Die Peiner Silberbarren. Zeugnisse der spätmittelalterlichen Geschichte Niedersachsens

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1 36 F Ü H R U N G S B L A T T Die Peiner Silberbarren Zeugnisse der spätmittelalterlichen Geschichte Niedersachsens

2 Geld dieser Begriff spielt heute mehr denn je eine herausragende Rolle im Leben der Menschen, er gilt als Motor der Wirtschaft und Grundlage unserer Existenz. Die Macht, die dem Gelde innewohnt, fasziniert die menschliche Natur seit Jahrtausenden, trotz oder gerade wegen der Fähigkeit, seinen Besitzer zu beherrschen und dessen Wesen zu verändern. Die spätmittelalterlichen Silberbarren aus den Schatzfunden in Peine stellen ein einzigartiges und wichtiges Zeugnis der spätmittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte der Stadt Peine und ganz Norddeutschlands dar. Wegen ihrer herausragenden historischen Bedeutung wurden sie in der großen Mittelalterausstellung»Aufbruch in die Gotik«in Magdeburg ausgestellt, bevor sie im Kreismuseum Peine nun endgültig in eine Dauerausstellung integriert worden sind. Die mittelalterlichen Barren von Peine, datiert vor 1382 n. Chr., wurden bei Bauarbeiten 1954 und 1956 in der Stederdorfer Str. 34 und am Horstweg gefunden. Mit insgesamt 97 Stück handelt es sich um den größten erhaltenen mittelalterlichen Barrenbestand überhaupt. Da die Silberbarren wegen ihres hohen Materialwertes bis in die Neuzeit hinein eingeschmolzen wurden, haben nur wenige dieser einzigartigen Zeugnisse unserer Ahnen die turbulenten Zeiten überlebt. Die wissenschaftliche Untersuchung dieser repräsentativen Anzahl von Barren ermöglichte es, gesicherte Schlussfolgerungen über deren Verbreitung, Einsatz und die Herkunft des Silbers zu tätigen. Die Analysen am Institut für Anorganische Chemie der Universität Hannover 2 haben ergeben, dass das Silber für die Barren hauptsächlich aus dem damals silberreichen Harz stammt und in Form der Barren sogar in den wichtigsten Handelszentren in Europa, wie der Champagne, Florenz und Venedig, gehandelt wurde. Diese Ergebnisse heben die Bedeutung des Harzes als wichtiger Edelmetalllieferant des Mittelalters hervor. Die Silberminen im Harz nahmen im Mittelalter eine entscheidende wirtschaftspolitische Bedeutung ein. Um den Zugang zu diesen Minen, welche die kriegsrelevante Kontrolle über den Silberkreislauf im gesamten deutschen Reich erlaubten und um die Herrschaft der nahe gelegenen Kaiserpfalz Goslar stritten schon der Welfenherzog Heinrich der Löwe und Kaiser Friedrich Barbarossa. Dass der größte Fund von Silberbarren nun in Peine gehoben wurde, lässt die Rolle, welche Peine im Handelsverkehr Niedersachsens einnahm, in einem neuen Licht erscheinen. Die Funde stellen mit insgesamt knapp 9,4 kg Silber ein ansehnliches Vermögen dar, welches für das mittelalterliche Peine nicht erwartet wurde. Möglicherweise war Peine schon im 14. Jahrhundert ein nicht zu vernachlässigender Standort entlang der Handelsrouten gewesen. Weitere historische Untersuchungen sollen die Rolle Peines im mittelalterlichen Wirtschaftsverkehr genauer klären. Der folgend skizzierte geschichtliche Hintergrund soll dazu dienen, die wirtschaftlich-politischen Zusammenhänge, die zur Verbreitung der Silberbarren im mittelalterlichen Zahlungsverkehr führten, besser zu verstehen. Zur Geschichte der Barrenwährung Seit nun über 2600 Jahren kennzeichnet der Begriff Geld in Europa geprägtes Metall, besonders in Form von Münzen. Doch wenn der Begriff Geld, hervorgegangen aus dem mittelhochdeutschen»gelt«(ersatz, Vergütung, Wert, Preis, Vergeltung) 3 auf seine Grundbedeutungen reduziert wird, bleibt nur ein allgemein anerkannter, aus dem Tauschverkehr hervorgegangener Rechnungs-, Wertaufbewahrungs- und Preismaßstab, der an keine bestimmte Form gebunden ist. Dieser Maßstab richtet sich meist an einer bestimmten Menge eines begehrten Stoffes aus, oft eines Metalls. So ist es nicht