Fukushima Mühleberg: Sicherheit in Theorie und Praxis

Transkript

1 Fukushima Mühleberg: Sicherheit in Theorie und Praxis Air Photo Service Co. Ltd., Japan NWA-Schweiz Markus Kühni Dipl. Ing. ETH energisch.ch Flugaufnahme: Birdcam Solutions

2 Theorie 2

3 Fundamental-Prinzipien Nukleare Sicherheit, wie ist die Theorie? Air Photo Service Co. Ltd., Japan Flugaufnahme: Birdcam Solutions 3

4 Fundamental-Prinzipien Die Fundamentalprinzipien der Nuklearen Sicherheit sind international definiert Primäres Vorsorgeprinzip: «Defence in Depth» 4

5 Fundamental-Prinzipien Die Schweiz hat sich völkerrechtlich verpflichtet, «Defence in Depth» anzuwenden 5

6 Defence in Depth Konzept der gestaffelten Sicherheitsvorsorge Air Photo Service Co. Ltd., Japan Flugaufnahme: Birdcam Solutions 6

7 Defence in Depth Eingeständnis, dass das Versagen einer Schutzebene möglich ist Man will vermeiden, dass einzelnes Versagen gleich zur Katastrophe führt 7

8 Defence in Depth In der Kernenergie-Gesetzgebung verankert 8

9 Defence in Depth Die Nuklearbranche wirbt seit jeher damit ensi.ch, August 2013 Schweizerische Vereinigung für Atomenergie (SVA), Dezember

10 Defence in Depth Nochmals der wichtigste Punkt: 10

11 Defence in Depth Prävention interner Ereignisse (Kühlmittelverlust, etc.) Auslegung: Qualifizierte Sicherheitssysteme inkl. externe Ereignisse (Naturkatastrophe, etc.) interner Notfallschutz (mobile Pumpen, etc.) externer Notfallschutz (Evakuation, etc.) Tabelle: Eidgenössische Kommission für nukleare Sicherheit (KNS), März 2012, Reaktorkatastrophe von Fukushima Folgemassnahmen in der Schweiz, KNS-AN

12 Defence in Depth Das Prinzip ist nicht neu: Castelgrande, Bellinzona, 13. bis 15. Jahrhundert Foto: Wikimedia Commons 12

13 Defence in Depth «aufeinander folgende und voneinander unabhängige Schutzmassnahmen» externer Notfallschutz (Evakuation, etc.) interner Notfallschutz (mobile Ausrüstung, etc.) Qualifizierte Sicherheitssysteme Gefährdungsannahme (z.b. Höhe Überflutung) 13

14 Defence in Depth Kein Domino-Effekt erlaubt! 14

15 Defence in Depth Kein Domino-Effekt erlaubt! Das Versagen einer Barriere, darf nicht automatisch das Versagen der nächsten Barriere nach sich ziehen Das heisst: Annahmen zu Anforderungen an eine Barriere und deren Tauglichkeit dürfen nicht auf die nächste Barriere übertragen werden Barrieren dürfen nicht übersprungen werden 15

16 Praxis 16

17 Gefährdungsannahmen Vergleich Fukushima - Mühleberg Air Photo Service Co. Ltd., Japan Flugaufnahme: Birdcam Solutions 17

18 Fukushima - Gefährdungsannahme Die Gefährdungsannahmen für den Tsunami waren hochgradig fehlerhaft Statt maximal 5.7 Meter hoch, wie im Vorfeld behauptet, kam der Tsunami 14 Meter hoch Foto: TEPCO 18

19 Fukushima - Gefährdungsannahme Man hat nur ca. 100 Jahre Aufzeichnungen zu Tsunamis beachtet Historische Aufzeichnungen, z.b. Yogan-Erdbeben 869, ignoriert Warnsteine ignoriert Bau nicht unterhalb dieses Steins!, Bei Erdbeben, achte auf Tsunamis! Foto: AP, Spiegel Online, April,

20 Und Mühleberg? 20

21 Mühleberg - Gefährdungsannahme Trotz Lektion Nr. 1 aus Fukushima: Nicht neu bestimmt, sondern auf Geheiss ENSI aus Sicherheitsbericht «Ersatz Kernkraftwerk Mühleberg»

22 Mühleberg - Gefährdungsannahme Trotz Lektion Nr. 1 aus Fukushima: Annahme maximales Hochwasser = 2-tägiges Niederschlagsereignis 22

