Uschi Sorg. Erfolgreiche Kommunikation in der interkulturellen Verwaltungspraxis



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Transkript:

Uschi Sorg Erfolgreiche Kommunikation in der interkulturellen Verwaltungspraxis

Uschi Sorg Erfolgreiche Kommunikation in der interkulturellen Verwaltungspraxis 1

Herausgegeben von Landeshauptstadt München Sozialreferat/Sozialplanung Orleansplatz 11 81667 München Projektleitung Ellen Kuhn Layout konzept 139 Druck Landeshauptstadt München 2002 2

Liebe Mitarbeiterinnen, liebe Mitarbeiter, in den Leitlinien für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung der Perspektive München heißt es: Allen auf Dauer oder für einen längeren Zeitraum in München lebenden Ausländerinnen und Ausländern soll die Integration, d.h. die gleichberechtigte Teilnahme u.a. an der Sozial-, Arbeitsmarkt-, Kultur- und Bildungspolitik ermöglicht werden ( ). Behörden kommt eine wesentliche Integrationsfunktion zu. Uns ist es wichtig, unseren Kundinnen und Kunden eine gleichberechtigte Inanspruchnahme unserer Leistungen und Dienstleistungen zu ermöglichen. Die beiden Studien Erfolgreiche Kommunikation in der interkulturellen Verwaltungspraxis, erstellt von Frau Uschi Sorg, Dipl.-Soz.-Päd. (FH), Dipl.-Soziologin, und Erfolgreiche Kommunikation mit Menschen aus anderen Kulturen Ein Praxishandbuch für Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, erstellt von Frau Galina Koptelzewa, Dipl.-Oec., M.A., sind die Weiterführung der Untersuchungsergebnisse von Frau Ildikó Elisabeth Kiss-Surányi und Herrn Dr. Philip Anderson zur interkulturellen Kommunikation und interkulturellen Kompetenz. Die jetzt vorliegenden Handbücher wurden als Leitfaden für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Führungskräfte entwickelt. Dargestellt wird die Vielfalt von Erfahrungen und Möglichkeiten in der Kommunikation mit Menschen unterschiedlicher kultureller Hintergründe. Anhand konkreter Situationen wird erkennbar, welche Anforderungen in der interkulturellen Kommunikation auftreten und wie diese bewältigt werden können. Aus den Erfahrungen anderer lernen, nachvollziehen, worauf sie geachtet haben, erleichtert die Gestaltung der im Alltag oft sehr komplexen Beratungssituationen. Ergänzend dazu erhalten die Führungskräfte den wissenschaftlichen Untersuchungsbericht von Frau Galina Koptelzewa, um auf diesen Grundlagen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer Arbeit zu unterstützen. 3

Vorwort des Sozialreferenten Ich wünsche mir, dass diese beiden Handbücher von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Führungskräften rege genutzt werden und die tägliche Praxis der interkulturellen Kommunikation dadurch neue Impulse erhält. Mein Dank gilt allen, die durch ihre unterschiedlichen Erfahrungen in der Arbeit mit Migrantinnen und Migranten ein praxisnahes Ergebnis ermöglicht haben. Friedrich Graffe Sozialreferent der Landeshauptstadt München 4

Vorwort der Autorin Der vorliegende Leitfaden zur Erfolgreichen Kommunikation in der interkulturellen Verwaltungspraxis ist das Ergebnis meiner eineinhalbjährigen Forschung im Sozialreferat München. Ziele meiner Studie sind die Verbesserung der Kundenfreundlichkeit durch gelungene Kommunikation, Stressvermeidung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie höhere Arbeitszufriedenheit durch erfolgreiche Kommunikation. In den meisten der bisher vorliegenden Forschungen zum Thema Interkulturelle Kommunikation in Behörden ist die Perspektive eine problemorientierte. Als Probleme werden u.a. aufgeführt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unhöflich und unfreundlich sind und die deutschen Behörden zu unflexibel und vor allem viel zu langsam. Die Darstellung der Behörden in den meisten dieser Studien trägt dazu bei, die Stereotypen der Leserinnen und Leser über das Wesen von Behörden zu bestätigen. Dass schon seit Jahren eine Kundenorientierung in den Behörden stattgefunden hat, wird ignoriert. Auch wurde die Kundenseite nur nach Problemen gefragt und nicht danach, wie eine Kommunikation aussehen muss, damit sie als höflich und freundlich empfunden wird. Deshalb fand ich den Projektauftrag, herauszufinden, welche erfolgreichen Kommunikationsstrategien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickelt haben, besonders reizvoll. Die Studie setzt bei den Kompetenzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an. Ich gehe davon aus, dass viele von ihnen im beruflichen Alltag Kommunikationsstrategien entwickelt haben, um erfolgreich mit ihrer Zielgruppe zu kommunizieren. Dies hat sich bei meinen Beobachtungen und Interviews bestätigt. Dieser Leitfaden wurde geschrieben in der Hoffnung, dass dieses Erfahrungswissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anderen nützt, um erfolgreich zu kommunizieren. Da Kommunikation ein Kreislauf und wechselseitiger Prozess ist, war es mir wichtig, auch zu erfahren, wann Klientinnen und Klienten die Kommunikation mit Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern des Sozialreferates als erfolgreich ansehen. Wesentlich erschien es mir außerdem, die Perspektive von Leitungskräften zu erheben, da diese für Arbeitsbedingungen, -strukturen und -atmosphäre relevant ist. Trotz ihrer knapp bemessenen Zeit haben die Mitarbeiterinnen mir die Möglichkeit gegeben, sie bei ihrer Arbeit zu beobachten und 5

Vorwort der Autorin sich für Interviews und Gruppendiskussionen zur Verfügung gestellt. Erlebt habe ich Interesse und Offenheit. Beeindruckend waren Serviceorientierung und kommunikative Kompetenz. Es zeichnet sich ab, dass durch persönliche Fähigkeiten, die in Fortbildungen weitergeschult wurden, einiges an erfolgreichen Kommunikationsstrategien entwickelt wurde, was den Mitarbeiterinnen teilweise gar nicht bewusst ist, weil für sie das alles Selbstverständlichkeiten geworden sind. Es geht hier teilweise nicht um interkulturelle Unterschiede. Vieles von dem, was eine erfolgreiche Kommunikation für Migrantinnen und Migranten ausmacht, trifft für alle Klientinnen und Klienten zu. Dennoch lassen sich auch interkulturelle Unterschiede beobachten. Dass dieses Buch entstehen konnte, verdanke ich den Menschen, die ihr Erfahrungswissen und Wissen mit mir geteilt oder meine Arbeit auf andere Art und Weise unterstützt haben. Für ihre Beratung und ihre Unterstützung bedanke ich mich bei der Projektleiterin Ellen Kuhn und meiner Kollegin Galina Koptelzewa. Ich bedanke mich bei Sabine Handschuck, der Beauftragten des Stadtjugendamtes für interkulturelle Arbeit, von der ich viel über interkulturelle Arbeit gelernt habe und die mein Forschungsprojekt durch ihre Beratung, Hinweise und Diskussionen unterstützt hat. Bei PD Dr. Werner Schneider, Institut für Soziologie der LMU München, bedanke ich mich für seine Beratung, insbesondere in allen Fragen der qualitativen Sozialforschung. Danke allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Begleitgruppe, die unseren Forschungsprozess kompetent, wohlwollend, kritisch und sehr interessiert begleitet hat: Silvia Arto, ASD, Sozialbürgerhaus Süd; Sylvia Baringer, Beauftragte für interkulturelle Arbeit, Stadtjugendamt; Michaela Breveglieri, Sozialamt, Leitung; Hartwig Cleve, Wohnungs- und Flüchtlingsamt, Sachgebiet Wirtschaftliche Hilfen für Flüchtlinge; Michaela Hofrichter, ASD, Sozialbürgerhaus Neuhausen/Moosach; Gerti Kiermeier, Betreuungsstelle; Jürgen Koch, Wohnungs- und Flüchtlingsamt, Sachgebiet Wirtschaftliche Hilfen für Flüchtlinge, und Maria Orihuel, ASD. 6