verwunderlich, dass die ursprünglichste und natürlichste genormte Form des Geldes seit über 4000 Jahren als Metallbarren Verwendung findet. Metallbarren in vielerlei Formen und Gewichten wurden seit der frühen Bronzezeit (ab ca v. Chr.) als Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel benutzt und bilden auch heute bei vielen internationalen Transaktionen (z. B. bei Tilgung von Staatsschulden durch Gebrauch von Goldbarren) das Mittel der Wahl. Die Spur des Barrengeldes zieht sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte. Die alten Ägypter nutzten Barrengeld in Form von Edelmetallringen und -bruchstücken, Kelten und Germanen gebrauchten Bronzeringe und hochwertige Eisenbarren zu Handelszwecken 3, auch die Römer, die zusammen mit den Griechen als Vorreiter der europäischen Zivilisation gelten, nutzten in ihrer Frühzeit bis etwa 200 v. Chr. Bronzebarren (aes rude, aes grave und aes signatum) 4 als Geld. 2 Lehmann, R., Charakterisierung inhomogener Materialien am Beispiel mittelalterlicher Silberbarren, Diplomarbeit, Leibniz Universität Hannover, Hannover, Die Promotionsarbeit über die Untersuchung aller mittelalterlicher deutscher Silberbarren ist ab Mitte 2010 verfügbar. 3 Klütz, K., Münznamen und ihre Herkunft, moneytrend Verlag, Wien, Kahnt, H., Das Große Münzlexikon, Gietl Verlag, 1. Auflage, Regenstauf 2005.

3 Trotz des hoch entwickelten römischen Münzsystems waren in Rom bis zum Untergang des Römischen Reiches Gold- und Silberbarren als Ergänzung zu den Münzen in Gebrauch. Wie in Abb. 2 dargestellt, hatten Silberbarren der Antike und des Mittelalters eine gänzlich andere Form und Gestalt als heutiges Barrensilber. So ist das hier dargestellte römische Stück einer Doppelaxt- oder Fellform nachempfunden 5, während Stücke des deutschen Mittelalters meistens der Form einer Halbkugel oder Kalotte entsprachen. Den Barren gemein sind lediglich die Kontrollstempel, welche die Herkunft, Feinheit oder das Gewicht garantieren sollten. 5 Im Mittelalter nahmen Silberbarren den Stellenwert von gewogenem Geld ein, welches für größere Transaktionen sowie für den überregionalen Handel bestimmt war, da das kursierende Kleingeld diese Funktion nicht erfüllen konnte und es allgemein an großen Münznominalen mangelte (Abb. 3). Das ganze Mittelalter war eine Blütezeit des Barrengeldes, so war Barrensilber in Nordeuropa, Russland und Ostasien weit verbreitet. 4 In Ostasien und Afrika wurde Barrengeld teilweise noch bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts benutzt, und sogar heute noch werden in Indien und manchen Ländern des Nahen Ostens kleine Goldbarren als inoffizielles Zahlungsmittel gebraucht 6. Während die römischen Silberbarren reine Soldzahlungen und Geschenke des Kaiserhauses darstellten, waren Barren im Mittelalter ein beliebtes Zahlungsmittel für Großgeschäfte und den Fernhandel. Hierfür wurden sie bei Bedarf auch zerteilt oder zur Erfüllung eines bestimmten Feingehaltsstandards umgeschmolzen. Silberbarren wurden im Deutschen Reich schon seit dem 10. Jh. für die Zahlung größerer Summen, meist im Gewicht einer Mark 7, verwendet. Die Mark war eine alte Gewichts- und Rechnungseinheit, die anfangs etwa einem halben römischen Pfund entsprach, später 233,856 g. 4 In vielen Teilen Deutschlands gab es eigene, ähnlich schwere Markgewichte (wie die Braunschweiger, Erfurter oder Lübecker Mark) 8, doch letztendlich war es die Kölnische Mark, die sich durchsetzte und zur Grundlage vieler deutscher Währungssysteme wurde. 7 Der Wert eines mittelalterlichen Barrens im Gewicht einer Mark entsprach etwa dem Kaufpreis für ein Stück Land oder ein kleines Bauernhaus mit Stall, weshalb Silberbarren auch regen Einsatz beim Immobilienhandel fanden, was durch zahlreiche Urkunden belegt wird. 8 Allerdings konnten mit den damaligen Herstellungstechniken keine genauen Gewichte eingehalten werden. Dies führte dazu, dass die Barren immer abgewogen und wegen des hohen Wertes bei Bedarf auch zu Teilstücken zerhackt werden mussten. Die Feinheit wurde seit dem 13. Jh. meistens durch den Stempel des Silberbrenners und den des Stadtrates garantiert. Die bevorzugte Form der deutschen Silberbarren war dabei meist halbkugelförmig, entsprechend der einfachsten Form der Tontiegel, in die das geschmolzene Silber gegossen wurde. 