Gesundheitskosten, die ans Lebendige gehen



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Transkript:

Thaba-Tseka, Paray Hospital, 18. Oktober 2004 Gesundheitskosten, die ans Lebendige gehen Ein Tag im Paray-Hospital in den Bergen Lesothos Wenn die Sonne am Morgen über Thaba-Tseka aufgeht, sind die Berge von einem dünnen Dunstschleier umhüllt. Über den Äckern, die im Oktober noch winterlich kahl sind, sammeln sich Vögel, deren Rufe den Tagesbeginn ankünden. Zwischen den Gebäuden des Paray-Hospitals huscht Pflegepersonal hin und her. An den blauroten Uniformen erkennt man die Schüler und Schülerinnen der Nursing Assistant School, die dem Krankenhaus seit 1977 angegliedert ist und jährlich rund zwanzig Pflegerinnen und Pfleger mit einem Abschlusszertifikat ins Berufsleben entlässt. Eine Stelle finden die Abgängerinnen und Abgänger allesamt, denn Pflegepersonal ist in Lesotho gesucht. Wer einen Ausbildungsplatz an der Schule ergattert, kann sich umso glücklicher schätzen, als jährlich rund fünfhundert Bewerbungen bei der Schulleitung in Paray eintreffen. Zu den Aufnahmebedingungen gehören ein High- School-Abschluss sowie mindestens gute Noten in Biologie, Mathematik und Englisch. Letzteres wird verlangt, weil der Unterricht nicht in der Landessprache Sesotho erfolgt, sondern in Englisch. Auch im südlichen Afrika hat die Fachsprache längst Einzug gehalten. Kandidatinnen und Kandidaten, welche die Aufnahmebedingungen erfüllen, werden zur Prüfung zugelassen. Neben den Interviews, welche die Allgemeinbildung und die Motivation der angehenden Studierenden testen, wird auch ein schriftliches Examen durchgeführt. Unter anderem müssen die Bewerberinnen und Bewerber ihre Rechenkünste unter Beweis stellen, denn Taschenrechner sind in Lesotho wie so vieles Andere Mangelware. Unter jenen, welche die Prüfung bestehen, wählt die Schulleitung letztlich diejenigen aus, die ihr für die Aubildung am geeignetsten erscheinen - und die das Schulgeld bezahlen können. 2 500 Maloti kostet ein Jahr. Das sind umgerechnet rund 600 Schweizerfranken - eine Unsumme von Geld für viele Basotho. Früher sei die Organisation Friends of Lesotho für die Schulgebühren aufgekommen, erzählt die Schulleiterin Sister Annunciata, was ihr erlaubt habe, auch Kandidatinnen und Kandidaten aus armen Familien zu berücksichtigen. Doch Spendengelder sind knapp, und es mangelt in Paray allenthalben an finanzieller Unterstützung.

Den neuen Tag willkommen heissen Die Schülerinnen und Schüler, die gegenwärtig ihr erstes Jahr in Paray absolvieren, erscheinen zum Morgenrapport. Es ist sieben Uhr, und die Sonne taucht die Komplexe des Krankenhauses in ein goldenes Licht. Max Makelele, ein Arzt aus der Demokratischen Republik Kongo, hatte Nachtdienst und fasst die Ereignisse der letzten zwölf Stunden zusammen. Ein Patient ist in der Nacht an Tuberkulose verstorben. Vermutlich war er HIV-positiv. Seit die Infektionsrate in Lesotho in eine beängstigende Höhe geklettert ist (UNAIDS geht von 31% Infizierten der Gesamtbevölkerung aus) und von einer AIDS-Pandemie die Rede ist, haben auch die Tuberkulose-Fälle stark zugenommen. Das Immunsystem eines Aidskranken ist gegen die Tuberkulose-Erreger oft wehrlos. Pro Woche sterben im Paray Hospital meist zwei bis drei Patienten. Bei einer Bettenzahl von 66 eine bedrückende Zahl, die sich zuweilen negativ auf die Motivation des Personals auswirke, sagt Makelele. Nach dem Rapport gehen die Schülerinnen und Schüler in Gruppen durch die Krankensäle und wecken die Patienten mit Morgenliedern. Sie heissen den neuen Tag singend willkommen und bitten Gott um Schutz für die Kranken. Die rhythmischen Melodien, stets mehrstimmig und mit viel Verve vorgetragen, hallen durch die Gänge des Spitals. Bevor der Unterricht um acht Uhr beginnt, schrubben die jungen Männer und Frauen noch die Korridore und die sanitären Anlagen - und zwar freiwillig. In Paray äussert man sich denn auch überall wohlwollend über die Hilfsbereitschaft der Schülerinnen und Schüler. In der Küche beginnt der Lechelechele (eine Art Porridge) in den Töpfen zu kochen. Die Öfen müssen mit Kohle eingeheizt werden - eine langwierige und mühselige Prozedur. Vier Köchinnen besorgen täglich das Essen für rund 150 Personen, die Studierenden der Nursing Assistant School eingeschlossen. Sister Annunciata hofft, dass sie in Bälde einen Sponsoren für eine schulinterne Küche findet, um die Spitalküche zu entlasten. Dass diese mittlerweile viel zu klein und unterbesetzt ist, finden auch die Krankenschwestern, die sich empört darüber zeigen, dass die den Patienten verschriebene Diäten in der kleinen Küche und mit so wenig Personal schlicht nicht zubereitet werden können. In den Schlafsälen beginnen die morgendlichen Routine-Untersuchungen: Blutdruck und Temperatur werden gemessen und notiert. Die Patienten liegen in ihre

