In dieser Sendung: HÖRGESCHÄDIGTE AN DER UNIVERSITÄT Diana Beckert, Benjamin Busch, Monika Schunk wie bewältigen sie ihr Studium an der LMU München?



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SEHEN STATT HÖREN... 22. September 2007 1338. Sendung In dieser Sendung: HÖRGESCHÄDIGTE AN DER UNIVERSITÄT Diana Beckert, Benjamin Busch, Monika Schunk wie bewältigen sie ihr Studium an der LMU München? BARRIEREFREI STUDIEREN? Engl. Garten, München-Impressionen Diana Beckert auf dem Fahrrad, Benjamin Busch in der U-Bahn, Monika Schunk steigt aus dem Auto aus Benjamin auf dem Weg in die Universität, Titel: BARRIEREFREI STUDIEREN? Benjamin Busch vor Hauptgebäude LMU München: Hallo! Mein Name ist Benjamin. Ich studiere Betriebswirtschaftslehre kurz BWL, im 2. Semester hier an der LMU München. Diana Beckert vor Hauptgebäude LMU München: Ich bin Diana Beckert. Ich studiere Soziologie im 10. Semester mit den Nebenfächern Psychologie und Ethnologie hier an der LMU München. Moderation Conny Ruppert vor der LMU München: Hallo und herzlich willkommen bei Sehen statt Hören! Studieren in München das tun etwa 80.000 allein an den drei großen Münchner Universitäten. Gehörlos ist unter ihnen nur ein winzigkleiner Teil. Wie ergeht es dieser Minderheit? Wie sehen sie selbst ihre Möglichkeiten und Chancen im Studium und später im Beruf? Wir begleiten jetzt erst mal zwei von ihnen mit der Kamera Diana kommt mit dem Fahrrad zum Institutsgebäude für Ethnologie in der Oettingerstraße Studenten in der Übung: Bürgerliches Recht für BWL-Studenten Benjamin kommt in den Vorlesungssaal (Ton wird fast unhörbar) Dolmetscherin übersetzt, Stimme der Professorin: Sie haben noch einen weiteren Paragraphen benannt, den 600 oder doch nicht? Aber ich bitte Sie, aufzuschlagen einmal: Seite 651. Benjamin Busch in der Bibliothek der BWL-Fakultät: Das BWL-Studium beschäftigt sich nicht nur mit Buchhaltung, nein es behandelt viele verschiedene Themen. Ein Bereich ist z.b. Marketing, in Verbindung mit Werbung, ein anderer ist Statistik, in dem es mehr um Finanzmathematik geht, wieder ein anderer setzt sich mit Handelsrecht im Unternehmensalltag auseinander. Was ich später mal beruflich mache? Hm, das hat noch Zeit. Ich bin ja noch im ersten Studienabschnitt. Erst im zweiten Abschnitt wählt man seinen Schwerpunkt. Feste Vorstellungen habe ich noch keine. Ich denke, dass es für Gehörlose angenehmer ist, in einem klassischen Schreibtischjob tätig zu sein, in dem sie weitgehend selbstständig arbeiten können. Accounting zum Beispiel. In dem Bereich werde ich vielleicht auch mal arbeiten. Diana Beckert vor Institut für Ethnologie: Ich habe mich für das Soziologie-Studium

entschieden, weil ich mich schon immer für die Gesellschaft und deren Zusammenhänge interessiert habe; welche Wechselwirkungen es zum Beispiel zwischen Politik und Staat gibt. Warum sagen sich die Menschen Guten Tag oder Guten Morgen. Woher kommen all diese Regeln?! Das interessiert mich. Psychologie ergänzt diese Themen sehr gut und bietet weitere neue interessante Erklärungsansätze. Ethnologie habe ich dazu gewählt, weil mich andere Länder und andere Kulturen interessieren vor allem bestimmte kulturelle Rituale. Diana im Ethnologie-Seminar: Ritualtheorien Benjamin nach der BWL-Vorlesung Unternehmensführung und Marketing Benjamin im Audimax der LMU: Wie ich schon sagte, bin ich noch im ersten Studienabschnitt. Da ist der Kontakt zwischen Studierenden und Professoren noch nicht so intensiv, weil