Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

Transkript

1 Predigt zum Karfreitag, 14. April 2017 von Stadtdekan Søren Schwesig Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen. Liebe Karfreitagsgemeinde, wir sind dieses Jahr in die Karwoche gegangen unter dem Eindruck der Bombenattentate in Ägypten an Palmsonntag auf die koptischen Kirchen in Tanta und Alexandria. Ein IS-Attentat. Das schwerste seit Jahren auf Christen in Ägypten. Es forderte mehr als 40 Menschenleben. Am Montag nahmen Kairos koptische Christen in einem zentralen Trauergottesdienst Abschied von den Opfern. An den Wänden hingen Transparente mit den Namen der Toten die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Anschließend versammelte sich eine aufgebrachte Menschenmenge auf den Straßen - Christen und Muslime - und forderte staatlichen Schutz vor dem Terror. Immer wieder wurde Vergeltung gefordert. Und Gerechtigkeit. Aber Gerechtigkeit? Gibt es die? Nein, es gibt keine Gerechtigkeit. Karfreitag am 15. April des Jahres 30. Jesus wird hingerichtet. Er stirbt um die 12. Stunde. Die Soldaten nehmen ihren Lanzen, den unzerteilten Rock und gehen in die Kaserne. Sie haben ihren Dienst getan. Ordentliche Arbeit. Jesus ist tot. Sie fragen nicht nach. Jemand muss es ja tun. Wer redet schon von Moral. Es gibt keine Moral auf Erden. Es gibt keine Gerechtigkeit auf Erden. Ausgerechnet Jesus wird auf diese grausame und schändliche Art zu Tode gebracht. Er, von dem man sich anderes erhoffte. Er war doch der einzigartige Zeuge für Gottes Gerechtigkeit auf Erden. So haben Menschen ihn immer wieder angesprochen, so wurde sein Erscheinen sehnlichst erwartet. Er, der Mensch Gottes auf Erden, der Zeuge und Vertreter von Gottes Gerechtigkeit, von einer anderen Gerechtigkeit. der Anwalt der Armen und Elenden, Vertreter des Gottes der kleinen Leute. Eben als Zeuge der Gerechtigkeit Gottes auf Erden. Nun aber hängt er gefoltert und abgeurteilt nach römischem Recht am Kreuz zwischen zwei Straftätern. Das ist die Gerechtigkeit, die auf Erden gilt. Wer die Macht hat, setzt das Recht. Es gibt schon eine Gerechtigkeit auf Erden. Aber es ist nicht die der Armen und Elenden. Augustenstraße Stuttgart Telefax : Schwabstraße 44: Seyfferstraße Seite 1 von 5

2 Karfreitag, liebe Brüder und Schwestern, ist der Tag der Gottverlassenheit der Menschen. Der Tag, an dem man an Gott zweifelt und nach seiner Gerechtigkeit fragt. Hören wir das Evangelium dieses Tages. Ich lese Verse aus Lk 23, die Karfreitagspredigt des Evangelisten Lukas: 33 Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. 34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. 35 Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. 36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, brachten ihm Essig 37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! 38 Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König. 39 Aber einer der Übeltäter am Kreuz lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! 40 Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? 41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! 43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. 44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, 45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. 46 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er. 47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen! 48 Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. 49 Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles. Die Passionsgeschichte des Lukas ist anders als die, die Matthäus erzählt. Lukas erzählt nicht von einem gottverlassenen Jesus. Nicht der jüdische Sterbepsalm wird Jesus in den Mund gelegt, Psalm 22 mit den Anfangsworten: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?. Nach der Darstellung des Lukas betet Jesus Augustenstraße Stuttgart Telefax : Schwabstraße 44: Seyfferstraße Seite 2 von 5

3 das vertrauensvolle jüdische Abendgebet aus Psalm 31: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist. Das ist das eine. Die zweite Besonderheit bei Lukas ist die Geschichte der beiden Verbrecher, die mit Jesus auf Golgatha gekreuzigt werden. Lukas beschreibt ein ausführliches Gespräch zwischen den Verbrechern und Jesus. Ein Gespräch, in dem es um Gerechtigkeit geht. Um die Gerechtigkeit auf Erden wohlgemerkt, denn der eine bringt deutlich zum Ausdruck, was Gerechtigkeit auf Erden bedeutet. Er sagt: Wir sind zwar mit Recht in dieser Verdammnis, denn wir empfangen, was wir mit unseren Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Wie beschreiben wir Gerechtigkeit auf Erden? `Gerechtigkeit auf Erden richtet einen Menschen nach dem, was er tut und was er zu tun unterlässt. nagelt einen Menschen fest auf seine Taten. Und wer kann davon kein Lied singen: festgeschrieben zu werden auf das eigene Tun, die eigenen Noten, die eigene Leistung oder das eigene Versagen. Und festgeschrieben zu sein, heißt oft genug auch gerichtet zu sein. Mit einer Moral, die Gerechtigkeit auf Erden sehr eng definiert: Dass der arbeitslos bleibt, muss schon seinen Grund haben! Dass diese dem Alkohol verfällt, war ja zu erwarten, bei dem Hintergrund! Dass dieses Kind in der Schule auffällig ist und keine Leistung bringt, ist ja klar, wenn sich niemand darum kümmert. Gerechtigkeit auf Erden richtet einen Menschen nach dem, was er tut und was er zu tun unterlässt. Und das Dritte, was auffällt bei der Kreuzigungsgeschichte des Evangelisten Lukas - die Aussage des römischen Hauptmanns: Fürwahr, dieser ist ein gerechter Mensch gewesen. Für Lukas ist und bleibt Jesus der Gerechte Gottes. Er, auf dessen Gerechtigkeit die Welt wartet, dessen Kommen die Schöpfung herbeisehnt, damit er endlich den Frieden, den wahren Gottesfrieden aufrichte. Jesus ist der Gerechte Gottes, der wahrhafte Gerechtigkeit verkörpert und weitergibt. Das zeigt sich an den berühmten Worten Jesu am Kreuz, die Lukas ganz ins Zentrum stellt: Da bittet Gerechte Gottes um Vergebung für alle, die ihn ans Kreuz gebracht haben: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun. Verstehen Sie? Augustenstraße Stuttgart Telefax : Schwabstraße 44: Seyfferstraße Seite 3 von 5