traditionellen Wolldecken, die sie um keinen Preis hergäben, gehüllt und beobachten skeptisch das Geschehen. Vor dem Krankenhaus haben sich mittlerweile Patientinnen und Patienten eingefunden, die ärztliche Versorgung benötigen. Auch sie sind in ihre Wolldecken gehüllt, die Männer tragen meist einen Stock mit sich. Vereinzelte kommen angeritten oder transportieren einen Kranken auf einem Esel. Wer sich auf eine längere Wartezeit gefasst machen muss, weil die Warteschlange bereits in die Länge gewachsen ist, legt sich unter einen der Bäume vor dem Krankenhaus und ruht sich von der Reise aus. Mittlerweile ist es halb neun. Das Primary Health Care-Team (PHC-Team) trifft sich zu seiner täglichen Sitzung. Die Aufgabe der PHC-Teams, die fast jedem Krankenhaus in Lesotho angegliedert sind, besteht darin, die medizinische Grundversorgung zu garantieren, indem sie Gesundheitszentren in abgelegenen Dörfern besuchen und die Leute vor Ort medizinisch beraten. Zur Beratung gehören unter anderem Aufklärungskamapagnen über AIDS, Mütternberatung, Impfungen und Ernährungsberatung. Tefo Mahlape, die Leiterin des Teams in Paray, teilt ihre acht Mitarbeiterinnen in Gruppen ein, von denen einige in den Dörfern nach dem Rechten sehen werden, andere in Paray bleiben und die Ankommenden vor Ort beraten. Ins enge Sitzungszimmer, in dem es kaum Tageslicht und zu wenig Stühle gibt, hat sich auch Masimphane gedrängt, ein vierjähriger Waisenjunge, dessen Mutter bei der Geburt gestorben ist und dessen Verwandte ihn nie abgeholt haben. Seither lebt er zusammen mit einem anderen Waisen im Paray Hospital und holt sich die menschliche Wärme, die er braucht, bei den Angestellten. Veraltete Technik - fehlende Resultate Im Ambulatorium - in Paray Out-Patients-Department genannt - herrscht um elf Uhr reges Kommen und Gehen. Beatrice Hchieng, eine junge Assistenzärztin aus Uganda, untersucht die Ankommenden und nimmt eine Triage vor. Patienten, denen es sehr schlecht geht, werden zum Bleiben aufgefordert. Viele können sich einen Krankenhausaufenthalt allerdings nicht leisten, wenn ein Tag auch - verglichen mit Schweizer Preisen - günstig ausfällt: 13 Maloti (rund 4 Schweizerfranken) werden verrechnet. Weil die Kosten für viele Basotho nicht tragbar sind, vermeiden sie Arztbesuche oder suchen staatliche Krankenhäuser auf, die von der Regierung