7 Im Zuge eines Wandels des deutschen feudalen Systems im späten 12. und frühen 13. Jh. verfiel auch die Münzwährung, die zu damaliger Zeit in Deutschland einzig aus dem Silberpfennig (Denar) bestand. Die Münzherren, welche das Münzrecht von ihren Feudalherren durch Kauf erwerben konnten, nutzten es fast ausschließlich zur schnellen Bereicherung und verminderten immer mehr den Silbergehalt und das Gewicht der Pfennige. Hinzu kam eine regelmäßige Münzverrufung, bei der die alten Geldsorten für ungültig erklärt wurden und mit Verlust für den Besitzer gegen neue umgetauscht werden mussten. Die Zahl der Münzstätten stieg rasant an, ebenso rasant wie das Vertrauen der Bevölkerung in die Währung schwand. In diesen Zeiten, wo die verschlechterten Silberpfennige oft überbewertet umliefen, spielte das Barrensilber eine besonders wichtige Rolle im Zahlungsverkehr. 7 Besonders für größere Zahlungen, wie Kauf- und Rentenverträge oder Schuldverschreibungen, war es praktischer, kompakte, wertstabile Barren an Stelle einer großen Menge von geringhaltigen Münzen zu benutzen, deren Feingehalt darüber hinaus stark schwanken konnte und deshalb ein Risiko für Großzahlungen darstellte. 5 Wiegels, R., Silberbarren der römischen Kaiserzeit, Katalog und Versuch einer Deutung, Rahden, Freiberger Beiträge zur Archäologie und Geschichte des ersten Jahrtausends. 6 Anikin, A., Gold, Die Wirtschaft, Berlin, Denicke, J., Das gestempelte Barrensilber als Zahlungsmittel im mittelalterlichen im mittelalterlichen Braunschweig, in: Numismatisches Nachrichtenblatt, 33, 1984, S Von Loehr, A., Probleme der Silberbarren, in: Numismatische Zeitschrift, Neue Folge, 24, 1931, S

4 Weltliche und geistliche Münzherren versuchten oft vergeblich, das Barrengeld zu verbieten, weil es ihren Gewinn (d.h. den Schlagschatz Einkünfte aus unterwertigen Prägungen) minderte. Barrengeld wurde deswegen oft von Kaufleuten und Stadtherren ausgebracht, die ein Interesse an einer stabilen Währung von gutem Ruf hatten. Besonders im interregionalen und internationalen Handel spielten Silberbarren eine bedeutende Rolle, da sich die europäische Goldwährung im 13. Jh. gerade erst in der Entstehungsphase befand. Hier sollte bedacht werden, dass Gold in Europa zu dieser Zeit knapp, Silber jedoch in ausreichender Menge verfügbar war, so dass den Silberbarren die alleinige Rolle der Großwährung zufiel. Deutsches Silber lief in so manchen Teilen Europas um, von dem französischen Messe- und Handelsschwerpunkt in der Champagne bis zu den bedeutenden Finanz- und Handelszentren in Norditalien. 9, 10 Im Handel wurden die Barren auch deswegen bevorzugt, weil durch ihre Benutzung der häufig notwendige Geldwechsel in verschiedene Landeswährungen und die damit verbundenen Gebühren wegfielen. Seit etwa 1250 wurden neben den Münzen auch die deutschen Silberbarren häufig nicht mehr rein, sondern 13-lötig (mit etwa 80 % Silbergehalt, im Gegensatz zu 16-lötig = 100 %) oder noch unterwertiger ausgebracht, was eine enorme Variation in Gewicht und Feinheit mit sich brachte. Die Vielfalt der Gewichte und Feinheiten beim Barrengeld nahm in Norddeutschland jedoch ein Ende, als im Vertrag von 1382 zwischen den Städten Braunschweig, Goslar, Hildesheim, Hannover, Einbeck, Osterode, Wernigerode, Göttingen, Hameln, Halberstadt, Quedlinburg und Aschersleben für das Barrensilber ein einheitlicher Feingehalt von 12 ¾ Lot (ca. 79,7 %) 7 festgesetzt wurde. Solche Währungsverträge zwischen Städten kamen in Deutschland Ende des 14. Jh. in Mode, um die eigene Wirtschaft