Ich bedanke mich bei allen Interviewpartnerinnen und -partnern des Sozialamtes und des Wohnungs- und Flüchtlingsamtes, die mir offen Einblick in ihre Arbeit gaben und deren Erfahrungswissen elementarer Bestandteil dieses Leitfadens ist. Vielen Dank allen Interviewpartnerinnen und -partnern, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit mir geteilt haben, damit sich die Leserinnen und Leser in die Perspektive der Klientinnen und Klienten hineinversetzen können; dies waren die Klientinnen und Klienten selbst und Menschen, die parteilich mit Migrantinnen und Migranten arbeiten: Conny Giesemann, Despina Liotsou und Jale Sahin,, Treffpunkt Familie International; Barbara Hemauer-Volk, Atelier La Silhouette; Bettina Pereira, Caritas Sozialdienst für Flüchtlinge; Anto Blazevic, Ruzica Blazevic, Gilbert Cau, Katarina Christodoulidou, Viktorija Colak, Vitorio Leitner, Dr. Norma Mattarei, Monika Meisinger, Bozo Mihaljevic, Boris Strujic, Sozialdienst für ausländische ArbeitnehmerInnen und deren Familien beim Caritasverband. Vielen Dank auch an die, die nicht namentlich genannt werden wollten. Vielen Dank all denen, die mich durch Literaturhinweise, kritische Diskussion, Beratung, Vermittlung von Interviewpartnerinnen und -partnern und vieles andere während meines Forschungsprozesses unterstützt haben: Gülseren Demirel, Sachverständige für Migrationsfragen in Pasing, AWO; Gerhard Hager, Sozialamt, Leitung; Dr. Thomas Hegemann, Zentrum für transkulturelle Medizin; Sabine Heymann, ASD; Can Malatacik, Referat Migration, AWO, jetzt Universität Dortmund; Dorit Sing, Internationales Institut für Empirische Sozialökonomie; Ahmet Toprak, Referat Migration, AWO; Dr. Anja Weiß, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Münchner Sonderforschungsbereich Reflexive Modernisierung, und allen, die mich sonst unterstützt haben. Christine ter Haar herzlichen Dank für ihre geduldige, kritische und kompetente Hilfe, die Forschungsergebnisse in einen lesbaren und strukturierten Text zu verwandeln. Uschi Sorg, im August 2002 7

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Inhalt I II Erfolgreiche Kommunikation als ein Beitrag zur interkulturellen Öffnung des Sozialreferates 11 1 Die Situation von Migrantinnen und Migranten in München 11 2 Migrantinnen und Migranten als Klientel des Sozialreferates München 12 3Umgang mit Vielfalt als Bereicherung und Aushandlungsprozess 12 4 Die interkulturelle Orientierung der LH München und des Sozialreferates 13 5 Die interkulturelle Öffnung des Sozialreferates 15 6 Die Studie Erfolgreiche Kommunikation in der interkulturellen Verwaltungspraxis 16 Faktoren und Bedingungen von Kommunikation in der interkulturellen Verwaltungspraxis 18 1 Grundlagen der Kommunikation 18 2 Bedingungen, die die Kommunikation beeinflussen 20 2.1 Die Begegnung von Menschen mit unterschiedlichen Orientierungssystemen 20 2.2 Umgang mit Sprache 22 2.3Lebenskontext in der neuen Heimat 24 2.4 Machtgefälle zwischen Verwaltung und Klientel 25 III Forschungsergebnisse zur Kommunikation in der Verwaltungspraxis 27 1 Erfolgreiche Kommunikation 27 1.1 Erfolgreiche Kommunikation aus der Sicht von Klientinnen und Klienten 27 1.2 Erfolgreiche Kommunikation aus der Sicht von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern 29 1.3Ähnliche und doch verschiedene Ziele 30 2 Gewinn durch erfolgreiche Kommunikation 32 2.1 Erfolgreiche Kommunikation macht weniger Arbeit 32 2.2 Erfolgreiche Kommunikation ist stressfreier 32 2.3Erfolgreiche Kommunikation erhöht die Arbeitszufriedenheit 33 3Wege erfolgreicher Kommunikation 33 3.1 Persönliche Beziehungen aufbauen 33 3.2 Die Begrüßung ist entscheidend 36 3.3 Verstanden werden 41 3.4 Verstehen 43 3.5 Kompetenz zeigen 44 3.6 Mit falschen Erwartungen sachgerecht umgehen 44 3.7 Gut erklären, welche Unterlagen benötigt werden 44 9

Inhalt 10 3.8 Entscheidungen nachvollziehbar machen 45 3.9 Klientinnen und Klienten auf Leistungen hinweisen 47 3.10 Strategien zum Umgang mit einem anderen Rollenverständnis 47 3.11 Strategien zum Umgang mit anderen Zeitkonzepten 48 3.12 Respekt vor alten Menschen 52 3.13 Bedeutung von Kindern 53 3.14 Kleider machen Leute 54 IV Was tun bei Konflikten? 55 1 Häufig vorkommende Konflikte 55 2 Strategien zur Konfliktlösung 56 2.1 Nicht in einen Streit einsteigen 56 2.2 Nicht seine Meinung durchbringen, sondern nachfragen 57 2.3Ich-Botschaften senden 57 2.4 Beruhigend auf die Kommunikation einwirken 57 2.5 Eine Pause einlegen, damit sich die Beteiligten beruhigen können 57 2.6 Entscheidungen nachvollziehbar machen 58 2.7 Sich die Lebenssituation des Klientel vergegenwärtigen 58 2.8 Als Vorgesetzte zur Konfliktlösung beitragen 58 3Sich nicht von Konflikten auffressen lassen 58 V Dolmetscher- und semiprofessioneller Sprachmittlereinsatz 59 1 Dolmetschereinsatz 59 1.1 Warum Dolmetscherinnen und Dolmetscher einsetzen? 59 1.2 Fachliche Anforderungen an Dolmetscherinnen und Dolmetscher 61 1.3Dolmetscherinnen und Dolmetscher anfordern 62 2 Semiprofessioneller Sprachmittlereinsatz 63 2.1 Der Sprachmittlereinsatz und seine Vorteile 63 2.2 Schwachstellen des Sprachmittlereinsatzes 63 2.3Professionelle Zusammenarbeit mit Sprachmittlerinnen und Sprachmittlern 65 VI Schriftverkehr 67 VII Ein letztes Wort 68 Literatur 69 Literaturempfehlungen 72 Fortbildungsangebote 74 Register 76

