Die Marte Meo Methode: Die Kraft der Bilder nutzen



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Transkript:

Dieser Fachartikel von Claudia Berther und Therese Niklaus Loosli ist mit dem Titel Die Kraft der Bilder nutzen in gekürzter Version im Novacura, dem Fachmagazin für Pflege und Betreuung, Huber und Hogrefe, am 5. Juni 2012, S. 21-24, erschienen. Die Marte Meo Methode: Die Kraft der Bilder nutzen Marte Meo ist lateinisch und heisst sinngemäss aus eigener Kraft. Dies macht deutlich, dass der zugrunde liegende Ansatz der Methode an den Ressourcen und am Potential des pflegebedürftigen Menschen sowie des Pflegepersonals anknüpft. Das Marte Meo Konzept ist konsequent systemisch lösungs- und ressourcenorientiert (Hawellek/von Schlippe, 2007) und hilft, die neuesten neurobiologischen Erkenntnisse in die gerade laufenden Interaktionen im gewöhnlichen Pflegealltag einzubringen (Aarts/Hüther, 2008). Maria Aarts, die Direktorin von Marte Meo International in Eindhoven (Niederlande) und Sidney (Australien) hat Marte Meo als bildbasierte Methode in den 70-er Jahren für die Entwicklungsunterstützung von Kindern mit speziellen Bedürfnissen entwickelt. Interview mit Maria Aarts Die Fragen stellen Claudia Berther und Therese Niklaus Loosli, beide Marte Meo Ausbildnerinnen in der dahlia oberaargau ag Von rechts nach links: Maria Aarts, Claudia Berther, Therese Niklaus Loosli Wie würdest Du Pflegenden erklären, was Marte Meo bringt? Maria: Ich erkläre meistens, dass Marte Meo das Leben der Pflegekraft leichter macht und dass es ihr die Gelegenheit gibt, besser wahrzunehmen was die Bedürfnisse der alten Leute sind und was diese eigentlich brauchen. Was ich gerne ins Interview gesteckt hätte wären die 1

Bilder. Anhand der Filmsequenzen kann ich genau zeigen was ich damit meine. Ich freue mich auf die Fachtagung am 25. Oktober in Wiedlisbach, wenn ich mit Bildern erzählen kann. Zeitnot und Personalknappheit sind grosse Themen in der Pflege. Welche Unterstützung kann Marte Meo hier bieten? Maria: Ja, zuerst sagen die Leute oft, dass sie zu beschäftigt seien um so detailliert mit den Leuten umgehen zu können. Anhand der ersten Filme aus der Altenpflege habe ich entdeckt, dass es oft problematisches Verhalten gibt. Ein Bewohner wird aggressiv, er verweigert das Essen. Das kostet viel Zeit. Dann habe ich 1995 die ersten Marte Meo Ausbildungskurse in Dänemark und Schweden gegeben. Nach 6 mal 1 Tag Marte Meo Training haben die Pflegenden rückgemeldet, dass sie Zeit sparen. Hier ein Beispiel: Sie brachten einen Film ins Marte Meo Training mit einer Frau, die aggressives Verhalten zeigte. Zwei Pflegerinnen brauchten 20 Minuten, um sie anzukleiden. Danach waren die beiden Betreuerinnen fix und fertig und die Bewohnerin so durcheinander, dass sie nicht alleine gelassen werden konnte. Mit Hilfe der Filmaufnahmen* 1 haben sie entdeckt, dass die Frau keine Kooperationsmodelle mehr hat. Mit Marte Meo haben die Pflegerinnen gelernt, was alles zu einem Kooperationsprozess gehört und wie Leute, die keine solchen Modelle mehr haben, unterstützt werden können (siehe Kasten: Positives Leiten). Für den Folgefilm hat eine Pflegerin alleine die Betreuung übernommen. Durch das gezielte Einsetzen der Marte Meo Elemente* 2 dauerte die gleiche Handlung 18 Minuten. Beide hatten das Gefühl von einem Eins zu Eins Moment, einem echten Begegnungsmoment. Leute, die sich wahrgenommen fühlen, können sich nachher auch wieder einen Moment alleine beschäftigen, sodass den Pflegenden mehr Zeit für andere(s) bleibt. Am Anfang kostet die Methode mehr Zeit. Ich erkläre meistens, dass das Leben der Pflegenden erleichtert wird durch die Videoaufnahmen. Sie bekommen dadurch die Gelegenheit, die Bedürfnisse der alten Leute besser wahrzunehmen. Mein Fazit: mehr Freude beim Arbeiten, die Pflegenden nehmen wahr, wie wichtig ihre Arbeit ist (Anti-Burnout-Prophylaxe) und welchen Effekt diese für die Bewohner und Bewohnerinnen hat. Weniger Personal wird krankgeschrieben: das spart Zeit. Was bringt Marte Meo in Bezug auf die Selbstwirksamkeit bei pflegebedürftigen Menschen? Maria: Ich gebe ein Beispiel: in einer Institution war die Philosophie, dass die Leute so selbständig wie möglich sein sollten. Da war eine aktive Frau, die noch selber ihre Zähne putzen wollte. Ich fragte die Pflegerinnen, warum sie es nicht selber machen darf. Ich bekam zur Antwort: Ja weißt Du, sie kann es nicht mehr so gut. Ich fragte: Was macht sie denn? Die Pflegerin sagte: Wenn sie die Zähne geputzt hat, steckt sie diese in den Toilettenbeutel statt in den Mund. So haben wir aufgehört, dass sie es selber tun darf. 2

