kam die zweite Frau ins Spiel, die Mäzenin Nadeschda von Meck. Sie hat Tschaikowsky über 14 Jahre lang unterstützt und mit ihm Tausende Briefe gewechselt. Zur Abmachung gehörte aber auch, dass man sich niemals sehen sollte. Als nun Tschaikowsky aus der Schweiz wieder nach Russland zurückkehrte, da hat er um Moskau noch einen weiten Bogen gemacht, um seine Ehefrau nicht treffen zu müssen. Die Gönnerin, Frau von Meck, hat ihr Landgut Brailow für einige Wochen zur Verfügung gestellt, in denen Sie selbst nicht dort weilte. So wurde Brailow der lieu cher, der geliebte Ort. Zum Dank hat Tschaikowsky drei Salonstücke dort gelassen. Selten werden die heute in der Originalversion für Geige und Klavier gespielt. Aber ich habe zwei besondere historische Aufnahmen gefunden. Hier das Scherzo, gespielt von Nathan Milstein Musik 2 Track 12 3:11 Peter Tschaikowsky: Souvenir d un lieu cher op Satz: Scherzo Nathan Milstein, Violine Leopold Mittman, Klavier BIDDULPH, 096, LC3199 Nathan Milstein mit dem Scherzo, dem Mittelsatz aus Tschaikowskys Souvenir d un lieu cher. Begleiter in dieser Aufnahme von 1938 war Leopold Mittman. Der wohl bekannteste Satz aus diesem Opus ist der 1. Satz, die Méditation. Ihn hatte Tschaikowsky ursprünglich als langsamen Satz für sein Violinkonzert geschrieben. Mit diesem Satz war er aber nicht zufrieden jedenfalls nicht im Umfeld der beiden anderen Konzertsätze. Auf Gut Brailow, dem geliebten Ort, holte er ihn nun wieder hervor und machte ihn zum Eröffnungssatz seines Souvenir d un lieu cher. Auch von diesem Stück habe ich ein besondere Aufnahme: Im Juni 1969 war der Ausnahmegeiger Michael Rabin in Berlin zu Gast. Eine Woche vor seinem Auftritt in der Philharmonie hat er im Studio des RIAS Berlin unter anderem die Méditation aufgenommen. Musik 3 Track 7 6:40 Peter Tschaikowsky: Souvenir d un lieu cher op Satz: Méditation Michael Rabin, Violine Lothar Broddack, Klavier AUDITE, , LC04480

4 Musikstunde mit Christian Schruff 4 Der Geiger Michael Rabin, begleitet von Lothar Broddack, spielte die Méditation, den ersten Satz aus dem Souvenir d un lieu cher von Peter Tschaikowsky. Ein Dankeschön für Nadeschda von Meck, die Tschaikowsky ihr Gut Brailow für einige Wochen als Zuflucht überlassen hatte. Frau von Meck war es auch, die Tschaikowsky um ein Klaviertrio gebeten hat. Peter Iljitsch, warum haben Sie noch nie ein Trio geschrieben?. Seine Antwort war höflich er wolle ihren Wunsch gerne erfüllen aber im Kern doch ablehnend, denn Tschaikowsky schrieb weiter: Wie unnatürlich ist die Verbindung von Geige, Cello und Klavier! Jedes Instrument verliert den ihm eigentümlichen Reiz. Ein Trio setzt ja Gleichberechtigung und Gleichartigkeit voraus; wie kann jedoch eine solche zwischen Streichinstrumenten einerseits und dem Klavier andererseits vorhanden sein? Sie fehlt. Deshalb haben Klaviertrios stets etwas Gekünsteltes. Musik 4 Track 1 3:50 Langsam ausblenden ab 3:30 3:50 Peter Tschaikowsky: Klaviertrio a-moll, op Satz - Anfang: Pezzo elegiaco Yefim Bronfman, Klavier Cho-Liang Lin, Violine Garry Hoffman, Cello SONY, 53269, LC06868 Klaviertrios haben stets etwas Gekünsteltes, hatte Peter Tschaikowsky im Oktober 1880 an seine Gönnerin Nadeschda von Meck geschrieben, und noch hinzugefügt: Deshalb könnte ich für diese Klangkombination keine von echtem Gefühl beseelte Komposition schreiben. 