I Erfolgreiche Kommunikation als ein Beitrag zur interkulturellen Öffnung des Sozialreferates 1 Die Situation von Migrantinnen und Migranten in München Die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern, Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten, Aussiedlerinnen und Aussiedlern sowie Flüchtlingen hat den Entwicklungsprozess auf eine multikulturelle Gesellschaft auch in München unumkehrbar gemacht. Trotz der langen Zuwanderungsgeschichte besteht noch immer keine Chancengleichheit im Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen und in der gesellschaftlichen und politischen Durchsetzung von Interessen der hier lebenden Bevölkerung. Ausländer- und Asylrecht schreiben die Ungleichheit von deutschen und nichtdeutschen Einwohnern fest. Auch mit der Einführung des Kommunalwahlrechts für EU-Bürgerinnen und -Bürger bleiben weiterhin 15 % der Wohnbevölkerung in München vom Wahlrecht ausgeschlossen (Landeshauptstadt München 2000, S. 6). Am 31.12.2001 betrug der Anteil der ausländischen Bevölkerung in München 22,8 % (vgl. Landeshauptstadt München, Statistisches Jahrbuch 2001). Dabei muss berücksichtigt werden, dass der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund wesentlich höher ist, da Menschen mit Migrationshintergrund und einem deutschen Pass, z.b. Eingebürgerte, nicht berücksichtigt sind. Ich werde im Folgenden von Migrantinnen und Migranten sprechen, wenn von Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund als dem deutschen die Rede ist. 1 Die ausländische Bevölkerung ist heterogen, u.a. in Bezug auf ihre kulturellen Hintergründe, den Zeitpunkt des Zuzugs nach Deutschland, den Aufenthaltsstatus, Alter und Geschlecht. Sie ist jünger als die deutsche Bevölkerung, was in einem hohen Anteil von Kindern und Jugendlichen und einem (noch) geringen Anteil von Senioren zum Ausdruck kommt (Landeshauptstadt München 2000, S. 7). Migrantinnen und Migranten kommen in München aus fast 1 Bezeichnungen wie Gastarbeiter, Ausländer oder Zuwanderer schließen wesentliche Gruppen aus. Auch der von mir und derzeit in der deutschen Fachliteratur gebrauchte Begriff Migrant trifft die gemeinte Gruppe nicht, da damit auch Migrantinnen und Migranten der zweiten oder dritten Generation gemeint sind, die selbst nie migriert sind (vgl. Hegemann, S. 150). Hier schließe ich Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler ein. Obwohl sie deutsche Wurzeln haben, sind sie in einer anderen Kultur aufgewachsen. Der niederländische Begriff Allochthon wäre umfassender, ist aber im deutschen Sprachgebrauch so ungewöhnlich, dass ich ihn nicht verwende. Wenn es um Flüchtlinge geht, werde ich von Flüchtlingen sprechen, da diese einen anderen Aufenthaltsstatus haben, der sich stark auf ihre Lebensbedingungen auswirkt. Im niederländischen Sprachgebrauch wird zwischen Allochthonen und Autochthonen unterschieden. Diese Begriffe sind für mich neutraler und weniger stigmatisierend besetzt als Ausländer und Einheimische oder Nichtdeutsche und Deutsche. Beide Begriffe kommen aus dem Griechischen. Allochthon bedeutet: andernorts entstanden (Wahrig). Autochthon heißt: am Ort entstanden. Mit allochthon werden im Niederländischen Menschen bezeichnet, die nicht im Lande geboren sind oder bei denen dies für mindestens einen Elternteil oder Großelternteil zutrifft. 11

I Erfolgreiche Kommunikation als ein Beitrag zur interkulturellen Öffnung des Sozialreferates Nutzungsanteil durch AusländerInnen in % ASD 36 Sozialamt Hilfe zum Lebensunterhalt (ohne Flüchtlinge) 38,4 Stadtjugendamt Ambulante Erziehungshilfe 38,1 Schulsozialarbeit 47 Wohnungs- und Flüchtlingsamt, zur Vermittlung anstehende Haushalte 50,9 Bereich Wohnen Anteil bei der Wohnungsvergabe 41 Wohnungs- und Flüchtlingsamt, 100 Bereich Hilfen für Flüchtlinge (Angaben Stadtjugendamt vgl. Jahresbericht 2000, alle übrigen Ämter vgl. Landeshauptstadt München, Soziale Leistungen in Zahlen, 2000) 190 Staaten (vgl. Landeshauptstadt München, Statistisches Jahrbuch 2001). Ihre sozioökonomische Situation ist in der Regel schlechter als die der deutschen Bevölkerung (Landeshauptstadt München 2000, S. 7). 2 Migrantinnen und Migranten als Klientel des Sozialreferates München In der oben stehenden Tabelle sind Menschen mit einem nichtdeutschen Pass erfasst, die Kontakt mit den Fachstellen des Sozialreferates haben. 3 Umgang mit Vielfalt als Bereicherung und Aushandlungsprozess Kulturelle Vielfalt ist ein realer Bestandteil unseres Lebens. Wir alle haben uns an Pizza, Döner und Tzatziki als bereichernde Bestandteile unseres Alltags gewöhnt und würden sie nicht missen wollen. Viele andere Bestandteile anderer Kulturen bereichern unser Leben, ohne dass es uns bewusst ist. Wir hören Musik aus anderen Ländern und besuchen Yoga- und Bauchtanzkurse. Auch in der Sprache gibt es viele Wörter, die ihren Ursprung in anderen Sprachen haben. Vielfalt beschränkt sich nicht auf andere Kulturen im Sinne von ausländisch. Es gibt die unterschiedlichsten Subkulturen, die nichts mit deutsch oder nichtdeutsch zu tun haben. Innerhalb einer Gruppe von Punks herrschen andere Regeln, gibt es ei- 12