Ich sagte zu ihnen: Die Energie und der Wille ist noch da, aber sie hat das Modell Zähne putzen verloren. Wenn ihr möchtet, können wir ausprobieren mit einer Schritt für Schritt- Anleitung nach Marte Meo (siehe Kasten: Positives Leiten). Im Moment bevor sie die Zähne irgendwohin tut, sagst Du: So, nun können Sie die Zähne in den Mund tun. So bekommt die Bewohnerin Orientierung und kann es noch selber tun. In 38 Ländern arbeite ich mit Fachleuten zusammen und schaue, wie die Marte Meo Basisinformationen passend angewendet werden können. Je mehr wir diese benutzen, desto mehr Feedback erhalten wir. Mit Hilfe der Videos kann ich sehen, ob wirkt, was ich gedacht habe. Diverse Artikel und Forschungsresultate über Marte Meo in der Altenpflege können auf www.martemeo.com eingesehen werden Wer mehr Informationen möchte kann via Mail mit uns in Kontakt treten. *1 es werden nur BewohnerInnen gefilmt, bei denen eine schriftliche Einwilligung von ihnen selber wie auch der Angehörigen vorliegt. *2 Ausführliche Beschreibung der Elemente im Artikel und im Kasten Marte Meo in der Alterspflege Im Bereich der Alters- und Langzeitpflege wird das Marte Meo Konzept seit 1995 im In- und Ausland angewendet und in der internationalen Vernetzung laufend weiter entwickelt und erforscht. Es wird in immer mehr Alters- und Pflegeinstitutionen eingesetzt und als hilfreiche Methode für die anspruchsvolle Betreuung in der ambulanten und stationären Alterspflege benutzt. In der täglichen Arbeit mit demenzkranken Menschen ist die Marte Meo Methode besonders gut geeignet: das Leben dieser Menschen spielt sich in der Regel konsequent im Hier und Jetzt ab. Sie können nicht mehr vorausdenken und planen. Sie verlieren zunehmend Orientierung und Handlungsmuster: für einfache alltägliche Verrichtungen wie z.b. anziehen, Gesicht waschen und essen, brauchen sie Hilfe vom Personal. Erkrankte Menschen tun vieles langsamer als die Betreuenden. Ist das Tempo zu wenig gut abgestimmt, verwirrt dies eine demenzkranke Person und führt rasch zu aggressivem Verhalten, was das Personal verunsichern kann. Mit Hilfe der Marte Meo Videointeraktionsanalyse (fünf Minuten Film aus dem Betreuungsalltag analysieren) wird sichtbar, wo die Pflegenden für die pflegebedürftigen Menschen unterstützend sind und was sie als nächstes konkret tun können. Die Filmsequenzen helfen, die Botschaft hinter dem schwierigen Verhalten der Betreuten zu lesen und im Kontakt mit ihnen bei alltäglichen Verrichtungen entsprechend zu handeln (Aarts, 2009; Becker, 2009). Wie verschiedene Leitende und Mitarbeitende einer grossen Alterspflegeinstitution der Schweiz, der dahlia oberaargau ag berichten, lässt sich Marte Meo weitgehend mit anderen hilfreichen Theorien für die Alterspflege verbinden, mit denen sie bisher gearbeitet haben, wie z.b. Kinästhetik, Validation, basale Stimulation, personenzentrierte Pflege und lösungs- und ressourcenorientierte Pflegemethoden. 3