unterstützt werden und Behandlungen meist umsonst anbieten. Zum Teil lassen die gratis angebotenen Dienstleistungen jedoch zu wünschen übrig. Das in Thaba-Tseka nächstgelegene staatliche Geundheitszentrum verfügt nicht einmal mehr über einen Arzt. Patienten, die am Ende ihres Aufenthaltes in Paray nicht bezahlen können - und davon gibt es gemäss Aussagen des Administrators Tamae viele - lässt man ziehen, ohne ihnen eine Rechnung zu stellen. Beatrice Hchieng untersucht im Out-Patient-Department auch jene Kranken, die, mit Medikamenten versorgt, nach Hause entlassen werden. Eine Untersuchung kostet für einen Ewachsenen 10 Maloti (2,5 Schweizerfranken), für ein Kind die Hälfte. Blutuntersuchungen werden extra verrechnet - für viele ebenfalls unerschwinglich. Das Blut, das den Patienten abgenommen wird, wird ins Laboratorium gebracht, das sich im Haus um die Ecke befindet. Hier arbeitet Bodwin Kaonga aus Sambia. Sein Laboratorium ist blitzsauber, und er führt uns sichtlich stolz durch die beiden Räume. In den vergangenen sechs Monaten hat er 1388 Patienten auf Tuberkulose getestet, wie er einem dicken Buch, in das er alle Daten einträgt, entnimmt. Rund 20% der Fälle waren positiv. Bodwin gefällt es in Thaba- Tseka, wenn er auch seine Frau vermisst, die in Südafrika als Krankenschwester arbeitet. Eines Tages wird wohl auch er - wie die Meisten hier - nach Südafrika abwandern, wo die Saläre höher ausfallen und die Spitäler besser ausgerüstet sind. Der Administrator fürchtet sich täglich vor neuen Kündigungen. Vor ein paar Tagen hat ein Arzt, der ebenfalls aus der Demokratischen Republik Kongo stammt, über Nacht gekündigt, weil er eine besser bezahlte Stelle in Südafrika erhalten hat. Einklagen kann man ihn offenbar in Lesotho nicht. Die technische Ausstattung, die Bodwin im Laboratorium in Paray angetroffen hat, bezeichnet er selbst als ungenügend. Da kein CD 4-Zähler vorhanden ist, könne er Blutwerte, die zur Bekämpfung der HIV-Infektion nötig sind, nicht eruieren. CD 4 sind eine Untergruppe der Lymphocyten, die wiederum eine bestimmte Sorte weisse Blutkörperchen darstellen. Wenn das HI-Virus aktiv wird, werden die CD 4 am stärksten attackiert. Sinkt ihr Wert unter 200 pro Mikroliter Blut, wird bei den HIV- Infiszierten mit der Anti-Retroviren-Therapie begonnen. Diese lässt sich jedoch nur korrekt durchführen, wenn die CD 4-Blutuntersuchungen wiederholt werden. Zwar sind die Anti-Retroviren-Medikamente in Paray gegenwärtig noch nicht erhältlich, doch gemäss Bodwin wäre es dennoch von Vorteil zu wissen, wie weit die Infektion bereits fortgeschritten ist, um die Patienten möglichst effizient beraten zu können.

