Elektromobilität ein Thema für den Arbeitsschutz? Autoren: Dipl.-Ing. Albert Först, BGHM Die Verfügbarkeit fossiler Brennstoffe, Schadstoffemissionen wie CO 2 oder Stickoxide, Klimaschutz und nicht zuletzt die Diesel-Affäre: Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht in irgendeiner Form über diese Themen in den Medien berichtet wird. Sehr häufig taucht dabei auch der Begriff Elektromobilität auf. Dabei geht es nicht nur um elektrische Antriebstechnologien, sondern auch um Automatisierung und Vernetzung, Digitalisierung und neue Mobilitätskonzepte. Langfristig wird eine Abkehr vom Verbrennungsmotor stattfinden. Elektrisch angetriebene Fahrzeuge haben gegenüber Verbrennungsmotoren nicht nur ökologische Vorteile, auch bezüglich ihres geringeren Wartungsaufwandes sind diese Fahrzeuge im Vorteil. Der relativ junge Markt ist aktuell noch klein, unterliegt aber einer hohen Dynamik. Zum 1. Januar 2018 belief sich der Bestand an rein elektrisch angetriebenen Personenkraftfahrzeugen (Pkw) in Deutschland auf ca. 54.000 Fahrzeuge. Rechnet man noch die Hybridfahrzeuge (einschließlich Plug-in-Hybrid) dazu, so gab es zu diesem Stichtag insgesamt ca. 335.000 Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb. Automobilhersteller, die Zulieferindustrie und Forschungseinrichtungen entwickeln die Fahrzeugtechnologien kontinuierlich weiter. Dabei geht es unter anderem um die Optimierung von Antriebssystemen, Leistungselektronik und nicht zuletzt um die Speichertechnologien. Die Batterie ist bei den elektrisch angetriebenen Fahrzeugen die wichtigste Komponente. Sie hat Einfluss auf Reichweite, Gewicht und Fahrzeugkosten. Mit der Zunahme von elektrisch angetriebenen Fahrzeugen kommen sowohl auf die Herstellerindustrie als auch auf die Servicewerkstätten neue Herausforderungen im Arbeitsschutz zu. Die Antriebe dieser Fahrzeuge und weitere Komponenten werden mit hohen elektrischen Spannungen und Strömen betrieben. Aktuell liegen die Spannungen bei Fahrzeugen im Pkw-Bereich bei etwa 400 V. 2019 wird allerdings das erste Elektrofahrzeug als Pkw mit 800-V-Technik in Serie gehen. Die Energiespeicher stellen große elektrische Leistungen bereit. Neben den elektrischen Gefährdungen existieren chemische sowie Brandund Explosionsgefährdungen. Die Fahrzeugindustrie und die Servicewerkstätten müssen sich mit neuen Arbeitsverfahren auseinandersetzen und ihre Gefährdungsbeurteilungen
anpassen. Dies gilt nicht nur für Arbeiten an intakten Fahrzeugen, sondern auch an Unfallfahrzeugen. Der folgende Beitrag soll die Auswirkungen auf den Arbeitsschutz aufzeigen, die durch den Umgang mit elektrisch angetriebenen Fahrzeugen in den Unternehmen bestehen. Gefährdungen beim Umgang mit Elektrofahrzeugen Spannungen von 12 oder 24 Volt sind für die Beschäftigten im Kraftfahrzeuggewerbe schon immer vertraute Größen. Jetzt kommen im Rahmen der alternativen Antriebe im Fahrzeugbereich aber Spannungen und Ströme zum Einsatz, die sich mit Spannungen bis 800 Volt und sehr großen Leistungen erheblich von den bisher vertrauten Größenordnungen unterscheiden. Fahrzeuge mit derartigen Antrieben verfügen über Komponenten, die für die Antriebe selbst, aber auch für Nebenaggregate wie zum Beispiel eine Klimaanlage zum Teil große elektrische Leistungen benötigen. Von den in diesen Fahrzeugen eingesetzten Komponenten können elektrische Gefährdungen ausgehen, die zu Körperdurchströmung und Lichtbogeneinwirkung am menschlichen Körper führen. Bei Serienfahrzeugen geht von den verbauten Hochvolt (HV)-Komponenten unter normalen Bedingungen keine elektrische Gefahr aus. Dennoch kann es nicht ausgeschlossen werden, dass beispielsweise bei Reparatur- und Servicearbeiten unter Spannung stehende Teile berührt werden. Wechselstrom kann bereits ab einer Stromstärke von etwa 1 bis 5 ma zu Schreckreaktionen und dadurch zu Sekundärunfällen führen. Ab 50 ma (0,05 A) kommt es zu Muskelverkrampfung, Atem- und Herzstillstand. Der geregelte Ablauf der einzelnen Herzmuskelbewegungen wird durcheinandergebracht, so dass eine ungeordnete Bewegung ohne Pumpwirkung entsteht - das sogenannte Herzkammerflimmern. Auch Gleichstrom ist keinesfalls ungefährlich. Es treten bei einer Körperdurchströmung in erster Linie innere Verbrennungen, Flüssigkeitsverluste, Verkochungen und Störungen der Impulse im Herz auf. Die in Fahrzeugen mit HV-Systemen verwendeten Spannungen können beim Menschen Ströme von mehreren Hundert Milliampere verursachen. Bei einem durch Kurzschluss erzeugten Lichtbogen sind Verbrennungen und Schädigungen der Haut, der Augen und der Atemwege die Folge. Typische Unfallfolgen sind das Verblitzen der Augen durch starke UV-Strahlung sowie Verbrennungen ersten und zweiten Grades der Haut. Zur Speicherung der elektrischen Energie werden nach heutigem Stand überwiegend Batterien mit Lithium-Ionen-Zellen genutzt. Die wichtigste elektronische Komponente dabei