Marte Meo konkret Mit Marte Meo lernen die Betreuenden anhand von kurzen Filmsequenzen alltägliche Verrichtungen wie z.b. Zähne putzen bewusster und auf das Gegenüber gut abgestimmt zu gestalten Folgen und Leiten (siehe Kasten). Die Pflegenden können so ganz ins Hier und Jetzt kommen und so genau wahrnehmen, wo der pflegebedürftige Mensch mit seiner Aufmerksamkeit in dem Moment ist und welches Tempo er hat, Marte Meo Element (MME): Timing and Tuning (siehe auch MME: Warten und Folgen, Kasten und Interview mit Maria Aarts). Welche Fähigkeiten er noch hat, was er noch erkennt und selber tun kann, und wo er konkrete Hilfe braucht und kleinschrittige Anleitung benötigt (Kasten). Pflegende sehen mit Marte Meo auch kleinstes Potential: In der Regel können die Pflegebedürftigen noch weit besser mitarbeiten bei alltäglichen Verrichtungen, als gedacht. Die Interaktion bewusst zu nutzen hilft den Betreuten somit, sich wirksam und wichtig zu erleben: ein besserer Lebensmoment mehr Lebensqualität - wird ihnen mit Marte Meo ermöglicht (Kasten). Die Videointeraktionsanalyse zeigt die Wirkung des eigenen Handelns für die Pflegebedürftigen auf: Betreuende werden dadurch im Alltag gestärkt (MME: Happ-Happ, siehe Kasten und Interview). Freiwillige HelferInnen, PraktikantInnen, Lernende und Angehörige können bildbasiert mit Marte Meo gecoacht werden. Wie Sonja Jörg, Stv. Bereichsleitung Pflege und Betreuung der dahlia oberaargau ag erklärt: ohne viel theoretisches Vorwissen können sie damit Wesentliches beitragen, dass die alten Menschen möglichst viele gute und stärkende Momente erleben. Pflegende lernen bildbasiert, die Botschaften hinter schwierigem Verhalten zu lesen und in den gewöhnlichen alltäglichen Interaktionen mit den Betreuten konkret und bewusst anzugehen (Aarts, 2009, S. 130-160; Becker, 2009, Interview mit Maria Aarts). In der dahlia oberaargau ag werden ähnliche Wirksamkeits-Erfahrungen mit Marte Meo gemacht, wie dies in wissenschaftlichen Studien und Erfahrungsberichten in Dänemark, Norwegen und Deutschland bereits beschrieben wird: aggressive Ausbrüche und Konflikt-Momente mit den pflegebedürftigen und demenzkranken Menschen nehmen ab, die Lebensqualität der BewohnerInnen und der Angehörigen nimmt zu. Die Marte Meo Methode vermag auch die Pflegenden zu stärken und zu ermutigen. Diese nehmen sich in ihrer anspruchsvollen Arbeit kompetenter wahr und erfahren Wertschätzung. Die anfangs investierte Zeit zum Erlernen der Methode wird eingespart, weil es zu weniger belastenden Situationen kommt. Viele positive Interaktionsmomente, die Betreuende im Alltag nicht sehen können, sind auf dem Film beobachtbar: die Bilder wirken ganz direkt stärkend für die Pflegenden. Aller Anfang ist schwer: Zuerst benötigt es Mut und eine Zeitinvestition, sich filmen zu lassen in der konkreten alltäglichen Arbeit. Es ist herausfordernd, die Filme mit der Marte Meo Methode analysieren zu lernen, aber die Praxis zeigt: es lohnt sich (Aarts, 2009, S. 130-160; Becker, 2009; Interview mit Maria Aarts; NOVAcura-Artikel vom 7.09.12). 4