in den Vorlesungen sehr viele Studenten sind. Wenn ich Fragen habe oder etwas wissen will, gibt es die Möglichkeit, direkt nach der Vorlesung zum Dozenten zu gehen. Ich kann aber auch von zu Hause aus meine Fragen per Mail an den Dozenten schicken. Meistens bekomme ich schnell eine Antwort. Wobei schnell heißt, dass es durchaus bis zu einer Woche dauern kann. In den Übungen kann man mehr diskutieren und Fragen stellen und der Kontakt zum Dozenten ist dort viel enger. Die LMU München ist eine riesige Uni. Deshalb ist die Anonymität unter den Studierenden sehr groß. Man knüpft nicht so leicht Kontakte zu den Kommilitonen. Jeden Tag sieht man quasi neue Gesichter. Trotzdem habe ich einen kleinen, engen Freundeskreis, mit dem ich Kontakt halte. Diana im Ethnologie-Seminar Ritualtheorien, Dolmetscherin übersetzt Diana im Institut für Ethnologie Oettingenstraße: Seminare sind in der Regel eher kleinere Veranstaltungen. Trotzdem ist der Kontakt zu den anderen Studenten in erster Linie arbeitsbezogen. Wenn man zum Beispiel ein Referat gemeinsam vorbereiten oder in Gruppen zusammenarbeiten muss, ist der Kontakt da, ansonsten bleibt es meistens beim Hallo. Wirklich tiefe Freundschaften mit hörenden Studenten entwickeln sich schwer. Als ich früher noch ohne Dolmetscher Vermessungstechnik studiert habe, fiel mir das leichter. Mit Dolmetscher fühlen sich die Kommilitonen etwas abgeschreckt, weil sie nicht wissen, wie sie auf mich zugehen sollen. Diana kommt ins Seminar Soziologie des Arbeitsmarkts Diana: Zurzeit gibt es in München nur wenig gehörlose Studenten. Ich kenne vielleicht vier oder fünf, die an der FH oder an der Uni studieren. Vor etwa fünf Jahren war das ganz anders, da studierten wesentlich mehr Gehörlose und Schwerhörige hier in München etwa 20 oder sogar mehr. Das hat sich dann enorm reduziert. Ich kann mir vorstellen, dass das an der schlechten Dolmetschersituation liegt. Nicht alle Dolmetscher trauen sich zu, an der Uni zu dolmetschen, da das Niveau dort sehr hoch ist. Ihnen fehlt oft eine entsprechende Qualifikation. Dann reißen sich natürlich alle gehörlosen Studenten um die wenigen qualifizierten Dolmetscher. Die Situation ist in Hamburg, Berlin oder in Köln offensichtlich besser. Das ist zumindest mein Eindruck. Conny: Ich möchte Ihnen Frau Mosel vorstellen. Frau Mosel arbeitet in der zentralen Studienberatung der LMU. Sie ist Ansprechpartnerin für behinderte Studenten und chronisch Kranke. Frau Mosel, die Studenten, die gehörlosen Studenten, die hier her kommen, was sind ihre typischen Fragen oder Probleme? Irene Mosel, Ansprechpartnerin für behinderte und chronisch kranke Studierende der zentralen Studienberatung der LMU München: Wie Sie s schon gesagt haben, bin ich Ansprechpartnerin für alle Behinderungsarten nicht nur für gehörlose Studierende. Typische Fragen sind sehr schwierig zu formulieren. Es geht häufig um Nachteilsausgleich, um Befreiung von Studienbeiträgen, um Studienorganisation, Prüfungszeitverlängerung oder ähnliches. Conny: Und wie sieht es mit der Finanzierung von Dolmetschern aus? Irene: Der überörtliche Sozialhilfeträger der Regierung von Oberbayern stellt Hochschulhilfen für behinderte und chronisch kranke Studierende zur Verfügung. Das beinhaltet auch die Finanzierung von Gebärdensprachdolmetschern. Conny: Haben Sie den Eindruck, dass der Nachteil Gehörloser ausgeglichen wird? Oder treten aufgrund der Behinderung noch andere Probleme auf, die nicht so leicht ausgeglichen werden können?

