Universität Essen WS 02/03 Hauptseminar: Krisenkommunikation und Reputation Management Dozentin: Dr. Nina Schuppener Referent: Marcel Blank blank@blanker-unsinn.de Krisenkommunikation Die Praxis Chancen und Risiken von Dialog- und Entschuldigungskampagnen Struktur einer verständigungsorientierten PR Die Theorie Dialogkampagne der Brau und Brunnen AG Endlich Praxis Sorry, wir haben einen Fehler gemacht! Entschuldigungskampagnen kurz und knapp
Struktur einer verständigungsorientierten Public-Relations-Kampagne (Roland Burkart, 1997) Fragen: Wie hat sich das Partizipationsverhalten der Gesellschaft seit den 70er Jahren verändert und welche Auswirkungen hat dies auf moderne PR? Wunsch nach mehr Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht wuchs Hohes Interesse an den Bereichen Umwelt/Wohnumwelt sowie sozialen Einrichtungen (Ausbildung, Gesundheit) Ingesamt mehr Engagement und Kraft zum Widerstand Konfliktgesellschaft
Wie sehen darauf aufbauend die Grundlagen einer zeitgemäßen PR-Kampagne aus? Unternehmen stehen zunehmend in der Pflicht, ihr Tun gesamtgesellschaftlich verantworten, bzw. eine Klima der Verständigung mit den betroffenen Zielgruppen schaffen zu müssen. Kernthese bei Burkart: Zeitgemäße Öffentlichkeitsarbeit hat sich an den Grundlagen der Verständigung zu orientieren.
Theoretische Grundlagen Burkart lehnt sein Konzept von Verständigungsorientierter Öffentlichkeitsarbeit an Habermas Definition von Verständigung innerhalb der Theorie des Kommunikativen Handelns an, demnach gelten folgende Ansprüche (universale Geltungsansprüche): Verständlichkeit verständlich ausdrücken gemäß grammatikalischen Regel Wahrheit Existenz des Themas muss von beiden Gesprächspartnern anerkannt werden Wahrhaftigkeit kein Täuschungsversuch, tatsächliche Absichten darlegen Richtigkeit Äußerungen müssen den wechselseitig anerkannten Normen und Werten entsprechen
Theorie des kommunikativen Handelns (J. Habermas, 1981) Verständigung (Kommunikation) ist die grundlegende Form der Interaktion zwischen Subjekten Verständigung ist ein Prozess der Einigung und darauf ausgerichtet, Handlungen einvernehmlich zu gestalten Einigung ist als rational begründetes Einvernehmen bzw. Einverständnis zwischen zwei Subjekten zu verstehen. Grundlegendes Mittel ist die Sprache, da mittels Sprache Bezüge hergestellt werden zur a) äußeren (objektiven) Welt als Gesamtheit aller Dinge, über die wahre Aussagen möglich sind b) sozialen Welt, in der interpersonale Beziehungen zusammengefasst sind c) subjektiven Welt als Gesamtheit der persönlichen Intentionen und Erlebnisse des Sprechers Damit Verständigung erzielt werden kann, bedarf es definierter Bedingungen innerhalb der Sprache (vier universale Geltungsansprüche)
Der Idealtypus erfolgreicher Kommunikation ist demnach wechselseitiges Einverständnis, welches vorliegt, wenn folgende Dinge übereinstimmen: Wahrheit der Aussagen (objektive Welt) Wahrhaftigkeit der Äußerungen (subjektive Welt) Angemessenheit der kommunizierten Interessen (soziale Welt) Dies entspricht laut Habermas der idealen Sprechsituation, die einzig auf echten Konsens ausgerichtet ist.