Marte Meo und Alterspflege in der Schweiz Wie Maria Aarts schreibt, gibt es in der Schweiz seit den späteren 90 er Jahren Fachleute, die Marte Meo in der Alterspflege anwenden (Aarts, 2009, S. 130-160). Seit März 2011 arbeitet die dahlia oberaargau ag - eine grosse Alterspflegeinstitution im Oberaargau mit vier Standorten - mit der Marte Meo Methode. Die Institution hat sich zum Ziel gesetzt, Marte Meo Schritt für Schritt praxisbezogen und interdisziplinär ins Konzept der ganzen Institution zu integrieren. Mitarbeitende als auch Angehörige sind mit einbezogen (NOVAcura, 7.09.12). Urs Neuenschwander, Bereichsleiter Pflege und Betreuung in der dahlia oberaargau ag freut sich: mit Maria Aarts, Claudia Berther und Therese Niklaus zusammen können wir bereits über Erfahrungen und erste Erfolge in unserer Institution berichten, nämlich an der ersten schweizerischen Marte Meo Fachtagung im Altersbereich in Wiedlisbach am 25. Oktober 2012 (siehe Flyer Fachtagung). Wie in der Literatur beschrieben, wird die bildbasierte Marte Meo Methode in der Pflege in der dahlia oberaargau ag auf verschiedenen Ebenen eingesetzt: Als Einschätzungsinstrument von Interaktionen (Marte Meo Diagnose genannt), um anhand von Filmanalysen Ressourcen pflegebedürftiger und/oder demenzkranker Menschen zu erkennen: hilfreich speziell in Bezug auf soziale und emotionale Fähigkeiten sowie Sprachmöglichkeiten (Aarts, 2009, S. 130-160 und 2011; Becker, 2009; Interview). Als Arbeitsinstrument: als lösungs- und ressourcenorientierte Methode und zur Umsetzung der neusten Erkenntnisse der Neurobiologie in die gerade laufende alltägliche Interaktion mit den pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörigen (Kasten). Als bildbasierte systemisch lösungs- und ressourcenorientierte Coachingmethode Review genannt (Hawellek/von Schlippe, 2007): z.b. als Einarbeitungsinstrument von neuem Personal, zur bildbasierten Stärkung und Weiterentwicklung sowie zur Fachanleitung von Mitarbeitenden, Lernenden, Freiwilligen, Angehörigen und zur Entwicklung einer lösungs- und ressourcenorientierten Haltung und Kultur in der gesamten Institution (siehe NOVAcura 7.09.12). Wie Sonja Jörg sagt: Wir haben nun eine gemeinsame Sprache im Team. Ausserdem nimmt das Personal stärkende Interaktionsmomente im gewöhnlichen Pflegealltag besser wahr, sogar in besonders hektischen und schwierigen Zeiten. Die Videointeraktionsanalyse nach Marte Meo hilft, die Elemente gelingender Kommunikation (MME) nicht nur zu erkennen, sondern neurobiologisch so abzuspeichern, dass die Pflegeperson sie auch in schwierigen Momenten besser abzurufen versteht. Das Marte Meo Konzept kann als Empowerment-Instrument für Betreuende, Pflegebedürftige und deren Angehörige genutzt werden: Schauen und das Gegenüber und sich selber stärken mit der Kraft und Hilfe der Bilder. 5

Folgen und leiten Folgen: die Welt der Menschen besser kennen lernen und so auf ihre Bedürfnisse und Kompetenzen anschliessen. Leiten: Wenn Struktur und Entscheidungsmöglichkeiten der Pflegebedürftigen verloren gegangen sind (z.b. Demenz). Einige Marte Meo Elemente (MME) des positiven Leitens sind: Einen kleinen Moment warten...die Aufmerksamkeit des Bewohners gewinnen Gut anschliessen ( Guten Morgen ) und gute Atmosphäre mit freundlicher Stimme und einem Lächeln auf den Lippen: Neurobiologisch erklärt helfen diese MME mit, dass sich via Spiegelneuronen positive Gefühle auf die Betreuten zu übertragen vermögen. Deren Amygdala (Mandelkern) kann sich beruhigen. Dies versetzt ihr Hirn in eine bestmögliche Arbeitsstimmung. Sich selber benennen ( ich gebe Ihnen die Zahnbürste, ich hole Ihnen den Rollstuhl ) tragen zu Orientierung und Sicherheit für Pflegebedürftige bei. Sicherheit vermag den Hippocampus, den Bibliothekar im Gehirn, zu aktivieren. Neuromodulatoren können ausgeschüttet werden. Schritt für Schritt anleiten ( jetzt können Sie den Löffel in die Hand nehmen, ja genau, und jetzt zum Mund führen ) ist für Menschen, die an einer Demenz leiden, besonders hilfreich. Dies scheint dazu beizutragen, die noch vorhandenen Nervenbahnen eines Handlungs- Modells wie z.b. Essen oder Aufstehen im prämotorischen Cortex bestmöglich zu aktivieren. Genau schauen, wo die Aufmerksamkeit des Gegenübers ist 6