Irene: Ich wünsche mir sehr, dass der Nachteil ausgeglichen werden kann durch die Unterstützung der Universität. Ich kann selber nicht beurteilen, ob Nachteile vollständig ausgeglichen werden können. Impressionen vor dem Hauptgebäude der LMU www.uni-muenchen.de Benjamin vor dem Uni-Hauptgebäude: Die Organisation der Dolmetscher ist schon mit einem großen Aufwand verbunden. Man muss rechtzeitig vor Semesterbeginn bei der Fakultät den Stundenplan anfordern, um dann die Dolmetscher zu fragen, ob sie bestimmte Vorlesungen übernehmen können. Meistens wird das Vorlesungsverzeichnis jedoch erst ein oder zwei Wochen vor Semesterbeginn bekannt gegeben. Dann wird es sehr knapp. Aber bisher hat das ganz gut geklappt. Diana in ihrem Wohnheim-Zimmer: Ich habe ja ursprünglich Vermessungstechnik an der FH München studiert. Mein Antrag auf Finanzierung von Dolmetschern hat sich am Anfang lange hingezogen und kompliziert gestaltet, weil ich zuvor schon eine Ausbildung absolviert hatte. Erst nach ca. einem Jahr bekam ich dann endlich die Zusage. Damit war bereits ein Jahr meines Studiums verloren, denn ich saß in den Vorlesungen ohne etwas zu verstehen. Ich musste mich voll auf meine Mitschreibkraft verlassen. Das war aber nicht ausreichend. Im sechsten Semester konnte ich dann kaum Dolmetscher finden. Das war zu der Zeit, als es um die zwanzig gehörlose Studenten in München gab. Ich fand keine Lösung. Letztlich konnten nur ein paar Dolmetscher hin und wieder für mich übersetzen. Also bekam ich vom Studium wieder so gut wie nichts mit, und ich musste mich entschließen, diesen Studiengang abzubrechen. Ich wechselte zu Soziologie, und jetzt läuft es besser. Uni-Hauptgebäude Conny: Prüfungszeitverlängerung, Mitschreibhilfe und Befreiung von den Studiengebühren: Das sind im Wesentlichen die Möglichkeiten, die die Universität gehörlosen Studenten als Nachteilsausgleich nicht als Behinderten-Bonus anbieten kann. Das viel größere Problem jedoch, der Einsatz und die Kostenübernahme von Dolmetschern, fällt hier in München in den Aufgabenbereich des Bezirks Oberbayern. Grundsätzlich steht gehörlosen Studierenden die Finanzierung eines Dolmetschers für ihr Studium zu. Probleme bei der Kostenübernahme gibt es jedoch immer dann, wenn dem Studium bereits eine Ausbildung vorangegangen ist. Dann gilt das Studium als zweite Ausbildung und die Ü- bernahme der Kosten wird in jedem Einzelfall erneut geprüft. Der Bildungsweg gehörloser Studierender verläuft jedoch in der Regel so: Realschulabschluss Ausbildung Abitur Studium. Da heißt es dann: Nicht aufgeben! und alles versuchen, um doch noch eine Ü- bernahme der Dolmetscherkosten gewährt zu bekommen. Ist dies gelungen, bleibt nur noch eine Frage: Selbst wenn der Dolmetscher im Studium eingesetzt wird, gibt es dann nicht trotzdem noch Barrieren? Vorlesung in Betriebswirtschaftslehre (BWL) Unternehmensführung und Marketing, Benjamin Busch und Dolmetscherin Benjamin vor dem Uni-Hauptgebäude: Barrierefreies Studieren hat sicherlich auch etwas mit der eigenen Einstellung zu tun. Wenn ich einen Dolmetscher für eine Lehrveranstaltung habe, sind quasi die Voraussetzungen für ein barrierefreies Studium gegeben. Die Kosten dafür werden ja vom Bezirk Oberbayern getragen. Aber der Einsatz von Dolmetschern garantiert noch kein barrierefreies Studium. Da gibt es noch andere Punkte, die man bedenken muss. Wenn ich