nen anderen Wortschatz als innerhalb einer Gruppe von christlichen Pfadfindern. Oder wenn man die Kultur von Berufsgruppen nimmt, gibt es schon innerhalb des Sozialreferates große kulturelle Unterschiede zum Beispiel zwischen Sozialpädagoginnen und -pädagogen und Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern. Hier herrschen teilweise andere Werte und Denkweisen, was sich teils auch in einer anderen Sprache ausdrückt. Natürlich müssen die Menschen, die zu uns kommen, die deutsche Sprache lernen. Selbstverständlich müssen sie auch die kulturelle Sprache erlernen, damit ein Zusammenleben möglich ist. Aber es geht dabei nicht um eine deutsche Kultur. Diese gibt es nicht. Manchmal sind wir mit einem für uns ungewohnten Verhalten nicht einverstanden und wir sagen das. Beispielsweise wenn uns jemand mit Du anspricht (vgl. S. 37) oder wenn ein Mann uns als Sachbearbeiterin nicht ernst nimmt und versucht, beim männlichen Kollegen eine andere Entscheidung herbeizuführen (vgl. S. 47 48). Zwischen Verwaltung und Klientel gibt es ein Machtgefälle (vgl. S. 25 26). Dadurch haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Behörde mehr Möglichkeiten als die Klientinnen und Klienten, zu definieren, welche Kultur gilt. Sie könnten z.b. darauf bestehen, dass die Amtssprache Deutsch, ja sogar Behördendeutsch ist. Kundenfreundlich ist das nicht und es stimmt nicht mit dem städtischen Leitbild Wir verstehen uns als Partnerinnen und Partner der Bürgerschaft überein. Darüber hinaus ist ein unflexibler Umgang mit anderen Kulturen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Stress verbunden. Deshalb lohnt es sich, in einem Aushandlungsprozess einen Weg zu finden, mit der existierenden Vielfalt an Kulturen umzugehen. 4 Die interkulturelle Orientierung der LH München und des Sozialreferates Sabine Handschuck und Hubertus Schröer unterscheiden zwischen interkultureller Orientierung und interkultureller Öffnung. Unter interkultureller Orientierung verstehen sie die sozialpolitische Haltung, die anerkennt, dass unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Interessen in der Stadtgesellschaft leben. Dies hat eine strategische Funktion. Ziel der interkulturellen Orientierung ist das Wahrnehmen des Bedarfs und der Bedürfnisse dieser Gruppen und das Erschließen von Partizipationsmöglichkeiten. Ziel ist eine Diskursethik auf der Basis von Anerkennung der in der Stadtgesellschaft lebenden Minderheiten. Bei der interkulturellen Öffnung sozialer Dienste geht es um die handelnde Umsetzung dieser Orientierung (vgl. Handschuck & Schröer 2002). Die interkulturelle Orientierung ist sowohl in den Leitlinien für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung der LH München als auch in den Leitlinien des Sozialreferates verankert. 13

I Erfolgreiche Kommunikation als ein Beitrag zur interkulturellen Öffnung des Sozialreferates In den Leitlinien für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung heißt es: Allen auf Dauer oder für einen längeren Zeitraum in München lebenden Ausländerinnen und Ausländern soll die Integration, d.h. die gleichberechtigte Teilnahme u.a. an der Sozial-, Arbeitsmarkt-, Kultur- und Bildungspolitik ermöglicht werden, bei Erhalt der kulturellen Identität (Landeshauptstadt München 1998). Kulturelle Identität meint nicht eine unveränderbare Gebundenheit an Wert- und Orientierungssystem. Kultur ist ein wechselseitiger Prozess, der einerseits Menschen prägt, andererseits von ihnen gestaltet wird. Damit geht es darum, in einem Aushandlungsprozess mit allen Bevölkerungsgruppen einer Kommune existierende Vielfalt zu gestalten. Auf diese Frage wird im Abschnitt Umgang mit Vielfalt als Bereicherung und Aushandlungsprozess näher eingegangen. In den Leitlinien des Sozialreferates werden als grundlegende Werte, die bestimmend für die Arbeit des Sozialreferates sind aufgeführt: soziale Gerechtigkeit; gleichberechtigte Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben mit allen Rechten und Pflichten; Achtung der Würde und Persönlichkeit der Einzelnen; Solidarität miteinander und Vielfalt untereinander; Respektierung der individuellen Lebensentwürfe (Landeshauptstadt München 1997, S. 2). Als Ziele werden für die Dienstleistungen des Sozialreferates u.a. folgende genannt: Soziale, ethnische ( ) Benachteiligungen abbauen; Ausgrenzungen verhindern helfen, Integration ermöglichen (Landeshauptstadt München 1997, S. 2). Als Maßstäbe für den Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern werden u.a. formuliert, dass ein Bewusstsein erwartet wird, das die Bürgerinnen und Bürger nicht als Bittsteller sieht, sondern wie Kunden behandelt (vgl. ebd., S. 5). Es wird u.a. ein Verhalten erwartet, das den Menschen in seiner persönlichen Betroffenheit ernst nimmt; das geeignet ist, das Machtgefälle zwischen Behörden und Bürgerinnen und Bürgern abzubauen; das sich nicht von Vorurteilen lenken lässt (vgl. ebd.). Es wird eine Dienstleistung erwartet, die umfassend über Rechte und Pflichten informiert ( ), die Mut macht, Vertrauen aufbaut und Rückhalt bietet, die sich kompetent auf andere Lebensformen und die unterschiedlichsten sozialen Bereiche einstellt (vgl. ebd.). Diese Ziele und Maßstäbe wurden im Konzept für die bessere Ausrichtung der Regeldienste auf die ausländische Bevölkerung konkretisiert (Landeshauptstadt München 1995). Mit diesem Konzept, das nach einer ausführlichen und durchaus kontroversen Diskussion in Abstimmung mit allen Ämtern des Sozialreferates verab- 14

schiedet worden ist, wird die interkulturelle Orientierung der gesamten Sozialverwaltung einer deutschen Großstadt ausdrücklich festgeschrieben (Handschuck & Schröer 2001, S. 155). 5 Die interkulturelle Öffnung des Sozialreferates Um eine gleichberechtigte Teilnahme zu ermöglichen, bedarf es der Umsetzung der interkulturellen Orientierung durch die interkulturelle Öffnung der Regeldienste. Dabei geht es nicht nur um eine gleichberechtigte Möglichkeit für Migrantinnen und Migranten, die Leistungen und Dienstleistungen des Sozialreferates in Anspruch zu nehmen. Unter interkulturell verstehe ich die Begegnung von Menschen mit unterschiedlichen Orientierungssystemen. Dies umfasst wesentlich mehr als die regionale oder ethnische Herkunft. Darauf gehe ich auf der Seite 20 näher ein. Die eher allgemeinen Zielsetzungen des o.g. Konzeptes zur besseren Ausrichtung der Regeldienste auf die ausländische Bevölkerung werden in den jeweiligen Jahreszielen des Sozialreferates konkretisiert und fortgeschrieben. Zur interkulturellen Öffnung der Regeldienste gehören u.a., dass Konzepte bzw. Produktbeschreibungen eindeutige Aussagen zur interkulturellen Orientierung der Einrichtungen bzw. Produkte machen. Die interkulturelle Zielsetzung, interkulturelle Kundenorientierung sowie interkulturelle Qualitätsstandards sind unabdingbare fachliche Voraussetzungen (Landeshauptstadt München 2000, S. 14). Dazu kommen die Beseitigung von Ausgrenzungsmechanismen durch die Verwaltungsstruktur, eine interkulturelle Personalentwicklung durch multikulturelle Teams und interkulturelle Kompetenzvermittlung (ebd.). Zum Thema Ausgrenzungsmechanismen gehört beispielsweise, dass Migrantinnen und Migranten bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung stark unterrepräsentiert sind. Die interkulturelle Öffnung der Regeldienste beinhaltet auch den Einsatz von Dolmetscherinnen und Dolmetschern (siehe Seiten 59 66). Als einen Beitrag zur interkulturellen Öffnung der Regeldienste gab die Sozialplanung/ Geschäftsleitung des Sozialreferates zwei umfangreiche Studien in Auftrag. Beide Studien sind im Jahr 2000 erschienen. Die Studie von Philip Anderson trägt den Titel Interkulturelle Kompetenz und die Öffnung der sozialen Dienste. Themen der Studie sind u.a.: die Rolle von Einstellungsvoraus- 15

