Predigt im Gottesdienst am Muttertag Sonntag 14. Mai 2017 reformierte Kirche Birmensdorf Dankbarkeit die Mutter aller Tugenden

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1 Predigt im Gottesdienst am Muttertag Sonntag 14. Mai 2017 reformierte Kirche Birmensdorf Dankbarkeit die Mutter aller Tugenden Lesung - Psalm Von David. Lobe den HERRN, meine Seele, und alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen. 2 Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. 3 Der all deine Schuld vergibt und alle deine Krankheiten heilt, 4 der dein Leben aus der Grube erlöst, der dich krönt mit Gnade und Erbarmen, 5 der dich mit Gutem sättigt dein Leben lang. Dem Adler gleich erneuert sich deine Jugend. 6 Taten der Gerechtigkeit vollbringt der HERR und Recht für alle Unterdrückten. 7 Seine Wege hat er Mose kundgetan, den Israeliten seine Taten. 8 Barmherzig und gnädig ist der HERR, langmütig und reich an Güte. 9 Nicht für immer klagt er an, und nicht ewig verharrt er im Zorn. 10 Nicht nach unseren Sünden handelt er an uns, und er vergilt uns nicht nach unserer Schuld. 11 So hoch der Himmel über der Erde, so mächtig ist seine Gnade über denen, die ihn fürchten. 12 So fern der Aufgang ist vom Untergang, so fern lässt er unsere Verfehlungen von uns sein. 13 Wie ein Vater sich der Kinder erbarmt, so erbarmt der HERR sich derer, die ihn fürchten. 14 Denn er weiss, welch ein Gebilde wir sind, bedenkt, dass wir Staub sind.

2 15 Des Menschen Tage sind wie Gras, er blüht wie eine Blume des Feldes: 16 Wenn der Wind darüber fährt, ist er dahin, und seine Stätte weiss nicht mehr von ihm. 17 Aber die Gnade des HERRN währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten, und seine Gerechtigkeit über Kindeskindern, 18 über denen, die seinen Bund halten und seiner Gebote gedenken in der Tat. 19 Der HERR hat im Himmel seinen Thron errichtet, und sein Königtum herrscht über das All. 20 Lobt den HERRN, ihr seine Boten, ihr starken Helden, die ihr sein Wort vollbringt, gehorsam seinem gebietenden Wort. 21 Lobt den HERRN, all seine Heerscharen, ihr seine Diener, die ihr seinen Willen tut. 22 Lobt den HERRN, all seine Werke, an allen Orten seiner Herrschaft. Lobe den HERRN, meine Seele. Predigt «Dankbarkeit ist nicht nur die grösste aller Tugenden, sondern auch die Mutter von allen.» Liebe Mitfeiernde, diese Worte stammen von Marcus Tullius Cicero, dem berühmten Philosophen, der vor über zweitausend Jahren im antiken Rom gelebt hat. Damals gab es den Muttertag, den wir alljährlich feiern, natürlich noch nicht. Der Muttertag ist eine neuzeitliche Erfindung. Gleichwohl ist es interessant, dass Cicero die Dankbarkeit als die «Mutter aller Tugenden» bezeichnet. Die Dankbarkeit ist also, bildlich gesprochen, eine Mutter, aus der alle anderen vorzüglichen Tugenden hervorgehen. 2

3 Wenn wir heute den Muttertag feiern, steht auch die Dankbarkeit in der Mitte. Die Dankbarkeit gegenüber der Mutter. Der Dank für ihre Fürsorge, Zuwendung und Liebe. Das ist etwas sehr Schönes und Gutes. In dieser Predigt möchte ich mich der Dankbarkeit grundsätzlich zuwenden. Der Muttertag ist also heute Anlass, über Dankbarkeit nachzudenken. Sie haben sicher bemerkt, dass auch in der heutigen Bibellesung die Dankbarkeit im Mittelpunkt steht. In seinem Psalm lobt der biblische König David Gott für seine Zuwendung, Güte und Treue. Gott loben bedeutet: Gott preisen, Gott danken. Das Gotteslob ist also nichts anderes als Ausdruck einer tiefen Dankbarkeit. Was ist Dankbarkeit? Wodurch kommt sie zustande? Und was bewirkt sie? Cicero bezeichnet die Dankbarkeit als die grösste und als die Mutter aller Tugenden. Dankbarkeit ist also eine Tugend. Was ist eine Tugend? Eine Tugend ist eine besondere Charaktereigenschaft, die einen Menschen befähigt, das Gute zu verwirklichen. Durch eine Tugend entsteht also Gutes. Das Gute, gleichbedeutend mit Glück, ist im antiken Denken das Ziel Daseins. Es geht also letztlich um das Gute für die Einzelnen und für die Gemeinschaft. Und dieses Gute wird eben durch Tugenden, durch hervorragende menschliche Charaktereigenschaften verwirklicht. Diese besitzt man jedoch nicht von Anfang an. Man muss sie sich vielmehr aneignen. Man muss sie im eigenen Leben kultivieren, üben. Diese Erkenntnis war im antiken Griechenland und Rom und auch in der alten Kirche sehr wichtig. Aber auch heute wird in vielen Büchern über Ethik und Moral wieder darüber geschrieben, wie wichtig es ist, dass Menschen ihren Charakter und damit ihre Tugenden ausbilden und kultivieren. Dankbarkeit ist also eine Tugend, eine herausragende menschliche Charaktereigenschaft, die Gutes bewirkt. Wer dankbar ist, ist glücklich und bringt Gutes in die Welt. Kann man Dankbarkeit üben? Ich denke ja. Allerdings vermute ich auch, dass Dankbarkeit etwas voraussetzt. Ein Mensch kann nur dann Dankbarkeit entwickeln, wenn ihm in seinem Leben Gutes und Glück widerfährt. Ohne diese Erfahrung 3