ist das Batteriemanagementsystem (BMS). Es steuert und überwacht den Ladezustand beim Be- und Entladen auf Zell- und Systemebene. Zusätzlich übernimmt es die Funktion der Schnittstelle zwischen Elektrofahrzeug- und Akkumulator-Kommunikation. Durch die integrierte Sensorik werden Strom, Spannungen, Temperaturen der Einzelzellen und des Gesamtsystems gemessen und geregelt. Damit ist das BMS ein zentraler Bestandteil für die Sicherheit der Batterie. In Lithium-Ionen-Batterien werden zum einen Materialien mit hohen Energiegehalten und zum anderen hochentzündliche Elektrolyte kombiniert. Wirken extreme äußere Einflüsse wie beispielsweise Kurzschlüsse, hohe Temperaturen oder eine mechanische Deformation durch Kollision ein, können entsprechende sicherheitskritische Situationen ausgelöst werden. Diese gilt es in der Konstruktionsphase ausreichend zu berücksichtigen. Ein wesentlicher Aspekt ist hierbei die Reaktion bei einer Überladung von Zellen. Diese kann zu einer unkontrollierbaren Erhitzung und schlimmstenfalls zu einem sogenannten thermal runaway mit Brand und Ausgasen der Zellen führen. Auch Tiefentladungen sollten aufgrund auftretender Korrosion vermieden werden. Entsprechend müssen mit den Zellen vor Inverkehrbringen elektrische Sicherheitstests durchgeführt werden, die auch unter anderem das Verhalten bei schnellem Laden und Entladen mit hohen Strömen analysieren. Auswirkungen im Arbeitsschutz Um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten zu gewährleisten, sind die Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu gewährleisten. Organisation Zunächst sind im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung die Gefährdungen zu ermitteln und die damit verbundenen Risiken zu bewerten. Daraus müssen dann die entsprechenden Schutzmaßnahmen abgeleitet werden. Neben den bereits bekannten Gefährdungen sind insbesondere die oben genannten elektrischen Gefährdungen durch Körperdurchströmung und Lichtbögen sowie die Gefährdungen im Umgang mit den Lithium-Ionen-Batterien zu beurteilen. Für Tätigkeiten mit hohem Risiko, zum Beispiel Arbeiten an unter Spannung stehenden Energiespeichern, empfiehlt es sich, schriftliche Arbeitsanweisungen zu erstellen. Sie beinhalten unter anderem auch Sicherheitshinweise der Hersteller, die es zu berücksichtigen gilt. Arbeitsanweisungen beschreiben die Vorgehensweise bei diesen Tätigkeiten inklusive der dabei auftretenden Gefährdungen und der zu berücksichtigenden Schutzmaßnahmen.
Sie sollen dem Beschäftigten als Checkliste dienen, damit er alle zu beachtenden Maßnahmen berücksichtigt. Die Überprüfung der standardisierten Arbeitsanweisungen auf fachliche Richtigkeit obliegt einer fachlich qualifizierten Person. Die Inhalte der Arbeitsanweisungen sind den Beschäftigten durch Einweisung (zum Beispiel im Rahmen der Produktschulung) oder Unterweisung (vor Aufnahme der Tätigkeit, wiederkehrend) zu vermitteln. Die Beschäftigten müssen die Inhalte verstanden haben. Für die nachhaltige Integration von standardisierten Arbeitsverfahren in den Arbeitsablauf, die Erstellung erforderlicher Dokumentationen und die Kontrolle der Umsetzung sind die jeweiligen Vorgesetzten verantwortlich. Arbeitsmittel Zu den Aufgaben der verantwortlichen Personen im Unternehmen gehört es auch, Werkzeuge, Hilfsmittel und Persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen. Diese müssen für die jeweiligen Arbeiten geeignet und in einem sicheren Zustand sein. Das bedeutet zudem, dass sie auch bei entsprechender Benutzung in diesem Zustand bleiben müssen. Arbeiten am HV-System sind nur nach Herstellervorgaben und mit den vorgeschriebenen Werkzeugen, Hilfsmitteln und Persönlicher Schutzausrüstung durchzuführen. Für Arbeiten an unter Spannung stehenden HV-Komponenten sind nur die vom Hersteller vorgegebenen und elektrisch isolierenden Arbeitsmittel einschließlich der erforderlichen PSA zu