I Erfolgreiche Kommunikation als ein Beitrag zur interkulturellen Öffnung des Sozialreferates setzungen, Vorbehalte mancher deutscher Mitarbeiter gegen ausländische Kollegen, die deutsche Sprache und Amtskultur für ausländische Kolleginnen und Kollegen sowie Fortbildungsveranstaltungen zur interkulturellen Kompetenz und interkulturelle Kompetenz als Einstellungskritierium. Die Studie von Ildikó Elisabeth Kiss-Surányi hat Interkulturelle Kommunikation zum Thema. Für den Bereich Verwaltung fand sie heraus, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer Arbeitspraxis Strategien zur Erleichterung bzw. Verbesserung der interkulturellen Kommunikation entwickelt haben. Sie empfiehlt in ihrem Forschungsbericht, diese Erfahrungen auf ihre Generalisierbarkeit hin zu überprüfen. An diese Empfehlung knüpft meine Studie Erfolgreiche Kommunikation in der interkulturellen Verwaltungspraxis an. 6 Die Studie Erfolgreiche Kommunikation in der interkulturellen Verwaltungspraxis Ziele meiner Studie sind die Verbesserung der Kundenfreundlichkeit durch gelungene Kommunikation und die Stressvermeidung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und höhere Arbeitszufriedenheit durch erfolgreiche Kommunikation. Da Kommunikation ein Kreislauf und wechselseitiger Prozess ist, war es mir wichtig, auch zu erfahren, wann Klientinnen und Klienten die Kommunikation mit Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern des Sozialreferates als erfolgreich ansehen. Wesentlich erschien es mir außerdem, die Perspektive von Leitungskräften zu erheben, da diese für Arbeitsbedingungen, -strukturen und -atmosphäre relevant ist. Es geht hier teilweise nicht um interkulturelle Unterschiede. Vieles von dem, was eine erfolgreiche Kommunikation für Migrantinnen und Migranten ausmacht, trifft für alle Klientinnen und Klienten zu. Dennoch lassen sich auch interkulturelle Unterschiede beobachten bzw. werden in den Interviews deutlich. Forschungsmethoden waren Leitfadeninterviews und teilnehmende Beobachtung im Parteiverkehr. 16

Um die Kommunikation im Gesamtkontext erfassen zu können, habe ich mich auf zwei Arbeitsbereiche beschränkt. Dies waren das Sozialamt und das Wohnungs- und Flüchtlingsamt (Sachgebiet Wirtschaftliche Hilfen für Flüchtlinge). Im Sozialamt habe ich acht Verwaltungsmitarbeiterinnen 2 beobachtet und interviewt. Im Flüchtlingsamt waren es zehn Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter 3. In beiden Arbeitsbereichen habe ich einen Mitarbeiter der Leitungsebene interviewt. Um die Sichtweise der Klientinnen und Klienten zu erheben, habe ich zwölf Klientinnen und Klienten 4 sowie 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 5 von freien Trägern, die parteilich mit Migrantinnen und Migranten arbeiten, interviewt. Darüber hinaus habe ich zwei Dolmetscherinnen und Dolmetscher 6 befragt, da sie über Kenntnisse der jeweiligen Kultur und Erfahrungen wie die Kommunikation zwischen verschiedenen Sachbearbeiter/innen und verschiedenen Klientinnen und Klienten abläuft, verfügen. Herkunftsländer der Befragten nichtdeutscher Herkunft waren: Afghanistan, Äthiopien, Polen, Griechenland, Kroatien, Ruanda, Russland, Syrien, Spanien und Türkei. 2 Dies waren acht Frauen, keine Mitarbeiterin war nichtdeutscher Herkunft. 3 Dies waren fünf Frauen und fünf Männer, davon waren zwei nichtdeutscher Herkunft. 4 Dies waren neun Frauen und drei Männer, davon waren elf nichtdeutscher Herkunft. 5 Dies waren elf Frauen und sieben Männer, davon waren fünfzehn nichtdeutscher Herkunft. 6 Dies waren eine Frau und ein Mann, beide waren nichtdeutscher Herkunft. 17

II Faktoren und Bedingungen von Kommunikation in der interkulturellen Verwaltungspraxis 1 Grundlagen der Kommunikation Der Begriff Kommunikation kommt aus dem Lateinischen, communicatio, was Mitteilung, Verständigung bedeutet (vgl. Heckel, S. 19). Es geht um das Übermitteln von Botschaften. Die Senderin, der Sender möchte der Empfängerin, dem Empfänger etwas mitteilen. Als Modell dargestellt, sieht die kleinste Analyse-Einheit der Informationsübermittlung aus, wie in nebenstehender Abbildung gezeigt. Die Botschaft existiert erst einmal im Sender selbst. Um sie dem Empfänger zugänglich zu machen, muss er sie in Worte fassen. Dieser Vorgang wird als Verschlüsseln oder Kodieren bezeichnet. Der Empfänger hört die Botschaft und muss sie entschlüsseln oder dekodieren. Die Kommunikation ist gelungen, wenn das, was der Sender, die Senderin ausdrücken wollte, beim Empfänger, bei der Empfängerin so ankommt. Jede und jeder weiß aus der täglichen Erfahrung, dass dies nicht immer gelingt. Das, was wir sagen wollten, kommt nicht immer so an, wie wir es gemeint haben. Oft reden wir aneinander vorbei (vgl. Leupold, S. 29 31). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn wir aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen kommen (vgl. S. 20 22). Die gesprochene Sprache macht nur einen sehr geringen Teil der Kommunikation aus. Zu einem weit größeren Teil beeinflusst das Nonverbale die Kommunikation. Es ist erstaunlich, dass die nonverbalen Komponenten einer Kommunikation 65 % des Transportes von Botschaften ausmachen (Wahrlich, S. 14). In der Regel geht man davon aus, dass das Nonverbale universell ist, also auf der ganzen Welt gleich und angeboren. Deshalb denkt man, dass man nur die gesprochene Sprache als Fremdsprache erlernen muss. Aber so ist es nicht. Nonverbale Unterschiede sind weitaus schwieriger als verbale bewusst wahrzunehmen, da sie meist unbewusst ablaufen. Beispielsweise ist es in Deutschland in der Regel höflich, jemanden beim Sprechen in die Augen zu sehen. Dies wird als Interesse und Aufmerksamkeit bewertet. In anderen Kulturen kann dies als sehr unhöflich und als ein Zeichen von Respektlosigkeit angesehen werden. Mehr zur kulturellen Sprache auf den Seiten 23 24. Kommunikation geht nicht nur vom Sender zum Empfänger, sondern ist ein Kreislauf: Der Sender sendet verbal und nonverbal Botschaften. Der Empfänger nimmt diese Botschaften entgegen und sendet selbst Botschaften. Dies ist ein ständiger Kreislauf. Kommunikationsfortbildungen und interkulturelle Fortbildungen sind eine Hilfe, Botschaften so zu kodieren, dass sie möglichst das übermitteln, was übermittelt werden sollte. Sie sind auch nützlich im Erlernen des Dekodierens von Botschaften unterschiedlichster Senderinnen und Sender. Sie können aber nicht garantieren, dass das, was mitgeteilt werden soll, beim anderen so ankommt. Was der Empfänger versteht, ist nicht immer das, was der Sender beabsichtigte zu sagen. Die Bedeutung der Botschaft zeigt sich deshalb in der Reaktion des Emp- 18