Der Kampf gegen AIDS Am frühen Nachmittag macht sich eines der PHC-Teams auf den Weg in die abgelegenen Gesundheitszentren. Einer der beiden Wagen, die dem Krankenhaus gehören, ist heute frei. Oft ist jedoch kein Auto vorhanden, und das Team kann seine Arbeit nur in den nah gelegenen Dörfern durchführen. Einige Siedlungen liegen in einer Entfernung von 130 km vom Spital - ohne Auto für die Krankenschwestern nicht zu erreichen. In den Dörfern, die das Pflegeteam heute aufsuchen wird, steht die Beratung von Teenagern und Waisenkindern an erster Stelle. Teenager- Schwangerschaften haben markant zugenommen, und Aufklärung ist vor allem im Zeitalter der HIV-Pandemie dringend notwendig. Ein trauriges Kapitel, das die Mitarbeiterinnen ebenfalls sehr beschäftigt, ist der Anstieg von Vergewaltigungen. Vor allem Waisenkinder seien sexueller Gewalt oft wehrlos ausgeliefert, sagt Tefo Mahlape. Den Kindern werde von ihren Verwandten zudem nicht selten all ihr Besitz weggenommen, und niemand kümmere sich darum, dass die Kinder sich richtig ernährten und zur Schule gingen. Manchmal treffe sie Familien von Waisenkindern an, deren Mutter kaum zwölf Jahre zähle, sich aber bereits um sechs jüngere Kinder kümmere. In den Dörfern, die zum Einzugsgebiet des Paray-Hospitals gehören, leben mittlerweile schätzungsweise 660 Waisenkinder. Solange die HIV- Pandemie nicht unter Kontrolle gebracht werden kann, muss davon ausgegangen werden, dass die Anzahl der Waisen noch drastisch ansteigen wird. Rund um Thaba- Tseka gibt es weder Heime, noch Sozialarbeiter, die sich um die alleinstehenden Kinder kümmern. Das PHC-Team besucht die Waisen so oft wie möglich und weist sie an, wie sie die Gärten bepflanzen können, sodass das geerbte Land ein bisschen etwas abwirft. Ausserdem hat man sogenannte Crop-Sharing-Programmes eingeführt: Dorfbewohner, die etwas Land zur Verfügung haben, erhalten Saatgut, Dünger und eine praktische Unterweisung, wie die Bepflanzung des Gartens vorzunehmen ist. Als Gegenleistung müssen sie die Hälfte des Ertrages an die Waisenkinder abgeben. Dem Programm ist allerdings gegenwärtig aufgrund der in Lesotho herrschenden Dürre nur geringer Erfolg beschieden. Der Kampf gegen AIDS ist in Paray - wie überhaupt im ganzen Land - allgegenwärtig. Plakate, die zum Gebrauch von Kondomen auffordern, zieren Hauswände. Präservative liegen an vielen öffentlichen Stellen in sogenannten

Condomaten gratis auf. Doch damit ist es leider längst nicht getan. Kopano Mpho, AIDS-Koordinatorin in Paray, kämpft täglich gegen die Mythen an, die mit dem Gebrauch von Kondomen verbunden sind. In den abgelegenen Dörfern glaubten viele Menschen, der Gebrauch eines Präservativs führe zu einer HIV-Infektion, statt vor einer solchen zu schützen. Max Makelele erzählt, dass er immer wieder Patienten berate, die behaupten, aus den Kondomen kämen Würmer, die sich im Körper des Benutzers verbreiten würden. Die Beratung und Aufklärung der Bevölkerung steht deshalb für Viele an erster Stelle im Kampf gegen die Immunschwäche. Ebenso wichtig oder sogar wichtiger ist jedoch, dass sich die Leute testen lassen, denn eine Beratung kann erst adäquat erfolgen, wenn der Status des Ratsuchenden bekannt ist. Da sich viele Basotho bis vor Kurzem einem Test im Krankenhaus verweigerten, hat man in Paray wie in anderen Spitälern die Strategie geändert: Getestet wird nicht mehr allein im Krankenhaus, sondern bei den Leuten im Dorf. Die PHC-Teams nehmen die Schnelltests mit auf ihre Besuche. Seither liessen sich sehr viel mehr Leute freiwillig testen als zuvor, sagt Kopano Mpho. Doch manchmal frage sie sich schon, wozu sie die Tests durchführe, solange keine Anti- Retroviralen-Medikamente erhältlich seine. In Paray hofft man wie vielerorts, dass der Staat bald die notwendigen Therapien implementiere. Die Kinder der Zukunft Nach dem Mittagessen werden auf der Wöchnerinnenabteilung die Neugeborenen untersucht und die Mütter beraten. Vielen von ihnen haben im Haus nebenan, das als Waiting Mothers Shelter bezeichnet wird, auf die Geburt gewartet. Den schwangeren Frauen wird empfohlen, im Krankenhaus zu entbinden, denn in Lesotho liegt die Müttersterblichkeitsrate gemäss dem UNFPA-Report von 2004 nach wie vor bei 550 auf 100 000 Geburten. Da die Reise ins Spital aus den abgelegenen Dörfern jedoch Tage dauern kann, wird den werdenden Müttern angeboten, die letzten Tage oder Wochen vor der Geburt in der Nähe des Krankenhauses zu verbringen. Ein Saal weiter liegen drei winzige Basotho-Kinder, in Wolldecken gehüllt, in ihren Bettchen. Ihre Mütter sind bei der Geburt zuhause gestorben oder wollen nichts von ihnen wissen. Ein kleiner Junge kämpft ums Überleben. Er hat chronische Durchfälle und ist für seine vier Monate zu leicht. Seine Haut scheint faltig, er wimmert. Seine