verwenden. Fahrzeuge mit HV-System sind für die Dauer der Tätigkeiten zu kennzeichnen. Während elektrotechnischer Arbeiten ist der Arbeitsbereich abzusichern, zum Beispiel durch Absperrbänder oder Geländer. Wenn eine gegenseitige Gefährdung der Servicemitarbeiter möglich ist, zum Beispiel bei zeitgleichen Wartungs- oder Reparaturarbeiten und Arbeiten am HV-System der Fahrzeuge, sowie bei eingeschränkter Übersichtlichkeit an Nutzfahrzeugen, so ist ein Verantwortlicher oder Koordinator zu benennen. Dieser muss die auszuführenden Arbeiten aufeinander abstimmen und die Schutzmaßnahmen festlegen. Der Koordinator muss für Arbeiten an Fahrzeugen mit Hochvoltsystem ausreichend qualifiziert sein, um die möglichen Gefährdungen erkennen und die notwendigen Maßnahmen einleiten zu können. Darüber hinaus sind spezifische Kenntnisse zu den entsprechenden Fahrzeugtypen notwendig. Personal Alle Beschäftigten, die elektrotechnische Arbeiten an HV-Systemen von Fahrzeugen durchführen sollen, müssen für diese Arbeiten qualifiziert sein. Der Umfang der
Qualifizierung hängt unter anderem vom Grad der bei den Arbeiten auftretenden elektrischen Gefährdungen und von den Vorkenntnissen ab. Allgemeine Instandhaltungsarbeiten an diesen Fahrzeugen (zum Beispiel Arbeiten an der Abgasanlage, Ölwechsel, Reifenwechsel) können vorgenommen werden, solange das HV- System in Ordnung ist und es beispielsweise keine Beschädigungen an den HV- Komponenten oder keine Fehlermeldungen aufweist. Die Beschäftigten müssen vor Aufnahme der Arbeiten unterwiesen werden, um die elektrischen Gefährdungen des HV- Systems kennenzulernen. Sie müssen mit den Kennzeichnungen der HV-Komponenten vertraut gemacht und in die sichere Bedienung des Fahrzeuges eingewiesen werden. Beschäftigte, die Arbeiten an HV-Systemen durchführen sollen, benötigen eine zusätzliche Qualifikation. Die Fachkunde für die jeweiligen HV-Systeme, an denen sie arbeiten sollen, muss ihnen in einer theoretischen und praktischen Schulung vermittelt werden. Die geschulten Beswchäftigten können die elektrischen Gefährdungen des HV-Systems beurteilen und die für das HV-System notwendigen Schutzmaßnahmen festlegen. Sie sind in der Lage, die Spannungsfreiheit am Fahrzeug herzustellen und für die Dauer der Arbeiten sicherzustellen. Der Umfang der Qualifizierung hängt entscheidend von der Vorbildung, den praktischen Erfahrungen des Beschäftigten und vom Grad der elektrischen Gefährdung, der die Beschäftigten bei der Durchführung der elektrotechnischen Arbeiten ausgesetzt sind, ab. Über die durchgeführten theoretischen und praktischen Qualifizierungen ist ein Nachweis der erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse erforderlich. Die verantwortlichen Personen müssen sicherstellen, dass nur Beschäftigte, welche die oben beschriebenen Voraussetzungen erfüllen, an Hybrid- und anderen HV-Fahrzeugen arbeiten. Fallen Arbeiten an der elektrischen Infrastruktur an, wie beispielsweise die Installation von externen Ladeeinrichtungen oder Arbeiten an der elektrischen Gebäudeinstallation, so dürfen diese Arbeiten nur von Elektrofachbetrieben ausgeführt werden. Diese Betriebe können überprüfen, ob die Installation für die benötigte elektrische Leistung ausreicht und welche Schutzmaßnahmen (zum Beispiel Fehlerstromschutzeinrichtung) erforderlich sind. Diese Arbeiten müssen fachgerecht nach den Regeln der Technik ausgeführt werden. Info Näheres zur Qualifizierung kann der Informationsschrift Qualifizierung für Arbeiten an Fahrzeugen mit Hochvoltsystemen (DGUV Information 200-005) entnommen werden. (http://publikationen.dguv.de/dguv/)
Literatur: Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz - ArbSchG), Stand 2015 Kompendium Grundsätze der Prävention DGUV Vorschrift 1, DGUV Regel 100-001, Erläuterungen, Berufsgenossenschaft Holz und Metall, Ausgabe 2015 DGUV Information 200-005 (2012): Qualifizierung für Arbeiten an Fahrzeugen mit Hochvoltsystemen, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), Berlin 2012 Rahimzei/Sann/Vogel (2015): Kompendium: Li-Ionen-Batterien, Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.v., Frankfurt, Stand: Juli 2015 Veröffentlichung Erschienen in der Zeitschrift Sicherheitsingenieur, Ausgabe 11/2018 Kontakt Sollten Sie als Medienvertreterin oder -vertreter auf Autorensuche für Fachartikel oder Themen sein, kontaktieren Sie uns gerne per E-Mail an presse@bghm.de