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II Faktoren und Bedingungen von Kommunikation in der interkulturellen Verwaltungspraxis fängers. Es gibt keine Patentrezepte für erfolgreiche Kommunikation. Man muss ständig neu entscheiden, auf was und wie man reagiert. Kommunikation ist ein Kreislauf zwischen sehr unterschiedlichen Menschen. Erst wenn man Unterschiede respektieren kann, kann man durch seine Kommunikation den Empfänger mit der Botschaft erreichen (vgl. Heckel, S. 36 37). 2 Bedingungen, die die Kommunikation beeinflussen 2.1 Die Begegnung von Menschen mit unterschiedlichen Orientierungssystemen 7 Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung und Migrantinnen und Migranten miteinander sprechen, begegnen sich Menschen mit unterschiedlichen Orientierungssystemen. Schon ohne Migrationshintergrund können sich bei der Kommunikation zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der Verwaltung zwei sehr unterschiedliche Kulturen begegnen. Die Welt der Verwaltung bringt ein besonderes System von Konzepten, Überzeugungen, Einstellungen und Werteorientierungen mit sich. Hier wirken das Gesetz und die Erfordernisse von Verwaltungsvorgängen. Dazu gehört beispielsweise, dass zur Bearbeitung eines Anliegens Unterlagen erforderlich sind. Dies ist für die KlientInnen nicht immer einsichtig. Die Verwaltungswelt hat ihre eigene Sprache und ihre eigenen Abkürzungen. Hier gibt es nicht nur für Migrantinnen und Migranten einen Übersetzungsbedarf. Wer kann sich schon etwas unter dem Begriff unterhaltsverpflichteter Angehöriger vorstellen? Darüber hinaus können sich in der Kommunikation zwischen Verwaltung und Migrantinnen und Migranten auch andere Kulturunterschiede bemerkbar machen. Es kann um Unterschiede im Alter, der Schicht, dem Bildungsstand, der Religion, des Geschlechts oder um ethnische bzw. regionale Unterschiede gehen. So kann beispielsweise das, was als höflich oder normal angesehen wird, sich in verschiedenen Ländern unterscheiden. Manchmal kommt es dadurch zu Missverständnissen oder Konflikten. Eine Orientierung, um Kulturen analysieren zu können, geben Kulturstandards, wie z.b. die Dimensionen von Geert Hofstede. Allerdings sind diese Dimensionen nur vorläufige Annahmen zum besseren Verstehen. Deshalb ist Vorsicht geboten! Sie sind ein Mittel für Erklärungsversuche von wahrgenommenem Verhalten. Wichtig ist aber, den Menschen und seine Situation jenseits dieser Schubladen wahrzunehmen. Insbesondere durch Modernisierungsprozesse sind Menschen, die aus bei Hofstede kollektivistisch eingestuften Kulturen kommen, oft individualistisch in ihren Werten und ihrem Verhalten. Hofstede hat bei seinen Forschungen in 50 Ländern vier Kategorien entwickelt, mit deren 20

Hilfe sich ethnische bzw. regionale Kulturen 8 analysieren lassen. Diese Kategorien, die er Dimensionen nennt, sind Aspekte einer Kultur, mit deren Hilfe sich Kulturen vergleichen lassen. Diese vier Dimensionen sind: Kollektivismus gegenüber Individualismus, Machtdistanz, Unsicherheitsvermeidung, Femininität gegenüber Maskulinität. Auf Kollektivismus gegenüber Individualismus und Machtdistanz werde ich im Folgenden näher eingehen, da diese Dimensionen gute Hilfen sind, um die interkulturellen Unterschiede, die mir bei meiner Forschung begegnet sind, zu erklären. Kollektivismus gegenüber Individualismus Im Vergleich mit der Türkei ist Deutschland z.b. eine eher individualistische Gesellschaft. Das heißt aber nicht, dass alle Menschen türkischer Herkunft kollektivistisch orientiert sind. Das sagt nur etwas über eine tendenzielle Ausrichtung in einer Kultur aus. Und nicht alle in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten kommen aus kollektivistischen Gesellschaften. Auf Hofstedes Individualismusindex rangiert z.b. die USA an erster Stelle, Italien an siebter Stelle, die Bundesrepublik Deutschland an 15. Stelle, die Türkei an 28. Stelle, Griechenland an 30. Stelle und Guatemala an 53. Stelle (S. 69 70). Individualismus beschreibt Gesellschaften, in denen die Bindungen zwischen den Individuen locker sind: Man erwartet von jedem, daß er für sich selbst und seine unmittelbare Familie sorgt. Sein Gegenstück, der Kollektivismus, beschreibt Gesellschaften, in denen der Mensch von Geburt an in starke, geschlossene Wir-Gruppen integriert ist, die ihn ein Leben lang schützen und dafür bedingungslose Loyalität verlangen (Hofstede, S. 66). Ein Kennzeichen der Unterscheidung von kollektivistischen und individualistischen Gesellschaften ist Aufgabenorientierung versus Beziehungsorientierung. In unserer eher individualistischen Gesellschaft gilt die Aufgabe als vorrangig vor jeglicher persönlicher Beziehung (Hofstede, S. 89). Überträgt man das auf die Arbeit einer Behörde, geht es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in erster Linie um eine korrekte Sachaufgabenerfüllung. In der kollektivistischen Gesellschaft hat das persönliche Verhältnis Vorrang vor der Aufgabe und sollte als erstes aufgebaut werden (Hofstede, S. 89). Migrantinnen und Migranten, die aus eher kollektivistischen Gesellschaften kommen, 7 Hier beziehe ich mich auf den Kulturbegriff der Leitlinien für eine interkulturell orientierte Kinder- und Jugendhilfe auf Grundlage des 9 Absatz 1 und 2 KJHG (Landeshauptstadt München, Sozialreferat/Stadtjugendamt, Beauftragte für interkulturelle Arbeit 2000). 8 Er nennt das, was ich als ethnische bzw. regionale Kulturen bezeichne, nationale Kulturen. Dieser Begriff greift meiner Meinung nach nicht, da es innerhalb einer Nation sehr unterschiedliche ethnische und regionale Kulturen geben kann. So können Menschen, die beispielsweise in einer Großstadt aufgewachsen sind, wesentlich anders geprägt sein als Menschen, die auf dem Land aufgewachsen sind. 21