23 Mühleberg - Gefährdungsannahme Autor der Studie, auf welche sich die BKW bezieht, im «Bund»: «Der Bund»,

24 Mühleberg - Gefährdungsannahme Nicht nur Theorie: Christian Pfister, führender Klimahistoriker verweist auf 3-Tage-Niederschlag 1480 «Der Bund», Chronik Diebold Schilling 24

25 Mühleberg - Gefährdungsannahme Ursprünglicher, ausführlicher Bericht von Schweizer Radio DRS, (leider nicht mehr online) Das ist noch nicht alles: Schneeschmelze, Rutschungen ignoriert «Der Bund»,

26 Mühleberg - Gefährdungsannahme Fazit: Gefährdungsannahmen Mühleberg mindestens genau so bekanntermassen fehlerhaft wie in Fukushima Was sagt das ENSI? 26

27 Auslegung: Sicherheitssysteme Vergleich Fukushima - Mühleberg Air Photo Service Co. Ltd., Japan Flugaufnahme: Birdcam Solutions 27

28 Fukushima - Sicherheitssysteme Tsunami-Schutzwall wird überflutet Kühlwasserfassung zerstört Quelle: ENSI-AN

30 Mühleberg - Sicherheitssysteme Nur eine Kühlquelle: die Aare Kein Brunnen nachgerüstet, wie oft suggeriert* *Vgl. z.b. Folien Prof. H.-M. Prasser, ETHZ 30

31 Mühleberg - Sicherheitssysteme Kühlwasserfassung nur aus der Aare 1. Hilfskühlwassersystem Notstrom unsicher (Einzelfehlerprinzip) 2. Feinrechnen (kann verstopfen) SUSAN Reaktor Notstrom vom selben Kühlwasser abhängig 31

32 Mühleberg - Sicherheitssysteme Verstopfung Feinrechen Quelle: ENSI 11/ Feinrechnen (kann verstopfen) SUSAN Reaktor Notstrom vom selben Kühlwasser abhängig 32

33 Mühleberg - Sicherheitssysteme bedeutet eigentlich dass ein sog. «Auslegungsfehler» besteht Das AKW müsste unverzüglich ausser Betrieb genommen werden (Art 3 SR ) Das ENSI denkt nicht daran: Quelle: ENSI 11/

34 Mühleberg - Sicherheitssysteme Es lässt «AM Massnahmen» zu: AM = «Accident Management» = «interner Notfallschutz» Quelle: ENSI 11/

35 Mühleberg-Sicherheitssysteme Erinnern wir uns: Prävention interner Ereignisse (Kühlmittelverlust, etc.) Ganz einfach übersprungen! Auslegung: Qualifizierte Sicherheitssysteme inkl. externe Ereignisse (Naturkatastrophe, etc.) interner Notfallschutz (mobile Pumpen, etc.) externer Notfallschutz (Evakuation, etc.) Tabelle: Eidgenössische Kommission für nukleare Sicherheit (KNS), März 2012, Reaktorkatastrophe von Fukushima Folgemassnahmen in der Schweiz, KNS-AN

36 Mühleberg - Sicherheitssysteme Das ENSI überspringt damit ganz einfach die fehlerhafte Auslegung und verweist als Entschuldigung auf die nächste Ebene der «Defence in Depth» 36

37 Mühleberg - Sicherheitssysteme Ein grober Verstoss gegen das Fundamentalprinzip «Defence in Depth»: Quelle: IAEA DEFENCE IN DEPTH IN NUCLEAR SAFETY, INSAG-10 (article 43) A report by the International Nuclear Safety Advisory Group Deutschland: 37

38 Mühleberg - Sicherheitssysteme Fazit: die Auslegung von Mühleberg ist fehlerhaft Trotzdem wird weiter betrieben Deshalb: Unser Gerichtsverfahren läuft 38

39 Mühleberg - Sicherheitssysteme Das ENSI wollte uns das Recht absprechen, seine mutmasslich illegalen Handlungen vor Gericht zu ziehen Zwischensieg vor Bundesgericht 39

40 Interner Notfallschutz Vergleich Fukushima - Mühleberg Air Photo Service Co. Ltd., Japan Flugaufnahme: Birdcam Solutions 40

41 Fukushima interner Notfallschutz Auch 10m-Geländeniveau* überflutet Interner Notfallschutz vereitelt/erschwert *Aber immerhin gab es in Fukushima eine Reserve! Quelle: ENSI-AN

43 Mühleberg - Sicherheitssysteme Kühlwasser soll mit Feuerwehrpumpen zugeführt werden, weil SUSAN-Feinrechen eben verstopfen kann Mannschaft steht bei Hochwasser 50 cm in der Flut 43