zu stärken und der wachsenden Konkurrenz durch die blühenden Handelszentren in Norditalien und Flandern zu begegnen. Die Besonderheit des Vertrages von 1382 besteht darin, dass er der einzige seiner Art war, der die Standardisierung des Barrensilbers regelte. Anfang des 15. Jhs. begann die Zeit des Silberbarrengeldes in Norddeutschland abzulaufen, immer öfter wurden Goldmünzen, wie der rheinische Goldgulden, anstelle der großen und unhandlichen Barren verwendet. Die Mark des Barrensilbers glich sich im Feingehalt immer mehr an die Mark der geprägten Pfennige an, so dass sie zur Mitte des 15. Jahrhunderts zu einer bloßen Rechnungseinheit verkam. In Ländern wie Ungarn, Frankreich, den Niederlanden und Italien verschwanden die Silberbarren bereits um 1350 fast vollständig aus dem Verkehr. In den nordöstlichen Gebieten Europas, wohin das Goldgeld nur langsam vordrang, so im Norden Deutschlands, dann in Polen, dem Baltikum und in Russland, spielte das Silberbarrengeld hingegen noch im 15. Jh. viele Jahre lang eine bedeutende Rolle, bis es schließlich der modernen Geldwährung in Form des Silbertalers und des Golddukaten weichen musste. 3 Die Ausstellung dieses Barrengeldes soll dem modernen Betrachter die Wurzeln der Wirtschaft und der metallurgischen Fähigkeiten unserer Ahnen aufzeigen, und die fortlaufende Entwicklung auf diesen Gebieten bis in die heutigen Tage verdeutlichen. Dr. Robert Lehmann, Leibniz Universität Hannover, Pegolotti, Francesco Balducci, La practica della mercatura. Ed. Allan Evans, Medieval Academy of America XXIV, Cambridge, Mass., Spufford, Peter, Money and its use in medieval Europe, Cambridge University Press, London, Fotos: Dr. Robert Lehmann

5 I Titelmotiv: Auswahl einiger spätmittelalterlicher Silberbarren aus den Peiner Funden von insgesamt 97 Barren (Bestand Kreismuseum und Stadtarchiv Peine, Foto aus dem Bericht der Peiner Allgemeinen Zeitung vom ). Für einen solchen Barren aus dem 13./14. Jh. mit etwa 6 bis 7 cm Durchmesser im Gewicht einer Kölner Mark (etwa 233 g) konnte man ein Stück Land erwerben. Die Stempelung auf den meisten Barren zeigt den Löwen von Braunschweig (Hoheitsgebiet Braunschweig) und eine individuelle Marke des Silberbrenners. II Formvergleich von Barren verschiedener Epochen. Links römischer Silberbarren im Gewicht eines römischen Pfundes (327,63 g, 7x10 cm, Niedersächsisches Landesmuseum). Mittig spätmittelalterlicher Barren des Norddeutschen Raumes im Gewicht einer Kölner Mark (233, 856 g, 6 bis 7 cm Durchmesser, Kalottenform, Kreismuseum Peine). Rechts moderner Silberbarren. Die Reihe spiegelt den hohen Wert des Silbers in historischer Zeit und den modernen Wertverfall des Silbers wieder. Während man für 7 römische Barren noch einen Sklaven erwerben konnte und für den mittelalterlichen Barren immerhin ein ansehnliches Stück Land, kosten heute 300 g Feinsilber nur noch knapp über 120 Euro. > bitte wenden! 1 Presseberichte, Peiner Allgemeine Zeitung vom und Braunschweiger Zeitung vom

6 Das Währungssystem in Norddeutschland um 1400 nach Christus. Da Gold für den Markt besonders vor 1350 in Norddeutschland nicht im ausreichenden Maß zur Verfügung stand, es an schweren Silbermünzen ebenfalls mangelte und die leichten Pfennige keine hohe Kaufkraft hatten, nahmensilberbarren die Funktion von Großgeld ein. Sie wurden im Immobilienhandel, für Großtransaktionen zwischen Adelshäusern und für den Fernhandel eingesetzt, bis sie im 15. Jh. durch einströmendes Gold (Goldmünzen waren leichter handhabbar als die sperrigen Barren) aus dem Süden verdrängt wurden. Hamburger Witten vor 1379, < 2g Lübecker Goldgulden nach 1341 (20mm, ca. 3,5 g) Hannoverscher Helmpfennig Braunschweiger»Ewiger Pfennig«Goslarer Matthiaspfennig ab 1413 (22mm / um 0,7 Gramm) um 1430 (22mm, ca. 0,3 g) Silbermark aus dem Hoheitsgebiet Braunschweig, nach der Barrenunion 1382, gekennzeichnet durch die eingepunzte Krone (60 mm, 233 g)