15 Monate später war diese sehr wohl von echtem Gefühl beseelte Musik fertig: das Klaviertrio a-moll op. 50. Den Anfang des fast 18 Minuten dauernden 1. Satzes haben Sie gerade gehört mit dem Pianisten Yefim Bronfman, dem Geiger Cho-Liang Lin und dem Cellisten Garry Hoffman. Was also hatte den Sinneswandel bei Tschaikowsky innerhalb so kurzer Zeit bewirkt? Nikolai Rubinstein war gestorben im Alter von nur 45 Jahren. Zur Erinnerung an ihn, den Freund, den Förderer, auch den scharfen Kritiker, hat Tschaikowsky das Trio komponiert. Und dabei ist er seiner kritischen Haltung zum Klaviertrio durchaus treu geblieben. Denn ein echtes Trio, in dem alle drei Stimmen gleichberechtigt sind, hat er in diesem riesigen Werk gar nicht geschaffen. Das Klavier konzertiert, Geige und Cello sind Begleiter. Das Stück ist eine Hommage an Nikolai Rubinstein, der ein großer Pianist gewesen ist und der den Grund gelegt hat für die russische Klavierschule.

5 Musikstunde mit Christian Schruff 5 Nach dem eröffnenden elegischen Stück folgt ein noch größer angelegter Variationensatz. Das Thema trägt das Klavier allein vor und auch bei den Variationen behält es die Oberhand. In dieser Musikstunde habe ich für Sie das Thema und sechs Variationen. Wieder eine besondere historische Aufnahme: Jascha Heifetz, Geige, und Gregor Piatigorski, Cello, begleiten Artur Rubinstein. Der ist übrigens kein Verwandter von Nikolai Rubinstein... Musik 5 Tracks 2 8 7:38 Peter Tschaikowsky: Klaviertrio a-moll, op Satz: Thema & Variationen I - VI Jascha Heifetz, Violine Gregor Piatigorski, Violoncello Artur Rubinstein, Klavier BMG, , LC00316 Artur Rubinstein spielte mit Jascha Heifetz und Gregor Piatigorski das Thema und die ersten 6 Variationen aus dem Klaviertrio a-moll vom Peter Tschaikowsky. Am Ende des Werks, nach rund 45 Minuten kehrt das Klagethema des Elegischen Stücks, des 1. Satzes also, zurück und mündet in einen leise sich entfernenden Trauermarsch. Mit diesen Gedenkstück zur Erinnerung an einen großen Künstler hat Peter Tschaikowsky eine neue Gattungstradition in Russland begründet: Rachmaninow hat ein entsprechendes Klaviertrio auf den Tod von Tschaikowsky geschrieben, Anton Arensky hat seinen Lehrer ebenso geehrt und auch Dmitri Schostakowitsch steht mit einem Werk in dieser Reihe. Hier noch einmal das Trio um den Pianisten Yefim Bronfman. Musik 6 Track 16 3:36 Peter Tschaikowsky: Klaviertrio a-moll, op Satz - Ende: Andante con moto - Lugubre Yefim Bronfman, Klavier Cho-Liang Lin, Violine Garry Hoffman, Cello SONY, 53269, LC06868 Ein Jahrzehnt lag nun noch vor dem letzten Kammermusikwerk von Peter Tschaikowsky. Der Meister war fast 50 Jahre alt und inzwischen ein gefeierter Komponist. Sogar der Zar hatte die Generalprobe des Balletts Dornröschen durch seine Anwesenheit geehrt.