z.b. eine Statistikoder eine Makro-Ökonomie Vorlesung besuche, wo immer wieder viele Zahlen und Graphiken gezeigt werden, kann ich nicht gleichzeitig die Folien und den Dolmetscher anschauen. Diana, Soziologie-Studentin, im Seminar Soziologie des Arbeitsmarkts, mit Dolmetscherin Diana in ihrem Wohnheim-Zimmer: Es gibt schon noch einige Hindernisse, zum Beispiel wenn man im Team arbeiten muss, also bei Gruppenarbeiten oder Referaten. Da bin ich als Gehörlose oft etwas außen vor. Klar, es gibt Internet und Dolmetscher, aber das ist nicht alles Diana im Soziologie-Seminar und in der Küche des Wohnheims Diana: Für Soziologen gibt es eigentlich ein ziemlich weites Tätigkeitsfeld. Ich kann z. B. als Dozentin arbeiten, im Marketing oder im Management tätig werden oder in der Forschung. Dort werden unterschiedliche Fragestellungen untersucht. Sogar als Erzieherin könnte ich arbeiten. Persönlich würde ich

gerne in der Forschung bezogen auf Gehörlose bezogen tätig werden. Mich interessieren zum Beispiel die Themen Erziehung, Bildung, Arbeitsleben oder Diskriminierung von Gehörlosen und wie man dagegen vorgehen kann. Vielleicht besteht irgendwann die Möglichkeit, internationale Vergleiche anzustellen oder Ergebnisse aus anderen Forschungskontexten zu nutzen. Benjamin auf der Treppe im Uni- Hauptgebäude: Mein Studium dauert insgesamt 3 Jahre dann habe ich nach dem neuen System den Bachelor als Studienabschluss. Wenn ich noch einen Masterstudiengang anschließen möchte, dauert das nochmals 2 Jahre. Für meinen Bachelor brauche ich also erstmal noch zwei Jahre. Ich würde auch ganz gern ein Auslandssemester einschieben. Heutzutage wird das von den Unternehmen als selbstverständlich erachtet. Ich plane im 4. oder 5. Semester ins Ausland zu gehen. Mal sehen. Conny im Zug nach Bamberg: Nicht nur gehörlosen, sondern auch hörenden Studierenden stellt sich nicht selten die Frage, inwiefern sie das Wissen, das sie sich über die Jahre während ihres Studiums aneignen, auch tatsächlich in der Praxis anwenden können. Nach der Studienzeit kommt dann häufig der Sprung ins kalte Wasser! Monika Schunk hat bis vor 1 ½ Jahren an der LMU München Gehörlosenpädagogik studiert und ist jetzt im Referendariat an der Gehörlosenschule in Bamberg. Wir wollen sie nach ihren Erfahrungen fragen und wissen, ob sie das auch als Sprung ins kalte Wasser erlebt hat? Monika auf dem Weg in die Von-Lerchenfeld- Schule, Privates Förderzentrum, Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation, Bamberg Unterricht in der Klasse 8/9 bg, Klassenlehrerin: Monika Schunk Conny kommt mit dem Zug in Bamberg an und trifft Monika: Wie hat s dich denn hierher nach Bamberg verschlagen? Hast du München ganz den Rücken gekehrt? Monika Schunk: Nein, nein, das hängt mit meinem Referendariat zusammen. Ich habe mir überlegt, ob ich an die Gehörlosenschule in München oder in Bamberg gehen soll. Doch die Gehörlosenschule hier in Bamberg hat einen sehr guten Ruf. Es wird hier bilingualer Unterricht angeboten und das ganze Lehrerkollegium ist gebärdensprachkompetent. Außerdem wohnt mein Mann hier in der Nähe. Monika Schunk mit ihrer Klasse im Computer- Raum Gebärdensprach-Unterricht, Themen: Gebärdenschrift / Fachgebärden-Lexikon im Internet Conny im leeren Klassenzimmer: Wenn du zurückdenkst warum hast du dich damals ausgerechnet für Gehörlosenpädagogik entschieden? Monika Schunk: Ich