4 ist es schwer, dankbar zu sein. Denn wofür soll man dankbar sein, wenn man nur Leid und Unglück erlebt? Gutes und Glück sind also die Voraussetzungen für Dankbarkeit. An diesem Punkt möchte ich die Glaubensüberzeugung unserer kirchlichen Tradition ins Spiel bringen. Und zwar anhand der Dankbarkeit, die der biblische König David in seinem Psalm zeigt. David schreibt: «Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.» Davids Dankbarkeit richtig sich also an Gott. Und in Gott liegt auch der Grund für seine Dankbarkeit. Das Gute, welches die Voraussetzung für die Dankbarkeit bildet, ist Gott. Was hat Gott dem David Gutes getan? Interessant ist erst einmal, festzustellen, dass der biblische König David, gemessen an den üblichen Massstäben, eigentlich gar nicht so ein gutes Leben hatte. David musste viel erleiden und erdulden. Dazu kommt, dass Davids Charakter gar nicht immer so integer war, wie man meinen könnte. David hat Dinge getan, die moralisch fragwürdig sind. Er hat Schuld auf sich geladen. Das alles kann man in der Bibel im Detail nachlesen. Wichtig ist: Dennoch oder trotz allem ist David dankbar und lobt Gott. Er gilt als das grosse Vorbild der Dankbarkeit. Er ist der Dichter der vielen Psalmen der Dankbarkeit, die wir in der Bibel finden. Und das obwohl David in seinem Leben Schreckliches durchgemacht hat. Wie kommt das? Die Bedeutung des hebräischen Namens "David" sagt es uns schon. "David" bedeutet übersetzt "Geliebter". Der Name ist also schon Programm. Trotz allem Schicksal hat David offenbar immer wieder die Erfahrung gemacht, dass er ein von Gott Geliebter ist: Was auch geschehen ist, geschieht und geschehen wird Gott meint es gut mit mir, Gott liebt mich. Das Gute, das mir im Leben begegnet es ist Ausdruck von Gottes Liebe. Das Böse und das Leid, aber auch meine eigenen Verfehlungen ich verstehe es nicht, bereue sogar vieles. Aber Gott liebt mich, das weiss ich. Und Gott wird das Böse bestimmt richten und das Leid heilen. Wenn nicht hier, so doch in seiner Wirklichkeit. Wie David zu diesem alles überragenden Glauben an die Güte Gottes und zu der daraus resultierenden Dankbarkeit kam es bleibt ein Geheimnis. Aber dieser Glaube und diese Dankbarkeit sind da. Und sie bringen Glück und Gutes in Davids Leben auch in unser Leben? 4

5 Ich denke, der Glaube an Gott hat etwas unendlich Befreiendes. Wer darauf vertraut, dass die Bedeutung die wir als Menschen haben, in der Güte Gottes gründet, der braucht sich nicht mehr bis zur Erschöpfung einen eigenen Namen zu machen in dieser Welt. Wer darauf vertraut, dass Gott uns schön findet, der ist vom Zwang befreit, sich vor dem Spiegel selber schön zu machen. Wer darauf vertraut, dass Gott die Welt rettet, der ist befreit von dem Zwang die Welt selber retten zu wollen. Wer darauf vertrauen kann, dass Gott das Glück vollendet, der ist befreit von dem Zwang für Glück aber auch für Unglück allein selber verantwortlich zu sein. Wer darauf vertraut, dass er in Gott lebt, der kann auch in Unglück und Leid und selbst im Sterben immer noch Hoffnung haben. Könnte das Grund zur Dankbarkeit sein? Wahrscheinlich erst dann, wenn wir tatsächlich in unserem Leben die Erfahrung von Gottes Güte und Gottes Zuwendung machen. Wenn wir erfahren, dass wir von Gott tatsächlich geliebt sind. Dankbarkeit setzt ja, wie gesagt, die Erfahrung der Güte voraus. Aber hier muss noch etwas vorausgesetzt werden: Um diese Erfahrung der Güte Gottes überhaupt machen zu können, müssen wir wohl erst lernen, unser Leben im Licht Gottes zu deuten und zu verstehen. Anders geht es nicht. Hier sind wir gefordert. Wir müssen es üben. Und dazu brauchen wir Menschen, die uns sagen, was Begriffe wie "Gott" oder "Gottes Liebe" überhaupt bedeuten und wie wir das erfahren können. Dazu braucht es nicht zuletzt auch die Kirche und den Gottesdienst. Es ist ein Weg. Wir sind eingeladen diesen Weg des Glaubens miteinander zu gehen. Ein Weg, der zur Dankbarkeit führt und Glück und Gutes verspricht. «Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.» Amen. Aesch, 9. Mai 2017 Marc Stillhard 5