Dieses Idealbild entspricht natürlich nicht Öffentlichkeitsarbeit in der Realität, sondern auch Dialog- PR ist etwas, was Habermas mit seiner These der Kolonialisierung der Lebenswelt bezeichnet, d.h. in Kurzfassung: Erfolgsorientierte Kommunikation oder Verständigung unterdrückt verständigungsorientierten Sprachgebrauch und damit die ideale Sprechsituation Dieser Unzulänglichkeit steht bei Habermas der Diskurs entgegen, welcher dazu dient, Verständigungsdefizite auszugleichen. Konsequenz für PR laut Burkart: Verständigungsorientierte Öffentlichkeitsarbeit hat das Ziel zu verfolgen, die Voraussetzungen für einen Diskurs bereit zu stellen Oberstes Ziel ist demnach: Kommunikationsprozesse initiieren
Burkart definiert vier Phasen verständigungsorientierter PR-Kampagnen 1. Information: Sämtliche beteiligten Parteien sollten über einen einheitlichen bzw. für sie relevanten Informationsstand verfügen. 2. Diskussion (Medienarbeit): Diskussion des Themas in den Medien, in Experten-Hearings oder auf Diskussionsabenden 3. Diskurs: Der Diskurs dient dazu, Zweifel an der Wahrheit von Behauptungen, oder der Legitimität des Vorhabens auszuräumen. 4. Situationsdefinition: Stand der Dinge evaluieren, wie weit ist man noch von Einverständnis bzw. Akzeptanz entfernt.
Fazit: Verständigungsorientierte Öffentlichkeitsarbeit stellt keine Akzeptanz her, sondern schafft die Voraussetzungen VÖA schafft eine Klima der Offenheit und Transparenz Stärkung der Vertrauenswürdigkeit und Imagegewinn für das Unternehmen
Dialogkampagne am Beispiel Dortmunder U (Bernd Weber, 1997) Ausgangssituation: 1995 wird die Produktion der Union-Brauerei an Dortmunds Peripherie verlegt Mehrere Hektar Industriegelände in Dortmunds Innenstadt liegen brach (zwischen Fußgängerzone und HBF) Auf dem Gelände steht ein denkmalgeschütztes Wahrzeichen der Stadt Sehr großes öffentliches Interesse: Anwohner (evtl. geänderte Verkehrsführung), Einzelhandel (geplante neue Einkaufsmöglichkeiten),Wirtschaftsverbände, Politiker, Eigentümerin Brau und Brunnen AG
Brau und Brunnen steht vor der Wahl: Zwei kommunikative Möglichkeiten 1. Die konventionelle Kommunikationsstrategie: verschwiegene Projektentwicklung, Beschränkung auf Politiker und die per Gesetz zu informierenden Bürgervertreter plus Marketing für potentielle Mieter 2. Die dialogorientierte Strategie: aktive Informationspolitik, große Transparenz, weit gestreute Zielgruppe
Einige Vorteile dialogorientierter Kommunikation: Ideen der Dialogpartner werden mit eingebunden Information dämpft den Widerstand derer, die sich sonst ausgeschlossen fühlen Offenheit und Kommunikationsbereitschaft verbessert zunächst das Unternehmensimage Fehler und Versäumnisse können in offener Kommunikation leichter revidiert werden Eine dialogorientierte Kommunikation bietet der Unternehmensstrategie die Chance, Ideen oder auch Schwierigkeiten kreativ zu nutzen. Größere Resonanz in den Medien ist garantiert
Nachteile und Risiken (aus Unternehmenssicht) Verlauf und Ende sind schwerer vorher zu sagen Kritikern wird mehr Angriffsfläche geboten (notorische Nörgler etc.) Begehrlichkeiten werden geweckt Grundsätzlich können nicht alle Wünsche erfüllt werden Beide Seiten müssen Zugeständnisse und Kompromisse machen, eher negativ für s Unternehmen Die Bereitschaft des Unternehmens, Kompromisse einzugehen, muss bereits am Anfang der Kampagne hoch angesiedelt sein. Der Dialog kann eine schwer vorhersehbare Eigendynamik entwickeln Tatsächlicher Verlauf der Planung/Bauphasen etc. und Kommunikation müssen synchronisiert werden
Fazit: Dialogkampagnen sind sinnvoll, wenn u. a. Der monetäre und temporäre Aufwand in vertretbarer Relation zum Planziel steht Das Unternehmen einen Imageverlust befürchtet Das geplante Projekt große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird
Umsetzung beim Dortmunder U der Brau und Brunnen AG Die PR-Kampagne für das Immobilienprojekt sollte dazu beitragen: Bezugsgruppen zu informieren und evtl. bestehende Ängste abzubauen unvermeidbare Konflikte transparent zu machen dem Unternehmen ein Bild der öffentlichen Meinung zu vermitteln dem Unternehmen Handlungsspielräume zu eröffnen Um das zu erreichen, wurden primär drei Inhalte kommuniziert: Die Dortmunder Innenstadt muss gestärkt werden, das Projekt schafft Attraktivität und zieht Kaufkraft an Der Stadtteil wird durch die Neunutzung aufgewertet (kein Industriegelände sondern Industriekultur) Brau und Brunnen ist ein guter, verlässlicher Nachbar und Partner
Die Kommunikationsstrategie verfolgte dabei zwei Hauptrichtungen sachbezogene Maßnahmen, die der reinen Information über den aktuellen Stand des Projekts dienen emotionale Maßnahmen zur Förderung des Dialogs und der Imagebildung Zielgruppen: Anwohner und Bürger lokale Politiker Financial Community Vertreter der Immobilienbranche (Architekten, Bauunternehmer, potentielle Mieter etc. )
Folgende Kommunikationsinstrumente kamen zum Einsatz: (Standard-Katalog ) Ausschreibung eines Städtebaulichen Wettbewerbs (dokumentiert in Lokalpresse und eigener Broschüre) Ausstellung der Architekturmodelle Anwohnerzeitschrift (Auflage 40.000) mit folgenden Schwerpunkten: Verbindung zwischen Projekt und Stadtteil soll gestärkt werden Kritische Meinungen werden gedruckt und sollen guten Willen demonstrieren Projektverlauf soll transparent gehalten werden weitere imagebildende Maßnahmen (Diskussionsveranstaltungen, Einzelgespräche, Sponsoring von Kunstaktionen etc.)
Zwischenbilanz nach drei Jahren (1997): Was hat s gebracht? + Der hohe Informationsstand der Bürger hat Unsicherheiten verringert + Konflikte wurden versachlicht + Der Legitimationsdruck der Lokalpolitik wurde verringert, sprich den Politikern Verantwortung abgenommen + Das Image des Dortmunder U wurde als Wahrzeichen und Name gestärkt - Der Dialog kam nur zäh in Gang - sehr wechselhaftes Interesse der Bürger - hohe Ansprüche der Bürger an das Unternehmen
Und heute? Pressemitteilung Brau und Brunnen AG, 17.12.2002 Dortmund erhält ein neues, attraktives Viertel: Das "Dortmunder U" wird völlig neu gestaltet. Der Eigentümer, die Brau und Brunnen AG, schlägt den Umbau des Areals in der Innenstadt in ein modernes Viertel mit einem Forum für Kunst und Kultur, mit Gastronomie, mit Büro- und Dienstleistungseinrichtungen, mit Wohnnutzung, einem Gesundheits- und Ärztehaus, mit cityergänzendem Einzelhandel und einem Hotel vor.[...] Die Brau und Brunnen AG verlegt ihren Hauptsitz unter das U Es wird wieder gebraut...
Sorry, wir haben einen Fehler gemacht! Chancen und Risiken von Entschuldigungskampagnen (Henning von Vieregge, 1996) Einige Gründe für zunehmende Präsens von Entschuldigungskampagnen: Shell (Brent Spar) und Telekom (Gebührenfehlberechnung) haben Mitte der 90er Jahre mit groß angelegten Entschuldigungskampagnen Aufsehen erregt. Werbefläche wurde zunehmend als Instrument für Social Marketing genutzt, welches einen gewissen Hipness-Faktor nicht entbehrt. Forciert durch wachsende Medienmacht, die solange schießt, bis ein Opfer auf der Lichtung liegt greifen kritisierte Unternehmen immer häufiger zum Mittel der öffentlichen Entschuldigung Die Suggestion, der Kunde ist König, funktioniert. Nachteil: Öffentlich gewordene Fehler machen eine öffentliche Reaktion notwendig.
Die Chancen, die Risiken Entschuldigungen können öffentliche Diskussionen rasch beenden Entschuldigungen sorgen für positive Aufmerksamkeit und lenken den Focus auf die eigene Botschaft Entschuldigungen machen aus einem anonymen Giganten ein menschliches Unternehmen aber: Entschuldigungen machen nur Sinn, wenn man glaubhaft versichern kann, dass sich der Fehler nicht wiederholt (personelle Konsequenzen vs. komplexe technische Systeme) Die Entschuldigungskampagne sollte der Haltung der restlichen Öffentlichkeitsarbeit angepasst sein (Aspekt der Glaubwürdigkeit) Souveränes Auftreten ist Pflicht: Wenn man nicht Herr des Geschehens ist, kann man nicht versprechen, sich zu bessern.