44 Mühleberg interner Notfallschutz Fazit: der interne Notfallschutz in Mühleberg muss schon im Auslegungsfall zentralste Sicherheitsfunktionen erfüllen Unter prekärsten Bedingungen Keine Reserven! Die Situation ist wesentlich schlimmer als sie in Fukushima war 44

45 Externer Notfallschutz Vergleich Fukushima - Mühleberg Air Photo Service Co. Ltd., Japan Flugaufnahme: Birdcam Solutions 45

46 Fukushima externer Notfallschutz 30km Zone und zusätzliche Gebiete weitgehend rechtzeitig evakuiert Personen in der 30km Zone Karten zeigen nur Freisetzungen an Land, Warum? Quelle: MEXT

47 Fukushima externer Notfallschutz Der überwiegende Teil radioaktiver Stoffe ging aufs Meer nieder Vgl. Schweiz! Quelle: A. Stohl et al. 2011, (spezieller Ausschnitt)

49 Mühleberg externer Notfallschutz Bern Luftaufnahmen: Birdcam Solutions 49

50 Einwohner in 30km Zone Mühleberg externer Zehn mal mehr als bei Fukushima Bern, Fribourg, Biel Quelle: Dr. Ralph Straumann, 2011, Gefährdung der Bevölkerung der Schweiz durch Kernkraftwerke Notfallschutz 50

51 Mühleberg externer Notfallschutz In anderen Ländern hätten AKW so nah an Bevölkerungszentren gar nicht gebaut werden dürfen Quelle: Roland Naegelin, Direktor Atomaufsicht , «Geschichte der Sicherheitsaufsicht über die schweizerischen Kernanlagen », 2007, Seite

52 Mühleberg externer Sind wir vorbereitet? Notfallschutz Quelle: KSR, KNS, KomABC, 2012, Stellungnahme der drei eidgenössischen Kommissionen mit Aufgaben im Radioaktivitätsbereich zum Bericht IDA NOMEX vom 22. Juni

53 Mühleberg externer Notfallschutz Fazit: auch Ebene «externer Notfallschutz» ist bei Mühleberg (bzw. bei allen CH-AKW) nachweislich schlechter als bei Fukushima 53

54 EU-Stresstest Sollte nicht der EU-Stresstest diese Mängel festgestellt haben? Air Photo Service Co. Ltd., Japan Flugaufnahme: Birdcam Solutions 54

55 EU-Stresstest Der Stresstest sollte ja genau dies testen: Ob bei Erdbeben/Überflutung und dem Ausfall der primären Systeme (wie bei Fukushima) Rückfall-Ebenen vorhanden sind 55

56 EU-Stresstest Problem: Mühleberg hat nur ein erdbebenfestes Notkühlsystem und nur die Aare als Wärmesenke Wie gesehen hat dieses eine Notkühlsystem bei Hochwasser dann auch noch ein Verstopfungsproblem Nochmals die Übersicht: 56

57 Mühleberg - Sicherheitssysteme EU Stresstest: Probleme 1. Pumpen: Pumpenhaus nicht erdbebenfest Feuerwehrpumpen-Einspeisestelle nicht erdbebenfest 2. Hilfskühlwassersystem Notstrom: Maschinenhaus nicht erdbebenfest Feinrechnen (kann verstopfen) SUSAN Reaktor Notstrom vom selben Kühlwasser abhängig 57

58 EU-Stresstest Problem: man musste ein zweites Notkühlsystem «erfinden» Lösung: Man erklärte kurzerhand das alte «Hilfskühlwassersystem» als erdbebenfest Das hat man seit zwanzig Jahren nicht mehr gemacht Wie geht das? 58

59 EU-Stresstest Die beiden nicht erdbebenfesten Gebäude «Pumpenhaus» und «Maschinenhaus» musste man loswerden Lösung: beim Nachweis «vergessen» 59

60 EU-Stresstest Was sagt das ENSI dazu? «Insofern wie ausdrücklich darüber berichtet wird, weisen die Notkühlsysteme aller Schweizer KKW Sicherheitsmargen gegenüber der Erdbebengefährdung auf.» 60

61 EU-Stresstest Und so wird das dann bejubelt: 61

62 Gesamtfazit Schlussbemerkung Air Photo Service Co. Ltd., Japan Flugaufnahme: Birdcam Solutions 62

63 Gesamtfazit «Defence in Depth» ist in Mühleberg noch schlechter umgesetzt als in Fukushima/Japan Man hat hier aus den Fehlern in Fukushima rein gar nichts gelernt Unsere Aufsichtsbehörde ENSI schützt den AKW-Weiterbetrieb statt die Bevölkerung

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