6 Musikstunde mit Christian Schruff 6 Doch Tschaikowsky steckte in einer Krise. Er floh vor dem Winter in St. Petersburg in wärmere Gefilde: nach Florenz. Von dort schrieb er an Alexander Glasunow: Ich bin in einen sehr seltsamen Geisteszustand geraten. Es geht etwas in mir vor, das ich nicht ergründen kann. Eine Art Lebensmüdigkeit, eine Enttäuschung, manchmal eine schreckliche Verzweiflung, an deren Ende nicht die Erwartung neuer Lebenslust sondern ewige Hoffnungslosigkeit wartet. Doch in den ersten Wochen in Florenz kam die Wende und Tschaikowsky vollendete dort erstaunlich rasch die Oper Pique Dame. Es drängte ihn zurück in die Heimat. Vorher machte er aber noch einen Besuch in Rom, das ihn sofort mehr begeisterte als Florenz. Er schrieb: Es war nicht die Schuld des armen, schuldlosen Florenz, dass mir die Stadt so verhasst wurde, wo ich doch allen Grund habe, ihr dafür dankbar zu sein, das ich meine Pique-Dame dort ungestört schreiben konnte. Zurück in Russland, nach seinem 50. Geburtstag, begann Tschaikowsky der Stadt Florenz einen musikalischen Dank zu schreiben: Das Sextett op. 70. Es steht zwar in d-moll, ist aber durchaus von italienischem Licht durchflutet. Das Thema des langsamen Satzes soll Tschaikowsky sogar in Florenz eingefallen sein. Daher der Titel dieses Sextetts: Souvenir de Florence. In jener Serenade gibt es aber auch durchaus kurze Momente der Eintrübung, des Geisterhaften. Vielleicht ein Reflex der schwereren Stunden in Florenz. Tschaikowsky lässt da die sechs Streicher einen besonderen Effekt erzeugen: indem sie nur mit der Spitze ihres Bogens spielen, entsteht dieser schattenhafte Klang. Hören Sie zum Ende des Musikstunde über die Kammermusik von Peter Tschaikowsky noch einmal das Ensemble, dem ich die Idee für diese Sendungen verdanke: das Klenke-Quartett, erweitert zum Sextett durch den Bratscher Harald Schoneweg und den Cellisten Klaus Kämper. Musik 7 CD I / Track 7 ab 2:57 7:12 Peter Tschaikowsky: Streichsextett d-moll op. 70 Souvenir de Florence 2. Satz: Adagio cantabile e con moto Klenke Quartett mit Harald Schoneweg (Viola) & Klaus Kämper (Vlc) BERLIN CLASSICS, , LC06203 Das Streichsextett Souvenir de Florence war für Peter Tschaikowsky noch einmal eine echte Herausforderung der kammermusikalischen Art. Er wollte ein echtes Sextett schreiben, wollte also auf keinen Fall eine Musik schreiben, die nach einem kleinen Orchester klingen könnte.

7 Musikstunde mit Christian Schruff 7 So klagte er seinem Bruder Modest gegenüber: Schreibe unter ungewöhnlichem Druck. Bin in Verlegenheit nicht wegen eines Mangels an Ideen, sondern infolge der mir neuen Form. Ich brauche sechs unabhängige und gleichzeitig ähnliche Stimmen. Das ist unglaublich schwierig. Einen knappen Monat später aber waren alle diese Probleme überwunden. Und Tschaikowsky meldete die Vollendung seines letzten kammermusikalischen Werkes an Modest: Was für ein Sextett und was für eine Fuge am Schluss es ist ein Vergnügen! Schrecklich, wie zufrieden ich mit mir bin.... Musik 8 CD I / Track 9 7:03 Peter Tschaikowsky: Streichsextett d-moll op. 70 Souvenir de Florence 2. Satz: Adagio cantabile e con moto Klenke Quartett mit Harald Schoneweg (Viola) & Klaus Kämper (Vlc) BERLIN CLASSICS, , LC06203