II Faktoren und Bedingungen von Kommunikation in der interkulturellen Verwaltungspraxis fühlen sich in der Regel dann höflich und respektvoll behandelt, wenn aus der Kommunikation ersichtlich ist, dass sie persönlich wahrgenommen werden. Machtdistanz Geert Hofstede definiert Machtdistanz als das Ausmaß, bis zu welchem die weniger mächtigen Mitglieder von Institutionen bzw. Organisationen eines Landes erwarten und akzeptieren, daß Macht ungleich verteilt ist (S. 32). In einer Kultur mit einer relativ hohen Machtdistanz, wie beispielsweise in Ex- Jugoslawien, sind hierarchische Strukturen in Organisationen ein Spiegelbild einer Ungleichheit, die von Natur aus zwischen einer oberen und einer unteren Schicht besteht. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwarten, Anweisungen zu erhalten, statt in Entscheidungen einbezogen zu werden. Privilegien und Statussymbole für Manager und Managerinnen werden erwartet und sind populär. Der ideale Vorgesetze ist der wohlwollende Alleinherrscher oder der gütige Vater (vgl. Hofstede, S. 46). 2.2 Umgang mit Sprache Von der Schwierigkeit, eine Fremdsprache zu erlernen Wenn man selbst schon einmal eine Fremdsprache erlernt hat, weiß man, dass das nicht einfach ist und es eine Weile dauern kann, bis man eine Sprache so gut spricht, dass man sich über komplexe Sachverhalte verständigen kann. Ein Gespräch auf einer Behörde ist ein komplexer Sachverhalt und mit geringen Sprachkenntnissen eine große Herausforderung. Besonders schwierig ist auch das Telefonieren in einer fremden Sprache. Menschen, die aus Gründen der Flucht, der Arbeitsmigration oder des Familiennachzuges neu nach Deutschland gekommen sind, müssen erst die deutsche Sprache lernen. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass sie diese nicht sofort beherrschen. Hier könnte man sagen: Aber wie ist das mit Menschen, die schon lange in Deutschland sind? Als 1955 die Bundesanstalt für Arbeit im Auftrag der Bundesregierung den ersten Anwerbevertrag mit Italien abschloss, gingen sowohl die Menschen, die zu uns kamen, als auch die deutschen Politikerinnen und Politiker davon aus, dass dies zeitlich befristet sein wird (vgl. Treibel, S. 55). Die Menschen, die zu uns kamen, stellten sich darauf ein, dass sie in einigen Jahren wieder in ihre Heimat zurückkehren würden. Auch die deutschen Politikerinnen und Politiker sowie die Unternehmen gingen davon aus, dass diese Menschen nach wenigen Jahren Deutschland wieder verlassen würden. Es wurde lange verleugnet, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und es gab keine Konzepte für Integration. Für diese Menschen wurden keine Sprachkurse angeboten und sie selbst ergriffen oft keine entsprechende Initiative, da sie davon ausgingen, dass sie dieses Land wieder verlassen würden. Viele von ihnen, die inzwischen zum Teil über vierzig Jahre in Deutschland leben, haben die deutsche Sprache nicht oder nur schlecht gelernt. Bei diesen kann man auch davon ausgehen, dass nur wenige von ihnen dies im Alter nachholen werden. Diese 22

Menschen haben ihr gesamtes Arbeitsleben in Deutschland verbracht. Es steht ihnen zu, die sozialen Dienstleistungen gleichberechtigt in Anspruch nehmen zu können. Inzwischen bekennt sich die Bundesrepublik Deutschland dazu, ein Einwanderungsland zu sein, und hat mit dem Zuwanderungsgesetz Instrumente für Integration gesetzlich verankert, z.b. den rechtlichen Anspruch auf einen Sprachkurs und die Verpflichtung, einen solchen zu besuchen. Die kulturelle Sprache Noch schwieriger, als eine Fremdsprache zu erlernen, ist es, die kulturelle Sprache zu erlernen. In der eigenen Kultur weiß man z.b., wie man sich angemessen und höflich verhält. Heinz-Günter Vester nennt dies kulturelle Kompetenz. Zu dieser kulturellen Sprache gehören beispielsweise der Umgang mit Zeit (S. 48 52), das Verhältnis von Aufgabenorientierung und Beziehungsorientierung (S. 21), das Verhältnis zu Machtunterschieden (S. 22) und die Wertigkeit von Alter (S. 52 53). Die kulturelle Sprache ist zum größten Teil unbewusst und dadurch viel schwieriger zu erlernen als die gesprochene Sprache. Einen Mann aus Äthiopien habe ich gefragt, ob es etwas gibt, was ihn am Anfang in Deutschland irritiert hat. Er antwortete mir: Wenn die Deutschen sprechen, sprechen sie laut, auch wenn sie nicht streiten. Das ist normal für die Deutschen. Sie machen das mit Freunden und auch bei Fremden. Bei uns wird mit Fremden leise gesprochen. Zuerst habe ich das als unhöflich und als Hass interpretiert. Jetzt habe ich es gelernt. Dieser Mann ging am Anfang in Deutschland davon aus, dass lautes Sprechen, genauso wie in seiner Heimat, mit einer Auseinandersetzung verbunden ist. Da er davon ausging, dass es genauso ist wie bei ihm zu Hause, kam er nicht auf die Idee, nachzufragen, was es bedeutet, wenn jemand laut mit ihm spricht. Er dachte erst einmal, dass jemand mit ihm oder anderen streitet. Erst im Laufe der Zeit hat er gelernt, lautes Sprechen als normal zu interpretieren. Kulturelle Sprachen richtig interpretieren Migrantinnen und Migranten kommen in München aus fast 190 Staaten (vgl. Landeshauptstadt München, Statistisches Jahrbuch 2001). Es ist natürlich unmöglich, über all diese Kulturen Bescheid zu wissen. Wichtig ist zu wissen, dass sich Kulturen unterscheiden können (vgl. S. 20 22). Darüber hinaus geht es um die Haltung anzuerkennen, dass Kulturen gleichwertig sind und dass es keine besseren oder schlechteren Kulturen gibt 9. Eine große Hilfe ist es, etwas über Kulturunterschiede zu wissen und mit den Irritationen, dass sich Menschen anders verhalten, als es für einen normal und angemessen ist, umgehen zu können. Dass man sich, wenn sich jemand anders verhält, als das in der eigenen Kultur für höflich erachtet wird, nicht sofort persönlich 9 Wobei Kulturen nichts Statisches, sondern einem ständigen Veränderungsprozess unterworfen sind (vgl. S. 12 13). 23

II Faktoren und Bedingungen von Kommunikation in der interkulturellen Verwaltungspraxis angegriffen fühlt, sondern erst einmal einen Schritt zurückgehen und reflektieren kann, was da gerade abläuft. Natürlich ist nicht alles, was anders ist als das, was man selbst für höflich erachtet, auf kulturelle Unterschiede zurückzuführen. Dieses Buch möchte einen Beitrag zu einem stressfreieren Umgang mit kulturellen Unterschieden leisten. Interkulturelle Fortbildungen sind eine gute Voraussetzung, um mehr über den Umgang mit kulturellen Unterschieden zu erlernen. Welche interkulturellen Fortbildungen im Sozialreferat angeboten werden und wie man sich dafür anmelden kann, können Sie auf den Seiten 74 75 nachlesen. 2.3 Lebenskontext in der neuen Heimat Ich fragte einen Flüchtling, wann er zufrieden aus dem Sachgebiet Wirtschaftliche Hilfen für Flüchtlinge hinausgeht. Er antwortete: Und wissen Sie, alles hängt vom Aufenthaltsstatus ab, das ist das Wichtigste der ganzen Leistungsabteilung. Hier wird sehr deutlich, wie stark der Aufenthaltsstatus das gesamte Lebensgefühl von Menschen unterschiedlichster Nationalitäten prägt. Die Menschen sind oft unter Druck. Sie haben Schwierigkeiten mit den Hausmeistern und Heimleitern in den Unterkünften. Sie haben Schwierigkeiten mit den Versicherungen. Statt Sozialhilfe gibt es Sachleistungen, denen ein um 20 25 % gekürzter Sozialhilfesatz zu Grunde liegt. Das heißt, sie können nicht einmal entscheiden, was sie essen. Die meisten würden gerne arbeiten. Für das erste Jahr nach der Einreise gibt es ein Arbeitsverbot. Danach erhalten sie eine Arbeitserlaubnis nur für eine Beschäftigung, für die das Arbeitsamt keinen Deutschen oder EU-Ausländer gefunden hat. Das Schlimmste ist die Angst, dass der Aufenthalt nicht verlängert wird: Weil, wenn man keine Verlängerung seines Aufenthalts bekommt und zu seiner Botschaft fahren muss, weiß man, wenn man das tut, dass das für einen das Ende bedeutet. Viele denken, wenn ich das mache, dann töten die mich in meinem Heimatland. Auf den Aufenthaltsstatus haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter natürlich keinen Einfluss. Wichtig ist, dass ihnen bewusst ist, dass Unsicherheit und Angst bei manchen ihrer Klientinnen und Klienten wichtige Faktoren sind, die sich auf die Kommunikation auswirken. Dies kann sehr verschieden zum Ausdruck kommen. Manchmal fühlen sich Menschen durch ihre Angst völlig blockiert und sind unfähig, ihr Anliegen zu formulieren. Die sonst vorhandenen Deutschkenntnisse sind plötzlich verschwunden was bleibt, ist Sprachlosigkeit. In manchen Fällen können sich Unsicherheit und Angst in aggressivem Verhalten ausdrücken. Auch abgesehen vom Aufenthaltsstatus ist das Leben in einer neuen Kultur mit einem Gefühl der Unsicherheit verbunden. Eine (ehemalige) Klientin des Sachgebietes Wirtschaftliche Hilfen für Flüchtlinge ein so genannter Kontingentflüchtling aus einem Land der ehemaligen Sowjetunion fragte 24