glaube, ein Grund ist, dass ich damals an der Wirtschaftsschule in einer gemischten Klasse war, also mit Schwerhörigen, Gehörlosen und Sprachbehinderten zusammen. Der Unterricht war in der Regel gut und hat Spaß gemacht. Aber der Lehrer hat manchmal einfach zu schnell gesprochen und einige Klassenkameraden haben die Inhalte nicht verstanden. Der Lehrer bat mich, die Inhalte für die Schüler noch einmal zu erklären. Ich dachte mir, das geht doch nicht! Im Unterricht fehlte einfach die Gebärdensprache. Ich hatte schon ein komisches Gefühl, als Schülerin für die Anderen zu übersetzen. Ich wollte es einfach anders und besser machen. Ich bin auch jemand, der gerne neue Sachen lernt und diese dann weitervermittelt. Auch die Arbeit mit Jugendlichen macht mir Spaß. So kam mir der Gedanke, dass ich doch Gehörlosenpädagogik studieren könnte. Am Anfang meines Studiums war ich trotzdem noch unsicher, ob ich mich für Biologie oder für Gehörlosenpädagogik entscheiden solle. Zum Schluss hat es sich doch als das Richtige herausgestellt. Klar eine Woche vor meinem ersten Schultag war mir schon etwas mulmig. Ich wusste nicht, was mich erwartet, und wie es mit den Schülern läuft. Am ersten Tag hatte ich das Glück, dass eine Lehrerkonferenz stattfand und am Abend der Elternsprechtag. Ich hatte somit die Chance, an der Seite meines Betreuungslehrers alles kennen zu lernen. Ich war also nicht ganz auf mich allein gestellt. Dann war ich zum ersten Mal bei den Schülern im Unterricht. Ich habe aber nicht gleich alleine unterrichtet; sondern erst einmal nur hospitiert. So konnte ich mich mit der Situation vertraut machen. Eine Woche später hatte ich dann meinen ersten Schultag. Ich glaube, die Schüler haben meine Aufregung schon bemerkt. Monika Schunk beim Kopieren / Monikas Klasse im Schulhaus

Monika: Das Referendariat ist nun bald vorbei, und ich weiß nicht, wo ich zum Einsatz kommen werde. Das entscheidet ja der Staat, also das Kultusministerium. Ich habe also wirklich keine Ahnung, an welcher Schule ich arbeiten werde; ob es nun Bamberg, München, Augsburg oder vielleicht Straubing sein wird? Das wird sich im nächsten Monat entscheiden. Dann weiß ich mehr. Monika Schunk im Studienseminar Kooperationsveranstaltung mit dem Seminar des Förderzentrums Bayreuth mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung Conny zuhause bei Monika: Wie sieht denn dein Arbeitsalltag normalerweise so aus? Monika: Wenn die Schule vorbei ist, komme ich erst einmal nach Hause und esse etwas. Dann fange ich mit der Hausaufgabenkorrektur an und bereite meine Arbeitsblätter vor. Ich muss mir überlegen, wie ich meinen Unterricht didaktisch aufbaue. Ich muss mir also Gedanken machen, wie ich den Schülern am besten Wissen vermittle. Das ist manchmal gar nicht so einfach. Mal ist es sehr viel Arbeit und hin und wieder auch nicht so viel. Weil ich noch im Referendariat bin kommen noch einige Aufgaben hinzu. Conny: Du scheinst ja ganz gut beschäftigt Du stehst also auf, gehst zur Schule, bereitest dich nachmittags vor da bleibt wenig Freizeit Monika: Oh ja; die zwei Jahre Referendariat waren jetzt schon sehr hart für mich. Man hat so gut wie keine Freizeit. Man hat eigentlich immer von früh bis abends, teilweise bis Mitternacht zu arbeiten, weil immer wieder Sachen dazwischen kommen, die erledigt werden müssen. Viel Zeit für Sport oder andere Aktivitäten bleibt