Mutter war möglicherweise HIV-positiv, wie vielleicht auch der kleine Junge selbst. Der gleichaltrigen Maria Gracia im Bett nebenan geht es bedeutend besser: Mit rosigen Wangen schläft sie tief. Sie wurde neugeboren auf der Strasse gefunden und in die Klinik gebracht. Wahrscheinlich wird sie später als Waisenkind in Paray leben wie der kleine Masimphane. Vor dem Krankenhaus haben sich die Schülerinnen und Schüler des zweiten Jahres der Nursing Assistant School auf orangen Plastic-Stühlen aufgereiht. Sie werden heute eine praktische Prüfung absolvieren und der Reihe nach in die Krankensäle gerufen, wo sie einen Patienten waschen oder ankleiden müssen. Die Mädchen haben weisse Häubchen auf, einige tragen eine Sonnenbrille. Coolness allenthalben; man schäkert und überspielt die Nervosität. Nach der Prüfung geben die jungen Basotho breitwillig über ihre Ausbildung in Paray und ihre Zukunftspläne Auskunft. Die Meisten träumen davon, nach erfolgreichem Abschluss ihre Ausbildung in Südafrika fortzusetzen und vielleicht sogar noch Medizin zu studieren, was an der Universität in Lesotho bis anhin unmöglich ist. Ein Studium in Südafrika ist für sie allerdings unerschwinglich teuer, weshalb sie planen, zuerst ein paar Jahre in Lesotho zu arbeiten und Geld zu sparen. Langfristig wollen sie alle in ihrer Heimat bleiben und ihren Landsleuten helfen. Ob die jungen Menschen diesen Vorsatz noch berücksichtigen, wenn sie dereinst in Südafrika ein Vielfaches an Geld verdienen werden, bleibt zu hoffen. (Barbara Bleisch)

(KASTEN 1) Männer sind die feinfühligeren Hebammen als Frauen! Seit Ende der Neunziger Jahren werden an der Nursing Assitant School in Paray auch Männer ausgebildet. Da der Schlafsaal für die angehenden Pfleger nur zwölf Betten umfasst, sind jedoch pro Jahrgang jeweils lediglich sechs Plätze an männliche Bewerber zu vergeben. Die Schulleiterin Sister Annunciata bedauert dies, denn die jungen Männer seien allesamt engangiert und fleissig. Zur Ausbildung der Nursing Assitants gehört auch die Geburtshilfe. Eine der männlichen Hebammen, Bale Thayane, erzählt von seinen Erlebnissen mit gebärenden Frauen. Bale, Du arbeitest auch als Hebamme. Akzeptieren Dich die gebärenden Frauen in dieser Rolle? Oh ja, sehr sogar. Die Krankenschwestern haben erzählt, dass am Anfang ein Umdenken nötig war, dass die Frauen dachten, Gebären sei eine Frauenangelegenheit. Mittlerweile aber bestehen sogar viele Frauen auf einen männlichen Geburtshelfer. Ich denke, das hängt damit zusammen, dass viele (vor allem ältere) Hebammen zu den Schwangeren ziemlich barsch sein können. Wir Männer jedoch bewundern die Frauen so sehr für ihre grossartige Arbeit und für das Aushalten der Schmerzen, dass wir sanft und respektvoll mit ihnen umgehen. Gibt es - abgesehen von den Wünschen der Frauen - andere Gründe, warum Du die Ausbildung von männlichen Hebammen befürwortest? Ja. Zum einen denke viele Basotho-Männer, das Kind, das ihnen die Frau schenkt, gehöre ihnen allein. Ich denke, dass männliche Geburtshelfer ein gesellschaftliches Umdenken bewirken, wenn sie diesen Männern erzählen, welche Qualen ihre Frauen durchstehen, wie stolz sie auf ihre Frauen sein können und dass die Kinder mindestens ebenso sehr den Mütter gehören, denn sie haben die ganze Geburtsarbeit zu leisten. Zum anderen wissen viele Männer kaum, wie Babies entstehen und zur Welt kommen. Ich bin stolz darauf, mein Wissen anderen Männern weitergeben zu können.