Die MME Warten (Zeit geben) und Folgen (mit der Aufmerksamkeit ganz bei der Handlung der pflegebedürftigen Person sein), tragen dazu bei, präzis wahr zu nehmen, was sie noch selber tun kann und wo sie Hilfe braucht. Die MME Warten und Folgen mit einem freundlichen Blick helfen, dass die betreute Person auch neurobiologisch in der maximal möglichen Arbeitsstimmung bleibt (siehe oben). Sie merkt: was ich mache ist wichtig. Die MME Benennen der Handlung oder des Gefühls des Gegenübers ( Sie putzen nun die oberen Zähne oder das ist anstrengend für Sie ) zeigen der pflegebedürftigen Person, dass sie gesehen wird. Gerade Menschen, die an einer Demenz leiden, merken so, dass sie nicht alleine sind. Sie erhalten Orientierung in Bezug auf sich selber: können womöglich bewusster wahrnehmen, was sie gerade tun. Die MME Bestätigen ( ja, genau so ) und Freude teilen (Pflegekraft gibt ihrer Freude Ausdruck) tragen dazu bei, dass sich die betreute Person kompetenter und zufriedener fühlen kann. Dopamin kann so ausgeschüttet werden, welches im Hirn Endorphine frei zu setzen vermag, das zu Glücksgefühlen führen kann. Die Pflegebedürftigen erleben einen guten Kontakt- Moment. Die Betreuenden können sich in dem Moment selber nähren und stärken: ihre Freude mit dem Gegenüber zu teilen, kann auch ihre Dopamin-Netzwerke aktivieren und somit Endorphine produzieren. Dieses MME heisst Happ-Happ und führt dazu, dass Pflegende bewusst Energie zu tanken vermögen im gewöhnlichen Pflegealltag (Aarts, 2009, S. 130-160; Aarts/Hüther, 2008; Interview). Freude teilen, bewusst Energie tanken Antiburnoutprophylaxe 7

Literaturliste Aarts, Maria, 2009 und 2011, Marte Meo, Ein Handbuch, 2, 3. Auflage, Aarts Productions Eindhoven, Niederlande Aarts, M., /Hüther, G., 2008, DVD Fachtag Interaktion und Entwicklung, Marte Meo Praxis und Neurobiologie, Aarts Productions Eindhoven, Niederlande Becker, Ursula, 2009, Marte Meo auf die Beziehung kommt es an, Video-Aufzeichnungen unterstützen Pflegende, S. 42-45, Zeitschrift Pflegen: Demenz, No 12, 2009, Deutschland Hawellek, Ch./von Schlippe, A., 2007, Entwicklung unterstützen- Unterstützung entwickeln Systemisches Coaching nach der Marte Meo Methode, Vandenhoeck & Ruprecht Verlag Autorinnen Therese Niklaus Loosli, Dr. med. lizenzierte Marte Meo Supervisorin und Marte Meo Ausbildungsleitung in der dahlia oberaargau ag Fachärztin FMH für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Hochschuldozentin, Organisationsentwicklerin CH - 3360 Herzogenbuchsee beratungspraxis@therese-niklaus.ch - www.therese-niklaus.ch und Claudia Berther lizenzierte Marte Meo Supervisorin und Ausbildnerin in der dahlia oberaargau ag Ausbilderin eidg. FA, dipl. Pflegefachfrau HF CH-4323 Wallbach info@claudiaberther.ch - www.claudiaberther.ch 8