da nicht. Ich vermisse auch den Kontakt zu meinen Freunden, denn selbst an den Wochenenden muss man ran. Auf Freizeit verzichte ich fast ganz. Monika in ihrer Klasse: Gut, dann machen wir jetzt Pause! Monika Schunk im Lehrerzimmer, Kommunikation mit hörenden Kollegen Conny unterwegs in Bamberg: Wenn du die Situation während des Studiums mit der hier an der Schule vergleichst wie war der Kontakt zu deinen Kommilitonen und wie ist er jetzt zu den Lehrern? Monika: Am Anfang des Studiums waren meine Kommilitonen schon ganz schön verklemmt. Sie wussten nicht so recht, wie sie sich mir gegenüber verhalten sollten. Trotzdem waren sie neugierig und suchten Kontakt zu mir; schließlich studierten sie ja auch Gehörlosenpädagogik. Einige lernten auch Gebärdensprache und haben fleißig geübt. Aber ich merke schon einen Unterschied zu der Situation hier an der Schule. Die Lehrer haben einfach Erfahrung, denn sie unterrichten ja schließlich gehörlose Schüler und haben auch gehörlose Kollegen. Für mich war es deshalb kein Problem, mich hier zu integrieren. Mit ein paar Lehrern habe ich weniger zu tun, mit anderen mehr. Schön ist natürlich, dass einige voll gebärdensprachkompetent sind. Das macht es für mich sehr angenehm. Conny: Nach all der Theorie im Studium war da der Start ins Berufsleben wie ein Sprung ins kalte Wasser? Monika: Ja, das war er! Man muss sich vorstellen, dass es im Gehörlosenpädagogik- Studium in erster Linie um die verschiedenen Arten von Hörschädigungen geht von Schwerhörigkeit bis Gehörlosigkeit und um die Frage des richtigen Umgangs mit einer Hörschädigung. Das geht dann in den Bereich der Psychologie. Bezüglich des Unterrichts habe ich im Studium aber nur gelernt, wie man Hörende unterrichtet. Ich habe keine spezielle Didaktik für Gehörlose kennen gelernt. Hier in Bamberg musste ich deshalb erst einmal selbst meine Erfahrungen sammeln. Natürlich habe ich immer wieder bei anderen Lehrern nachgefragt und von ihnen Tipps bekommen. Aber sie haben mich auch selber ausprobieren lassen, damit ich aus meinen eigenen Fehlern lernen kann. Bamberg-Impressionen

Moderation: Conny Ruppert: Erinnern Sie sich noch an Ihre eigene Schul- und Ausbildungszeit? So wie es aussieht, wächst hier eine neue Generation von Gehörlosen heran, die ihre Ziele selbstbewusst verfolgt und an die Uni geht, um zu studieren. Die Türen stehen offen also nützt die Chance! Vielen Dank fürs Zuschauen! Bis zum nächsten Mal! Eine Reportage von: Moderation: Dolmetscher/Sprecher: Kamera: Ton: Schnitt: Barbara Galić Conny Ruppert Holger Ruppert, Rita Wangemann, Julia von Juni Katharina Kandler, Stephanie Lang Marc Bielenberg, Norbert Schwab, André Dulleck Annika Preusser Neuerscheinung: BHSA-Studienführer. Ein Handbuch für Hörgeschädigte Preis: 7,00 Infos unter: www.bhsa.de Manuskripte können auf Wunsch zugemailt oder gefaxt werden. Impressum: Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Redaktion Geschichte und Gesellschaft / SEHEN STATT HÖREN Tel.: 089 / 3806 5808, Fax: 089 / 3806 7691, E-MAIL: Internet-Homepage: sehenstatthoeren@brnet.de, www.br-online.de/sehenstatthoeren Redaktion: Gerhard Schatzdorfer, Bayer. Rundfunk, BR 2007 in Co-Produktion mit WDR Herausgeber: Deutsche Gesellschaft der Hörgeschädigten Selbsthilfe und Fachverbände e. V. Paradeplatz 3, 24768 Rendsburg, Tel./S-Tel.: 04331/589750, Fax: 04331-589751 Einzel-Exemplar: 1,46 Euro