4 Das Opfer erbittet für die Täter, was sie ihm versagen: Gnade. Das ist beispiellos in der Geschichte. Der Gerechte Gottes vergibt allen, Christen, Heiden und Juden. Hätte sich die Christenheit diesen Satz des sterbenden Jesus zu Herzen genommen, wie viel Unheil wäre ungeschehen geblieben? Wie viel Morden wäre verhindert worden, wenn Christen dies ernst nehmen würden. Vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun. Und das zweite Wort Jesu am Kreuz gilt ebenfalls einem, der keine weiße Weste hat. Der, der mit am Kreuz hängt und nach eigenem Bekunden damit bestraft wird für das, was er getan hat. Ihm spricht der sterbende Jesus Gerechtigkeit zu. Ihn macht er gerecht, indem er ihn losspricht von seiner Schuld und ihm Gottes Reich verheißt: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. Und da erkennt der Verbrecher am Kreuz den Unterschied zwischen der Gerechtigkeit der Menschen, die keine Gerechtigkeit ist und der Gerechtigkeit Gottes, die in Jesus von Nazareth sichtbar wird. Bis zuletzt spricht der dem Menschen - schuldig und nichtschuldig oder mehr oder weniger schuldig - die Würde zu, geliebtes Kind Gottes zu sein. Jesus spricht Menschen gerecht. Darauf bezieht sich auch Paulus, wenn er später schreibt: Wir werden ohne Verdienst gerecht gemacht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist. Und das letzte Jesuswort am Kreuz. Ein Psalmwort. Der sterbende Jesus betet eines der schönsten Abendgebete. Ich will dieses Abendgebet aus Ps 31 im Zusammenhang lesen. Denken wir dabei in Stille, dass es der sterbende Jesus ist, der diese Worte betet: Du bist meine Stärke. In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott. Ich hasse, die sich halten an nichtige Götzen; ich aber hoffe auf den Herrn. Ich freue mich und bin fröhlich über deine Güte, dass du mein Elend ansiehst und nimmst dich meiner an in Not und übergibst mich nicht in die Hände des Feindes; du stellst meine Füße auf weiten Raum. Welch ein Psalm! Ob es uns gelingen wird, diesen Psalm zu beten in unserer eigenen Sterbestunde oder in der eines Menschen, den wir lieben. Gebe es Gott, dass in der dunkelsten Stunde nicht Gottesferne aus uns schreit, sondern Gottvertrauen uns birgt. Augustenstraße Stuttgart Telefax : Schwabstraße 44: Seyfferstraße Seite 4 von 5

5 Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir. Wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür; wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein. Noch leben wir. Noch geht es nicht darum, wie wir unser Sterben bewältigen. Es geht darum, wie Jesus unseren Tod bewältigt. Er, der Gerechte Gottes. So hören wir, die wir in diese Karwoche gegangen sind, unter dem Eindruck der Bombenattentate in Ägypten und wo Menschen nach Gerechtigkeit gerufen haben, da hören wir von dem, der seinen Vater um Vergebung gebeten hat für die, die ihn dahin gebracht haben, wo er jetzt hängt. Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Und wir hören davon, dass bei unserem Tod nicht die Macht des Todes eine Rolle spielen wird, sondern die Verheißung: Fürchte dich nicht, noch heute wirst du mit mir im Paradies sein. Das ist wichtig an diesem Karfreitag: Die guten Worte des sterbenden Jesus am Kreuz gelten uns, dir und mir. Sie laden uns ein, über die Wahrheit nachzudenken, dass es doch Gerechtigkeit gibt auf Erden: Gottes Gerechtigkeit, die Jesus uns zuspricht, indem er uns allen vergibt. Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not, sättigt den Leib und die Seele mit Seinem Brot, stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod, und vergibt ihnen beiden. Amen. Text: Zeichen Über den Evangelischen Kirchenkreis Stuttgart: Der Evangelische Kirchenkreis Stuttgart ist der Zusammenschluss der 66 evangelischen Kirchengemeinden in der Landeshauptstadt. Er ist räumlich in die vier Dekanatsbezirke Bad Cannstatt, Degerloch, Stuttgart und Zuffenhausen gegliedert. Leitender Repräsentant des Evangelischen Kirchenkreises in der Öffentlichkeit ist Stadtdekan Søren Schwesig. Augustenstraße Stuttgart Telefax : Schwabstraße 44: Seyfferstraße Seite 5 von 5