Magst Du selber Babies? Sehr sogar. Eine Geburt ist etwas Unglaubliches, etwas Phantastisches. Ich freue mich immer sehr, wenn ich in den Gebärsaal gerufen werde. (Barbara Bleisch) (KASTEN 2) Sprungbrett Lesotho In Lesothos Spitälern arbeiten nur vereinzelt einheimische Mediziner. Dies deshalb, weil es im Königtum keine Ausbildungsgänge für Ärztinnen und Ärzte gibt, die Basotho folglich bloss im nahen Ausland ein Medizinstudium absolvieren können. Den Weg zurück in die Heimat finden nur die Wenigsten, haben sie doch in Südafrika und weiteren Nachbarländern die weitaus besseren beruflichen und finanziellen Perspektiven. Die Stellen in Lesotho sind aus diesem Grund meist mit Ärztinnen und Ärzten aus andern afrikanischen Ländern besetzt, vornehmlich aus Nigeria und aus der Demokratischen Republik Kongo. Aus letzterem Land stammt auch Max Makelele, der seit einem halben Jahr am Paray Hospital arbeitet. Dr. Makelele, was hat Sie dazu bewogen, als Arzt nach Lesotho zu kommen? Ein Aufenthalt in Lesotho - oder generell in einem Land des südlichen Afrika - ist für Ärzte aus dem Kongo ein wichtiges Element in der Planung einer erfolgreichen Karriere. Hier behandle ich Krankheiten, die ich zuvor nur aus Lehrbüchern und Vorlesungen kannte. Somit kann ich mich fachlich ideal weiterentwickeln, was mir in allen afrikanischen Staaten einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Daneben treibt mich aber auch der Wunsch an, diesem armen Land mit meiner Arbeitskraft und meinem Wissen zu helfen. Wie erfahren Sie und Ihre Kollegen aus nördlicheren Ländern von offenen Stellen in Lesotho?

Mir half der Zufall. Ich besuchte auf einer Reise einen Kollegen, der in einem Spital in Maseru, Lesothos Hauptstadt, arbeitete und hörte bei dieser Gelegenheit von der Möglichkeit, eine Anstellung in Paray zu erhalten. Ohne lange zu zögern habe ich mich beworben und konnte bald darauf die neue Stelle antreten. Auch einer meiner beiden Kollegen hier wurde eher zufällig im Rahmen einer Reise auf den Job aufmerksam. Ein anderer wiederum wurde von seinem damaligen Chef aufgefordert, ins südliche Afrika zu gehen, um Zusatzqualifikationen zu erwerben. Eine Organisation, die Stellen vermittelt, oder ein Netzwerk für Ärzte gibt es meines Wissens in Lesotho aber nicht. Gefällt es Ihnen hier oben, in einer der kargsten Gegenden des Königreichs? Ja, ich bereue meinen Entscheid, hierher zu kommen, kein bisschen. Das Krankenhaus schätze ich besonders wegen seiner Nähe zur Nursing Assistant School, denn die Schülerinnen und Schüler sind nicht nur eine wichtige personelle Verstärkung, sondern mit ihrer schier unerschöpflichen Motivation auch eine grosse psychische Unterstützung für die Patienten und für uns. Leider wird unsere Arbeit aber dadurch erschwert, dass uns eine Menge an wichtigen Apparaturen fehlt. Nebst dem CD4-Zähler für HIV-Untersuchungen benötigten wir zum Beispiel dringend eine Isolette für Frühgeburten, ein Ultraschall-Gerät, eine Ambulanz sowie diverse Laborinstrumente. Wie stellen Sie sich nach Ihrem Aufenthalt in Lesotho die Fortsetzung ihrer Laufbahn vor? Lesotho ist für mich eine Art Sprungbrett. Ich hoffe, anschliessend in den Kongo zurückkehren zu können und eine Stelle an einem der besseren Spitäler des Landes zu finden. Als Alternative dazu würde ich natürlich auch einen Arztposten in Südafrika ohne Umschweife annehmen. Vorerst gibt es in Lesotho aber noch jede Menge zu tun. (Jean-Daniel Strub)