ich, wann sie aus einer Behörde hinausgeht und zufrieden ist. Sie antwortete nicht mit ihren Erwartungen an eine Behörde, sondern stellte ihr Lebensgefühl aus dieser Zeit dar: Wissen Sie, als wir hierher gezogen sind, da war alles neu und wir wussten nicht, wohin wir sollen und was wir tun sollen. Dies spielt insbesondere für ältere Menschen eine Rolle. Manche fühlen sich verwirrt und unsicher: Junge Leute, die sehen nur die Zukunft vor sich und die denken nur an Gutes. Wir sind hierher gezogen, wir fangen ein neues Leben an. Für ältere Leute ist das anders. Die denken nur an das, was sie zurückgelassen haben. 2.4 Machtgefälle zwischen Verwaltung und Klientel Konflikte gibt es in der interkulturellen Kommunikation nicht nur durch Missverständnisse auf Grund unterschiedlicher Werte, Normen und Verhaltensweisen, sondern auch durch die Tatsache, dass eine Partei die Definitionsmacht darüber hat, was normal, höflich und angemessen ist (vgl. Weiß 2001a, S. 15 ff.; Weiß 2001b, S. 277 ff.). Das Machtgefälle ist trotz des Anspruchs auf Kundenorientierung wichtiger Bestandteil der Kommunikation. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die Möglichkeit und den Auftrag, im Rahmen des Gesetzes Entscheidungen zu treffen. Dies beinhaltet Ermessensspielräume. Deshalb haben sie innerhalb berechenbarer Regeln Macht. Damit sind die Rahmenbedingungen der Kommunikation asymmetrisch. Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sehr respektvoll mit Klientinnen und Klienten umgehen, machen im Konfliktfall von ihrer Macht Gebrauch. Wenn sich Klientinnen und Klienten stur stellen, wenn sie sagen: das interessiert mich jetzt nimmer, mit dir red ich nimmer oder laut werden, dann muss man halt zu anderen Mittel greifen, und ihnen die rechtlichen Konsequenzen aufzeigen. Es geht halt manchmal nicht anders. Dann muss ich denen, so nett und freundschaftlich das Gespräch vorher ist, dann muss ich die Distanz noch größer werden lassen und doch im Über- und Unterordnungsverhältnis arbeiten und ganz klar sagen: Junge, bis jetzt hab ich s so versucht, aber ich kann auch anders. Eine andere Mitarbeiterin sagte, dass sie in solchen Fällen ganz ruhig bleibt und sagt: Dann ist das Gespräch für mich beendet, Sie müssen mit Konsequenzen rechnen, tut mir Leid für Sie. Die Möglichkeit, im Konfliktfall die Macht einsetzen zu können, ist eine Rahmenbedingung der Kommunikation und unabhängig von den jeweiligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Diese müssen ihrem Arbeitsauftrag gerecht werden und im Konfliktfall ihre Macht gebrauchen. Wichtig ist ein reflektierter und verantwortungsbewusster Umgang mit dieser Macht, damit der Machtgebrauch kein Machtmissbrauch wird. 25

II Faktoren und Bedingungen von Kommunikation in der interkulturellen Verwaltungspraxis Das heißt, dass man seinen eigenen Ärger reflektiert und vermeidet, dass man auf Grund des eigenen Ärgers z.b. Leistungen vorenthält oder es dem Klientel durch das Anfordern von mehr Unterlagen als nötig erschwert, Leistungen zu bekommen. Eine Sozialpädagogin, die parteilich mit jungen Migrantinnen arbeitet, spricht über die Abhängigkeit der Klientinnen und Klienten von den Entscheidungen der Behörde: Wenn eine Migrantin Kontakt mit dem Sozialreferat aufnimmt, ist sie immer in einer Krisensituation, das heißt, sie will was, sie braucht was und sie ist von Entscheidungen abhängig. Zwei junge Flüchtlinge haben mir von Situationen berichtet, in denen sie sich Behörden gegenüber ohnmächtig gefühlt haben. Sie haben oft erlebt, dass man als Ausländer keine Rechte und keine Ansprüche hat. Wenn man eine Auseinandersetzung mit einer Behörde oder mit der Polizei hat, kann man sich zwar verteidigen, bekommt aber oft nicht Recht, selbst wenn man im Recht ist. Dies löst das Gefühl aus: Du brauchst dich nicht quälen, geh raus, du kriegst eh nicht Recht. Du musst damit leben. Klientinnen und Klienten machen die Erfahrung, dass es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung gibt, die sich nicht immer korrekt verhalten und ihre Macht missbrauchen. Diese Erfahrung beeinflusst natürlich die Kommunikation mit Behörden. Dies kann sich u.a. in Angst, Misstrauen oder aggressivem Verhalten ausdrücken. Da kann es sein, dass man als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter Ärger abbekommt, der mit den bisherigen Behördenerfahrungen zu tun hat. Hinzu kommt, dass Migrantinnen und Migranten oft das Machtgefälle größer erscheint, als es faktisch ist. Hier spielen u.a. die Erfahrungen, die im Heimatland mit Behörden gemacht wurden, eine Rolle (vgl. S. 45). Die Klientinnen und Klienten kommen teilweise aus Ländern, in denen die Verwaltungsvorgänge nicht nach berechenbaren Regeln ablaufen und der Staat als mächtiger Gegner erlebt wird. Gerade bei im Herkunftsland unterdrückten Minderheiten kann es sein, dass das Misstrauen gegenüber Behörden sehr groß ist. Dazu kommt, dass oft das Wissen im Umgang mit Behörden fehlt. Deshalb ist es sinnvoll, dass man selbst die Abläufe und Regeln der eigenen Behörde genau erklärt. 26